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Kapitel 2: Vanessa und Sirius

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Wieder Zuhause, spürte sie die Anstrengungen des vergangenen Tages und eine bleierne Müdigkeit überkam sie, so dass sie kurze Zeit später schon und ohne ihr Abendbrot, wie tot ins Bett fiel und sofort in tiefen Schlaf versank.

In dieser Nacht jedoch hatte sie einen merkwürdigen Traum:

Sie sah Johnny, das Pferd von Irmis Reitstall, auf sich zu kommen. Es schwebte ihr auf einer weißen Wolke entgegen und landete mitten in ihrem Zimmer auf dem Teppich. Dann stieg es herab und sprach: “Gestattest du, dass ich mich vorstelle? Ich bin SIRIUS, DER ERSTE! Ich kenne dich, aber du kennst mich nicht, jedenfalls nicht richtig. Mein Name ist nicht Johnny! Die Leute vom Hof nennen mich nur so, weil sie mein wahres Ich nicht kennen!!

Vanessa saß mit weit aufgerissenem Mund auf ihrem Bett und wusste nicht, ob sie wach war oder träumte.

“Ich will dir sagen, warum ich gekommen bin und was es damit auf sich hat. Du hast dich heute wahrlich nicht getäuscht im Stall, als du glaubtest, eine Stimme gehört zu haben. Ja, ich war es, der zu dir gesprochen hat! Doch nur du konntest mich hören und meinen Glitzer-Splitter sehen. Denn du, Vanessa, bist etwas Besonderes und nur du besitzt diese Fähigkeit! Ich aber kann die Sprache der Menschen verstehen.”

Vanessa schluckte.

“Aber warum gerade i c h ??”

Angst schwang in ihrer Stimme mit.

“Weil du den BLICK hast, Vanessa!”

Plötzlich wurde es hell im Zimmer.

“Vanessa, aufstehen!”, dröhnte Mamas Stimme in ihren Traum.

“Gott sei Dank, es ist vorbei!”, dachte Vanessa, die wie gelähmt im Bett lag und alles nicht glauben konnte. Nein, das musste ein Traum gewesen sein, so was gab es einfach nicht!

Sie rieb sich die Augen und gähnte und gähnte. Sie fühlte sich, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen.

„Los, ab ins Bad. Die Schule wartet nicht auf Träumer!”, hörte sie Mama, die gerade das Frühstück vorbereitete, aus der Küche rufen. Vanessa trottete gequält ins Badezimmer. In der Schule war sie heute sehr unkonzentriert, das fiel sogar ihrem Lehrer, Herrn Eckstein auf, den sie immer nur den “Dicken” nannten wegen seiner fassförmigen Erscheinung. Er war mehr breit als hoch und sah irgendwie aus wie sein Hund. Herr Eckstein hatte Zuhause nämlich eine stark übergewichtige Bulldogge mit Hängebacken und platter Nase, die genauso breitbeinig daher stampfte wie er. Vanessa witzelte deswegen oft mit ihren Freundinnen darüber, ob denn nun der Hund ihm, oder er dem Hund ähnlich sah..

Sie dachte wieder an ihren seltsamen Traum. Und wenn es doch stimmte, was ihr dieser “Sirius” offenbart hatte? Das ließ sie erschaudern und darum bemühte sie sich nun, ihre Gedanken wieder auf die Mathe-Stunde bei Herrn Eckstein zu lenken, der so langweilig sprach, dass man fast dabei einschlief.

“Mama, wann ist meine erste Reitstunde?” Vanessa rief es ihrer Mutter im Vorbeigehen zu, als sie von der Schule nach Hause kam.

“Schon übermorgen, mein Liebling! Freust du dich?”

Die Antwort kam etwas zögernd.

“Ja, ähm ... Klar doch!” Es klang aber wahrscheinlich nicht sehr überzeugend.

