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EINFÜHRUNG

Im Zentrum der meisten Religionen steht das Beten, ein Weg, sich mit Gott zu verbinden. Das kann in Form von festgelegten Gebeten, den Ritualen innerer Kommunion stattfinden. Doch es kann auch in Form des persönlichen Gebets geschehen, bei dem wir unsere eigene Weise suchen, mit Gott zu sein, mit dem Göttlichen, das die Quelle von allem ist.3 Und für den Mystiker ist die innigste Form des persönlichen Gebets das Herzensgebet, bei dem wir ins Innere unseres Herzens geholt werden, wo wir mit unserem Geliebten allein sein können. Hier schreit unser Herz nach Gott, und hier ruhen wir auch in der Stille – wartend, lauschend, uns in der Liebe auflösend. Das Herzensgebet lässt sich sowohl in der christlichen mystischen Tradition wie auch in der mystischen Tradition der Sufis finden.

Dieses kleine Buch basiert auf meinen eigenen Erfahrungen mit dem Herzensgebet im Verlauf meiner fast vierzigjährigen Reise auf dem Sufi-Pfad der Liebe. Mein Wissen über dieses innere Gebet innerhalb der christlichen mystischen Tradition stammt hauptsächlich aus den Schriften der hl. Teresa von Avila. In Die innere Burg und in ihrer Autobiographie Das Buch meines Lebens beschreibt die hl. Teresa ihre tiefen Erfahrungen durch das mystische Gebet. Trotz der Schwierigkeiten, sich unter den wachsamen Augen der Inquisition mystischen Praktiken zu widmen, wurde sie über die mentale Wiederholung der festgelegten Gebete hinaus in die Stille des Herzensgebets genommen, in dem sie ihre eigene mystische Kommunion mit dem Göttlichen erfuhr. In Die innere Burg beschreibt sie sieben verschiedene „Wohnungen der Seele“ und wie das Fortschreiten durch Gebet und innere Übung uns zu dem innersten Ort der mystischen Hochzeit der Seele mit Gott führt. In Das Buch meines Lebens gibt sie einen Überblick über verschiedene Stufen des Betens, die der immer tiefer werdenden Beziehung zum Göttlichen entsprechen.

Die Leidenschaft und Intensität des inneren Lebens der hl. Teresa im Gebet sind für mich immer eine Quelle tiefer Freude gewesen, fand ich doch in der christlichen mystischen Tradition eine Beschreibung des mystischen Betens, die so sehr mit meiner Erfahrung innerhalb der Sufi-Tradition übereinstimmte. Sie schildert, wie sie im Gebet auf Weisen ergriffen und aufgelöst wurde, mit dem göttlichen Mysterium im Herzen verschmolz, die von der einzigen Quelle zeugen, zu der alle Mystiker hingezogen werden. Und wenn sich auch die klösterliche Tradition, der die hl. Teresa angehörte, äußerlich so sehr vom Sufi-Pfad unterscheidet, der mitten in der Welt, in Familie und Beruf und all unseren anderen Aktivitäten gelebt wird, ist ihre Mystik doch sehr praktisch, was ihre ekstatischen Zustände ausglich. Für sie „lebt Gott inmitten der Kochtöpfe und Pfannen“4, und ihre Bodenständigkeit schwingt in ihrem Ausspruch mit: „Wenn gebetet wird, dann betet, wenn Haferbrei gegessen wird, dann esst Haferbrei.“5 Obwohl die hl. Teresa ständig auf ihren Mangel an Bildung verweist, beschreibt sie klug und detailliert und zugleich passioniert die einzelnen Stufen des Betens. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus führt sie uns durch die sich vertiefende stille Kommunion mit dem Göttlichen, das uns schließlich mit seiner Gegenwart überwältigt, schildert, wie die empfängliche Seele von Ekstase ergriffen wird und in der Vereinigung verschmilzt. Als ich ihre Erfahrungen las, war ich so berührt zu entdecken, wie sie mit den Sufi-Stufen der immer stärker werdenden Absorption im Herzen übereinstimmen, die uns zum Einssein mit unserem Geliebten führen.

