Читать книгу Die Höhle in den schwarzen Bergen - Liselotte Welskopf-Henrich - Страница 7

Tashunka-witko

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Gegen Abend ging Mattotaupa mit Harka noch einmal zu den Pferden, um mit dem Jungen allein zu sein. Die beiden standen erst einige Zeit schweigend beieinander. Es war ihnen, als ob sie die Stille der Steppenwildnis rings in sich hineintrinken müssten, nachdem sie den Winter in Städten verbracht hatten, in denen Lärm und Gerüche sie quälten. Unbehindert von menschlichen Bauwerken, auch unbehindert von Wäldern oder Bergen konnte jetzt ihr Blick über die Grassteppe und über die ganze Himmelskuppe schweifen, vom blaudunkelnden Osten über den zarten Goldhauch der Höhe bis in das rotglühende Feuer der sinkenden Sonne im Westen. Die spitz zulaufenden Zelte am Bach warfen lange Schatten, das Wasser glitt lautlos, matt schillernd über den Sand dahin. Die meisten Familien hatten sich schon in die Zelte zurückgezogen. Zu den Pferden kamen die beiden Wächter herbei, die die Herde nachts hüten sollten. Der Wind strich sanft über das Gras, zwischen dessen alten gelben Halmen grüne Spitzen keimten, und er streichelte das Haar der Menschen. Es versprach die erste Nacht ohne Frost zu werden.

Mattotaupa musterte die Anordnung der Zelte, die Ufer des Bachs, die Wiesen, die flachen Anhöhen in der Nähe und in der Ferne, die zahlreichen Fährten von Pferden und Menschen bei dem Zeltlager. Harka versuchte gleich dem Vater, sich alle Einzelheiten einzuprägen. Mit besonderer Aufmerksamkeit betrachteten beide immer wieder das Zelt, in dem das Dakotamädchen bis jetzt gelebt hatte; es war das dritte, von dem neuen Zelt Mattotaupas an gerechnet, das am Südende des Dorfes als letztes aufgestellt war. Da Vater und Sohn ihren gemeinsamen Gedankengang bis dahin auch ohne Worte errieten, sagte Mattotaupa jetzt: »Wenn noch einmal ein Kundschafter kommen sollte, so zu diesem dritten Zelt, in dem er das Mädchen vermutet. Es sei denn, dass sie ihm ein Zeichen gibt. Ich glaube zwar, dass ein Dakota, der schon einmal hier gewesen ist, sich nicht zum zweiten Mal einschleicht. Denn wenn er das Mädchen gesprochen hat, weiß er genug, und seine Brüder können sich danach richten. Ich denke weniger an einen zweiten Kundschaftergang, ich fürchte vielmehr einen Überfall.«

»Haben die Häuptlinge der Siksikau und der Dakota nicht vor drei Tagen die Friedenspfeife miteinander geraucht?«

»Häuptling Brennendes Wasser, in dessen Zelten wir zu Gast sind, hat mit dem Häuptling der Zelte, bei denen Dunkler Rauch gefangen war, nach dem Kampf die Friedenspfeife geraucht. Aber du weißt, dass es viele Stämme und Gruppen der Dakota gibt. Ein Mädchen aus dem Zeltlager Tashunka-witkos bleibt nicht freiwillig hier. Vielleicht wird Tolles Pferd mit seinen Kriegern kommen, um uns anzugreifen und die Tochter seines Stammes zurückzuholen.«

Aus dem neuen Zelt Mattotaupas kam eben das Mädchen, von dem er gesprochen hatte, noch einmal heraus und holte Wasser am Bach. Mattotaupa und Harka konnten sie auf ihrem Weg, hin und zurück, beobachten. Sie hielt sich nicht auf, warf nichts zur Erde, ließ nichts liegen. Sie füllte ein Gefäß mit Wasser und nahm es mit ins Zelt, das war alles. Sie hatte auf ihrem Weg nicht nach rechts und nicht nach links geschaut. Nun verschwand sie wieder.

Auf der Wiese östlich des Dorfes saßen zwei junge Krieger und spielten Flöte. Es war eine einfache Weise, und sie galt den Mädchen, die sie liebten und zu einem Stelldichein in der Nacht überreden wollten. Aber die Großmütter in den Zelten hatten wohl überall einen leisen Schlaf, auch in den Zelten der Siksikau, und es war nicht leicht, sie zu überlisten.

»Gehe du jetzt schlafen«, sagte Mattotaupa zu Harka. »Ich begebe mich zu dem Häuptling und bleibe vorerst dort. Du kannst dem Mädchen Nordstern sagen, dass ich nichts mehr essen will, da ich vom Häuptling geladen sei und dort sehr lange bleiben würde. Sie soll sich schlafen legen. Gehe du auch schlafen und stelle dich so, als ob du sehr tief schliefest. Wenn Nordstern wirklich einen Kundschafter erwartet, werden er und sie die scheinbar günstige Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Ich aber bleibe nicht im Zelt des Häuptlings, sondern spähe nachts umher, ob sich ein Feind anzuschleichen versucht.«

»Welches ist unser Zeichen?«

»Ich bin ein Kojote, du bist ein Hund. Wenn wir einander warnen wollen, geben wir dreimal Laut. In Gefahr kläffen oder bellen wir wild.«

»Hau, Vater.«

»Unsere Feuerwaffen bringen wir in das Zelt des Häuptlings, damit sie nicht gestohlen werden, wenn sich ein Kundschafter in unser Zelt zu dem Mädchen einschleicht. Du allein könntest einem Feind doch nicht widerstehen. Du sollst nur das Mädchen belauschen.«

»Hau.«

Die beiden gingen zu ihrem neuen Zelt zurück. Der Sonnenball war schon unter den Horizont gesunken, und die Dunkelheit, in der die Gefahren für Mensch und Tier größer wurden, breitete sich über das Land. In vielen Zelten war das Feuer bereits gedeckt. Sie lagen, von außen her gesehen, ganz im Dunkeln. Bei einigen ließ sich an den Ritzen noch der Feuerschein im Innern erkennen; dazu gehörte auch das Zelt des Häuptlings. Dorthin begab sich Mattotaupa, und Harka brachte ihm alle Feuerwaffen dorthin. Dann lief er wieder zu dem Zelt am Südende.

Es war im Innern des Zeltes recht düster, denn Asche lag über der Glut. Das Mädchen saß still im Hintergrund. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt, da nichts mehr zu tun war, wenn der Herr des Zeltes nicht neue Befehle gab. Harka richtete aus, was Mattotaupa ihm aufgetragen hatte, und bezog dann seine angenehme Schlafstatt. Auch das Mädchen kleidete sich aus, legte sich hin und deckte sich zu. Harka schlief schnell ein. Er hatte beschlossen, die ersten Nachtstunden zu einem wirklich tiefen Schlaf zu nutzen. Wer wusste, was später geschehen würde! Um Mitternacht wollte er wieder wach werden. Er glaubte sich darauf verlassen zu können, dass sein Körper seinem Willen gehorchen würde.

Aber das war nicht ganz in dem Maße der Fall, in dem der Knabe es von sich gewohnt war. Nach einer ersten halben Stunde tiefen Schlafes begann er, unruhig von seiner jüngeren Schwester daheim zu träumen, die er sehr geliebt hatte. Er wurde auch einmal wach, öffnete aber die Augen nicht, sondern zwang sich, wieder einzuschlafen. Es quälten ihn von da ab richtiggehende Angstträume. Er sah in der Ferne seine Schwester stehen, die ihn um Hilfe rief; er konnte ihr aber nicht helfen, weil seine Füße fest an den Boden angezaubert waren.

Als er das zweite Mal erwachte, begann er darüber nachzudenken, warum er so schlecht träumte. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung. Erst lauschte er nur. Als er die gleichmäßigen Atemzüge des Mädchens vernahm, die die einer Schlafenden waren, machte er die Augen auf, gewöhnte sich an die Dunkelheit und konnte allmählich dies und jenes in Umrissen erkennen. Es war im Zelt durchaus nichts verändert. Wie lange er allerdings geschlafen hatte, war nur schwer zu sagen, da es weder eine Uhr noch das Signal eines Nachtwächters noch durch die Büffelhautplanen hindurch einen Ausblick auf die Sterne gab.

Der Vater war jedenfalls noch nicht ins Zelt zurückgekommen. Harka hatte keine Lust, ein drittes Mal einzuschlafen. Er begann von neuem zu grübeln. In der Stille der Nacht und im tiefen Dunkel war es am leichtesten, seinen Gedanken nachzuhängen. Er glaubte wieder diesen Namen zu hören: Tashunka-witko. Es gab sehr wenige Geheimnismänner und Häuptlinge bei den Dakota, deren Namen und Einfluss über das eigene Zeltdorf oder eine Gruppe solcher Verbände hinausreichten. Zu diesen wenigen rechneten Tatanka-yotanka, der Zaubermann, und Tashunka-witko, der Häuptling: Sie gehörten beide zu den Dakotastämmen, die die westlichen Prärien bewohnten, und es gab keinen Zweifel, dass sie sich persönlich kannten. Tatanka-yotanka hatte der Ratsversammlung der Bärenbande beigewohnt, die Mattotaupa schuldig gesprochen und verbannt hatte. Diese Tatsache hatte Mattotaupa dem Zauberer der Schwarzfüße nicht mitgeteilt. Aber es war so gewesen. Tatanka-yotanka wusste von Mattotaupa und von Harka, und daher wusste aller Wahrscheinlichkeit nach auch Tashunka-witko von den beiden. Vielleicht hatte auch das Mädchen, das hier im Zelt schlief, schon von Mattotaupa und Harka erfahren, ehe sie in Gefangenschaft geriet. Vielleicht hatte sie sogar dem Dakotakundschafter, der bei ihr gewesen sein sollte, etwas davon gesagt, dass Mattotaupa und Harka hier in den Zelten weilten. Das Mädchen rührte sich in seinen Decken, aber mit den typischen Bewegungen einer Schlafenden.

Harka dachte auch über die Vermutungen nach, die der Vater ausgesprochen hatte. Es war wirklich unwahrscheinlich, dass ein so gewagter Kundschaftergang, der mitten in die Zelte der Siksikau führte, ein zweites Mal unternommen wurde, wenn er das erste Mal geglückt war. Viel eher war mit einem Überfall zu rechnen, oder wenn nicht das, so vielleicht mit einem Versuch, das Mädchen zu befreien.

