Читать книгу Eva langt zu - Liza Cody - Страница 5
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ОглавлениеSaukomisch. Zum Totlachen. Ich sitze mit einer Thermosflasche Tee in einem Lieferwagen und bewache einen Parkplatz. Ich – die größte noch lebende Autoausborgerin aller Zeiten. Bei den ganzen schnieken Bonzenspielzeugen ist nicht eins dabei, das ich mir nicht unter den Nagel reißen könnte. Bevor Sie »Eva ist ein Genie« sagen könnten, hätte ich die Kiste offen, knicksknacks, und wäre damit abgedüst, wrumm-wrumm.
Aber was mache ich? Ich bewache die Teile! Ich nuckel an meinem Tee und sage: »Tschüs, du fetter, reicher Saftsack. Flieg schön nach Amerika, scheffel noch ein paar Millionen. Ist mir doch egal. Flieg nur mit deiner Alten und den lieben Kinderlein nach Disneyland, schmeiß ruhig deine sauer verdiente Kohle für die verzogenen Hosenscheißer zum Fenster raus. Das kümmert mich einen feuchten Dreck. Und mach dir keine Sorgen. Die gute Eva sorgt schon dafür, dass deinem Mercedes keiner was tut, bis du wiederkommst, mit Sonnenbrand auf der Nase und Schnapstüten in der Hand.«
Der Parkplatz, den ich bewache, ist nämlich privat, für die Typen mit Drittwagen, goldenen Kreditkarten und Platinuhren, denen keiner an den Karren fahren kann. Sie kriegen einen Rundumservice, alles im Preis inbegriffen. Die brauchen nicht am Flughafen zu parken und mit dem Pöbel in den Bus zu steigen. Das haben die nicht nötig. Die werden von London aus ganz nobel zu einer First-Class-Lounge am Terminal ihrer Wahl kutschiert. Und auf der ganzen Strecke werden sie von vorne bis hinten bedient. Bitte sehr, Sir. Jawohl, Sir.
Nein danke, Sir. Dafür ist Eva Wylie nicht auf Gottes schöner Welt, dass sie irgendwelchen reichen Ärschen in den Hintern kriecht. Dafür ist sie normalerweise nicht zu haben, nur wenn sie eine Pechsträhne hat. Wer Pech hat, muss kriechen. Wer nicht kriecht, kriegt keinen Kies. Ohne Kies, kein Glück. Ein Teufelskreis aus Stacheldraht. Damit die, die nichts haben, schön kuschen und zu denen, die alles haben, immer schön »Sir« sagen.
Aber Sie brauchen gar nicht zu lachen. Der Mensch muss schließlich überleben. Und wo ich herkomme, ist Überleben ein anständiger Beruf. Ich bin groß und stark. Ich muss essen. Ich habe drei Hunde, die sind auch groß und stark, die wollen auch fressen. Wer soll uns durchfüttern? Sie vielleicht? Dass ich nicht lache. Das letzte Mal, als ich umsonst was zu essen gekriegt habe, war ich im Knast, und so viel ist mir ein geschenktes Essen auch wieder nicht wert, das können Sie mir glauben.
Kein schöner Gedanke.
Also hörte ich auf zu denken und sagte: »Komm mit, Milo, wir gehen uns die Beine vertreten.« Und ich machte die Tür des Lieferwagens auf.
Milo ist mein dritter Hund, mein Jüngster. Ich habe ihn mit der Flasche aufgezogen. Ich weiß, Eigenlob stinkt, aber ich muss trotzdem sagen, dass er sich zu einem richtigen Untier entwickelt hat. Ein Kopf wie ein Stier und Füße wie ein Kamel. Dabei ist er noch nicht mal ganz ausgewachsen.