Nach dem Mittagessen machte sie sich daran, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Seltsam, es ging heute so flott, dass sich Mama schon wunderte, als sie so ungewöhnlich schnell fertig war. Vanessa stand auf und schnappte sich ihre purpurfarbige Jacke. Sie wollte hinaus in den Garten, um es sich auf der großen Holzschaukel, die Papa erst im letzten Jahr gebaut hatte, gemütlich zu machen. Während sie dort hin lief, fiel ihr Blick zufällig auf das Gartenhäuschen, das von oben bis unten dicht bewachsen war. Die Tür klaffte einen Spalt breit. Das durfte nicht sein, denn bei Familie Bergmann war es üblich, die Tür stets zu verschließen, wenn man das Häuschen verlassen hatte.

Sie wollte nach dem Rechten sehen und tat einen Schritt hinein. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Erst als sie einen Blick auf ihre Stoffpferde-Sammlung warf, kam ihr etwas merkwürdig vor. Sie standen nicht mehr der Größe nach geordnet nebeneinander, sondern waren völlig durcheinander. Das war sicher ein Tier, das sich hinein geschlichen und diese Unordnung gemacht hatte.

Sie seufzte leise und machte sich daran, alle Tiere wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen. Als sie gerade das Pony Susi in der Hand hielt und es ansah, bemerkte sie, dass es eine außergewöhnliche Ähnlichkeit mit Johnny aus dem Reitstall besaß. Sie drehte es in der Hand, da sah sie es auf einmal: Susi hatte ganz unten am linken Bein unter dem Fell ein winzig kleines Teil im Fuß stecken. Sie strich das Fell beiseite, um es genauer zu betrachten

Seltsam, dass ihr das zuvor noch nie aufgefallen war! Wenn man genau hinsah, glitzerte es sogar. Sie zog fest daran, aber es löste sich nicht, schien wie in den Stoff eingewachsen zu sein. Vanessa wurde blass um die Nase. Allmählich wurden ihr die Ereignisse unheimlich. Wenn sie es doch jemandem erzählen könnte! Und in diesem Augenblick entschied sie, sich heute Abend ihrer Schwester Hanna anzuvertrauen, ganz gleich, was diese sagen würde!

Sie verließ das Häuschen wieder, nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass sie wirklich abgeschlossen hatte. Dann folgte sie ihrer Idee, die sie vorhin schon hatte, als sie zur Terrassentür hinaus gelaufen war, und warf sich in die Schiffschaukel, die gleich neben der anderen Schaukel hing. Gedankenverloren schwang sie hin und her und ihr Blick hing an einem strahlend blauen Himmel, an dem nur ab und zu ein harmloses Wölkchen vorbeizog...

“Vanessa!” Das war Mamas Stimme im Hintergrund.

Komm, wir wollen Abend essen!” Sie guckte Mama mit großen Augen an. Sie musste wohl eingenickt sein auf der Schaukel. Das wurde ihr klar, als sie auf ihre Armbanduhr sah und feststellte, dass es beinahe schon sechs Uhr abends war.

Nachdem der Abendbrot-Tisch abgeräumt war, Mama das Geschirr spülte und Papa es sich auf der Couch im Wohnzimmer mit einer Zeitung gemütlich gemacht hatte, sah Vanessa den Augenblick gekommen, um ihrer Schwester von ihren seltsamen Erlebnissen zu erzählen. So stahl sie sich, von den Eltern unbemerkt, die Treppe hinauf zu Hanna, die sie in ihrem Zimmer vermutete. Vorsichtig klopfte sie an die Türe, da Hanna immer verlangte, anzuklopfen und jedes Mal einen Wutanfall bekam, wenn jemand das nicht tat. Vanessa wartete keine Antwort ab, sondern öffnete gleich Hannas Zimmertür. “Was willst du?”, raunzte sie Vanessa ungehalten an.

“Ich ... ich wollte dir was sagen ..., was erzählen”; stotterte sie leicht verlegen.

