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Jules

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Schließlich hielt Alex es in der stillen Wohnung nicht mehr länger aus. Seufzend erhob er sich, zog sich an und verließ die Wohnung. Unnatürlich laut fiel die Tür ins Schloss und zerriss die Stille im Vorhaus. Alex rannte die Stufen hinunter, hinaus auf die Straße.

So früh am Morgen waren nur wenige Leute unterwegs. Während er die Straße mit raschen Schritten entlang eilte, vorbei an dunklen Auslagefenstern und stummen Häusern, war er froh kaum jemanden zu begegnen.

Hin und wieder öffnete sich eine Lokaltür. Die letzten Gäste – berauscht von Alkohol, Liebe, Hass oder Verzweiflung - wankten heraus. Schlugen lallend eine Richtung ein, in die sich ihr Leben bewegte. Oder sie suchten die Richtung, drehten sich unentschlossen im Kreis, bis sie vollkommen verunsichert vorwärts tappten. Oft nicht weiter, als bis zur nächsten Tür, die noch nicht verschlossen war, oder zu einer Bank, auf die sie sich legen konnten.


Alex zog seinen Kopf ein. Einerseits verabscheute er diese Männer, andererseits konnte er sie verstehen. In den ersten zwei Monat nach Christinas Verlust, hatte er sich auch jeden Tag betrunken. Doch meistens endete er auf der Toilette, wo er über der Klomuschel hing und alles, was er zuvor in sich hinein geschüttet hatte, wieder darin entleerte. Es erschien ihm sogar, dass es wesentlich mehr war. Irgendwann sah er schließlich ein, dass er dafür nicht geeignet war.

Danach kam die Phase, wo er tagelang zu Hause gesessen war mit einen T-Shirt – Christinas Lieblings-T-Shirt von Donna Karan, welches immer noch intensiv nach ihren Parfum duftete - vorm Gesicht, welches er jedoch gelegentlich als Taschentuch verwendet um Tränen und Rotz abzuwischen. Schließlich in einen Anfall von aufkeimender Wut hatte er es zerrissen und in den Mülleimer gestopft.

Immer wieder hatte er sich gefragt, wie Christina ihm das antun hatte können? Nicht genug, dass sie ihn betrogen hatte. Nein. Sie hatte es auch noch mit einem seiner besten Kumpel getan. Und … als wär das noch nicht genug- musste sie es vor allen seinen Freunden und Kollegen tun. Ausgerechnet während einer Firmenfeier, bei der seine großartige Marketing-Idee, welche einen hochkarätigen Etatabschluss mit einen Großkunden ermöglicht hatte, gefeiert werden sollte.

Aber das war noch nicht das Schlimmste! Den Todesstoß versetzte sie ihm, als er sie erwischte und zur Rede stellte und es ihr vollkommen egal war. Sie warf ihm, während sie sich den Rock zurecht schob, einen gelangweilten Blick zu, als wäre er ein lästiger Köter, der sie anbellte und fing zu lachen an. Die brutalen Wahrheiten, die sie ihm anschließend vor allen seinen Kollegen ins Gesicht schleuderte – (Sie hatte es mit ziemlich jeden seiner Freunde und Kollegen getrieben.) – zerstörte jede Illusion von Freundschaft, Liebe und Gemeinschaft, die er je gehabt hatte und waren sicher der Auslöser für seine momentane Situation.

Selbst jetzt konnte Alex ihr höhnisches Gelächter noch laut und deutlich hören, während er abwechselnd dunkle und beleuchtet Gehsteigflächen, wie ein Getriebener, durchhastete. Seit damals war er irgendwie ständig auf der Flucht.

Er schüttelte sich um die düsteren Gedanken abzuwerfen und zog seine Jacke enger um seine Schultern. Es fror ihn, obwohl es nicht wirklich kalt war. Wenn er so weiter machte, drehte er noch vollständig durch.


Der ganze Tag war eine einzige Katastrophe gewesen. Er brauchte dringend etwas zum Trinken. Etwas Härteres. Etwas… das seine Probleme leichter machte. Er vertrug etwas Handfestes, schließlich war er kein schwuler Schwächling, der nichts verkraftete.

Er bremste ab und blieb wie angewurzelt stehen. Dachte über diesen Gedanken nach und fuhr sich mit beiden Händen mehrmals über sein müdes Gesicht.