Er kam aus seinem unruhigen Schlaf hoch und machte: »Hörf?«
»Klappe«, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schnauze. Ich bringe ihm nämlich bei, nur Laut zu geben, wenn es darauf ankommt. Man kann keinen Wachhund gebrauchen, der ohne guten Grund loskläfft. Außerdem war er noch gar nicht richtig im Stimmbruch. Manchmal ist es echt zum Schießen, wenn er »Hip-hörf« macht und dann selber ganz verdattert aus der Wäsche guckt. Aber ich darf nicht lachen. Wenn ich lache, meint er, ich wäre ein Weichei. Was ich nicht bin. Ich bin der Boss. Das darf er nicht vergessen.
»Platz!«, sagte ich und ging ein paar Schritte weg. Ich richte ihn zurzeit auch aufs Sitzenbleiben ab. Er soll nicht wie ein Schoßhündchen hinter mir herlaufen. Ein Wachhund ist kein Schmusetier, was Milo aber noch nicht ganz kapiert hat.
Ich versteckte mich zwischen Audis, BMWs, Rovers und anderen blankgewienerten Autos, wo ich ihn zwar noch sehen konnte, aber er mich nicht.
»Ramses!«, rief ich. »Lineker!«
Milo machte sich ganz lang, als ob er angeleint wäre. Aber er kam nicht. Ich war richtig happy. Er soll nur auf seinen eigenen Namen hören. Aber ich hatte meine beiden anderen Hunde gerufen. Und die konnten nicht kommen, weil sie nicht da waren. Sie waren zu Hause und bewachten den Schrottplatz, wo wir wohnen.
Ich war sehr zufrieden, weil Milo nicht nur seinen Namen gelernt hatte, sondern auch wusste, wie die beiden anderen Hunde hießen.
Ich ging noch ein Stück weiter, dann rief ich: »Milo!«
»Hörf-hip!«, tönte er. Blödes Hundebaby. Er kam in großen Sätzen auf mich zugesprungen und prallte voll gegen meine Oberschenkel.
»Klappe«, sagte ich. »Platz.«
»Hörf?«, sagte er. Aber er setzte sich hin und grinste von einem Ohr zum anderen, als ob er gerade einen tollen Witz erzählt hätte.
»Klappe, du Waschlappen«, sagte ich. Ich gab ihm trotzdem einen halben Hundekuchen, weil er seine Sache gut gemacht hatte, auch wenn er zu gesprächig war.
Ich nahm ihn links neben mich bei Fuß. Wir gingen die Luxusschlitten ab und sahen nach, ob auch noch alle Radkappen, Telefone und Kassettenrecorder da waren.
Angeblich ist der Parkplatz nämlich diebstahlsicher, aber so sicher, wie die Besitzer behaupten, ist er noch lange nicht. Weil in der letzten Zeit ein paar von den teuren Wagen aufgebrochen worden waren, mussten Milo und ich die Nacht im Lieferwagen verbringen. So leicht findet sich keiner, der für diesen Aufpasserjob besser taugt als ich. Was ich über Autodiebstahl nicht weiß, passt in das Nasenloch eines Flohs. Das können Sie mir ruhig glauben.
Es war kalt, und es war dunkel. London schnarchte – wie immer. Das Licht aus meiner Taschenlampe tanzte vor uns her, und Milo sah mit seinem dampfenden Atem wie ein Drache aus.
Nur Milo und ich mussten arbeiten und uns im Freien die Nacht um die Ohren schlagen. Ich und Milo. Milo und ich. Alle anderen hatten sich ins Warme verkrochen, lagen eingemummelt in ihren verschwitzten Betten, schnarchten und furzten gemütlich vor sich hin. Sie brauchten sich keine Sorgen zu machen, denn sie hatten ja die gute alte Eva, die ihren Familienferrari bewachte.
Lachen Sie ruhig, das stört mich nicht. Aber vor einem Jahr hätten Sie nicht gelacht, dafür hätten Sie viel zu viel Respekt vor mir gehabt. Weil ich vor einem Jahr noch die Londoner Killerqueen war. Eine berühmte Catcherin. Ich bin in ganz Südengland aufgetreten. Ich war der kommende Star. Die Londoner Killerqueen, die größte, stärkste, härteste Catcherin in der ganzen Szene.
Und dann das Ende. Man hat mich abgesägt. Aber das ist eine andere Geschichte, und ich will nicht mehr daran denken.
