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6. Kapitel

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Die Unterbrechung hatte die Planungen durcheinandergebracht. Draußen vor der Halle begann das Feuerwerk. Milla hörte das Heulen und Zischen, mit dem die Raketen zum Himmel hinaufschossen. Die Menschen schwärmten durch die großen Türen der Drachenhalle, um dem Spektakel beizuwohnen: Funkelnde goldene Blüten explodierten in der Luft und gingen schimmernd über der Insel nieder. Von der Menschenmasse mitgerissen, die in den Garten hinausströmte, geriet Milla ins Stolpern.

Die Menschen schoben ihre protzigen Masken zurück, um besser sehen zu können. Dahinter kamen geschockte Mienen mit einem starren, aufgesetzten Lächeln zum Vorschein. Selbst die goldenen, grünen und scharlachroten Lichter des Feuerwerks änderten nichts daran. Herzog Olwars Gesicht war wie versteinert. Anspannung und Beklemmung machten sich breit.

Milla fand Tarya und Isak wieder.

»Wer war diese Frau?«, flüsterte Tarya im Lärm des Feuerwerks. »Hat sie wirklich Drachen gesagt?«

»Bestimmt hat sie bloß in Symbolen gesprochen, wie der Herzog, oder?« Milla war immer noch wie benebelt vor Hitze und Hunger.

»Wie hat sie das mit den Menschen gemeint, die hier früher gelebt haben?« Die Vorstellung schien Isak zu entsetzen. Er schob seine Augengläser nach oben. »Es kann doch nicht sein, dass sie zurückkommen!« Sein Atem ging wieder flach und schnell.

»Atme mit mir, Isak. Komm, wir setzen uns hier hin.« Tarya legte ihm die Hand auf den Rücken und holte in tiefen, langsamen Zügen Luft, was er nachahmen sollte. »Schon viel besser.« Die Konzentration und die Sorge um ihn standen ihr ins Gesicht geschrieben.

»Na ja, irgendjemand muss die Stadt ja erbaut haben. Und dann verschwunden sein«, sagte Milla. »Was habt ihr denn gedacht?«

»Die Frau war wütend. Aber wir können doch nichts dafür!«, sagte Isak zwischen abgehackten Atemzügen. »Wie auch? Die Stadt war leer, als unsere Leute hier ankamen. Und wir sind hier geboren.« Er beugte sich vor und legte einen Finger auf seine Augengläser, damit sie an Ort und Stelle blieben. Während er über die Palastgärten aufs Meer hinausstarrte, das die letzten Funken des Feuerwerks als kleine Lichtpunkte zurückwarf, wurden seine Atemzüge ruhiger. »Das hier ist unser Zuhause. Was vorher passiert ist, ist nicht unsere Schuld.«

»Wo stecken diese Menschen jetzt?«, fragte Tarya, die immer noch den Arm um ihren Bruder gelegt hatte. »Wenn die Stadt ihnen gehört, warum kommen sie nicht her und holen sie sich zurück?«

»Sie hat nicht gesagt, dass wir schuld sind«, mischte sich Milla ein. »Nur, dass Menschen gestorben sind. Von Schuld hat sie nichts gesagt –«

»Wen kümmert schon die Schuldfrage, was ist mit den Drachen?«, unterbrach Tarya sie. »Sie hat gesagt, dass sie wiederkommen! Man hat doch jahrelang gesucht …«

Die nächste Ankündigung eines nervösen Herolds ersparte Milla weitere Fragen.

»Die jungen Männer von Arcosi werden nun vor dem Drachenfürsten ihren Eid ablegen!«

»Jetzt?«, fragte Isak. »Ich bin noch nicht bereit, Tarya.« Der Herzog hatte sich aus Anlass seines Geburtstags eine komplizierte Eidesformel ausgedacht und alle würden zuhören.

Tarya half Isak beim Aufstehen und nahm seine Maske. Dann rückte sie seine Gläser zurecht und strich sein Hemd glatt. »Du schaffst das. Du kennst den Text. Wir können ihn alle auswendig, vorwärts, rückwärts und im Schlaf. Stimmt’s?«

Isak lächte matt. »Stimmt.«

»Viel Glück!«, rief Milla.