Nordstern fing offenbar an zu träumen. Sie bewegte sich lebhaft und stieß sogar Laute aus. Harka lauschte angestrengt, um zu verstehen, was sie im Traum sagen wollte. Sie lallte aber nur. Doch jetzt – war das nicht ein Name gewesen? Aber Tashunka-witko hatte sie nicht gesagt. Vielleicht liebte sie irgendeinen jungen Dakotakrieger, der sie in sein Zelt hatte holen wollen, ehe sie die Gefangene der Siksikau wurde. Ihr Traum schien beendet zu sein. Sie atmete sehr tief und lag dann ruhig. Ihre Atemzüge wurden wieder ganz regelmäßig.

Harka ärgerte sich über sich selbst. Dieses Mädchen konnte schlafen, er aber, ein Junge, war zu aufgeregt dazu! Eine Schande war das. Aber ehe er sich nochmals einzuschlafen zwang, musste er sich vergewissern, welche Stunde es war. Er stand nicht auf, ging nicht zum Zeltausgang, weil er das Mädchen nicht wecken wollte. Leise legte er die Decken beiseite, kroch zur Zeltwand, lockerte vorsichtig einen Pflock und schob den Kopf unter der Plane hinaus. Er wollte nach den Sternen lugen. Aber dazu kam er nicht mehr.

Eine Hand packte ihn am Hals und würgte ihn, so dass er nicht den geringsten Laut von sich geben konnte. Er griff nach den Fingern der feindlichen Hand, um sie einzeln aufzubiegen, versuchte auch, sich mit den Füßen einzustemmen, aber die Zeltplane, unter der er den Kopf durchgesteckt hatte, war ihm sehr hinderlich. Schon waren auch seine Füße gepackt, und trotz seiner heftigen Gegenstöße wurde ihm eine Fessel um die Fußgelenke gebunden. Die Finger an seiner Gurgel ließen sich nicht wegreißen. Der Mann, der ihn gepackt hatte, war stark. Harka spürte die entsetzliche Angst des Erstickenden, und seine Glieder wurden allmählich schlaff. Es verging eine Zeit, in der er nichts mehr von sich wusste. Er hätte auch nicht sagen können, wie lange er bewusstlos gewesen war, als seine Sinne langsam wiederkehrten.

Zuallererst versuchte er tief Luft zu holen, aber das gelang ihm nicht. Er empfand einen quälenden Brechreiz. Dadurch kam ihm zu Bewusstsein, dass er geknebelt war. Er vermochte kaum zu atmen. Nur wenn er langsam und ruhig Luft durch die Nase einzog, ließ der erstickende Brechreiz nach, und er konnte leben. Er versuchte sich zu rühren, aber die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden und die Füße zusammengefesselt. Er war ein Gefangener und befand sich in einer erbärmlich hilflosen Lage. Das Einzige, was er noch zu tun vermochte, war, die Vorgänge um sich herum zu beobachten.

Von fern her erschallte wütendes Geschrei. Das war Kriegsgeschrei! Der Kriegsruf der Dakota gellte von Süden her; wie gut kannte ihn Harka von daheim. »Hi-jip-jip-jip-hi-jaah!« Wie oft hatte der Vater als Kriegshäuptling der Bärenbande diesen Ruf als Erster ausgestoßen. Jetzt waren die, die ihn erhoben, zu Harkas Feinden geworden, und er horchte lieber auf das Rufen und Brüllen der Siksikau, die mit den Dakota auf der Prärie draußen in Kampf geraten sein mussten. Harka war wieder ganz in das Zelt hineingezogen worden. Er sah den Schatten eines schlanken Mannes, und neben ihm sah er das Mädchen, das sich erhoben und angekleidet hatte. Der Mann hatte zu sprechen begonnen: »Uinonah, Tochter der Dakota! Du bist frei und wirst zu uns zurückkehren. Roter Pfeil, der dich liebt, kämpft draußen in der Prärie mit unseren Kriegern zusammen gegen die räudigen Siksikau. Alle Krieger aus den Zelten der Siksikau sind draußen im Kampf. Wir haben diese Stinktiere hier überlistet. Unsere Krieger griffen von Süden an; ich aber kam im Bogen von Norden, um dich zu holen. Du hattest mir recht berichtet. Mattotaupa ist hier, und er hat unsere Krieger aufgespürt und das Dorf gewarnt, so dass wir unvermutet früh auf diese schmutzfüßigen Kojoten stießen: Doch werden wir siegen, und Mattotaupa stirbt durch meine eigene Hand. Hörst du unseren Kriegsruf?«

»Hi-jip-jip-jip-hi-jaah!«, gellte es wieder von der Prärie her, und dawider schallten die Kampfrufe der Siksikau: »Hai-jah-jiep!«

»Komm, Uinonah! Diesen Knaben in Fesseln nehmen wir mit. Er ist ein Kind der Dakota. Er gehört uns. Hau!«

Der Mann kam mit zwei schnellen Schritten zu Harka herbei, wickelte ihn in eine Büffelhautdecke, warf ihn über die Schultern wie eine Jagdbeute und eilte mit dem Mädchen zusammen aus dem Zelt hinaus. Harka konnte nichts mehr sehen, da die Decke auch über seinen Kopf geschlagen war. Während er schwer nach Luft rang, vernahm er noch etwas von dem Kriegsgeschrei, aber es schien, dass Tashunka-witko, der den Knaben erbeutet und das Mädchen befreit hatte, nicht zu dem Kampfgebiet hineilte, sondern in eine andere Richtung, in der er unbeobachtet blieb.

Harka litt allmählich derart an Atemnot, dass er nichts anderes mehr denken, wahrnehmen oder empfinden konnte als: Luft! Luft! Er wusste nicht mehr, wohin er getragen wurde oder wie lange er so fortgetragen wurde, aber da er sich dem Erstickungstod nahe glaubte, schien es ihm unendlich lange.

Als er zu Boden geworfen wurde, fiel er nicht hart. In seiner Qual versuchte er, die Decke, die ihm das Atmen noch mehr erschwerte, von seinem Gesicht wegzustreifen oder sich daraus hinauszuschieben. Er krümmte und streckte sich wie ein Wurm, ohne zu erreichen, was er wollte, und die Anstrengung erschöpfte ihn vollends. Aber da wurde ihm die Lederdecke auch vom Gesicht genommen, und nicht nur vom Gesicht, nein, sie wurde ganz aufgeschlagen, und die kühle Nachtluft strich über seine Haut, die von Angstschweiß nass war. Er machte die Augen auf und versuchte wieder ruhig Luft zu gewinnen, nur ruhig, ganz ruhig, das war die einzige Möglichkeit. Er sah den Sternenhimmel und neben sich die schlanke Gestalt Tashunka-witkos, der ihn weggeschleppt hatte, und er sah auch die Mädchengestalt, alles dunkel, im Nachtschatten zerfließend, denn der Mond schien nicht, und die Sterne flimmerten mit schwachem Licht. Die Geräusche des Kampfes, heisere Schreie waren aus größerer Entfernung noch zu hören. Es fielen aber keine Schüsse: Mattotaupa war wohl ohne seine Feuerwaffen auf Kundschaft gewesen, und nun lagen diese noch im Häuptlingszelt. Die Schwarzfüße mussten die angreifenden Dakota aber ein gutes Stück nach Süden zurückgedrängt haben. Harka dachte an den Vater. Sicher befand er sich bei den kämpfenden Kriegern, und er wusste nicht, wohin sein Sohn unterdessen geschleppt wurde. Harka konnte ihm auch kein Zeichen geben.

Tashunka-witko sagte etwas zu dem Mädchen. Er flüsterte, aber Harka hatte gute Ohren, und bei allem, was jetzt geschah, ging es um sein ganzes Leben. Es ging nicht um seinen Tod, das hatte er schon begriffen, aber um sein ganzes Leben ging es. Er sollte nicht mehr der Sohn Mattotaupas sein; er sollte der jüngere Bruder Tashunka-witkos werden. Das wollte er nicht, und darum lauschte er auf die Worte, die der Dakota zu dem Mädchen sprach, wie auf die Worte eines Todfeindes.

»Diese schmutzfüßigen Hunde drängen die Männer der Dakota zurück. Ich muss meine Krieger unterstützen und kann nicht mehr für dich da sein, Uinonah. Flieh! Du weißt, wohin du zu laufen hast und wo du unsere Zelte findest. Laufe! Lauf!«

Das Mädchen zögerte keinen Augenblick, Tashunka zu gehorchen. Geschwind wie ein Reh floh sie südwärts in die Prärie hinaus. Sie hatte nichts bei sich als das Messer. Die Zelte der Ihren konnten nicht nahe sein. Für das Mädchen war das ein Weg auf Leben und Tod. Aber sie hatte ihn sofort gewählt.

Tashunka-witko bückte sich und nahm Harka den Knebel aus dem Mund. Der Knabe keuchte nach Luft und füllte seine Lunge. Dann schrie er laut auf, und er glaubte, dass Tashunka-witko ihn dafür sofort erstechen oder ihn wieder knebeln würde. Aber der Dakotahäuptling kümmerte sich gar nicht darum, dass der Knabe schrie. Das begriff Harka nicht. Er konnte darüber auch nicht nachdenken. Er musste dem Vater ein Zeichen geben, wo er sich befand. Das war nicht einmal das Wichtigste. Er musste den Vater wissen lassen, wo er Tashunka-witko finden konnte. Darum begann der gefesselte Knabe laut und wütend zu bellen wie ein Hund. Als er eine Pause machte, um Atem zu schöpfen, hörte er, dass Tashunka-witko auflachte und sagte: »Gut!«

Harka war verblüfft. Wenn das, was er tat, dem Feind nützte, handelte er sicher falsch. Was wollte der Dakota damit erreichen, dass er den Knaben schreien und Zeichen geben ließ? Blitzartig wurde Harka das einzig mögliche Motiv klar: Tashunka-witko wollte Mattotaupa und vielleicht noch einige Schwarzfußkrieger aus dem Kampf abziehen und dadurch seinen eigenen Männern Erleichterung verschaffen. Harka verstummte daher, aber es war schon zu spät.

