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Kapitel 1

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Vom tapfern Schneiderlein

Es war einmal ein Schneiderlein, das saß in einer

Stadt, die hieß Romadia; das hatte auf eine Zeit, da es

arbeitete, einen Apfel neben sich liegen, darauf setzten

sich viele Fliegen, wie das Sommerszeiten so gewöhnlich,

die angelockt waren von dem süßen Geruch

des Apfels. Darob erzürnte sich das Schneiderlein,

nahm einen Tuchlappen, den es eben wollte in die

Hölle fallen lassen, schlug auf den Apfel, und befand

im Hinsehn, daß damit sieben Fliegen erschlagen

waren. Ei, dachte bei sich das Schneiderlein, bist du

solch ein Held?! Ließ sich stracklich einen blanken

Harnisch machen, und auf das Brustschild mit goldnen

Buchstaben schreiben: Sieben auf einen Streich.

Darauf zog das Schneiderlein mit seinem Harnisch

angetan umher auf Gassen und Straßen, und die es

sahen, vermeinten, der Held habe sieben Männer auf

einen Streich gefällt, und fürchteten sich.

Nun war in demselben Lande ein König, dessen

Lob weit und breit erschallte, zu dem begab sich der

faule Schneider, der gleich nach seiner Heldentat

Nadel, Schere und Bügeleisen an den Nagel gehangen,

trat in den Hof des Königspalastes, legte sich alldort

in das Gras und entschlief. Die Hofdiener, so

aus- und eingingen, den Schneider in dem reichen

Harnisch sahen, und die Goldschrift lasen, verwunderten

sich sehr, was doch jetzt, zu Friedenszeiten,

dieser streitbare Mann an des Königs Hof tun wolle?

Er deuchte sie ohne Zweifel ein großer Herr zu sein.

Des Königs Räte, so den schlafenden Schneider

gleichfalls gesehen, taten solches Sr. Majestät, ihrem

allergnädigsten König, zu wissen, mit dem untertänigsten

Bemerken, daß, so sich kriegerischer Zwiespalt

erhebe, dieser Held ein sehr nützlicher Mann werden

und dem Lande gute Dienste leisten könne. Dem

König gefiel diese Rede wohl, sandte alsbald nach

dem geharnischten Schneider, und ließ ihn fragen, ob

er Dienste begehre? Der Schneider antwortete, ebendeshalb

sei er hergekommen, und bäte die Königliche

Majestät, wo höchstdieselbe ihn zu brauchen gedächte,

ihm allergnädigst Dienste zu verleihen. Der König

sagte dem Schneiderlein Dienste zu, verordnete ihm

ein stattliches Losament und Zimmer, und gab ihm

eine gute Besoldung, von der es, ohne etwas zu tun,

herrlich und in Freuden leben konnte.

Da währete es nicht lange Zeit, so wurden die Ritter

des Königs, die nur eine karge Löhnung hatten,

dem guten Schneider gram, und hätten gern gewollt,

daß er beim Teufel wäre, fürchteten zumal, wenn sie

mit ihm uneins würden, möchten sie ihm nicht sattsam

Widerstand leisten, da er ihrer sieben allwege auf

einen Streich totschlagen würde, sonsten hätten sie

ihn gern ausgebissen, und so sannen sie täglich und

stündlich darauf, wie sie doch von dem freislichen

Kriegsmann kommen möchten. Da aber ihr Witz und

Scharfsinn etwas kurz zugeschnitten war, wie ihre

Röcklein, so fanden sie keine List, den Helden vom

Hofe zu entfernen, und zuletzt wurden sie Rates miteinander,

alle zugleich vor den König zu treten, und

um Urlaub und Entlassung zu bitten, und das taten sie

auch.

Als der gute König sahe, daß alle seine treuen Diener

um eines einzigen Mannes willen ihn verlassen

wollten, ward er traurig, wie nie zuvor, und wünschte,

daß er den Helden doch nie möge gesehen haben;

scheute sich aber doch, ihn hinwegzuschicken, weil er

fürchten mußte, daß er samt all seinem Volk von ihm

möchte erschlagen, und hernach sein Königreich von

dem stracklichen Krieger möchte besessen werden.

Da nun der König in dieser schweren Sache Rat suchte,

was doch zu tun sein möge, um alles gütlich abzutun

und zum Besten zu lenken, so ersann er letztlich

eine List, mit welcher er vermeinte, des Kriegsmannes

(den niemand für einen Schneider schätzte) ledig zu

werden und abzukommen. Er sandte sogleich nach

dem Helden und sprach zu ihm, wie er (der König)

wohl vernommen, daß ein gewaltigerer und stärkerer

Kampfheld auf Erden nimmer zu finden sei, denn er

(der Schneider). Nun hauseten im nahen Walde zwei

Riesen, die täten ihm aus der Maßen großen Schaden

mit Rauben, Morden, Sengen und Brennen im Lande

umher, und man könne ihnen weder mit Waffen noch

sonst wie beikommen, denn sie erschlügen alles, und

so er sich's nun unterfangen wolle, die Riesen umzubringen,

und brächte sie wirklich um, so solle er des

Königs Tochter zur ehelichen Gemahlin, und das

halbe Königreich zur Aussteuer erhalten, auch wolle

der König ihm hundert Reiter zur Hülfe gegen die

Riesen mitgeben.

Auf diese Rede des Königs ward dem Schneiderlein

ganz wohl zu Mute und deuchte ihm schön, daß

es sollte eines Königs Tochtermann werden und ein

halbes Königreich zur Aussteuer empfangen; sprach

daher kecklich: er wolle gern dem König, seinem allergnädigsten

Herrn, zu Diensten stehen, und die Riesen

umbringen, und sie wohl ohne Hülfe der hundert

Reiter zu töten wissen. Darauf verfügte er sich in den

Wald, hieß die hundert Reiter, die ihm auf des Königs

Befehl dennoch folgen mußten, vor dem Walde warten,

trat in das Dickicht, und lugte umher, ob er die

Riesen irgendwo sehen möchte. Und endlich nach langem

Suchen fand er sie beide unter einem Baume

schlafend, und also schnarchend, daß die Äste an den

Bäumen, wie vom Sturmwind gebogen, hin- und herrauschten.

Der Schneider besann sich nicht lange, las schnell

seinen Busen voll Steine, stieg auf den Baum, darunter

die Riesen lagen, und begann den einen mit einem

derben Steine auf die Brust zu werfen, davon der

Riese alsbald erwachte, über seinen Mitgesellen zornig

ward und fragte, warum er ihn schlüge? Der andere

Riese entschuldigte sich bestens, so gut er's vermochte,

daß er mit Wissen nicht geschlagen, es müsse

denn im Schlafe geschehen sein; da sie nun wieder

entschliefen, faßte der Schneider wieder einen Stein,

und warf den andern Riesen, der nun auffahrend über

seinen Kameraden sich erzürnte und fragte, warum er

ihn werfe? der aber nun auch nichts davon wissen

wollte. Als beiden Riesen nun die Augen nach einigem

Zanken vom Schlafe wieder zugegangen waren,

warf der Schneider abermals gar heftig auf den andern,

daß er es nun nicht länger ertragen mochte, und

auf seinen Gesellen, von dem er sich geschlagen vermeinte,

heftig losschlug; das wollte denn der andere

Riese auch nicht leiden, sprangen beide auf, rissen

Bäume aus der Erde, ließen aber doch zu allem Glück

den Baum stehen, darauf der Schneider saß, und

schlugen mit den Bäumen so heftig aufeinander los,

bis sie einander gegenseitig totschlugen.

Als der Schneider von seinem Baume sahe, daß die

beiden Riesen einander tot geschlagen hatten, ward

ihm besser zu Mute, als ihm jemals gewesen, stieg

fröhlich vom Baume, hieb mit seinem Schwerte jegli-

chem Riesen eine Wunde oder etliche, und ging aus

dem Walde hervor zu den Reitern. Die fragten ihn, ob

er die Riesen entdeckt oder ob er sie nirgends gesehen

habe? »Ja«, sagte der Schneider, »entdeckt und gesehen

und alle zwei tot geschlagen – habe ich, und sie

liegen lassen unter einem Baume.« Das war den Reitern

verwunderlich zu hören, konnten und wollten's

nicht glauben, daß der eine Mann so unverletzt von

den Riesen sollte gekommen sein, und sie noch dazu

tot geschlagen haben, ritten nun selbst in den Wald,

dies Wunder zu beschauen und fanden es also, wie

der Schneiderheld gesagt hatte. Darob verwunderten

sich die Reiter gar sehr, und empfanden einen grauslichen

Schrecken, ward ihnen auch noch übler zu Mute,

denn vorher, da sie fürchteten, der Sieger werde sie

alle umbringen, wenn er ihnen Feind würde; ritten

heim und sagten dem König an, was geschehen.

Da nun der Schneider zum Könige kam, seine Tat

selbst anzeigte, und die Königstochter samt dem halben

Königreich begehrte, gereute den König sein Versprechen,

das er dem unbekannten Kriegsmann gegeben,

gar übel, denn die Riesen waren nun erwürgt,

und konnten keinen Schaden mehr tun; dachte darüber

nach, wie er des Helden mit Fug abkommen möchte,

und war nicht im mindesten gesonnen, ihm die Tochter

zu geben. Sprach daher zum Schneider, wie er in

einem andern Walde leider noch ein Einhorn habe,

das ihm sehr großen Schaden tue an Fischen und Leuten;

dasselbe solle er doch auch noch fangen, und so

er dieses vollbringe, wolle der König ihm die Tochter

geben. Der gute Schneider war auch das zufrieden,

nahm einen Strick, ging hin zu jenem Walde, allwo

das wilde Einhorn hauste, und befahl seinen Zugeordneten,

draußen vor dem Walde zu warten, er wolle allein

hineingehen und allein die Tat bestehen, wie er

die gegen die zwei Riesen auch allein und ohne andere

Hülfe bestanden. Als der Schneider eine Weile im

Walde umher spaziert war, ersieht er das Einhorn, das

gegen ihn daher rennt mit vorgestrecktem Horn und

will ihn umbringen. Er aber war nicht unbehende,

wartete, bis das Einhorn gar nahe an ihn herankam,

und als es nahe bei ihm war, schlüpfte er rasch hinter

den Baum, neben dem er zu allernächst stand, und da

lief das Einhorn, das im vollen Rennen war und sich

nicht mehr wenden konnte, mit aller Hast gegen den

Baum, daß es ihn mit seinem spitzen Horn fast durch

und durch stieß, und das Horn unverwandt darin stekken

blieb. Da trat der Schneider, als er das Einhorn

am Baume fest zappeln sah, hervor, schlang ihm den

mitgenommenen Strick um den Hals, band es an den

Baum vollends fest, ging heraus zu seinen Jagdgesellen,

und zeigte ihnen seinen Sieg über das wilde Einhorn

an. Darauf ging das Schneiderlein zum König,

tät demütiglich Meldung von der glücklichen Erfül-

lung des königlichen Wunsches, und erinnerte bescheidentlich

an das königliche zweimalige Versprechen.

Darob ward der König über die Maßen traurig,

wußte nicht was zu tun sei, da der Schneider der

Tochter begehrte, die er doch nicht haben sollte. Und

begehrte noch eins an den Kriegsmann. Dieser solle

nämlich auch das grausame Wildschwein, das in

einem dritten Walde liefe und alles verwüste, einfahen,

und so er auch dieses vollbringe, dann wolle

der König ihm die Tochter ohne allen Verzug geben,

wolle ihm auch seine ganze Jägerei zur Hülfe beiordnen.

Der Schneider zog, nicht sonderlich erbaut von des

Königs abermaligem Begehren, mit seinen Gesellen

zum Walde hinaus, und befahl ihnen, als der Forst erreicht

war, draußen zu bleiben. Des waren die Jäger

gar herzlich froh und zufrieden, denn das Wildschwein

hatte sie schon öfter dermaßen empfangen,

daß ihrer viele das Wiederkommen auf immer vergessen

hatten, und sie alle nicht mehr begehrten, ihm

nachzustellen, dankten daher dem Schneider sehr aufrichtig,

daß er sich allein in die Fahrnis wage und sie

in Numero Sicher dahinten lasse. Der Schneider war

noch nicht lange in den Wald getreten, so wurde das

Wildschwein seiner ansichtig, und stürzte auf ihn zu

mit schäumendem Rachen und wetzenden Hauern und

wollte ihn gleich zu Boden rennen, so daß sein Herz

erzitterte und er sich schnell nach Rettung umsah. Da

stand zum Glück eine alte verfallene Kapelle in dem

Walde, darin man vor Zeiten Ablaß geholt, und da der

Schneider nahe dabei stand, und die Kapelle ersah,

sprang er mit einem Satz hinein, aber auch der Türe

gegenüber mit einem Luftsprung durch ein Fenster,

darin keine Scheiben mehr waren, wieder heraus, und

alsbald folgte ihm die Wildsau, die nun in der Kapelle

rumorte, der Schneider aber lief flugs um das Häuslein

herum, wischte vor an die Türe, warf sie eilends

zu, und versperrte so das grausame Gewild in das

Kirchlein, ging dann hin zu den Jagdgesellen, zeigte

ihnen seine Tat an, die kamen hin, befanden die Sache

also wahr und richtig, und ritten heim mit großer Verwunderung,

dem König Bericht erstattend. Ob nun die

Nachricht vom abermaligen glückhaften Sieg des heldenhaften

Kriegsmannes den König mehr froh oder

mehr traurig gemacht, das mag ein jeglicher, selbst

mit geringem Verstand, leichtlich ermessen, denn der

König mußte nun dem Schneider die Tochter geben,

oder fürchten, daß dieser seine Heldenkraft, davon er

drei so erstaunliche Proben gegeben, gegen ihn selber

wenden dürfte. Doch ist wohl zweifelsohne, hätte der

König vollends gewußt, daß der Held ein Schneider

wäre, so hätte er ihm lieber einen Strick zum Aufhenken,

denn seine Tochter geschenkt. Ob nun aber der

König einem Manne ohne Herkunft und ohne Geburt,

außer der von seiner Mutter, seine Tochter mit kleiner

oder mit großer Bekümmernis, gern oder ungern gebe,

danach fragte Schneiderlein gar wenig oder gar nicht,

genug er war stolz und froh, des Königs Tochtermann

geworden zu sein. Also wurde die Hochzeit nicht mit

allzu großer Freudigkeit von königlicher Seite begangen,

und aus einem Schneider war ein Königseidam

geworden, ja ein König.

Als eine kleine Zeit vergangen war, hörte die junge

Königin, wie ihr Herr und Gemahl im Schlafe redete,

und vernahm deutlich die Worte: »Knecht, mache mir

das Wams – flicke mir die Hosen – spute dich – oder

ich – schlage dir das Ellenmaß über die Ohren!« Das

kam der jungen Königsgemahlin sehr verwunderlich

vor, merkte schier, daß ihr Gemahl ein Schneider sei,

zeigte das ihrem Herrn und Vater an, und bat ihn, er

möge ihr doch von diesem Manne helfen. Solche

Rede durchschnitt des Königs Herz, daß er habe seine

einzige Tochter einem Schneider antrauen müssen,

tröstete sie auf das beste, und sagte, sie solle nur in

der künftigen Nacht die Schlafkammer öffnen, so sollten

vor der Türe etliche Diener stehen, und wenn sie

wieder solche Worte vernähmen, sollten diese Diener

hinein gehen und den Mann geradezu umbringen. Das

ließ sich die junge Frau gefallen und verhieß also zu

tun. Nun hatte der König aber einen Waffenträger am

Hofe, der war dem Schneider hold, und hatte des Kö-

nigs untreue Rede gehört, verfügte sich daher eilend

zu dem jungen König und eröffnete ihm das schwere

Urteil, das über ihn so eben jetzt ergangen und gefällt

war, und bat ihn, er möge seines Leibes sich nach besten

Kräften wehren. Dem sagte der Schneider-König

ob seines Warnens großen Dank, und er wisse wohl,

was in dieser Sache zu tun sei. Wie nun die Nacht gekommen

war, begab sich zu gewohnter Zeit der junge

König mit seiner Gemahlin zur Ruhe und tat bald, als

ob er schliefe. Da stand die Frau heimlich auf und öffnete

die Tür, worauf sie sich wieder ganz still niederlegte.

Nach einer Weile begann der junge König wie

im Schlafe zu reden, aber mit heller Stimme, daß die

draußen vor der Kammer es wohl hören konnten:

»Knecht, mache mir die Hosen – bletze mir – das

Wams, oder ich will dir das Ellenmaß über die Ohren

schlagen. Ich – hab sieben auf einen Streich – tot geschlagen

– zwei Riesen hab ich – tot geschlagen – das

Einhorn hab ich gefangen – die Wildsau hab ich auch

gefangen – sollt ich die fürchten – die draußen vor der

Kammer stehen?«

Als die vor der Kammer solche Worte vernahmen,

so flohen sie nicht anders, als jagten sie tausend Teufel,

und keiner wollte der sein, der sich an den Schneider

wagte. Und so war und blieb das tapfere Schneiderlein

ein König all sein Lebetag und bis an sein

Ende.

