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VON DER »NATÜRLICHEN ROLLENVERTEILUNG« UND IHREN FOLGEN
ОглавлениеEin weiterer Indikator für die fortschreitende konservative Offensive ist, dass die wachsende ökonomische und digitale Zersplitterung wieder mehr Menschen in die traditionellen Rollenbilder treibt. »Angesichts all dieser Umwälzungen und Unsicherheiten ist die Versuchung groß, sich auf die gute alte Mutter Natur zu berufen und die Ambitionen der vorangehenden Generation als Verirrung anzuprangern«,10 wettert die französische Historikerin und Philosophin Elisabeth Badinter in ihrem Buch »Der Konflikt«, das eine breite internationale Debatte auslöste. Biedermänner stützen sich darauf, die Ursache der Geschichte in der Natur anzusetzen. Die natürliche Keimzelle alles Gesellschaftlichen ist demnach die Familie. Sie gilt im konservativen Wertekonzept als etwas Natürliches, allerdings nur in der traditionellen Form: Mutter – Vater – Kind. Ein Mann und eine Frau heiraten, bekommen Kinder und bleiben zusammen, bis dass der Tod sie scheidet. Das ist das konservative »Naturgesetz«, aus dem auch die männliche Identität abgeleitet wird. Zu dieser gehört das unbewusste Bedürfnis, das eigene Geschlecht aufzuwerten, indem Weiblichkeit abgewertet wird. »Sich als einzelner Mann von dieser Konstruktion abzugrenzen ist schwer. Die Ambivalenz gegenüber Frauen prägt sich dem kleinen Jungen ein – und erfährt immer wieder Nachprägungen,« erzählt der deutsche Soziologe Rolf Pohl über seine Erfahrungen. Nach wie vor gilt hier die Formel: Das Leben ist nicht gerecht, und für die meisten Männer ist das gut so. Was sie eint, sind nicht die Status- und Rangkämpfe untereinander, sondern die Abgrenzung zu »den Frauen«. Kein Mann würde eine Frau sein wollen, aber findet es praktisch, dass es Frauen gibt.
Dieser Logik folgend ist es den Konservativen allerorts ein Dorn im Auge, wenn das Konzept der Geschlechterrollen hinterfragt wird. Sie wissen, dass mit der Kritik an den Biologismen auch ihr Familienbild unter Beschuss gerät. Schließlich untersucht die wissenschaftliche Geschlechterforschung die soziale Abhängigkeit von Rollenbildern. Es geht darum, abzustecken, inwiefern und wie stark soziale Normen festlegen, was innerhalb einer Gesellschaft als männlich und weiblich gilt. Es ist also kein Zufall, sondern konservatives Programm, dass die ungarische Orbán-Regierung Fächer wie »Gender Studies« diffamiert. Diese Studienrichtungen würden die »Fundamente der christlichen Familie« untergraben. »Gender-Mainstreaming« bedeute, dass Ideologinnen die männliche Identität zerstören wollten. Im Sinne des Regierungserlasses von 2018 können bereits begonnene Lehrgänge in Gender Studies zu Ende geführt werden, allerdings dürfen keine neuen mehr begonnen werden. Damit propagiert die Partei nicht nur erfolgreich ihr rückwärtsgewandtes Familien- und Geschlechterrollenbild, sondern verstärkt auch die Wahrnehmung ihrer Anhänger, dass an den Geschlechterbeziehungen nun einmal nicht gerüttelt werden soll.
Dieser Backlash beziehungsweise die Rückkehr konservativer Wertvorstellungen sowie die Einflussgewinnung von dahingehend orientierten Kräften greift nicht nur in Ungarn um sich. Er macht Maßnahmen wie das Gender-Mainstreaming zunichte, die eigentlich als politische Interventionen gedacht waren, um die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern abzubauen. Obwohl die wenigsten wissen, worum es dabei eigentlich geht, hat es den schlechten Ruf der Gendertheorie bekommen, von dem es lediglich die Erkenntnis übernommen hat, dass die Geschlechterrolle auch (!) eine sozial hergestellte ist. Gender-Mainstreaming hat die Funktion, die Politik darauf hinzuweisen, dass sie manchmal unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschlechter hat. Mit einer solchen Maßnahme könnte man Geschlechterrollen erweitern oder verfestigen.
