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2. KAPITEL

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In der zweiten Woche trat schon eine Art Gewöhnungseffekt ein. Das Wochenende war ruhig und ereignislos gewesen, und ich hatte entschieden, dass sich alle Ereignisse – Rattengift, Stimmen, Feuer – auf Albträume und Zufälle zurückführen ließen. Am Montag stand ich um 6 Uhr 45 auf, öffnete Glockenschlag 7 Uhr lächelnd Jalil die Badezimmertür und steckte um Punkt 8 Uhr 15 den Schlüssel ins Schloss des Cafés, eine Viertelstunde, bevor Eva und Gullbritt eintrafen, weshalb es mir gelang, einen großen Latte mit Zucker zu trinken und die gesamte Dagens Nyheter durchzublättern, ohne dass sie davon irgendetwas mitbekamen. Gestärkt durch diesen Energie- und Informationsschub, machte ich mich an die Arbeit, schälte Rinkeby-Kartoffeln im Überfluss, knetete Sauerteig, briet und schnitt Hühnerbrüste, überzog Möhrenkuchen mit Frischkäse-Frosting und brachte mir zu guter Letzt bei, wie die Kasse funktionierte. Am Nachmittag bedachte Eva mich mit einem bittersüßen Lächeln und einer gehobenen Augenbraue.

»Auch wenn du mir nicht ganz geheuer bist, Fleiß kann man dir jedenfalls nicht absprechen«, sagte sie. »Möchtest du morgen mitkommen nach Rinkeby?«

Es gab nur eine Antwortmöglichkeit auf dieses einmalige Freundschaftsangebot – JA, GERNE –, weshalb ich am folgenden Morgen bereits um fünf aufstehen und mich nach Sundbyberg begeben musste, um dort auf Eva zu warten, die mich mitnahm zum Markt alias Rinkeby torg, wo ich ihre Säcke voller Wurzelgemüse schleppen durfte.


Rinkeby torg lag bloß drei U-Bahn-Stationen von Sundbyberg entfernt, aber es war, als würde man in ein anderes Universum eintauchen. Ungefähr neunzig Prozent der Einwohner stammten offensichtlich aus anderen Teilen der Welt als Europa, schienen aber bestens miteinander auszukommen. Das eine oder andere blasse Gesicht eines Schweden tauchte in der Menge auf, wirkte aber wie die langweilige Ausnahme.

»Sie kommen zum Einkaufen her, genau wie wir«, zischte Eva mir zufrieden ins Ohr. »Hier gibt es viel billigere und bessere Waren als in den typischen schwedischen Geschäften.« Eva stolzierte wie ein Feldmarschall über den Markt, ganz wie ich es mir ausgemalt hatte, inspizierte das Obst, prüfte das Gemüse. Zum ersten richtigen Halt kam es an einem der hinteren Gemüsestände, dessen dunkelhäutiger Betreiber breit lächelte, als er Eva erkannte.

»Hallo, Fared«, sagte Eva und nickte zu mir. »Das ist Sara.«

Fared und ich schüttelten uns die Hände. Er machte einen freundlichen und intelligenten Eindruck.

»Was hast du heute im Angebot?«, fuhr Eva fort und beäugte misstrauisch seine Auslage. »Ich plane einen Eintopf aus Wurzelgemüse mit Kardamom und Vollkornreis, der drei bis vier Tage auf der Speisekarte bleiben soll.«

»Beste Süßkartoffeln«, sagte Fared und hielt eine große blassrosafarbene Knolle hoch.

»Nee, nee, versuch’s gar nicht erst, nur weil du eine große Menge davon reinbekommen hast, weil sie niemand sonst wollte«, sagte Eva streng. »Die sind schweineteuer und total überschätzt! Ich brauche Pastinaken, Knollensellerie, Möhren und Kartoffeln. Außerdem noch schöne Salate, die sich ein paar Tage halten. Nichts, das traurig aussieht!«

Sie schaute ihm direkt in die Augen.

»Bar, also mach mir einen besonders guten Preis!«

Fared lächelte mich an, zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

»Sie ist genau wie meine Frau«, sagte er und deutete auf Eva. »Verhandeln unmöglich.«

Ich lachte. Aber während Eva mit Feilschen beschäftigt war – Gemüse drückte, daran roch, es unzufrieden zurücklegte, nur um schließlich doch dem einen oder anderen Einkauf zuzustimmen, und Fared so auf die Hälfte des Preises herunterhandelte, den er anfangs genannt hatte –, wurde mir bewusst, dass sie genau das tat, was die allermeisten Einwanderinnen an den umliegenden Ständen ebenfalls machten. Der Gemüseeinkauf war offenbar eine eigene Kunstform, überall wurde hartnäckig gefeilscht, ohne dass es jemandem übel aufstieß. Nur die vereinzelten Schweden weigerten sich, sich auf das offene Spiel der Verkäufer einzulassen, zahlten ohne jede Diskussion den begehrten Preis und verschwanden dann verschüchtert mit ihren Tüten.

»Jedes Mal ziehst du mich über den Tisch«, sagte Eva und drückte Fared ein paar Scheine in die Hand, der nur lachte. »Jetzt kaufen wir noch Gewürze im Geschäft. Fared, wir lassen alles erst mal hier.«

Fared zwinkerte mir zu.

»Habe ich ein Mitspracherecht?«, fragte er Eva.

»Nein, hast du nicht«, antwortete Eva und klang leicht gekränkt. Dann gingen wir.

Rund um den Marktplatz reihten sich Lebensmittelgeschäfte aneinander, aber sie waren anders bestückt als der typische schwedische Supermarkt: Die Auswahl an bestimmten Produkten war wesentlich größer, zum Beispiel gab es viele verschiedene Reissorten, und fast alles wurde in großen Mengen angeboten, aber weniger grell präsentiert, eher zweckmäßig. Eva packte zwei riesige Flaschen Olivenöl und zwei kleinere Reissäcke ein, bevor wir in die Gewürzabteilung gingen.

»Ich brauche Kardamomkapseln, Muskatnüsse und Vanilleschoten«, sagte Eva.

Sie öffnete Dosen, probierte, kaute und machte dabei kleine Augen, spuckte in eine Schale und bewegte sich, als wäre sie in ihrer eigenen Küche.

»Darf man das?«, fragte ich vorsichtig.

»Sei doch nicht so unfassbar schwedisch!«, sagte Eva verächtlich. »Hier, nimm mir das mal ab.« Sie drückte mir alle Einkäufe in die Arme, und dann bewegten wir uns Richtung Ausgang. Bis Eva plötzlich wie angewurzelt stehen blieb.

»Verdammt«, sagte sie. »Ich hab den Abflussreiniger vergessen. Kannst du den eben schnell holen? Der steht ganz hinten rechts bei den Reinigungsmitteln.«

Ich legte alles an der Kasse ab und ging in den hinteren Teil des großen Geschäfts. Es gab mehrere Regale voller Reinigungszeug, und ich lief langsam davor auf und ab auf der Suche nach der Marke, die Eva verlangt hatte. Gerade als ich sie gefunden und eine Dose mit Pulver und einen Gummipümpel aus dem Regal genommen hatte, hörte ich ein Geräusch, das mich erstarren ließ. Ein heiseres Flüstern.

»Dann hältst du das für Zufall? Vielleicht war es auch nur ein Albtraum?«

Woher kam die Stimme? Ich drehte mich um, aber da war niemand.

»Papa ist verbrannt … und du hast ihm nicht geholfen. Wann wird es das nächste Mal brennen?«

Ich ließ Dose und Pümpel fallen und rannte, so schnell ich konnte, den Gang hinunter, damit ich in den Nachbargang schauen konnte. Ganz am Ende bei den Putzeimern stand ein Vater mit einem Kinderwagen und telefonierte. Er schaute nicht mal in meine Richtung.

Hatte ich die Stimme wirklich gehört? Oder war sie nur in meinem Kopf gewesen?

»Himmel, wie du schlurfst!«, sagte Eva, als ich mit Dose und Pümpel zur Kasse kam. »Na, los. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«

Eifrig lud sie die Einkäufe aufs Band der Kasse. Ich fühlte mich plötzlich wie gelähmt.

»Hilfst du mal?«, sagte Eva.

Wie in Trance legte ich Sachen auf das Band.

»Tagesgericht für die nächsten vier Tage«, sagte Eva zufrieden. »Zweihundert Portionen pro Tag mal hundertfünfzig Kronen mal vier. Schöne Sache.«

Und dann tat sie etwas, das mich verwunderte. Sie kam mir sehr nah und schob ihre Hand in meine hintere Hosentasche.

»Was soll das?«, fragte ich. »Lass das!«

Eva bedachte mich mit einem nachsichtigen Blick und zeigte mir dann diskret ihre Hand. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt sie ein ganzes Bündel kleiner, viereckiger Tütchen.

»Auch wenn mir der Gedanke gefällt«, flüsterte sie und stopfte die Tütchen in den Karton mit den Kaugummis, »hätte ich lieber eine Angestellte, die nicht beim Ladendiebstahl erwischt wird.«

Sprachlos starrte ich auf die vielen Tütchen, die sie aus meiner Hose gefischt hatte und die nun zwischen den Kaugummipackungen lagen. Safran?

»Teurer als Gold«, zischte Eva aus dem Mundwinkel. »Weshalb man es besser meidet. Gehen wir.«

Eva zahlte selbst hier mit Bargeld und steckte die Quittung in die Hosentasche. Ich hätte nicht mal sagen können, ob sie beim Gemüsehändler überhaupt eine bekommen hatte.

»Warum lässt du dir die Sachen nicht liefern wie alle anderen?«, fragte ich matt mit all den schweren Sachen im Arm.

Mir schwirrte der Kopf. Safran?

Wie waren die Tütchen in meine Hosentasche gekommen? War das der Mann gewesen, der mich in der Gewürzabteilung weggestoßen hatte? Oder das Kind, das so wild um mich herumgesprungen war?

Und hatte ich wirklich diese Stimme gehört, die von Papa und neuen Feuern flüsterte?

»Du bist verrückt«, sagte Eva völlig unbeeindruckt. »So ist das viel billiger. Du kannst damit rechnen, dass ich dich von nun an häufiger morgens brauche. Zu zweit ist es viel einfacher, alles zusammenzusammeln.«

Ich öffnete den Mund, um etwas über meine vertraglichen Arbeitszeiten zu sagen, die gerade heute weit über das hinausgingen, was abgesprochen und gesetzlich vorgesehen war. Aber dann schloss ich ihn wieder.

Mir war nicht danach, über irgendetwas zu diskutieren. Und ein Kommentar zu meinen Arbeitszeiten würde außerdem nicht sehr gut aufgenommen werden.


Am Mittwoch betrat eine junge Frau das Café, die, um es gelinde auszudrücken, aus der Masse unserer sonstigen Klientel herausstach. Sie war schön geschminkt und trug so teure Klamotten, dass selbst Eva darauf reagierte.

»Check mal die Östermalm-Bitch«, flüsterte sie mir ins Ohr, während sie gerade Vanillesoße anrührte.

»Bitch?«, zischte ich zurück und versuchte, nicht loszulachen. »Verwandelst du dich gerade? Du klingst wie Sebbe Staxx.«

Die Frau kam zu uns an den Tresen, bestellte einen Latte und ein Focaccia bei Gullbritt, nahm ihr Tablett und suchte sich einen Platz. Aber weit kam sie nicht, bevor sie mit einem ihrer Stöckelschuhe umknickte, ihr das Tablett aus den Händen rutschte und auf den Boden knallte. Glas und Teller zerbrachen in tausend Stücke, Milchkaffee und Schaum spritzten auf die Kundschaft rundherum.