Das Märchen von den sieben Schwaben

Es waren einmal sieben Schwaben, die wollten große

Helden sein und auf Abenteuer wandern durch die

ganze Welt. Damit sie aber ein gut Gewaffen hätten,

zogen sie zunächst in die weltberühmte Stadt Augsburg

und gingen sogleich zu dem geschicktesten Meister

allda, um sich mit Wehr und Waffen zu versehen.

Denn sie hatten nichts Geringeres im Sinne, als das

gewaltige Ungetüm zu erlegen, das zur selben Zeit in

der Gegend des Bodensees gar übel hausete. Der Meister

staunte schier, als er die sieben sah, öffnete aber

flugs seine Waffenkammer, die für die wackeren Gesellen

eine treffliche Auswahl bot. »Bygott!« rief der

Allgäuer, »send des au Spieß? So oaner wär mer grad

reacht zume Zahnstihrer. For mi ischt e Spieß von

siebe Mannslengen noh net lang gnueg.« – Drob

schaute ihn der Meister wiederum an mit einem Blick,

der den Allgäuer beinahe verdroß. Denn dieser lugte

zurück mit grimmigen Augen, und bei einem Haar

hätt's etwas gegeben, wenn der Blitzschwab nicht just

zur rechten Zeit sich ins Mittel gelegt. »Hotz Blitz!«

rief er, »du hoscht Reacht und i merk doin Maining:

Wie älle siebe for oin, so for älle siebe noh oin

Spieß.« Dem Allgäuer war dies nicht ganz klar, aber

weil's den andern just eben recht, so sagte er: »Joh.«

Und der Meister fertigte in weniger als einer Stunde

den Spieß, der sieben Mannslängen maß. – Ehe sie

aber die Werkstatt verließen, kaufte sich jeder noch

etwas Apartes, der Knöpflesschwab einen Bratspieß,

der Allgäuer einen Sturmhut mit einer Feder drauf,

der Gelbfüßler aber Sporen für seine Stiefel, indem er

bemerkte: solche seien nicht nur gut zum Reiten, sondern

auch zum Hintenausschlagen. Als der Seehaas

sich endlich einen Harnisch gewählt, pflichtete ihm

der Spiegelschwab in solcher Vorsicht vollkommen

bei, meinte aber, es sei besser, den Harnisch hinten

als vorn anzulegen. Und kaufte sich ein altes Barbierbecken

aus der Rumpelkammer des Meisters, groß

genug, um seine untere Kehrseite zu bedecken.

»Merk's: han i Curasche und gang i voran, noh brauch

i koan Harnisch, goht's aber hintersche und fällt mer

d'Curasche anderswohnah, noh ischt der Harnisch an

seinn reachte Blatz.«

Und nachdem die sieben Schwaben wie ehrliche

Leute alles richtig bis auf Heller und Pfennig bezahlt,

auch als gute Christen bei St. Ulrich eine Messe gehört

und zuletzt noch beim Metzger am Göppinger

Tore gute Augsburger Würste eingekauft hatten, so

zogen sie zum Tor hinaus ihres Weges weiter. Den

Spieß aber hielten sie alle sieben und gingen in einer

Reihe hinter einander, daß sie schier aussahen, wie

angespießte Lerchen. Voran ging der Herr Schulz, der

Allgäuer, als der mannlichste unter ihnen, dann kam

der Jockele, genannt der Seehaas, hierauf der Marle,

genannt der Nestelschwab, dem folgte der Jerkle, war

der Blitzschwab geheißen, hernach ging der Michel,

Spiegelschwab zubenamset, dann kam der Hans,

Knöpflesschwab, und zuletzt kam Veitle, das war der

Gelbfüßler. Der Herr Schulz wurde der Allgäuer geheißen,

weil er aus Allgau gebürtig war; der Seehaas

hatte am Bodensee gesessen; der Nestelschwab führte

darum seinen Namen, weil er statt der Knöpfe Nesteln

hatte, er mußte aber bei den Hosen fast immer mit der

Hand nachhelfen und halten, dieweil die Nesteln oftmalen

abgerissen waren. Der Blitzschwab hieß also,

weil er sich die Redensart: »Hotz Blitz!« angewöhnt

hatte. Der Spiegelschwab hatte die Gewohnheit, seine

Nase allezeit an dem Vorderteil seiner Jacke abzuputzen,

die davon einen gewissen Spiegelglanz annahm;

das schaffte jenem den saubern Namen. Knöpflesschwab

war ein Mann, der verstand gute Knöpfle oder

Spätzle zu kochen, das ist im baierischen Deutsch

Knötel, und im sächsischen Deutsch Klöße. Der

Gelbfüßler endlich war aus der Bopfinger Landschaft,

deren Einwohner die Umwohner Gehlfießler schimpfen.

Darum, daß sie einstmals einen Wagen voll Eier,

den sie ihrem Herzog als Abgabe bringen müssen,

recht voll stampfen wollen, und die Eier mit den

Füßen festgetreten, davon denn die Eier etwas weni-

ges zerbrochen, und die Füße der Bopfinger gegilbt

hätten.

Zogen nun die Sieben allesamt gutes Mutes mit

ihrem Spieß dahin, kamen eines Heumondtages in der

späten Dämmerung über eine grüne Wiese, da hob

sich eine Horniß nicht weit von ihnen mit feindlichem

Gebrummel hinter einer Dornhecke hervor, und flog

vorüber. Darob erschrak der Schulz, Allgäuer, mächtiglich,

und begann Angstschweiß zu schwitzen, und

schrie seinen Kriegsgesellen zu: »Horchet! der Feind

drommelt schoh!« Da schmeckte der Jockele, der

dicht hinter dem Schulzen ging, einen übeln Geruch

und rief: »Wohl! wohl! 's ist ebbes in der Näche! I

schmeck schaun 's Pulver!« Da nahm der Herr Schulz

Reißaus, ließ den Spieß fahren und sprang über einen

Zaun, kam aber gerade auf die Zinken eines Rechens

zu springen, und da fuhr ihm der Stiel ins Gesicht und

gab ihm einen ungewaschnen Schlag. Der Schulz vermeinte,

der Feind haue auf ihn ein, und schrie: »Gieb

Bardohn! i ergeb me.« Die andern sechs waren nachgesprungen

über den Zaun, und da sie ihren Anführer

also schreien hörten, so schrien sie alle: »Ergibscht du

de, noh ergeb i me au! Ergibscht du de, noh ergeb i

me au!« Aber es war niemand vorhanden, der die sieben

Schwaben gefangen nehmen wollte; und da sie

das merkten, schämten sie sich ihrer wenigen Herzhaftigkeit

und verschwuren sich, diese ihre erste Hel-

dentat nicht weiter zu erzählen.

Weiter so kamen die sieben Schwaben auf ihrem

Zuge in einen Hohlweg, und wie sie so tapfer darauf

losmarschierten, merkten sie nicht, daß ein großmächtiger

Bär im Wege lag, bis der Allgäuer fast mit der

Nase an ihn stieß. Als er ihn nun sah, war er hin vor

Schreck, stolperte und stieß mit dem Spieße geradezu

auf den Bären los, wozu er aber nichts konnte, und

schrie dazu gottsjämmerlich: »E Bär! E Bär!« Vermeinte,

sein letztes Brot wäre gebacken und bereits

verzehrt. Doch rührte sich der Bär nicht, dieweil er

maustot war. Des war der Allgäuer hoch erfreut,

schaute nun nach seinen Brüdern, und sah mit neuem

Schreck, daß alle mäusleinstill für tot auf dem Boden

lagen, meinte, er habe sie gar mit dem Spieße hinterrücks

erstochen, und erhub ein Wehegeschrei. Als die

am Boden Liegenden vermerkten, daß der Bär den

Allgäuer nicht aufgefressen, denn sie waren nur vor

Schreck dahin gepurzelt, lugten sie vorsichtig in die

Höh, und wie sie sahen, daß der Bär tot war, erhoben

sie sich frisch und gesund, traten um den Bären herum

und auf ihn, und untersuchten, wie tief wohl die

Wunde sei, die der Spieß ihm beigebracht, fanden

aber keine, und der Blitzschwab sagte: »Hotz Blitz!

Der Bär ischt verreckt und schoh lang tot!« – »Joh

Joh«, sprach der Jockele, »mer schmeckt de Brohde.«

Wurden eins, dem Bär das Fell abzuziehen und als

Siegeszeichen mit sich zu führen, das Aas aber liegen

zu lassen. »Jetzt kennet d'Schoof de Bäre fresse, wie

er d'Schoof gfresse hod!« sprach einer unter ihnen,

und so zogen sie fürbaß mit ihrem Bärenfell und

ihrem Spieß.

Kamen nun just in einen Wald und gerieten tiefer

und tiefer in die Stauden hinein, bis sie darin stecken

blieben. Die Bäume standen zuletzt so dicht, daß des

Fortkommens kein Gedanke war, bis der Allgäuer

endlich vor einem derben Stamme stehen blieb, den

Spieß erhob und wie ein Löw brüllte: »Bygott! durch

muß e.« Sprach's und rannte den Spieß mit solcher

Gewalt zur Seite des Baums in den Boden, daß der

Knöpflesschwab zwischen Baum und Spieß eingeklemmt

wurde, wie ein Treibkeil, und sich weder rühren

noch regen konnte. Und das war eben kein Kinderspiel,

denn jetzt stockte der Zug vollends, konnte

keiner vor- noch rückwärts. Zwar machten die Gesellen

einige mächtige Versuche, den Knöpflesschwab

aus der Klemme herauszuziehen, aber es war eitel

Mühen: der Hans saß fest und wankte nicht. Da war

es plötzlich, als ob dem Allgäuer ein großer Gedanke

durch das Hirn dämmerte; er lugte um sich und rief:

»Bygott! i mießt 's Teufels sei, wenn mer Gott et helfe

tät!« Und er sagte: »Hui Ochs!« und packte den

Baum mit gewaltiger Faust und riß ihn heraus samt

Wurzel, Stumpf und Stiel. Der Knöpflesschwab, mehr

tot als lebendig, schnellte heraus just wie der Ball

beim Pritschenschlagen, flog sechs Klafter himmelanwärts

und plumpte hernieder, daß die Erde drob wakkelte.

Die fünf andern aber schauten gar ehrerbietig zu

dem Allgäuer empor, denn erst jetzt ging ihnen ein

Licht auf, welchen Fund sie an dem Herrn Schulz

getan.

Um ein weniges weiter, zeigte sich's abermals, daß

der Allgäuer das Herz nicht im Sprungriemen trug,

denn als die sieben sich aus den Stauden herausgefunden,

kam ein Bräuer aus München des Wegs, der trieb

ein Rudel Borstenvieh vor sich her und man konnt's

ihm auf hundert Schritt ansehen, wes Landes Kind er

war. Blieb groß und breit stehen, als er die sieben mit

dem Spieß erblickte und zog ein Gesicht, als wollt er

die wackern Leut auslachen. Gleich war der Blitzschwab

vor ihn her und fragte protzig: »Was luegscht

Gsell? hoscht du noh koan Schwohbe gseah?« – »O

genug«, gab jener zurück, »bei mir daheim auf der

Malzdarre laufen sie zu Tausenden herum.« Meinte

spottweise die schwarzen Käfer, also geheißen, weiß

keine Menschenseele warum. Das war genug, um dem

Blitzschwab, der zu Zeiten giftig war, wie ein Maifrosch,

die Laus über den Grind laufen zu lassen.

Machte sich an den Baier heran, und gab ihm flugs

eine Watschel, daß jenem die Augen hell aufblitzten

und die Ohren summten just eben so, wie die große

Horniß. Der Baier, nicht faul, langte mit den Armen

weitmächtig aus, um dem Schwäblein auch eine zu

versetzen; und es wär auch eine gewesen, an die er

sein Lebtag gedacht hätte. Nun war aber der Blitzschwab

ein putziges Kerlchen, drehte sich auf einem

Beine siebenmal herum, und hatte sein Lebtag nichts

besser gelernt, als das Ausreißen. So kam es, daß der

Baier gar mächtiglich in die Luft schlug, sich um und

um drehte wie ein Kreisel, stolperte und zu Boden

stürzte wie ein Wiesbaum. Das half ihm zum Garaus;

der Blitzschwab stürzte über ihn her wie ein Quekkenhamster

und packte ihn an der Gurgel, während

die andern Hände und Füße hielten und lustig darauf

lostrommelten. Er wäre ihrer aber doch letztlich noch

Herr geworden, weil er ein großer starker Kerl war,

wäre nicht auch der Allgäuer über ihn hergefallen, wie

ein Maltersack. Da mußte er Abbitte tun, wohl oder

übel, denn das Häufein ließ nicht eher locker und

ledig.

Und es geschah, daß die guten Gesellen auf ihrer

Weiterreise an einen weiten blauen See kamen, so

dünkete es ihnen, denn es war alleweil etwas dämmerig

geworden, der schlug Wellen im Wind, und droben

an seinem Abhang standen die sieben Schwaben

und lugten hinunter, wie sie wohl am geschwindesten

über diesen See kommen möchten. Es war aber kein

Wasser da drunten, sondern ein Feld voll Flachses,

der so recht in seiner schönsten, blauen Blüte stand.

»Hotz Blitz!« rief der Blitzschwab, »was ischt doh

z' tuan? Über des wild Wasser müßet mer nüber.«

»Allgäuer, trag du es nüber, wie der hoilich Krischdof

ed Pilgersleut«, sagte der Seehaas. – »Bygott!«

antwortete der Allgäuer, »ins Wasser gieng i wohl,

wenn's net tiefer gieng als an de Hals.« Der Nestelschwab

griff mit der Hand an seinen Hosenbund, das

edle Kleidungsstück fest zu halten, daß es ihm nicht

entfalle, während er mit der andern Hand schwimmen

täte; dem Knöpflesschwab war das Ding gar nicht einerlei,

er lugte scharf, ob kein Haifisch, Wallfisch

oder Krokodil im Wasser brause; und so standen auch

die andern ganz verlegen da, bis der Blitzschwab sich

hinter ihnen herumdrückte und ein Paar hinunterstieß,

indem er ausrief: »Frisch gwohgt ischt halb gschwomme.

« Da die nicht untersanken, faßte sich auch der

Gelbfüßler ein Herz und tat einen Hupf hinunter; ihm

folgte der Blitzschwab und der Nestelschwab mit besserem

Vertrauen, und zuletzt ritt der Allgäuer auf dem

Spieße hinab, und plumpte drunten einer auf den andern,

bis sie merkten, daß sie mit der Nase ins Feld

gefallen waren, und allgemach mit etwas gequetschten

Rippen sich wieder aufmachten, den Spieß auffischten

und an ihm wiederum fürbaß schritten.

Bis zur Stunde hatten die sieben einträchtig an dem

Spieße gehalten, war weder Unrecht noch Unfried

zwischen ihnen vorgekommen. Da kam der böse

Feind und säete Zwietracht zwischen dem Blitzschwab

und dem Spiegelschwab mitten hinein. Das

trug sich folgendermaßen zu. Als die Schar ein gut

Stück weiter kam, war es schon Nacht und der Mond

ging eben auf. Da wurde es dem Spiegelschwab wunderlich

zu Mute, just wie daheim und meinte: »Jetzt

hent mers gwonne, Memmenge ischt nemme weit.«

Lugt ihn der Blitzschwab verwundert an und fragt,

wie er das wissen könne. Der Spiegelschwab lachte

pfiffig: »Werd joh doch de Memmenger Mond

kenne.« Drob lachte jener, daß ihm das Wasser aus

den Augen rannte, und schrie: »Hotz Blitz! Gsell, wie

bischt du so blitzdumm!« Nun vertrug zwar der Spiegelschwab

einen derben Puff, hatten ihn oft schon

kurz und lang geheißen, aber für dumm gelten wollte

er nicht. Das war so eben seine empfindliche Seite.

Dies kaum gesagt, hatte der Blitzschwab daher auch

schon seine Dachtel. Fuhren nun zusammen die beiden,

gerade wie ein paar Metzgerhunde und draschen

sich schier um die Wette, den andern zur Kurzweil,

bis endlich der Seehaas den Allgäuer bat, Frieden zu

stiften. Der ließ sich nicht lange bitten, sondern packte

sogleich den Blitzschwaben am Hosenbündel und

hielt ihn in der Luft, wie einen Frosch; er mochte zappeln,

wie er wollte. Inzwischen ließ der Spiegelschwab

nicht nach, den Blitzschwaben aufs Brett zu

klopfen; daher ergriff der Allgäuer auch diesen und

hielt ihn am Leibe unter der Gurgel so steif und fest,

daß er bockstarr da stand und nicht mucksen konnte.

