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2Zartbitter – eine Liebesgeschichte

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Sollte sie, oder lieber doch nicht? Abschätzend betrachtete Anita die Tafel Schokolade. Iss mich, schien der Inhalt dieser Verpackung sie anzuflehen.

Länger konnte sie der Versuchung nicht widerstehen. Die Silberfolie knisterte, als sie die Schokolade auszog und in Stücke brach. Zart und süß, wie ein liebevoller Kuss, schmolz die Leckerei in ihrem Munde.

»Hallo Anita.« Ihre Arbeitskollegin Sophia stürmte herein und warf schwungvoll die Dokumentenmappe auf den Tisch. »Die Briefe sollten noch heute Abend hinausgehen. Schaffst du das?« Dabei wechselte ihr Blick ständig zwischen den Unterlagen und der angebrochenen Tafel Schokolade hin und her. »Schon wieder vom »Naschgespenst« befallen?« Sie strich über ihre schlanken Hüften, die von einem teuren Designerkleid in Form gebracht wurden.

»Möchtest du auch ein Stück?« Anita hielt ihr die Schokoladentafel direkt unter die Nase.

»Nein, lieber nicht. Das Kleid kneift eh schon. Habe in den letzten Tagen ein Pfund zugenommen.« Sophia seufzte gekonnt und warf mit einer lässigen Bewegung ihre Haare nach hinten. »Morgen Abend ist unser Sommerfest und ich will den Männern den Kopf verdrehen. Sei froh, dass du diese Probleme nicht hast. Obwohl, es ist schon interessant - unser Unternehmen verkauft Sportmode und du ...«

Genauso stürmisch, wie sie hereingekommen war, verließ Sophia das Büro wieder. Der Seitenhieb saß. Im spiegelnden Fenster betrachtete sich Anita. Stimmte schon, schlank war sie wirklich nicht. Unter ihrem T-Shirt zeichneten sich mehrere Fettringe ab und die Oberschenkel erinnerten in der Jeans an prall gefüllte Würste. Als Mollige musste man damit leben, seine Zeit als Single zu verbringen. Wer mochte schon ein Moppelchen in seinem Bett? Und so war es für Anita selbstverständlich, nur von einer Beziehung zu träumen.

In dieser Firma gab es zwar mehrere einsame Männerherzen, aber nur Frank, dem Chefdesigner fand Eingang in ihre Träume. Der Gedanke an Frank zauberte auf ihre Lippen ein Lächeln und sorgte für Herzklopfen. Doch außer kurzen geschäftlichen Gesprächen herrschte zwischen ihnen Funkstille. Gegen komplizierte zwischenmenschliche Beziehungen war ein Stück Schokolade wirklich handlich. Sie schmolz süß wie ein Kuss dahin; hinterließ aber keinen bitteren Nachgeschmack. Es tröstete sie darüber hinweg, dass sie nicht den Mut fand, ihn einmal anzusprechen.

»Was, du willst nicht zum Fest?« Sophia warf ihr einen entrüsteten Blick zu. »Warum denn nicht?«

»Ach, jedes Jahr das Gleiche. Es wird die neueste Sport-Kollektion vorgeführt und über den grünen Klee gelobt. Lauter schlanke Frauen die tolle, figurbetonte Mode vorführen und zeigen, wie sportlich man damit ist. Stell dir vor, wie ich darin aussehen würde. Und anschließend wird getanzt, gelacht und nochmals getanzt. Du glaubst doch nicht, dass ich mich auf dem Tanzparkett wohlfühle? Der Blamagefaktor ist hoch! Nein, da verbringe ich lieber einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher.«

»Nun stell dich nicht so an! Schließlich bist du nicht die Einzige, die ein paar Pfunde zuviel herumträgt. Schau dich um: Hannes unser Chef, oder auch Frank - sie glänzen wahrlich nicht durch eine sportliche Figur. Der Firmenphilosophie zum Trotz. Ganz zu schweigen davon, was du später auf dem Tanzboden sehen wirst. Einfach grauenhaft, so als ob es keine Tanzschulen gibt! Keine Müdigkeit vorschützen. Heute Abend unternehmen wir einen Einkaufsbummel und kaufen dir ein schickes Kleid! Eines, das deine Formen umschmeichelt. Keine Wiederrede – wir sehen uns nach Feierabend.«

Gesagt, getan. Sophias Fröhlichkeit war ansteckend und bald standen sie kichernd im Modegeschäft. »Hier, das Kleid. Lauter schöne farbenfrohe Blümchen und an der Hüfte weit geschnitten. Der weich fallende Rock versteckt die kräftigen Oberschenkel. Also, hinein mit dir!«

Anita verschwand in der Umkleide und staunte über sich selbst, als sie sich im Spiegel sah. Gut, die Pfunde waren nicht verschwunden, aber das luftige Kleid zeigte wenigstens nicht, wo sie saßen. Beschwingt machte sie ein paar Tanzschritte und das Kleid umschmeichelte ihren Körper.

