Читать книгу Perry Rhodan Neo 242: Sturm über Olymp - Lucy Guth - Страница 7
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Jessica Tekener
Ein Blinzeln, ein kurzer Schwindel – dann war Jessica Tekener wieder in der Gegenwart angekommen. Sie schüttelte sich kurz und unterdrückte einen Würgereiz. Iratio Hondro hatte zwar damit aufgehört, sie geistig zu vergewaltigen und ihre Erinnerungen zu korrumpieren. Doch das, was er ihr mittlerweile antat, war nicht viel angenehmer.
Schwarze Gedanken nannte er das Folterspiel, das er seit ihrer beider Abreise von Epsal mit ihr trieb. Es waren albtraumhafte Bilder und falsche Erinnerungen, mit denen er sie quälte.
Man sollte meinen, falsche Erinnerungen seien besser als echte Erinnerungen, die er vergiftet. Dem war indes nicht so. Denn wenn sich Hondro auf diese Weise in ihren Kopf schlich, war sie sich nicht bewusst, dass es nicht real war. Sie glaubte stets, genau den Albtraum zu durchleben, den Hondro ihr gerade schickte.
Jessica war nicht sicher, warum Hondro auf diese Art der Folter umgestiegen war und sie nun mit diesen schwarzen Gedanken quälte, aber sie hatte eine Vermutung. Die Geschehnisse auf Epsal hatten ihn geschwächt. Wahrscheinlich war es einfacher, ihr schwarze Gedanken zu senden, als aktiv ihren Willen zu manipulieren. Die Kontrolle der Sporen und der vielen Siedler auf Epsal hatten ihn Kraft gekostet. Genauso wie der Mord an Jessicas Bruder Ronald Tekener.
Jessica hatte die Waffe gehalten, deren Strahl Ronald ins Herz getroffen hatte. Es war ihr Finger gewesen, der den Auslöser betätigt hatte. Doch es war Hondro, der sie gezwungen hatte, ihren eigenen Bruder zu erschießen. Sie hatte sich gewehrt, versucht, sich zu widersetzen. Aber es war ihr nicht gelungen. Sie hatte Ronald durch ihre eigene Hand sterben sehen.
Sie strich sich mit den Fingern durchs Haar und schüttelte den Kopf, um wieder klare Gedanken zu fassen. Wie immer nach einer solchen Attacke Hondros war sie kurz desorientiert. Sie erfasste das großzügige Hotelzimmer mit seinem hellen Teppich, der Minibar und dem Riesenholo, das irgendeine alberne Trividkomödie zeigte. Hondro saß mit versteinertem Gesicht auf dem Sofa und starrte ins Nichts.
Jessica ging zu einem Sessel und ließ sich in das weiche Polster sinken, das sich automatisch ihren Körperkonturen anpasste. Hondro hatte eine luxuriöse Unterkunft für sie gewählt – etwas anderes wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Es wäre unter seiner Würde gewesen, sich mit einer billigen Kaschemme zu begnügen. Der einzige Makel an diesem Hotel war, dass es nah am Zentralraumhafen von Trade City lag. Von dem Lärm dieses weitläufigen Waren- und Personenumschlagsareals bekam man dank moderner Schallisolierung trotzdem nichts mit, und der Blick aus dem Fenster auf die Geschäftigkeit von Port Zeus – oder Port Business, wie die Einheimischen den Raumhafen nannten – war beeindruckend.
Zwar war das Hauptverwaltungsgebäude eher spartanisch gestaltet und nur ein flacher, schmuckloser Bau, aber das, was im Luftraum über Port Zeus passierte, war gigantisch. Die olympische Transmitterkonfiguration, einst mithilfe aus Andromeda errichtet, war einmalig. Drei Sonnentransmitter und ein Situationstransmitter hatten die Kolonie zu einer erfolgreichen Freihandelswelt gemacht. Der fest installierte Situationstransmitter im Orbit von Olymps Nachbarplanet Jerschon schuf eine direkte Verbindung zur Orbitalzone des Saturns im Solsystem. Ein sogenanntes Ganglion, auf das Jessica nun blickte, verlängerte diese Transmitterstrecke sogar bis auf Olymps Planetenoberfläche herab.