Eva verdrehte die Augen und verschwand mit ihrer Schüssel in der Küche, Gullbritt wandte sich unberührt dem nächsten Gast zu, also eilte ich mit einem Lappen zu der Frau.

»Das tut mir so entsetzlich leid!«, sagte sie und sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Diese verdammten Schuhe! Ich muss zu einem Kundengespräch, deshalb bin ich so aufgetakelt.«

»Kein Problem«, sagte ich und wischte den Kaffee weg. »Setzen Sie sich schon mal, ich bringe Ihnen Ersatz.«

Schon bald trug ich ein frisches Tablett zu ihr, und sie konnte in Ruhe und Frieden essen. Als sich der typische Mittagsandrang gelichtet hatte, ging ich mit einer Kanne frisch gebrühten Kaffees zu ihr.

»Darf ich nachschenken?«, fragte ich.

Sie schaute zu mir auf und lächelte. Da erst sah ich, wie schön sie wirklich war.

»Oh, sehr gern«, sagte sie. »Mein Kaffee wurde gerade ein bisschen zu kalt. Wie nett von Ihnen!«

Danach blieb sie noch eine Weile sitzen und las in ihrem Handy, bevor sie aufstand und ging. Sie winkte mir zum Abschied kurz zu.

Am nächsten Tag kam sie wieder, diesmal in einem Mantel aus Zebrafellimitat und mit knallgelber Sonnenbrille.

»Lieber Himmel, in Deckung«, sagte Eva und zog sich in die Küche zurück.

Die Frau bestellte das Gleiche wie am Vortag und blieb auch diesmal nach dem Essen wieder eine Weile da. Mittlerweile war es Zeit für meine Pause, also nahm ich mir einen Kaffee und mein Handy und verschwand unter der Palme, wie es mir schon zur Gewohnheit geworden war. Die Nachrichtenseiten verrieten, dass nichts Weltbewegendes passiert war, also vertrödelte ich meine Zeit bei Instagram, als plötzlich der Zebramantel neben mir erschien. Ich schaute auf.

»Darf ich mich dazusetzen?«, fragte sie und nahm ihre gelbe Sonnenbrille ab.

»Klar«, antwortete ich. »Meine Pause ist in fünf Minuten rum, aber nur zu.«

Sie ließ sich nicht lange bitten und schaute mir direkt in die Augen. Ihre waren auffällig, wie ich jetzt entdeckte: das eine blau, das andere eher grünbraun. Insgesamt war sie, wie mir schon gestern aufgefallen war, sehr hübsch.

»Vielleicht sollte ich mich vorstellen«, sagte sie und hielt mir ihre Hand hin. »Bella.«

»Sara«, sagte ich.

Wir schüttelten Hände und lächelten einander an.

»Wie ist das Kundengespräch gestern gelaufen?«, fragte ich, um einfach irgendwas von mir zu geben.

Bella lachte.

»Sehr gut«, sagte sie, »als ich erst mal raushatte, wie man in diesen verflixten Schuhen läuft! Gut, dass ich dem Geschäftsführer nicht als Erstes in die Arme gefallen bin. Er war nicht gerade Brad Pitt, um es mal so zu sagen.«

Sofort hatte ich Sixten vor Augen und musste ebenfalls lachen.

»Was machst du denn beruflich?«, fragte ich.

»PR«, sagte Bella. »Ein Bereich, der permanent wächst. Wir bekommen immer mehr Konkurrenz, deshalb sind wir ständig unterwegs und angeln neue Kunden.«

»Kann ich mir vorstellen«, sagte ich. »Klingt spannend.«

»Sara!«, rief Eva vom Tresen rüber. »Deine Pause ist vorbei!«

Ich grinste Bella an.

»Lustig, dass sie immer ein paar Minuten zu früh vorbei ist«, sagte ich.

Bella schaute bedauernd. Dann warf sie einen Blick auf ihr Handy.

»Ich muss aber auch los«, sagte sie. »War schön, dich wiederzusehen.«

»Ja, finde ich auch«, erwiderte ich.

Kaum stand ich hinter der Theke, wurde ich misstrauisch von Eva beäugt.

»Was wollte die Großwildjägerin?«, fragte sie.

»Das Fell war nicht echt«, sagte ich. »Und sie wollte nur das Rezept vom Focaccia.«

Eva schnaubte.

»Vergiss nicht abzuräumen.« Sie nickte zum Tisch in der Ecke, auf dem noch Geschirr stand.

Ich nahm ein Tablett mit, um die Teller und Gläser zu holen. Auf dem Rückweg stieß ich gegen einen der Stühle, die um den Tisch standen, an dem Bella und ich gesessen hatten. Ein Klirren folgte. Bellas gelbe Sonnenbrille lag am Boden. Sie musste sie neben sich auf den Stuhl gelegt und dort vergessen haben.

Ich stellte das Tablett ab, um sie aufzuheben.

Miu Miu. Teure Marke, das wusste selbst ich.

Wie konnte ich Bella wohl erreichen?


Am Nachmittag hatten wir ungewöhnlich viel Kundschaft, mir blieb keine freie Sekunde. Dann plötzlich rief Gullbritt aus der Küche, die Hand über der Muschel des Telefonhörers.

»Für dich«, sagte sie. »Ein Mädel, hat was vergessen.«

Es war Bella.

»Tut mir leid, ich bin einfach so schusselig«, sagte sie. »Du hast nicht zufällig eine Sonnenbrille gefunden? Irgendwo habe ich meine gelbe Miu Miu-Brille liegen lassen. Ich liebe die und weiß nicht, wo sie geblieben ist. Sie ist einfach weg.«

»Ich hab sie gefunden«, beruhigte ich sie. »Sie steckt schon in meiner Tasche. Du hast sie auf dem Stuhl liegen lassen.«

»Echt?«, jubelte Bella. »Wie großartig! Wann kann ich vorbeikommen, um sie abzuholen? Du hast nicht zufällig vor, heute noch in die Stadt zu fahren, oder?«

»Doch«, antwortete ich. »Ich wollte heute noch ins Kino. Wir könnten uns danach irgendwo treffen.«

»Super!«, sagte Bella. »Was guckst du dir an?«

»Einen alten französischen Film, der im Bio Rio am Hornstull läuft. Wie wäre es, wenn ich danach zum Mariatorget komme? So gegen zehn?«

»Perfekt«, sagte Bella. »Dann treffen wir uns im Rival, und ich gebe dir zum Dank einen Drink aus.«


Gegen sechs nahm ich die U-Bahn bis Hornstull und spazierte am Ufer entlang bis Tantolunden, aß unterwegs ein Panini und beobachtete die Leute, bis es Zeit war, ins Bio Rio zu gehen.

Die Leute hier am Hornstull sahen ganz anders aus als am Stureplan. Viele waren gepierct oder tätowiert, trugen lieber feste Stiefel und Ringelsocken als teure Markenklamotten und hatten sich die Haare rot, blau, lila oder grün gefärbt. Ich spürte richtig, nicht länger in Örebro zu sein, allerdings fühlte es sich hier anders an als am Stureplan. Für einen Moment, als ich mich umdrehte, um die Bedienung heranzuwinken, war mir, als säße mein Nachbar Sixten im Barbereich am Eingang. Aber genau da stand der Mann hinter mir auf und versperrte mir die Sicht. Als ich noch einmal schaute, war von Sixten nichts zu sehen.

Alles Einbildung, selbstverständlich.

Nach dem Film musste ich mich beeilen. Die Hornsgatan war voller Leben und Abgase, wütender Fahrradfahrer, Läufer mit Stirnlampen und lachender Mütter mit Zwillingskinderwagen. Nachdem ich den Park am Mariatorget durchquert hatte, war ich froh, mich bald setzen zu können. Im Rival entdeckte ich Bella schnell an der Bar. Sie umarmte mich, und ich überreichte ihr die Sonnenbrille.

»Du bist so unfassbar nett!«, sagte sie voller Freude. »Darf ich dich auf ein Glas Champagner einladen?«

»Nicht nötig. Ich war schließlich sowieso in der Stadt.«

»Darf ich es vielleicht trotzdem?«, fragte Bella und lächelte. »Ich würde nämlich gern was mit dir besprechen.«

Nachdem jede von uns mit einem Glas versorgt war, gingen wir hinauf und setzten uns an einen freien Tisch direkt am Fenster. Ich hatte keine Ahnung, was Bella von mir wollte, aber ich war noch nicht oft in Södermalm gewesen. Und mit Champagner gegenüber von ihr im Rival zu sitzen war definitiv besser, als im Bett in Vällingby zu liegen, wo mich Sixtens Fernseher zwang, die Nachrichten mit anzuhören.

Bella räusperte sich. Plötzlich wirkte sie fast schüchtern.

»Ich will nicht aufdringlich klingen«, sagte sie, »aber seit ich dich getroffen habe, möchte ich mehr über dich wissen. Seit wann arbeitest du in dem Café?«

Verwundert hob ich eine Augenbraue.

»Seit zwei Wochen«, antwortete ich. »Ich wohne noch nicht lange hier, komme ursprünglich aus Örebro.«

Sie nickte leicht, als würde ich etwas bestätigen, das sie schon geahnt hatte.

»Das dachte ich mir«, sagte sie. »Ich spüre so etwas für gewöhnlich.«

Ich wartete. Was wollte sie wohl?

»Wie ich ja schon erwähnt habe, arbeite ich bei einer Event- und PR-Agentur. Sie heißt Perfect Match. Sagt dir das was?«

»Nein«, antwortete ich und musste grinsen. »Klingt aber irgendwie nach einer Datingseite.«

Bella lachte.

»Das ist gar nicht so weit hergeholt«, sagte sie. »Es geht nämlich darum, perfekte Verbindungen zu finden.«

»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich verstehe, wie du das meinst.«

Bella betrachtete mich.

»Du hast studiert, oder?«, fragte sie. »Du machst jedenfalls den Eindruck.«

»Stimmt.«

»Darf ich fragen, was genau du studiert hast? Und wo du bisher gearbeitet hast?«

»Klar«, antwortete ich. »Ich habe eine militärische Grundausbildung inklusive Offiziersausbildung gemacht. Darauf folgte ein Bachelor in Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Universität Uppsala. Vergangenen Winter habe ich meine Abschlussarbeit geschrieben und die Bestnote bekommen. Seither lasse ich es aus unterschiedlichen Gründen etwas ruhiger angehen.«

Bella lächelte und schüttelte den Kopf. Dann schaute sie eine Weile in ihr Champagnerglas.

»Wenn ich sehr lieb frage«, sagte sie und sah mir direkt in die Augen, »könntest du dir dann vorstellen, mal bei uns vorbeizukommen? Bei Perfect Match? Zu einem unverbindlichen Gespräch?«

Ich blieb still.

»Nur, damit wir uns richtig verstehen«, fuhr sie fort. »Die Mehrheit aller Stockholmer in unserem Alter würde sich den Arm ausreißen, um diese Frage zu hören. Genau deshalb suchen wir Mitarbeiter, die ein bisschen anders aufgestellt sind und auf einen breiteren Erfahrungsschatz blicken können. Mit anderen Worten: Solche, die nicht sofort von selbst auf uns kämen. Solche wie dich. Mit einer Militär- und Hochschulausbildung. Mir imponiert, wie du in unterschiedlichen Situationen reagierst, und ich habe – wenn ich das sagen darf – ein sehr gutes Bauchgefühl. Ich bin bei uns für fast alle Einstellungen verantwortlich.«

Ich dachte zurück an den Nachmittag im Café. An Gullbritt, die mit einem Kunden über die Rechnung stritt. An Eva, die neben ihr stand und die Schokoladenbällchen auffüllte – und sich nach jedem Bällchen die Finger ableckte.