Gerade hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, als plötzlich ein lauter Knall die Stille zerriss, so dass beide, wie auf Kommando, mindestens zehn Zentimeter hoch hüpften vor Schreck. Ihnen war schlagartig klar, dass eben eine der Zimmertüren derart laut zugeknallt war, dass sogar die Glasscheibe, die sich darin befand, zu Bruch ging. Nachdem sie sich vom ersten Schreck erholt hatten, hörten sie auch schon Mama und Papa die Treppe herauf poltern.

“Was ist hier los?”, schrie Papa und sein Gesicht lief augenblicklich dunkelrot an, als er die Bescherung sah. Natürlich musste er glauben, die beiden Mädchen seien die Schuldigen. Wie konnte er auch ahnen, dass weder Hanna noch Vanessa das Geringste damit zu tun hatten. Sie waren sich schließlich keiner Schuld bewusst, wie denn auch beide einstimmig behaupteten. Ein rätselhafter Windstoß hatte die Tür zuschlagen lassen, doch davon später.

Nun standen alle erst mal um den Scherbenhaufen herum, Mama war den Tränen nahe.

“Das schöne, teure Glas!”, jammerte sie. Und sie hatten die Tür doch erst vor kurzem neu setzen lassen.

“Eine Tür knallt nicht einfach von selbst zu!”, lamentierte Papa, während er vorsichtig über die Scherben stieg, um die Tür zu begutachten.

“Hier oben ist kein einziges Fenster offen, wir haben wohl Gespenster im Haus?” Er war noch immer sehr erzürnt. Vanessa und Hanna sahen sich sprachlos an. Keine konnte es verstehen. Mit Mamas Hilfe und Schaufel und Besen beseitigten beide das Malheur, während Papa kopfschüttelnd die Treppe wieder hinab stieg.

Vergessen war nun auch Vanessas Ansinnen, Hanna in ihr Geheimnis einzuweihen.

“Naja, vielleicht bringen uns die Scherben ja Glück”, seufzte Mama, nachdem alles wieder in Ordnung gebracht worden war. Mit komischem Gefühl im Bauch gingen die Mädchen danach zu Bett.

In dieser Nacht schlief Vanessa wie ein Murmeltier.

Der nächste Tag wurde ein guter Tag. Alles lief bestens und keiner sprach mehr von gestern. Vanessa hatte den ganzen Nachmittag bei ihrer Freundin Bella verbracht, die zwei Meerschweinchen und drei Goldhamster besaß. Nichts deutete darauf hin, dass etwas Ungewöhnliches passieren könnte.

Müde vom Spielen kam Vanessa am Abend heim und es duftete schon aus der Küche nach Pfannkuchen, ihrem Lieblingsgericht. Heute hatte sie richtigen Heißhunger und verschlang zum Erstaunen ihrer Mutter gleich drei der goldgelben, süß duftenden Scheiben.

“Ich bin so müde, ich gehe gleich ins Bett!”, verkündete sie gähnend und verließ den Rest der Familie, der noch die letzten Bissen des guten Essens in entspannter Runde genoss.

Vanessa lag in ihrem Bett, hatte Mama bereits einen Gute-Nacht-Kuss gegeben und starrte ins Dunkle, bis sie von Müdigkeit übermannt wurde und ihr die Augen zufielen. Es mochte nicht lange gedauert haben, bis sie in tiefen Schlaf sank.

Und plötzlich war er wieder da! Dieser, wie hieß er noch, Sirius, erschien abermals. Wieder auf einer weißen Wolke, wieder landete er mitten in Vanessas Zimmer und sprach:

“Vanessa! Fürchte dich nicht. Ich bin gekommen, dir etwas zu erklären. Ich möchte, dass du die ganze Wahrheit erfährst. Ja, ich bin wirklich da. Berühre mich nur mit deiner Hand!”

Vanessa konnte ihr Staunen nicht verbergen und starrte mit offenem Mund unablässig das Pferd an.