»Bygott!« rief der Herr Schulz, »i will euch Mores

lehre, ihr donnderschlechtige Strohlkerie.« Schüttelte

den einen und drosselte den andern immer ärger und

ärger, bis sie endlich einander das Wort gegeben, daß

sie wieder gut Freund sein wollten, was sie denn auch

geblieben von der Zeit an bis an ihren Tod.

Es wies sich auch bald aus, daß der Spiegelschwab

gar nicht so dumm gewesen, wie der Blitzschwab allermeist

geglaubt, denn als sie zwei Viertelstunden

Weges gegangen, kamen sie richtig nach Memmingen,

wie jener aus dem Monde prophezeit. Aber als

ob just dieses Städtlein dem Spiegelschwaben heut

nur Unglück bringen sollte, so geschah es alsbald

wieder, daß es dem Armen zu Haut und Haaren ging.

»Durch Memmenge ganget mer net«, hatte er gesagt

und als man ihn ob der Ursache gefragt, hatte er den

Kopf geschüttelt und gemeint, er wisse das selbst am

besten! Gingen deshalb ringsum die Stadtmauer, die

sieben, um just am andern Ende wieder die Heerstraße

zu gewinnen. Aber da hat sich's denn wiederum augenfällig

gezeigt, daß der Mensch seinem Schicksal

nicht entgehen könne. Denn ehe sich's der Spiegelschwab

versehen, sprang aus einem Hopfengarten ein

Weib auf ihn zu, eine rechte Runkunkel, und schrie in

einem Ton, der durch Mark und Bein ging: »Bischt

endlich wieder doh, du Schlingel? Wo bischt so lang

rumkalfaktert, du Galgenstrick?« Dem Spiegelschwab

wurde es grün und gelb vor den Augen und vermeinte,

sein Ende sei gekommen, denn die Alte war niemand

anders, als seine liebwerte Ehehälfte, die er mir nichts

dir nichts sitzen gelassen, als er hinausgezogen war

mit den andern Gesellen auf die Wanderschaft. Hier

galt's, nicht lange zu überlegen, war daher flugs mit

einem Satze hinüber in die Hopfengärten zum großen

Jubel der andern, die schier bersten wollten vor Lachen.

Aber die Alte, schnell wie eine Bachstelze auf

den spindeldürren Füßen, war hurtig hinterdrein und

es hätte wohl einen argen Strauß gegeben zwischen

den beiden, wenn dem Spiegelschwaben nicht gerade

zu guter Stunde ein Schelmenstückchen eingefallen

wäre. Er hatte nichts zu tragen, weil er nichts hatte als

das Bärenfell; das tat ihm nun guten Dienst. Eilig

warf er es über den Kopf, schlüpfte behend in die Tatzen

und lief nun auf allen vieren, nicht anders als ein

leibhaftiger Bär, rannte brummend auf das Weib zu,

umfing sie mit den scharfen Krallen und drückte und

herzte sie, daß ihr Hören und Sehen verging. Die Alte

war froh, als sie dem Schalk entronnen, der nun freudig

mit den andern von dannen zog. Von Stund an

aber schreibt sich der Brauch, daß böse Männer von

ihren Ehehälften gar häufig Brummbären genannt

werden.

»Uf Leid folgt Freid!« rief der Allgäuer und zeigte

nach dem Leutkircher Tor, wo ein Wirtshaus stand,

über dessen Tür zu lesen war: »Hier schenkt man

Märzenbier aus!« War keiner unter den sieben, der

nicht gern einen Trunk Bier geschenkt genommen

hätte, richteten daher im Nu ihre Schritte nach dem

Wirtshaus und langten mit dem Spieße in der Hausflur

an, in demselben Augenblick, als der dicke Bräuer

vor die Tür trat, nach dem Wetter auszulugen. Als

der die Schar erblickte mit dem furchtbaren Spieß,

wurde es ihm eben nicht warm ums Herz, zog aber

schnell sein Käppchen und fragte höflich nach ihrem

Begehr. »Se wellet e bißle sei Bierbrobiere«, sagte

der Allgäuer und schritt schnurstracks mit den Gesellen

in die Zechstube. Da ward's dem Wirt klar, daß

die Gesandtschaft mit dem Spieße abgeschickt sei von

der schwäbischen Kreisregierung, wie wohl zu Zeiten

geschieht, um das Bier zu kosten und zu prüfen, ob es

preiswürdig sei. Rannte daher spornstreichs in den

Keller und holte ein Körble vom Besten herauf, wie er

nur für sich und seine Leute gebraut. Das Körble war

leer im Umsehen, das zweite in noch kürzerer Zeit,

und als die sieben in weniger als zwei Stunden nahe

an einen halben Eimer getrunken, meinte der Wirt, er

sehe, daß es ihnen schmecke. Der Blitzschwab aber,

der immer das Maul vorweg hatte, sagte; »'s kennt

besser sei, wenn net z'wenig Malz und Hopfe drin

wär.« »Das ist nicht wahr«, versetzte der Wirt, der ein

Schalk war, »Hopfen und Malz ist nicht zu wenig

darin, aber zu viel Wasser.« Da merkte der Blitzschwab,

daß er seinen Mann gefunden, trank noch ein

Mäßle und sagte den Spruch, der ihm einfiel:

»In Langesalz, in Langesalz

(kennt au Memmenge hoiße, sagte er)

Braut mer drui Bier aus oinem Malz,

Es erschte hoißet se de Kern,

Des drinket d' Burgemoischter gern,

Es andre hoißt es Mittelbier,

Des setzt mer de gmoane Leud fir;

Es dritt des hoißt Covent,

Drink di potz Sapperment!«

Zogen dann allesamt fürbaß und der Wirt in Memmingen

schwört heute noch Stein und Bein, daß das

Häuflein nichts anders gewesen, als des Memminger

Kreises Oberbierbeschauer.

»Uf Leid folgt Freid!« hatte der Allgäuer gesagt,

ohne zu bedenken, daß das weise Sprüchlein umgekehrt

sich noch bei weitem häufiger bewahrheitet. Es

sollte nun einmal Regen und Sonnenschein auf der

abenteuerlichen Fahrt der sieben Gesellen fast immer

abwechseln, drum war's eben kein Wunder, daß das

arme Häuflein gar bald wieder in die Tinte geriet.

Noch drehte und wirbelte es in ihren Köpfen von dem

überreichlich genossenen Märzenbier, da harrte ihrer

schon wieder das tückische Geschick. Zogen eben bei

Kronburg vorüber, da lauschte der gestrenge Herr

Junker aus dem Fenster. Mochte ihm nicht recht geheuer

vorkommen mit der lustigen Schar, die auch

dem Äußern nach nicht eben allzu reputierlich einherzog.

Er rief deshalb seinen Schergen und sagte: »Lug

einmal nach den Landstreichern da drüben – scheint

mir eine saubere Sippschaft zu sein.« Der Scherg

nahm sieben Bullenbeißer mit sich, jeder groß genug,

um zur Not mit einem Bären kämpfen zu können, und

stieg hinab, Jagd auf die unglücklichen Schwaben zu

machen. Hatte sie bald ereilt und da der Blitzschwab

schnippisch war, wie immer, machte der Haltmichfest

kurze Sache und nahm das Häuflein mit sich. Zwar

wollte der Allgäuer nicht so ohne weiteres mitgehen,

als aber die Hunde gar grimmig knurrten, da senkte er

den Spieß mit den Ohren zugleich und trabte hinterdrein.

Wurden nun sämtlich vor den Junker von Kronburg

geführt, der ein strenges Verhör begann. Der

Seehaas machte den Sprecher für alle und erzählte getreulich:

Wie in der Gegend am Bodensee ein

schreckliches Tier hause, und da hätten sie sich denn

als brave Landsleute und biedere Männer zusammengetan

aus allen schwäbischen Gauen, um das Land

vom Ungeheuer zu befreien.

Das aber glaubte der Junker nicht, sondern blieb

bei seiner Meinung, sie seien Strolche und Diebsgesindel,

und ließ sie in das Häusle, das ist, ins Gefängnis

stecken.

»So geht's in Schnitzlebutz Heusle,

Doh singet und tanzet die Meusle

Und bellet die Schnecken im Heusle –«

hat der Blitzschwab im Häusle gesungen, aber ganz

still, wie ein Mäusle.

Es hatte aber der Junker erst Tags zuvor, da ihn das

Zipperlein plagte, den löblichen Entschluß gefaßt, ein

Zuchthaus zu stiften zum Schrecken aller Gauner und

Tagediebe, zu Nutz und Frommen der Bürgerschaft

und zur Aufklärung des gemeinen Volkes. Da kamen

ihm die sieben Schwaben eben recht. Sonst war er ein

gar frommer und milder Herr, der sogar seinen eigenen

Bauern nicht mehr Wolle abschor, als er eben

nötig hatte, um sich selbst warm zu kleiden. Befahl

daher auch, daß man den Gefangenen Nahrung reichen

solle, so weit sie des bedürften. Der Spiegelschwab

aber, der ihn wohl kannte und wußte, daß

Schmalhans in dessen Küche und Keller hauste, legte

seinen Plan darauf an, welchen er den Gesellen mitteilte.

Wie also der Scherg Mittags eine große Pfanne

voll kleiner Klöße, die sie Milchspätzle nennen,

brachte, sprach der Blitzschwab zum Knöpflesschwaben:

»Die ghairet wohl for di?« Der Scherg meinte,

das sei wohl für alle genug. Der Knöpflesschwab aber

sagte, er wolle lugen, ob's für ihn lange, setzte sich

und aß die Pfanne allein aus, so daß kein Krümchen

noch Bröckchen übrig blieb. Der Scherg erschrak und

lief zum Junker, meinend, man müsse für die Landstreicher

eine ganze Braupfanne voll Spätzle auf einmal

kochen, und das sei, dünke ihm, noch nicht

genug. Da ging der Junker von und auf Kronburg in

sich und meinte, er sei dem schwäbischen Kreis und

der Menschheit kein so großes Opfer schuldig, daß er

sich aushungern lassen sollte in seinem Schloß um einiger

wenigen Strolche willen. Stracks wurden die

sieben in Freiheit gesetzt, nur daß ihnen der Junker

noch einen Steckbrief mit auf den Weg gab, um andere

Behörden und Kerkerknechte pflichtschuldigst vor

des Knöpflesschwaben großer Freßsucht zu warnen.

Nach mehr als einem andern Abenteuer, das zu viel

wäre zu erzählen, gelangten die Schwaben an einen

großen See, und da sagte der Seehaas, der ihn gleich

erkannte: »Des ischt der Bodesee.« An dessen Ufer

sollte, wie die Sage ging, das gefährliche Ungeheuer

hausen, welches zu bekämpfen und zu erlegen die sieben

Schwaben sich bekanntlich fest vorgenommen

hatten. Da sie nun des Sees ansichtig geworden und

zugleich des Waldes, in dem das Ungeheuer sich aufhielt,

man wußte nicht, war es ein greulicher Lindwurm,

oder ein feuerspeiender Drache, so fiel ihnen

zumeist das Herz in die Hosen, sie machten Halt und

zündeten ein Feuerlein an, auf daß der Knöpflesschwab

noch zu guter Letzt (denn wer konnte wissen,

ob das Untier sie nicht allesamt mit Haut und Haar

verschlingen werde, mit oder ohne Spieß), eine Mahlzeit

Knöpfle oder Spätzle bereite, und stellten während

dem Essen Todesbetrachtungen an. »Joh«, sagte

der Allgäuer und seufzte recht von unten 'rauf, »'s

ischt e Sach, wenn mer bei sich so recht bedenkt, daß

mer zum letzten Mohl in seim Leben z'Mittag ißt.«

Und wieder seufzte er und sagte: »'s ischt e Sach!«

und der Knöpflesschwab fing an still vor sich hin zu

flennen, wobei er jedoch des Essens nicht vergaß. Als

aber der Allgäuer zum dritten Mal ganz erschrecklich

tief seufzte und sagte: »'s ischt e Sach!« da fingen sie

alle an so erbärmlich zu flennen und zu heulen, daß es

einen wilden Heiden hätte erbarmen können. Der Nestelschwab

allein ließ sich das Sterben nicht zu Herzen

gehen; denn, sagte er, mein Mutter hat mir oft gesagt,

daß mein Stündlein gar niemals kommen würde.

Heulte aber dennoch aus gutem Willen zur Gesellschaft

mit. Als sie aber endlich nicht mehr konnten,

fiel's ihnen doch ein, daß es Zeit sei, ihre Schlachtordnung

herzurichten; dabei gab es aber allerlei Span

und Zwietracht. Der Allgäuer sagte, er sei bislang

emmer der vorderscht gwe, 's wär jetzt Zeit, daß er au

emohl der henterscht sei, und es soll der Blitzschwob

voran. Der meinte aber: »Curasche han i gnueg em

Leib, aber net Leib gnueg for d' Curasche und dehs

Bescht von Ongheuer.« Der Spiegelschwab wischte

sich die Nase am Ärmel und tat den Vorschlag, es

solle doch wohl besser sein, wenn einer für alle sterbe,

und meinte, der Knöpflesschwab können ihnen

diesen kleinen Gefallen tun; der aber schrie Zetermordio,

als habe ihn das Ungeheuer schon am Schlafittich.

Und so sprachen und stritten sie noch eine Weile

hin und her, bis sie sich friedsam einigten und hurtiglich

mit ihrem Spieße vorwärts schritten, gerade auf

den Wald zu, wo das Untier hausen sollte. Ehe sie

den erreichten, kamen sie an einen Rain davor, da saß

ein Has und machte ein Männlein, und streckte die

langen Löffel in die Höh; das war den Schwaben

grauentlich anzuschauen, hemmten darum ihren

Schritt, hielten Rat und besannen sich, ob sie vorwärts

rücken und aufs Untier einrücken sollten mit

lang vorgestrecktem Spieß, oder ob sie sich zur

Flucht wenden sollten; doch hielt jeder fest am Spieß.

Da nun der Veitle hinten am meisten in Numero Sicher

war, schwoll ihm der Kamm und er schrie dem

Schulzen zu, der vorne stand:

»Stoßt zue in äller Schwobe Name,

Sonscht wünscht ih, daß ihr möcht erlahme!«

Der Hans, des Veitle Gehlfießlers Vordermann,

Knöpflesschwab, spottete der Curasche des Veitle,

indem er sagte:

»Beim Element, du hoscht guat schwätze,

Du bischt der letscht beim Drachahetze!«

Dem Michel sträubte die Herzhaftigkeit das Haar

empor, er blickte gar nicht hin nach dem Ungeheuer,

sondern sprach mit abgewandtem Gesicht, indem er

den Ärmel seinem Gesicht näherte:

»Es wird net fehle um a Hoar,

So ist es wohl der Teufel gar!«

Jergle lugte dem Michel ins Gesicht, und schauete

auch gar nicht hin nach dem Bescht von Ungeheuer,

indem er zaghaft beistimmte:

»Blitz! ischt er's net, so ischt's sei Mueder,

Oder's Teufels sei Stiefbrueder!«

Dem Marle Nestelschwab, der sich schon ziemlich

weit vorn am Spieß befand, daran die Schwaben gin-

gen, gefiel sein Platz nicht, und er hatte einen guten

Einfall; er kehrte sich auch um, da er nicht für nötig

fand, das Ungeheuer anzusehen, und rief dem Veit zu:

»Gang, Veitle, gang, gang du vorahn,

I will dohente for di stahn!«

Veitle drückte aber seine Ohren auf und tat, als hörte

er nicht, worauf der Marle zu Jockele sagte:

»Gang, Jockele, gang, gang du vorahn

Du hoscht Sporn und Stiefel ahn,

Daß di der Drach net beiße kahn!«

Aber Jockele fand seinen Trost darinnen, daß der Allgäuer

an der Spitze des Spießes der sieben Schwaben

und des zu bestehenden Abenteuers stand, und sagte:

»Der Schulz, der mueß der erschte sei,

Denn ehm gebiehrt die Ehr allei.«

Schulz Allgäuer faßte sich ein Herz und sprach mutig,

da es nun einmal in die unvermeidliche Gefahr ging:

»So zieht denn herzhaft in de Streit,

Dohran erkennt mer tapfre Leut.«

Und so ging es in Gottes Namen und im Sturmschritt

auf das Ungeheuer los, und als dem Schulzen das

Herz pfupferte, konnte er sich seiner Angst nicht erwehren

und schrie: »Hau huelhau! Hau, hauhau!« Da

erschrak der Has und gab spornstreichs Fersengeld

querfeldein, und lief, was er laufen konnte. Jetzt rief

Schulz Allgäuer freudiglich:

»Potz Veitle, luag, luag, was ischt das?