»Schieß los«, forderte ich Bella auf. »Wann und wo?«

Lächelnd fischte Bella eine Visitenkarte aus der Tasche. Perfect Match Media stand oben, darunter Bellas Name, gefolgt von dem Titel »Partner«. Die Agentur lag in der Kommendörsgatan.

»In Östermalm also?«, fragte ich, während sich ein paar Schmetterlinge in meinem Bauch meldeten.

Innenstadt.

»Genau«, sagte Bella. »Nimm die U-Bahn bis Östermalmstorg. Könntest du schon morgen vorbeikommen? Gegen siebzehn Uhr? Die Arbeitstage sind lang, das solltest du vorab wissen. Aber irgendetwas sagt mir, dass du nicht besonders arbeitsscheu bist.«

»Nicht besonders, nein«, bestätigte ich und überschlug derweil im Kopf, dass ich dann schon um vier Feierabend machen musste, um es rechtzeitig in die Stadt zu schaffen.

Darüber würde Eva nicht gerade glücklich sein.

»Wie schön, dann sehen wir uns ja morgen schon wieder«, sagte Bella und lächelte warm. »Ich habe ein gutes Gefühl.«


Freitagnachmittag bahnte ich mir den Weg durch die Straßen Östermalms und spürte wieder mal, wie froh ich war, Sundbyberg und Vällingby hinter mir gelassen zu haben. Ich hatte Migräne vorgetäuscht und war um vier vom Café aufgebrochen, und jetzt war es erst Viertel vor fünf, als ich vor der Agentur stand. Ein edles, altes Gebäude mit schweren Holztüren, und als ich klingelte, musste ich mein Anliegen schildern, bevor ich hereingelassen wurde.

Eine Viertelstunde später saß ich Bella und einem männlichen Kollegen gegenüber, der aussah, als wäre er um die vierzig. Er hatte sich als Roger vorgestellt, und ich glaubte ihm. Seine maßgeschneiderte Kleidung war einen Hauch zu perfekt und sollte wohl über seine mangelnde Attraktivität hinwegtäuschen, während er sich selbst offenbar für unwiderstehlich hielt.

»Spannender Werdegang, Sara«, kommentierte er und betrachtete mich ein bisschen herablassend. »Aber warum das Militär? Machen das nicht nur vor Testosteron strotzende Jungs?«

»Das würde ich nicht behaupten«, entgegnete ich und schaute ihm dabei fest in die Augen. »Ich war schließlich auch da.«

Roger erwiderte nichts, legte die Fingerspitzen aneinander.

»Warum bewerben Sie sich bei uns?«, wollte er wissen.

Ich warf Bella einen fragenden Blick zu.

»Ich bewerbe mich nicht«, sagte ich. »Oder, Bella? Habe ich was missverstanden?«

Bella flüsterte Roger etwas ins Ohr, dann standen beide auf.

»Entschuldige uns«, sagte Bella gepresst. »Wir sind gleich wieder da.«

Die Minuten vergingen. Ich schaute mich um. An den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Fotografien von vermutlich sehr berühmten Fotografen, aber keines sagte mir etwas.

Vor Testosteron strotzende Jungs.

Ich musste an unsere Joggingstrecke im Wald denken, die wir in den letzten Maiwochen vor drei Jahren fast täglich abgelaufen waren. Erik, Gabbe, Rahim, Nadia und ich als Grüppchen, auch wenn Nadia und Gabbe uns weit hinter sich hätten lassen können. Der Schweiß auf dem Rücken der anderen, auf meiner Stirn. Der Blutgeschmack im Mund. Und gleichzeitig das Glücks- und Gemeinschaftsgefühl, das Wissen um das eigene körperliche Vermögen. Das ungeheure Zusammengehörigkeitsgefühl, das eigentlich schon am ersten Abend zu spüren gewesen war, als wir die Unterkunft bezogen. Rahim hatte das Bett neben mir bekommen, Gabbe das über mir. Nadia war vom anderen Ende des Zimmers herübergekommen und hatte sich zu mir gesetzt, als wäre es das Natürlichste der Welt, und mir von ihrem Leben erzählt. Und dann waren wir zu viert zum Essen gegangen, wo Erik allein am Tisch saß und wirkte, als hätte er nur auf uns gewartet.

Selbstverständlich war es möglich, neue Freunde zu finden, wo man es am wenigsten erwartete. Aber oft geschah das nicht.

Nach der Grund- und später der Offiziersausbildung waren wir in unterschiedlichen Teilen des Landes oder sogar der Welt gelandet. Erik war zurück nach Göteborg gezogen, Nadia studierte Wirtschaft in Kopenhagen, und Rahim war nach Malmö zurückgekehrt, um im Familienbetrieb zu arbeiten. Nur Gabbe war noch beim Militär und hatte einen Posten in Norrland.

Sie fehlten mir noch immer so sehr, dass mir die Tränen kamen. Bedauerlicherweise schienen sie mich – von den vielen erfolglosen Kontaktversuchen meinerseits zu schließen – nicht sonderlich zu vermissen.

Die Tür ging auf, und Bella kam herein, diesmal in Begleitung eines anderen Mannes. Er war jünger als Roger, um die dreißig, trug ein schwarzes Polohemd und dazu eine rechteckige Brille mit schwarzen Bügeln.

»Ich heiße Pelle«, sagte er und schüttelte mir die Hand, »und ich möchte mich für Roger entschuldigen. Ihm war nicht klar, warum du hier bist.«

»Das ist es mir auch nicht«, sagte ich. »Warum bin ich denn hier?«

Pelle lächelte und schaute zu Bella, die ebenfalls lächelte.

»Du bist hier, weil Bella unsere beste Headhunterin ist. Wenn ihr jemand ins Visier gerät, liegt sie fast immer richtig. Sie würde dich gern zu ihrer Assistentin machen. Auf Probe.«

Ich war verblüfft.

»Aber du weißt doch nichts über mich!«, sagte ich zu Bella. »Ich habe keine Erfahrung mit Medien und PR.«

»Das ist ja der Punkt«, erklärte Pelle. »Perfect Match Media funktioniert genau so. Wir suchen die echten Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen. Dann stellen wir euch unsere Profis an die Seite, und schon haben wir die perfekte Mischung. Ein perfect match eben. Verstehst du?«

»Da ist aber ein ziemliches Risiko«, gab ich zu bedenken. »Was, wenn die Rechnung nicht aufgeht?«

»Die geht auf«, sagte Bella siegessicher. »Glaub mir, ich weiß das! Außerdem gibt es eine Probezeit.«

Ich blieb still. Misstrauen schlug in meinem Kopf aus wie eine dunkle, böse Blume und verzweigte sich in alle Richtungen mit gigantischem Blattwerk. Warum ich?

Wo war der Haken? Wollten sie mich reinlegen? Mich auslachen? Waren sie hinter mir her?

Das Kichern im Klassenzimmer, wenn der Lehrer erzählte, dass ich in der Mathearbeit wieder alles richtig gelöst hatte. Jedes Mal beim Sport zuletzt ins Team gewählt werden, obwohl ich das beste Mädchen im Fuß- und Brennball war.

Ich musste mich konzentrieren.

»Und was dachtet ihr, wann soll ich anfangen?«, fragte ich vorsichtig.

Pelle und Bella wechselten einen Blick.

»Am liebsten gleich Montag«, sagte Bella. »Meinst du, das geht? Ich habe gerade angefangen, ein Event zu planen – eine Art Abenteuercamp für eine große Beratungsfirma –, für das ich praktisch sofort deinen Input brauchen könnte. Aber parallel laufen natürlich weitere Projekte, unter anderem eine Kampagne für eine große Lebensmittelkette und eine Wohltätigkeitssendung, die beide ebenfalls viel Arbeit bedeuten. Aber sehr spaßige Arbeit, wenn ich das so sagen darf.«

Mir wirbelte alles nur so im Kopf herum. Satzfragmente flogen vorbei.

»Du bist wertlos …« »Wir wollen dich nicht …« »Du wirst es hier nicht schaffen.«

Mir war, als würde ich eine Warnleuchte sehen, deren rotes Licht sich drehte und Bellas und Pelles Gesichter immer wieder in Rot aufleuchten und in Schwarz verschwinden ließ. Trotzdem wollte ich nicht auf meine Selbstzweifel hören, auf die inneren Stimmen, die mir einflüsterten, dass ich das niemals schaffen würde. Dass ich ein Fake war, ein bedeutungsloser und unbrauchbarer Mensch; dass ich alles genau so verdiente, wie es mir zugestoßen war.

Verrückt.

Ich brachte die Stimmen so gut wie möglich zum Schweigen und versuchte, so normal wie möglich zu klingen.

Kündigungsfrist?

»Drei Monate«, sagte Bella.

Bezahlung?

Bella nannte einen Betrag »als Einstiegslohn, aber Bonuszahlungen sind möglich«, der dreimal höher war als das, was ich im Café verdiente.

»Wenn sich die Cafébetreiberinnen querstellen, können wir dich auch freikaufen«, sagte Pelle, nahm die Brille ab und putzte sie mit einem Taschentuch aus der Tischschublade.

Zehn Minuten später stand ich mit einem neuen Job auf der Straße, um den mich offenbar die gesamte Medienlandschaft Schwedens beneidete. Panik kroch in mir hoch, biss und zerrte wie ein Raubtier an meinen Eingeweiden und versuchte mir weiszumachen, dass ich das niemals schaffen würde. Aber sie hatte einen Gegner bekommen, eine neue Lebensform forderte das alte Raubtier heraus: Mit einer Mischung aus Stolz und Zuversicht wuchsen Freude und eine wild wirbelnde Hoffnung.

Mir war ein heiß begehrter Job angeboten worden, und ich hatte mich selbst dazu bringen können, ihn anzunehmen. Gar nicht so schlecht für ein depressives Mädel aus Örebro, das unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt und bis zum Bersten gefüllt war mit Schuldgefühlen und nicht bewältigter Trauer.


Auf dem Weg zur U-Bahn-Haltestelle jubelte ich unwillkürlich laut los und nahm gleich mehrere Stufen auf einmal, so sehr freute ich mich, und ein kleiner Junge, der an der Hand seiner Mutter gerade auf der Rolltreppe stand, schaute mich erschrocken an.

»Keine Sorge, ich freue mich nur!«, rief ich ihm hinterher, aber er starrte mich einfach weiter mit aufgerissenen Augen an.

Im selben Moment klingelte mein Telefon. Es war Björn.

Ich stöhnte laut. Dann nahm ich das Gespräch an.

»Hallo, Sara«, sagte er freundlich. »Hier ist Björn.«

»Hallo, Björn«, sagte ich, und er schien zu hören, wie ungern ich mit ihm telefonieren wollte.

»Ich wollte mich für das entschuldigen, was ich über deinen Vater gesagt habe«, sagte er. »Gibst du mir noch eine Chance?«

Die neue Kraft verlieh mir eine unerwartete Stärke.

»Ich habe gerade keine Zeit. Zum einen bin ich gerade auf dem Weg zur U-Bahn, zum anderen habe ich eine ganze Menge zu erledigen.«

»Ich meinte auch nicht jetzt sofort. Aber können wir uns vielleicht treffen? Ich dachte an einen Motorradausflug. Raus aus der Stadt und dann irgendwo schön essen gehen.«

Die neue Kraft nickte mir ermutigend zu.

»Für so etwas werde ich erst mal keine Zeit haben«, erklärte ich. »Ich fange Montag einen neuen Job an.«

Sofort bereute ich, was ich gesagt hatte. Aber es war mir einfach rausgerutscht.

»Wie schön!«, jubelte Björn. »Erzähl mir mehr davon.«

Du musst niemandem irgendwas erzählen, wenn du nicht willst. Alles in deinem Tempo.

