Читать книгу Solo mit Buddha - Liz Klindworth - Страница 4
Kapitel 2
Оглавление...Don`t you know, you fool, ain`t no chance to win Why not use your mentality – get up, wake up to reality... ( I`ve got you under my skin / Cole Porter )
Irgendwann reichten mir meine bunten Träume natürlich nicht mehr.
Was mir zur Erweiterung meiner Illusionen noch fehlte, war das Erlebnis eines Livekonzertes. Zusammen mit Lightroom im Licht stehen, ihnen ein Lächeln abzwingen, dass eine Gemeinschaft herauf beschwört, die mir in all meinen Träumen und Hoffnungen recht gibt.
Inzwischen waren sie nur noch bei alten Fernsehaufzeichnungen zu sehen, die ich schon auswendig mittanzen konnte. Oder gerne auch bei Musiksendungen der Privatsender unter dem Motto "Hitparade der schrillsten Partybands“. Und jeden A- bis C- Promi habe ich mir gemerkt, der auch nur ansatzweise ins Lästern über Lightroom verfiel.
Nach fast 20 Jahren Fandaseins sollte ich sie dann tatsächlich doch noch einmal wieder vereint auf einer Bühne erleben dürfen.
Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich die Konzertankündigung in der Zeitung sah und meine beste Freundin Sarah in Hamburg anrief:
„Mein Leben hat wieder einen Sinn!!“
Das Schweigen auf der anderen Seite des Hörers ließ Ratlosigkeit durchblicken. Vermutlich dachte sie an eine neue Cellulitiscreme oder an eine 10-Kilo in 6 Tagen-Diät.
"Ey, Du weißt schon – Lightroom!! Sie treten endlich wieder auf!“
"Ja, ja, okay, aber mal ganz ehrlich - ich komme nur in eine Stadt mit, wo mich keiner aus dem Publikum erkennt.“
Na bitte! Ich kaufte die Karten und verbrachte die bevorstehenden sechs Monate bis zum Konzert reichlich angespannt mit unvermeidlicher Kleider-
und Frisurenplanung. Als es dann endlich so weit war und wir nach einem fünfstündigen Aufenthalt vor dem Spiegel soweit waren, prosteten wir uns noch mit reichlich Sekt zu.
Schon vor der Halle standen zahlreiche Reisebusse, die unberechenbare Seniorenfanklubs versprachen. Im Foyer erwartete uns also nicht gerade ein trendig cooles Publikum, vielmehr eine muntere Schar von Ergrauten, die sich in praktischen Windjacken mit Tunnelzug vor einem Stand mit Fischbrötchen tummelten. Immerhin hatte sich der Standbesitzer die Mühe gemacht, als Slogan den vermeintlichen Shanty - Titel aus einer vergangenen CD liebevoll, aber leicht unleserlich auf Pappe zu sprühen.
Gleich daneben - und im ersten Moment traf mich fast der Schlag - stand die gesamte Band aus Pappe in Lebensgröße. Die vielen Spinnweben zwischen den Pappkameraden erzählten sentimental von längst vergangenen Tourneen.
So hatten wir auch gleich wieder einen Grund für weiteren Sektnachschub gefunden. Eines war uns auch klar; wir waren hier mit Mitte dreißig die Youngsters. Wenn das die Musiker nicht freuen wird; eine sichtbare Chance mehr.
Neben all der Aufregung schaukelte auch der Sekt schon bedenklich in meinem Hirn. Ein letzter Gang zum Klo vor dem bedeutsamen Klingelzeichen, dass die Show gleich beginnt, endete dann mit dem Vergessen meiner Handtasche. Okay, sie ist nun mal weg, aber ich bin hier. Was sind schon Hausschlüssel, Ausweis und Geld? Alles Dinge, die mich gefangen nehmen und vom wahren Künstlerleben abhalten. Dachte ich mir. Bis Sarah in Panik geriet, weil sich auch ihr Portemonnaie darin befand.
Gerade noch im letzten Moment eines Vortrages über Dummheit und Verantwortungslosigkeit konnte ich ihr ausreden, einen Ausruf quer durch die ganze Halle zu starten.
"Das Fräulein Liz K. bittet den Finder ihrer Handtasche, zuletzt auf einem der 54 Klos gesichtet, sich am Kartenverkauf zu melden!“
Was sollen denn die Leute denken? Wobei meine größte Angst der grinsend schenkelklopfenden Reaktion meiner Musiker galt. Aufgescheucht wie ein Huhn klapperte ich alle Toiletten noch einmal ab. Und da hing sie, direkt über der Klobrille. Voller Freude, doch nicht völlig versagt zu haben, stand ich auf einem der oberen Ränge und schwenkte meine Tasche im untergehenden Saallicht lauthals nach Sarah rufend, bis mich ein Saalwärter sanft aber bestimmt am Arm griff und fragte, ob er mir helfen dürfe. Immerhin fand ich auch meine mich rettende Platzkarte in der Tasche wieder.