Von Süden her schwirrten bereits die ersten Pfeile gegen den Dakotahäuptling, der aufrecht stehen blieb und mit einem Hohngelächter antwortete, als die gefiederten Geschosse zu kurz gingen und im Grasboden steckenblieben. Aber Harka hörte auch schon schnelle Füße; Schatten tauchten auf, und dann schrillte der Kriegsruf der Dakota, ausgestoßen von einer einzigen kräftigen Stimme: »Hi-jip-jip-jip …«

Das war die Stimme Mattotaupas. In der übermäßigen Erregung des Kampfes hatte er den altgewohnten Kampfruf angestimmt. Aber mitten im Ruf schnürte sich ihm die Kehle zusammen. Er sprang heran, mit Sätzen wie ein Berglöwe, und Tashunka-witko erwartete ihn, das Messer in der Faust. Keiner der beiden dachte mehr daran, Schuss- und Wurfwaffen zu gebrauchen. Harka lag auf dem Rücken am Boden. Aber da das Gelände eben war, konnte er übersehen, was geschah. Tashunka-witko wartete; er hatte die Knie leicht gebeugt. In dem Augenblick, in dem Mattotaupa zum letzten Sprung ansetzte, sprang auch er. Die beiden prallten in der Luft zusammen und stürzten, aber es gelang dabei keinem, den anderen auf den Rücken zu werfen. Sie fielen, von Harka aus gesehen, nach links, so dass Tashunka-witko den rechten, Mattotaupa nur den linken Arm frei behielt. Tashunka wollte mit dem Messer einen tödlichen Stoß führen, aber Mattotaupa fing den Arm seines Gegners ab, und es entwickelte sich ein erbittertes Ringen, dessen Bewegungen zu schnell waren, als dass Harka sie im Dunkeln hätte verfolgen können. Der Junge hatte sich aufgesetzt; daran hinderten ihn die Fesseln nicht. Er spreizte die Knie, krümmte seinen biegsamen Körper zusammen und nagte an seinen Fußfesseln. Wie er dabei feststellte, waren ihm die Füße nur mit einem Gürtel zusammengebunden, und er machte sich daran, mit den Zähnen die Knoten zu lockern.

Der Kampf Tashunka-witkos mit Mattotaupa ging weiter. Die beiden hatten sich voneinander losgerissen und Abstand genommen. Fünf Schwarzfußkrieger waren noch herbeigeeilt, aber Mattotaupa schrie ihnen zu: »Lasst ab! Er ist mein!« Die Siksikau konnten die Worte nicht verstehen, doch die Haltung der beiden Dakota war so, dass sie der Stellung in einem Zweikampf glich, und die Schwarzfüße zögerten einzugreifen. Mattotaupa schleuderte das Wurfbeil, den Tomahawk mit Stahlschneide, aber es gelang Tashunka auszuweichen, und er sprang dabei vor und holte mit der elastischen Keule aus, um Mattotaupas Schädel zu treffen. Mattotaupa ließ sich blitzschnell zur Erde fallen und packte Tashunkas Fuß, um ihn aus dem Stand zu reißen. Das Manöver gelang. Tashunka stürzte, und Mattotaupa saß sofort auf ihm, doch Tashunka zog die Knie an, bäumte sich und schnellte sich weg. Er floh jedoch nicht. Er war schon wieder auf den Füßen und ging mit dem langen spitzen zweischneidigen Dolch auf seinen verhassten Gegner los. Mattotaupa gab sich den Anschein, als ob er fliehe, und Tashunka schleuderte das Messer, um seinen Feind in den Rücken zu treffen. Damit musste Mattotaupa gerechnet haben, denn er machte eben in diesem Augenblick einen Satz zur Seite, so dass das Messer ins Gras flog. Tashunka, der diese Waffe nicht verlieren wollte, sprang danach; dabei kam ihm Mattotaupa in den Rücken und schlang die Arme um ihn, presste ihm Oberarme und Rippen mit seiner gewaltigen Kraft zusammen.

Harka jauchzte auf, denn er erinnerte sich in diesem Augenblick daran, wie der Vater einst einen Bären bezwungen hatte. Jetzt gehörte der Sieg Mattotaupa, dessen war sich der Knabe gewiss. Aber die Schwarzfußkrieger, die herbeigeeilt waren, dachten nicht nur an den Triumph Mattotaupas, sondern daran, dass dieser Zweikampf schon lange währte und schnell beendet werden musste. Im Süden rief die Kriegspfeife des Schwarzfußhäuptlings. So sprangen die fünf herbei. Fast schien es noch in diesem Augenblick, dass Tashunka-witko mit seinem glatt geölten Körper sich der gefährlichen Umarmung Mattotaupas noch einmal entziehen könnte. Er trat Mattotaupa gegen die Knie, ohne ihn aber zu werfen. Da griffen die fünf Siksikau ein. Im Nu war der Kampf abgeschlossen, und Tashunka-witko lag gefesselt am Boden. Soeben war es Harka gelungen, seine Fußfesseln mit den Zähnen zu lösen. Er sprang auf. Die Schwarzfußkrieger folgten dem Ruf ihres Häuptlings und rannten nach Süden. Seitdem diese fünf mit Mattotaupa zusammen von den Ihren weg zu der Stelle gelaufen waren, von der aus Harka gerufen hatte, waren im Süden die Dakota wieder im Vorteil, und alle Schwarzfußkrieger wurden dort dringend gebraucht.

Mattotaupa zerschnitt Harkas Handfesseln und gab ihm Messer und Keule Tashunka-witkos. Dann schien er zu überlegen, ob auch er sofort wieder in den Kampf eilen oder sich um den wertvollen Gefangenen kümmern solle. Er entschloss sich zu dem letzteren, warf den Gefesselten über die Schulter und trug ihn eilends zu den Zelten, von denen man hier nicht weit entfernt war. Er brachte ihn in das Häuptlingszelt und warf ihn dort zu Boden, während die staunende Frau das Feuer ein wenig anfachte, so dass das Zeltinnere erleuchtet wurde.

»Bleib hier und wache!«, sagte Mattotaupa hastig zu Harka. »Ruft euch noch einen alten Mann in dieses Zelt, damit ihr nicht nur Kinder und Frauen seid.« Damit eilte er auch schon wieder hinaus, um weiter mitzukämpfen.

Außer Harka und dem Gefangenen hatte niemand im Zelt die Worte Mattotaupas verstehen können. Die Dolmetscherin fehlte jetzt. So machte Harka sich auf den Weg, um einen der Alten zu holen. Er hatte schon beobachtet, dass im Nachbarzelt ein Greis wohnte. In den Zelten waren alle wach und angekleidet, auch hatte jeder eine Waffe zur Hand, um sich zu verteidigen, wenn Feinde in das Dorf eindringen wollten. Als Harka in das Nachbarzelt eintrat, zeigte sich auf seinen bittenden Wink hin der alte Mann sofort bereit mitzukommen. Harka führte ihn in die Behausung des Häuptlings.

Als der Greis eintrat, überraschte ihn sicher der Anblick des Gefangenen, aber er zuckte mit keiner Miene und ließ sich ohne ein Wort in der Nähe des Zelteingangs nieder. Den Gefesselten beobachtete er unaufdringlich, aber auch unentwegt. Sein Beil lag griffbereit.

Harka überlegte sich, dass auch er zur Abwehr stets bereit sein müsse. Er entschloss sich, die beste seiner Waffen zur Verteidigung bereitzuhalten, das war seine doppelläufige Büchse. Er hatte auch den uneingestandenen Wunsch, dem Gefangenen zu zeigen, dass er, der Knabe, diese bei den Stämmen der westlichen Dakota und den Schwarzfüßen noch seltene Geheimniswaffe besaß.

Der Gefesselte lag nahe der Feuerstelle, so dass er beleuchtet war. Die Frau und das Mädchen saßen im Hintergrund. Der Sohn des Schwarzfußhäuptlings hatte sich neben den Gefangenen gehockt und redete auf ihn ein. Harka konnte die Worte nicht verstehen. Er hatte die Absicht, sich auch zu dem Gefangenen zu setzen, den er nach Anweisung seines Vaters bewachen sollte. Aber als er eben hinzutrat, stand der Schwarzfußknabe auf und stieß den Gefesselten verächtlich mit dem Fuß an. Der Gefangene tat, als bemerke er das gar nicht, und schaute mit gespielter Gleichgültigkeit vor sich hin auf den Boden.

In Harka kämpften widerstreitende Gefühle. Es war für ihn nicht leicht, diesen gefangenen Dakota in Schutz zu nehmen, aber als der Schwarzfußknabe dem Gefesselten einen Fußtritt gab, bäumte sich alles in ihm auf. Er stellte sich vor den Schwarzfußjungen hin, stützte sich auf den Lauf seiner Büchse, musterte den anderen mit einem Blick, der durch seine Entschlossenheit überlegen war, und sagte: »Es ist eine schlechte Sitte, tapfere Männer in Fesseln von Knaben verspotten zu lassen!«

Der andere Junge verstand diese Worte natürlich nicht, aber er merkte, dass Harka ihn irgendwie und aus irgendeinem Grunde zurechtweisen wollte. Das missfiel ihm sehr, denn er war nicht gewohnt, sich von anderen Jungen etwas sagen zu lassen. Er war der Kräftigste und Gewandteste der ganzen Knabenschar im Dorf. Am liebsten hätte er Harka sofort angesprungen, aber eine Rauferei im Zelt und zudem noch in diesem Augenblick entsprach nicht dem, was ein Schwarzfußhäuptling von seinem Sohn zu erwarten pflegte.

Der Junge musste sich daher beherrschen, obgleich es ihm sehr schwerfiel. Langsam ließ er sich wieder nieder. Er setzte sich nicht neben Harka, sondern auf die andere Seite des Gefangenen. Es war still im Zelt, nur die Zweige knisterten im Feuer. Die beiden Jungen saßen unbeweglich da wie Bildsäulen. Sie dachten ebenso viel aneinander, wie sie an den Gefangenen dachten. Die stolzen, völlig abweisenden Züge des Gefesselten ließen ihn auch ohne Adlerfedern und ohne Waffen als einen bedeutenden Mann und Krieger erscheinen.

