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ОглавлениеKapitel 7
Liceu São Paulo
Die Schulmannschaft
„Wir haben an ihn geglaubt, als er ein vielversprechendes Talent war. Es war ein großes Privileg, zu der Entwicklung eines der besten Fußballer der Welt beitragen zu dürfen. Viel Glück, Neymar Jr.“ So heißt es auf dem Poster, das mit Klebeband neben dem Empfangshäuschen in Neymars alter Schule befestigt ist. Neymar Jr. trägt darauf ein rot-weißes Hemd und hat einen Ball an den Füßen. Als Fußballplatz dient ein aufgeschlagenes Buch. Die Anzeige ist einfach, aber effektiv und funktioniert bestens, um neue Schüler ans Liceu São Paulo zu locken: ein rot-weißes, fünfstöckiges Gebäude an der Avenida Ana Costa, einer breiten Straße, die zu den Stränden von Santos führt. Das Liceu ist eine Privatschule mit langer Geschichte. Wie ein deutsches Gymnasium umfasst es Unter-, Mittel- und Oberstufe. Es eröffnete in den 1920er Jahren und ist in der ganzen Stadt wohlbekannt.
Ich werde von Maria Antonia Julião Faracco begrüßt, der Schulkoordinatorin und Leiterin der Stufen sechs und sieben (die Elf- und Zwölfjährigen). Maria Antonia trägt einen kleinen Pin in den Farben des FC Santos am Kragen. Sie ist Fan der Alvinegro Praiano, der „schwarz-weißen vom Strand“. Auch wenn sie seine Beweggründe durchaus versteht, ist sie sehr traurig, dass Neymar zum FC Barcelona gegangen ist. Sie führt mich den Flur entlang zum Fahrstuhl, der uns zu den Klassenräumen bringt, dann zur Bibliothek, zum Auditorium, zum Biologielabor und schließlich, in der obersten Etage, zur Sporthalle. Sie ist vom Licht durchflutet, das durch die großen Fenster dringt, die einen herrlichen Blick über die Stadt bieten. „Hier hat Neymar gespielt, und hier ist er dank der Copa TV Tribuna de Futsal Escolar in ganz Baixada Santista bekannt geworden“, fährt sie mit der Werbung für das Liceu fort.
Aber lassen Sie uns über den Schüler Neymar da Silva Santos Júnior sprechen. „Er war ein durchschnittlicher Schüler. Er mochte Geschichte und natürlich Sport. Mit Mathe hatte er so seine Probleme“, sagt Maria Antonia. „Zahlen und Ziffern waren nicht so seine Sache“, bestätigt Doña Vilma Julia Rinaldi, seine Mathelehrerin, „aber er war nicht faul oder unordentlich. Er lernte fleißig.“
Maria Antonia ergänzt: „Er war höflich und respektvoll den Lehrern gegenüber und verstand sich gut mit seinen Mitschülern. Er hat nie den Unterricht verpasst oder Schwierigkeiten gemacht. Uns fiel aber auf, wie verrückt er nach Fußball war. Das sah man gleich. Er hatte immerzu Lust, mit seinen Mitschülern ein Spiel zu machen. Den Schülern war es nicht gestattet, in der Pause Fußball zu spielen, aber er fand immer einen Weg, die Vorschrift zu umgehen. Oft ging er zum Schulleiter und bettelte um einen Ball, damit er ein paar Schüsse oder Hochhalten üben konnte. Hier in der Sporthalle nahmen er und seine Freunde das Volleyballnetz ab, damit sie Fußball spielen konnten. Die Mädchen wollten lieber Volleyball spielen, aber die Jungen taten so, als wären sie schwerhörig.“
Ich frage, wie es einen Jungen aus so bescheidenen Verhältnissen an eine so teure Privatschule verschlagen konnte: Die Schulgebühren hatte die Familie sich doch sicher nicht leisten können? „Er bekam ein Stipendium“, erklärt die Schulkoordinatorin.
Es ist eine lange Geschichte, die auf den Fußballplätzen der Associação Atlética Portuguesa beginnt, von den Einheimischen kurz „Briosa“ oder „Portuguesa Santista“ genannt. Der Verein wurde 1917 von einer Gruppe portugiesischer Einwanderer gegründet. Die meisten von ihnen waren Bauarbeiter, die sich auf den Baustellen in der ganzen Stadt verdingten. Sie wollten es den Italienern, Spaniern und Syrern gleichtun, die alle ihre eigenen Sportvereine hatten. Nachdem sie ein Spiel des España Futebol Clube gesehen hatten, trafen sie sich in einem Friseursalon, um über die Gründung eines eigenen Klubs zu beraten.