Ein für mich weiteres gutes Omen, was mich genau in dem Moment atemlos auf meinen Sitz plumpsen ließ, als das Licht vollständig ausging und die grellbunten Scheinwerfer die Bühne anstrahlten. Sarah warf mir zwar einen tadelnden Blick zu, meinte aber äußerst großherzig: "Naja, nun entspann dich aber mal.“
Hinter transparenten Vorhängen sah man die einzelnen Musiker auf die Bühne kommen und ihre Position einnehmen. Das allein reichte aus, um mich vom Stuhl zu reißen und schon vor dem ersten Ton hingebungsvoll Standing Ovations zu bringen. Sarah riss mich zurück auf meinen Stuhl. Eine Fanfare erklang inmitten eines bunten wild blitzenden Lichtermeeres, die Vorhänge fielen, und mit einem regelrechten Paukenschlag samt nachfolgendem Gekreische einer E-Gitarre konnte die Party beginnen.
Die Musiker strahlten und nickten aufmunternd in die ersten Reihen. Was ihnen bis eben noch, geblendet von den Scheinwerfern, als amorphe Masse erschienen sein musste, verwandelte sich bereits beim dritten Lied in ein unkontrollierbares Gerenne und Geschubse Richtung Bühne.
Ausgerechnet ich, die sich immer voller Hemmungen bewusst im Hintergrund bewegt, fühlte mich nach all den heimlichen Abenden mit der Musik vom CD-Player als geübter Tourneehase und bahnte mir tänzelnd den Weg zum Bühnengraben, als wäre es der Altar eines anbetungswürdigen Popgottes.
Ein leichtes Spiel, als Youngsters wurde mir und meiner allerliebsten Sarah der Weg bis direkt vor die Bühne freigegeben. Offensichtlich genossen auch die Oldies es, dass wir uns hier lustvoll dem Rhythmus ihrer besten Jahre hingaben, was auch ihnen den lang ersehnten Hauch von jugendlichem Leichtsinn verlieh.
Selbstvergessen tanzte ich vor der Bühne, als mich der Blick von Ray traf. Er kam mit seiner Gitarre zum Bühnenrand, gemeinsam fanden wir eine Choreografie und nichts konnte mich mehr halten. Seinen herausfordernden Blick konnte ich vor verlegener Freude kaum ertragen. Von diesem Moment an war es mein erklärtes, aber unausgesprochenes Ziel. Ich wollte Ray.
Als Zielkoordinaten dienten noch immer nur sehr einseitig interpretierte Spekulationen aufgrund Informationen der Fanseiten, den von mir ausgewerteten Fotos („oh, hier wirkt er aber sehr glücklich mit seinen Tönen...“) oder den vermeintlich vielsagenden Titeln seiner Solo-CD.
Zwei Tage nach dem Konzertende schwelgte ich noch immer in dem bedrohlichen Gefühl, vielleicht doch eine Chance verpasst zu haben.
Da rief Sarah an: „ Überraschung!! Die Karten für das Konzert in Hamburg habe ich uns auch noch besorgt!“
Mein Kreischen vor Begeisterung und Dankbarkeit kannte keine Grenzen. Es war der Beginn einer kleinen intimen Fangemeinde, der kein Konzert zu weit war.
Wann immer wir die Band live erlebten, der Absturz danach war für mich am schlimmsten. Das schwarze Loch, die einsame Stille eines sterilen Hotelzimmers, wie Ray es später nannte. Nun gut, es war um mich herum weder still noch einsam, Sarah war ja bei mir, aber gelitten habe ich sehr. Um einen schonenden Übergang in die Normalität für meine überdrehte Psyche zu sichern, freundeten wir uns bei den nachfolgenden Konzerten in den Pausen am unvermeidlich Fischbrötchen-Stand mit den hemmungslosen und äußerst trinkfesten Hardcore-Fans an. Ähnlich einem Alkoholiker, dessen Saufdruck sich dem sozialen Abstieg hemmungslos hingibt. Hauptsache, das Fass läuft ...
Verwöhnt von der allseitigen Aufmerksamkeit der bisherigen norddeutschen Konzerte, schraubten sich meine Erwartungen in Hamburg schier in unermessliche Höhen. Allerdings war es nicht ich, sondern Sarah, die während der Show mit dem Bassisten Jan flirtete und sich mit ihm nach dem letzten Song per Handzeichen am Tourbus verabredete.
Bis ich begriff, dass ein Traum gerade wahr zu werden schien, beobachtete ich nur noch, wie der Bassist Ray etwas zurief. Ein durchaus unverhofft menschliches Zeichen – es gibt sie also wirklich.
