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Kapitel 1
Оглавление...I walk the maze of moments But everywhere I turn to Begins an new beginning But never finds a finish... (Anywhere is/ Enya)
Aus einer Familie mit künstlerischen Ambitionen stammend, war für mich klar, dass ich wohl kaum in einem Büro landen würde und wollte. Meine Mutter entwarf Teppichmuster, mein Vater Häuser, meine Großmutter malte und mein Großvater war Kunstschlosser und baute ausgefallene und wunderschöne Lampenkreationen.
So fing ich schon als Kind an, die Malerei zu lieben, längst bevor ich lesen konnte. Waren keine Stifte oder Pinsel in der Nähe malte ich einfach mit meiner Spucke auf glänzenden Oberflächen. Der ständigen Polieraktionen irgendwann müde, bekam ich im Laufe der Jahre von meinen Eltern einen umfangreichen Malkoffer samt Staffelei geschenkt.
In einer Phase meiner Mutter, deren Einfallsreichtum sich plötzlich in ständig wechselnden Haarfarben ausdrückte, fühlte ich mich dank des vielen Lobes als kleiner Kunstkritiker berufen. Heimlich begann ich, die von meiner Großmutter gemalten Ölporträts meiner Mutter, mit diversen Farbtuben der jeweils neuesten Haarfarbe anzupassen.
In der Schulzeit befand ich mich zum ersten Mal in der Kritik meiner Lehrer. Beleidigt, empört und den Tuschkasten vom Tisch werfend, verteidigte ich meine Sonne, die sich auf jedem Bild grundsätzlich und immer und überhaupt in der rechten Bildecke befand. Und irgendwann wurde es akzeptiert als die Lizzi-Sonne. Na bitte. So konnte es weitergehen und es ging auch weiter. Die Schulzeit fand ihr Ende und ich musste mich für Beruf oder Studium entscheiden.
Noch konnte ich mich nicht zwischen einer Karriere als Eiskunstläuferin, Sängerin oder Filmstar entscheiden.
Eiskunstläuferin erschien mir sehr sinnvoll, denn dann könnte ich die schon heimlich einstudierte Kür zur Musik von Lightroom tanzen. Allerdings war dazu ein Partner nötig, der nach ausführlicher Analyse der bisherigen Olympiagewinner im Eiskunstlauf wohl rein der Größe nach beurteilt zwangsläufig ein Russe sein würde. Bei meiner Größe von 1,78m müsste er dann ca. 2,40 groß sein, damit die Preisrichter mich noch als zierlich anerkennen können. Um auch die entsprechende russische Melancholie für meinen Partner mitzubringen, fing ich schon mal an Tolstoi und Pasternak zu lesen. Zumindest die ersten 5-8 Seiten inclusive Impressum und Inhaltsverzeichnis.
Irgendwann machte mich eine Freundin darauf aufmerksam, dass das Eis verdammt hart durchgefroren sein müsste, damit ich nicht gleich beim ersten Rittberger mit meinem üppigen Gewicht 8 cm dicke Riefen ins Eis haue. „Haue“, nicht „laufe“, sie hat wirklich „haue“ gesagt.
Okay blieb ja noch Sängerin. Immerhin war Agnetha Fältskog von Abba ja auch nicht gerade schlank. Dafür hatte sie im Gegensatz zu mir allerdings auch eine musikalische Stimme, was mir mein Vater während einer längeren Autofahrt resolut klarmachte, als ich gerade zum fünften Mal zu einem „Sssänk ju foooor sä Mjusiiik“ ansetzte.
Filmstar? Und alle meine pubertären Pickel in Großaufnahme?? Allerhöchstens als Testimonial für Pickelcremes. Auf diese Tatsache stieß ich tatsächlich ganz alleine – und wehe, es hätte mir einer gesagt!
Ich kämpfte mit Frisurenanleitungen seitens der Teeniemagazine, blamierte mich fürchterlich, sammelt Erfahrungen mit diversen Lippenstiften und führte gewissenhaft Statistiken über die Radio-Hitparaden. Somit war mein Alltag mehr als ausgefüllt. Wie sollte ich da noch Zeit für einen Beruf haben?
