Читать книгу Geht's noch! - Lisz Hirn - Страница 7
DIE KONSERVATIVE OFFENSIVE
ОглавлениеDie Menschen sind am konservativsten, wenn sie am wenigsten tatkräftig sind und am üppigsten. Nach dem Essen ist man konservativ.
RALPH WALDO EMERSON
WIE KANN man sich also dagegen wehren? Woran erkennt man den Biedermann, die Biederfrau? Wie durchschaut man das Theater der Brandstifter? Indem wir uns zuerst bewusst machen, dass die »westliche« Gesellschaft, die sich für emanzipiert und kosmopolitisch hält, nie ihrem Ruf gerecht wurde. Sie hatte auch nie vollständig ihre konservativen Rollenbilder abgelegt. Frauen müssen in dieser Welt noch immer Männern gefallen, um in ihrem Frauenleben erfolgreich zu sein. »Eine Frau, die sich der herrschenden Vorstellung nicht anpaßt, entwertet sich sexuell und folglich auch gesellschaftlich, da die Gesellschaft die sexuellen Werte integriert hat.«4
BEISPIEL 1: DER DEKORATIVE AUFPUTZ
Schladming 2018. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz übernimmt den EU-Ratsvorsitz. Zusammen mit Ratspräsident Donald Tusk und dem bulgarischen Premierminister Bojko Borissow posiert Kurz körpernah zwischen drei blonden jungen Frauen für die offiziellen Pressefotos. Während die Herren in legere Anzüge gekleidet sind, tragen die »Dachsteinkönigin« und ihre beiden »Dachsteinprinzessinnen« Dirndl, Schärpe und Tiara.
Und da ist es wieder, diesmal sichtbar für die ganze Weltöffentlichkeit: dieses Frauenbild, das unter der aktuellen Regierung wieder gesellschaftsfähig geworden ist. Es lässt Frauen am liebsten ins politische Rampenlicht, wenn sie die Insignien einer Schönheitskönigin tragen. Lässt sich das Szenario mit umgekehrten Vorzeichen überhaupt denken? Hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel je mit hübschen jungen Männern in Lederhosen in die Kameras gewinkt? Es ist schwer vorstellbar, dass sich ein erwachsener Mann finden lässt, der mit einer Prinzenschärpe ausstaffiert posieren würde. Die Inszenierung der Frau im Namen ihrer Weiblichkeit »… ist das sicherste Mittel, ihr einen schlechten Dienst zu erweisen«5 und das gewünschte, konservative Rollenbild zu propagieren.
Wie aber sieht dieses konservative Rollenbild genau aus? Eindeutig weiblich, nicht nur vom biologischen Geschlecht, sondern auch vom sozialen fügt sich die Frau in das Rollenspiel. Es sollen wieder »richtige Frauen« her, solche, die sich fortpflanzen und den Nachwuchs mit größtem Vergnügen und viel Hingabe betreuen sowie ihre Position an der Seite eines Mannes schätzen können. Gut ausgebildet, steckt die ideale Biederfrau ihre Ambition in ihren Mann und ihre Kinder, denen zuliebe sie zu Hause bleibt und die Kleinfamilie managt. Kindererziehung, Kochen und Putzen – diese Dreifaltigkeit bestimmt das Leben der Biederfrau. Ein Leben wie aus einer Werbung der 1950er-Jahre, in der es hieß: »Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?« Frauen, die sich bewusst gegen Ehe und Mutterschaft entscheiden, sind demnach keine »normalen« Frauen.
Die »richtigen« Frauen betonen nicht nur die Unterschiedlichkeit der Geschlechter, sondern preisen auch das Kinderkriegen als höchste Erfüllung der Weiblichkeit. Man verstehe das konservative Frauenbild nicht falsch: Den Frauen kommt in dieser Gesellschaftsvorstellung eine wichtige Rolle zu. Sie dürfen das Bollwerk gegen die von den Männern geschaffene soziale Kälte und Wettbewerbsgesellschaft bilden, dagegen angehen dürfen sie jedoch nicht, ohne ernste Konsequenzen befürchten zu müssen. Wer will schon offen als »Emanze« gelten, der Herr Otto Normalverbraucher schon mal gerne »Geschlechtsverkehr zum Frustabbau« verordnet? So geschehen der ehemaligen Grünen-Abgeordneten Sigrid Maurer.
BEISPIEL 2: SEXUELLE BELÄSTIGUNG 4.0
Sigrid Maurer hatte am 30. Mai 2018 obszöne Privatnachrichten, die vom Facebook-Account eines Wiener Craft-Beer-Geschäftsführers stammten, auf ihrem eigenen Facebook-Account öffentlich gemacht. Nachdem der Geschäftsbesitzer daraufhin von Usern beschimpft wurde und sein Lokal online schlechte Bewertungen erhielt, klagte er Maurer wegen übler Nachrede und bestritt, der Verfasser der Nachrichten zu sein.6 Angeblich habe es vor dem Lokal herumstehende Männer gegeben, die Maurer immer wieder anzügliche Kommentare hinterherriefen. Der Kommentar des klagenden Anwalts, Frauen könnten schließlich ausweichen und einfach die Straßenseite wechseln, erinnert an den Artikel einer Zeitung der 1950er-Jahre. In diesem wird reihum betont, dass eine Frau, »seine ›kleinen Fehler‹ auch schon mal lächelnd in Kauf nehmen« muss.