Es Ohngeheuer ischt noh e Haas!«

»Hoschts gsehe? Hoschts gsehe?« fragten sich nun

die andern unter einander. »Hotz Blitz! E Ding wie ne

Kalb!« rief der Blitzschwab. Der Nestelschwab tat

seinen größten Fluch: »Mit Verlaub! Daß dih es

Meusle beiß'! E Tier wie ne Mastochs!« »Oho!« rief

der Knöpflesschwab: »En Elefand ischt noh e Katz

gegen des Ohntier.« »Bygott!« erwiderte der Allgäuer,

»wenn des koa Haas gweh ischt, noh woiß i de Dreimänner-

Wei vom Racheputzer net z' unterschaide!«

»Noh, Noh!« vermittelte der Seehaas: »Haas her!

Haas hen! E Seehaas ischt halt greßer und gremmiger,

als älle Haase im heilige remische Reich.« »Wie der

Seewei seurer und herber als älle Wei im heilige remische

Reich«, sagte hinten der Gehlfüßler, und über

diese Anzüglichkeit hätte ihm der Seehaas fast ein

Paar Watscheln gegeben, denn es kränkte ihn schwer,

daß der Veitle über den Seewein spottete, der ihm von

Kindesbeinen an geschmeckt. Mit den Seeweinen verhält

es sich aber also: es gibt ihrer drei Arten, zum ersten

der Sauerampfer, schmeckt nur ein weniges besser

als Essig und verzieht das Maul nur ein bißchen,

zumal wenn man sich daran gewöhnt hat. Die zweite

Gattung ist Dreimännerwein geheißen, steht im Geschmack

nach 10 Grad unter Essig und wurde so getauft,

weil man behauptet, daß derjenige, so ihn zu

trinken verurteilt, von zweien gehalten werden muß,

während ihn ein dritter eingießt. Die dritte Sorte ist

der Rachenputzer, hat die rühmliche Eigenschaft, daß

er Schleim und alles andere abführt, tut aber dabei

not, daß wer sich mit dem Wein im Leib schlafen

legt, in der Nacht sich wecken lasse, damit er sich

umkehren möge, sonst möchte ihm der Rachenputzer

ein Loch in den Magen fressen.

Da nun das Abenteuer mit dem Ungeheuer von den

sieben Schwaben so glückhaft bestanden war, so wurden

sie eins nunmehr von ihren Taten auszuruhen und

wieder friedlich heimzuziehen. Zuvor aber tat not, ein

Siegeszeichen zu errichten, das der Mit- und Nachwelt

ihren Triumph auf ewige Zeiten vermelde. Da

nun unmöglich war, wie vor Zeiten tapfere Ritter

getan, die Drachenhaut in einer Kirche aufzuhängen,

dieweil kein Drache sein Fell zu Markte getragen und

der Has in seinem Balg wohlbehalten entkommen

war, so wurden die guten Gesellen dahin eins, ihr Bärenfell

und ihren Spieß als eine Trophäe in die nächstgelegene

Kapelle zu stiften, die hieß man hernach die

Kapell zum schwäbischen Heiland. Dort wird wohl

der Spieß noch hängen, das Bärenfell aber haben die

Motten verzehrt, und die Sperlinge haben die Haare in

ihre Nester getragen.

Vom Schwaben, der das Leberlein gefressen

Als unser lieber Herr und Heiland noch auf Erden

wandelte, von einer Stadt zur andern, das Evangelium

predigte und viele Zeichen tat, kam zu ihm auf eine

Zeit ein guter einfältiger Schwab, und fragte ihn:

»Mein Leiden-Gesell, wo willt du hin?« Da antwortete

ihm unser Herrgott: »Ich ziehe um, und mache die

Leute selig.« So sagte der Schwab: »Willt du mich

mit dir lassen?« – »Ja«, antwortete unser Herrgott,

»wenn du fromm sein willt und weidlich beten.« Das

sagte der Schwab zu. Als sie nun mit einander gingen,

kamen sie zwischen zwei Dörfer, darinnen läutete

man. Der Schwab, der gern schwätzte, fragte unsern

Herrgott: »Mein Leiden-Gesell, was läutet man da?«

Unser Heiland, dem alle Dinge wissend waren, antwortete:

»In dem einen Dorfe läutet man zu einer

Hochzeit, in dem andern zum Begängnis eines

Toten.« – »Gang du zum Toten!« sprach der Schwab,

»so will ich zur Hochzeit gehn.«

Darauf ging unser Herrgott in das Dorf und machte

den Toten wieder lebendig, da schenkte man ihm hundert

Gulden. Der Schwab tät sich auf der Hochzeit

um, half einschenken, einem Gast um den andern, und

auch sich selbst, und als die Hochzeit zu Ende war, da

schenkte man ihm einen Kreuzer. Das war der

Schwab wohl zufrieden, machte sich auf den Weg und

kam wieder zu unserm Herrgott. Alsbald, wie der

Schwab diesen von weitem sahe, hub er sein Kreuzerlein

in die Höhe und schrie: »Lug, mein Leiden-Gesell!

Ich hab Geld; was hast denn du?« trieb also viel

Prahlens mit seinem Kreuzerlein. Unser Herrgott lachet

seiner, und sprach: »Ach, ich hab wohl mehr als

du!« tät den Sack auf und ließ den Schwaben die hundert

Gulden sehen. Der aber war nicht unbehend, warf

geschwind sein armes Kreuzerlein unter die hundert

Gulden, und rief: »Gemein, gemein! Wir wollen alles

gemein mit einander haben!« Das ließ unser Herrgott

gut sein.

Nun als sie weiter mit einander gingen, begab es

sich, daß sie zu einer Herde Schafe kamen, da sagte

unser Herrgott zum Schwaben: »Gehe, Schwab, zu

dem Hirten, heiße ihm uns ein Lämmlein zu geben,

und koche uns das Gehänge oder Geräusch zu einem

Mahle.« – »Ja!« sagte der Schwab, tat, wie ihm der

Herr geheißen, ging zum Hirten, ließ sich ein Lämmlein

geben, zog's ab und bereitete das Gehänge zum

Essen. Und im Sieden da schwamm das Leberlein

stets empor; der Schwab drückt's mit dem Löffel

unter, aber es wollte nicht unten bleiben, das verdroß

den Schwaben über alle Maßen. Nahm deshalb ein

Messer, schnitt das Leberlein, dieweil es gar war, von

einander und aß es. Und als nun das Essen auf den

Tisch kam, da fragte unser Herrgott, wo denn das Leberlein

hingekommen wär? Der Schwab aber war

gleich mit der Antwort bei der Hand, das Lämmlein

habe keines gehabt. »Ei!« sagte unser Herrgott: »wie

wollte es denn gelebt haben, ohne ein Leberlein?« Da

verschwur sich der Schwab hoch und teuer: »Es hat

bei Gott und allen Gottes-Heiligen keines gehabt!«

Was wollte unser Herrgott tun? Wollte er haben, daß

der Schwab still schwieg, mußt er wohl zufrieden

sein.

Nun begab es sich, daß sie wiederum miteinander

spazierten, und da läutete es abermals in zwei Dörfern.

Der Schwab fragte: »Lieber, was läutet man

da?« – »In dem Dorf läutet man zu einem Toten, in

dem andern zur Hochzeit«, sagte unser Herrgott.

»Wohl!« sprach der Schwab. »Jetzt gang du zur

Hochzeit, so will ich zum Toten!« (vermeinte, er

wolle auch hundert Gulden verdienen). Fragte den

Herrn weiter: »Lieber, wie hast du getan, daß du den

Toten auferwecket hast?« – »Ja«, antwortete der Herr,

»ich sprach zu ihm, steh auf im Namen des Vaters,

Sohnes und Heiligen Geistes! Da stand er auf.« –

»Schon gut, schon gut!« rief der Schwab: »nun weiß

ich's wohl zu tun!« und zog zum Dorfe, wo man ihm

den Toten entgegentrug. Als der Schwab das sahe,

rief er mit heller Stimme: »Halt da! Halt da! Ich will

ihn lebendig machen, und wenn ich ihn nit lebendig

mache, so henkt mich ohne Urtel und Recht.«

Die guten Leute waren froh, verhießen dem Schwaben

hundert Gulden, und setzten die Bahre, darauf der

Tote lag, nieder. Der Schwab tät den Sarg auf, und

fing an zu sprechen: »Steh auf im Namen der Heiligen

Dreifaltigkeit!« Der Tote aber wollte nicht aufstehen.

Dem Schwaben ward angst, er sprach seinen Segen

zum andern und zum dritten Mal, als aber jener Tote

sich nicht erhob, so rief er voll Zorn: »Ei so bleib liegen

in tausend Teufel Namen!« Als die Leute diese

gottlose Rede hörten, und sahen, daß sie von dem

Gecken betrogen waren, ließen sie den Sarg stehen,

faßten den Schwaben und eileten demnächst mit ihm

dem Galgen zu, warfen die Leiter an und führten den

Schwaben hinauf.

Unser Herrgott zog fein gemachsam seine Straße

heran, da er wohl wußte, wie es dem Schwaben ergehen

werde, wollte doch sehen, wie er sich stellen

würde, kam nun zum Gericht, und rief: »O guter Gesell,

was hast du doch getan? In welcher Gestalt erblick

ich dich?« Der Schwab war blitzwild und begann

zu schelten, der Herr hätte ihm den Segen nicht

recht gelehrt. »Ich habe dich recht belehrt«, sprach der

Herr. »Du aber hast es nicht recht gelernt und getan,

doch dem sei, wie ihm wolle. Willt du mir sagen, wo

das Leberlein hinkommen ist, so will ich dich erledigen!

« – »Ach!« sagte der Schwab, »das Lämmlein hat

wahrlich kein Leberlein gehabt! Wes zeihest du

mich?« – »Ei du willst's nur nicht sagen!« sprach der

Herr. »Wohlan, bekenn es, so will ich den Toten lebendig

machen!« Der Schwab aber fing an zu schreien:

»Henket mich, henket mich! So komm ich der

Marter ab. Der will mich zwingen mit dem Leberlein,

und hört doch wohl, daß das Lämmlein kein Leberlein

gehabt hat! Henket mich nur stracks und flugs!«

Wie solches unser Herrgott hörte, daß sich der

Schwab eher wollt henken lassen, als die Wahrheit

gestehen, befahl er, ihn herab zu lassen, und machte

nun selbst den Toten lebendig.

Als sie nun mit einander wieder von dannen zogen,

sprach unser Herrgott zum Schwaben: »Komm her,

wir wollen miteinander das gewonnene Geld teilen,

und dann voneinander scheiden, denn wenn ich dich

allewege und überall sollte vom Galgen erledigen,

würde mir das zu viel.« Nahm also die zweihundert

Gulden und teilte sie in drei Teile Als solches der

Schwab sahe, fragte er: »Ei Lieber, warum machst du

drei Teile, so doch unsrer nur zween sind?« – »Ja«,

antwortete unser lieber Herrgott, »der eine Teil, der

ist mein; der andere Teil, der ist dein, und der dritte

Teil, der ist dessen, der das Leberlein gefressen hat!«

Als der Schwab solches hörte, rief er fröhlich aus:

»So hab ich's bei Gott und allen lieben Gottes-Heiligen

doch gefressen!« Sprach's und strich auch den

dritten Teil ein, und nahm also Urlaub von unserm

lieben Herrgott.

Die Probestücke des Meisterdiebes

Es wohnten in einem Dorfe ein Paar sehr arme alte

Leute mutterseelenallein in einem geringen Häuslein,

das ganz weit draußen stand, und hörte gerade mit

diesem Häuslein das Dorf auf. Die beiden Alten

waren brav und fleißig, aber sie hatten keine Kinder.

Einen Sohn, einen einzigen, hatten sie gehabt, aber

der war ein ungeratener Bube gewesen, und heimlich

auf und davon gegangen, hatte auch sein Lebetag

nichts wieder von sich hören und sehen lassen, und so

glaubten die beiden Alten, ihr Einziger sei lange tot

und bei Gott gut aufgehoben.

Nun saßen einstmals die beiden Alten vor ihrer

Haustür, an einem Feiertage, da fuhr zum Dorfe herein

ein stattlicher Wagen, den zogen sechs schöne

Rosse, und darin saß ein einzelner Herr, hintenauf

stand ein Bedienter, dessen Hut und Rock von Gold

und Silber nur so starrte. Der Wagen fuhr durch das

ganze Dorf, und die Bäuerlein, die gerade aus der Kirche

kamen, meinten schier, es fahre ein Herzog oder

gar ein König vorbei, denn solche Pracht konnte der

Edelmann, der droben im alten Schloß wohnte, nicht

aufwenden. Da hielt mit einem Male der Wagen vor

dem letzten Häuslein still, der Bediente sprang vom

Bocke und öffnete dem darin sitzenden Herrn den

Schlag, welcher ausstieg, und auf die beiden Alten zueilte,

die sich ganz bestürzt von ihrer Bank erhoben

hatten. Er bot ihnen freundlich guten Tag und Handschlag

und fragte, ob er nicht ein Gericht Kartoffelhütes

(Klöße) mit ihnen essen könne? Darüber verwunderte

sich am meisten das Mütterlein, aber der junge

hübsche und sehr vornehm gekleidete Herr stillte alsbald

ihr Staunen, indem er sagte, daß ihm noch kein

Koch diese Hütes habe recht machen können, er wolle

sie einmal von Landleuten zubereitet essen, wie in

seiner Jugend. Da luden die Alten den edlen Junker,

für den sie den Fremdling hielten, freundlich in ihre

Hütte, und er ließ den Wagen mit Kutscher und Bedienten

einstweilen in das Wirtshaus fahren. Das

Mütterlein holte eilends Kartoffeln aus dem kleinen

Keller des Häusleins herauf, schälte, rieb und preßte

sie, ließ Wasser sieden, tat die geballten Klöße, zu

denen sie etwas Schmalz getan, hinein, und segnete

dieses Essen mit dem frommen Spruch: »Gott behüt

es«, davon denn auch die Klöße an vielen Orten Südthüringens

Hütes heißen. In dieser Zeit, daß die Alte

ihr Mahl bereitete, war ihr Mann mit dem Fremdling

in das Hausgärtchen gegangen, wo er an kurz zuvor

gepflanzten jungen Bäumen sich eine kleine Beschäftigung

machte, und nachsah, ob die Pfähle, an welche

die Stämmchen mit Weide gebunden waren, noch fest

hielten, und der Wind keine Weide losgerissen hatte,

und wo dies geschehen war, da band der Alte jedes

Stämmchen wieder fest. Da hub der junge Fremde an

zu fragen: »Warum bindet ihr dieses kleine Stämmchen

dreimal an?« – »Ja!« sprach der Alte, »da hat es

drei Krümmen, darum bind ich's fest, daß es gerade

wächst.« – »Das ist recht, Alter!« sprach der Fremde;

»aber dort habt ihr ja einen alten krummen Knorz von

Baum! Warum bindet ihr den nicht auch an einen

Pfahl auf, daß er gerade wird?« – »Hoho!« lachte der

Alte: »alte Bäume, wenn sie krumm sind, werden

nicht wieder gerad. Wenn man sie gerade haben will,

muß man sie jung gut ziehen.« – »Habt ihr auch Kinder?

« fragte der Fremde weiter. »O lieber Gott, Euer

Gnaden!« antwortete der Mann, »gehabt hab ich einen

Jungen, war ein erzer Nichtsnutzer, hat wilde böse

Streiche gemacht, und ist mir zuletzt davon gelaufen,

und sein Lebtag nicht wiedergekommen. Wer weiß,

wo ihn der liebe Gott hingeführt hat, oder der

Böse.« – »Warum habt ihr denn euern Sohn nicht bei

Zeiten gerad gezogen, wie diese da, eure Bäumchen!«

sprach betrübt und vorwurfsvoll der Fremde. »Wenn

er nun ein ungeratner krummer Knorz und Wildling

worden, so ist's eure Schuld. Aber wenn er euch nun

wieder unter die Augen käme, würdet ihr ihn wohl erkennen?