Nur so viel will ich Ihnen verraten: Es war nicht meine Schuld. Es war die Schuld der anderen Ärsche, aber ich musste dafür bezahlen. Immer dasselbe Lied.
Wenn ich vor einem Jahr in eine Halle marschiert kam, hat das Publikum meinen Namen gerufen: »Eva, Eva, Killerqueen, Killerqueen!« Die Leute kreischten und brüllten. Sie buhten und zischten und tobten. Man konnte mich nicht ignorieren. Das konnte keiner, kein Mensch. Weil ich jemand war. Weil mein Name auf dem Plakat stand. Ich hatte Geld in der Tasche und mein Bild im Programmheft.
Aber das war voriges Jahr. Jetzt bin ich ein Niemand. Jetzt stapfe ich mit den Händen in den Ärmeln im kalten Mondlicht auf einem Parkplatz herum, und der Einzige, der sich darum kümmert, ob ich tot oder lebendig bin, ist Milo.
Braucht man sich da noch zu wundern, dass die Feindin die Situation eiskalt ausgenutzt hatte? Es gibt solche Leute. Sie warten, bis du am Boden liegst, und dann trampeln sie mit ihren genagelten Stiefeln auf dir rum. Sie sagen: »Hast du diese Woche schon etwas vor, Eva?« Wenn sie ganz genau wissen, dass du höchstens zu Hause sitzen und Däumchen drehen kannst, weil keiner mehr was mit dir zu tun haben will.
Auf genau die Tour war mir die Feindin gekommen. Sie sagte: »Wenn du keine anderen Pläne hast, hätte ich einen Auftrag für dich.«
Andere Pläne, dass ich nicht lache! Als ob sie nicht wüsste, dass ich nichts vorhabe. Als ob ich einfach sagen könnte: »Verpiss dich, Frettchengesicht. Such dir einen anderen Idioten.« Was ich ihr am liebsten antworten würde.
Meinen Sie etwa, ich hätte Lust, die ganze Nacht Rovers und Rolls-Royce zu bewachen? Sie sind wohl unterbelichtet. Ich? Die Londoner Killerqueen? Die ehemalige Londoner Killerqueen. Ich doch nicht. Nein, ich habe was Besseres verdient.
Mir ist nichts in den Schoß gefallen. Ich habe selber was aus mir gemacht. Und ich musste schwer genug dafür ackern.
Aber jetzt bin ich wieder da, wo ich mal angefangen habe. Ganz unten. Und die Feindin nützt das aus. Sie lässt mich bei den Bonzenautos Kindermädchen spielen und meint auch noch, ich müsste ihr dafür dankbar sein. Irrtum, Gnädigste!
»Lass die Finger vom Bier«, sagt sie. Was geht sie das überhaupt an, ob ich was trinke? »Bleib wach«, sagt sie. Mach dies, mach das. Immer nur Befehle.
Falls Sie es noch nicht wissen, die Feindin, das ist die allwissende Anna Lee von der Agentur Lee-Schiller Security. Sie ist eine Bullentante, eine echte Landplage. Aber sie hat Kohle und ich nicht. Deshalb kann sie bestimmen, wo es langgeht. Sie kriecht in ihr warmes Bettchen, während ich in der Eiseskälte die Drecksarbeit für sie erledigen muss. Alles eine Frage der Moneten. Wer Geld hat, kann sich ins Fäustchen lachen. Wer keines hat, muss springen.
Wer welches hat, kann sagen: »Es würde dir mal wieder guttun, Eva. Du hast überhaupt keine Kondition mehr.«
Und ich darf ihr bloß in Gedanken antworten: »Hast du was gesagt? Oder nur an einem Backstein geknabbert? Ich will nichts davon hören.« Aber ich muss so tun, als ob sie was Vernünftiges von sich gibt, weil sie die Kohle hat und ich nicht.
Es ist eine dunkle, kalte Nacht auf diesem Parkplatz für Managerspielzeug. Genauso dunkel und kalt wie in meinem Herzen.