Sie existieren, sie sind Menschen.
Nie hätte ich geahnt, dass es einen mir tatsächlich unbekannten geheimen Weg zum Tourbus gab, den bereits ganze Fangruppen vor uns anpeilten. Ein wenig peinlich war es uns schon. Verschwitzt vom Tanzen, Sektfahne inclusive, inmitten von juchzenden Fans zu stehen, die mit ihren aktuellen Programmheften und CDs wild in der Luft wedelten, um Autogramme zu erzwingen.
Wenn wir eines nicht wollten, dann aussehen wie Groupies. Wir waren keine Groupies. Ganz ehrlich. Schließlich wussten wir die Kunst eines jeden Einzelnen von der Band zu schätzen. Wir waren gerne bereit, uns mit ihren Biografien auseinanderzusetzen und an ihrem Leben direkt aus den Fanmagazinen teilzuhaben. Aber, es vor ihnen durchblicken zu lassen, das lag uns meilenweit fern. Dummerweise kamen diese Magazine größtenteils aus Holland. Wir verstanden kein Holländisch, aber wir fühlten ganz ergriffen, was sie uns mit ihren Bildern sagen wollten.
Während sich die Menge noch immer am Künstlerausgang tummelte, kam Jan, der Bassist, plötzlich und ganz verstohlen hinter dem Bus hervor. Zum ersten Mal musste ich feststellen, dass die Musiker im Original offensichtlich nicht ganz die erhoffte Körpergröße hatten, die der Blick aus dem Bühnengraben erhoffen lässt. Wir versteckten uns mit ihm zusammen zwischen den Tourbussen.
Ob wir noch Lust hätten, mit ins Hotel zu kommen. Ich wollte gerade befreit von allen Hemmungen „Jaaa!!“ schreien, mit den Fäusten in der Luft trommeln, als Sarah souverän ablehnte.
„Danke, ganz lieb, aber wir sind keine Groupies. Ihr ward echt super, aber ihr seid jetzt sicher auch froh, wieder unter Euch zu sein.“
Mein Verstand setzte aus. Wieso sagt sie das, sie will es doch auch?! Jan allerdings war nicht böse, nickte nur nachdenklich und sagte dann:
"Okay, das kann ich gut verstehen, obwohl es so echt nicht wäre. Aber wartet mal eben. Ich hole mir nur mal eben meine Jacke aus dem Bus.“
Es waren trotz 23 Uhr noch geschätzte 21 Grad, wozu eine Jacke? Mein Gedankengang war rückblickend betrachtet gar nicht so abwegig. Zwar kam Jan mit seiner Jacke zurück, aber heimlich hatte er Ray informiert, dass wir da seien.
Mit einer Dose Bier in der Hand kam plötzlich auch Ray auf uns zu. Etwas unbeholfen bot er uns einen Schluck aus seinem Dosenbier an, was wir mit dem höflichen Hinweis Weißweintrinker zu sein, ablehnten. Kaum da war er schon wieder verschwunden, um uns mit Pappbechern und einer Flasche Weißwein zu überraschen. Während der Unterhaltung, was sie denn nach der Tour so machen, schaute ich mir Ray verstohlen etwas genauer an.
Tweedjacke, Jeans, Brille, nicht gerade das zu erwartende Erscheinungsbild eines Rockstars.
Aber jeder Traum hat seine Grundlage, auf dem ich gerne und kritiklos aufbaue. Ich war schnell bereit einzusehen, dass ich ja eigentlich auch gar nichts mehr mit Rockmusik zu tun hatte. Fühlte mich gereift, wollte mich den üblichen Klischees nicht mehr anpassen ... mal ehrlich, es hat doch auch verdammt viel Stil, wenn ein ehemaliger Rockstar bereit ist, sich dem Ernst des Lebens zu stellen – so, wie ich eigentlich ja auch – und seine Innerstes nicht mehr durch ein geradezu peinliches Äußeres demonstrieren muss. Vielmehr, ach was, viel spannender, er verweigert den Einblick in seine Rockseele durch spießige Kleidung. Wow, mal wieder hatte ich in Ray meinen alten Helden erkannt.
Spätestens in dem Moment beschloss ich, auch nicht länger ein Rockgroupie zu sein. Viel mehr war mir an meiner Darstellung als gereifte Frau gelegen, die den musikalischen Hauch der Vergangenheit durchaus anerkennend und stilvoll mit dem heutigen Dasein zu verbinden weiß.
Aber dennoch hatte Rays Erscheinung Charme. Irgendwo zwischen britisch und hanseatisch, angekommen in einer Welt, deren Glamour er genau wie ich längst durchschaut hatte. Ich fühlte Einigkeit. Noch viel mehr als Einigkeit erkannte ich nicht nur, als er seinen Wohnsitz in Hamburg erwähnte, sondern auch noch vom Singledasein nach seiner Scheidung sprach. Ach. Single? Ja, dann...