« – »Weiß auch nicht, lieber Herr!« erwiderte

der Bauer: »er wird wohl in die Höhe geschossen

sein, wenn er noch lebt, doch hatte er ein Muttermal

am Leibe, daran allenfalls könnt ich ihn kennen. Der

kommt aber doch erst am Nimmermehrstag wieder

heim.« Da zog der Fremde seinen Rock aus, und zeigte

dem Alten ein Muttermal; der schlug die Hände

übern Kopf zusammen, und schrie: »Herr Jes's! Du

bist mein Sohn – aber nein – du bist so schrecklich

fürnehm. Bist du denn ein Graf geworden, oder gar

ein Herzog?« – »Das nicht, Vater«, sprach der Sohn

leise, »aber etwas anders, ein Spitzbub bin ich geworden,

weil ihr mich nicht gerade gezogen habt, doch

laßt's gut sein, ich hab meine Kunst tüchtig studiert,

bin nicht etwa so ein miserabler Pfuscher, wie's ihrer

viele gibt.«

Der alte Mann war ganz stumm vor Schreck und

vor Freude, führte den Sohn an der Hand ins Haus,

und zur Mutter, die justement die Klöße fertig hatte

und auftrug, und sagte ihr alles. Da fiel das Mütterlein

ihrem Sohn an das Herz und um den Hals, küßte

ihn und weinte und sagte: »Dieb hin, Dieb her! Du

bist doch mein lieber Sohn, den ich unterm Herzen

getragen habe, und mir hüpft das Herz hoch in der

Brust, daß ich dich in meinen alten Tagen wieder gesehen!

Ach, was wird dein Herr Pate sagen, droben

auf dem Schloß der Edelmann!« – »Ja!« sprach dazwischen

der Vater, während alle drei nun miteinander

tapfer in die Klöße einhieben: »Dein Herr Pate

wird nichts von dir wissen wollen, bei so bewandten

Umständen, wie es mit dir steht; er wird dich am Ende

an dem lichten Galgen zappeln lassen.« – »Nun, besuchen

will ich ihn doch, den Herrn Paten!« antwortete

der Sohn, ließ seinen Wagen anspannen und fuhr

aufs Schloß hinauf.

Der Edelmann war sehr erfreut, seinen Paten, den

er als armes Kind aus Gnaden zur Taufe gehoben, so

stattlich wieder vor sich treten zu sehen, als dieser

sich ihm zu erkennen gab. Aber darüber freute er sich

nicht im mindesten, als auf Befragen, was er denn in

der Welt geworden sei, der junge Pate zur Antwort

gab, er wäre ein ausgelernter Spitzbube geworden.

Sann also bald darüber nach, wie er mit guter Art

einen so gefährlichen Menschen in Zeiten los werden

möchte.

»Wohlan!« sprach der Edelmann zu seinem Paten,

»wir wollen sehen, ob du das Deinige ordentlich gelernt

hast, und ein so großer Dieb geworden bist, den

man mit Ehren laufen lassen kann, oder nur so ein

kleiner, den man an den ersten besten Galgen henkt.

Letzteres werde ich in meinem Gerichtsbann mit dir

unfehlbar tun, wenn du nicht die drei Proben bestehst,

die ich dir auferlegen werde!« – »Nur her damit, gestrenger

Herr Pate! Ich fürchte mich vor keiner Arbeit.

«

Der Edelmann sann eine kleine Weile nach, dann

sprach er: »Hör an! Dieses sind die drei Proben. Zum

ersten: stiehl mir mein Leibpferd aus dem Stalle, den

ich wohl bewachen lasse von Soldaten und Stalleuten,

die jeden totschlagen, der Miene macht, in den Stall

zu dringen. Zum andern stiehl mir, wenn ich mit meiner

Frau im Bette liege, das Bettuch unterm Leibe

weg, und meiner Frau den Trauring vom Finger, doch

wisse, daß ich geladene Pistolen zur Hand habe. Zum

dritten und letzten – und merke, das ist das schwerste

Stück: stiehl mir Pfarrer und Schulmeister aus der

Kirche und hänge sie beide lebend in einem Sack in

meinen Schornstein. Tor und Türen im Schlosse sollen

dir dazu offen stehen.«

Der Meisterdieb bedankte sich freundlich bei seinem

Herrn Paten, daß er ihm so leichte Stücklein aufgegeben,

und ging seiner Wege, um in nächster Nacht

gleich das erste Stück auszuführen. Der Edelmann traf

alle Anstalten, sein Leibroß gut bewachen zu lassen.

Sein erster Reitknecht mußte sich darauf setzen, ein

anderer Diener mußte den Zaum fassen, ein dritter den

Schwanz, und vor die Türe ordnete der Herr eine Soldatenwache.

Die wachten und wachten, froren und

fluchten, denn es war kalt, und alle waren durstig; da

zeigte sich ein altes müdes Mütterlein, das trug ein

Fäßlein auf einem Korbe, hüstelte schwer und keuchte

zum Schloßhof hinein. Das Fäßlein weckte in der

Seele der Soldaten ganz besonders anziehende Gedanken,

nämlich die, daß möglicherweise Branntwein

darin sein könne, und daß Branntwein ein Spezifikum

gegen den Nachtfrost sei und gegen die bösen Nebel.

Riefen daher das alte Mütterlein zum Feuer, daß

sich's wärme, und forschten nach dem Inhalt des Fäßleins.

Richtig geahnet! Branntwein war darin, und

noch dazu veredelter, Doppelpomeranzen, Spanischbitter

oder so eine Sorte. Auch war das Fäßlein nicht

tückischer Weise verpicht und verspundet, sondern es

war ein Hähnlein daran, und die Frau hatte, das war

das Beste, den Branntwein zu verkaufen. Da kauften

die Soldaten ein Becherlein ums andere, riefen's auch

den Wächtern im Stalle zu, daß draußen im Hofe der

Weizen blühe, und das alte Frauchen hatte alle Hände

voll zu tun mit Einschenken, so daß ihr Fäßlein schier

leer war. Die alte Frau war aber kein anderer Mensch

als der Erzdieb, der sich gut verkleidet und in den

Schnaps einen barbarischen Schlaftrunk gemischt

hatte. Es währte gar nicht lange, so fiel ein Soldat

nach dem andern in Schlaf und den Wächtern im Stalle

fielen auch die Augen zu, und es war gut, daß der

Dieb schon im Stalle bei dem Pferde stand, so konnte

er den Reitknecht in seinen Armen auffangen, als dieser

gerade vom Pferde fiel, und ihn sanft rittlings auf

die Schranke setzen und was weniges anbinden, damit

der gute Mensch nicht etwa auch da herunter falle und

Schaden leide. Dem Leibkutscher, der den Zaum hielt,

und in der Ecke schnarchte, lieh der Dieb einen Strick

in die Hand, und dem Stallknecht statt des Roßschweifes

ein Strohseil. Dann nahm er eine Pferdedekke,

schnitt sie in Stücken, wickelte sie um des Rosses

Füße, schwang sich in den Sattel, und heidi, hast du

nicht gesehen – zum Stall und zum offen gebliebenen

Schloßtor hinaus.

Als es heller Tag geworden, sah der Edelmann zum

Fenster hinaus, und sah einen stattlichen Reiter daher

galoppiert kommen, auf einem nicht minder stattlichen

Roß, das ihm so bekannt vorkam. Der Reiter

hielt an, und bot guten Morgen hinauf zum Schloßfenster.

»Guten Morgen, Herr Pate! Euer Pferd ist

Goldes wert!« – »Ei daß dich alle Teufel!« rief der

Edelmann, wie er sah, daß das Pferd seine Schecke

war. »Du bist ein Gaudieb! Nu, nu – nur zu! Laß

deine Kunst weiter sehen!« Der Edelmann nahm seine

Reitpeitsche und ging nach dem Stalle voller Zorn;

als er aber die wunderlichen Gruppen der noch immer

schlafenden Wächter sah, mußte er laut auflachen; gedachte

aber bald in seinem Herzen: wenn der Gauner

diese Nacht kommt, mir das Bettuch zu stehlen, will

ich ihm eine Kugel durch den Kopf schießen, denn

solch einen gefährlichen Kerl möchte ich nicht in meiner

Nähe wissen.

Da nun die Nacht herbeigekommen war, legte sich

der Edelmann mit seiner Frau zu Bette, und neben

sich legte er eine geladene Pistole und unterschiedli-

che andere Wehr und Waffen, schlief auch nicht ein,

sondern blieb wachsam, horchte und lauschte, ob sich

nichts regte. Lange blieb alles still, jetzt endlich, es

war schon ziemlich dunkel, war es, als würde eine

lange Leiter angelehnt, und bald darauf wurde draußen

am Fenster die Gestalt eines Menschen sichtbar,

der herein steigen wollte. »Erschrick nicht, Frau!« rief

leise der Edelmann, nahm die Pistole, zielte gut,

drückte los, und schoß den Räuber mitten durch den

Kopf, dieser wankte und gleich darauf hörte man

unten einen schweren Fall. »Der steht nicht wieder

auf«, sprach der Edelmann, »doch möcht ich Aufsehen

vermeiden, ich will deshalb geschwind die Leiter

hinunter steigen, daß im Hause kein Lärm wird, und

den Erschossenen bei Seite schaffen.« Das war der

Edelfrau recht, und ihr Mann tat, wie er gesagt. Bald

darauf kam er wieder herauf und sprach zur Frau: »

Der ist mausetot, ich will dem armen Teufel aber

doch, ehe ich ihn in die Grube werfe, in einen Leinlacken

hüllen, und da er um deines Ringes willen sein

Leben hat lassen müssen, so wollen wir ihm diesen

anstecken; gib mir den Ring und auch das Bettuch.«

Die Frau gab beides her, und jener stieg eilend wieder

hinunter. Es war aber nicht der Edelmann, sondern

der Meisterdieb, der, um sein Stücklein auszuführen,

vom ersten besten Galgen (damals gab es in Deutschland

noch alle Wege viele Galgen), einen frisch Ge-

henkten abgeschnitten und ihn dann auf seine Schultern

geladen hatte, als er die Leiter emporstieg. Wie

drinnen der Schuß fiel, ließ er den Leichnam hinunter

stürzen, stieg eilend die Leiter herab und versteckte

sich. Und wie nun der Edelmann herunter kam, und

sich mit dem vermeintlich Erschossenen zu schaffen

machte, wischte er rasch hinauf ins Zimmer der Frau,

ahmte des Paten Stimme nach und forderte Ring und

Bettuch.

Am andern Morgen sah der Edelmann wieder nach

seiner Gewohnheit zum Fenster hinaus, da ging drunten

ein Mann auf und ab, der hatte, wie es schien,

Leinwand zu verkaufen, mindestens trug er ein zusammengeschlagenes

Bündel über der Schulter, und

ließ einen schönen Ring in der Morgensonne blitzen

und funkeln. Mit einem Male rief der Mann hinauf:

»Schönsten guten Morgen, Herr Pate! Ich wünsche

Ihnen und der Frau Patin recht wohl geruht zu

haben!« – Der Edelmann war wie vom Donner gerührt,

als er seinen Paten, den er die vorige Nacht mit

eigner Hand erschossen und mit derselben Hand in

eine Grube geworfen, leibhaftig stehen sah, und fragte

hastig seine Frau nach Ring und Tuch. »Nun, du hast

mir's ja diese Nacht abverlangt!« erwiderte die Dame.

»Der Satan! Aber ich nicht!« tobte der Edelmann –

doch gab er sich bald wieder, in Erwägung, daß der

kühne Dieb noch mehr hätte nehmen können. Er

machte dem Paten eine Faust zum Fenster hinaus und

rief: »Erzgauner! Das dritte! Das dritte bringt dich sicherlich

an den Galgen!«

In der nächsten Nacht darauf begab sich etwas

Seltsames auf dem Gottesacker. Der Schulmeister, der

diesem zunächst wohnte, wurde es zuerst gewahr und

meldete es dem Herrn Pfarrer. Über den Gräbern wandelten

kleine brennende Lichtlein in unstäter Bewegung

umher. »Das sind die armen Seelen, Schulmeister!

« flüsterte der Pfarrer mit Grausen. Plötzlich erschien

eine große schwarze Gestalt auf den Stufen der

Kirchtüre, die rief mit hohlem Tone:

»Kommt all zu mir, kommt all zu mir,

Der jüngste Tag ist vor der Tür!

O Menschenkinder, betet still!

Die Toten sammeln schon ihr Gebein!

Wer mit mir in den Himmel will,

Der kreuch in diesen Sack hinein!«

»Wollen wir?« fragte der Schulmeister den Pfarrer mit

Zähneklappern. »Zeit wär's, vorm Torschluß. Der heilige

Apostel Petrus ruft uns, das ist keine Frage. Aber

Reisegeld?« – »Ich habe mir zwanzig Kronen erdarbt

«, wisperte das Schulmeisterlein. »Ich habe hundert

Dicketonnen (Laubthaler) für den Notfall zurückgelegt!

« sprach der Pfarrer. »Holen wir's und neh-

men's mit!« riefen beide und taten also, dann näherten

sie sich der schwarzen Gestalt mit Furcht und Zittern.

Diese war der Meisterdieb; er hatte Krebse gekauft

und ihnen brennende Wachslichterlein auf den Rükken

geklebt, das waren die armen Seelen, hatte einen

Mönchsbart und eine Mönchskutte, und einen Hopfensack,

in den er die beiden Schwarzröcke aufnahm,

nachdem er ihnen ihr Erspartes abgenommen. Jetzt

schnürte er den Sack zu und schleifte ihn hinter sich

her durch das Dorf und durch einen Tümpfel, wobei

er rief: »Jetzt geht's durch das Rote Meer!« dann

durch den Bach: »Jetzt geht's durch den Bach Kidron

«, dann durch die Schloßflur, allwo es kühl war:

»Jetzt geht's durch das Thai Josaphat«, dann zur

Treppe hinauf: »Dieses ist schon die Himmelsleiter«,

endlich hing er den Sack im Schornstein auf an einen

Haken, daran man die Schinken räuchert, machte darunter

einen ziemlichen Qualm und rief mit schrecklicher

Stimme: »Dieses ist das Fegefeuer! Dieses dauert

etwelche Jahre!« und machte sich fort. Da schrieen

Pfarrer und Schulmeister Zeter Mordio, daß das ganze

Hausgesinde zusammen lief. Der Meisterdieb aber

trat kecklich zum Edelmann: »Herr Pate, meine dritte

Probe ist auch gelöst. Pfarrer und Schulmeister hängen

im Schornstein, und so es Euch gefällig, könnt Ihr

sie selber zappeln sehen und schreien hören!« – »O

du Erzschalk und Erzgauner, du Erzbösewicht und

Meisterdieb aller Meisterdiebe!« rief der Edelmann

und gab gleich Befehl, jene aus dem Fegefeuer zu erlösen.

»Du hast mich überwunden, hebe dich von

dannen! Hier hast du ein Goldstück. Hebe dich von

dannen, komme mir nicht wieder vor Augen, und laß

dich für dein Geld henken, wo es dir gefällig ist.«

»Danke zum allerschönsten, gestrenger Herr Pate,

und will so tun!« antwortete der Spitzbub, »aber wollt

Ihr nicht die Pfänder auslösen, die ich redlich erworben

habe? Euer Leibroß mit zweihundert Kronen,

Eurer Gemahlin Trauring und das Tuch mit hundert

Kronen, des Pfarrers und Schulmeisters Geld mit hundertundzwanzig

Kronen! Wo nicht, so fahr ich damit

von dannen.« Den Edelmann rührte fast der Schlag; er

sprach: »Lieber Pate, das war ja alles nur ein Spaß,

du wirst diese Güter nicht an dir behalten wollen; ich

schenke dir ja das Leben.« – »Nun, so will ich gehen,

und Euch die Sachen alle herbringen!« sprach der

Meisterdieb; ging und ließ seinen Wagen anspannen,

seinen alten Vater und seine Mutter hineinsetzen,

setzte sich selbst auf des Edelmanns Roß, steckte den

prächtigen Ring an den Finger und schickte dem

Edelmann nur das Bettuch mit einem Brieflein, darin

stand: »Gebt dem Pfarrer und dem Schulmeister ihr

Geld zurück, sonst stiehlt Euch Eure Frau

Dero untertäniger Pate und Meisterdieb.«

Da bekam der Edelmann große Furcht, trug den Schaden

und wollte nichts mehr von seinem Paten wissen,

erfuhr auch nichts mehr von ihm, denn der war mit

seinen Eltern in ein fernes Land gezogen und ein ehrlicher

und angesehener Mann geworden.

Die verzauberte Prinzessin

Es war einmal ein armer Handwerksmann, der hatte

zwei Söhne, einen guten, der hieß Hans, und einen

bösen, der hieß Helmerich. Wie das aber wohl geht in

der Welt, der Vater hätte den bösen mehr lieb als den

guten.

Nun begab es sich, daß das Jahr einmal ein mehr

als gewöhnlich teures war und dem Meister der Beutel

leer ward. Ei! dachte er, man muß zu leben wissen.

Sind die Kunden doch so oft zu dir gekommen, nun

ist es an dir höflich zu sein und dich zu ihnen zu bemühen.