»Hörf?«, sagte Milo. Ich haute ihm eine runter, dass ihm die Tränen kamen.
»Hip!«, sagte er, als ob ich der gemeinste Mensch der Welt wäre. Was ich nicht bin.
Auf der Welt laufen noch viel gemeinere Typen rum als ich. Mindestens sechs Zillionen.
»Du glaubst, ich bin fies?«, sagte ich zu Milo. »Ich meine es nur gut mit dir. Wenn ich dich so viel reden lasse, wie du willst, wird nie ein guter Wachhund aus dir. Dann bist du arbeitslos und hast keinen, der dich füttert und aufpasst, dass Ramses und Lineker dir nicht in den Schwanz beißen.«
Milo blinzelte die Tränen weg und trottete weiter.
»Willst du wissen, wer wirklich ein Fiesling ist?«, fragte ich. »Ich kann dir einen zeigen. Ich zeige dir Mr. Deeds.«
Milo erinnert sich nicht mehr daran, weil er damals noch zu klein war, aber Mr. Deeds, Mr. Drecksack Deeds, war derjenige, der mir mein Leben kaputtgemacht hat. Mr. Deeds von Deeds Promotions hat zu mir gesagt: »Du bist draußen. Du bist gesperrt. Komm mir nie wieder unter die Augen mit deiner hässlichen Visage. Nie wieder. Du bist erledigt. Du steigst nie mehr für mich in den Ring.«
Ja, das hat er gesagt. Zu mir! Nachdem ich ihm eine volle Halle beschert hatte. Obwohl das Publikum außer Rand und Band gewesen war. Die Leute hatten geschrien und getobt und wollten ein Autogramm von mir.
»Ich verspreche dir, das war dein letzter Kampf«, sagte er.
Das Versprechen hat er gehalten.
Ich stehe auf der schwarzen Liste. Ich bin seitdem nicht mehr aufgetreten.
Wenn Sie einen Fiesling suchen, nehmen Sie Mr. Drecksack Deeds. Den können Sie umsonst haben. Er hat mir einen Tritt in den Hintern gegeben und mir die Tür vor der Nase zugeknallt. Jetzt kann ich nicht mehr rein in die Welt, die ich mir selber aufgebaut habe. Ich kann nicht mehr zurück ins Scheinwerferlicht und in den kochenden Ring. Kein Applaus mehr für mich, kein Aah und Uuh. Kein Keuchen und Ächzen, kein dumpfes Klatschen, wenn meine Gegnerin auf die Matte knallt. Kein Ringrichter, der zählt: Eins, zwei, drei.
Diese Welt gibt es noch. Irgendwo. Aber ich darf nicht mehr rein. Ich habe sie verloren. Und ohne diese Welt bin ich verloren. Wie soll ich reich und berühmt werden, wenn ich nicht mehr die Londoner Killerqueen sein darf? Können Sie mir das vielleicht verraten?
Milo drückte mir die Schnauze in die Hand, und ich erlaubte es ihm. Er hat ja nur mich. Er war eine mutterlose nackte Krabbe, noch keine Woche alt, als ich ihn fand. Ich habe ihn mir unter den Pullover gesteckt, um ihn zu wärmen, und ihn mit nach Hause genommen. Seitdem bin ich Mum und Dad für ihn. Ich habe ihn mit teurer Welpennahrung gefüttert und ihn so oft vor Ramses und Lineker beschützt, dass ich es nicht mehr zählen kann. Und warum? Weil ich ein weiches Herz habe. Darum. Es kann noch ewig dauern, bis er sich sein Futter selber verdienen kann, und bis dahin frisst er mir die Haare vom Kopf und kostet mich Zeit und Nerven. Ich kann ihm nur raten, sich zum besten Wachhund aller Zeiten zu mausern. Wenn nicht, ziehe ich ihm das Fell über die Ohren und mache mir aus seinem nutzlosen Pelz eine Weste.