Unter diese »kleinen Fehler« – früher »Kavaliersdelikt« genannt – scheinen also auch sexistische Äußerungen zu fallen. Positiv zu vermerken ist, dass der Fall Maurer eine umfassende gesellschaftliche Debatte und Unterstützung ausgelöst hat, die es so vor einigen Jahrzehnten noch nicht gegeben hätte. Auf der »Sollseite« findet sich allerdings die reformbedürftige Gesetzeslage, die es Cybermobbingopfern – von der sexuellen Spielart sind überwiegend Frauen betroffen – momentan erschwert, gegen die Täter vorzugehen.
Von konservativer Seite werden Proteste von Frauen gegen sexuelle Belästigung und die implizite Reduktion auf ihren Körper übrigens oft als überempfindliche Reaktion spaß- und lustbefreiter »linker Emanzen« abgetan. Doch wie das nächste Beispiel zeigt, sind auch konservative Frauen nicht davor gefeit – womit die Absurdität eines »Lagerdenkens« in diesem Kontext deutlich wird.
BEISPIEL 3: DIGITALES BODYSHAMING
Als die österreichische Ministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus Elisabeth Köstinger nach der Geburt ihres Sohnes mit ein paar Kilos mehr auf den Rippen aus der Karenz zurückkehrte, wurde sie in sozialen Medien als »fett« bezeichnet; eine sexistische Hassnachricht, die viele prominente Frauen nach Schwangerschaft und Geburt erreicht. Köstinger reagierte darauf prompt mit einer Nachricht, in der sie ihren Stolz auf einen »gebärfähigen Körper« betonte.
Letzterer sei ihr gegönnt, diese Argumentation ist dennoch ein denkbar schlechtes Argument gegen Frauenhass dieser Art. Ist es doch gerade die Gebärfähigkeit, die der Auslöser aller dieser Aggressionen ist. Steht doch gerade sie für das Weibliche an sich. Einmal wendet sich der Hass gegen die Frauen, die nicht gebären wollen oder können, ein anderes Mal gegen die, die gerade schwanger sind. Jede Ausformung des weiblichen Körpers kann ihn provozieren. Ursache dafür ist das jahrhundertealte Selbstverständnis der Brandstifter und Biedermänner, freien Zugriff auf diese Körper zu haben, um diesen zu kontrollieren: durch Gesetze, Verbote, Schönheitsideale oder Postings. Sie beweisen, dass das Leben der Frauen trotz aller mehr oder minder erfolgreichen Emanzipationsfortschritte weiterhin im Mittelpunkt von Macht- und Gewaltfragen steht. Die Biederfrauen sind die Komplizinnen der Brandstifter, die mit ihrer konservativen Rhetorik »die Frau« auf ihre Gebärfähigkeit reduzieren, also essenzialisieren und naturalisieren. Freilich mit dem Zweck, damit gleichzeitig deren Diskriminierung zu rechtfertigen.
Die Biedermänner haben mit den Brandstiftern gemeinsam, dass sie genau wissen, was die Rolle einer »Frau« sein soll und inwiefern sich diese »natürlich« von der eines »Mannes« unterscheiden muss. Immerhin sind die strengen komplementären Geschlechterrollen wesentlich für die Aufrechterhaltung der patriarchalen Gesellschaftstradition. Ihr Selbstverständnis basiert auf der Trennung zwischen einer männlichen und einer weiblichen Sphäre samt Aufgaben und Rollen. Wie sollten Frauen eine Änderung der Verhältnisse schaffen können, wenn doch diese von Männern für Männer geschaffen wurde? Folgen wir dieser Logik, wird auch klar, warum mehrheitlich nie eine »starke Frau« an der Spitze gefordert wurde. Trotzdem gibt es mittlerweile eine Handvoll.
Diese kleine Gruppe hat das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert. Plötzlich haben also Männer nicht nur die Konkurrenz von anderen Männern zu fürchten, sondern auch mit der von Frauen zu kämpfen. Zusätzlich empfinden diese ökonomisch unabhängigeren Frauen Männer, die nicht die Hälfte der Hausarbeit schultern, als unattraktive Partner. Es war vorhersehbar, dass die neuen Anforderungen besonders die weniger gebildeten und privilegierten Männer verunsichern. Schließlich sind weder Politik noch Arbeitsmarkt das liberalistische Abbild des freien Wettbewerbs, sondern bilden neben historisch gewachsenen Geschlechteridealen auch kulturelle Grundüberzeugungen ab.7 Klar sehnen wir uns nach den »starken Männern«, wie wir es aus den Geschichtsbüchern gewohnt sind, die uns diesmal aus dieser »Krise der liberalen Demokratie« führen, und den »hübschen Frauen«, die als harmloser Blickfang deren Anblick erträglicher machen sollen.