Gesagt getan. Früh morgens zog er aus und

klopfte an mancher stattlichen Tür; aber wie es sich

denn so trifft, daß die stattlichsten Herren nicht die

besten Zahler sind, die Rechnung zu bezahlen hatte

niemand Lust. So kam der Handwerksmann müde und

matt des Abends in seine Heimat und trübselig setzte

er sich vor die Türe der Schenke ganz allein, denn er

hatte weder das Herz mit den Zechgästen zu plaudern,

noch freute er sich sehr auf das lange Gesicht seines

Weibes. Aber wie er da saß in Gedanken versunken,

konnte er doch nicht lassen hinzuhören auf das Gespräch,

das drinnen geführt ward. Ein Fremder, der

eben aus der Hauptstadt angelangt war, erzählte, daß

die schöne Königstochter von einem bösen Zauberer

gefangen gesetzt sei und müsse im Kerker bleiben ihr

lebelang, wenn nicht jemand sich fände der die drei

Proben löste, welche der Zauberer gesetzt hatte.

Fände sich aber einer, so wäre die Prinzeß sein und

ihr ganzes herrliches Schloß mit all seinen Schätzen.

Das hörte der Meister an zuerst mit halbem Ohr, dann

mit dem ganzen und zuletzt mit allen beiden, denn er

dachte: mein Sohn Helmerich ist ein aufgeweckter

Kopf, der wohl den Ziegenbock barbieren möchte, so

das einer von ihm heischte; was gilt's, er löst die Proben

und wird der Gemahl der schönen Prinzeß und

Herr über Land und Leute. Denn also hatte der

König, ihr Vater, verkündigen lassen. – Schleunig

kehrte er nach Haus und vergaß seine Schulden und

Kunden über der neuen Mär, die er eilig seiner Frau

hinterbrachte. Des andern Morgens schon sprach er

zum Helmerich, daß er ihn mit Roß und Wehr ausrüsten

wolle zu der Fahrt, und wie schnell machte der

sich auf die Reise! Als er Abschied nahm, versprach

er seinen Eltern, er wolle sie samt dem dummen Bruder

Hans gleich holen lassen in einem sechsspännigen

Wagen; denn er meinte schon, er wäre König. Übermütig

wie er dahinzog, ließ er seinen Mutwillen aus

an allem, was ihm in den Weg kam. Die Vögel, die

auf den Zweigen saßen und den Herrgott lobten mit

Gesang wie sie es verstanden, scheuchte er mit der

Gerte von den Ästen und kein Getier kam ihm in den

Weg, daran er nicht seinen Schabernack ausgelassen

hätte.Und zum ersten begegnete er einem Ameisenhaufen;

den ließ er sein Roß zertreten, und die Ameisen,

die erzürnt an sein Roß und an ihn selbst krochen

und Pferd und Mann bissen, erschlug und erdrückte er

alle. Weiter kam er an einen klaren Teich, in dem

schwammen zwölf Enten. Helmerich lockte sie ans

Ufer und tötete deren elf, nur die zwölfte entkam.

Endlich traf er auch einen schönen Bienenstock; da

machte er es den Bienen wie er es den Ameisen gemacht.

Und so war seine Freude die unschuldige

Kreatur nicht sich zum Nutzen, sondern aus bloßer

Tücke zu plagen und zu zerstören.

Als Helmerich nun bei sinkender Sonne das prächtige

Schloß erreicht hatte, darin die Prinzessin verzaubert

war, klopfte er gewaltig an die geschlossene Pforte.

Alles war still; immer heftiger pochte der Reiter.

Endlich tat sich ein Schiebefenster auf und hervor sah

ein altes Mütterlein mit spinnewebfarbigem Gesichte,

die fragte verdrießlich, was er begehre. »Die Prinzeß

will ich erlösen«, rief Helmerich, »geschwind macht

mir auf.« »Eile mit Weile, mein Sohn«, sprach die

Alte; »morgen ist auch ein Tag, um neun Uhr werde

ich dich hier erwarten.« Damit schloß sie den Schalter.

Am andern Morgen um neun Uhr, als Helmerich

wieder erschien, stand das Mütterchen schon seiner

gewärtig mit einem Fäßchen voll Leinsamen, den sie

ausstreute auf eine schöne Wiese. »Lies die Körner

zusammen«, sprach sie zu dem Reiter, »in einer Stunde

komme ich wieder, da muß die Arbeit getan

sein.« – Helmerich aber dachte, das sei ein alberner

Spaß und lohne es nicht sich darum zu bücken; er

ging derweil spazieren und als die Alte wiederkam,

war das Fäßchen so leer wie vorher. »Das ist nicht

gut«, sagte sie. Darauf nahm sie zwölf goldene

Schlüsselchen aus der Tasche und warf sie einzeln in

den tiefen dunklen Schloßteich. »Hole die Schlüssel

herauf«, sprach sie, »in einer Stunde komme ich wieder,

da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich lachte

und tat wie vorher. – Als die Alte wiederkam und

auch diese Aufgabe nicht gelöst war, da rief sie zweimal:

»Nicht gut! nicht gut!« Doch nahm sie ihn bei

der Hand und führte ihn die Treppe hinauf in den großen

Saal des Schlosses; da saßen drei Frauenbilder,

alle drei in dichte Schleier verhüllt. »Wähle, mein

Sohn«, sprach die Alte, »aber sieh dich vor, daß du

recht wählst. In einer Stunde komme ich wieder.«

Helmerich war nicht klüger, da sie wiederkam als da

sie wegging; übermütig aber rief er aufs Geratewohle:

»Die zur Rechten wähl ich.« – Da warfen alle drei die

Schleier zurück; in der Mitte saß die holdselige Prinzeß,

rechts und links zwei scheußliche Drachen, und

der zur Rechten packte den Helmerich in seine Kral-

len und warf ihn durch das Fenster in den tiefen Abgrund.

Ein Jahr war verflossen seit Helmerich ausgezogen

die Prinzeß zu erlösen und noch immer war bei den

Eltern kein sechsspänniger Wagen angelangt. »Ach!«

sprach der Vater, »wäre nur der ungeschickte Hans

ausgezogen statt unsres besten Buben, da wäre das

Unglück doch geringer.« – »Vater«, sagte Hans, »laß

mich hinziehn, ich will's auch probieren.« Aber der

Vater wollte nicht, denn was dem Klugen mißlingt,

wie führte das der Ungeschickte zu Ende? Da der

Vater ihm Roß und Wehr versagte, machte Hans sich

heimlich auf und wanderte wohl drei Tage denselben

Weg zu Fuß, den der Bruder an einem geritten war.

Aber er fürchtete sich nicht, und schlief des Nachts

auf dem weichen Moos unter den grünen Zweigen so

sanft wie unter dem Dach seiner Eltern; die Vögel des

Waldes scheuten sich nicht vor ihm, sondern sangen

ihn in Schlaf mit ihren besten Weisen. Als er nun an

die Ameisen kam, die beschäftigt waren ihren neuen

Bau zu vollenden, störte er sie nicht, sondern wollte

ihnen helfen, und die Tierchen, die an ihm hinaufkrochen,

las er ab ohne sie zu töten, wenn sie ihn auch

bissen. Die Enten lockte er auch ans Ufer, aber um sie

mit Brosamen zu füttern; den Bienen warf er die frischen

Blumen hin, die er am Wege gepflückt hatte.

So kam er fröhlich an das Königsschloß und pochte

bescheiden am Schalter. Gleich tat die Türe sich auf

und die Alte fragte nach seinem Begehr. »Wenn ich

nicht zu gering bin, möchte ich es auch versuchen die

schöne Prinzeß zu erlösen«, sagte er. »Versuche es,

mein. Sohn«, sagte die Alte, »aber wenn du die drei

Proben nicht bestehst, kostet es dein Leben.« »Wohlan,

Mütterlein«, sprach Hans, »sage, was ich tun

soll.« Jetzt gab die Alte ihm die Probe mit dem Leinsamen.

Hans war nicht faul sich zu bücken, doch

schon schlug es drei Viertel und das Fäßchen war

noch nicht halb voll. Da wollte er schier verzagen;

aber auf einmal kamen schwarze Ameisen mehr als

genug und in wenigen Minuten lag kein Körnlein

mehr auf der Wiese. Als die Alte kam, sagte sie: »Das

ist gut!« und warf die zwölf Schlüssel in den Teich,

die sollte er in einer Stunde herausholen. Aber Hans

brachte keinen Schlüssel aus der Tiefe; so tief er auch

tauchte, er kam nicht an den Grund. Verzweifelnd

setzte er sich ans Ufer; da kamen die zwölf Entchen

herangeschwommen, jede mit einem goldenen Schlüsselchen

im Schnabel, die warfen sie ins feuchte Gras.

So war auch diese Probe gelöst, als die Alte wiederkam,

um ihn nun in den Saal zu führen, wo die dritte

und schwerste Probe seiner harrte. Verzagend sah

Hans auf die drei gleichen Schleiergestalten; wer sollte

ihm hier helfen? Da kam ein Bienenschwarm

durchs offene Fenster geflogen, die kreisten durch den

Saal und summten um den Mund der drei Verhüllten.

Aber von rechts und links flogen sie schnell wieder

zurück, denn die Drachen rochen nach Pech und

Schwefel, wovon sie leben; die Gestalt in der Mitte

umkreisten sie alle und surrten und schwirrten leise:

»Die Mittle, die Mittle.« Denn da duftete ihnen der

Geruch ihres eigenen Honigs entgegen, den die Königstochter

so gern aß. Also, da die Alte wiederkam

nach einer Stunde, sprach Hans ganz getrost: »Ich

wähle die Mittle.« Und da fuhren die bösen Drachen

zum Fenster hinaus, die schöne Königstochter aber

warf ihren Schleier ab und freute sich der Erlösung

und ihres schönen Bräutigams. Und Hans sandte dem

Vater der Prinzeß den schnellsten Boten und zu seinen

Eltern einen goldenen Wagen mit sechs Pferden

bespannt und sie alle lebten herrlich und in Freuden,

und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute

noch.

Der Teufel ist los oder das Märlein, wie der

Teufel den Branntwein erfand

Es hatten einmal zwei Landesherren einen Grenzstreit;

da waren auf jeder Seite Zeugen, die das Recht

behaupteten, und darunter waren zwei, die hatten vom

Teufel die Schwarzkunst erlernt und ihm dafür ihre

Seelen verschrieben.

Diese beiden haben einmal ein jeder in der Nacht

wollen falsche Grenzsteine setzen, so, wie jeder von

ihnen die Grenze behauptete, und haben die Steine

mit schwarzer Kunst wollen machen, daß sie aussähen,

als ob sie schon viele, viele Jahre da gestanden

hätten. Da sind sie alle zwei, als feurige Männer, hinauf

auf die Höhe gegangen. Und wie der eine hinauf

kommt, da ist der andere schon da. Aber keiner hat

etwas von dem andern gewußt, daß dieser denselben

Gedanken hatte.

Da fragte der eine den andern: »Was machst du

da?«

»Was hast du danach zu fragen? Sage mir zuvor,

was du da machen willst?«

»Grenzsteine will ich setzen, und will den Grenzzug

machen, wie dieser eigentlich sein muß.«

»Das habe ich selbst schon getan, und da stehen

die Steine, und so geht der Grenzzug.«

»Das ist nicht richtig, und so geht der Grenzzug.

Mein Herr hat gesagt, ich hätte recht, und ich solle

nicht nachgeben.«

»Wer ist denn dein Herr? Das wird auch ein schöner

Musjö sein!«

»Der Teufel ist mein Herr! Hast du nun Respekt?«

»Das ist nicht wahr, das ist mein Herr, und mein

Herr hat mir gesagt, ich habe recht und solle nicht

nachgeben. Packe dich den Augenblick, oder es geht

dir schlecht!«

Und so kamen die zwei hintereinander, und zuletzt

da gab der eine feurige Mann dem andern eine Maulschelle,

daß ihm der Kopf herabflog und kullerte den

ganzen Berg hinab. Und der feurige Mann ohne Kopf

rannte hinter seinem feurigen Kopfe her und wollte

ihn haschen und ihn sich wieder aufsetzen. Aber er

konnte ihn nicht einholen bis ganz drunten im Graben.

Wie nun der eine dem andern die Maulschelle gegeben

hatte, und jener hinter seinem Kopfe herlief, da

kam auf einmal ein dritter feuriger Mann dazu, und

fragte den, der oben blieb: »Was hast du da gemacht?

«

»Was geht es dich an und was hast du mir zu befehlen?

Den Augenblick packe dich deiner Wege,

oder ich mache es dir gerade so wie jenem.«

»Halunke! Hast du nicht mehr Respekt vor mir?

Weißt du nicht, daß ich dein Herr, der Teufel, bin?«

»Und wenn du zehnmal der Teufel selbst bist, so

liegt mir daran gar nichts; du kannst mich meinetwegen

recht schön rein machen!«

»Diesen Gefallen will ich dir tun, du sollst aber

dein Lebtag daran gedenken!«

Und da fing der Teufel an und machte ihn rein, daß

die Feuerputzen auf dem ganzen Bergrücken herumflogen.

Aber wie er ihn so rein machte, da ersah mein feuriger

Mann den günstigen Augenblick, und griff hin

und erwischte den Teufel im Nacken, hielt ihn fest

und sagte ihm:

»Nun bist du in meiner Gewalt; nun sollst du

sehen, daß du in der Menschen Händen bist! Du hast

dein Lebenlang genug armen Leuten den Hals herumgedreht,

nun sollst du auch selbst einmal erfahren, wie

es tut, wenn einem der Hals umgedreht wird!«

Und fing an, und wollte dem Teufel den Hals umdrehen.

Wie der Teufel sah, daß der feurige Mann

Ernst mit ihm machte, legte er sich aufs Bitten und

gab ihm die himmelbesten Worte, er solle ihn doch

gehen lassen und solle ihm den Hals nicht herumdrehen;

er wolle ihm auch alles tun, was er nur von ihm

verlangte. Da sagte ihm der: »Weil du also erbärmlich

tust, so will ich dich nur gehen lassen; aber zuvor

mußt du mir meine Verschreibung wieder geben, in

welcher ich dir meine Seele verschrieben habe, und

mußt mir auch versprechen, ja du mußt mir das bei

deiner Großmutter beschwören, daß du kein Teil mehr

an mir haben willst, auch all dein Lebetage von keinem

Menschen dir wieder die Seele verschreiben lassen.

«

Wollte der Teufel wohl oder übel, einmal stak er in

der Klemme, und wenn er los kommen wollte und

wollte nicht den Hals herumgedreht haben, so mußte

er in einen sauern Apfel beißen, und gab ihm seine

Verschreibung wieder und versprach's ihm und verschwur

sich bei seiner Großmutter, daß er keinen Teil

mehr an ihm haben wolle, und wolle auch alle sein

Lebetag von keinem Menschen sich wieder lassen die

Seele verschreiben. Wie er das alles getan hatte, ließ

jener den Teufel los.

Wie aber der Teufel wieder ledig war, da tat er

einen Sprung zurück, daß ihn jener nicht etwa unversehens

noch einmal erwische, und stellte sich hin und

sagte: »So, nun bin ich wieder ledig; wenn ich dir, du

Schalksnarr, nun auch deine Verschreibung wieder

gegeben habe und habe dir versprochen und beschworen,

daß ich kein Teil mehr an dir haben wolle, so

habe ich dir doch nicht versprochen, daß ich den Hals

dir nicht auch umdrehen wolle, so ich wieder ledig

wäre. Und auf dem Flecke da sollst du alleweil sterben,

dafür, daß du mich gegurgelt hast, und hast mir

wollen den Hals umdrehen!«

Und damit fuhr der Teufel auf ihn hinein, und wollte

ihm den Garaus machen, der aber riß aus und lief

zum Wald hinein. Und der Teufel immer hinter ihm

her. Endlich ersah es jener, und kam an eine alte

Buche, die war hohl und hatte unten ein Loch. Da

kroch er geschwind hinein und wollte sich verstecken

vor dem Teufel. Aber er war nicht weit genug hinein

gekrochen, und die Fußzehe guckte ihm noch heraus.

Und weil er über und über feurig war, da leuchtete die

Zehe durch die Nacht, und der Teufel wurde es gewahr,

wo jener sich hin versteckt hatte, und kam und

wollte ihn an der Fußzehe erwischen.

Aber der in seinem Baume hörte es, wie der Teufel

getappt kam, wie er nach ihm greifen und ihn erwischen

wollte; da zog er sich vollends hinein und

machte sich weiter im Baume hinauf. Da kroch der

Teufel auch hinein, und jener machte immer weiter im

Baume hinauf und der Teufel immer hinter ihm her.

Endlich da hatte der Baum oben in der Höhe ein weites

Astloch, da kam jener dran und kroch heraus. Und

wie er draußen war, da nahm er etwas und verkeilte

das Astloch, wo er herausgekrochen war, und stieg

geschwind herab und verkeilte auch das untere Loch,

und machte es mit schwarzer Kunst so fest, daß es der

Teufel selbst und seine Großmutter und die ganze

Hölle nicht wieder aufbringen konnten. Darnach ging

er seiner Wege.