»Hast du gehört?«, sagte ich. »Eine Weste. Also streng dich ein bisschen an.«
»Hip?«, sagte er. Aber weil er es leise sagte, ließ ich es ihm noch mal durchgehen. Wie schon gesagt, ich habe ein weiches Herz. Mein Hund redet zu viel, aber ich beklage mich nicht.
Ich muss Ihnen was erzählen. Letzte Woche war ich in einem Parkhaus für ganz normale arme Leute. Was ich da zu suchen hatte, braucht Sie nicht zu kümmern. Es war jedenfalls schon spät, und es war kalt, und ich hatte keine Lust, zu Fuß nach Hause zu gehen. Plötzlich stand jedenfalls mutterseelenallein ein kleiner roter Vauxhall Astra vor mir. Sicher hatte der Besitzer ein Taxi genommen, weil er zu viel getrunken hatte. Und wer sich einen Rausch und ein Taxi leisten konnte, würde es mir sicher nicht krummnehmen, wenn ich ein Stück mit seinem Wagen spazieren fuhr. Also habe ich mir den Astra geborgt.
Meistens borge ich mir die Karren wirklich nur aus. Sie können Ihre Stereoanlage behalten, ich will Ihren Mantel, Ihren Schirm, Ihre Tasche oder Ihren Aktenkoffer nicht haben. Ich bin keine Diebin. Und ich mache auch nichts kaputt – nur wenn es nicht anders geht. Wenn ich den Wagen hinterher irgendwo stehen lasse, ist er sauberer als vorher. Ein geborgtes Auto muss man gründlich putzen.
Zuerst war alles wie immer. Ich hatte den Astra ruck, zuck geknackt und gestartet, ohne die Lenkung zu ruinieren. Der Besitzer hatte wohl noch nie was von einer Wegfahrsperre gehört. Aber dann passierte es. Es steckte noch eine Kassette im Recorder, als ich den Motor anließ. Und wissen Sie, was mir da aus den Boxen entgegenknallte? Wobei sich mir die Nackenhaare sträubten? Es war meine Musik. Mein Lied. Satisfaction.
Das ist mein Song. Ehrlich.
Zumindest ist es meine Musik gewesen, als ich noch im Ring stand. Nein, eigentlich schon vorher, vor meinem Auftritt. Sie dröhnte mir nicht nur in den Ohren, ich hatte sie in den Fußsohlen, in der Magengrube. Ba-ba ba-ba-baa da bad’n bad’n. Genau so. Dann bin ich knurrend und brüllend in die Halle gestürmt, wie ein wildes Tier. Und das Publikum hat sich nach mir umgedreht und zurückgebrüllt.
Sie gehört mir, diese Musik.
Jedenfalls hat sie mir mal gehört.
Aber wissen Sie, was das Komische ist? Ich hatte das Lied bis dahin nie gehört. Ich kannte bloß die Stelle mit dem Ba-ba baba-baa da bad’n, bad’n, weil die Tonleute sie so lange gespielt haben, bis ich im Ring war. Den Text haben sie weggelassen. Ich dachte nie, dass ich den noch mal irgendwann zu hören kriege. Ich stehe nämlich nur auf Heavy Metal, alles andere ist für mich keine Musik. Mr. Deeds hat mir das Stück ausgesucht, und er ist ein alter Knacker, der keinen Geschmack hat. Die falsche Generation eben.
Sie müssen sich das mal vorstellen. Ich friere mir in einem Parkhaus den Arsch ab und will nichts wie nach Hause, als plötzlich mein Ba-ba ba-ba-baa da bad’n bad’n aus den Boxen kommt. Das war vielleicht ein Schreck. Ich war total geplättet. Es war wie ein Zeichen. Ein Zeichen aus der Hölle.
Eigentlich hätte ich sofort abschalten müssen, weil man nicht mit einer Million Mega-Dezibel durch die Gegend fahren will, wenn man in einem geborgten Astra sitzt. So was mache ich nicht. Sie vielleicht? Höchstens, wenn Sie unterbelichtet sind. Trotzdem habe ich es nicht ausgedreht. Ich konnte den richtigen Knopf nicht schnell genug finden. Und als ich ihn dann doch noch gefunden hatte, wollte ich die Musik einfach nicht mehr ausmachen. Und wissen Sie, warum? Weil mir plötzlich klar wurde, dass es in dem Lied gar nicht um »Satisfaction« geht, was ja wohl so viel wie Befriedigung heißt, sondern um Frust.