Irgendwann fing es an zu nieseln und wir verabschiedeten uns in aller Unaufdringlichkeit mit dem großzügigen Austausch unserer E-Mail-Adressen und Rufnummern. Weinselig stolperte ich mit Sarah nach Hause. Da der Schlaf weit entfernt von mir war, machte ich wehmütig, aber nicht ganz hoffnungslos Pläne.
Schon am nächsten Morgen schickte ich Ray eine Mail, in der ich mich artig für den Wein bedankte und ihm viel Erfolg für den Rest der Tour wünschte. Was hätte ich ihm nicht noch alles schreiben können, geschweige denn anvertrauen und beichten wollen?! Woher auch ich immer die Disziplin der Contenance nahm, es muss ein ziemlich lichter Moment gewesen sein.
Die Antwort kam bereits einige Stunden später. Ob ich Lust hätte, dass wir uns nach der Tour einmal treffen. Klar, ich hatte nicht nur Lust, ich hatte eine ganz klare Absicht.
Die Tour war eine Woche später beendet, meine Geduld schon einige Tage zuvor.
Um nicht doch noch in Vergessenheit zu geraten,
schrieb ich ihm eine belanglose Mail, dass ich gerade bei mir am See sitze und seine Musik höre.
Wie banal ... wie viele Musiker bekommen wohl täglich Hunderte von Mails, in denen die Mädels beschreiben, wo und unter welchen romantischen oder sentimentalen Umständen sie gerade seine Musik hören. Und nicht zuletzt von ihm träumen.
Von Träumen erwähnte ich nichts. Immerhin hatte ich längst beschlossen, dass meine Träume nicht erwähnens-, sondern lebenswert sein sollten.
Rückblickend stellt sich mir heute die Frage, wie viel Musiker sich nicht gerne genau diese banalen Botschaften gewünscht hätten.
Die Mails von Ray waren allesamt sehr witzig und offenherzig. Von seiner Musik schrieb er, als wäre es eine Geliebte, die es immer wieder von Neuem zu erobern galt. Ich war hingerissen, interpretierte seine Worte zu meinen Gunsten und fühlte mich ihm so nah, als hätten sich unsere suchenden Seelen längst miteinander verbunden. Seufz.
So ergab sich ein Wechsel von E-Mails, der seinen Höhepunkt in Rays Bericht von seinem Urlaub an der Ostsee fand.
"Ich will auch ans Meer!", schrieb ich ihm.
"Dann lass uns gemeinsam hinfahren!“ kam zurück.
Wenn ich heute darüber nachdenke, wundere ich mich, dass nicht einer von uns beiden auf die Idee kam, mal zum Telefon zu greifen. Aber vielleicht hätte das auch nur alles unnötig verkompliziert.
Wir gingen per email direkt in die Reiseplanung über, als wäre es ein ganz normaler Ausflug, den man mal eben mit langjährigen Freunden plant.
Dennoch hatte ich vom ersten Moment an Lampenfieber. Ich wusste nicht, wie er mir besser gefiel. Ob im geschriebenen Wort, das mir das Gefühl von Verständnis, Interesse und Offenheit vermittelte, oder doch als Mann zum Anfassen.
Seine Worte und Gedanken gefielen mir, aber der Gedanke daran, ihm gegenüberzusitzen, löste leichte Hemmungen in mir aus.
So langsam musste ich mir eingestehen, dass ich mich ihm gegenüber mit der Beschreibung von meinem Sein und Tun doch etwas weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Ich wollte gefallen.
Fand dies auch nicht schlimm, für mich gehörte auch diese Herausforderung zur gern ausgelebten Kreativität.
Langsam wurde mir klar, dass das geschriebene Wort nicht unbedingt etwas mit Authentizität zu tun haben muss. Und wenn ich in Ray meine zukünftige Inspiration sah, dann wären Offenheit und Ehrlichkeit zwar durchaus angebracht, aber Klappern gehört auch zum Handwerk.
Schwer und nur über ganz viele Gedankenkurven hinweg stellte ich fest, dass ich mich ohnehin im Laufe der letzten Jahre selbst zum Kunstobjekt verklärt hatte. Stellte mich dar, bot Fläche zur Interpretation, immer darauf bedacht zu gefallen ... und schwieg.Es bot mir Schutz, ich musste mich nicht preisgeben. Ohne meine klaren Vorgaben fühlte sich jeder in seinen eigenen Gedanken verstanden. Ein beliebiges und austauschbares Objekt.
Das war ich wohl. Und das sollte ich jetzt mal eben aufgeben? Wie geht das denn ...?
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