Und da steckte nun der Teufel in der alten Buche,

und konnte nicht herauskommen, und half ihm alles

nichts, er mußte drin stecken bleiben. Und da hat er

lange Zeit darin gesteckt, und vielmal zu jener Zeit,

wenn Leute des Wegs über jenen Berg gegangen sind,

da haben sie ihn darin hören blöken und grunzen in

seiner Buche. Endlich aber, wie der Holzschlag dort

hinauf gekommen ist, da ist die Buche abgehauen

worden. Da ist er endlich wieder herausgekommen

und ist wieder frei geworden, der Teufel. Wie er nun

wieder los war, da machte er sich auf und ging heim

in die Hölle und wollte sehen, wie es aussähe? Aber

da war alles leer darin, wie es in der Kirche in der

Woche ist, und war keine Seele mehr zu hören noch

zu sehen. Seit der Teufel damals fortgegangen und

nicht wieder gekommen war, und auch kein Mensch

nicht gewußt hatte, wo er hingekommen war, da war

nicht eine einzige Seele wieder in die Hölle gekommen.

Und da war seine Großmutter aus Herzeleid gestorben,

und wie die tot war, da packten alle die

armen Seelen, die dazumal in der Hölle waren, auf,

und machten sich auf und davon und gingen alle miteinander

in den Himmel. Und da stand er, Maus-Mutter-

Stern-allein in der Hölle, und wußte seines Leides

keinen Rat, wie er's wohl anfinge, daß er wieder arme

Seelen bekäme, weil er es nicht mehr tun durfte, und

hatte es damals bei seiner Großmutter verschwören

müssen, daß er von keinem Menschen sich wieder

wollte die Seele verschreiben lassen, und auf andere

Weise bekam er damals keine Menschen in die Hölle.

Und da stand er und wußte seines Herzeleids kein

Ende, und wollte sich die Hörner aus dem Kopfe raufen

vor lauter Herzeleid und Jammer. – Da fiel ihm

auf einmal etwas ein.

Wie er in der alten Buche gesteckt hatte und nicht

herausgekonnt, da war ihm zuletzt die Zeit lang geworden,

und da hatte er über allerlei nachsimuliert

und den Branntwein erdacht und erfunden. Das fiel

ihm alleweil mitten in seinem Herzeleide wieder ein,

und da dachte er sich, das müsse ein Mittelchen sein,

wie er doch wieder arme Seelen in die Hölle bekommen

könne.

Und da packte er auf der Stelle auf und ließ die

Hölle Hölle sein, und ging nach Nordhausen und

wurde ein Schnapsbrenner und machte Branntwein

drein und drauf und schenkte ihn in die Welt hinein.

Und er zeigte auch den Nordhäusern allen miteinander,

wie der Schnaps gemacht wird, und versprach

ihnen viel Geld und Gut, wenn sie's lernten und

Branntwein brennten. Und die Nordhäuser ließen

sich's auch nicht zweimal sagen, und wurden alle

Schnapsbrenner, und machten Branntwein, und

schenkten ihn in die Welt hinein. Seit dieser Zeit

schreibt sich's her, daß bis auf den heutigen Tag so

viel Branntwein in Nordhausen gebrennt wird, wie an

keinem andern Orte in der ganzen Welt.

Aber wie sich's der Teufel gedacht hatte, also ging

es auch. Wenn die Leute erst ein wenig Branntwein

im Leibe hatten, da fingen sie an zu fluchen und zu

schwören, und fluchten und schwuren ihre Seele zum

Teufel, daß sie der Teufel bekam, wenn sie gestorben

waren, und brauchte ihnen darum nicht zu dienen, wie

er sonst hatte tun müssen, wenn er eine arme Seele

hatte haben wollen. Und wenn sie sich den Kopf erst

richtig vollgesoffen hatten im Branntwein, da fingen

sie auch an und zankten sich und prügelten sich und

brachen sich selber die Hälse, daß sich der Teufel

nicht erst brauchte die Mühe zu geben und brauchte

sie ihnen herum zu drehen. Und wenn der Teufel sonst

mit aller Mühe und Not hatte alle Wochen einmal

eine arme Seele in die Hölle bekommen können, da

kamen sie jetzt dutzend- und schockweise alle Tage

hinein, und es dauerte kein Jahr, da war die Hölle zu

klein geworden und konnte der Teufel die Seelen nicht

mehr unterbringen und mußte ein ganz neues Stück

lassen anbauen an die Hölle.

Und kurz und gut, seit der Teufel aus der alten

Buche jenesmal wieder losgekommen ist, seit der Zeit

ist der Branntwein aufgekommen, und seit der

Branntwein in der Welt ist, da kann man erst recht ei-

gentlich sagen: »Der Teufel ist los!«

Der Schmied von Jüterbogk

Im Städtlein Jüterbogk hat einmal ein Schmied gelebt,

von dem erzählen sich Kinder und Alte ein wundersames

Märlein. Es war dieser Schmied erst ein junger

Bursche, der einen sehr strengen Vater hatte, aber

treulich Gottes Gebote hielt. Er tat große Reisen und

erlebte viele Abenteuer, dabei war er in seiner Kunst

über alle Maßen geschickt und tüchtig. Er hatte eine

Stahltinktur, die jeden Harnisch und Panzer undurchdringlich

machte, welcher damit bestrichen wurde,

und gesellte sich dem Heere Kaiser Friedrichs II. zu,

wo er kaiserlicher Rüstmeister wurde und den Kriegszug

nach Mailand und Apulien mitmachte. Dort eroberte

er den Heer- und Bannerwagen der Stadt und

kehrte endlich, nachdem der Kaiser gestorben war,

mit vielem Reichtum in seine Heimat zurück. Er sah

gute Tage, dann wieder böse, und wurde über hundert

Jahre alt. Einst saß er in seinem Garten unter einem

alten Birnbaum, da kam ein graues Männlein auf

einem Esel geritten, das sich schon mehrmals als des

Schmiedes Schutzgeist bewiesen hatte. Dieses Männchen

herbergte bei dem Schmied und ließ den Esel beschlagen,

was jener gern tat, ohne Lohn zu heischen.

Darauf sagte das Männlein zu Peter, er solle drei

Wünsche tun, aber dabei das Beste nicht vergessen.

Da wünschte der Schmied, weil die Diebe ihm oft die

Birnen gestohlen, es solle keiner, der auf den Birnbaum

gestiegen, ohne seinen Willen wieder herunter

können – und weil er auch in der Stube öfters bestohlen

worden war, so wünschte er, es solle niemand

ohne seine Erlaubnis in die Stube kommen können, es

wäre denn durch das Schlüsselloch. Bei jedem dieser

törichten Wünsche warnte das Männlein: »Vergiß das

Beste nicht!« und da tat der Schmied den dritten

Wunsch, sagend: »Das Beste ist ein guter Schnaps, so

wünsche ich, daß diese Bulle niemals leer werde!« –

»Deine Wünsche sind gewährt«, sprach das Männchen,

strich noch über einige Stangen Eisen, die in der

Schmiede lagen, mit der Hand, setzte sich auf seinen

Esel und ritt von dannen. Das Eisen war in blankes

Silber verwandelt. Der vorher arm gewordene

Schmied war wieder reich und lebte fort und fort bei

gutem Wohlsein, denn die nie versiegenden Magentropfen

in der Bulle waren, ohne daß er es wußte,

ein Lebenselixier. Endlich klopfte der Tod an, der ihn

so lange vergessen zu haben schien; der Schmied war

scheinbar auch gern bereitwillig, mit ihm zu gehen,

und bat nur, ihm ein kleines Labsal zu vergönnen und

ein paar Birnen von dem Baum zu holen, den er nicht

selbst mehr besteigen könne aus großer Altersschwäche.

Der Tod stieg auf den Baum, und der Schmied

sprach: »Bleib droben!« denn er hatte Lust, noch län-

ger zu leben. Der Tod fraß alle Birnen vom Baum,

dann gingen seine Fasten an, und vor Hunger verzehrte

er sich selbst mit Haut und Haar, daher er jetzt nur

noch so ein scheußlich dürres Gerippe ist. Auf Erden

aber starb niemand mehr, weder Mensch noch Tier,

darüber entstand viel Unheil, und endlich ging der

Schmied hin zu dem klappernden Tod und akkordierte

mit ihm, daß er ihn fürder in Ruhe lasse, dann ließ er

ihn los. Wütend floh der Tod von dannen und begann

nun auf Erden aufzuräumen. Da er sich an dem

Schmied nicht rächen konnte, so hetzte er ihm den

Teufel auf den Hals, daß dieser ihn hole. Dieser

machte sich flugs auf den Weg, aber der pfiffige

Schmied roch den Schwefel voraus, schloß seine Türe

zu, hielt mit den Gesellen einen ledernen Sack an das

Schlüsselloch, und wie Herr Urian hindurch fuhr, da

er nicht anders in die Schmiede konnte, wurde der

Sack zugebunden, zum Amboß getragen, und nun

ganz unbarmherziglich mit den schwersten Hämmern

auf den Teufel losgepocht, daß ihm Hören und Sehen

verging, er ganz mürbe wurde und das Wiederkommen

auf immer verschwur. Nun lebte der Schmied

noch gar lange Zeit in Ruhe, bis er, wie alle Freunde

und Bekannte ihm gestorben waren, des Erdenlebens

satt und müde wurde. Machte sich deshalb auf den

Weg und ging nach dem Himmel, wo er bescheidentlich

am Tore anklopfte. Da schaute der heilige Petrus

herfür, und Peter der Schmied erkannte in ihm seinen

Schutzpatron und Schutzgeist, der ihn oft aus Not und

Gefahr sichtbarlich errettet und ihm zuletzt die drei

Wünsche gewährt hatte. Jetzt aber sprach Petrus:

»Hebe dich weg, der Himmel bleibt dir verschlossen;

du hast das Beste zu erbitten vergessen: die Seligkeit!

« – Auf diesen Bescheid wandte sich Peter, und

gedachte sein Heil in der Hölle zu versuchen, und

wanderte wieder abwärts, fand auch bald den rechten,

breiten und vielbegangenen Weg. Wie aber der Teufel

erfuhr, daß der Schmied von Jüterbogk im Anzuge

sei, schlug er das Höllentor ihm vor der Nase zu und

setzte die Hölle gegen ihn in Verteidigungsstand. Da

nun der Schmied von Jüterbogk weder im Himmel

noch in der Hölle seine Zuflucht fand, und auf Erden

es ihm nimmer gefallen wollte, so ist er hinab in den

Kiffhäuser gegangen zu Kaiser Friedrichen, dem er

einst gedient. Der alte Kaiser, sein Herr, freute sich,

als er seinen Rüstmeister Peter kommen sah und fragte

ihn gleich, ob die Raben noch um den Turm der

Burgruine Kiffhausen flögen? Und als Peter das bejahte,

so seufzte der Rotbart. Der Schmied aber blieb

im Berge, wo er des Kaisers Handpferd und die Pferde

der Prinzessin und die der reitenden Fräulein beschlägt,

bis des Kaisers Erlösungsstunde auch ihm

schlagen wird. – Und das wird geschehen nach dem

Munde der Sage, wenn dereinst die Raben nicht mehr

um den Berg fliegen, und auf dem Rathsfeld nahe dem

Kiffhäuser ein alter dürrer abgestorbener Birnbaum

wieder ausschlägt, grünt und blüht. Dann tritt der

Kaiser hervor mit all seinen Wappnern, schlägt die

große Schlacht der Befreiung und hängt seinen Schild

an den wieder grünen Baum. Hierauf geht er ein mit

seinem Gesinde zu der ewigen Ruhe.

Hänsel und Gretel

Es war einmal ein armer Holzhauer, der lebte mit seiner

Frau und zwei Kindern in einer dürftigen Waldhütte.

Die Kinder hießen Hänsel und Gretel, und wie

sie so heranwuchsen, gebrach es immer mehr den

armen Leuten an Brot. Auch wurde die Zeit immer

schwerer und alle Nahrung teurer, das machte den

beiden Eltern große Sorge. Eines Abends als sie ihr

hartes Lager gesucht hatten, seufzte der Mann: »Ach

Frau, wie wollen wir nur die Kinder durchbringen, da

der Winter herankommt, und wir für uns selbst nichts

haben!« Und da erwiderte die Mutter: »Keinen andern

Rat weiß ich, als daß du sie in den Wald führst je

eher je lieber, gibst jedem noch ein Stücklein Brot,

machst ihnen ein Feuer an, befiehlst sie dem lieben

Gott, und gehst hinweg.«

»O lieber Gott! wie soll ich das vollbringen an

meinen eigenen Kindern, Frau?« fragte der Holzhauer

bekümmert. »Nun wohl, so laß es bleiben!« fuhr die

Frau böse heraus: »so kannst du eine Totenlade für

uns alle viere zimmern, und die Kinder Hungers sterben

sehen!«

Die zwei Kinder, welche der Hunger in ihrem

Moosbettchen noch wach erhielt, hörten mit an, was

die Mutter und der Vater miteinander sprachen, und

das Schwesterlein begann zu weinen, Hänsel aber tröstete

es und sprach: »Weine nicht, Gretel, ich helfe

uns schon«; wartete, bis die Alten schliefen, wischte

aus der Hütte, suchte im Mondschein weiße Steinchen,

verbarg sie wohl, und schlich wieder herein,

worauf er und das Schwesterlein bald entschlummerten.

Am Morgen geschah nun, was die Eltern vorher besprochen.

Die Mutter reichte jedem Kind ein Stück

Brot und sagte: »Das ist für heute alles; haltet's zu

Rate.« Gretel trug das Brot, Hänsel trug heimlich

seine Steinchen, der Vater hatte seine Holzaxt im

Arm, die Mutter schloß das Haus zu und folgte mit

einem Wasserkruge nach. Hänsel machte sich hinter

die Mutter, so daß er der letzte war auf dem Wege,

guckte oft zurück nach dem Häuschen, und wie er es

nicht sah, ließ er gleich ein weißes Steinchen fallen,

und nach ein paar Schritten wieder eins, und so immer

fort.

Nun waren alle mitten in dem tiefen Walde, und da

machte der Vater ein Feuer an, wozu die Kinder des

Reisigs viel herbeitrugen und die Mutter sagte zu den

Kindern: »Ihr seid wohl müde, jetzt legt euch an das

Feuer und schlaft, indes wir Holz fällen, nachher

kommen wir wieder, und holen euch ab.«

Die Kinder schlummerten ein wenig und als sie erwachten,

stand die Sonne hoch im Mittag, das Feuer

war abgebrannt, und da Hänsel und Gretel Hunger

hatten, verzehrten sie ihr Stücklein Brot. Wer nicht

kam, das waren die Eltern. Und nachher sind die Kinder

wieder eingeschlafen, bis es dunkel wurde, da

waren sie noch immer allein, und Gretel fing an zu

weinen und sich zu fürchten. Hänsel tröstete sie aber

und sagte: »Fürchte dich nicht, Schwester, der liebe

Gott ist ja bei uns, und bald geht der Mond auf, da

gehen wir heim.«

Und wirklich ging bald darauf der Mond in voller

Pracht auf und leuchtete den Kindern auf den Heimweg

und beglänzte die silberweißen Kieselsteine.

Hänsel faßte Gretel bei der Hand und so gingen die

Kinder miteinander fort ohne Furcht und ohne Unfall,

und wie der frühe Morgen graute, da sahen sie des

Vaters Dach durch die Büsche schimmern, kamen an

das Waldhäuslein und klopften an. Wie die Mutter

die Tür öffnete, erschrak sie ordentlich, als sie die

Kinder sah, wußte nicht, ob sie schelten oder sich

freuen sollte, der Vater aber freute sich, und so wurden

die beiden Kinder wieder mit Gottwillkommen in

das Häuslein eingelassen.