Der Schwarzfußjunge war innerlich mit sich selbst zerfallen, weil er als Knabe einem mutigen Feind nicht auf die rechte Weise begegnet war. Er sann darüber nach, wie er sich mit Harka, der ihn das hatte fühlen lassen, bei einer anderen Gelegenheit würde messen können, um ihn zu zwingen, ihn wieder anzuerkennen.

Dieser fremde Junge beschäftigte den Sohn des Schwarzfußhäuptlings außerordentlich, obgleich er sich im Augenblick einbildete, dass er ihn nicht leiden mochte. In Wahrheit wäre er gern sein Freund geworden, aber Harka war so fremdartig, und zudem besaß er eine Geheimniswaffe. Alles an ihm war anders als bei anderen Knaben. Es blieb wohl nichts übrig, als ihm zu zeigen, dass man es gar nicht nötig hatte, sich mit ihm abzugeben, und dass ein Schwarzfuß auch nicht ungewandt war.

Harka rührte sich. Er nahm seine Büchse aus der Hülle, lud sie, sicherte sie und legte sie neben sich. Er war tief befriedigt, als er bemerkte, dass der Gefangene heimlich einen Blick auf diese kostbare Waffe warf. Er ließ sich aber keineswegs anmerken, dass er den Blick wahrgenommen hatte.

Draußen war es still geworden. Es ertönten keine Kriegsrufe mehr. Vielleicht waren die Kämpfenden auseinandergekommen, und die Krieger der Siksikau blieben nur noch draußen, um einem weiteren Angriffsversuch sofort entgegentreten zu können. Der Gefangene bewegte auf einmal den Kopf – das war die einzige Bewegung, die er noch machen konnte – er sah Harka an und begann zu sprechen. »Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger!«, sagte er in seiner Sprache, die nur Harka verstand. Dass er alle Namen Harkas kannte, zeigte, wie gut er von Tatanka-yotanka unterrichtet worden war. »Du bist tapfer. Schämst du dich nicht, als Verräter mit den schwarzfüßigen Kojoten zusammen gegen die Krieger deines Stammes zu kämpfen?«

Harka erschrak und konnte nicht verhindern, dass er blass wurde. Die anwesenden Siksikau verstanden nicht, was der Gefesselte sagte, aber gerade, dass er in einer ihnen unbekannten Sprache zu Harka sprach, musste sie misstrauisch machen, ganz besonders, nachdem das Dakotamädchen Verrat geübt hatte. Harka konnte nicht übersetzen, was Tashunka-witko gesagt hatte, hätte es auch nicht übersetzen mögen. Er wollte dem Gefangenen auch nicht antworten, denn auch diese Antwort hätten die Siksikau nicht verstanden und sich nur unnütze Gedanken gemacht.

Daher stand Harka auf, warf dem Gefesselten einen abweisenden Blick zu und setzte sich mit seiner geladenen Büchse an den Zelteingang zu dem alten Mann. Schweigend warteten dann alle weiter. Die stille und ermüdende Wache dauerte bis zum Morgengrauen.

Als die Sonne endlich aufgegangen war, kamen die ersten Krieger zurück, bald folgten weitere. Harka hörte das Laufen und Sprechen draußen.

Der Häuptling trat mit Mattotaupa in sein Zelt ein. Jeder der beiden Männer hatte zwei erbeutete Skalpe bei sich, langes schwarzes Haar mit dem kleinen Hautstück vom Wirbel. Sie übergaben dieses Siegeszeichen beide der Frau. Die Skalpe mussten präpariert und die Geister der Gefallenen durch den Skalptanz der Frauen beschworen und versöhnt werden. Der Häuptling und Mattotaupa selbst waren mit ihrer von Staub, Schweiß und Blut verklebten Haut, der beschmutzten und zum Teil zerrissenen Kleidung, dem wirren Haar, den eingefallenen Wangen und tief in den Höhlen liegenden Augen noch ein Bild des harten Kampfes, der sich abgespielt hatte. Wahrscheinlich weilten ihre Gedanken nicht bei dem Ruhm, den ihnen die Abwehr der Angreifer und die erbeuteten Skalpe bringen mussten, sondern es war ihnen zuerst nach einem Bad im Bach und nach Schlaf zumute. Sie fragten auch beide weiter nichts, und der Häuptling gab keine neuen Anordnungen, nachdem er mit einem Blick das Zeltinnere überschaut hatte. Er verlangte nur ein Töpfchen Fett, und als er es von seiner Tochter erhalten hatte, ging er mit Mattotaupa zusammen wieder hinaus.

Der Gefangene ließ sich nicht anmerken, was er etwa dachte. Harka auch nicht. Aber es freute ihn, dass sein Vater im Kampf nicht hinter dem Schwarzfußhäuptling zurückgestanden hatte.

Als Mattotaupa gebadet hatte, rief er Harka aus dem Häuptlingszelt und ging mit ihm in das leere Zelt am Südende des Lagers. Der Häuptling schickte eine Schwarzfußfrau, die die beiden im Zelt versorgen und bedienen sollte. Da diese kein Wort der Dakotasprache verstehen konnte, sprachen Mattotaupa und sein Junge ungestört miteinander. Sie setzten sich zusammen an das Feuer, und Harka berichtete, wie seine gewaltsame Entführung vor sich gegangen war. Der Vater beschrieb ihm anschließend den Verlauf des gesamten Kampfes sehr genau, damit der Knabe daraus lernen konnte. Er schloss: »Es sind also vier Dakota gefallen, aber nur ein Schwarzfußkrieger; drei Schwarzfüße allerdings sind in die Hände der Dakota geraten. Vielleicht können wir diese gegen Tashunka-witko zurücktauschen. Die Dakota werden versuchen, ihren jungen Häuptling zu befreien, und wenn er ohne Kampf seiner Fesseln ledig wird, sind sie zufrieden, denke ich.«

»Wer soll ihnen das sagen, Vater?«

»Niemand. Sie schicken von selbst Unterhändler.«

»Bis dahin soll Tashunka-witko am Leben bleiben?«

»Häuptling Brennendes Wasser und der Geheimnismann sind sich darüber einig.«

»Aber die Dakota wissen gar nicht, dass Tashunka-witko noch lebt und sich in Fesseln bei uns befindet.«

»Sie wissen es. Ich habe es ihnen im Kampf zugerufen.«

Mattotaupa und Harka aßen getrocknetes Büffelfleisch, das die Schwarzfußfrau mitgebracht hatte.

»Wir müssen bald selbst auf die Jagd gehen, Vater, und nicht nur als Bettler hier leben«, meinte Harka.

»Hau. Es gibt viel Wild. Wir werden bald Pfeil und Bogen gebrauchen.«

An diesem Morgen schämten sich weder Mattotaupa noch Harka, sich hinzulegen und Schlaf nachzuholen. Als Harka unter die Decken schlüpfte, dachte er daran, was alles geschehen war, seit er sein Lager in der Nacht verlassen hatte. Jetzt war es Tag, es war Ruhe, und er konnte schlafen, ohne zu träumen.

Als er nach vielen Stunden wieder wach wurde, war eine Zeltplane aufgeschlagen, so dass die Nachmittagssonne hereinschien. Der Vater saß beim Zelt und schnitzte neue Pfeilschäfte. Harka konnte ihn sehen. Der Junge blieb noch auf seinem Lager und schaute der Arbeit zu. Er beobachtete auch, wie der Schwarzfußhäuptling zu Mattotaupa kam und ihn zu sich ins Zelt bat. Gab es schon wieder irgendeine Neuigkeit? Mattotaupa blieb nicht lange fort. Als er wiederkam, merkte Harka ihm an, dass er etwas Ärgerliches erlebt hatte, wenn er dies auch zu verbergen suchte. Er nahm seine Arbeit wieder auf, und Harka, der inzwischen aufgestanden war, half ihm stillschweigend.

Endlich berichtete Mattotaupa von selbst: »Tashunka-witko weigert sich nicht nur zu essen, er will auch nicht trinken. Wir können ihn nicht dazu zwingen. Wenn er sterben will, wird er sterben.«

»Du hast mit ihm gesprochen?«

»Hau. Der Geheimnismann bat mich darum. Ich habe Tashunka gesagt, dass es möglich ist, ihn einzutauschen. Aber darauf antwortete er mir nur mit Hohn und Spott. Er will sterben. Nun gut, er stirbt.«

»Wann?«

»Wenn er hartnäckig bleibt, beginnt sein Sterben heute am Abend. Häuptling Brennendes Wasser will nicht warten, bis der Gefangene verdurstet ist. Die Siksikau werden ihn an den Pfahl bringen.«

Harka arbeitete an einem Jagdpfeil weiter und fragte: »Wie aber befreien wir dann die gefangenen Schwarzfüße?«

»Das wissen wir noch nicht. Tashunka will es uns mit seinem Trotz unmöglich machen, sie zu befreien. Tashunka und seine Krieger sind dieses Mädchens wegen gekommen, das eine Tochter ihrer Zelte ist und die Frau eines Unterhäuptlings werden soll. Sie war schon einen Sommer und einen Winter hier, hat aber alle Schwarzfußkrieger, die um sie warben, verschmäht. Tashunka hatte Geschenke angeboten, um sie zurückzuholen, aber die Schwarzfüße waren stolz und lehnten die Geschenke ab. Da ist Tashunka mit seinen Kriegern gekommen, um uns zu überfallen. Das sagte mir der Geheimnismann jetzt.«

Es war später Nachmittag. Die Sonne sank; es wurde gleich sehr kühl. Mattotaupa und Harka gingen wieder in das Zelt hinein an die Feuerstelle. Die Frau schlug die Zeltplane herunter. Mattotaupa rauchte eine Pfeife. Harka brütete stumm vor sich hin.

Draußen begannen die Vorbereitungen für den Tod des Gefangenen. Es wurden große Feuer angezündet. Das Holz dafür herbeizuschaffen machte vielen Frauen viel Arbeit, und es brannte schlecht, weil es frisch war, und entwickelte viel Qualm. Ein Pfahl wurde eingerammt. Das Töten eines Gefangenen hing bei den Indianern noch mit den uralten grausamen Kultsitten des Menschenopfers zusammen.