Er nickte unsicher und nahm seinen Platz in der Reihe ein.

Milla ging mit den anderen Angestellten ans Ende der Halle. Die norländischen Dienstmädchen hielten Abstand und sahen hochnäsig auf sie herab, doch Milla ignorierte ihr Getuschel. Sie ließ Isak nicht aus den Augen.

Er legte seinen Eid tadellos ab, blieb sogar ein wenig länger auf dem Podest und plauderte mit Herzog Olwar. Als er anschließend mit einer Zinnmedaille um den Hals, in die der Umriss eines Drachen aus schwarzer Emaille eingearbeitet war, an seinen Platz zurückging, war er voller Energie. Das war Olwars Gabe: Er zog die Menschen an. Er war ihre Sonne und alle wandten seinem Licht die Gesichter zu.

Milla beeilte sich, den Zwillingen mit Speisen beladene Teller zu bringen, wobei sie unterwegs diskret selbst ein paar Bissen aß, damit sie Josi sagen konnte, dass ihr Essen wesentlich besser war. Trotzdem schmeckte es köstlich und sie fühlte sich gleich ein wenig kräftiger. Nachdem die Gäste gespeist hatten, traten die Palastmusikanten auf, und schon bald war die alte Drachenhalle von Musik erfüllt.

»Zeit für den Tanz …« Tarya starrte sehnsüchtig zum polierten Tanzboden hinüber, der mit einem weiteren Feuer spuckenden schwarzen Drachen dekoriert war. »Aber du solltest lieber kein Risiko eingehen, Isak, und dich ausruhen. Wir schauen einfach nur zu.«

»Mir geht es wieder gut. Wir tanzen nur diesen einen Tanz«, sagte er und schluckte. »Es ist der Ball des Herzogs. Ich bin es ihm schuldig. Er war sehr freundlich, als er mit mir gesprochen hat. Habe ich dir erzählt, dass er mich zum Segeln eingeladen hat?«

»Ja, schon drei Mal.« Tarya verdrehte die Augen, lächelte aber.

»Hier, kannst du meine Gläser festhalten, Milla?«

Also schaute Milla mit Isaks Augengläsern und Taryas Schal und Fächer in der Hand zu, während sie mit dem Fuß unauffällig im Takt wippte. Die Zwillinge waren die besten Tänzer, stellte sie voller Stolz fest. Sie beobachtete Isak mit einem blonden Mädchen in einem silbernen Kleid und mit funkelnden Diamanten um den Hals. Er bewegte sich geschmeidig und perfekt im Takt, und was er dem Mädchen auch sagte, brachte sie zum Lachen. Niemand würde glauben, wie viel ihm das abverlangte.

Nun wirbelte Tarya vorbei: Sie ging das Tanzen mit der gleichen Energie an wie alles andere. Milla musste unwillkürlich lächeln.

»Sie ist wunderschön«, ließ eine Stimme an ihrem Ohr sie zusammenschrecken. Dort stand ein hochgewachsener junger Mann mit einer grünen Federmaske und einem dazu passenden grünen Seidenjackett, das von Silberfäden durchzogen war.

»Ja, und das ist längst nicht alles …«, erwiderte Milla stolz.

»Davon habe ich gehört.« Er stand so nah, dass ihn niemand sonst verstehen konnte. »Und das ist gut. Ich könnte eine Herausforderung gebrauchen.« Er zog die norländischen Vokale so vornehm in die Länge, dass er klang wie der Herzog.

»Sie werden es schon merken, wenn Sie mit Tarya Thornsen tanzen.« Wahrscheinlich war er der Nächste auf Taryas Tanzkarte, auch wenn Milla der hungrige Blick nicht gefiel, mit dem der Fremde ihre Freundin auf der Tanzfläche verfolgte. »Außerdem ist sie keine gewöhnliche Kaufmannstochter. Sie spricht drei Sprachen, ist geübt im Bogenschießen, geschickt mit dem Langschwert und vermag einen Kurzdolch besser zu werfen als ihr Vater. Sie kann Heiltränke brauen, maßstabsgerecht zeichnen und ist unterhaltsamer als alle anderen in diesem Raum!« Als Milla Luft holte, glühten ihre Wangen. So viel hatte sie gar nicht sagen wollen.