Das Ziel, die Gleichstellung von Mann und Frau unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen und Interessen zu verwirklichen, scheint in weite Ferne zu rücken.
Die Zeiten sind komplex, komplizierte Theorien zur Erklärung ihrer Phänomene unerwünscht. Statt auf Prävention zu setzen, um Diskriminierung zu vermeiden, ruft man lieber die gute alte Frauenpolitik auf den Plan, die die ärgsten Ungleichbehandlungen abfedern soll, aber keine strukturellen Änderungen durchsetzen muss. Das Prinzip des Gender-Mainstreamings löst dort, wo es eingesetzt wird, viele Diskussionen aus. Das muss aber für eine funktionierende Demokratie nicht schlecht sein. Wer ein aufrichtiges Interesse daran hat, Ungleichheit zu minimieren, kann ein Prinzip wie Gender-Mainstreaming, das diese Ungleichheiten zur Debatte stellt, nicht schlicht ad acta legen. Das rechte, konservative und rechtspopulistische Spektrum bemüht sich, es als »Genderisierung« zu brandmarken. Ex-FPÖ-Präsidentschaftskandidatin und Parade-Biederfrau Barbara Rosenkranz schrieb sogar ein ganzes Buch über den »Gender-Wahn«.11 Wenn man bedenkt, dass Gender-Mainstreaming seit 1997/1999 ein erklärtes Ziel der Europäischen Union ist, kann man ob der zögerlichen Verbesserungen nur den Kopf schütteln.
Dass es auch anders geht, beweist das Beispiel des Leitfadens des schwedischen Außenministeriums vom August 2018. Geschlechtergleichheit wird hier als »essenziell zum Erreichen sämtlicher Ziele der Regierung wie Frieden und Sicherheit« gesehen. Außenministerin Margot Wallström verwies bei der Vorstellung des Handbuchs auf erste Erfolge der feministischen Außenpolitik: Im eigenen Ministerium waren 2016 vier von zehn schwedischen Botschaftern Frauen, vor zwei Jahrzehnten waren es nur zehn Prozent gewesen.
Frauenpolitik ist eben nicht gleich Frauenpolitik. Während die schwedische Außenministerin ein Handbuch für feministische Außenpolitik veröffentlicht hat, tanzt die österreichische Außenministerin mit dem russischen Präsidenten auf ihrer Hochzeit. So geschehen ebenfalls im August 2018, in der kleinen südsteirischen Gemeinde Gamlitz. Dass dieser »Arbeitshochzeitsbesuch des russischen Präsidenten« Irritationen im In- und Ausland hervorrufen würde, damit war wohl zu rechnen. Auch die Erklärung der Braut, dass dies eine rein private Hochzeitsfeierlichkeit gewesen sei, ist beim Anblick der Gästeliste wenig glaubwürdig. Normalerweise präsentieren sich auf einer »in erster Linie privaten Feier und des persönlichen Besuchs«12 auch keine teils schwer bewaffneten Beamten. Dennoch war die außenpolitische Inszenierung nicht umsonst. Gewinner dieses Auftritts war in jedem Fall die russlandfreundliche FPÖ. Selbst Bundeskanzler Kurz störte sich nicht daran, mit dem Kreml-Chef das Auto zurück zum Flughafen zu teilen, ihm blieb »die Logik und die Absicht, ein so persönliches Fest auf diese Art und Weise politisch zu inszenieren und missbrauchbar zu machen«13 im Gegensatz zu dem in die Bredouille geratenen ÖVP-Abgeordneten Othmar Karas nicht verschlossen.