Das Schwänzen diverser Schulstunden am Vormittag für den Genuss einer Wiederholung der Musikshows in den Öffentlich-Rechtlichen Sender (ehrlich – andere gab es damals nicht!) geschah ohne schlechtes Gewissen, diente es doch nur als Stabilisator meiner extremen und reichlich pubertären Stimmungsschwankungen.
Schwer verunsichert und ratlos fand ich nur noch Trost hinter der geschlossen Tür in meinem Dachzimmer, wo ich zu meiner üblichen Lieblingsmusik (von wem wohl??) all meine Träume malte. Ich spürte das tröstende Gefühl, meine Träume wenigstens mit Pinsel und Farben hemmungslos ausleben zu können. Und dabei blieb es vorläufig auch. Ich entdeckte die Leichtigkeit der Aquarellfarben, später die Möglichkeiten der Ölmalerei und irgendwann war keine Leinwand, kein Stück Papier mehr vor mir sicher.
Dennoch bestanden meine Eltern auf eine kaufmännische, somit anständige Ausbildung, die ich dann auch machte. Begabt im Schönreden jeder Situation bildete ich mir ein, mit diesen erworbenen Kenntnissen unter Umständen auch die Showbranche managen zu können. Vorzugsweise Lightroom. So begann meine verheißungsvolle Ausbildung, allerdings nicht ohne auch dort auf jeder Rechnung, jeder Notiz zum Ärger meiner Vorgesetzten und humorfreien Spießerkollegen kleine Zeichnungen zu hinterlassen.
Meine Freizeit verbrachte ich inzwischen nicht mehr allein im kleinen Dachzimmer, sondern suchte den Kontakt zu anderen Künstlern. Ich sah, hörte zu und lernte. Mit Freude und dem festen Vorsatz, irgendwann davon leben zu können.
So fühlte ich mich mehr und mehr als Künstlerin. Ich malte, übermalte und fand zögernd meinen Stil, der mir einige erfolgreiche Ausstellungen und neue Freundschaften schenkte.
Nicht nur, dass ich nach fast zweijähriger Abtrünnigkeit dank unterschiedlicher Ansichten über Partygestaltung meine Schulfreundin Brigid wiedertraf, wir gründeten auch voller Idealismus eine Ateliergemeinschaft und öffneten diese gemeinsam mit anderen Künstlern für Ausstellungen und Workshops.
Unser Atelier befand sich in einer alten Kornbrennerei auf dem Land, weshalb wir die Beweggründe unserer Besucher dann irgendwann doch einmal genauer unter die Lupe nehmen mussten.
Was nützt ein Publikum, das sich den Bildern auf 200 qm ca. großzügigen 45 Sekunden widmet, um sich dann auf die kostenlosen Schnapsproben zu stürzen? Mit unserer naiven Großzügigkeit haben wir von Mai bis Juli ganze Gruppen von polnischen Saisonarbeitern erfolgreich von den Erdbeer- und Spargelfeldern der ländlichen Umgebung gelockt. Als im Spätsommer die Apfelernte samt Anreise der üblichen Verdächtigen begann, konnten auch wir dem erschreckenden Ergebnis der bis dahin erfolgreich verdrängten Bilanz nicht mehr ausweichen.
Was nichts anderes hieß, als dass wir innerhalb von 8 Monaten genau 6 Bilder verkauft und 108 Schnapsflaschen verschenkt hatten.
Künstlerpech. Kommerz und Kunst passen eben nicht zusammen. So what!
Wir trugen das überwältigende Ergebnis mit Fassung. Unsere Ateliervermieter auch.
Nicht nur die Anzahl, der von uns bezahlten (und großherzig aus reiner Nächstenliebe kostenfrei ausgeschenkten) Schnapsflaschen, auch die teuren Limousinen anlässlich der Vernissagen führten zu einer neuen Verhandlung über die Miete.
Kurzum, uns ereilte mal eben eine Mieterhöhung von verbotenen 100%. Brigid und ich zogen uns zu einer diskreten Besprechung zurück. Die Pleite endlich eingestehend, tranken wir noch ganz fix den restlichen Schnaps aus. Prosteten uns zu, zerschlugen unsere Gläser an der leeren Bilderwand - und kündigten. That´s life - the show must go on! Aber wie?