»Es wird immer besser.« Der hoch aufgeschossene junge Mann schob sich die Maske auf den Kopf und sah lächelnd zu ihr hinab.

Milla blieb der Mund offen stehen. Es war Vigo, der Sohn des Herzogs. Seine verzogen-gelangweilte Art und die träge Geschmeidigkeit seiner Bewegungen erinnerte sie an Skalla, den Küchenkater. Er war wesentlich größer als Milla, hatte kurzes, dunkel gelocktes Haar und sehr grüne Augen, was seine katzenhafte Erscheinung noch unterstrich.

»Und du gehörst auch dazu, kleine Wildkatze?«

Sie beschloss blitzschnell, ihn zu behandeln wie alle anderen auch. Ansonsten würde sie einfach nur dastehen und glotzen wie ein Goldfisch, und die Wachen würden kommen und sie wegführen.

»Nein«, fauchte Milla, ehe ihr einfiel, »Euer Gnaden« hinzuzufügen. Aus den Gerüchten, die in der Stadt die Runde machten, wusste sie, dass Vigo gern ein Auge auf hübsche Mädchen warf und dass diese im Allgemeinen nichts dagegen hatten.

Sie sah zu ihm auf und versuchte, seine Worte und seine Miene zu deuten. Aus seinen grünen Augen sprach echtes Interesse und noch etwas anderes, eher Verächtliches. Hielt er Tarya für unter seiner Würde? Dann fiel ihr etwas auf. »Warum tragt Ihr die Drachenmedaille nicht, wie die anderen?«

»Hast du gehört, dass ich meinem Vater die Treue geschworen habe?«

»Nein, Euer Gnaden.« Milla entdeckte Herzog Olwar in der Menge. Isak hatte aufgehört zu tanzen und unterhielt sich angeregt mit ihm.

Vigo senkte die Stimme und sagte auf Sartoli: »Ich mag das Pech gehabt haben, als sein Sohn auf die Welt gekommen zu sein, aber das heißt nicht, dass ich damit zufrieden bin. Auch wenn er hin und wieder durchaus eine gute Idee hat«, murmelte er, ohne Tarya aus den Augen zu lassen. »Bitte entschuldige mich«, sagte er dann und schlüpfte durch die Menge zur Tanzfläche.

Dort tippte er Taryas Tanzpartner auf die Schulter. Sich charmant entschuldigend, nahm er Taryas Hand und verbeugte sich vor ihr. Milla war zu weit weg, um zu hören, was er sie fragte, aber Tarya nickte.

Vigo und Tarya begannen zu tanzen.

Die anderen Paare bemerkten die neuen Tänzer und machten ihnen Platz. Der Tanz kam den beiden entgegen: Er war schnell und kompliziert und verlangte absolute Kontrolle. In perfekter Übereinstimmung wirbelten sie schneller und schneller über die Tanzfläche.

Milla beobachtete die beiden mit wachsendem Unbehagen. Ohne die vorgeschriebenen Tanzschritte zu vernachlässigen, baute Vigo Bewegungen ein, die Tarya überraschen sollten. Sie ließ sich von ihm führen, hielt Schritt und fügte ihrerseits Ausschmückungen hinzu. Was ohnehin bereits einem Wettkampf geähnelt hatte, wurde nun zu einer Art Duell, bei dem beide Tänzer die formalen Vorgaben des Tanzes aufs Äußerste ausreizten.

Tarya hielt sich sehr gerade und aufrecht. Vollkommen eins mit der Musik, drehte sie bei jedem Richtungswechsel genau im richtigen Moment den Kopf und warf das Bein in die Luft, so weit es ihr Kleid zuließ.

Vigo beugte sie nach hinten, und für einen kurzen Moment widersetzte sie sich, stürzte fast, dann gab sie nach und legte sich mit ihrem ganzen Gewicht in seinen Arm.

Milla konnte die Augen nicht abwenden.

Tarya funkelte Vigo an. Lächelnd wie ein zufriedener Kater sah er zu ihr hinab und schürzte die Lippen.