»Das kann ich dir dann immer noch sagen«, antwortete ich. »Wir machen es so: Ich melde mich bei dir, wenn die Lage sich beruhigt hat, okay? Dann brauchst du mich nicht länger zu jagen.«

Björn lachte. »Don’t call us, we’ll call you?«

»Ja, so ungefähr.«

»Wie man so schön sagt: Ich verstehe, was du meinst«, erwiderte Björn. »Viel Glück auf jeden Fall. Und eins noch: Sei vorsichtig.«

»Keine Sorge, das bin ich.«


Ich hatte mich entschieden, den Stier bei den Hörnern zu packen: Samstagmorgen fuhr ich zum Café, obwohl ich frei hatte. Es war zehn Uhr, also waren noch keine Gäste da.

»Was willst du denn hier?«, fragte Eva misstrauisch, die gerade einen Tisch abwischte. »Hast du solche Sehnsucht nach uns, dass du selbst an deinem freien Tag herkommen musst?«

»Ich muss mit euch reden«, sagte ich. »Und das wollte ich lieber persönlich als am Telefon.«

Eva hörte auf zu wischen, eine Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen.

»GULLBRI-I-ITT!«, rief sie über die Schulter, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Komm mal her!«

Gullbritt tauchte in der Küchentür auf und trocknete sich die Hände an einem Tuch ab.

»Wo brennt es?«, fragte sie. Und dann: »Was willst du denn hier?«

»Ich vermute, Sara will mit uns Schluss machen. Lieber persönlich als am Telefon

»Komm«, sagte Gullbritt. »Setzen wir uns.«

Wir nahmen einen der freien Tische, und ich erklärte, so gut ich konnte, was passiert war.

»PR und Events?«, fragte Eva und runzelte die Stirn. »Was soll das überhaupt sein?«

»Und schon ab Montag?«, fragte Gullbritt sauer. »Damit lässt du uns ziemlich im Regen stehen! So schnell finden wir niemals Ersatz.«

»Wusste ich doch, dass an deiner Migräne was faul war«, entfuhr es Eva. »Ich hätte dich niemals gehen lassen sollen. Eine Schauspielerin wird aus dir jedenfalls nicht, so viel steht fest.«

»Perfect Match will euch finanziell deshalb entschädigen«, sagte ich und reichte Eva Pelles Visitenkarte. »Ihr müsst euch bei diesem Mann melden.«

Eva riss die Karte an sich.

»Selbstverständlich geht er an einem Samstagmorgen ans Telefon«, sagte sie und stand auf.

Gullbritt schüttelte den Kopf, ohne mich anzuschauen, und seufzte schwer.

Eva verschwand zum Telefonieren in der Küche und kehrte wenige Minuten später mit einem breiten Lächeln und hochgezogenen Augenbrauen zurück.

»Unfassbar!«, sagte sie und knallte die Visitenkarte auf den Tisch. »Dass du so viel wert bist! Hätte ich das geahnt, hätte ich dich nicht erst Kartoffeln schälen, sondern gleich die Hühnchen braten lassen.«

Sie wandte sich an Gullbritt und zeigte auf Pelles Karte.

»Jetzt können wir die Stühle kaufen, die wir angeschaut haben. Und zwar alle!«

»Du machst Witze«, sagte Gullbritt. »Die sind doch schweineteuer.«

»Kein Witz«, erwiderte Eva zufrieden. »Massivholz mit wunderschön gemusterten Polstern.«

Gullbritt starrte sie an. Dann mich.

»Ich verstehe kein Wort«, sagte sie. »Wieso interessieren die sich ausgerechnet für Sara?«

»Tja«, sagte Eva und nahm Pelles Visitenkarte fast liebevoll in die Hand.

Dann ließ sie das kleine Rechteck in ihrer Brusttasche verschwinden und klopfte zufrieden dagegen.

»Dann wollen wir Sara jetzt mal das Beste wünschen«, sagte sie zu Gullbritt.

Als sie mich danach ansah, war sie plötzlich wieder ganz ernst.

»Dass an der ganzen Sache irgendwas faul ist, wird dir selbst bewusst sein«, sagte sie. »Komm gern wieder her, wenn das in die Hose geht.«

Sofort meldete sich meine Unsicherheit wieder und blühte in meinem Inneren auf.

Irgendwas ist faul, irgendwas ist faul, irgendwas ist faul.

»Du meinst, dass ich das nicht packe?«, fragte ich leise.

Eva betrachtete mich verständnislos, vielleicht sogar genervt.

»Selbstverständlich packst du das!«, sagte sie.

»PR und Medien! Wie schwierig soll das sein? Schick Bella mal her, damit sie sich um die Ratten im Hof kümmert, wie du und ich vor ein paar Tagen, und dann wollen wir mal sehen, wer was packt.«

Mit Evas aufmunternden Worten im Ohr machte ich auf den Weg zurück nach Vällingby, wo ich Simåns zu einem Samstagsspaziergang mitnahm.


Simåns und ich liefen entlang der Straße, die zum Vällingby Centrum führte, dann kehrten wir um. Auf dem Rückweg entdeckte ich einen Lieferwagen vor dem Haus. Ich versuchte zu erkennen, ob jemand darin saß, aber die Scheiben waren getönt. Als ich noch fünfzig Meter entfernt war, startete der Wagen durch, machte kehrt und düste Richtung Stockholm davon.

Allein der Anblick löste Unbehagen bei mir aus. Aber das war natürlich nur ein Hirngespinst.


Montagmorgen saß ich bereits um acht Uhr in meinen besten Klamotten in Bellas Büro. Eine lange schwarze Hose, ein dunkelgrüner Blazer über einer weißen Bluse und dazu schwarze Pumps. Alles erst einmal getragen, und zwar zur Beerdigung. Meine Mutter hatte mich gezwungen, die Sachen mitzunehmen nach Stockholm. Ich bedankte mich gedanklich, als Bella mit zwei frischen Lattes hereinkam.

»Wie gut, dass du Frühaufsteherin bist«, sagte sie und musterte mich dann von Kopf bis Fuß. »Dann fangen wir mal an, stürzen uns bis Mittag in die Planung, und dann ziehen wir los und kaufen dir neue Sachen. So kannst du nicht rumlaufen.«

Sofort hatte ich einen Kloß im Hals.

»Warum nicht?«

Bella schüttelte den Kopf.

»Wir vertreten eine Firma und müssen den Kunden einen gewissen Eindruck vermitteln. Glaub mir, ich musste das auch über mich ergehen lassen, als ich neu war. Nimm es nicht persönlich, das geht nicht gegen dich. Aber du wirst noch dankbar sein, wenn du begreifst, was das bedeutet.«

Deshalb war das Gehalt also so hoch? Damit ich mir teure Sachen leisten konnte? Mein Puls legte zu. Aber als hätte sie meine Gedanken gelesen, fügte Bella hinzu:

»Die Firma übernimmt die Kosten diesmal, wir sehen es als Investition. Außerdem bekommst du vermögenswirksame Leistungen, aber die fallen eher nicht ins Gewicht. Was du mit deinem Geld machst, ist jedenfalls komplett deine Angelegenheit.«

In diesem Moment begriff ich, dass Lichtjahre zwischen mir mit meiner Jugend in Örebro und dieser Gruppe von Playern der Stockholmer Innenstadt lagen. Ein Umstand, an dem ich absolut nichts auszusetzen hatte.

Die nächsten vier Stunden planten und entwarfen wir das große Abenteuercamp, das im Herbst stattfinden sollte. Anfangs war ich etwas zurückhaltend, stellte aber schon bald fest, dass ich – nicht zuletzt durch meine militärische Ausbildung – eine Menge beitragen konnte.

»Unser Kunde ist eine große Beraterfirma«, sagte Bella. »Sie möchten sich einfach ein Wochenende lang austoben ›mit allem Drum und Dran‹. Es ist weniger Konferenz, sondern hat eher eine gemeinschaftsbildende Funktion, die Angestellten müssen sich verschiedenen Herausforderungen stellen und sich in Teams gegeneinander durchsetzen. Kannst du dir darunter was vorstellen?«

»Ziemlich viel«, sagte ich. »Es erinnert mich an meine Zeit beim Militär, und eins kannst du mir glauben, es funktioniert. Je größer die Herausforderung, desto größer das Gemeinschaftsgefühl. Ein paar meiner Kameraden wurden Freunde fürs Leben.«

Vielleicht.

»Super«, sagte Bella. »Dann weißt du ja genau, worum es geht.«

Sie schob mir eine Mappe hin und öffnete selbst eine, die genauso aussah.

»Lass uns noch einen Blick auf unseren anderen Auftrag werfen«, sagte sie, »um den wir uns parallel kümmern müssen, auch wenn er später stattfindet. Der Lebensmittelriese und die Wohltätigkeitsgala. Schlag mal Seite fünf auf …«

Ich tat, was sie verlangte, und Bella fing an zu erklären. Ich selbst machte kleine Vorschläge.

Um zwölf klappte Bella die Mappe zu und schaute mich an.

»Das wird großartig«, sagte sie. »Ich wusste es. Komm, wir gehen erst mal was essen. Um deinen ersten Arbeitstag zu feiern, hab ich einen Tisch im Sturehof reserviert. Und dann wird geshoppt.«

Wir folgten der Sturegatan bis zum Stureplan. Die Sonne schien, und es war warm. Mit einem Mal breitete sich wieder dieses Glücksgefühl in mir aus. Hier im Sonnenlicht hatte ich keinerlei Zweifel mehr, sondern spürte nur starke Vorfreude. Die Wendung, die mein Leben genommen hatte, verblüffte mich immer noch – vom Café in Sundbyberg zu einer angesagten PR-Agentur in Östermalm, ohne dass ich dafür auch nur einen Finger krümmen musste –, aber ich war den Zustand leid, der mein Frühjahr und den Sommer geprägt hatte, als sich jede Veränderung in eine positive Richtung so lebenswichtig angefühlt hatte, was es unmöglich gemacht hatte, sie infrage zu stellen.

Ich hatte mit Eva in Sundbyberg Ratten gejagt, da würde ich ja wohl auch einen PR-Job packen.


Im Sturehof schien Bella gut bekannt zu sein. Sie umarmte den Oberkellner und weiteres Personal. Ein Tisch direkt am Fenster erwartete uns, und Bella ging voran, während sie die Umsitzenden grüßte, die ihr zuwinkten. Genau in dem Moment wurden mir meine üble Hose, der schlecht sitzende Blazer, die langweilige Bluse und die omahaften Pumps erst richtig bewusst. Bella trug einen kurzen Rock und dazu Stiefeletten, das Oberteil bestand aus mehreren Stoffstücken, die von Häkchen und großen Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden. Ihre Haare waren zu einem losen Knoten zusammengefasst, und sie strahlte eine unwiderstehliche Mischung aus Selbstsicherheit und Charme aus. Neben ihr sah ich wirklich aus wie die Cousine vom Land.

Kaum hatten wir uns gesetzt, stand ein attraktiver Typ in Jackett und Jeans neben Bella. Er küsste ihr die Wangen und streckte mir dann die Hand hin.

»Micke«, sagte er.

Er war attraktiv, ohne sich so übertrieben herauszuputzen wie Björn und Roger. Außerdem hatte er Lachgrübchen und strahlte die Art von Selbstvertrauen aus, die mir nur selten begegnete – Wärme in Kombination mit Bescheidenheit. Allein sein Anblick machte mich gleichzeitig schwach und unfassbar gut gelaunt. Micke schaute mir in die Augen, und in seinen lag eine Bewunderung, die ich nie zuvor gesehen hatte. Das musste eine Sinnestäuschung sein. Was gab es an mir schon zu bewundern?

Bella schaute von Micke zu mir, und ihr entgingen unsere Blicke nicht.

»Das ist Sara, unsere Senkrechtstarterin«, erklärte Bella und lächelte.