Auch der Hinweis Putins, dass die Außenministerin besser spät als nie geheiratet hätte, unterstreicht, dass der russische Präsident weniger zur feministischen Speerspitze, sondern vielmehr zur konservativen Offensive gehört, die in Europa für eine Rückkehr zu »glorreicher« vergangener Größe wirbt.
RUSSLAND UND DIE FRAUEN
Zwar ist die Gleichheit der Geschlechter in der Verfassung der Russischen Föderation verankert, doch Unabhängigkeit erwarten die russischen Männer von ihren Partnerinnen nicht. Nur zwei Prozent schätzen diese Eigenschaft, ergab eine Umfrage vor einigen Jahren. Dabei galt Russland einst als Vorreiter der Frauenbewegung. Noch vor der Oktoberrevolution 1917 errangen die Russinnen mit einem großen Marsch durch Sankt Petersburg das Wahlrecht. Als weltweit Erste erreichten Russlands Frauen die Legalisierung der Abtreibung.
Unter der Terrorherrschaft von Josef Stalin lösten sich die liberalen Errungenschaften in Luft auf. Bis jetzt gibt es kein Gesetz, das Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Frauen gewährleistet, und das, obwohl in keinem Land der Welt so viele Berufe für Frauen verboten sind wie in Russland. Nicht nur die Position eines Zugführers in der U-Bahn bleibt Frauen verschlossen, auch eine russische Außenministerin ist in nächster Zeit nicht zu erwarten. Das Frauenbild der Ehefrau und Mutter wird vom Staat befördert. Das gefällt auch anderen konservativen Kräften wie der russisch-orthodoxen Kirche.
Putin traut sich auch 2018 offen, Frauen über ihre »natürliche« Rolle als Mutter und Hausfrau zu bestimmen. Ein Vorgehen, das auch die hiesigen Konservativen billigen. Sei es, dass die FPÖ die Ehe als »natürliche« Verbindung zwischen Mann und Frau mit dem klaren Willen, Kinder zu zeugen, verstanden haben will und daher im Zusammenhang mit der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur »Ehe für alle« die heterosexuelle Ehe inklusive Kindersegen sachlich privilegiert sehen will. In der klassischen antiemanzipatorischen Sicht einer Partei wie der FPÖ geht es in der Ehe nicht »um die Gewährleistung des individuellen Glücks von Mann und Frau, sondern darum, deren ökonomische und sexuelle Verbindung auf das kollektive Interesse hin zu transzendieren«.14 Also im Klartext: Die Gesellschaft will etwas von der Verbindung von Mann und Frau haben, am besten Kinder. Dass die Ehe von Karin Kneissl schon aus Altersgründen mit dieser Definition in Widerspruch steht, schien die anwesenden politischen Repräsentanten im Übrigen nicht zu stören.
Die New York Times titelte nach Kneissls Hochzeit: »The bride was a dream in a dirndl, but Putin stole the show«.15 In diesem Sinne passte auch der tiefe Knicks der Außenministerin nach dem Tanz mit dem Ehrengast am »schönsten Tag ihres Lebens« perfekt zum Weltbild des erzkonservativen Kremlchefs Putin. Kontraproduktiv nannten es einige, dass die Braut nicht nur die »Gleichberechtigung nach österreichischem Standard«, sondern auch das »neutrale Österreich« während der Zeit seiner EU-Ratspräsidentschaft vorführte. FPÖ-Chef und Hochzeitsgast Heinz-Christian Strache fühlte sich folglich dazu berufen, Kritiker daran zu erinnern, dass der »höfliche Knicks von ihr nach dem Tanz« Teil des Faches »Erziehung und gutes Benehmen«16 sei, mit dem »die 68er-Generation« offenbar auf Kriegsfuß stehe. Die Feministen, Liberalen und Andersdenkenden wüssten schlicht nicht, was sich gehöre. Oder an welchem Platz.