Am Frachtzentrum herrschte ständige Bewegung. Ohne Pause wurden Container verladen, Waren aus- und eingeräumt, Raumschiffe landeten und starteten in dichter Folge.
Sehr schlau von Hondro, sich gerade hier zu verstecken. In diesem Trubel ist es einfach, unterzutauchen.
Der Betrieb außerhalb des Frachtzentrums war genauso groß – ganz Trade City war ein einziges Gewimmel, und wäre Jessica nicht bereits so oft in der Kolonie gewesen, hätte sie sich darin verlieren können. Auch Hondro befand sich auf Olymp auf gewohntem Terrain – umso erstaunlicher kam es Jessica vor, dass er im Hotelzimmer verharrte und vor sich hin brütete. Die Ereignisse auf Epsal schienen ihn sogar stärker angegriffen zu haben, als sie bislang gedacht hatte.
»Schlechte Laune?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass es keine gute Idee war, Hondro zu reizen. Ihr war mittlerweile aber alles egal. Sie hatte ihren kleinen Bruder getötet. Mit geschlossenen Augen lehnte sie den Kopf in den Nacken. Von mir aus kann Hondro mich einfach umbringen – dann wäre es endlich vorbei.
Den Gefallen tat der ehemalige Obmann von Plophos ihr indes nicht. Er wurde nicht mal wütend. »Das Schiff?«, fragte er.
»Steht unter falscher Kennung auf einem der abseits gelegenen Landefelder des Raumhafens.« Jessica hatte den »Dolphin«, das kleine Raumschiff des ermordeten Abteilung-III-Agenten Stewart Princess, selbst dort geparkt, nachdem Hondro es ihr befohlen hatte. Die behördliche Genehmigung hierfür hatte er mithilfe seiner Fähigkeiten leicht beschafft. Der Frachtbereich des Raumboots war derartig vollgestopft mit Pilzsporen, dass jeder Allergiker schon vom Anblick einen anaphylaktischen Schock erlitten hätte. Wenn man nicht achtgab, blieben die Sporen leider nicht im Frachtraum, sondern wimmelten durch das ganze Fahrzeug.
»Und was jetzt? Willst du die Sporen benutzen, um den Kaiser von Olymp unter deine Kontrolle zu bekommen?«
Hondro wandte ihr das Gesicht zu. Er sah gruselig aus: Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, und die Narben auf seiner linken Wange glänzten schwarz. »Das wäre bestimmt ein Spaß. Ich konnte diesen aufgeblasenen Gecken noch nie leiden. Aber ich habe Wichtigeres mit den Sporen vor.«
Jessica legte den Kopf schief. Es hatte sie zutiefst erschreckt, was Hondro mit den Sporen alles bewirken konnte. Seine Fähigkeiten wurden immer größer – gleichzeitig wuchs seine Erschöpfung, was ihr Anlass zur Hoffnung gab. »Geht es um die Planetenmaschine von Olymp? Hast du ihren Standort gefunden?«
Hondro winkte ab. »Schon vor ein paar Tagen. Ich überlege noch, was ich mit dieser Information anfange. Und ob ich überhaupt etwas damit anfange – meine bisherigen Versuche, die Anlagen in Gang zu setzen, sind gescheitert. Es bringt nichts, erneut zu versuchen, einzelne Planetenmaschinen zu kontrollieren.«
Dass Hondro bei diesen Worten wütend die Lippen zusammenkniff, verschaffte Jessica Genugtuung. »Dann gibst du also auf?«
Eine Woge von Zorn spülte ihr entgegen. Sie war keine Telepathin, doch ihre mentale Verbindung zu Hondro war mittlerweile recht stark. Sie spürte seine Emotionen ebenso wie seine Erschöpfung. »Ich gebe niemals auf. Ich passe höchstens meine Pläne an. In diesem Fall muss ich sie nicht mal ändern, sondern nur beschleunigen. Ich muss ins Zentrum.«
Er sprang auf und lief unruhig hin und her. Er erinnerte Jessica an einen Panther im Käfig. Gab es da nicht ein altes Gedicht? Sie grübelte, und ein paar Zeilen fielen ihr ein. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Sie verzog ihre Lippen zu einem bitteren Grinsen, obwohl ihr eher zum Heulen zumute war.