Senkrechtstarterin?

Ich schluckte und bekam kein Wort heraus.

»Wie cool«, sagte Micke. »Wie lange arbeitest du schon für die Agentur?«

Bella und ich schauten uns an und brachen genau gleichzeitig in Gelächter aus.

»Seit vier Stunden«, sagte ich, und plötzlich fiel es mir nicht schwer, mich mit Bella oder Micke zu unterhalten.

Micke deutete mit dem Kopf zu Bella.

»Ich habe schon ein paar Menschen getroffen, die von Bella handverlesen wurden«, sagte er. »Es ist fast unheimlich. Wenn du ein börsendotiertes Unternehmen wärst, ich würde sofort in dich investieren und Aktien kaufen.«

Bella hob die Augenbrauen und schüttelte mit bedauernder Miene den Kopf.

»Micke ist Finanzfuzzi«, sagte sie. »Falls dir das bisher entgangen sein sollte.«

»Fachidiot«, bestätigte Micke. »Man sollte niemals eine schöne Frau mit einem Unternehmen vergleichen.«

Ich wurde rot.

»Kein Problem«, sagte ich. »Ich selbst vergleiche mich meist mit so einem Arbeitsgaul, der die ganze Zeit mit gebeugtem Hals ackert.«

»Einem Arbeitsgaul?«, fragte Micke. »Warum das denn?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Stammt noch aus meiner Zeit beim Militär«, sagte ich. »Immer weiterkämpfen, niemals aufgeben.«

»Da, siehst du?«, sagte Bella zu Micke und schenkte mir ein strahlendes Lächeln. »Ist sie nicht großartig?«

»Sie ist absolut großartig«, pflichtete Micke bei. »Aber jetzt muss ich leider wieder zu meinen Kumpels.«

Mit diesen Worten kehrte Micke zu seinem Tisch zurück.

Ich stöhnte halblaut.

»Warum hab ich das mit dem Arbeitsgaul gesagt?«, jammerte ich. »Dümmer kann man ja fast nicht klingen.«

Bella grinste breit.

»Er mag dich«, sagte sie und schlug die Speisekarte auf. »Das ist nicht zu übersehen. Und jetzt wird gegessen.«

Wir studierten die Karte, die ich noch von meinem Spaziergang letzte Woche kannte, bestellten beide ein teures Fischgericht und ein Glas Weißwein dazu – denn Bella meinte, das wäre die beste Einstimmung auf einen Shopping-Nachmittag. Dann lehnten wir uns zurück, und ich gab mir große Mühe, entspannt zu wirken, obwohl ich die ganze Zeit den Impuls, mich selbst zu kneifen, unterdrücken musste.

»Erzähl mir was über dich«, sagte Bella. »Über deine Kindheit, deine Familie. Ich will alles wissen.«

Also fing ich an zu erzählen. Bella war eine gute Zuhörerin: Sie schaute mich unentwegt an, lächelte aufmunternd und lachte über meine Witze. Ich fing mit meiner Ausbildung in Uppsala an und meinen damaligen Zukunftsplänen, erzählte dann von meinen Eltern, meiner pferdevernarrten Schwester und unserem Haus in Rynninge, Örebro. Dann erwähnte ich noch kurz den Tod meines Vaters und wie er unser Leben vollständig verändert hatte.

»Wie schrecklich«, sagte Bella mitfühlend.

Sofort traten mir Tränen in die Augen, und mein Hals zog sich schmerzhaft zusammen. Bella legte ihre Hand auf meine.

»Ich werde dir helfen«, sagte sie ernst. »Du musst diese Trauer überwinden.«

Ich nickte, erwiderte aber nichts. Eine Träne lief mir über die Wange, ich wischte sie schnell weg.

Bella schaute mich unverwandt an.

»Weißt du«, sagte sie leise, »wir alle tragen unser Päckchen. Ich habe auch schon ein paar schlimme Sachen erlebt und weiß, wie wichtig es ist, darüber zu reden.«

»Was hast du denn erlebt?«, flüsterte ich.

Da senkte Bella den Blick.

»Nichts, worüber ich jetzt sprechen möchte. Aber ein andermal gern.«

Ich nickte, holte ein Taschentuch hervor und putzte mir die Nase. Bella lächelte.

»Gutes Kind«, kommentierte sie. »Meine Oma hat immer gesagt: ›Kräftig schnauben!‹ Sie hat mich gelobt, wenn ich es dann auch tat.«

»Vielleicht nicht direkt im Sturehof«, sagte ich und schaute mich um.

Bella lehnte sich vor.

»Trau keiner Frau, die wenig isst und sich nicht traut, sich an einem öffentlichen Ort die Nase zu putzen. Du bist doch sicher Feministin?«

Ich sah Nadia vor mir, die mal wieder Erik im Flur der Kaserne zu Boden geschickt hatte.

»Mach das nie wieder!«, hatte sie geschrien, während alle Jungs rundherum standen und es nicht wagten, ein Wort zu sagen. »Nicht, wenn du lebend hier rauskommen willst!«

»Natürlich bin ich Feministin!«, sagte ich.

»Dachte ich mir doch«, sagte Bella zufrieden. »Kaffee?«


Als der Kaffee gerade gekommen war, erschien eine junge Frau in farbenfrohem Regenmantel mit knallroter Sonnenbrille und einer großen Schultertasche und bahnte sich den Weg zwischen den Tischen hindurch.

»Hallo, hallo«, sagte sie. »Hier sitzt ihr also und lasst es euch gut gehen. Seid ihr bereit?«

»Absolut!«, antwortete Bella. »Ich muss nur noch zahlen. Sara, das ist Nicolina. Sie ist Stylistin und wird uns heute unterstützen.«

Verblüfft schüttelte ich Nicolinas Hand. Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu uns, bevor sie mich musterte. Sie streckte eine Hand aus, legte mir die Fingerspitzen unters Kinn und drehte meinen Kopf von rechts nach links, während sie mich genau betrachtete.

Eine Stylistin?

Ich hatte in meinem Leben noch keine getroffen, nur in Zeitungen von ihnen gelesen.

»Nicht schlecht«, sagt sie. »Fantastische Wangenknochen. Guter Kiefer. Kleidergröße 38, 40, nehme ich an?«

Ich nickte.

»Gut«, sagte sie. »Wie groß bist du? Welche Schuhgröße?«

»Äh … Eins zweiundsiebzig«, stammelte ich. »Größe 39.«

Nicolina nickte.

»Ich hab den ganzen Vormittag in all den angesagten Boutiquen verbracht und Sachen zurücklegen lassen«, sagte sie. »Bloß bei Schuterman nicht, das ist da so verdammt teuer! Wir wollen Perfect Match ja nicht in den Ruin treiben, oder?«

Sie lachte laut los, und zu meiner großen Verwunderung fiel es mir nicht schwer mitzulachen. Nicolina strahlte eine Wärme aus, die es leicht machte, sie zu mögen.

Bella zahlte, und wir verließen das Lokal. In den folgenden Stunden schleppte Nicolina uns von Geschäft zu Geschäft, wo ich alles anprobierte, was Nicolina ausgewählt hatte, und Bella nickte, schüttelte den Kopf und zahlte schließlich das, worauf wir uns einigten. Mit jedem Geschäft wuchs die Zahl der Taschen und Schuhkartons, die sie trug. In den Taschen befanden sich lange Hosen, Stiefeletten, kurze Röcke, ein schwarzes Cocktailkleid, bei dem ich selbst nie auf die Idee gekommen wäre, es überhaupt anzuprobieren, Blazer, Pullover und ein paar hohe Pumps mit Pfennigabsätzen, mit denen meine Beine extrem lang aussahen.

»Bestens«, sagte Nicolina und schaute zu Bella. »Läuft das hier unter 720/BSV?«

Für einen winzigen Augenblick blinzelte Bella besorgt, dann sah sie Nicolina lange an.

»Nein«, sagte sie sehr deutlich. »Sara ist bei uns angestellt und hat heute ihren ersten Tag.«

Nicolina antwortete nicht, hob nur eine Augenbraue und lächelte. Dann zauberte sie das nächste Teil hervor, eine Schlaghose in auffälliger Farbe.

»Schau dir erst mal an, wie sie sitzt«, sagte sie, als ich gerade protestieren wollte. »Dazu dieses Kunstfell. Du wirst im Herbst umwerfend aussehen.«

Also schloss ich den Mund wieder und tat, was sie wollte. Und sie hatte recht: Ich sah umwerfend aus.

Wie um alles in der Welt war ich hier gelandet?


Um sieben Uhr, pünktlich zum Ladenschluss, waren wir fertig. Bella umarmte Nicolina und schaute dann mich mit den vielen Tüten und Taschen an.

»Damit lass ich dich garantiert nicht in die U-Bahn«, sagte sie. »Wir haben ein Firmenkonto bei Taxi Stockholm. Komm, wir suchen dir eins. Wo wohnst du?«

»In Vällingby«, antwortete ich, »aber ich nehme auch die U-Bahn, das ist kein Problem.«

Bella runzelte die Stirn.

»In Vällingby?«, fragte sie. »Warum wohnst du bitte in Vällingby?«

»Weil ich mir von dem Geld, das ich im Café verdient hab, nur dort ein Zimmer leisten konnte.«

Sie lachte.

»Und wie ist das so? Zur Untermiete irgendwo zu wohnen? Klingt spannend.«

Die Bilder lösten sich in meinem Kopf ab: Rattengift, nächtliches Heulen, Feuer.

»Mittelspannend«, sagte ich gezwungen fröhlich. »Je weniger ich davon erzähle, desto besser.«

Bella winkte einen Wagen von Taxi Stockholm heran, nannte dem Fahrer eine Nummer und wandte sich dann an mich.

»Wir sehen uns morgen um acht«, sagte sie. »In einem deiner neuen Outfits.«

»Ich weiß gar nicht, welches ich zuerst anziehen soll«, schwärmte ich. »Danke für alles!«

»Keine Ursache«, sagte Bella. »Wir erwarten Großes von dir. Kleiner Scherz, steig schon ein.«

Das Taxi fuhr los, und durch die Heckscheibe sah ich Bella unterm Pilz stehen. Neben mir auf dem Rücksitz türmten sich all die Taschen und Tüten, und mich erfüllte ein überwältigendes Glücksgefühl nach diesem Shoppingtag – mich, die ich fast nie neue Klamotten kaufte. Was mich aber am glücklichsten machte, war, dass Bella mich wirklich zu mögen schien. Bei ihr hatte ich dasselbe Gefühl wie damals, als ich Nadia kennenlernte: dass wir uns ähnlich waren, aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Nach all den Jahren der Einsamkeit in der Unterstufe, der Ausgrenzung in der Mittelstufe und den ganzen Kompromissen, die die Zeit in der Oberstufe mit sich gebracht hatte, war es so unfassbar fantastisch gewesen, endlich – endlich – jemanden mit den gleichen Werten, dem gleichen Humor und den gleichen Gedanken kennenzulernen, die ich selbst hatte. Und dann waren wir getrennte Wege gegangen. Nadia war nach Kopenhagen gezogen, und ich … tja, ich war im Tunnel gelandet.

Was, wenn das bedeutete, dass ich nach so langer Zeit wieder eine richtige Freundin fand?

Eine, die genau dort stand, wo auch ich war.

Den Tunnel würde ich schon vergessen, wenn ich mir Mühe gab.


Später am selben Abend schickte ich meiner Mutter eine SMS: »Neuer Job, hab heute bei einer PR-Agentur angefangen. 3 x so viel Geld.«

Ganz wie vermutet, dauerte es nicht lang, bis sie anrief.

»Hallo, mein Schatz! Was war denn los? Haben sie dich rausgeworfen?«

Ich erzählte ihr geduldig, was passiert war.