Dennoch konnte mich nichts stoppen. Inzwischen hatte ich neue Freunde gewonnen, die mir mit ihrem eigenen Idealismus sehr ans Herz wuchsen.
Meine Freundin Edda, die mich anrief, um mir „mal eben“ eine Ausstellung in einer renommierten Bank zu organisieren. Wir saßen in ihrem offenen Cabrio, die Leinwände auf dem Rücksitz blähten sich bedrohlich im Wind, aber ich war einfach nur glücklich. Da war jemand, der an mich glaubte. Ohne Profitgier, rein aus Spaß an der Sache. Diese damals entstandenen Freundschaften pflege ich auch heute noch mehr als gerne, einfach weil ich mich vor ihnen nicht erklären muss. Gesucht, unverhofft gefunden, frei von Urteil oder Erklärungsbedarf. Meine optimistische Präsenz reichte aus, um Freunde an mich glauben zu lassen.
Irgendwann reichte mir die Malerei nicht mehr.
Inzwischen hatte ich Dänemark für mich entdeckt. Das Ferienland meiner Kindheit; unendliche Weite, viel Zeit mit der geliebten Familie, Ferienhaus zwischen den Dünen nahe am Strand. Frei jeglicher Uhrzeiten, einfach nur ein Sommer, der nach Heidekraut und Meersalz roch und mir eine Freiheit schenkte, die für mich zum Maßstab wurde.
Nicht nur im Laufe der Zeit, sondern auch in dem bewussten Suchen nach einer inspirierenden Bleibe, in der ich nicht nur ungebremst malen konnte, sondern auch meine Skizzen zur großzügigen eigenen Ansicht auslegen konnte, fand ich irgendwann mein Traumhaus, das ich bis heute noch anmiete. Auch hierhin zog die Musik von Lightroom mit, die ich an manchen Abend nach meinen Malorgien laut aufdrehte und auf der Terrasse mit Blick auf das Meer zum kühlen Sauvignon genoss.
Dort kam ich auf einen für mich neuen Weg. Ich sammelte Treibhölzer am Strand, missbrauchte die Sauna als Trockenraum und plante Lichtobjekte. Die Malerei fing an mich zu langweilen, nicht zuletzt, weil die Qualität der Ausstellungen spürbar nachließ.
Nachdem selbst Discounter und Drogerien Leinwände samt Pinsel und Farben im günstigen Angebot hatten, war der Malboom nicht mehr zu bremsen. Und wer bis dahin noch äußerst seriöse Ausstellungen - und sei es nur zur Image-Erhaltung - in seinen Räumlichkeiten anbot, sah sich plötzlich den Nachfragen aus dem eigenen
Freundeskreis ausgeliefert.
„Meine Frau malt jetzt auch, meinste, da geht mal was??“ Klar ging was, wozu hat man soziale Verbindungen? Damals hieß es „Eine Hand wäscht die andere“. Heute nennt man es „win-win“. Besser wurde es dadurch nicht.
Ich war frustriert angesichts der vielen Bilder in den bislang gut sortierten Ausstellungsräumen, die außer dekorativ zu sein scheinbar keinen weiteren Anspruch verfolgten. Bilder, die nicht nur Malen-nach-Zahlen vermuten ließen, sondern deren naive Motive auch nicht ganz frei von einer gewissen Peinlichkeit waren. Nicht, dass meine Malerei rückblickend betrachtet frei von Peinlichkeiten war, aber in dieser Schublade wollte ich partout nicht landen.
Also ging mein Herz in der dreidimensionalen Darstellung auf. So überzeugt ich von meinen Lichtobjekten war, so stur sind auch heute noch die Richtlinien. Jedes Objekt musste von einem Elektriker als den Sicherheitsbestimmungen gemäß überprüft und abgenommen werden.
Dazu kam, dass auch meine Nachbarn wenig erfreut über die täglich andauernden Geräusche von Bohrmasche, Fräse oder Kettensäge aus meinem Keller waren.
Ich war gerade dabei, meine Objekte mit meiner kleinen Digitalkamera für einen Katalog auf meiner Website zu fotografieren, da kam schon die nächste und vorläufig endgültige Idee angeflogen.
