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DER LEHRER JAHN – ODER DIE SCHÖNE HOSE
ОглавлениеMeine Eltern waren mal verreist. Deshalb machte mich meine Oma am Morgen für die Schule fertig. Ich ging in die dritte Klasse. In Ermangelung meiner Hausordnung oder aus Zeitgründen, wir fanden meine Sachen zum Anziehen für die Schule nicht.
Omas erste Belehrung
Da kramte meine Oma in ihrem großen Vertiko herum. Sie brachte eine schöne schwarze Hose aus weichem Manchester hervor. Stolz zog ich diese Hose an. Sie passte ganz genau. »Wie aufs Haar«, sagte die Oma. Mich freuend, endlich eine neue Hose zu haben, sonst bekam ich meistens schon getragene Sachen vom größeren Jungen aus der Nachbarschaft, ging ich in die Dorfschule.
Nach der zweiten Stunde sagte der Lehrer Jahn zu mir: »Du gehst mal eben gleich nach Hause.«
Mich über das vorzeitige Unterrichtsende einerseits freuend, aber andererseits verwundert darüber, erzählte ich alles meiner Großmutter. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fragte: »Junge, was hast du denn schon wieder angestellt?« Dass ich mir keiner Schuld bewusst war, nahm sie mir nicht ab.
Am Abend – meine Eltern waren wieder zurück – informierte sie gleich meinen Vater darüber. Sofort besuchte er den Lehrer Jahn in dessen Bleibe.
Dieser Lehrer war erst vor kurzer Zeit entnazifiziert worden. Jetzt durfte er wieder unterrichten. Im Dritten Reich, also in der Nazizeit, war er Lehrer gewesen. Mein Vater war sogar bei ihm in die Schule gegangen. In der Partei, der NSDAP, war der Herr Jahn nicht gewesen. Trotzdem wurde er, wie alle anderen Lehrer auch, aus dem Schuldienst entlassen. Seine Not wurde nun sehr groß. In der damaligen Nachkriegszeit waren alle auf die Zuteilungen über Bezugsmarken angewiesen. Arbeitslose bekamen nichts. Deshalb wurde die Not in der Familie Jahn immer größer. Sie wussten nicht mehr ein noch aus. Da half ihnen mein Vater. Dem Lehrer Jahn besorgte er eine Anstellung als Schreibgehilfe im Glaswerk, wo er selbst arbeitete. Viel Lohn dafür gab es nicht, aber das Auskommen für seinen ehemaligen Lehrer und dessen Familie verbesserte sich hierdurch.
Unsere Neulehrer, eingesetzt von den neuen Machthabern, konnten kaum ihren Namen selbst schreiben, geschweige denn uns was lehren. Also mussten die Entlassenen wieder ran.
Der verzweifelte Vater
Lehrer Jahn
Der Lehrer Jahn sprach zu meinen Vater: »Ihr müsst nicht recht gescheit sein, den Jungen mit einer Hitlerjugendhose in die Schule zu schicken. Auf jedem Hosenknopf war ein Hakenkreuz zu sehen. Hätte das einer von den Parteifuzzis mitbekommen, so hätte man dich weggeholt und der Junge wäre in eine Umerziehungsanstalt gekommen.«
Die schöne Hose habe ich seitdem nicht wiedergesehen. Sicher war sie gleich im Feuer verbrannt worden. Ärgerlich und auch traurig war ich als damals Achtjähriger darüber schon. So schöne Klamotten, wie diese Hose von der Oma es war, hatte ich sonst eigentlich nicht.
Die Hitlerjugendhose meines Onkels, des jüngeren Bruders meines Vaters, war wie neu, gut gearbeitet und saß wie angegossen. Das hatte auch meine Oma erkannt und sie für alle Fälle aufgehoben. Was interessierte damals Oma und mich die Politik. Der Krieg war verloren. Deshalb blieb diese Hose, zumal in der Nachkriegszeit, trotzdem was Wertvolles.
Später begriff ich natürlich auch die Richtigkeit der sofortigen Vernichtung dieses Reliktes. Mein Onkel Heinz, Jahrgang 1926, und ich lachen heute noch herzlich darüber.
Konferenz der Lehrer