»Freust du dich denn nicht?«, fragte ich. »Das ist ein Traumjob. Ganz Stockholm leckt sich die Finger nach so einer Chance.«

Mama blieb einen Moment still.

»Doch, natürlich freue ich mich«, sagte sie schließlich. »Mehr Geld und eine größere Herausforderung als im Café, das klingt gut. Ich verstehe nur nicht, warum sie ausgerechnet dich wollten.«

Irgendwas ist faul, irgendwas ist faul, irgendwas ist faul.

»Na, schönen Dank.«

»Jetzt versteh mich nicht falsch. Aber findest du das nicht selbst ein bisschen seltsam?«

Sofort traten mir die Tränen in die Augen, und ich brachte kein Wort mehr heraus. Meine Selbstzweifel kamen hoch, und Mama begriff das sofort.

»Entschuldige, mein Schatz!«, sagte sie. »Ich bin total stolz! Das ist wirklich irre. Du verdienst ein bisschen Erfolg, nach allem, was du durchgemacht hast.«

»Ich weiß«, presste ich hervor. »Deshalb reicht meine Kraft auch gerade nicht für irgendwelche Proteste oder Diskussionen, sondern nur dafür, morgens früh genug aufzustehen und zur Arbeit zu gehen.«

»Kannst du am Wochenende nach Hause kommen?«, fragte Mama. »Dann kann ich dich ein bisschen verwöhnen. Dein Lieblingsessen kochen, dich vor dem Fernseher zudecken. Lange mit selbst gebackenem Brot frühstücken.«

Mama. Ihre lieben, blauen Augen, so intelligent und voller Vertrauen. Unsere Gespräche am Küchentisch, ihre Nachdenklichkeit, ihre klugen Ratschläge. Der Duft von warmem Roggenbrot, auf dem die Butter sofort schmolz. Der beste Kaffee der Welt: Zoégas gröna Skånerost, Mamas Kaffee.

»Mach ich«, sagte ich.


Am nächsten Tag saß ich an einer Skizze für den Lebensmittelriesen, als ich hörte, wie Bella, die draußen auf dem Sofa im Flur arbeitete, plötzlich fluchte wie ein Bauarbeiter.

»Fuck, fuck, fuck. Verdammte Scheiße noch mal!«

Ein heftiger Knall ertönte. Ich sprang auf und rannte hinaus, und dort auf dem Sofa saß Bella, die Hände vors Gesicht geschlagen. Auf dem Steinfußboden lag ihr Laptop und sah nicht gerade aus, als hätte ihm der Flug gutgetan. Da zeitgleich ein Meeting mit fast allen Festangestellten lief, hatte niemand außer mir Bellas Ausbruch mitbekommen. Ich ging ums Sofa herum, hob den Computer auf und warf einen prüfenden Blick darauf. Dann legte ich ihn auf den Tisch und eine Hand auf Bellas Schulter.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig.

Bella antwortete nicht. Sie blieb reglos sitzen, weiterhin die Hände vorm Gesicht. Ich wusste nicht, wie ein Scherz ankommen würde, aber ich wagte einen.

»Computer«, sagte ich mit gespielter Entrüstung. »So unzuverlässig! Da hüpfen die einfach vom Tisch und glauben, sie schaffen es bis zur Tür. Ich hab auch so einen. Einmal hat er sich vom Balkon gestürzt. Weit ist er allerdings nicht gekommen, ich habe ihn bei der Imbissbude in Vällingby Centrum gefunden, wo er gerade eine Bockwurst und einen Kakao bestellt hatte.«

Bella schüttelte es ein bisschen. Ein Laut war hörbar, aber unmöglich zu sagen, ob es ein Lachen oder ein Schluchzen war. Dann nahm sie die Hände vom Gesicht und lächelte mich an.

»Du Spinner«, sagte sie. »Danke, dass du mich zum Lachen bringst, wo ich doch am liebsten sterben würde.«

»Was ist passiert?«

Bella schüttelte den Kopf.

»Du weißt ja, wie das ist mit Computern. Leider ist das nicht das eigentliche Problem, sondern mein Mangel an Selbstbeherrschung. Mir fällt es unfassbar schwer, meine Wut im Zaum zu halten. Wie du sehen kannst.«

»Okay«, sagte ich vorsichtig. »Das ist jetzt kein Weltuntergang, bloß ein bisschen anstrengend, wenn man danach immer einen neuen Computer braucht. Und ich habe mindestens einmal pro Tag einen Wutanfall, dank dieses Dings.«

»Tell me about it«, sagte Bella und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.

Sie sah ganz leer aus.

»Weißt du, was dich so wütend macht?«, fragte ich. »Und warum du das nicht kontrollieren kannst?«

Bella seufzte schwer.

»Alte Geschichte«, antwortete sie. »Erzähle ich dir mal, aber nicht hier.«

Genau in diesem Moment ging die Tür zum Konferenzsaal auf, und alle Mitarbeiter strömten murmelnd und plaudernd heraus. Roger warf einen Blick auf Bellas Computer und kam auf direktem Weg zu uns. Er stemmte die Hände in die Seiten und wirkte gleichzeitig sauer und triumphierend.

»Nicht schon wieder!«, sagte er. »Wolltest du nicht eine Therapie machen?«

Sein Ton ließ mich stutzen, aber ich sagte nichts.

»Du weißt, dass ich selbst dafür aufkomme«, erwiderte Bella. »Kein weiteres Wort, bitte.«

Roger schüttelte den Kopf und ging seiner Wege, ohne noch etwas von sich zu geben. Ich schaute ihm nach.

»Unser Roger erweist sich ja nicht gerade als Schätzchen«, sagte ich.

Bella reagierte nicht darauf, sondern befasste sich mit gerunzelter Stirn mit ihrem Computer.

»Kennst du eine gute Firma, die sich das mal anschauen könnte?«, fragte ich. Bella warf mir einen Blick zu.

»Machst du Witze?«, fragte sie. »In der Linnégatan ist ein winziger Laden. Die lieben mich, ich bin ihre beste Kundin.«

Wir schauten einander an. Und brachen genau im selben Moment in Gelächter aus, ganz wie im Sturehof. Wir lachten, bis wir keine Luft mehr bekamen.

»Los jetzt«, sagte ich schließlich und wischte mir die Lachtränen weg. »Kopf hoch! Bring du deinen Computer weg, und dann lade ich dich heute Abend auf Pizza und Rotwein ein. Was hältst du davon?«

»Klingt fantastisch. Da sage ich doch sofort zu!«

Abends saßen Bella und ich im Ciao Ciao bei viel Rotwein und Gelächter. Eine ganze Traube von Kellnern schwirrte um unseren Tisch, wir machten Fotos mit ihnen, die wir als Storys posteten. Das beste Gruppenfoto lud ich bei Instagram hoch. Am Östermalmstorg trennten wir uns, und ich nahm die U-Bahn zurück nach Vällingby.

Ich lächelte immer noch über die frischen Erinnerungen an diesen schönen Abend, als die U-Bahn in Alvik einfuhr. Der Zug passierte einen Mann, der völlig reglos am Bahnsteig stand und zu uns in den Wagen schaute. Er trug eine Jeans und eine Jacke, dazu einen sonderbaren schwarzen Hut auf dem Kopf.

Zorro?

Oder? Das war er doch?

Ich flog gewissermaßen von meinem Sitz, obwohl ich gar nicht aussteigen musste, und rauschte hinaus. Die Türen hatten sich etwa zehn Meter von ihm entfernt geöffnet; eigentlich hätte ich ihn sofort sehen müssen.

Aber kein Mensch in Schwarz war dort. Entweder war er schon in die Bahn gestiegen oder auf die andere Seite des Bahnsteigs gewechselt, um sich hinter einer Werbetafel zu verstecken.

Oder ich hatte mir das alles nur eingebildet.


Der Rest der Woche verging in rasendem Tempo, und ich begriff, was Bella damit gemeint hatte, dass ich für meinen Lohn ordentlich würde ackern müssen. Mein Arbeitstag begann um acht und endete selten vor zwanzig Uhr. Also stand ich jeden Morgen schon um sechs unter der Dusche und kam nie dazu, wirklich selbst zu kochen. Essen musste im Vorübergehen erledigt werden, entweder gab es etwas vom Schnellimbiss oder eine Pizza zum Mitnehmen oder ein Sandwich für zu Hause. Manchmal war ich so müde, dass meine Energie nicht mal mehr zum Essen reichte. Und an einem Abend schlief ich angezogen ein, kaum dass ich angekommen war. Jalil, Sixten und Siv sah ich praktisch gar nicht.

Freitag machten wir schon um sechs Feierabend, weil alle unterschiedliche Pläne hatten.

»Kommst du mit mir zu einer Party heute Abend?«, hatte Bella in der Mittagspause gefragt. »Einweihungsfeier beim Stallmästaregården. Unmengen von Essen und Champagner, roter Teppich, Fotografen. Das wird richtig cool!«

»Geht leider nicht«, sagte ich. »Ich fahre mit dem Zug nach Örebro und verbringe Zeit mit meiner Mutter.«

Bella verzog das Gesicht.

»Okay?«, sagte sie fast fragend. »Dann viel Spaß.«

Ich hatte schon häufiger versucht, mehr über Bella und ihre Familie herauszufinden, aber sie war immer ausgewichen. Deshalb hatte ich meine Fragen erst einmal eingestellt, früher oder später würde sie sich schon öffnen.

Nach der Arbeit fuhr ich direkt mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, Simåns hatte ich in Jalils Obhut gelassen, und merkte erst im Zug, dass meine Mutter mich vermutlich in den Sachen gar nicht wiedererkennen würde. Der Kunstpelz, den ich vor dem Aussteigen wieder anzog, würde sie sicher verwundern.

Auf dem Bahnsteig warteten Mama und meine kleine Schwester Lina: Mama mit ihren Locken und einem Schal um die Schultern, der sicher nach ihrem typischen Parfum duftete, und Lina mit ihren Lachgrübchen in einer Reithose und gesteppter Jacke, die garantiert nach Stall roch. Lina hielt einen Strauß Rosen in der Hand, was mich sofort zu Tränen rührte. Ich schlang meine Arme um beide gleichzeitig.

»Lass dich mal ansehen«, sagte Mama dann. »Du bist blass und dünn. Isst du auch genug?«

»Es geht so«, antwortete ich und lachte. »Nicht wie bei dir.«

»Cooler Mantel«, sagte Lina voller Bewunderung und grinste so breit, dass ihre Lachgrübchen sich noch weiter vertieften.

»Hmm«, machte Mama und betrachtete meine Schuhe und Kleidung. »Kannst du dir das wirklich leisten?«

»Hat die Firma bezahlt«, erwiderte ich gut gelaunt. »Das ist wohl Usus, wenn sie jemanden wie mich einstellen. Die Cousine vom Land.«

»Hammer!«, sagte Lina, und ihre Augen funkelten. »Ich will auch einen Job in der PR-Agentur.«

Mama sagte nichts weiter, aber dachte sicher umso mehr. Und auf der Autofahrt durch die mir nur zu bekannten Straßen von Rynninge bis nach Hause sah ich mich mit ihren Augen. Ich musste wie ein fremder, prahlerischer Pfau wirken, der sich in unsere kleine Welt verirrt hatte.

Für wen hielt ich mich eigentlich?

Und wen ahmte ich nach?


Samstag saßen wir lange in Schlafanzügen am Frühstückstisch und aßen selbst gebackenes Roggenbrot, ganz wie Mama versprochen hatte. Lina erzählte vom Stall und den anderen Mädchen dort. Ich konterte mit Storys über Sixten, Siv und Jalil aus Vällingby, dann über Eva und Gullbritt aus dem Café und schließlich erzählte ich von Bella, Roger, Pelle und den anderen bei Perfect Match. Ich war erst so kurz in Stockholm und hatte schon hinter die Kulissen so unterschiedlicher Welten geschaut, Mama und Lina amüsierten sich königlich über meine Geschichten.

