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Entgegen dem, was Diana vorausgesehen hatte, war das “Metropolitano” sehr gut besucht, wir mussten das Auto sehr weit vom Eingang auf einer Wiese parken.

“Was ist da nur los? Unmöglich, dass die Alle wegen der Ausstellung hier sind.” Ich sagte nichts und trank einen weiteren Schluck, dann noch einen und während sie den Motor aus machte und ihre Sachen zusammensuchte, noch einen.

“Jetzt gib mir auch etwas davon! Ich hab es nicht nur für dich gekauft.” Ich reichte ihr die Flasche, sie trank in kleinen Schlucken. Auf dem Weg zum Eingang läutete ihr Handy, sie entschuldigte sich, hob ab, ich stand rum und sah viele schick hergerichtete junge Menschen das lichterfüllte Gebäude betreten.

“Das war meine beste Freundin, sie macht sich Sorgen um mich, du musst wissen, in letzter Zeit verschwinden Frauen hier in Tampico. Erst letzte Woche stieg eine junge Frau in ein Taxi ein, meldete sich noch per SMS bei ihrer Mutter und war dann unauffindbar. Einige Tage später fand man ihre Leiche.”

“Schrecklich, aber ich bin ja bei dir.”

“Luczizcki! Dein erster vollständiger Satz seitdem wir das Haus verlassen haben.” Sie lachte vergnügt. Der Tequila hatte mir mittlerweile die Ohren erwärmt und die Augen befeuchtet.

“Ándale, jetzt versteh ich alles, ¡Dios mío!”, rief sie aus, als wir in den Eingangsbereich des modernen “METRO”, wie es in der Kurzform heißt, eintraten.

“DER NUSSKNACKER, DIE EINZIGE VORFÜHRUNG DES SANKT PETERSBURGER BALLET IN UNSERER STADT!”

War auf Plakaten, die an jeder Säule hingen ausgeschrieben.

“Das müssen wir uns unbedingt ansehen!”, rief meine Nachbarin begeistert.

“Unbedingt!”, rief der Tequila aus mir.

Sie wartete erst gar nicht, sondern ging schnurstracks zu dem Fenster, wo man sich Karten kaufen kann.

“Wo möchtest du sitzen?”, fragte sie mich, als ich sie einholte.

“Ganz oben!”


Danach ging sie aufs Klo. Ich wartete mit den Karten in der Hand und fragte mich, wie es nur so weit kommen konnte. Bevor der „Norte“ Tampico erreichte, war ich ein Mensch, der zwar nicht genau wusste welche Richtung sein Leben am besten einschlagen sollte und was ich mit meiner Zeit und den wenigen verbleibenden Jahren meiner ersten Lebenshälfte (vorausgesetzt ich sollte es bis sechzig schaffen, was ich meines Ermessens nach, als das beste Alter sah um sein Reitgeschirr abzugeben) anstellen sollte. In achtundvierzig Stunden hat mein Leben jedoch eine Wendung genommen, die unerwartet, zuvor unvorstellbar und beängstigend war. Ja, ich gebe es zu, ich fürchtete mich vor dem was vor sich ging. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Zuerst das Buch (ich erfrischte schnell meine Flüche gegenüber Gabriel García Márquez) und jetzt das, eine Kunstausstellung besuchen und in derselben Nacht auch noch ein Ballett ansehen!

`Der Herr sei mir gnädig, hoffentlich bekommt das alles niemand von meinem Stammtisch mit!´ Ich erinnerte mich wieder, dass ich an keinem Stammtisch willkommen war, war mir aber gleichzeitig sicher, dass jeder Barkeeper in Linz mich auslachen und mir aus Spott statt Bier nur noch Radler servieren würde, sollte das jemals an ihre Ohren gelangen.

Aus einem der verschlossenen Räume drang Applaus nach draußen. Ich erinnerte mich vage an den sozialen Zwang, welcher einem bei solchen Veranstaltungen auferlegt wird. Man musste den Artisten und ihre Leistung mit Applaus bedenken. Wozu in aller Welt benötigten sie Applaus? Als ich neben Diana die Sitze auswählte, erhaschte ich einen kleinen Blick auf die Preisliste. Demnach sollten die Artisten uns, denen, die es geschafft haben, sich dieses Geld anzusparen, applaudieren. Eine verrückte und verkehrte Welt war das, mein lieber Mann, und ich war kopfüber, wie durch ein magisches Loch im Boden in sie gefallen. (Bleibe ewig verflucht Gabriel García Márquez, in Ewigkeiten!).

Diana gab den Eindruck ihren ganzen Körper zu duschen. Was machen Frauen sonst so lange im Bad? Man rechne nur die Lebenszeit die eine Frau im Bad verbringt und die der Männer, die mit dem Warten und Starren auf eine Toilettentüre vergeudet wird. Schrecklich!