Auf beiden Pfaden finden wir das schlichte Gebet des Herzens, bei dem der Praktizierende den Verstand mit seinen Gedanken hinter sich lässt. Anstatt uns in irgendeinen aktiven Prozess des Gebets oder der Meditation zu begeben, gehen wir einfach nur ins Herz, in dieses spirituelle Zentrum unseres Seins. Mit den Worten des hl. Theophan, des Klausners:

„Die Sammlung

Auf die Wachsamkeit im Herzen –

Das ist der Ausgangspunkt des Betens.“ 6

Wie das physische Herz das Zentrum unseres stofflichen Körpers ist, so ist das spirituelle Herz das Zentrum unseres spirituellen Körpers und Organ unseres göttlichen Bewusstseins. In diesem Herzen können wir eine unmittelbare Beziehung mit Gott haben. Hier vollzieht sich die göttliche Kommunion, hier geschieht es, dass wir unseren Geliebten treffen. Der französische Benediktiner, Henri Lassaux, beschreibt in seinem Buch über das Beten wunderschön diese Qualität des Herzens: „Das Herz ist der Ort unseres Ursprungs, an dem die Seele sozusagen ist, aus den Händen Gottes kommend und zu sich selbst erwachend.“7 Und genau wie die hl. Teresa die verschiedenen, immer inwendigeren Wohnungen der Seele darstellt, so haben die Sufi-Mystiker die verschiedenen Kammern des Herzens beschrieben, die uns tiefer und tiefer in das Zentrum unseres Wesens führen, wo wir immer eins mit Gott sind.8

Anfangs muss man beim Ausüben des Herzensgebets allein sein und zulassen, vom Kopf ins Herz hinabzusteigen. Die Gefühlsqualität des Herzens ist es nämlich, die uns zurück zu Gott bringt.9 Dieses Gefühl kann Liebe sein, Sehnsucht, Traurigkeit – wie auch immer sich unser Herz ausdrücken will. Vielleicht taucht auch kein bestimmtes Gefühl auf, sondern nur eine einfache Qualität der Stille oder Ruhe. Oder auch nur der Wunsch, mit Gott allein zu sein. Das Herz ist ein heiliger Raum, wo wir hingehen können, um mit unserem Geliebten zu sein. Deshalb braucht es eine Haltung der Empfänglichkeit, eine weibliche Eigenschaft, die schließlich zum Zustand der Hingabe an Gott führt. In diesem heiligen Raum können wir unsere Worte der Sehnsucht, der Not oder unsere Worte der Liebe äußern. Wir beten vielleicht für uns selbst, für andere, für die ganze Welt. Wir können unsere Lobpreisungen und unseren Dank darbringen.

Gehen wir in unser Herz, müssen wir auch lernen zu lauschen. Beten ist ein Zustand des inneren Horchens, in dem wir bitten: „Öffne unser Herz, damit wir Deine Stimme vernehmen, die beständig aus dem Inneren kommt.“ Wenn wir aufmerksam sind, wenn wir lernen zu warten, können wir vielleicht eine ruhige, leise Stimme wahrnehmen, die unser Geliebter ist, der zu uns spricht. Der Geliebte spricht auf die Weise zu uns, die einzig wir zu hören vermögen. Seine Liebesbotschaften sind, wie die hl. Teresa sagt, „mit so viel Liebe geschrieben, und zwar so, dass nur ihr Seine Schrift lesen könnt und versteht, worum Er euch bittet.“10

Die christlich-orthodoxe Tradition kennt auch ein Gebet des Herzens, das Jesusgebet, ein sehr einfaches Gebet, das den Verstand ins Herz bringt. Ich habe auch dem ein Kapitel gewidmet. Das Jesusgebet ist der Sufi-Praktik des Dhikr ähnlich, dem Erinnern Gottes durch die Wiederholung eines heiligen Wortes oder Satzes. Sowohl im Jesusgebet wie im Dhikr stärkt das Wiederholen der heiligen Worte unser Gotterinnern und hilft, das Göttliche in unserem Herzen zu erwecken.

Von welcher Weise des Betens auch immer wir uns angezogen fühlen, wir finden uns, wenn das Beten sich vertieft, jenseits der Worte in die innere Stille der wahren Kommunion mit Gott genommen. Dort, in der Stille des Herzens, geschieht ein Zusammenkommen und Verschmelzen, das uns über uns selbst hinausführt in das Mysterium der göttlichen Gegenwart, in das Geheimnis der Einheit der Liebe. Sufis und christliche Mystiker haben die Stationen dieser Reise in die Liebe kartographiert, den Weg in unserem Herzen und unserer Seele, über den der Geliebte in uns geboren wird und uns dann die größten Wunder und Ekstasen offenbart, die in uns sind. Doch jeder von uns muss auf seine ganz eigene Weise auf diesem uralten Pfad gehen, diese Liebe entdecken, an diesem Ort des Betens sein. Dieses kleine Buch ist einfach eine Gabe des Herzens, das diese beiden mystischen Traditionen in der Einheit der Liebe zusammenbringt, der sie angehören.

Das Herzensgebet

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