»Sie hat den Laptop einfach auf den Steinboden geknallt?«, fragte Lina beeindruckt. »Sie klingt supercool!«

»Sie klingt superdumm«, warf Mama mit hochgezogenen Augenbrauen ein. »Und ziemlich verwöhnt. Muss die Firma etwa für ihre Wutausbrüche aufkommen?«

»Nein, das zahlt sie selbst«, antwortete ich. »Ihr gefällt das ja selbst nicht.«

»Das kann ich gut verstehen«, sagte Mama.

»Jetzt hör aber auf«, sagte Lina. »Jeder hat Makel.«

»Alle außer meiner großen Schwester«, sagte ich. »Sprich mir nach: Alle aus meiner großen Schwester

»Du bist verrückt«, grinste Lina.

Mama legte ihre Hand auf meine.

»Schön, dich hier zu haben«, sagte sie. »Nicht wahr, Lina?«

Lina nickte. Dann stand sie auf und umarmte mich. Ein Moment, in dem mich das Gefühl beschlich, dass ich wieder nach Hause ziehen sollte. Aber das Gefühl kam und ging.

»Kommt mich doch mal in Stockholm besuchen«, schlug ich ihnen vor. »Erst mal muss ich natürlich eine Wohnung finden. Aber das wäre doch toll mit euch zu Besuch!« Lina schaute mir tief in die Augen, die Hände auf meine Schultern gelegt, und sprach eindringlich, als wolle sie mich hypnotisieren.

»Du musst Prioritäten setzen! Finde zuallererst eine neue Unterkunft!«

»Ich gebe mein Bestes.«

Als wir uns gerade daranmachten, den Tisch abzuräumen, klingelte es an der Tür. Lina ging hin, um zu öffnen.

»Sara!«, rief sie über die Schulter. »Sally ist da!«

Sofort sank meine Laune. Wieder wurde mir der alte Wischlappen über den Kopf gezogen, der nur so nach Schimmel und der Nässe der vergangenen Jahre stank. Ich holte tief Luft und bemerkte, dass Mama mich beobachtete.

»Reiß dich zusammen«, flüsterte sie. »Sally ist deine älteste Freundin.«

Also ging ich in den Flur, wo Sally stand und aussah, wie sie immer ausgesehen hatte: gut gebaut, Stupsnase, massenweise Kajal um die Augen und wunderbar gelaunt, aber gleichzeitig bereit, sofort auszuholen. Eine Unzahl Erinnerungen aus Unter-, Mittel- und Oberstufe prasselten auf mich ein.

Als wir klein waren, waren Sally und ich richtig gute Freundinnen gewesen, aber je älter wir wurden, desto mehr ließ unsere Freundschaft nach. Sally wurde immer kaltschnäuziger, und ich blieb eine feige Streberin, weshalb sie sich auf meine Kosten durchsetzte. Ich erinnerte mich deutlich daran, wie Sally mich dafür aufzog, dass ich so viel lernte, dass ich keinen Freund hatte, dass ich mich weder für Kleidung noch Make-up, noch Rauchen und Trinken interessierte. Und daran, dass ich mich gezwungen fühlte, die Zähne zusammenzubeißen und weiter mit ihr befreundet zu bleiben, angetrieben von meiner Mutter, die sich permanent Sorgen machte, dass ich zur Außenseiterin wurde.

Ich hatte Sally gegenüber nie Stellung bezogen, ihr nie erzählt, wie wütend und traurig sie mich gemacht hatte. Auf lange Sicht war Mamas Plan aufgegangen, in der Oberstufe fand ich Freunde – zum Teil durch Sally, später allein. In dieser Zeit war auch Sally wieder netter geworden, irgendwie wieder mehr die Sally, die sie als Kind gewesen war. Trotzdem trug ich noch die Narben von all ihren Schikanen in mir, genauso einen Nachhall der unterdrückten Wut und – ja – dem Gefühl des Verrats. Ich wusste einfach nicht, ob ich ihr trauen konnte.

»Oh!«, sagte sie, noch bevor wir uns begrüßen konnten. »VIP-Besuch aus Stockholm, ohne dass er vorher angekündigt wird. Ich hab es von der Nachbarin erfahren, die im Stall war.«

»Hallo, Sally«, sagte ich und umarmte sie. »Komm doch rein. Willst du Kaffee?«

»Trägt der Papst einen komischen Hut?«, fragte sie und legte Jacke und Tasche ab. »Was für eine Frage!«

Dann folgte sie mir in die Küche, umarmte meine Mutter und setzte sich zu uns an den Tisch. Sofort schnappte sie sich eine Scheibe Roggenbrot und strich dick Butter darauf. In meinem Kopf echoten Bellas Worte: »Trau keiner Frau, die wenig isst.«

Dabei war Bella selbstverständlich gertenschlank.

»Und?«, fragte Sally mit vollem Mund. »Wie ist es in Stockholm? Hast du schon alle deine alten Freunde vergessen?«

»Sara arbeitet in einer PR-Agentur!«, platzte Lina heraus.

Sally runzelte die Stirn.

»PR-Agentur? Wolltest du nicht in einem Café in Sundbyberg anheuern?« Ich zuckte mit den Schultern und merkte, dass ich gar keine Lust hatte, davon zu erzählen. Sally und Bella gehörten in unterschiedliche Welten, und ich hatte keine Lust, daran auch nur das Geringste zu ändern.

»Ich habe einen Job bei einer PR- und Event-Agentur in Östermalm gefunden«, erklärte ich.

Sally lachte böse.

»Sind das nicht Leute, die erwachsene Männer in lächerliche Kostüme stecken und so zu Konferenzen schicken? Und so Roter-Teppich-Galas für halb verhungerte D-Promis und sonstige Schnorrer schmeißen?«

Das schwarze Team hat die Waffen bis zum Mittag. Das blaue Team danach.

»Ja, genau«, sagte ich. »Wir albern nur herum, aber verdienen ziemlich gut damit.«

»Wir?«, fragte Sally. »Bist du schon Teilhaberin?«

»Wie läuft’s bei dir denn so?«, fragte ich. »Hast du den Job bei der Bank bekommen?«

»Na klar. Hab am ersten September angefangen. Ist echt genial, ich habe tolle Kollegen. Henke arbeitet auch da, wir haben unendlich viel Spaß zusammen. Keine Kaffeepause unter vierzig Minuten.«

Henke war in unsere Klasse am Gymnasium gegangen. Immer streng gekämmt, eng stehende Augen, Nerdhumor.

»Klingt super«, sagte ich.

Eine Pause entstand.

»Ich wollte fragen, ob du zu Flisan mitkommen willst«, sagte Sally dann. »Sie feiert heute Geburtstag mit Wein und Torte.«

Flisan war eins der Mädels, mit denen Sally und ich in der Oberstufe recht viel Spaß gehabt hatten. Davor hatte Flisan mich mitgemobbt, aber als wir ans Karolinska Gymnasium, das Karro, kamen, wo lauter andere Schüler von anderen Schulen zusammengeführt wurden, war das wie ein Neustart, und alles beruhigte sich. Dass ich damals ausgerechnet zu Flisan wollte, als das mit dem Tunnel passierte, machte keinen Unterschied, Flisan an sich war ziemlich lieb. Wir hatten bloß nicht mehr viel gemeinsam.

»Ja, geh doch mit.« Mama klang fast drängend. »Das klingt total gemütlich.«

Ich hörte die alte Angst in ihrer Stimme, und mir wurde ein bisschen übel.

Sara hat keine Freunde, Sara wird gehänselt, Sara ist nicht wie die anderen.

Papa hatte das nie gekümmert.

»Deine Zeit kommt noch«, hatte er nur gesagt. »Edle Früchte reifen langsam.«

»Ich dachte, wir wollten heute Abend zusammen essen, als Familie«, sagte ich. »Wo ich doch gestern erst so spät angekommen bin.«

»Dann essen wir halt vorher«, sagte Mama. »Und danach ziehst du mit Sally los. Ist doch schön, deine alten Freunde mal wiederzusehen, oder?«

»Selbstverständlich nur, wenn du willst«, sagte Sally voller Ironie und schnitt sich noch eine Scheibe Roggenbrot ab. »Wenn du es packst

»Natürlich pack ich das«, antwortete ich leicht säuerlich.

»Gut, dann hol ich dich gegen zehn ab.«


Am Abend tauchte Sally pünktlich auf und nahm mich auf dem Moped mit zu Flisan, die mit ihrem Freund in eine Wohnung in der Nähe des Tullängsgymnasiums gezogen war. Dazu mussten wir einmal quer durch Rynninge und nahmen dann die Grenadjärgatan ins Zentrum. Es fühlte sich an wie eine Zeitreise in die Vergangenheit; ich hinten auf Sallys Moped, die Arme um ihren kräftigen Bauch gelegt, eine Flasche Rotwein in der Tasche auf dem Rücken.

»Totales Flashback, oder?«, rief Sally. »Fühlt sich an, als wären wir wieder auf dem Karro.«

»Aber hallo«, sagte ich. »Können wir kurz bei der Schule und am Schloss vorbeifahren?«

»Klar«, gab Sally zurück.

Wir bogen nach links in die Olaigatan ab, und da lag es, mitten auf der Insel des Svartån: Örebro Schloss, das ich immer geliebt hatte. Rechts glitt unsere frühere Schule, das Karolinska Gymnasium, vorbei. Dafür hegte ich eher gemischte Gefühle.

»Wie schön das ist«, rief ich.

»Du klingst ja fast so, als wärst du nach Amerika ausgewandert«, schrie Sally zurück. »Sollen wir noch bei der Bank in der Drottninggatan vorbeifahren, wo ich jeden Tag mein Bestes gebe?«

»Nee, lass mal! Come on, Barbie, let’s go party!«, grölte ich.

Also drehte Sally auf, und wir ließen das Zentrum hinter uns.

Flisan und ihr Freund waren in eine Dreizimmerwohnung in einem Mietshaus in Söder gezogen. Sie gehörten zu den ersten aus unserem Freundeskreis, die diesen Schritt gewagt hatten, aber ich war alles andere als neidisch darauf. Die Wohnung platzte fast aus den Nähten vor lauter Menschen: viele ehemalige Mitschüler, mit denen ich manchmal noch zu tun hatte, wenn die Abstände auch immer größer wurden, aber auch viele, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Flisan ging strahlend und mit einem Weinglas in der Hand herum, auf dem Sofa saß ihr Freund Kevin und trank Wodka-Shots mit seinen Kumpels. Flisan und Kevin waren seit mehreren Jahren zusammen, würden es sicher auch bleiben und bald Kinder bekommen. Ich schaute mich in ihrer Wohnung um und spürte, wie mir der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Die gerahmten Poster an den Wänden; die Ikea-Sofas; der Esstisch, auf dem halb gegessene Torten und offene Schnapsflaschen standen.

Erinnerungen an die Schulzeit überkamen mich. Neben Kevin saß Liam, einer meiner schlimmsten Peiniger aus der Schulzeit. Er trug ein kariertes Flanellhemd über seinem T-Shirt. Ein Bäuchlein ließ sich erahnen, und er sah weniger muskulös aus als früher, war an beiden Armen tätowiert und hatte einen borstigen Schnurrbart, aber er war es definitiv. Während ich ihn betrachtete, stieß er einen lauten Schrei aus, warf den Kopf in den Nacken und stürzte einen Shot hinunter. Anschließend knallte er das Glas vor sich auf den Tisch und stieß einen weiteren Schrei aus – dann erblickte er mich. Er runzelte die Stirn, wohl um sich zu konzentrieren.