“Hör’ mir gut zu”, befahl es und scharrte mit dem linken Fuß auf dem Teppich, so dass Vanessa unwillkürlich hinsah und das glitzernde Ding am Huf wieder erkannte. Nun war sie sicher, dass dies kein Traum war!

“Höre, was ich dir zu sagen habe, Vanessa!” Gespannt sah sie ihm in die Augen, die er geheimnisvoll verdrehte.

“Du hattest heute großes Glück! Glück, dass niemand von mir erfahren hat! Beinahe hättest du deiner Schwester alles erzählt! Das aber darfst du bei deinem Leben nicht! Mir blieb nichts Anderes übrig, als dich abzulenken, indem ICH die Türe zugeblasen habe! Vanessa, höre, es liegt ein Fluch auf uns, und zwar, dass jeder, dem du von mir erzählst, auf mysteriöse Weise ums Leben kommen wird! Das ist so, glaube mir”. Er peitschte unruhig mit dem Schweif, während er diese Worte sprach.

Vanessa war sprachlos und starrte die seltsame Erscheinung noch immer fassungslos an.

“Ich weiß, das kommt dir alles unheimlich vor, aber du wirst dich schon an mich gewöhnen, und wenn du dich an unsere Abmachung hältst und niemandem ein Sterbenswörtchen erzählst, kann ich dir viel Gutes tun”

“Ich werde schweigen wie ein Grab!”, flüsterte Vanessa, die sich wieder etwas beruhigt hatte.

Es zischte und silbrig glänzender Staub wirbelte umher, da war er auch schon wieder verschwunden. Es war wieder dunkel in ihrem Zimmer und Vanessa merkte, dass sie wach war und mit offenen Augen dorthin starrte, wo eben noch alles hell erleuchtet war. Lange grübelte sie noch, bis ihr schließlich die Augen zufielen...

“Zu niemandem ein Sterbenswörtchen!”, war ihr erster Gedanke, als sie der Wecker früh am Morgen aus dem Schlaf riss. Sie bemühte sich, so normal wie möglich zu erscheinen, damit keiner etwas merkte. Nach dem Frühstück schwang sie sich auf ihr Fahrrad und machte sich auf den Weg zur Schule. Während sie so dahin radelte, fiel ihr ein, dass heute ihre erste Reitstunde stattfinden sollte und ihr Gesicht erstrahlte.

Als sie die Schule erreicht hatte, stürmte sie die Treppe hoch zu ihrem Klassenzimmer. An diesem Vormittag rutschte sie ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her und war froh, als die Schule endlich zu Ende war.

Wieder Zuhause, setzte sie sich gleich an den bereits gedeckten Tisch, brachte aber kaum einen Bissen hinunter vor Aufregung und Vorfreude auf die Reitstunde. Doch unter Mamas strengen Blicken und der Warnung, das Reiten würde erst stattfinden, wenn der Teller leer sei, aß sie doch lieber auf. Zum Glück hatte sie heute nur wenig Schularbeiten zu machen und stand darum bereits kurze Zeit später fertig und mit Helm und schicken Reitstiefeln, die ihr Mama noch besorgt hatte, im Flur und konnte es kaum erwarten, dass sie endlich los fuhren.

Von weitem schon erkannte Vanessa das große, sichelförmige Holzschild, das an zwei gehobelten Balken befestigt war und als Einfahrt zum Reiterhof diente. Da das Tor offen stand, fuhr Mama gleich hinein. Beide wurden sofort begrüßt von Sissy, der vierjährigen Schäferhund-Dame, deren Aufgabe es war, den Hof zu bewachen. Bellend und Schwanz wedelnd sprang sie um die beiden Neuankömmlinge herum, bis Irmi sich näherte und der Hündin Einhalt gebot. Mama sprach ein paar Worte mit Irmi und dann ging’s ab zu den Ställen, wo Vanessa schon bald Johnny in einer der Boxen stehen sah.