Ich schritt durch den Eingangsbereich und fand am äußeren, rechten Ende einen Raum mit einer kleineren Bilderausstellung. “FLORETE” stand in weißen Buchstaben auf einer schwarzen Wand geschrieben, darunter ein langer Text. Ohne mich nach meiner Meinung zu fragen, begannen meine Augen den Text zu lesen. Ein gewisser Herr Sosa, ein Sohn Tampicos, hat sich demnach die Geschlechterfrage gestellt und bemerkt, dass niemand die Blumen danach fragte, ob die nun männlich oder weiblich wären. Man bewundert und liebt sie für ihre Schönheit und Zartheit. Da hat er weitergedacht und sich vorgestellt, dass auch Männer zart sein, sich mit Grazie bewegen können und “mehr” (Gott weiß, was damit schon wieder gemeint war). Ich schnaufte, erinnerte mich aber sofort, dass ich eigentlich nichts gegen Schwule hatte und fest die Meinung vertrat, dass jeder Einzelne tun und lassen sollte, wie es ihm beliebte. Also entschied ich mich, keine Abfälligkeit zu zeigen, sondern einfach ohne hinzusehen an den Bilder vorbei zu spazieren, denn dahinter sah ich ein Männerklo. Ein Viertel von der Flasche war noch übrig, ich hatte es dringend nötig.

“Wo warst du denn so lange?”, fragte mich Diana, als ich nach einer Minute, zwei großen Schlucken und drei Mal Würgen, wobei ich einem wütenden Eisbär sehr ähnlich klang, vor der Damentoilette eintraf.

Eine bodenlose Frechheit, ich sagte aber nichts, hauptsächlich weil ich befürchtete, dass sich mein Magen entleeren würde, sollte ich meinen Mund auch nur einen Spaltbreit öffnen. Ich hörte erneut Applaus. Diana fand heraus zu welchem Eingang wir mussten. Wir fanden unsere Plätze, ich lies mich in den weichen Klappstuhl hoch oben im Saal fallen und atmete tief durch, ein und aus, ein und aus. Mein Magen grölte noch einmal, mir schossen Tränen in die Augen, doch dann legte sich alles wieder und langsam aber sicher konnte ich immer klarer werdende Umrisse auf der Bühne erkennen. Diese hüpften und liefen herum, drehten und schoben sich, zogen sich zueinander, hoben sich in die Luft.

`Was in aller Welt?´

Langsam erkannte ich ein Schema, da gab es eine Prinzessin, sie trug ein hellblaues Kleid. Es gab die schwarzen Gestalten mit langem Schwanz. Sie stahlen die Weihnachtsgeschenke, dann kamen die roten Soldaten. Die Musik stoppte, ein Schuss, eine von den beschwänzten Figuren wurde nach hinten geschleudert, aber von seinen Kumpanen aufgefangen. Ich klatschte wie wild - als Einziger.

“Psssschhhhht!”, zischte Diana neben mir und packte mich am Knöchel.

“Das war doch ein sssauberer Sschusss! Wiesssso applaudirtn kainaa?”

“Luczizcki, du bist betrunkener als ein Mariachi aus Oaxaca, gib mir die Flasche! Sofort! Du hattest genug!”

“Gibtss nischt mehr!”

“¡Oh Santo Niño, Jesús y Espíritu Santo! Was hab ich nur getan?” Sie schlug sich mit der Hand auf die Stirn.

Wegen ihrem Gerede verlor ich kurz den Anschluss, denn unten auf der Bühne standen sich jetzt viele rote Soldaten und alle schwarzen Kreaturen gegenüber - bereit zum Kampf - und ich wusste nicht, wie es so weit gekommen war.

Nun gut, die Prinzessin tänzelte um die Kampfszene herum.

“Weg da, Frauen haben da nichts verloren, lass die Männer das unter sich ausmachen!”, wollte ich schreien. Meine Nachbarin hielt mir aber schon nach der ersten Silbe den Mund zu, ich leckte ihre Hand, sie befahl mir, mich gefälligst zu benehmen, also ich benahm ich mich.

Der Kampf fiel sehr langweilig aus, die Artisten hatten zuvor sicherlich alle die FLORETE Ausstellung gesehen und kämpften jetzt wie Blumen. Alles was danach kam war nur noch tänzeln, drehen, auf den Zehenspitzen laufen, weiße Kleider, noch mehr drehen, bücken, ah, was erzähl ich da, sehen Sie es sich selber an, wenn Sie sich in Blumen verwandeln wollen.

Ich verbrachte die restliche Zeit damit, jedem der Tänzer eine eigene ausgefallene Krankheit zuzuordnen, sie aber alle gleichermaßen zu verfluchen. Dann erinnerte ich mich, womit alles begonnen hatte und verfluchte Gabriel García Márquez.

Kein Tanz wie jeder andere

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