»Shit, dich kenne ich doch!«, rief er und zeigte auf mich. »Komm her.«

Er klopfte auffordernd neben sich aufs Sofa, aber ich schaute ihn nur ausdruckslos an.

Jetzt sah auch Kevin mich und lehnte sich zu Liam.

»Das ist doch nur Sara«, sagte er halblaut. »Fucking boring

Dann lachte er, dass sein Bauch hüpfte, ohne mich aus den Augen zu lassen.

»Die war das im Tunnel, weißt du noch?«, fuhr er etwas leiser fort. »Letzten Winter …«

Seine Stimme verlor sich im allgemeinen Gemurmel. Liam lauschte aufmerksam und pfiff dann durch die Zähne, aber auch er löste den Blick nicht von mir.

»Oh, shit«, sagte er.

Als wäre ich gar nicht da. Es kostete mich große Mühe, aber es gelang mir, mich abzuwenden. Und dann entdeckte ich Henke, den Einzigen aus unserer Klasse, der ähnlich viel gebüffelt hatte wie ich. Er war noch genauso dünn, wie ich ihn in Erinnerung hatte, aber noch strenger gekämmt. Und er lächelte mich an, ein Funkeln in den eng stehenden Augen.

»Sara!«, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu.

Er gab mir einen Kuss auf die Wange und musterte mich von Kopf bis Fuß, während er meine Hand hielt.

»Wie hübsch du bist!«, sagte er bewundernd. »Anders irgendwie. Größer und … eleganter!«

Ich hob die Augenbrauen und zeigte ihm einen meiner Absatzschuhe, worüber er lachte.

»Heftig«, sagte er mit funkelnden Augen. »Wie geht’s dir? Du wohnst doch jetzt in Stockholm, oder?«

»Ja, ich arbeite bei einer PR-Agentur. Kapier nicht ganz, warum die ausgerechnet mich wollten, aber so ist es jedenfalls. Und wie geht’s dir? Sally hat erzählt, dass ihr bei derselben Bank arbeitet.«

»Ich kapier’s voll und ganz«, sagte Henke. »Warum sie dich wollten.«

Etwas entfernt trank Sally direkt aus einer Weinflasche, streckte dann die Arme über den Kopf und jubelte.

Ich trank selbst einen Schluck aus meinem Glas. Henke lächelte mich breit und irgendwie dämlich an, wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Dann wandelte sich seine Miene, sollte wohl so etwas wie Mitleid darstellen. Ich schaute zu Boden. Er hatte auch noch meine andere Hand genommen.

»Wie geht es dir denn wirklich?«, fragte er besorgt. »Alles okay? Ich meine, nach dem, was im Winter passiert ist und dann mit deinem Vater?«

Ich holte tief Luft und lächelte.

»Absolut«, sagte ich gezwungen. »Alles bestens.«

Das würde ein sehr langer Abend werden.


Am Montagmorgen saß ich schon um halb acht im Büro. Aufgestanden war ich bereits um halb sechs, weil ich um fünf aufgewacht war und nicht wieder hatte einschlafen können. Das Morgenlicht fiel durch die Vorhänge, und mein Bett war plötzlich unbequemer denn je. Lautes Schnarchen drang durch die Wand zu Sixtens Zimmer, und Siv hatte einen Zettel mit der Information in den Flur gehängt, dass die Küche renoviert würde und erst im November wieder benutzbar sei.

Ich musste an meine Rückfahrt am Sonntagabend denken. An die herbstdunkle Landschaft, durch die der Zug schnellte, an den Nebel über den Feldern und die nassfeuchte Kälte, die durch Mark und Bein zu dringen schien. Der Hauptbahnhof war ruhig und menschenleer gewesen, und in der U-Bahn saß bis Vällingby außer mir nur ein weiterer Passagier. Keine Spur von Zorro oder meinen anderen Hirngespinsten.

Der Herbst war da, und ich hatte Örebro auf deutlich mehr Arten hinter mir gelassen, als ich mir einzugestehen wagte. Aber richtig angekommen war ich in Stockholm trotzdem noch nicht, egal, was ich meinen früheren Mitschülern auch hatte vormachen wollen. In Wahrheit verabscheute ich das enge, trostlose Zimmer und die gierige Vermieterin und wäre am liebsten sofort aus dem Vorort weggezogen. Die Anfahrt zur Agentur war lang, zu den Hauptverkehrszeiten sogar noch länger. Ich hatte keine Freunde in Stockholm und fühlte mich mutlos und einsam.

Nicht dass das in Örebro anders gewesen wäre. Zwar war es schön, meine Mutter und Lina zu besuchen, aber kaum kam ich in Kontakt mit meinen früheren Mitschülern und wurde an die Sache im Tunnel erinnert, zeigten sich die ersten Anzeichen einer aufkommenden Depression. Mittlerweile kannte ich das Muster, die Symptome. Die Umgebung verlor jede Farbe, als würde man einen Schwarz-Weiß-Filter vor die Augen legen. Die Welt kam so abrupt zum Stehen wie ein scheuendes Pferd, sodass man über dessen Kopf flog und auf den Boden knallte. Plötzlich schien der Tod sehr verlockend.

Was konnte ich tun?

Ich schloss die Tür zur Agentur in dem Glauben auf, ausnahmsweise mal die Erste zu sein. Aber der Flur war schon erleuchtet, und aus der Küche drang der Geruch von frischem Kaffee. Ich hängte gerade meinen Mantel auf, als Bella mit einer Tasse im Türrahmen erschien.

»Hallo«, sagte sie. »Du bist ja früh dran. Wollen wir ein Tässchen zusammen trinken, bevor wir loslegen?«

»Gern«, sagte ich.

Schnell verschwand ich in der Küche, um mir ebenfalls eine Tasse zu holen, und folgte Bella in ihr Büro. Sie hatte sich schon aufs Sofa gesetzt und betrachtete den grauen Himmel und die Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe prasselten.

»Diese Jahreszeit ist schwer für mich«, sagte sie und trank einen Schluck Kaffee.

Ich wartete ab, weil ich das Gefühl hatte, sie wollte mir etwas erzählen.

»Ich habe ein paar Jahre lang mit jemandem zusammengelebt, den ich wirklich geliebt habe«, sagte sie zögerlich, ohne den Blick vom Fenster zu lösen. »Und dann haben wir uns getrennt. Passten nicht zusammen. Wollten nicht dasselbe.«

Wieder schwieg sie, und ich wartete.

»Im Herbst wird das immer so greifbar«, fuhr sie fort. »Die langen Abende vor dem Fernseher. Man geht zum Training, kommt zurück. Steht vor dem Kühlschrank und hat überhaupt keine Idee.«

Wenn man einen Kühlschrank hat, dachte ich.

»Was ist denn mit deinen Eltern?«, fragte ich. »Wo wohnen sie?«

»Sie haben sich scheiden lassen und jetzt beide neue Familien. Ich liebe meine kleinen Geschwister, wirklich. Aber ich bin die, die ›übrig geblieben‹ ist. Ich gehöre in die Lücke zwischen zwei neu entstandenen Familien und bin darin verschwunden.«

Sie lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln. Nicht selbstmitleidig, eher niedergeschlagen.

»Ich verstehe mich gut mit ihnen allen, wir sehen uns zu Weihnachten und so«, fuhr sie fort. »Aber … mich vermisst auch niemand, wenn ich nicht dabei bin.«

»Du Arme«, sagte ich. »Wo wohnen sie denn?«

»Mein Vater wohnt in Skåne, und meine Mutter ist gerade mit ihrer Familie nach England gezogen.«

Mit einem Mal verstand ich Bellas Drang, an den Wochenenden unterwegs zu sein, viel besser.

Sie lachte.

»Ich hätte gern ein Haustier«, sagte sie. »Als ich klein war, hatten wir immer eine Katze.«

Ich musste an Simåns denken. Immerhin ein Haustier hatte ich.

In diesem Moment drehte Bella den Kopf und betrachtete mich aus dem blauen und dem grünbraunen Auge. In ihrem Blick lag eine Ernsthaftigkeit, die ich bislang noch nicht gesehen hatte.

»Vielleicht werde ich das bereuen«, sagte sie, »aber dann müssen wir eben eine andere Lösung finden. Wie auch immer, ich hab am Wochenende viel nachgedacht. Und ich will dich etwas fragen.«

Sie klang so ernst, dass sich mein Puls beschleunigte. Plötzlich hatte ich einen ganz trockenen Hals. Was hatte sie vor? Wollte sie mich bitten, wieder zu kündigen? Wollte sie mir kündigen? Wollte sie, dass ich mein Gehalt zurückgab oder die ganzen neuen Klamotten doch selbst bezahlte? Was, wenn sie selbst kündigen wollte, was würde dann aus mir werden, schließlich war ich ihre Assistentin! Gullbritt und Eva hatten gesagt, ich könnte jederzeit wiederkommen, aber das wollte ich unter keinen Umständen. Außerdem wollten sie mich mittlerweile vielleicht gar nicht mehr.

Mit einem Mal sah ich vor mir, dass ich gezwungen war, nach Örebro zurückzukehren. Wie im Schnelldurchlauf spulte sich der Samstagabend vor meinem inneren Auge ab. Die anderen Gäste, die zu betrunken gewesen waren, um zu tanzen, und ständig gegeneinanderstießen. Henkes ungeschickte Einladungen und der angeschickerte Vorschlag, »dich in Stockholm besuchen zu kommen«. Sallys freizügiges Gackern, das ihre rotweinfleckigen Zähne entblößte. Das Paar, das auf dem Sofa saß und extrem fummelte. Liams Hand auf meinem Hintern und mein Impuls, ihm dafür eine zu scheuern – dem ich nicht nachkam, weil ich wusste, dass ich ihn sonst richtig verletzen würde.

Das überwältigende Gefühl von Einsamkeit.

Und dann der eiskalte Spaziergang nach Hause und alle Erinnerungen, die er zum Leben erweckte. Die Angst, die mich überkam, sobald ich ein unerwartetes Geräusch hörte. Ich war gegangen, ohne mich zu verabschieden und in der Überzeugung, der kurze Spaziergang würde dazu beitragen, dass es mir gleich wieder besser ging. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich verfolgt fühlen würde. Jemand lief ein Stück hinter mir: Ich konnte Schritte hören, selbst vereinzeltes Räuspern, aber immer, wenn ich mich umdrehte, war niemand dort. Mein Herz schlug schneller, und als ich endlich meine Straße erreicht hatte, fing ich an zu laufen. Ich war überzeugt, dass mir ein Schatten folgte und nur auf die Gelegenheit wartete, sich auf mich zu stürzen.

Wer immer er war, er lief nach wie vor frei herum.

Mama, die noch wach war und in der Küche wartete, wollte sofort wissen, ob ich eine gute Zeit gehabt hatte – ganz als wäre ich wieder fünfzehn und in der Neunten. Ihr Blick verriet mir, dass ich – ganz wie sie selbst – sehr, sehr zart war und jederzeit zusammenbrechen könnte. Egal wie tough und erfolgreich ich werden und wie viel ich erreichen würde, ich würde sie nie vom Gegenteil überzeugen können.

Bella holte tief Luft. Dann lächelte sie plötzlich ihr typisches, breites, strahlendes Bella-Lächeln, das so ansteckend war, dass man es sofort erwidern musste.

»Jetzt guck nicht gleich so erschrocken«, sagte sie. »Tut mir leid – ich bin hier wohl gerade etwas zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigt. Nein, ich wollte dich einfach fragen, ob du bei mir einziehen willst. Meine Wohnung mit mir teilen. Du und deine Katze und ich. Wir hätten sicher eine Menge Spaß.«

Blutblume

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