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Ein letzter Gruß

Nach der Beerdigung, und nachdem alle Gäste die trauernde Familie alleine gelassen hatte, nahm Susanne ihre Mutter für einen Moment zur Seite und sagte: „Mama, Papa ist nun von seinem Leiden erlöst und hat die Schmerzen hinter sich gelassen. Und auch du musst in den nächsten Wochen und Monaten ins Leben zurückfinden. Das wird schwer für dich werden, das weiß ich, aber Florian und ich werden dich auch weiterhin unterstützen. So gut wir es können.“ Sie hielt kurz in ihrer Rede inne, bevor sie mit Tränen in der Stimme weitersprach: „Ich habe Papa ein Versprechen gegeben. Euer großer Traum war ja immer eine wunderschöne Reise nach Italien. Eigentlich hatte er eine solche vor seiner Pensionierung für euch auch schon gebucht. Dann aber kam die Krankheit und ich musste sie damals für ihn im Reisebüro stornieren. Ich habe das nur schweren Herzens getan, aber Papa wollte nicht so krank, wie er war, mit dir nach Italien reisen. Das Risiko war ihm zu hoch, zumal ihm die Ärzte kurz zuvor gesagt hatte, er solle seine Kräfte für die bevorstehenden Therapien schonen. Damals hat er noch gedacht, ihr würdet gemeinsam die Reise irgendwann nachholen, wenn er erst wieder gesund wäre. Doch als er dann vor einigen Wochen sah, dass es keine Heilung mehr für ihn gab, da hat er mich gebeten, für dich nach seiner Beerdigung eine schöne, unvergessliche Reise in das Land eurer Träume zu organisieren. ... Und das habe ich getan.“ Susanne hielt plötzlich einen großen Umschlag in der Hand, der Hella zuvor schon auf der Kommode im Flur aufgefallen war.

„Ich habe für dich über ein Dortmunder Reiseunternehmen, das Reisen für Trauernde anbietet, einen 14-tägigen Urlaub in Rimini gebucht.“ Susanne lächelte ihre Mutter aufmunternd an. „Keine Sorge, du musst nicht gleich morgen fahren. Du hast alle Zeit der Welt, dich auf diese Reise vorzubereiten, denn ihr fahrt erst in acht Wochen los. Das Hotel liegt in unmittelbarer Nähe zum Strand und die Reisegruppe wird aus etwa 20 Personen bestehen. Das hat mir das Reisebüro vorgestern noch einmal auf telefonische Nachfrage hin bestätigt.“

„Kind, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, entgegnete Hella, die mit allem, aber nicht mit einer solchen Überraschung gerechnet hatte. „Ich kann doch nicht ohne Papa nach Italien ...“

„... doch, kannst du“, unterbrach ihre Tochter sanft. „Es war Papas ausdrücklicher Wunsch, dass du genau diese Fahrt machst. Papa hat sich lange mit der Dame vom Reisebüro am Telefon über das Angebot unterhalten und war nach diesem Gespräch fest davon überzeugt, dass du daran teilnehmen sollst, wenn er von uns gegangen ist.“

„Aber wie kann es sein, dass ich weder etwas von dem Telefonat noch von der Reise mitbekommen habe, ich war doch immer an seiner Seite?“

„Erinnerst du dich, vor vier Monaten, als Papa aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen ist, da warst du einen ganzen Nachmittag mal nicht da.“

„Stimmt“, fiel es Hella ein. „Das war, als Röschen mich zu ihrem 70. Geburtstag eingeladen hatte, und ihr alle, Papa eingeschlossen, darauf bestanden habt, dass ich zu ihr gehe.“

„Und genau an diesem Tag fühlte sich Papa stark genug, selbst die ersten Schritte für deine Reise einzuleiten. Ich habe dann später alles Weitere organisiert.“

Susanne schaute ihre Mutter nachdenklich an. „Für dich soll diese Reise ein kleiner Neuanfang werden und dich zugleich auch an die Vergangenheit erinnern. Papa hat mir gesagt, dass er auf keinen Fall möchte, dass du dich hier zu Hause nach seinem Tod in deiner Trauer um ihn verkriechst. Du hättest die letzten Jahre schon so viel auf dich genommen für ihn und auf so vieles verzichten müssen ...“

„Aber das war doch selbstverständlich“, fiel dieses Mal Hella ihrer Tochter ins Wort. „Das waren doch keine Mühen für mich. Papa und ich haben uns doch einmal geschworen, dass wir in guten und in schlechten Tagen füreinander da sind. Wir hatten viele wunderschöne gemeinsame Jahre, für die ich ewig dankbar sein werde. Und selbst in den letzten drei Jahren hatten wir noch den ein oder anderen guten Tag, trotz seiner Krankheit.“