Hondros Wille ist alles andere als betäubt. Aber er ist ausgelaugt. Er richtet sich mit dem Einsatz seiner Kräfte selbst zugrunde. Nun, wenn er das so will, bin ich ihm gern dabei behilflich.
»Ich muss herausbekommen, wie ich die Transmitterstraße nutzen kann«, murmelte Hondro.
Jessica runzelte die Stirn. Der Plophoser hatte sie bislang nicht in seine weiterreichenden Pläne eingeweiht. Aber vielleicht bekam sie ihn in seiner derzeitigen Stimmung zum Reden. »Wozu das? Wo willst du hin?«
»In die Nähe des Saturns natürlich. Ins Sonnensystem der Erde.« Hondro schnaufte. »Aber mir ist nicht klar, wie ich das anstellen soll. Ich muss behutsam vorgehen – meine Kräfte sind nicht unerschöpflich. Ich kann nicht einfach das komplette am Transportvorgang beteiligte Personal unter meinen Willen zwingen.«
Sie vermochte ein ungläubiges Auflachen nicht zu unterdrücken. »Du hast fast die ganze Bevölkerung von Epsal unter Kontrolle gebracht – da dürfte so etwas für dich kein Problem sein.« Oder doch? Wenn seine Erschöpfung so stark ist, gibt es vielleicht eine Chance ...
Hondro blieb ärgerlich stehen und stützte sich auf die Lehne eines Sessels. »Das ist nicht so einfach wie mit diesen armseligen Kolonisten im Altairsystem. Die waren Spielzeug, wenn ich die Sporen zu Hilfe nahm. Nein: Die Union hat längst auf meine Vorgehensweise reagiert. Immer mehr Verantwortliche müssen sich regelmäßigen Prüfungen unterziehen, die eine Beeinflussung schnell aufdecken würden. Das weiß ich von meinen Kontaktleuten.«
Jessica hätte gern gewusst, wie Hondro mit diesen ominösen Kontaktleuten kommunizierte. Es geschah jedenfalls nicht auf gewöhnliche Weise. Wahrscheinlich nutzte er auch dafür seine seltsamen, vom Dunkelleben ermöglichten Fähigkeiten.
Hondro legte seine Fingerspitzen aneinander und stützte das Kinn darauf. »Viele sind sogar mit diesen Neurostreamdimmern ausgerüstet – das macht es schwieriger.«
»Neurostreamdimmer«, sagte Jessica leise. Sie hatte mitbekommen, dass diese Geräte gegen Hondro eingesetzt wurden – damals, als sie noch auf der anderen Seite gestanden hatte. Man trug sie als von Schläfe zu Schläfe reichende Klemmbügel am Kopf. Sie waren wirksam, indem sie unter anderem die Empfindlichkeit der Hirnneuronen herabsetzten – deswegen verursachten sie bei längerem Gebrauch starke Kopfschmerzen. Vollständig schützten sie nicht gegen Hondros Kräfte, aber sie erschwerten ihm die Kontrolle. Wenn sie richtig gesehen hatte, war auch das Team von Perry Rhodan an der epsalischen Planetenmaschine damit ausgerüstet gewesen. Viel genutzt haben sie ihnen nicht ...
»Außerdem hat die Union ihre strategisch wichtigsten Orte entsprechend abgesichert«, fuhr Hondro fort. »Das wird es deutlich schwerer machen, an den Mond heranzukommen.«
Jessica setzte sich auf. »An den Mond? Was willst du denn auf dem Mond?«
Hondro lachte. »Ach ja, das kannst du nicht wissen, meine treu ergebene Dienerin. Der Grund, aus dem ich mir die Pilzsporen besorgt habe, ist NATHAN.«
»Die Fremdintelligenz auf dem Mond?«
»Er bezeichnet sich als Hyperinpotronik.« Hondro lächelte nachsichtig, so wie ein Lehrer über eine langsame Schülerin lächeln würde. »Ganz genau, NATHAN ist mein Ziel. Ich beabsichtige, meine Sporen auf den Erdmond zu transferieren. Dort werde ich sie in die Hyperinpotronik einschmuggeln und auf diese Weise NATHAN unter meine Kontrolle bringen.«
Jessica war fassungslos. Der Plan klang abwegig, geradezu aussichtslos. Ist es überhaupt möglich, eine Intelligenz wie NATHAN geistig zu kontrollieren? Ebenso gut könnte Hondro planen, ein Wesen wie ES unter seinen Einfluss zu bringen.