Harka folgte dem Vater, der vor das Zelt hinausging. Alles war schon auf den Beinen, und es wäre aufgefallen, wenn Mattotaupa und Harka sich nicht gezeigt hätten. Am Ende des Platzes, in dessen Mitte der Pfahl aufgestellt war, tanzten einige Frauen den Skalptanz.

»Wem wird der Skalp Tashunka-witkos gehören?«, fragte Harka den Vater, während sich die beiden unter die anderen Dorfbewohner mischten.

»Mir oder keinem«, antwortete der Vater missmutig. »Ich aber will ihn nicht haben, da diese fünf Schwarzfüße sich zu früh einmischten und mir nicht erlaubten, Tashunka allein zu besiegen.«

Die Sonne sank zum Horizont. Das schimmernde Licht des scheidenden Tages wurde vom Flammenschein verdrängt, so dass die Dämmerung schon düsterer erschien, als sie war. Die Äste waren in der Hitze getrocknet und knackten und knisterten.

»Sind genug Wachen aufgestellt?«, fragte Harka den Vater.

»Glaubst du, Häuptling Brennendes Wasser sei ein kleines Kind?«

Die Männer und Burschen drängten sich auf dem feuerbeleuchteten Platz zusammen. Der Gefangene wurde aus dem Häuptlingszelt herausgeschafft. Ein Krieger löste die Lassos, die den ganzen Körper umwickelt hielten. Tashunka wurde an den Pfahl gestellt. Die Arme wurden ihm rechts und links um den Pfahl gezogen und die Hände dahinter zusammengebunden. Die Füße blieben frei. Er ließ alles mit sich geschehen, ohne irgendwelchen Widerstand zu leisten. Aber als er jetzt vor dem Pfahl stand, mit gebückten Schultern, da ihm die Arme nach hinten gezogen waren, traf sein Blick Mattotaupa, und er rief diesen laut an: »Sage doch deinen schmutzfüßigen Brüdern, du Verräter, wie ein Mann der Dakota zu sterben pflegt! Was bindet ihr mir die Hände zusammen? Glauben diese Kojoten, ich werde mich rühren, wenn sie mir das Fleisch verbrennen? Ich fürchte eure Messer und eure Feuer nicht. Aber in allen Zelten, wo tapfere Männer wohnen, soll erzählt werden, dass ich mein Totenlied nicht anstimmen konnte, weil ich gefesselt war, wie man einen Mustang fesselt, aber nicht einen Mann!«

Mattotaupa sah sich nach dem Geheimnismann um. Dieser stand dicht hinter ihm und übersetzte jetzt mit ebenso lauter Stimme, was der Gefangene gesagt hatte. Nur das Wort »Verräter« übersetzte er nicht.

Ein alter Krieger antwortete zornig: »Der winselnde Hund! Kann er nicht einmal die Fesseln ertragen, die wir ihm locker genug angelegt haben? Sollen wir uns schämen müssen, einen Feigling zu töten, der schon wimmert, ehe ihn nur ein Span brennt, wie unsere Knaben ihn sich auf die Haut legen?«

»Habt ihr Angst, mir meine Fesseln abzunehmen, ihr kleinen Präriehunde?«, rief Tashunka dagegen. »Habt ihr Angst vor einem einzigen unbewaffneten Mann? Ihr seid euer vierzig, und ihr habt wohl Furcht, dass ich euch mit bloßen Fäusten erschlage?« Er lachte auf. »Ich sehe wohl, dass ich mich unter zitternden Präriehühnern befinde, vor denen ich mein Totenlied nicht singen mag!«

Häuptling Brennendes Wasser besprach sich mit dem Geheimnismann und gab dann zwei jungen Kriegern einen Wink. »Macht ihm die Hände los. Er war ein Häuptling. Wir werden sehen, was er freiwillig zu ertragen vermag. Bleibt rechts und links des Pfahles stehen und achtet scharf auf ihn.«

Tashunka-witko, von den Fesseln befreit, reckte Schultern und Haupt. Hochaufgerichtet stand er da. »Fangt an!«, rief er. »Fangt an! Ich werde sehen, was ihr einem Mann zu ertragen geben wollt. Ich spotte eurer Messer und eures Feuers! Wisst ihr, wer ich bin? Als ich ein Kind war, bändigte ich schon die tollen Pferde! Als ich ein Knabe war, ließ ich mir das Feuer bis auf die Knochen brennen – seht her! Seht meine Narben! Als ich ein Mann wurde, tötete ich Feinde. An der Stange vor meinem Zelt wehen auch Haare der Schwarzfüße im Wind. Nun kommt doch her, nun werft doch eure Messer und Beile, wenn ihr je zielen gelernt habt! Was steht ihr da wie gaffende Weiber!«

Die Feuer beleuchteten den Gefangenen. Die Hitze musste ihm lästig sein; seine Augen begannen wild zu glänzen. Die ersten Messer flogen. Sie blieben wohlgezielt im Pfahl stecken, haarscharf neben Kopf und Schultern des Gefangenen.

»Ist das alles, ihr Knaben? Versteckt euch doch hinter euren Müttern! Habt ihr nicht mehr gelernt? Wahrhaftig, es ist euch gelungen, einen Mann zu fangen. Einen einzigen Mann! Bei unseren Zelten aber liegen drei Schwarzfüße in Fesseln. Wollt ihr euch nicht rächen, ihr Schwächlinge, an einem Häuptling, der stark ist? Rühmt ihr euch, dass sechs von euch einen Einzigen zu fesseln vermochten? Ja, das sind eure Siege! Die Krieger der Dakota werden euch verspotten!«

Häuptling Brennendes Wasser trat vor. »Schweig, du Natter! Unsere Zelte wolltet ihr überfallen, hinterlistig, ohne dass das Kriegsbeil ausgegraben war! Ist das die Art von Kriegern? Wie eine Schlange bist du umhergekrochen, um ein Mädchen und einen Knaben zu stehlen. Kinder würgst du, das ist deine kriegerische Tat! Dein Anblick beleidigt jeden mutigen Mann.«

Der Geheimnismann übersetzte diese Anklage für den Gefangenen. Die Feuer wurden näher an den Pfahl geschoben. Es schien, dass die Siksikau den Tod des Gefangenen nicht lange hinziehen wollten. Die Situation, die Möglichkeit, dass er von seinen Kriegern noch Hilfe erhielt, schien zu gefährlich.

Der Gefangene begriff, dass er bald verbrennen musste.

»Hunde! Kojoten! Schmutzfüßige Stinktiere! Lasst mich euch doch zeigen, wie ein Mann unter Qualen zu sterben versteht! Was sollen eure brennenden Zweiglein! Euer Feuer für Knäblein!«

»Was willst du uns belehren, du kreischendes Weib!«, schrie der Zaubermann dagegen. »Was weißt du schon! Was kannst du denn!«

»Ehe ich sterbe, du Zwergeule, will ich dich noch etwas lehren, damit du künftig mit Kriegern besser umzugehen verstehst!«

Der Gefangene hatte nur noch mit Unterbrechungen gesprochen, da der Qualm ihm in Mund und Nase drang und das Atmen schwer machte.

»Dort – der kleine Bursche – mag mir sein langes Rohr geben – heiß machen müsst ihr es – und mir geben, dann werde ich euch an mir selbst zeigen, wie man den Mut eines Kriegers erprobt!«

Harka hatte seine Büchse bei sich, aber er verspürte nicht die geringste Lust, den Lauf im Feuer zu erhitzen und dadurch vielleicht das Rohr zu verderben und den Schuss unsicher zu machen. Er hoffte, der Zaubermann werde das Verlangen gar nicht bekanntgeben, aber dieser tat es offenbar doch, denn er rief dem Häuptling und den Kriegern etwas zu. Die Männer waren wohl selbst unzufrieden, dass sie den berühmtesten Gefangenen, der je in ihre Hände geraten war, so rasch sterben lassen sollten. Die beiden jungen Krieger, die rechts und links postiert waren, rissen ohne besondere Weisung die Brände etwas auseinander, so dass Tashunka-witko noch einmal Luft bekam. Seine Schultern zeigten schon Brandwunden. »Gib her!«, rief er Harka jetzt zu, »gib her, du Bursche! Willst du einem Häuptling den letzten Ruhm verweigern, den er vor seinem Tod verlangt? Du Knabe, du!«

Alle schauten auf Harka. Da packte diesen ein unbestimmter Zorn, denn er hatte schon einmal in seinem Leben ein solches Geheimniseisen opfern müssen, ohne es selbst zu wollen. Das war im vergangenen Frühjahr gewesen. Sein Zorn war ziel- und richtungslos, oder vielleicht richtete er sich auch gegen alle, gegen diesen Gefangenen, der es gerade auf ihn und seine Büchse abgesehen hatte, auch gegen den Vater, der nicht dagegen einschritt, gegen diese Siksikau, die das Verlangen ihres Gefangenen erfüllen wollten, weil sie sich ein sonderbares Vergnügen davon versprachen, und die das auf Kosten Harkas zu tun gedachten. Dumm waren sie und wussten nicht, wie man eine Büchse behandeln musste. In seinem ausweglosen Zorn dachte Harka alle zugleich zu bestrafen, gerade dadurch, dass er den allgemeinen Wunsch erfüllte. Sollten sie nur erleben, was daraus wurde, wenn eine Waffe in die Reichweite eines solchen Gefangenen geriet!

Harka sprang zwischen die Feuer. Es wurde ihm brennend heiß, so dass er sich wunderte, wie Tashunka-witko das so lange aushielt, ohne den Verstand zu verlieren. Der Junge hielt den Lauf kurz in die Flammen, dann hielt er ihn dem Gefangenen hin.

Tashunka-witko packte das heiße Eisen, an dem seine Haut kleben bleiben musste. Er schwang den Kolben hoch, sprang mit einem mächtigen Satz durch das Feuer hindurch und schlug den jungen Krieger nieder, der ihm dort im Wege stand.

Nach eine Sekunde der vollständigen Verblüffung brüllten die Umstehenden auf. Alles rannte nach der Seite, nach der Tashunka-witko entflohen war. Harka rannte mit, aber er empfand, das war nicht zu leugnen, eine gewisse Genugtuung über den Schaden, den der Gefangene mit der Büchse anrichtete.