Er wurde von Irmi herausgeführt und reitfertig gemacht. Als er nun so brav und gewöhnlich vor ihr stand, wurde sie wieder von Zweifeln gepackt und konnte sich nicht vorstellen, dass dies ihr nächtlicher Besucher war. Sie lauschte und suchte nach irgendetwas, das darauf hin deuten würde, konnte aber nichts Ungewöhnliches an ihm entdecken. Auch den Glitzer-Splitter sah sie nicht mehr.

Sie gingen auf die Koppel nebenan und Frau Weixelbaum half Vanessa beim Aufsteigen. Sie drehten Runde für Runde und Vanessa wurde viel über Pferde und deren Haltung erklärt. So ging die Reitstunde ohne besondere Ereignisse vorüber und Vanessa war ein wenig enttäuscht und glaubte ernsthaft, sie hätte sich doch alles nur eingebildet. So sehr hatte sie auf irgendein Zeichen von Johnny gewartet. Doch musste sie ihre Enttäuschung verborgen halten und lächelte darum ihrer Mutter entgegen, die schon am Stall-Eingang wartete.

“Wie ich sehen kann, hat es dir gefallen”, meinte sie, halb zu Vanessa, halb zu Irmi gewandt und ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie weitere Reitstunden-Termine fest.

Natürlich wollte Vanessa weiter Reitunterricht nehmen, ob Johnny nun ein Zauberpferd war oder nicht. Das stand jedenfalls fest!

Schon befanden sie sich wieder im Auto und fuhren heim.

“Glaubst du an Dinge, die es eigentlich nicht geben kann?”, fragte Vanessa plötzlich.

“Wenn du damit übersinnliche Dinge meinst, glaube ich schon, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir uns träumen lassen! Aber wie kommst du denn darauf?”

“Nur so”, beschwichtigte sie und sah Mamas fragende Augen im Rückspiegel. Sie fuhren schweigend den Rest des Weges heim.

Vanessa versuchte, nun nicht mehr an die rätselhafte Geschichte zu denken. Tagelang schon hatte das Pferd sie im Traum nicht besucht und als am Mittwoch die nächste Reitstunde bevorstand, war sie eigentlich ganz froh, dass Johnny einfach Johnny war und nichts weiter. Wie sehr sie sich doch täuschen sollte!

Dann kam ein regnerischer Samstagnachmittag. Vanessa saß in ihrem Zimmer auf der bunt gestreiften Couch und hatte sich gemütlich in eine Decke gehüllt. Draußen hörte sie den Wind ums Haus heulen und Regentropfen trommelten unablässig an die Fensterscheibe. Vanessa war vertieft in ihr neues Buch, das sie neulich zum Geburtstag von ihrer Schwester bekommen hatte.

Mama war mit Hanna in die Stadt gefahren, um ein paar Besorgungen zu machen und so nutzte Vanessa die Zeit, sich in aller Ruhe ihrem Buch “Haltung und Pflege von Pferden” zu widmen.

Plötzlich aber wurde, wie von Geisterhand, die Türe ihres Zimmers aufgerissen und ein fürchterlicher Sturm blies ihr ins Gesicht. Feine Staubkörnchen blieben ihr an Haar und Kleidung hängen und verteilten sich überall im Zimmer, so dass man beinahe die Hand vor Augen nicht mehr sah.

Vanessa erschrak zu Tode und wollte schreien, da sah sie ihn, inmitten des ganzen Wirbels. Erst schemenhaft, dann immer deutlicher werdend, stand Sirius vor ihr.

“Was ist denn das für ein Auftritt? Ist es immer deine Art, Menschen zu erschrecken?”

Sie schrie ihn an, während sie noch den Schreck in den Gliedern hatte. “Womit wir gleich beim Thema wären”, antwortete er grinsend.