»Hei Sophia, du hast einen guten Blick! Das Kleid ist umwerfend. Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas stehen würde!« Noch einmal drehte sie sich um ihre eigene Achse. »Ob du es mir glaubst oder nicht, jetzt bekomme ich richtig Lust auf das Sommerfest.«

Die Modenschau entwickelte sich zu einem großen Erfolg. Anita, die die meisten der Geschäftskunden gut kannte, sah in deren Gesichtern helle Begeisterung und dass sie immer wieder Notizen in den Katalogen machten. In zwei bis drei Tagen konnten sie mit den ersten Bestellungen rechnen. Wie immer, denn schließlich war die Mode ihres Unternehmens bei vielen beliebt.

Am leckeren Büffet hielt sich Anita nicht zurück. Dazu lockten das Rostbeef, die gefüllten Eier und die Lachsschnittchen zu sehr.

»Hallo, darf ich mich zu dir setzen?« Frank, der Chefdesigner des Hauses hielt ebenfalls einen Teller mit Delikatessen in der Hand. »Jetzt, wo die Anspannung vorbei ist, habe ich großen Hunger.«

Anitas Herz klopfte einen Takt schneller und sie fühlte, wie ihre Hände feucht wurden. Mit diesem Glück hatte sie nicht gerechnet. Unauffällig musterte sie Frank im schummerigen Licht des Saals. Sein Gesicht war freundlich und ein paar Lachfalten zierten seine Wangenpartie. Deutlich erkannte Anita seine Erleichterung über die gelungene Modeschau. Er wirkte mit seinen knapp 190 cm nicht gerade klein und der maßgeschneiderte Anzug saß perfekt. Die paar Pfunde zuviel ahnte man nur.

»Ja, gern.« Sie rückte ein Stück zur Seite. »Die heutige Vorstellung war wieder allererste Sahne. Den zufriedenen Gesichtern der Kunden nach füllen sich in den nächsten Tagen die Auftragsbücher. Dein Erfolg, denn du entwirfst die Modelle.«

»Ach, nun übertreib mal nicht! Es gehört noch sehr viel mehr dazu. Es ist im Prinzip der Erfolg der gesamten Firma!«

Leise spielte die Musik auf und nach und nach strömten die ersten Tänzer auf die Fläche.

»Hast du auch Lust?« Frank schob seinen Teller beiseite und lächelte sie fragend an.

»Nein, lieber nicht. Es ist Ewigkeiten her, dass ich mal getanzt habe. Und außerdem habe ich mir meinen Knöchel verstaucht«, flunkerte Anita. Die Blamage dort oben, das wollte sie sich nicht antun. Ganz besonders nicht mit Frank, wo er ihr doch ausnehmend gut gefiel.

»Oh, treibst du Sport oder woher kommt die Verletzung?« Frank musterte sie mit großen Augen. Fast schien Anita es so, als ob sein Bedauern echt wäre und er es nicht nur aus Höflichkeit sagte. Wenn sie sich vorstellte, sich an Franks Brust anzulehnen, bekam sie feuchte Hände. Halt Stopp, bremste sie ihr Inneres ich. Als dicker Mensch hat man keine Chancen. Der Widerspruch des anderen ich’s »aber er ist ja auch dick« ging im Gefühlschaos unter.

»Nein, ich und Sport – alle unsere Anzüge würden aus den Nähten platzen. Es gibt ja keine ansprechenden oder gar schönen Anzüge für rundliche Menschen. Die ganze Kollektion ist doch total am Markt vorbei! Genial wäre es, wenn die Sachen figurbetont aber gleichzeitig Problemzonen `wegzaubern´ würden.« Anita stockte und erschrak über ihre Worte. Das kam ja fast einer Kritik an Frank und seiner Arbeit gleich! »Nein, ich bin nur das Tragen von Pumps nicht mehr gewöhnt. So selten, wie ich ein Kleid trage.«

»Ach, so ist das.« Dabei nahm sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck an und er reagierte nicht mehr auf ihre vorsichtigen Kontaktversuche.

Sehr geknickt und enttäuscht über den unbefriedigten Verlauf des Abends ging sie frühzeitig. Zum Glück hatte sie in ihrer Handtasche noch eine Notration Schokolade. Für die paar lächerlichen Kilometer reichte die Tafel gerade mit Müh und Not.

»Anita, du sollst zum Chef kommen!« Sophia stürmte wie gewohnt in ihr Büro. »Was ist denn passiert? Alle tun so geheimnisvoll. Hast du eine Ahnung?«

»Nein«, Anita schüttelte den Kopf. »Am Sommerfest hatte ich mich mit Frank unterhalten und offensichtlich habe ich etwas Verkehrtes gesagt.«

Anitas Kopf sank ein Stückchen tiefer. »Wahrscheinlich hat er sich beim Chef beschwert. Von wegen unfähige Mitarbeiterin oder so ...«

Sophia lachte auf. »He, so schnell kann man Frank normalerweise nicht beleidigen. Er wirkte eben sehr zufrieden und stolz. Ich hatte eher das Gefühl, als ob die beiden etwas Neues aushecken. Nun aber los mit dir!«

Der Weg bis zum Chef kam Anita wie ein Spießrutenlauf vor. Ihre Finger gingen in ihren Taschen auf Wanderschaft und suchten verzweifelt nach einer Tafel Schokolade. Vergeblich, diese ruhten sicher verwahrt in der Schreibtischschublade.