Das Sportgelände von Portuguesa Santista liegt nur wenige Hundert Meter von der Avenida Ana Costa entfernt, in der sich die Schule befindet. Der Klub besitzt heute ein riesiges Gelände, zu dem auch ein Schwimmbad mit 50-Meter-Bahn, ein Kinderschwimmbecken, ein Festsaal und sogar eine Churrasqueria, ein Steakhaus, gehören. Im Herzen des Komplexes befindet sich das Stadion Ulrico Mursa. Manuel, der Geschäftsführer des Vereins, weist darauf hin, dass es „das erste in ganz Lateinamerika mit Betondach“ gewesen sei. Die erste Mannschaft, die gerade in der vierten Liga des Campeonato Paulista spielt, trainiert gerade gegen die Junioren.
Auf der Tribüne verfolgt Edu Marangon interessiert das Treiben eines jungen Talents, das gerade erst angefangen hat und großes Potenzial andeutet. Marangon ist italienischer Abstammung (seine Familie stammt aus Treviso) und beherrscht nach wie vor die Sprache Dantes. Er wurde bei Portuguesa Santista groß, spielte von 1987 bis 1989 zwei Jahre für den FC Turin und danach für Porto, Flamengo, Santos, Palmeiras, Yokohama Flügels und schließlich Bragantino. Außerdem absolvierte er zehn Länderspiele für die Seleção.
Heute ist er Sportdirektor von Portuguesa Santista. Über Neymar sagt er: „Er ist anders als alle anderen. Er ist nicht nur ein toller Fußballer, er hat auch die Intelligenz, ein Spiel zu lesen, gepaart mit überragender körperlicher Fitness. Eine Zeit lang verwandelte er Santos im Alleingang in eine Art Cirque de Soleil. Er ist der neue Messi.“ Allerdings bedauert er, dass er eine solche Welle von Nachahmern ausgelöst habe. „Schau dir doch die ganzen jungen Burschen an“, fährt Marangon fort. „Alle haben seine Frisur, tragen die gleichen Klamotten wie er, setzen ihre Kopfhörer auf wie er, äffen ihn nach. Du musst nur vor die Tür gehen [er zeigt auf den Eingang zum Vereinsgelände], und schon stehen da zehn Väter und 20 Mütter mit ihren Zwölf- oder 13-Jährigen und deren Lebensläufen in der Hand. Sie alle versichern, dass ihr Sohn der neue Neymar sei und sie ihre Jobs drangegeben hätten, um die Karriere ihres Sprösslings auf Schritt und Tritt begleiten zu können. Aber ein Neymar wird nur alle 50 Jahre geboren.“ Marangon erinnert sich gut an den Jungen im Briosa-Trikot, der auf genau diesem Platz gespielt hat.
Es war Betinho, der ihn mit einer Gruppe seiner Schützlinge nach Portuguesa brachte. Hier hat er sein erstes offizielles Turnier auf großem Feld absolviert. „Er spielte auf der linken Seite und zeigte sofort, was er draufhatte“, erinnert sich Betinho. „Er wollte den Ball und erhielt ihn direkt vor der eigenen Abwehr. Er dribbelte aus der eigenen Hälfte heraus, spielte den Gegnern Knoten in die Beine und gab den Ball dann an einen Mitspieler weiter oder suchte selbst den Weg zum Tor.“ Betinho erinnert sich auch an einen Treffer, den Neymar im Finale eines Turniers in Cascavel in Paraná erzielte. „Er spielte, nach Art von Robinho, aus dem Nichts heraus einen Doppelpass und haute den Ball dann oben in den Winkel. Ein Meisterwerk. Alle waren begeistert!“
Ein Spiel, an das sich viele noch erinnern, ist ein Juniorenmatch zwischen Portuguesa und São Paulo. Neymar war damals elf Jahre alt, seine Mitspieler alle schon zwölf. Einer seiner Freunde, Dudu, mit dem er bei Tumiaru und danach auch bei Liceu spielte und mit dem er sich sowohl auf als auch neben dem Platz bestens verstand, trug die Nummer 11. Dudu setzte zum Dribbling an und wurde im Strafraum zu Fall gebracht. Elfmeter. Die Nummer 10, Neymar, trat an. 1:0 für Briosa. Danach war es erneut Dudu, der von der linken Seite auf Gustavo flankte, der das zweite Tor machte. São Paulo reagierte und konnte durch Fabio auf 1:2 verkürzen. Aber Neymar war nicht zu bremsen. Er setzte zum Dribbling an, lief mit dem Ball am Fuß allein auf den Torwart zu, der seinen Schuss jedoch parieren konnte. Doch Neymar bekam erneut den Ball und passte ihn zum lauernden Leo Baptistão, der zum 3:1 vollendete. Das letzte Tor erzielte dann Neymar selbst, vom Mittelpunkt aus. Der Torwart hatte den Braten zwar gerochen, doch der Ball glitt ihm durch die Hände.