An der nächsten Ecke wusste er ein Bistro, welches um diese Zeit noch geöffnet hatte und, wenn der Chef gute Laune hatte, konnte er vielleicht sogar noch etwas zum Essen bekommen. Das ‚Jules‘ - so hieß das Bistro - war nicht besonders groß, aber es verströmte ein fremdländisches Flair, das mit seinen Besitzer - einen Franzosen - zu tun hatte. Im Gegensatz zu den meisten umliegenden Bars, ging es hier etwas ruhiger zu.



Leise Musik, ein französischer Chanson, klang ihm entgegen, als er die Tür aufdrückte. Der Geruch von Zigarettenqualm und Alkohol umhüllten ihn. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das dezente Dunkel, das hier herrschte. Ein wenig Verruchtheit schien in der Luft zu liegen. Einige Tische waren besetzt. Der Großteil aber war schon verwaist. Nur noch die leeren Gläser mit Rändern von rotem Lippenstift erinnerten an die intimen vergangenen Stunden. Die abgestandene Luft roch nach Tabak, Alkohol und menschlichen Ausdünstungen. Der hintere Teil des Bistros war so düster, dass Alex nur Schemen erkennen konnte. Sehr beschäftigte Schemen, deren Bewegungen keine Fragen offen ließen.

Trotzdem wählte Alex einen der Tische im Hintergrund. Er wollte niemanden sehen und auch nicht gesehen werden.

Ein verliebtes Pärchen saß zusammengekuschelt am unteren Ende des Tresens, ihm gegenüber. Knutschte intensiv. Die Hände der Beiden schienen überall und nirgends am Körper des jeweils anderen zu sein.

An einem Nebentisch sammelte eine einsame Gestalt leere Gläser zu Gruppen, die in Reih und Glied vor ihm Habt-Acht standen, entleert in den verflossenen Abend- und Nachtstunden.


Der Wirt - sein Name ist tatsächlich Jules - mit aufgezwirbelten Picasso-Bart und einen schwarzen Barrett lässig-schräg auf dem Kopf gesetzt, kam hinter den Tresen hervor, wobei er mit einen nun schon etwas schmutzig wirkenden Geschirrtuch geschäftig über den Tresen wedelte, und nahm die Bestellung auf.

Von seiner fülligen Gestalt verdeckt öffnete sich die Tür abermals und ließ einen Schwall kalter Luft in den verrauchten Raum, ohne das Alex erkennen konnte, ob jemand den Raum betrat oder verließ. Es war ihm auch egal, da er sein Glück kaum fassen konnte, als Jules - gut gelaunt über die erfolgreichen Geschäfte der letzten Stunden - ihm einen Rest seiner Zwiebelsuppe anbot.

Jules‘ Zwiebelsuppe - original Französisch, wie er mit starkem französischem Akzent betonte - war bekannt für seinen exzellenten Geschmack und Alex war wahrhaftig dankbar dafür letztlich in dieser Nacht noch etwas Genießbares zu bekommen. Bis sie der Wirt aufgewärmt hätte, würde er einen Cognac zu sich nehmen, teilte er gut gelaunt dem Wirt mit.

Jules verschwand hinter seiner Theke, um kurz darauf einen Cognac-Schwenker vor Alex abzustellen.

Alex griff danach und so wie er es in vielen Filmen gesehen hatte, fing er an das Glas vor seiner Nase hin und her zu schwenken, wie man es von Kennern kennt. Konnte jedoch keine Geruchsveränderung wahrnehmen, was wahrscheinlich an der dicken Luft im Bistro lag. Schließlich zuckte er die Schultern und kippte - ohne weitere Achtungsbezeugungen gegenüber der goldbraunen teuren Flüssigkeit - den Cognac hinunter.

Im nächsten Moment brannte es höllisch in seinem Hals, so dass er nach Luft schnappte und loshustet, was seinerseits wieder Tränen in seine Augen trieb. Trotzdem winkte er todesmutig Jules mit seinem Glas zu, dass dieser als professioneller Wirt sofort verstand, ihm ein Lächeln und ein „Qui!“ entlockte und Alex ein neues gefülltes Glas bescherte. Dieses Mal war Alex bereits vorgewarnt und er trank das Hochprozentige langsamer und gelassener, so dass ihm ein neuerlicher Hustenanfall erspart blieb.

Eine angenehme Wärme breitet sich kurz darauf in seinem Inneren aus und verdrängte etwas die leere Kälte, gegen die Alex in letzter Zeit ständig anzukämpfen hatte.




Zwiebelsuppe à la Jules

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