Eine dralle Frau mit vom Wein geröteten Wangen sagte: »Na, wenn er sich für die entscheidet, ist es wenigstens eine Norländerin.« Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern: »Nicht wie seine Mutter …«

»Still! So etwas sagt man nicht!«

»Warum nicht?«, fragte die Frau. »Das denken alle. Außerdem wird es allmählich Zeit, dass er sich verspricht. Und Nestans Tochter würde eine schöne Mitgift einbringen.«

Nestan würde Vigo Taryas Hand niemals versprechen, nicht ohne vorher mit ihr darüber zu reden! Dennoch wurde Milla bei diesen Worten das Herz ganz schwer. Die Frau hatte recht. Wenn der Herzog seine wachsende Armee finanzieren wollte, dann hätte Nestan das Geld dafür. Milla kannte die Gerüchte. Nestan hatte Olwar im letzten Krieg das Leben gerettet – und dabei fast sein eigenes verloren. Danach hatte Olwar ihm Schuldgeld bezahlt. Mithilfe dieses Goldes hatte Nestan seine ersten Schiffe gekauft und jetzt war sein Vermögen beispiellos.

Aber ein Verlöbnis? Es würde Isaks wütende Worte gegen seinen Vater erklären.

Milla musste Tarya warnen, schnell, bevor sie die Neuigkeiten von jemand anderem erfuhr. Mir fällt schon irgendeine Ausrede ein, dachte sie und machte einen Schritt nach vorn.

Zu spät.

Tarya und Vigo standen sich mitten auf der Tanzfläche reglos gegenüber. Seine Lippen bewegten sich.

Tarya fuhr zurück und entriss Vigo ihre Hände.

Die zuschauende Menge hielt hörbar den Atem an.

Tarya wirkte wütend. Als sie die auf sie gerichteten Blicke bemerkte, setzte sie ein gezwungenes Lächeln auf und fächelte sich mit der Hand Luft zu: »Tut mir leid, vergebt mir, Euer Gnaden. Ich brauche frische Luft.« Sie floh aus der Halle.

Als Milla sich umdrehte, um ihr zu folgen, entdeckte sie Nestan. Er hob den Kopf, begegnete ihrem Blick und sah für einen kurzen Moment schuldbewusst aus. Was hatte er getan?

Milla holte Tarya im Garten ein. Sie legte ihr die Hand auf die Schulter, spürte ihre erhitzte Haut unter der hauchdünnen Seide ihres Ärmels.

»Lass mich in Ruhe –«, brauste Tarya auf, als sie herumfuhr. »Ach, du bist es. Dich habe ich nicht gemeint.« Ihr Gesicht verzerrte sich. »Milla …«

Auf Taryas Wangen schimmerten Tränen, die im Mondlicht silbern glänzten. Milla breitete die Arme aus.

Tarya zog sie an sich und schluchzte in ihre Locken. »Vater hat ihm meine Hand versprochen … ihm!« Dann hob sie den Kopf, wischte sich übers Gesicht und schüttelte mit einer ärgerlichen Bewegung die Tränen ab. »Und Vigo hat es genossen, mir das mitzuteilen. Was für ein arroganter, blasierter, verzogener …«

Dann stimmte es also. So sah Nestans Plan für seine Tochter aus – über den er und Isak vor ein paar Stunden gestritten hatten. »Ist schon gut, schhh!« Milla hielt Tarya fest und suchte nach tröstenden Worten, die sich aber selbst in ihren Ohren hohl anhörten. »Wir finden einen Weg. Es wird alles gut.«

»Ich werde das nicht machen«, sagte Tarya. Jetzt schien die Wut die Oberhand zu gewinnen. »Du sagst immer zu mir, dass man eine Wahl hat, Milla, und das hier ist meine.«

»Wie meinst du das? Was ist deine Wahl?«

»Und wenn ich an meinem Hochzeitstag von der Palastmauer springe, ihn … heirate … ich nicht.«

Milla hielt Tarya in den Armen, starrte zum runden Mond hinauf und fragte sich, wie ihre Welt sich an einem einzigen Tag so verändern konnte. Ihr Geheimnis brannte immer noch in ihrem Innern, doch sie schwieg weiter. Einstweilen.

Drachentochter

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