4:1 war der Endstand, Juninho hatte zweimal getroffen. Es war der dritte Saisonsieg für Briosa, das sich damit an die Tabellenspitze setzte. Nach dem Spiel war Trainer Betinho im Fernsehinterview voll des Lobes für Dudu und Neymar: „Sie sind eine Offenbarung für den Juniorenfußball von Baixada Santista.“ Neymar, der sein rotes „100 Prozent Jesus“-Stirnband trug, sagte, dass der Rest der Mannschaft gut gespielt habe, und nahm mit einem frechen Grinsen São Paulo aufs Korn: „Es war einfacher, als wir erwartet hatten.“ Neymar war so viel besser als alle anderen gewesen, dass der FC São Paulo ihm ein Angebot machte. Die Verantwortlichen wollten ihn in den Farben von Tricolor sehen, konnten aber keine Einigung erzielen.
Reginaldo Ferreira de Oliveira alias Fino, der Trainer von Portuguesa und Futsal-Koordinator bei Liceu, erinnert sich: „Das war eine ganz ansehnliche Mannschaft. Da waren Neymar, Dudu, Gustavo und Leo Baptistão. Juninho spielte für sein Leben gern Fußball und wollte immer der Beste sein. Der Beste seiner Straße, der Beste im Viertel, der Beste der Stadt, dann des Bundesstaats, dann im ganzen Land und jetzt der Beste der Welt. Er will immer mehr, jeden Tag, und so war er schon als kleiner Junge. Schau dir nur an, wie schnell er sich nach dem Futsal auf das große Feld einstellte. So schnell, dass er binnen sechs Monaten ein Angebot von Santos erhielt.“
Fino ist heute Sportlehrer und Trainer an der Fußballschule Meninos da Vila CT Neymar in Ourinhos. „Die einzige, die Neymars Namen trägt“, sagt er. „Sein Vater wollte, dass ich an der Schule, die sein Sohn gegründet hat, das Training leite – vielleicht wegen dem, was ich für Neymar getan habe.“ Eine der vielen guten Taten Finos war es, Neymar und seine Schwester Rafaela im Liceu São Paulo unterzubringen. Fino erklärte der Schulleitung damals, dass die Futsal-Mannschaft ganz ordentlich sei, aber dass es bei Portuguesa ein paar Spieler gebe, die sie noch besser machen könnten. Insbesondere ein Junge hätte das Potenzial, viel zu bewegen und zum Star der Mannschaft zu werden. Das Problem sei, dass seine Familie sich die Schulgebühren nicht leisten könne. Was tun? Der Schulleiter, Ermenegildo Pinheiro da Costa Miranda, genannt „Tio Gil“, zögerte keine Sekunde: „Sollte er so gut sein, bring ihn zur Schule, und wir werden schon einen Weg finden, ihm zu helfen.“
Das Probetraining in der Sporthalle des Liceu war mehr als überzeugend. „Herr Miranda meldete Juninho und seine Schwester an der Schule an“, fährt Fino fort. „Er gewährte ihnen ein Stipendium, das sämtliche Schulmaterialien, Bücher, Uniformen und die Busfahrten von und nach Praia Grande umfasste.“
Seit 2003 spielt das Liceu in der Liga für Schulmannschaften, die von TV Tribuna organisiert wird, einer zu Globo TV gehörenden Sendeanstalt. Mehr als 80 Schulen aus der Region nehmen teil, und die Spiele werden im Fernsehen übertragen. Eine gute Mannschaft und ein Titelgewinn sind eine gute Werbung für jede Schule. Deswegen musste Tio Gil nicht lange darüber nachdenken, Neymar und seine Schwester an die Schule zu holen. „Im ersten Jahr erreichten wir das Finale, in dem wir gegen Anglo Americano College unterlagen“, fährt Fino fort. „Neymar und Dudu, die Nummer 7 und die Nummer 11, waren die Stars der Mannschaft. Sie waren unzertrennlich. Ihr Leben bestand nur aus Fußball. Das ging so weit, dass sie manchmal das Mittagessen schwänzten, um Fußball spielen zu können. Es machte ihnen nichts aus, dass sie anschließend noch zum Training von Portuguesa mussten.“