Der Flüchtling war schon bei den Pferden. Die ersten Verfolger kamen zur Herde, als er sich bereits aufschwang. Den einen Pferdewächter hatte er ebenfalls mit dem Kolben niedergeschlagen, dessen Messer an sich gerissen. Jetzt brauste er in die Nacht hinein, auf dem Mustang des Häuptlings, dem hier kein zweites Pferd gleichkam. Ob er ihn bewusst oder zufällig gewählt hatte, konnte niemand wissen. Mit einem schrillen Hohngeschrei schwang der Entfliehende im Reiten die Büchse hoch über seinem Haupt.

Die Krieger sprangen auf die Tiere, und es begann eine wilde, halsbrecherische Jagd in die Finsternis. Die Verfolger spannten die Bogen und legten die Pfeile ein, aber Tashunka-witko hing sich an die Seite seines galoppierenden Pferdes, und wenn die Krieger nicht das Pferd erschießen wollten, konnten sie den Reiter nicht treffen. Er glitt schließlich unter den Bauch des Tieres, so dass er durch den Tierleib ganz gedeckt war. Der Fuß, mit dem er in der Haarschlinge am Rist des Mustangs hing, war in der Dunkelheit und bei der schnellen Bewegung über Wiesentäler und -hügel kaum wahrzunehmen.

Häuptling Brennendes Wasser war außer sich vor Zorn. Er versandte den Pfeil und schoss nach seinem eigenen herrlichen Tier. Es stürzte, und gleich darauf waren die Männer schon zur Stelle. Aber Tashunka-witko war verschwunden.

Die Verfolger zerstreuten sich, um in der Nacht zu suchen. Dahin und dorthin ritten sie, einige sprangen ab und suchten zu Fuß. Der Flüchtling war wie vom Erdboden verschluckt.

Die innere Unruhe der Dorfbewohner wurde nach außen hin nur in zweckentsprechendem Verhalten merkbar. Alle blieben wach. Die Alten und diejenigen Burschen, die sich nicht an der Suche nach dem Flüchtling beteiligten, hatten die Waffen zur Hand und spähten aus. Von den Frauen und Kindern gingen nur einige in die Zelte zurück. Viele blieben auf dem Dorfplatz, wo die großen Feuer langsam niederbrannten und der Opferpfahl zwischen rotem Flammenlicht und wachsenden Schatten fast lebendig wirkte.

Harka gesellte sich zu denen, die auf dem Dorfplatz umherstanden. In die einsame Behausung am Ende des Lagers zu gehen und dort allein zu sein, gelüstete ihn nicht. Wenn er daran dachte, glaubte er den Griff an der Gurgel wieder zu spüren. Auch der Junge aus dem Häuptlingszelt stand noch bei den Frauen, hielt aber sorgfältig Abstand von Harka.

Die Feuer erloschen. Der Wind der ausgehenden Nacht spielte mit der Asche. Die Burschen zogen den Pfahl heraus und brachten ihn wieder zum Zauberzelt.

Als der Morgen zu grauen begann, kehrten die Reiter, die nach dem Entflohenen gesucht hatten, ohne Erfolg, daher grimmig gelaunt zurück. Die beiden jungen Krieger, die der Flüchtling niedergeschlagen hatte, befanden sich in der Pflege des Zauberers.

Harka beobachtete, wie der Häuptling den Geheimnismann, dazu Krumm gehenden Wolf und Kluge Schlange in sein Zelt rief. Er bat auch Mattotaupa zu der Beratung. Mattotaupa hatte sich im Kampf gleich dem Häuptling ausgezeichnet und zwei Feinde getötet. Er hatte sich im Zweikampf als ebenbürtiger Gegner Tashunka-witkos erwiesen. Daher schien es den Siksikau wohl ratsam, auch seine Erfahrungen zu berücksichtigen und seine Meinung zu hören. Harka war stolz auf seinen Vater.

Während die Männer berieten, trafen sich die Knaben an der Badestelle. Harka spürte, dass auch sie alle von den Ereignissen dieser Nacht sprachen. Aber er konnte nicht verstehen, was gesagt wurde, und beschloss im Stillen, die Sprache der Siksikau jetzt so rasch wie möglich zu erlernen. Er hätte gern den Häuptlingssohn gebeten, ihm dabei zu helfen, denn er mochte diesen Jungen leiden. Er war gerade gewachsen, gerade wie ein Speer, und hatte aufrichtige Augen. Doch zeigte sich der Schwarzfußjunge weiterhin abweisend, und so blieb auch Harka für sich und unzugänglich.

Der Beratung im Häuptlingszelt verlief kurz und hatte zum Ergebnis, dass sich Brennendes Wasser und Mattotaupa in Begleitung von Kluge Schlange zu Fuß aufmachten, um alle Spuren bei Tageslicht genau zu prüfen. Sowohl der Schwarzfußhäuptling als auch Mattotaupa riefen ihre Söhne herbei, die noch beim Bach gestanden hatten. Solange die Krieger in der näheren Umgebung des Zeltlagers suchten, sollten die Jungen an der Fährtensuche teilnehmen, um zu lernen.

Nach stundenlangen mühseligen Untersuchungen kam zutage, dass Tashunka-witko, der zuletzt unter dem Bauch des Mustangs gehangen hatte, sich schon hatte ins Gras fallen lassen, ehe Brennendes Wasser das Pferd erschoss. Aus einem Eindruck im Sand zwischen zwei Grasbüscheln ließ sich das schließen. Tashunka war dann, wie Mattotaupa vermutete, nicht in dieser Richtung weitergeflohen, sondern ins Dorf zurückgeschlichen, wo ihn keiner vermutete. Von hier aus war er nach Süden, also direkt zu seinen Kriegern gelaufen. Kurz hinter den Zelten wurde die Fährte seines schnellen Laufs deutlich. Wie er durch die Kette der Posten hindurchgekommen war, blieb noch unklar, aber der Schwarzfußhäuptling und Mattotaupa, die geübte Krieger waren, hätten auch sich selbst ein solches Stückchen zugetraut. Die Wachen waren in weiten Abständen postiert.

Als die Vorgänge so weit geklärt schienen, gaben sich die Männer nicht lange mit »wenn« und »hätten wir« ab, sondern schlugen stillschweigend den Rückweg zu den Zelten ein. Sie wollten beraten, was nun zu geschehen habe.

Harka sah nach dem Ergebnis der Fährtensuche seine Büchse als endgültig verloren an, und er sah überdies einen langweiligen Tag für sich selbst voraus. Der Vater würde wieder nicht dazu kommen, auf die Jagd zu gehen! Um seine Stimmung, die unter den Gefrierpunkt sank, ein wenig aufzuwärmen, fragte Harka den Vater auf dem Rückweg, ob er allein Antilopen jagen dürfe. Damit war Mattotaupa jedoch nicht einverstanden; er hielt es für möglich, dass sich Tashunka-witko oder andere Dakota noch in der Gegend umhertrieben. Harka war enttäuscht, widersprach aber nicht.

Mattotaupa hatte seine ablehnende Meinung eben geäußert, als der Schwarzfußhäuptling, der noch einmal in der Runde umherblickte, auffuhr. Mattotaupas Blick folgte dem wegweisenden Arm des Häuptlings. Alle blieben stehen und schauten in die gewiesene Richtung. In großer Entfernung war auf einer Bodenwelle so etwas wie ein Stab oder Stock aufgerichtet.

»Vorhin war noch nichts auf jenem Hügel zu sehen«, stellte Mattotaupa fest.

»Soeben ist das auf dem Hügel erschienen«, erklärte der Schwarzfußhäuptling. Da irgendeine Gefahr im Verzug schien, sollten die beiden Jungen sich sofort weiter auf den Rückweg zu den Zelten machen. Aber ehe sie den ersten Schritt taten, ging auf dem Hügel schon wieder etwas Neues vor. Die Gestalt eines Mannes erschien neben dem aufgepflanzten Stab. Dieser Mann winkte mit einem Leder oder Fell. Alle strengten die Augen an, um zu erkennen, was dies für ein Leder oder Fell sei.

»Ein weißes Wolfsfell!«, flüsterte Harka seinem Vater zu. Er hatte die schärfsten Augen von allen, obgleich er noch ein Knabe war.

»Frieden?« sagte Mattotaupa fragend zu Kluge Schlange.

Die beiden Siksikau schienen zu überlegen. Der Mann auf dem Hügel war stehen geblieben und winkte weiter.

Eine solche Geste als Hinterlist zu gebrauchen, war nicht indianische Sitte, auch nicht im Krieg. Brennendes Wasser, Mattotaupa und Kluge Schlange verständigten sich darüber, dass sie zu dritt offen zu jenem Hügel hingehen wollten. Vielleicht war der Mann dort ein Dakota, der irgendein Angebot zu machen hatte.

Die Knaben wurden nun doch zu den Zelten zurückgeschickt. Da sie auf diese Weise allein miteinander waren, liefen sie stumm nebeneinander her, und fast zur selben Zeit setzten sie sich in Trab. Der schnelle Lauf machte ihnen Spaß, vielleicht konnten sie schneller und noch schneller laufen. Allmählich wurde der Dauerlauf zu einem Wettlauf, und schließlich strengte jeder alle Kräfte an, um Erster bei den Zelten zu sein. Es gelang keinem, den anderen zu überholen. Sie kamen miteinander an. Damit waren sie im Grunde beide zufrieden, aber sie scheuten sich noch, das einander zu zeigen.

Da es hell war und nicht mehr die Gefahr bestand, dass sich ein Feind unbemerkt ins Lager einschleichen könnte, begab sich Harka in das Zelt am Südende, das der Häuptling Mattotaupa zur Verfügung gestellt hatte. Ein weibliches Geschöpf, das Harka hätte bedienen können, war nicht mehr da. Er machte sich selbst Feuer und briet sich ein nicht zu kleines Stück Fleisch, Frühstück und Hauptmahlzeit in einem. Als er sich gestärkt hatte, zog es ihn zu der Munition, die zu der verlorenen Büchse gehörte. Zwar konnte er nichts mehr damit anfangen, aber der Gedanke, dass Tashunka-witko vorläufig nicht mehr als zwei Schuss abgeben konnte, beruhigte ihn.