Das war mal wieder ein Beweis dafür, was für ein Blindgänger Mr. Drecksack Deeds ist. Sucht mir ein Lied aus, das Satisfaction heißt und nur von Frust handelt. Voll von Wut und Verbitterung. Genau wie ich. Also hörte ich es mir erst mal zu Ende an.
Als ich den Wagen später abgestellt habe, habe ich die Kassette mitgenommen. Womöglich war ja noch ein Zeichen aus der Hölle für mich drauf.
Und ich habe tatsächlich noch eines gefunden. Echt wahr. Das Lied heißt Jumpin’ Jack Flash, und darin geht es nur um mich. Nur dass ich nicht der Jack bin. Ich bin Eva.
Jack und Eva haben beide einen Drachen als Mutter. Wir sind beide verprügelt worden. Wir sind kaputt und am Ende.
Aber wir kommen schon wieder auf die Beine.
Eva rappelt sich auf jeden Fall wieder hoch. Was geht mich der Jack an? Immerhin jammert und weint er nicht. Er schreit und tobt, aber er lässt sich nicht unterkriegen. Genau wie ich.
»Hörf«, sagte Milo.
»Klappe«, sagte ich.
»Eva«, sagte Anna Lee.
»Scheiße«, sagte ich. »Was soll denn das, dass Sie sich so ranschleichen?«
»Wieso schleichen?«, sagte sie. »Ich habe das Tor aufgemacht und bin ganz normal hereingekommen. Du hast mich nur nicht gehört. Milo hat mich gehört. Aber du nicht.«
Milo ist ein echter Schleimi. Er küsste ihr die Hand und wedelte wie blöde mit dem Schwanz.
»Eva«, sagte sie. »Du hast während der Arbeit getrunken.«
»Quatsch«, sagte ich. »Das zählt doch nicht als Trinken. Das hilft gegen die Kälte.« Wenn man mit einer Dose Bier in der Hand erwischt wird, kann man schließlich kaum behaupten, es wäre Kaffee.
»Ich bringe dich nach Hause«, sagte Anna Lee, die Feindin.
»Sie bringen mich nirgendwohin.«
»Nach Hause«, sagte sie.
»Auf der Stelle«, sagte sie.
»Beweg dich«, sagte sie.
Im nächsten Moment hatte sie Milo und mich in ihren weißen Peugeot verfrachtet und raste die Jamaica Road runter. Unterwegs sagte sie: »Es tut mir leid.«
»Was?«
»Das war das Ende der Fahnenstange. Du hast gerade deine letzte Chance verspielt.«
»Ich habe gar nichts verspielt«, sagte ich. »Halten Sie an.«
»Warum?«
»Anhalten!«
Ich wäre fast in die Gosse geflogen, so eilig hatte ich es, aus dem Wagen zu kommen. Diese verkniffene, eingebildete Zicke sollte nicht sehen, wie mir schlecht wurde.
Ich sprang um die nächste Ecke und reiherte einem Jaguar auf die Motorhaube.
Aber ich ging nicht wieder zurück. Ich hatte die Schnauze voll von der Feindin. Sie wollte mich rausschmeißen? Da hatte sie sich geschnitten. Von mir aus konnte sie sich ihren miesen Job in die Haare schmieren. Bevor ich für sie noch einen Finger krumm machte, legte ich eher meinen Kopf unter die S-Bahn.
Ich hätte ihr lieber in den Peugeot reihern sollen. Oder in den Nacken. Oder in ihre Handtasche.
Das muss man sich mal vorstellen! Einer kranken Frau einen Fußtritt zu verpassen. Manche Menschen haben überhaupt kein Herz. Kein Herz. Und wenn sie mich angebettelt hätte, ich wäre nicht wieder angekrochen gekommen.