“Nun hör’ mir zu, Vanessa”, versuchte er es nun in ruhigerem Ton, als er ihre finstere Miene sah.

“Ich höre dir nicht mehr zu, nie mehr! Glaubst du, du könntest mich an der Nase herumführen?! Während der letzten Reitstunde hast du so getan, als wärest du ein ganz normales Pferd und bist nächtelang nicht mehr erschienen. Was soll das, Sirius?”

“Also gut!”, versuchte er, Vanessa zu beruhigen.

“Ich will dir alles erklären. Aber wir haben nicht viel Zeit, denn bald kommt deine Mutter nach Hause”, sagte er mit Blick zum Wecker, der auf dem Nachtkästchen stand.

“Du wunderst dich also über mein Verhalten! Ich will dir nun die ganze Wahrheit über mich und den “Kreis der Cavallos” erzählen. Es mag dir seltsam vorkommen, aber ich kann nur zu dir sprechen, wenn wir alleine sind und niemand uns hören kann. Ich hatte dich ja gewarnt, keiner Menschenseele von mir zu erzählen, da derjenige sonst ums Leben kommt! Das ist eines unserer Gesetze! Aber ich will dir alles von Anfang an erzählen.

Nun höre also:

“Diejenigen, denen ich angehöre, stammen vom

PLANETEN DER PFERDE, der weit entfernt von unserem Sonnensystem in einer unbekannten Galaxie liegt. Er existiert seit Urzeiten, aber kein Mensch hat bisher davon erfahren und darf es auch in Zukunft nicht, es könnte sonst das Ende der Welt bedeuten ...!”

Sirius zog die Nüstern hoch und schnaubte sichtlich bewegt. Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr.

“Die Bewohner des Planeten, die “Cavallos”, sind alle durchsichtige, fliegende Pferde mit riesigen Flügeln und langer, silbrig glänzender Mähne. Alle tausend Jahre reiten sie durchs Weltall und zur Erde hinab, um sich ein neues Mitglied unter den Pferden zu suchen, welches sie in ihren Kreis aufnehmen. Das geschieht so: Während ihres nächtlichen Besuchs auf der Erde verursachen sie ein schlimmes Unwetter, bei dem es Unmengen von winzigen Glas-Splittern hagelt, die für euch Menschen jedoch wie gewöhnlicher Eisregen aussehen. Nun befand ich mich gerade auf meiner Koppel. Es war schon beinahe dunkel, als plötzlich eines dieser besagten Gewitter aufzog und ich von einem der Splitter getroffen wurde. Eben diesen hast du ja an meinem linken Fuß auch entdeckt. Ich empfand einen kurzen, höllischen Schmerz, doch dann war alles vorbei. Der Splitter jedoch steckt seit dieser Zeit fest in mir. Ich wusste zuerst nicht, wie mir geschah, denn plötzlich stand Cornelius, der Anführer der Cavallos, vor mir. Er stand nicht, nein, er schwebte knapp über dem Erdboden und ich war mir nicht sicher, ob er wirklich da war, denn ich konnte durch ihn hindurch sehen. Ja, man konnte nur die Umrisse erkennen und seine lange, silberne Mähne hing wallend hinunter. Ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben ein so schönes Pferd gesehen!

Er erklärte mir, dass ich ab jetzt zu ihnen gehören und kein gewöhnliches Pferd mehr sein würde. Ich könnte von nun an auch die Sprache der Menschen verstehen, bräuchte jedoch einen Verbündeten unter ihnen. Es müsste aber jemand sein, der etwas Gemeinsames mit mir hat. Darum habe ich dich, Vanessa, ausgewählt, denn ich fand heraus, dass nur DU am gleichen Tag, exakt zur gleichen Uhrzeit und im gleichen Jahr wie ich, während eines fürchterlichen Gewitters mit Hagelschlag im Tierkreiszeichen des Pferdes geboren wurdest. Es war also vorherbestimmt, was geschehen ist! Du musstest den Splitter bemerken, denn nur DU konntest ihn sehen, niemand sonst auf der Welt! Wir gehören nun für immer zusammen, was auch passiert und werden gut miteinander auskommen. Wenn du nur alles für dich behältst, werde ich dir ein wahrer Freund sein! Für andere Menschen bin ich, wie bisher das Pferd “Johnny”. So haben sie mich genannt.