»Wieso? Was bezweckst du damit?«
Hondro ließ sich kopfschüttelnd in seinen Sessel sinken. »Ich hätte dich für klüger gehalten. Du hast an meiner Seite wahrhaftig genug Einblicke in das gehabt, was im Einflussbereich der Terranischen Union vor sich geht. Was denkst du, warum ich versucht habe, die Planetenmaschinen in Betrieb zu setzen?«
Sie biss sich auf die Lippen. »Um ... um die Gesamtanlage zu aktivieren?«
»Ganz genau. Kontrolle heißt das Zauberwort. Wenn ich erst mal NATHAN im Griff habe, kann ich mit ihm das Nonagon steuern – die durch die Planetenmaschinen auf den neun terranischen Kolonien geformte Neunturmanlage der Lokalen Blase.« Hondro grinste breit. »Damit hätte ich mein Ziel erreicht und wäre in der Lage, eine umfassende Kontrolle auszuüben. Außerdem würde ich dem Dunkelleben einen Weg in diese Welt bereiten. Wenn Tihit wieder erwacht, besitzt sie mit dem Nonagon einen Ankerpunkt für ihre Manifestation im Einsteinraum. Es ist perfekt.«
Eher perfide als perfekt. Jessica konnte Hondro nur grauenerfüllt anstarren. Den Namen »Tihit« hatte Hondro schon einige Male vor sich hin gemurmelt, aber sie hatte keine konkrete Vorstellung, wer das sein mochte. Hondro verriet es ihr nicht. Es musste mit dem Dunkelleben und seiner Ausbreitung zusammenhängen. Allein bei der Vorstellung, dass sich das Dunkelleben und die damit verbundenen Grausamkeiten und Krankheiten ungehindert in der Milchstraße ausbreiten würden, ließ Jessica beinahe wahnsinnig werden – und der Gedanke, dass sie Iratio Hondro dabei als Handlangerin dienen würde, erst recht.
»Was meinst du mit umfassende Kontrolle?«
»Das ist das Schöne an der Sache«, prahlte Hondro. »Wenn ich NATHAN kontrolliere, bin ich in der Lage, meine Suggestivimpulse über die komplette Lokale Blase auszudehnen. Dann kann ich alle dort lebenden Intelligenzwesen beherrschen.«
Jessica schnappte nach Luft. Alle Intelligenzwesen in der Solaren Union und dem näheren Umfeld? Das ist unmöglich!
Anderseits hatte sie aus nächster Nähe erlebt, zu was Hondro fähig war. Wenn er einen so mächtigen Multiplikator wie NATHAN in die Finger bekam, war alles vorstellbar.
»Ich muss mich bei dir bedanken, Jessica.« Hondro stand auf. »Das Gespräch mit dir hat mir sehr weitergeholfen!«
»Ach ja?«
»Ja – dank dir ist mir wieder eingefallen, dass es nichts bringt, hier herumzusitzen. Wir beide gehen los und machen Trade City unsicher.« Hondro griff nach seiner Jacke. »Es wäre doch gelacht, wenn ich auf Olymp niemanden fände, der mir weiterhelfen kann. Du kennst sicher das Sprichwort: Was man auf Olymp nicht sieht, sieht man nirgendwo – und was man auf Olymp nicht kaufen kann, existiert nicht.«
Da Jessica noch immer in ihrem Sessel saß, rollte Hondro ungeduldig mit den Augen. Er machte eine lässige Geste – die reine Show war –, und Jessica Tekener spürte, wie sich ihre Glieder gegen ihren Willen bewegten. Sie stand auf, ohne es zu wollen. Wie ich das hasse!
»Ist gut, ich komme.« Unwillig verzog sie das Gesicht. »Wohin gehen wir?«
Iratio Hondro grinste. »Lass dich überraschen!«