Die Munition befand sich nicht an der gehörigen Stelle, an der Harka sie verstaut hatte, und er begann zu suchen. Nach und nach stülpte er alles um, was sich im Zelt befand, aber die Munition war nicht aufzufinden. Ein dunkler Verdacht stieg in Harka auf. Er schlug endlich sogar die Lederdecken hoch, mit denen der Zeltboden belegt war, und auf einmal blieb er wie erstarrt stehen. An der Stelle; an der die Munition gelegen hatte, erblickte er, unter der Decke in den Erdboden eingeritzt, das Zeichen Tashunka-witkos: ein sich bäumendes Pferd.

Dem Jungen war klar, was vorgegangen sein musste. Tashunka hatte sich, wie aus den Spuren hervorgegangen war, ins Dorf zurückgeschlichen und hatte dieses nach Süden hin wieder verlassen. Einige Zeit hatte er sich, wie nun feststand, in dem leeren Zelt Mattotaupas versteckt gehalten und die Zeit benutzt, um sich die Munition herauszusuchen.

In Harka mischten sich Zorn und Bewunderung. Er blieb im Zelt sitzen, um über diese Angelegenheit allein weiter nachzudenken: Er hatte keine Lust, mit einem anderen als dem Vater darüber zu sprechen; der Vater aber war noch mit dem Häuptling der Siksikau unterwegs.

Während der Knabe allein im Zelt saß, waren Brennendes Wasser, Mattotaupa und Kluge Schlange näher an den Hügel herangekommen, auf dem die Stange aufgepflanzt war und ein Mann mit dem weißen Wolfsfell gewinkt hatte. Sie erkannten jetzt diesen Mann, der bei der aufgepflanzten Stange stand und das weiße Wolfsfell als Parlamentärflagge in die Höhe hielt.

Es war Tashunka-witko. Zwei weitere Krieger, die auf der für den Schwarzfußhäuptling und seine Begleiter nicht sichtbaren Seite des Hügels heraufgekommen sein mussten, traten noch zu dem Dakota.

Langsam gingen Brennendes Wasser, Mattotaupa und Kluge Schlange zu dieser Dreiergruppe ihrer Gegner hinauf, und als sie den Kamm des Hügels erreicht hatten, blieben sie den anderen gegenüber stehen. Die Männer maßen sich stumm, ohne Zorn, ohne Lächeln, ohne Spott in den Mienen, mit einer Beherrschtheit, wie sie ihnen die Achtung vor sich selbst und im Grunde auch die Achtung vor einem tapferen Feind gebot. Die Dakota vermieden es dabei, Mattotaupa anzusehen. An ihm schauten sie vorbei, als ob er nicht da sei.

Da Tashunka-witko das Zeichen zu dieser eigenartigen Zusammenkunft gegeben hatte, war es an ihm, zuerst das Wort zu ergreifen. Es zeigte sich, dass der eine seiner Krieger auch in der Schwarzfußsprache bewandert war, so dass die Verständigung rasch vor sich ging.

»Die Krieger der Siksikau«, sagte Tashunka-witko, »hatten mich zu ihrem Gefangenen gemacht, aber sie sind mir dann so begegnet, wie es sich unter tapferen Kriegern ziemt. Die Männer der Siksikau wissen jetzt auch, dass ein Häuptling der Dakota nicht um sein Leben wimmert. Ich habe die Tochter der Dakota wieder in unsere Zelte geholt, und da mir Brennendes Wasser die Geheimniswaffe geben ließ, bin auch ich selbst wieder frei geworden. Ich konnte zu meinem Stamm heimkehren, und ich bin bereit, dem Stamme der Siksikau jene drei Krieger zurückzugeben, die unsere Gefangenen wurden. Sie waren keine Feiglinge; sie hatten sich zu weit vorgewagt und waren schwer verletzt, als wir sie ergriffen. Einer von ihnen ist schon gestorben. Wir werden euch zwei Krieger als Lebende, einen Krieger aber als Toten zurückgeben, wenn ihr jetzt so besonnen seid, wie auch wir es sind. Seid ihr bereit, die Friedenspfeife mit uns zu rauchen? Für Männer, die einander als tapfer kennengelernt haben, ist es keine Schande, das Kriegsbeil aus der Hand zu legen und es zu begraben! Ich habe gesprochen, hau.«

Nach diesen Worten trat ein Schweigen ernster Überlegung ein.

Brennendes Wasser gab dann zur Antwort: »Tashunka-witko! Wo befinden sich unsere drei Krieger, von denen du sprichst?«

»Du hast sie bereits gesehen, und ich erlaube dir, mit ihnen zu sprechen.«

Was der Dakota sagte, entsprach der Wahrheit. Ein Toter und zwei Gefesselte lagen unten am Hügelhang. Brennendes Wasser ging allein mit Tashunka-witko zu ihnen hinunter, während die Begleiter der Häuptlinge oben auf dem Hügel warteten. Sie schauten jetzt alle aufmerksam hinab. Die beiden noch Lebenden schienen sehr schwer verletzt zu sein, und wenn sie gerettet werden sollten, durfte keine Zeit verloren werden. Ihre Wunden waren notdürftig verbunden.

Nachdem der Schwarzfußhäuptling kurz mit ihnen gesprochen hatte, kamen er und Tashunka-witko wieder herauf.

»Und die Geheimniswaffe?«, fragte Brennendes Wasser.

Jetzt lächelte der Dakotahäuptling. »Nein«, erwiderte er. »Die Geheimniswaffe nicht. Die behalte ich.«

Jeder der Begleiter von Brennendem Wasser rechnete bei sich im Stillen: Vier Dakota waren gefallen, zwei von ihnen hatte der Schwarzfußhäuptling, zwei hatte Mattotaupa besiegt. Ein Schwarzfußkrieger war im Kampf getötet worden, einer war in Gefangenschaft gestorben. Wenn die Siksikau jetzt die beiden noch lebenden Gefangenen zurückerhielten, hatten sie sie nur mit der doppelläufigen Büchse ihres Gastes Harka bezahlt, und sie konnten darauf hinweisen, dass ihre Verluste an Kriegern halb so groß waren wie die der Dakota.

Brennendes Wasser wechselte einen Blick des Einverständnisses mit Kluge Schlange und entschied dann: »Deine Worte waren die eines aufrichtigen Mannes, Tashunka-witko! Ich werde der Ratsversammlung mitteilen, dass wir das Kriegsbeil begraben und die Friedenspfeife mit euch rauchen wollen.«

»Dazu bin ich bereit, wie ich dir gesagt habe«, erwiderte der Dakotahäuptling. »Aber damit alles klar und deutlich zwischen uns besprochen sei und ohne Hinterhalt, so will ich dir mitteilen, dass wir mit den Kriegern der Schwarzfüße Frieden schließen, nicht aber mit Verrätern, die aus den Zelten der Dakota ausgeschlossen sind. Jeder Siksikau wird unsere Zelte und unsere Wälder und Prärien betreten können, wann immer er es in friedlicher Absicht tut und nicht unser Wild schießt. Mattotaupa aber, der Verräter, stirbt, sobald wir ihn in unseren Jagdgründen finden!«

Mattotaupa hörte diese Reden mit an. Als das Wort »Verräter« fiel, wurde sein Antlitz grau wie Asche, und nur seine Augen glühten.

Brennendes Wasser runzelte die Stirn und zog die Mundwinkel herab. »Du sprichst von einem Gast unserer Zelte«, sagte er herb und zurückweisend. »Vergiss das nicht! Du sprichst von einem kühnen Krieger, der mit seinem Sohn bei uns bleiben wird. Was eure Zaubermänner und Häuptlinge immer beschlossen haben, eure Beschlüsse gelten nur bei euren Zelten, in euren Wäldern und in euren Prärien. Solange Mattotaupa und sein Sohn Harka Wolfstöter aber bei uns weilen, wird jede Hand, die sich gegen sie erhebt, auch von uns abgeschlagen werden, und jedes schmähende Wort gegen unseren Gast werden wir als eine Schmähung gegen uns betrachten, die wir zu rächen entschlossen sind. Ich habe gesprochen!«

»So sei es denn, wie du sagst!«, gestand Tashunka-witko zu.

Die Häuptlinge ließen sich nieder, um zu einer ersten Bekräftigung ihrer Worte ihre kurzen Pfeifen zu rauchen. Mattotaupa und Kluge Schlange brachten die beiden Schwerverletzten und den Toten herbei. Sie nahmen denjenigen Schwarzfußkrieger, dessen Leben am meisten gefährdet schien, mit sich, um ihn sogleich ins Zeltdorf zu schaffen und dort Pferde und Decken zu holen, mit denen der zweite Verwundete und der Tote zu den Zelten gebracht werden konnten.

Als Mattotaupa zu den Zelten kam, um den Schwerverletzten zu dem Zaubermann zu bringen, traf er sich mit Harka. Der Knabe erfuhr durch den Vater, was auf dem Hügel vorgegangen und was verhandelt worden war.

Dann berichtete Harka selbst, dass die Munition, die zu der geraubten Büchse gehörte, verschwunden war und Tashunka das Zeichen seiner Anwesenheit im Zelt Mattotaupas in den Boden eingeritzt hatte. In Mattotaupa stieg bei diesem Bericht eine derartige Wut auf, dass er sich nur noch mit Mühe beherrschte. Auch der Knabe erzürnte sich sehr, dass er seine doppelläufige Büchse aufgrund des Verhandlungsergebnisses endgültig verloren hatte.