„Das weiß ich doch, Mama. Papa wollte aber ganz bewusst, dass du nach seinem Tod den Weg zurück ins Leben findest. Du sollst die Jahre, die dir noch bleiben, genießen können. Er gönnt dir diese Freude und dieses Glück von ganzem Herzen. Genau das soll ich dir sagen. Das ist seine Botschaft für dich: Er möchte, dass du wieder lachen kannst und glücklich bist. Und deshalb hat er mit mir zusammen diese Reise organisiert. Sie ist sein letzter Gruß an dich, den ich dir in seinem Namen an Tag seiner Beerdigung überbringen soll.“

Diese Worte bewegten Hella so sehr, dass sie in Tränen ausbrach. Natürlich hatte auch sie immer wieder mit Herbert über das Sterben und den Tod gesprochen, dass er dies aber auch so intensiv mit Susanne getan hatte, das hatte sie nicht gewusst und auch nicht mitbekommen. So waren ihr die Worte der Tochter nun umso mehr Trost in der schweren Stunde des Abschiednehmens.

Eine Weile blickten sich Mutter und Tochter nur still an. Dann reichte Susanne ihrer Mutter den Umschlag. „In acht Wochen geht die Reise los. Das Busunternehmen fährt von Dortmund aus verschiedene Stationen im Ruhrgebiet an, um alle Reisenden einzusammeln. Am Hammer Busbahnhof geht es für dich los. Florian und ich werden dich natürlich an diesem Tag verabschieden.“

Unzählige Tränen kullerten Hella bei diesen Worten über die Wangen. Sie nahm ihre Tochter fest in den Arm. „Vielen Dank, dir und Papa. Ich verspreche euch, dass ich das Beste aus Papas letztem Gruß machen werden.“

***

Die acht Wochen bis zum Reiseantritt vergingen wie im Flug. Hella hatte sich natürlich über das Reiseunternehmen und die Trauerreise selbst informiert. Das Unternehmen veranstaltete diese Reisen schon seit einigen Jahren. Nicht zuletzt, um Hinterbliebenen eine Möglichkeit zum Gespräch zu bieten, denn auf jede Reise war ein ausgebildeter Trauerbegleiter mit von der Partie. Doch auch die Freude und das gemeinsame Miteinander sollten in den Tagen in Italien nicht zu kurz kommen.

Je nachdem, in welche Stadt oder Region die Reise führte, standen zudem kulturelle Veranstaltungen, Restaurantbesuche und Wanderungen auf dem Programm. Florian hatte ihr auf seinem Laptop die Internetseite des Unternehmens geöffnet, die Hella intensiv studiert hatte. Dort war vermerkt gewesen, dass sowohl das Lachen als auch das Weinen Teil der Reise sein würden und sich jeder nur so in das Miteinander einbringen solle, wie es dem Stand seiner Trauerphase entsprach.

Vieles von dem, was Hella im Internet gelesen hatte, war ihr bis dato fremd gewesen. Sie hatte noch zuvor nie etwas von Trauerreisen gehört und auch das Wort Trauerphase war ihr in ihrem Alltag bis dato nicht begegnet. Umso gespannter war sie auf all das, was ihr in Italien das erste Mal begegnen würde.

Den Reiseunterlagen, die Susanne ihrer Mutter an Tag der Beerdigung übergeben hatte, lag auch eine ausführliche Broschüre für die Reise nach Rimini bei. Demnach standen ausgedehnte Strandspaziergänge auf dem Programm, ein Besuch Venedigs und wer mochte, konnte auch einen Besuch auf der Kinderbuchmesse in Bologna einplanen.

„Das wäre doch etwas für mich“, hatte Hella gleich überlegt, als sie von dieser Messe gelesen hatte. Sie hatte in den vielen Tagen, in denen sie am Krankenbett ihres Mannes gewacht hatte, angefangen, Kurzgeschichten und Märchen zu schreiben, die sie in einer großen Kladde sammelte. Und in dieser Kladde hatten sich tatsächlich in den drei Jahren viele kurze und auch längere Geschichten zusammengefunden.

Susanne hatte die Mutter schon mehrfach darin bestärkt, diese einmal einem Verlag zuzusenden. Doch diesen Mut hatte Hella bislang nicht gefunden. „Ich bin doch nur eine Hausfrau, die ein wenig ins Land der Fantasie reist“, hatte sie einmal zu Susanne gesagt. „Die Geschichten taugen für mich zur Unterhaltung, aber doch nicht für die Öffentlichkeit!“

Susanne hatte das natürlich anders gesehen, ihre Mutter aber zu nichts drängen wollen. Als Hella ihr aber kurz vor Reiseantritt erzählte, dass sie sich gut vorstellen könne, mal zu dieser Kinderbuchmesse nach Bologna zu fahren, da hatte Susanne geschmunzelt und die Mutter in diesem Vorhaben nur bestärkt.

Zärtliche Stunden in Rimini - Un Amore Italiano

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