Da war mit einem Mal der Zauber vorbei. Vanessa fand sich wieder, immer noch auf ihrer bunt gestreiften, kleinen Couch sitzend, die Händen zusammen gepresst. Alles war wieder wie vorher und Vanessa starrte in die Richtung, aus der sie noch zwei Sekunden zuvor diese unglaublichen Worte vernommen hatte. Kein noch so kleines Staubkörnchen hätte man mehr finden können und keine Menschenseele hätte glauben können, was sich eben in Vanessas Zimmer abgespielt hatte.

Da sprang auch schon die Türe auf und Hanna stürmte ins Zimmer. Ganz aufgeregt von ihren Einkaufserlebnissen, plapperte sie einfach los, ohne wirklich wahr zu nehmen, dass ihre Schwester in diesem Moment überhaupt kein Interesse für die neue Hose oder die schicke, blaue Bluse aufbrachte, die Hanna eilig aus der Tüte zerrte und ihr unter die Nase hielt. Es interessierte sie ebenso wenig, dass es im Kaufhaus eine Modenschau gab und dass sie dort ihre Freundinnen Marie, Lisa und Sophie getroffen hatte. Vanessa nahm all das nicht zur Kenntnis. Sie brummte nur etwas von: “Lass mich in Ruhe!”

Gesagt. Getan. Hanna verschwand und knallte beleidigt die Türe zu. Die Tür vibrierte und wackelte (denn es war nicht das erste Mal, dass Hanna Vanessas Zimmertüre zuknallte!)

Vanessa zuckte zusammen, doch schon saß sie wieder wie gelähmt da und versuchte das, was kurze Zeit zuvor in ihrem Zimmer geschehen war, zu begreifen

SIE sollte also auserwählt sein, zu diesem Kreis der außerirdischen Pferde zu gehören! Oder waren das vielleicht Menschen in der Gestalt von Pferden?

Unmöglich! Das klang alles zu phantastisch!

“Vielleicht bin ich verrückt geworden!”, zweifelte sie. Dann stand sie auf und ging zu ihrer Bücherecke, aus der sie zielstrebig das Buch “Kosmos, Planeten und Sterne” herausfischte.

Mit zittrigen Fingern fing sie an, darin zu blättern, in der Hoffnung, etwas Aufschlussreiches über fremde Planeten zu finden. Doch Fehlanzeige! Das Buch gab ihr keine Antwort, so sehr sie auch danach suchte. Enttäuscht stellte sie es zurück ins Regal. Sie drehte sich um und ging ans Fenster. Ihr Blick schweifte hinauf zum Himmel, der noch immer wolkenverhangen und ungemütlich aussah.

“Ich kann diese Geschichte nun glauben, oder nicht!”, überlegte sie. “Na gut!”, entschied sie sich nach einer Weile,

“vielleicht hat dieser Sirius ja doch die Wahrheit gesagt, dann muss ich mich eben damit abfinden, und vielleicht ist das gar nicht mal so schlecht ...!”

Aus der Küche strömte ein betörender Duft durch die Türritze in Vanessas Zimmer und brachte sie auf andere Gedanken. Mama hatte Kuchen gebacken und die Neugier darauf ließ Vanessa eilig die Treppe hinunter springen und geradewegs in die Küche laufen. Da stand er, goldgelb und einladend zum Probieren. Doch Mama ahnte es wohl und bremste Vanessa gerade noch, indem sie schützend die Hände über das duftende Backwerk hielt.