Mit gerunzelter Stirn fragte er den Vater: »Warum ist Tashunka-witko so erpicht auf den Frieden, dass er uns dafür zwei Krieger zurückgibt?«

»Er hat erfahren, wie wir kämpfen. Der Angriff der Dakota auf unsere Zelte ist abgeschlagen.«

»Umso mehr muss Tashunka-witko uns fürchten, wenn wir wieder um zwei Krieger stärker sind.« Wenn der Knabe jetzt »wir« sagte, so meinte er die Gruppe der Siksikau, bei der er mit seinem Vater zu Gast war. »Dafür besitzt er dein Geheimniseisen, das in der Hand Tashunka-witkos eine gefährliche Waffe sein wird.«

»Warum habt ihr mich gezwungen, es ihm zu geben?!«

»Warum hast du es Tashunka immer vor die Augen gehalten, im Zelt und am Pfahl? Da beschloss er, es sich zu verschaffen!«

Harka senkte den Kopf. »Aber zwei Krieger sind dennoch mehr wert!«, beharrte er. »Warum gibt er sie her, und seine Männer zürnen nicht einmal darüber?«

»Die beiden Krieger, die er uns freigab, sind so schwer verletzt, dass sie im Kampf nie mehr die volle Kraft haben werden. Tashunka-witko hat auch überlegt, was er tut.«

»So scheint es, Vater.«

Während Mattotaupa sich mit einigen Männern, Pferden und Decken wieder auf den Weg machte, ging Harka zu seinem Grauschimmel. Wenn er den Vater nicht hatte, war dieses Tier sein einziger Vertrauter. Er setzte sich zu ihm und nahm wieder einen Grashalm zwischen die Lippen. Dass seine Büchse samt Munition verloren war, konnte er so leicht nicht verwinden.

Er hatte lange zwischen der Pferdeherde gesessen, als ein anderer Junge zu ihm kam, das war der Sohn des Schwarzfußhäuptlings. Die Knaben konnten noch nicht miteinander sprechen, aber der andere setzte sich zu Harka und blieb stillschweigend bei ihm. Die beiden saßen bis zum Abend beieinander, während vor zwei Zelten die Totenklage um die beiden gefallenen Krieger gesungen wurde.

Als es dämmerte, die Männer alle zurückgekehrt waren und Mattotaupa in das Zelt am Südende des Lagers ging, erhob sich Harka endlich, um auch heimzugehen. Der andere Junge begleitete ihn und kam einfach in das Zelt Mattotaupas mit.

Harka freute sich darüber viel mehr, als er je nach außen hin gezeigt hätte. Die Schwarzfußfrau bereitete Essen für Mattotaupa und dann auch für die Kinder und sich selbst. Zwar hatte Harka am Morgen schon etwas zu sich genommen, und er pflegte wie die Krieger nur einmal am Tag zu essen. Aber er versorgte eigenhändig seinen Gast mit am Spieß geröstetem Fleisch wie ein Häuptling den anderen. Auch nach dem Essen blieb der Schwarzfußjunge noch im Zelt, und wie spielend erklärte er seinen eigenen Namen »Stark wie ein Hirsch« und einige Worte seiner Sprache. Harka ging sogleich darauf ein, holte sich bei der Frau auch ein Stück Leder, um etwas aufzeichnen zu können. Er wollte dem anderen Jungen klarmachen, dass er beabsichtige, endlich auf Antilopenjagd zu gehen. Jetzt, nachdem die Waffen schwiegen, konnte der Vater nichts mehr dagegen haben.

Mattotaupa gab denn auch seine Zustimmung für den übernächsten Tag, und Stark wie ein Hirsch war voller Feuer für dieses Vorhaben. Das war der erste Augenblick, in dem es Harka nicht so sehr schmerzte, dass er seine Büchse nicht mehr besaß. Auch Stark wie ein Hirsch hatte nur Bogen und Pfeil, und die beiden Jungen wollten die gleichen Waffen führen. Es ergab sich ganz von selbst, dass Stark wie ein Hirsch auch für die Nacht in Mattotaupas Zelt blieb.

Harka ahnte, dass es gerade der Verlust seiner Geheimniswaffe war, der bei dem anderen den Damm scheuer Zurückhaltung endgültig durchbrochen und Harka so für den Verlust der Waffe mit dem Gewinn eines Freundes belohnt hatte. Er selbst fing an, ruhiger über diesen Verlust nachzudenken. Der Vater hatte nicht unrecht; Harka hatte allzu sehr mit dem Besitz der Geheimniswaffe geprahlt. Was Tashunka-witko anbelangte, so konnte der Junge nicht einmal mehr mit Zorn an ihn denken. Das tollkühne Verhalten des Häuptlings und Mattotaupas Zweikampf mit ihm hatten allen bewiesen, dass die Dakota keine schlechten Krieger waren, und niemand würde sagen dürfen, Harka stamme aus einem Volk von Feiglingen.

Das, wonach der Sohn des Geächteten am meisten verlangte, Achtung und Freundschaft von seinesgleichen, schienen auf einmal da zu sein. Während er sich auf seinem Lager ausstreckte und noch mit offenen Augen ins Dunkle schaute, gingen seine Gedanken zu der Antilopenjagd und noch weiter zu Bildern einer Zukunft, in der er selbst ein Krieger und Häuptling und der Bruder seines neuen Gefährten Stark wie ein Hirsch werden wollte.

»Vater!«, sagte er aus diesen Gedanken heraus, leise, aber vernehmlich, da er wohl bemerkt hatte, dass Mattotaupa noch nicht schlief, und zugleich in der Gewissheit, von keinem anderen als diesem verstanden zu werden. »Noch sind wir Gäste in den Zelten der Siksikau. Wann werden wir als Krieger in ihren Stamm aufgenommen?«

»Sobald du die Proben bestehst, Harka Wolfstöter, die dich würdig machen, ein Krieger genannt zu werden, und sobald ich mich an denen, die mich aus dem Stamme der Dakota vertrieben, gerächt habe, so dass niemand mehr wagen darf, mich einen Verräter zu nennen.«

»Bis ich ein Krieger werde, gehen noch manche Sommer und Winter dahin, Vater.«

»Manche, Harka. Aber sie werden uns schnell vergehen, denn wir leben als Brüder freier und tapferer Männer.«

»So ist es. Wenn es soweit ist …« Harka brach ab.

»Sprich nur«, sagte der Vater.

»Ich denke an Tashunka-witko.«

»Was denkst du über diesen Mann, der unser Feind ist und mich beleidigt hat?«

Harka schluckte.

»Sage mir, Harka Steinhart, was für Gedanken in deinem Kopf bohren!«

Die Frage war in einem freundschaftlichen Ton gehalten, wie er sich zwischen Vater und Sohn in den gemeinschaftlichen Gefahren und Leiden der Verbannung herausgebildet hatte, aber es schwang auch ein Unterton darin mit, der neu war und den Harka noch gar nicht bemerkte. Ein eifersüchtiger Zweifel, wie er Einsame und Entrechtete leicht befällt, hatte sich in Mattotaupa gegenüber seinem Jungen geregt.

Harka antwortete ganz unbefangen: »Tashunka-witko hat eine Tochter der Dakota aus den Händen der Feinde befreit und zurückgeholt. Sie heißt Uinonah.«

»Wie meine Tochter, deine Schwester. Daran denkst du?«

»Ja!«, sagte Harka kurz und trotzig. Er fürchtete jetzt, dass der Vater ihm vorwerfen wolle, dass er zu weich sei. Aber er vermochte nicht, das Gefühl für seine Schwester zu verleugnen. Er sah sie wieder vor sich, in der Abschiedsnacht, als er aus den Zelten zu dem geächteten Vater in die Wildnis geflohen war. Da hatte Uinonah die Decke über das Gesicht gezogen, damit niemand sehen sollte, dass sie weinte. Jetzt musste sie unter Menschen leben, die ihren Vater verachteten, und Harka konnte sie nicht beschützen.

Mattotaupas nächste Worte klangen ganz anders, als Harka erwartet hatte. »Was glaubst du, Harka Wolfstöter – würde meine Tochter Uinonah bereit sein, zu uns beiden in das Zeltdorf der Siksikau zu kommen?«

»Sie würde bereit sein, Vater. Sie hat gewusst, dass ich zu dir gehe, und sie hat mir geholfen zu fliehen.«

»Harka, seit die Ältesten der Bärenbande mich verurteilt und geächtet haben, sind wir umhergeritten und umhergewandert, und wir konnten nicht ein kleines Mädchen bei uns haben. Das weißt du wohl. Aber jetzt haben wir Zelte gefunden, in denen Uinonah mit uns wohnen könnte. Es ist Frühling. Wir haben den Sommer vor uns und können zum Pferdebach reiten, um meine Tochter, deine Schwester, zu uns zu holen, so wie Tashunka-witko das Dakotamädchen geholt hat. Unser Mut und unsere Klugheit sollen nicht geringer sein!«

»Ja, Vater! Wann reiten wir?«

»Sobald du mit Stark wie ein Hirsch die Antilopen und sobald ich mit dem Häuptling Brennendes Wasser Büffel gejagt habe und das Zelt hier wohlversorgt ist. Ich habe gesprochen, hau!«

Damit endete das Zwiegespräch, das die Schwarzfußfrau und Stark wie ein Hirsch nicht verstanden hatten. Harka legte sich zum Einschlafen zurecht. Ihm war frei und doch noch seltsam zerrissen zumute. Er wollte ein Krieger der Schwarzfüße werden, aber die Aussicht, sein heimatliches Zeltdorf am Pferdebach noch einmal zu sehen und seine Schwester von dort wegzuholen, bewegte ihn zugleich sehr stark. Er fürchtete fast, dass sich sein Angsttraum wiederholen werde, dieser Traum, dass Uinonah ihn um Hilfe rufe, seine Füße aber festgezaubert seien. Zum Glück rührte sich jetzt Stark wie ein Hirsch in seinen Decken. Harka begann diesen Jungen und seine Freundschaft wie einen Schutzgeist zu empfinden. Er streckte sich und schlief ein.

Mattotaupa starrte noch ins Dunkel. Dass die Häuptlinge und Ältesten der Siksikau ihn auch nach seiner Bewährung im Kampf noch nicht ganz als einen der Ihren betrachteten, ihn noch nicht in den Stamm aufnehmen wollten, schmerzte ihn mehr, als er seinem Sohn je eingestanden hätte. Rachewünsche gegen die, die ihn aus den Reihen der Dakota ausgestoßen hatten, schlummerten schon lange in ihm. Aber jetzt begannen sie Gestalt anzunehmen, denn er wollte alle Zungen zum Schweigen bringen, die ihn noch schmähen konnten. Er wollte den Männern der Siksikau nicht nur von seiner Unschuld erzählen. Er wollte seinen untadeligen Ruf mit dem Tod der Beleidiger beweisen. Den Augenblick, in dem ihn Tashunka-witko in Gegenwart des Schwarzfußhäuptlings ungestraft einen Verräter genannt hatte, konnte er nicht mehr vergessen.

Die Höhle in den schwarzen Bergen

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