Zaghaft klopfte sie an der Tür des Chefs. Keine Reaktion, nur das Lachen der beiden klang gedämpft an ihr Ohr. Notgedrungen klopfte sie noch einmal.

Diesmal ertönte umgehend ein »Herein!«

Mit gesenktem Kopf trat Anita ein. Maren hatte recht gehabt. Die Gesichter der beiden waren in keinster Weise ernst. Vielmehr sahen sie sehr zufrieden aus.

»Hallo Anita, schön, dass Sie gekommen sind. Wir wollten nämlich Ihre Meinung hören.«

»Ja, genau. Du hast mich während unseres Betriebsfestes auf eine geniale Idee gebracht. Sportmode für Mollige!« Frank sah sie mit einem gewinnenden Lächeln an. Anita spürte, wie ihre Knie anfingen zu zittern. »Hier, schau dir die Entwürfe an. Sportlich-bequem, aber gleichzeitig durch geschickten Schnitt und Farbauswahl die Problemzonen kaschierend.«

Frank hielt ihr die Zeichnungen hin. Das Erste, was sie bemerkte, war ihre Person auf dem Skizzenblock. Es gab keine Zweifel – die kurzen, braunen Haare, die zierliche goldgefasste Brille. Anita spürte, wie es eiskalt ihren Rücken hinunterlief. Ihr Herz schlug einen Trommelwirbel und eine innere Stimme rief voller Freude: Er mag dich!

Eindeutig. Frank hatte Sportmode für sie entworfen! Und was sie sah, das gefiel ihr. Sogar ausgesprochen gut. Ohne Mühe konnte sie sich vorstellen, darin im Fitnesscenter zu erscheinen.

»Genau, das ist genial! Unter solchen Umständen könnte auch ich noch Lust bekommen, Sport zu betreiben!«

Ihr Chef nickte zustimmend. »Wir haben eine Marktlücke entdeckt. Ihr Hinweis hat Frank auf neue Ideen gebracht.« Fast schien es so, als ob ihr Chef gleich aus dem Sessel springen würde, um sie zu umarmen. »Nun meine Frage – Anita, möchten Sie für Frank Modell stehen und unsere Kollektion der sehr verehrten Kundschaft vorführen? Selbstverständlich mit angepasstem Honorar und Freistellung von der Arbeit.«

Anita brauchte nicht lange zu überlegen. Die Welle der Begeisterung, die die beiden vor sich hertrugen, hatte auch sie erfasst. »Ja, klar! Da gibt es überhaupt kein Nachdenken für mich.«

»Hallo Anita, das war aber eine lange Besprechung. Um was ging es denn?« Sophia stand bei der Kaffeemaschine und griff nach einem Diät-Keks.

»Während wir ein paar Kekse knabbern, kannst du mir ja erzählen. Also ...«

Anita lachte glücklich und schenkte sich ebenfalls eine Tasse ein. »Also, unser Chef plant eine neue Kollektion und Frank und ich, wir heiraten.«

Anita und Sophia husteten im gleichen Augenblick los. »Nein, nein! Ich habe mich versprochen. Frank und ich, wir arbeiten zusammen an der neuen Kollektion und führen sie auch gemeinsam vor. Mode für Mollige.«

Nach Feierabend bummelte Anita langsam zum Parkplatz. Die warme Sommerluft empfand sie wie einen vielversprechenden Anfang. Sie lockte die farbenprächtigsten Blüten hervor und weckte bei ihr ein ungeahntes Gefühl von Glück. Glück darüber, dass es jemanden gab, der sie liebte und der ihre Gefühle erwiderte.

Vogelstimmen erklangen im Busch und Anita entdeckte eine Amsel, die fröhlich ihr Lied sang. Sie schloss ihren Wagen auf und stieg ein. Dabei schweifte ihr Blick an den gegenüberliegenden Häuserfassaden entlang. `Sportcenterエ stand in riesigen Buchstaben an der Wand. Früher war ihr das nie aufgefallen. Ohne lange zu überlegen, stieg sie wieder aus und ging hinüber. Kurz darauf hielt sie zwei Karten in den Händen. Genau so zielstrebig ging sie zurück in Franks Büro.

»Hallo Frank, ich habe eine Überraschung für dich!« Dabei hielt sie die zwei Karten hoch. »Seit fünf Minuten sind wir Mitglieder im Fitnesscenter. Damit wir unsere Mode auch gleich stilvoll ausführen können.«

Frank ging auf sie zu und umarmte sie erfreut. »Eine tolle Idee. Aber wir müssen aufpassen, sonst passt uns die neue Kollektion schon bald nicht mehr. Wäre doch schade oder?«

Sein gehauchtes »ich liebe dich«, ging in seinem zärtlichen Kuss unter, der irgendwie nach Zartbitterschokolade schmeckte.

Sommerliebe

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