“Nein, mein Fräulein, der hier (und damit meinte sie natürlich den Kuchen) ist für Irmi. Sie hat morgen Geburtstag und wir sind bei ihr eingeladen

Vanessas Herz hüpfte vor Freude, denn dann konnte sie wieder bei den Pferden sein.

Der nächste Tag war ein Sonntag, sonnig und wieder schön, und auch Hanna hatte sich beruhigt und war nicht mehr beleidigt wegen der neuen Kleidung. Die hatte sie natürlich heute angezogen!

Alle saßen nun im Auto und Mama hielt den Kuchen gut verpackt auf dem Schoß. Da brauste das Auto auch schon davon.

Als sie kurze Zeit später das Hoftor erreichten, stürzte Sissy Schwanz wedelnd herbei und weiter hinten sah man die Katzenmutter Ellie auf der alten Hollywoodschaukel liegen, umringt von ihren vier Babys, die inzwischen alle schon ziemlich mobil geworden waren.

“Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte Irmi die Familie. Alle beglückwünschten sie überschwänglich und im Techtelmechtel der Umarmungen wäre beinahe Mamas Eierlikörkuchen zu Bruch gegangen, hätte Papa ihn nicht im allerletzten Moment aufgefangen!

Der Tisch war schon perfekt gedeckt unter der alten Linde, die viel Schatten versprach an diesem heißen Sommertag. Alle genossen nun die selbst gebackenen Leckerbissen sowohl von Mama, als auch von Irmi, die es sich nicht hatte nehmen lassen, eigens Rosenküchlein zu kreieren, die Herr Weixelbaum doch so liebte!

Kaum hatte Vanessa den letzten Bissen hinunter geschluckt, hielt sie es nicht mehr auf ihrem Stuhl und rutschte unruhig hin und her, bis Irmi es bemerkte und meinte:

“Du möchtest sicher in den Stall zu den Pferden, nicht wahr?” Vanessa nickte und strahlte.

“Dann geh’ nur schon vor, ich komme später nach!”

Vanessa hatte Herzklopfen, aber sie marschierte zielsicher auf die Ställe zu. Zum Glück wollte Hanna nicht mitkommen!

Die Stalltür stand offen und Vanessa ging hinein. Sie schlenderte an den Boxen vorbei und sah jedes Pferd genau an. Es fiel ihr nichts dabei auf, nur einige wandten den Kopf hin und her, als sie an ihnen vorbei kam. In der vorletzten Box sollte Johnny stehen.

Doch die Box war leer! Sie riss ungläubig die Augen auf, machte auf dem Absatz kehrt und lief wie gehetzt aus dem Stall hinaus zur alten Linde, unter der die anderen noch immer lachend und Kaffee trinkend saßen.

“Warum bist du denn so her gerannt, ist etwas nicht in Ordnung?”, fragte Irmi, die sah, dass Vanessa ziemlich außer Atem war.

“Die Box von Johnny, ... sie ist ..., er ist nicht da!!”, stotterte sie und schnappte nach Luft.

“Nun beruhige dich, mein Kind”, besänftigte sie Irmi.

“Der schnuppert gerade den Duft der großen, weiten Welt.” Als aber Vanessas verständnislose Blicke an ihr hingen, erklärte sie:

“Na ja, er hat heute einen längeren Ausritt mit Daniel.”

Daniel war der einzige Sohn der Weixelbaums. Er war knapp dreizehn Jahre und für sein Alter etwas mickrig, fand Vanessa. Überhaupt passte bei ihm nichts zusammen. Die Arme nicht zu den Beinen und der Kopf nicht zum Hirn.

Stirn runzelnd drehte sie sich um zum Hoftor, in der Hoffnung, Pferd und Reiter würden erscheinen. Doch nichts dergleichen geschah. Ein wenig enttäuscht ließ sie sich nun in einen der aufgeklappten Gartenstühle plumpsen und trank den Rest der Limonade aus ihrem Glas.

Sirius

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