Neymar war ein aufstrebender Star, und die Zeitungen brachten Fotos und Artikel über das junge Talent aus Praia Grande. „Neymar könnte der nächste Nationalheld werden“, lautete eine Schlagzeile der A Tribuna, einer Tageszeitung aus Santos. In dem Artikel hieß es: „Neymar ist sowohl auf als auch neben dem Platz ein Schlawiner. Auf dem Feld leitet er eine Passstafette nach der anderen ein, übernimmt Verantwortung, schießt Tore und arbeitet Chancen für seine Mitspieler heraus. Abseits des Platzes ist er nach eigener Aussage schon daran gewöhnt, Interviews zu geben. Bei der Meisterfeier schaffte er es kaum, sich den Kameras der Fans und den Liebesbekundungen seiner Verehrerinnen zu entziehen. In all dem Trubel verlor er beinahe die Medaille, die ihm um den Hals hing.“
Das Fernsehen wollte Interviews, die Kids baten um Autogramme, und die Mädchen riefen seinen Namen. Mit 13 war er bereits berühmt. Das weckte den Neid anderer Schulen, die dem Liceu vorwarfen, Neymar nur wegen seiner fußballerischen Fähigkeiten aufgenommen und vom Unterricht befreit zu haben. Ermenegildo Miranda ging persönlich zum Aufsichtsrat in Encino und legte das Schulverzeichnis und sämtliche Bescheinigungen vor, um die Anschuldigungen zu widerlegen. Jeder hätte gerne einen Neymar im Team gehabt.
2005 hatte Juninho das einzige Mal Ärger in seiner schulischen Karriere. Er arbeitete mit Matheus Pavão Fuschini zusammen, dem damaligen Sportlehrer. Neymar hatte nur wenig, ja eigentlich gar keine Freizeit und fehlte häufig bei den Trainingseinheiten der Schule. Seine Mitschüler waren darüber nicht gerade erfreut, sie beschwerten sich und warfen Matheus Begünstigung vor. Wieso durfte Neymar trotzdem weiter im Team spielen, wenn er doch das Training schwänzte? Matheus rief Neymar an und verlangte von ihm, am Schultraining teilzunehmen. Neymar kam, erzielte Tor um Tor und spielte seinen Gegnern Knoten in die Beine. Und damit hatte sich das Thema erledigt. Danach beklagte sich niemand mehr, insbesondere weil die Schulmannschaft mit Neymar kaum zu schlagen war.
Die Schule gewann schließlich den TV Tribuna Cup. Auf einem Foto aus der Zeit sieht man Neymar mit weißem Stirnband und passendem Trikot, wie er den Pokal (in Form eines Schuhs, der einen Ball tritt) inmitten einer Menschenmenge in die Höhe stemmt. „Wir gewannen noch andere Titel“, erzählt Fino, „aber der live im Fernsehen übertragene Tribuna Cup war vielleicht der wichtigste.“
Neymar verließ Portuguesa, um sich den Jugendmannschaften von Santos anzuschließen. Ebenso verließ er das Liceu, um von da an das Instituto Lupe Picasso zu besuchen, das direkt neben Vila Belmiro, dem Stadion von Santos, liegt. „Und was für ein Zufall“, sagt Maria Antonia, „dass 2013 die beiden Schulen, die Neymar besuchte, die Copa Tribuna de Futsal gewonnen haben. Lupe Picasso gewann bei den Mädchen, das Liceu bei den Jungen – acht Jahre nach dem unvergessenen Sieg.“