Da ich meine Objekte in einem vielsagenden Hintergrund präsentieren wollte, den mein Keller beim besten Willen nicht hergeben wollte, entdeckte ich die Möglichkeit der Fotobearbeitung für mich. Die Software lud ich mir aus dem Internet runter, die Anleitung dazu lieh ich mir aus Kostengründen von der Stadtbibliothek.
Und täglich entdeckte ich neue Anwendungen und Möglichkeiten. Ich begriff, dass man aus diversen Fotografien ein neues Bild entstehen lassen konnte.
Das war der Moment, als all sich meine bisherigen Arbeiten in eine neue Idee einfügen ließen. Der Kreis zwischen Malerei und Fotografie schloss sich zu einem neuen Projekt: digitale Kunst.
Endlich meinen Stil gefunden, fehlte nur noch die entsprechende über Weißwein und Prosecco hinaus gehende Inspiration. Immer noch der Musik zugetan, lernte ich nebenbei auch noch das Saxofonspielen. Kaum erwähnenswert, in welcher Band ich mal spielen wollte ...
Nachdem ich beschlossen hatte, meinen blumigen Horizont zu erweitern, suchte ich nun auch noch Inspirationen in der Musik. Naja, machen doch viele, könnte man nun sagen. Nein, ich wollte sie verstehen. Wollte die Unterschiede zwischen Moll und Dur nicht nur begreifen, sondern auch in meinen Bildern umsetzen.
Inzwischen hatte sich auch die Musikindustrie verändert. Vinyl war out, CDs als Anschaffung fürs Leben waren angesagt. Obwohl ich dank des preiswertesten CD-Players, den es aufgrund eines vermeintlichen Havarie-Schadens wohl je gab, keinen hörbaren Unterschied ausmachen konnte, erkannte ich einen unschätzbaren anderen Vorteil.
Nachdem ich es bei meiner steten Suche nach Ausdruck und Inspiration dann irgendwann doch schon mal zu kurzweiligen Auftritten in der Männerwelt geschafft hatte, kam die Zeit der „Wir-ziehen-zusammen-Partnerschaften“.
Nicht zuletzt auch den klaren wirtschaftlichen Vorteil erkennend, stand ich vor einem anderen Problem; mein Musikgeschmack. Was ich bisher nur als beschwipste Partylaune glaubwürdig abgeliefert hatte, stand spätestens dann auf dem Prüfstand, als ich mit meiner Plattensammlung anrücken sollte.
Und ich war nicht nur begeistert, wie diskret sich die kleinen CDs unauffällig in einem Koffer verstauen ließen, sondern fühlte mich somit auch sicher, die Beziehung zumindest für die nächsten sechs Wochen aufrecht halten zu können.
Denn eines war klar; länger als sechs Wochen halte ich es ohne meine Musik, sprich: ohne meine Lieblingsband nicht aus.
Im Laufe der Jahre sollte ich diesem speziellen Problem genauso häufig begegnen, wie ich spätestens nach sechs Wochen in Liebeskummer schwelgte.
So viele Beziehungen, ob nun geglückt oder gescheitert, habe ich nicht vorzuweisen. Aber es war auch verdammt schwer einen Mann zu finden, der meinen Geschmack in puncto Musik versteht, geschweige denn kommentarlos hin nimmt. Und tolerieren reichte mir bei Weitem nicht.
Liebe ist ein halt verdammt weites Spektrum.
So blieb mir nur der Glaube an meine Lieblingsband. Sie müssen, werden, können es verstehen. Und worauf noch länger warten? Gut gefragt. Wie ein Alien, nicht nur dem Heimatplaneten längst überdrüssig, sondern auch ausgestattet mit einem verheißungsvollen Auftrag, suchte ich einen neuen Planeten. Es reichte einfach nicht mehr, nur die Musik zu hören, ich wollte mit der Band reden. Ach was, ich wollte mit ihnen philosophieren, diskutieren, die Welt neu erfinden.
Und jeder von uns hätte etwas davon. Musik und Bilder würden sich gegenseitig beflügeln. Win-win sozusagen. Wir würden gemeinsam in Talkshows sitzen, lachend und ungläubig kopfschüttelnd von unserem ersten Kennenlernen berichten, selbst erstaunt über die plötzlichen Erfolge sein ...
... kurzum, wir wären das lang ersehnte Dream-Team der Showbranche.
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