Es währte aber gar nicht lang, so wurde die Sorge

aufs neue laut und jenes Gespräch und der Beschluß,

die Kinder in den Wald zu führen und sie dort allein

und in des Himmels Fürsorge zu lassen, wiederholten

sich. Wieder hörten die Kinder das traurige Gespräch

mit an, bekümmerten Herzens, und der kluge Hänsel

machte sich vom Lager auf, wollte wieder blanke

Steine suchen, aber da war die Türe des Waldhäusleins

fest verschlossen, denn die Mutter hatte es gemerkt

und darum die Türe zugemacht. Doch tröstete

Hänsel abermals das weinende Schwesterlein und

sagte: »Weine nicht, lieb Gretel, der liebe Gott weiß

alle Wege, wird uns schon den rechten führen.«

Am andern Morgen in der Frühe mußten alle aufstehen,

wieder in den Wald zu wandern, und da empfingen

die Kinder wieder Brot, noch kleinere Stücklein

wie zuvor, und der Weg ging noch tiefer in den

Wald hinein; Hänslein aber zerbröckelte heimlich

sein Brot in der Tasche, und streute, statt jener Steine,

Krümlein auf den Weg, meinte, danach sich mit dem

Schwesterchen wohl zurückzufinden. Und nun geschah

alles, wie zuvor auch; ein großes Feuer wurde

entzündet, und die Kinder mußten wieder schlafen,

und wie sie aufwachten, waren sie allein, und die Eltern

kamen nimmer wieder. Und der Mittag kam, und

Gretel teilte ihr Stückchen Brot mit Hänsel, weil der

seines verstreut in lauter Bröselein auf dem Weg, und

dann schliefen sie wieder ein und erwachten abends

verlassen und einsam. Gretel weinte, Hänsel aber war

gottgetrost, meinte den Weg durch die Brotbröselein

wohl zu finden, wartete, bis der Mond aufgegangen

war, nahm dann die Gretel bei der Hand und sprach

zu ihr: »Komm, Schwester, nun gehen wir heim.«

Aber wie Hänsel die Krümlein suchte, war ihrer

keines mehr da, denn die Waldvögelein hatten alle,

alle aufgepickt und sie sich wohl schmecken lassen.

Und da wanderten die Kinder die ganze Nacht durch

den Wald, kamen bald vom Wege ab, verirrten sich

und waren sehr traurig. Endlich schliefen sie ein auf

weichem Moos, und erwachten hungrig, wie der Morgen

graute, denn sie hatten keinen Bissen Brot mehr,

und mußten ihren Durst und Hunger nur mit den

schönen Waldbeeren stillen, die da und dort standen.

Und wie sie so im Walde herumirrten, ohne Weg und

Steg zu finden, siehe, da kam ein schneeweißes Vöglein

geflogen, das flog immer vor ihnen her, als wenn

es den Kindern den Weg zeigen wollte, und sie gingen

dem Vöglein fröhlich nach. Mit einem Male

sahen sie ein kleines Häuschen, auf dessen Dach das

Vöglein flog; es pickte darauf, und wie die Kinder

ganz nahe daran waren, konnten sie sich nicht genug

freuen und wundern, denn das Häuschen bestand aus

Brot, davon waren die Wände, das Dach war mit Eierkuchen

gedeckt, und die Fenster waren von durchsichtigen

Kandiszuckertafeln. Das war den Kindern

recht, sie aßen vom Häusleindach und von einer zerbrochenen

Fensterscheibe. Da ließ sich plötzlich drinnen

eine Stimme vernehmen, die rief:

»Knusper, knusper, kneischen!

Wer knuspert mir am Häuschen?«

Darauf antworteten die Kinder:

»Der Wind, der Wind,

Das himmlische Kind!«

und aßen weiter, denn sie waren sehr hungrig gewesen,

und schmeckte ihnen ganz vortrefflich.

Da ging die Tür des Häusleins auf, und trat ein

steinaltes, krummgebücktes, triefäugiges Mütterlein

heraus von nicht geringer Häßlichkeit, Gesicht und

Stirne voll Runzeln und in mitten eine große, große

Nase. Hatte auch grasgrüne Augen. Die Kinder erschraken

nicht wenig, die Alte aber tat ganz freundlich

und sagte: »Ei, traute Kindlein, kommt doch herein

ins Häuschen, kommt doch herein! Da gibt's noch

viel bessern Kuchen!«

Die Kinder folgten der Alten gerne, und drinnen

trug die Alte auch auf, daß es eine Lust war. Da gab

es Herz was magst du? Biskuit und Marzipan, Zucker

und Milch, Äpfel und Nüsse, und köstlichen Kuchen.

Und während die Kinder immerfort aßen und fröhlich

waren, richtete die Alte zwei Bettchen zu von feinen

Dunenkissen und lilienweißen Linnen, da hinein

brachte sie die Kinder zur Ruhe, die meinten im Him-

mel zu sein, beteten einen frommen Abendsegen und

entschliefen alsbald.

Es hatte aber mit der Alten ein gar schlimmes Bewenden.

Sie war eine böse und garstige Hexe, welche

die Kinder fraß, die sie durch ihr Brot- und Kuchenhäuslein

anlockte, nachdem sie sie erst recht fett gefüttert.

Dies hatte sie auch mit Hänsel und Gretel im

Sinne. In aller Frühe stand die Alte schon vor dem

Bette der noch süß schlafenden Kinder, freute sich

über ihren Fang, riß Hänsel aus dem Bette, und trug

ihn nach dem eng vergitterten Gänsestall, verstopfte

ihm auch, damit er nicht schreie, den Mund. Dann

weckte sie die arme Gretel mit Heftigkeit und schrie

sie mit rauher Stimme an: »Steh auf, faule Dirne!

Dein Bruder steckt im Stall, wir müssen ihm ein gutes

Essen kochen, auf daß er fett wird, und für mich einen

guten Braten gibt!«

Da erschrak die Gretel zum Tode, weinte und

schrie, half aber nichts, sie mußte gehorchen und aufstehn,

Essen kochen helfen, und durfte es selbst nach

dem Stalle tragen, und mit ihrem eingesperrten Bruder

weinen. Sie selbst ward von der Hexe gar gering gehalten.

Das dauerte so eine Zeit, während welcher die

Alte öfters nach dem Stalle schlich und Hänsel befahl,

einen Finger durch das Gitter zu stecken, damit sie

fühle, ob er fett werde. Hänsel aber steckte immer ein

dürres Knöchelchen heraus, und sie verwunderte sich,

daß der Junge trotz dem guten Essen so mager blieb.

Endlich war sie das müde und sprach zur Gretel:

»Kurz und gut, heute wird er gebraten«, und machte

ein mächtiges Feuer in den Backofen, der neben dem

Häuschen stand, da schob sie hernach Brot hinein,

damit sie frischbackenes zum Braten habe. Das Gretel

wußte seines Herzens keinen Rat, und endlich hieß

ihm die alte Hexe sich auf die Schiebeschaufel zu setzen

und in den Backofen zu lugen, die Alte wollte sie

nur ein bissel in den Ofen schieben, damit die Gretel

sehe, ob das Brot braun sei, eigentlich aber wollte sie

das arme Mägdlein gleich zuerst darin braten.

Da kam aber das schneeweiße Vögelein geflogen

und sang: »Hüt dich, hüt dich, sieh dich für!« Und da

gingen der Gretel die Augen auf, daß sie der Alten

böse List durchschaute und sagte: »Zeiget mir's

zuvor, wie ich's machen muß, dann will ich's tun.«

Gleich setzte sich die Alte auf das Ofenbrett, und die

Gretel schob am Stiel, und schob sie so weit in den

Backofen, als der Stiel lang war, und dann klapp,

schlug sie das eiserne Türlein vor dem Ofen zu, schob

den Riegel vor, und da der Ofen noch erstaunlich heiß

war, mußte die alte Hexe drinnen brickeln und braten

und elendiglich umkommen zum Lohn ihrer Übeltaten.

Gretel aber lief zum Hänsel, ließ den aus dem

Gänsestall, und der kam heraus und fiel vor Freude

dem treuen Schwesterchen um den Hals, küßten sich

und weinten vor Freude und dankten Gott.

Und da war das weiße Vöglein wieder da, und auch

viele viele andre Waldvöglein, die flogen auf das Kuchendach

des Häusleins, darauf war ein Nest, und

daraus nahm jedes Vöglein ein buntes Steinchen oder

eine Perle, und trugen sie hin zu den Kindern, und

Gretel hielt sein Schürzchen auf, daß es alle die vielen

Steinchen fasse. Das schneeweiße Vöglein sang:

»Perlen und Edelstein,

Für die Brotbröselein.«

Da merkten die Kinder, daß die Vöglein dankbar

dafür waren, daß Hänsel Brotkrumen auf den Weg gestreut

hatte, und nun flog das weiße Vöglein wieder

vor ihnen her, daß es ihnen den Weg aus dem Walde

zeige. Bald kamen sie an ein mächtiges Wasser, da

standen sie ratlos, und konnten nicht weiter und nicht

darüber. Plötzlich aber kam ein großer schöner

Schwan geschwommen, dem riefen die Kinder zu: »O

schöner Schwan, sei unser Kahn!« Und der Schwan

neigte seinen Kopf und ruderte zum Ufer, und trug die

Kinder, eines nach dem andern, hinüber ans andre

Ufer. Das weiße Vöglein aber war schon hinüber geflattert,

und flog immer vor den Kindern her, bis sie

endlich aus dem Walde kamen, wieder an der Eltern

kleines Haus.

Der alte Holzhauer und seine Frau saßen traurig

und still in dem engen Stüblein und hatten großen

Kummer um die Kinder, bereueten auch viele tausendmal,

daß sie dieselben fortgelassen, und seufzten:

»Ach, wenn doch der Hänsel und die Gretel nur noch

ein allereinzigesmal wieder kämen, ach, da wollten

wir sie nimmermehr wieder allein im Walde lassen« –

da ging gerade die Türe auf, ohne daß erst angeklopft

worden wäre, und Hänsel und Gretel traten leibhaftig

herein! Das war eine Freude! Und als nun vollends

erst die kostbaren Perlen und Edelsteine zum Vorschein

kamen, welche die Kinder mitbrachten, da war

Freude in allen Ecken und alle Not und Sorge hatte

fortan ein Ende.

Das Rotkäppchen

Es war einmal ein gar allerliebstes, niedliches Ding

von einem Mädchen, das hatte eine Mutter und eine

Großmutter, die waren gar gut und hatten das kleine

Ding so lieb. Die Großmutter absonderlich, die wußte

gar nicht, wie gut sie's mit dem Enkelchen meinen

sollte, schenkt' ihm immer dies und das und hatte ihm

auch ein feines Käppchen von rotem Sammet geschenkt,

das stand dem Kind so überaus hübsch, und

das wußte auch das kleine Mädchen und wollte nichts

andres mehr tragen, und darum hieß es bei alt und

jung nur das Rotkäppchen. Mutter und Großmutter

wohnten aber nicht beisammen in einem Häuschen,

sondern eine halbe Stunde voneinander, und zwischen

den beiden Häusern lag ein Wald. Da sprach eines

Morgens die Mutter zum Rotkäppchen: »Liebes Rotkäppchen,

Großmutter ist schwach und krank geworden,

und kann nicht zu uns kommen. Ich habe Kuchen

gebacken, geh und bringe Großmutter von dem Kuchen

und auch eine Flasche Wein, und grüße sie recht

schön von mir, und sei recht vorsichtig, daß du nicht

fällst, und etwa die Flasche zerbrichst, sonst hätte die

kranke Großmutter nichts. Laufe nicht im Walde

herum, bleibe hübsch auf dem Wege, und bleibe auch

nicht zu lange aus.«

»Das will ich alles so machen, wie du befiehlst,

liebe Mutter«, antwortete Rotkäppchen, band ihr

Schürzchen um, nahm einen leichten Korb, in den es

die Flasche und den Kuchen von der Mutter legen

ließ, und ging fröhlichen Schrittes in den Wald hinein.

Wie es so völlig arglos dahin wandelte, kam ein

Wolf daher. Das gute Kind kannte noch keine Wölfe

und hatte keine Furcht. Als der Wolf näher kam, sagte

er: »Guten Tag Rotkäppchen!« – »Schönen Dank,

Herr Graubart!« – »Wo soll es denn hingehen so in

aller Frühe, mein liebes Rotkäppchen?« fragte der

Wolf. »Zur alten Großmutter, die nicht wohl ist!« antwortete

Rotkäppchen. »Was willst du denn dort machen?

du willst ihr wohl was bringen?« – »Ei freilich,

wir haben Kuchen gebacken, und Mutter hat mir auch

Wein mitgegeben, den soll sie trinken, damit sie wieder

stark wird.«

»Sage mir doch noch, mein liebes scharmantes

Rotkäppchen, wo wohnt denn deine Großmutter? Ich

möchte wohl einmal, wenn ich an ihrem Hause vorbeikomme,

ihr meine Hochachtung an den Tag

legen«, fragte der Wolf.

»Ei gar nicht weit von hier, ein Viertelstündchen,

da steht ja das Häuschen gleich am Walde, Ihr müßt

ja daran vorbeigekommen sein. Es stehen Eichenbäume

dahinter, und im Gartenzaun wachsen Haselnüsse!

« plauderte das Rotkäppchen.

O du allerliebstes, appetitliches Haselnüßchen du –

dachte bei sich der falsche böse Wolf. Dich muß ich

knacken, das ist einmal ein süßer Kern. – Und tat als

wolle er Rotkäppchen noch ein Stückchen begleiten,

und sagte zu ihm: »Sieh nur, wie da drüben und dort

drüben so schöne Blumen stehen, und horch nur, wie

allerliebst die Vögel singen! Ja es ist sehr schön im

Walde, sehr schön, und wachsen so gute Kräuter hierinne,

Heilkräuter, mein liebes Rotkäppchen.«

»Ihr seid gewiß ein Doktor, werter grauer Herr?«

fragte Rotkäppchen: »weil Ihr die Heilkräuter kennt.

Da könntet Ihr mir ja auch ein Heilkraut für meine

kranke Großmutter zeigen!«

»Du bist ein ebenso gutes als kluges Kind!« lobte

der Wolf. »Ei freilich bin ich ein Doktor und kenne

alle Kräuter, siehst du! hier steht gleich eins, der

Wolfsbast, dort im Schatten wachsen die Wolfsbeeren,

und hier am sonnigen Rain blüht die Wolfsmilch,

dort drüben findet man die Wolfswurz.« –

»Heißen denn alle Kräuter nach dem Wolf?« fragte

Rotkäppchen.

»Die besten, nur die besten, mein liebes, frommes

Kind!« sprach der Wolf mit rechtem Hohn. Denn alle

die er genannt, waren Giftkräuter. Rotkäppchen aber

wollte in ihrer Unschuld der Großmutter solche Kräuter

als Heilkräuter pflücken und mitbringen, und der

Wolf sagte:

»Lebewohl, mein gutes Rotkäppchen, ich habe

mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen; ich

habe Eile, muß eine alte schwache Kranke besuchen!«

Und damit eilte der Wolf von dannen, und spornstreichs

nach dem Hause der Großmutter, während

das Rotkäppchen sich schöne Waldblumen zum

Strauße pflückte und die vermeintlichen Heilkräuter

sammelte.

Als der Wolf an das Häuschen der Großmutter des

Rotkäppchens kam, fand er es verschlossen, und

klopfte an. Die Alte konnte nicht vom Bette aufstehen,

und nachsehen, wer da sei, und rief: »Wer ist

draußen?«

»Das Rotkäppchen!« rief der Wolf mit verstellter

Stimme. »Die Mutter schickt der guten Großmutter

Wein und auch Kuchen! Wir haben gebacken!«

»Greife unten durch das Loch in der Türe, da liegt

der Schlüssel!« rief die Alte, und der Wolf tat also,

öffnete die Türe, trat in das Häuschen, in das Stübchen,

und verschlang die Großmutter ohne weiteres –

zog ihre Kleider an, legte sich in ihr Bett, und zog die

Decke über sich her, und die Bettvorhänge zu. Nach

einer Weile kam das Rotkäppchen; es war sehr verwundert,

alles so offen zu finden, da doch sonst die

Großmutter sich selbst gern unter Schloß und Riegel

hielt, und wurd ihm schier bänglich um das junge

Herzchen.

Wie das Rotkäppchen nun an das Bett trat, da lag

die alte Großmutter, hatte eine große Schlafhaube auf,

und war nur wenig von ihr zu sehen, und das wenige

sah gar schrecklich aus. »Ach Großmutter, was hast

du so große Ohren?« rief das Rotkäppchen. – »Daß

ich dich damit gut hören kann!« war die Antwort. –

»Ach Großmutter! Was hast du für große Augen!« –

»Daß ich dich damit gut sehen kann!« – »Ei Großmutter,

was hast du für haarige große Hände!« –

»Daß ich dich damit gut fassen und halten kann!« –

»Ach Großmutter, was hast du für ein so großes Maul

und so lange Zähne!« – »Daß ich dich damit gut fressen

kann!« Und damit fuhr der ganze Wolf grimmig

aus dem Bette heraus, und fraß das arme Rotkäppchen.

Weg war's.

Jetzt war der Wolf sehr satt, und es gefiel ihm sehr

im Stübchen der Alten und in dem weichen Bett, und

legte sich wieder hin und schlief ein und schnarchte

daß es klang, als schnarre ein Räderwerk in einer

Mühle.

Zufällig kam ein Jäger vorbei, der hörte das seltsame

Geräusch, und dachte: Ei, ei, die arme alte Frau

da drinnen hat einen bösen Schnarcher am Leib, sie

röchelt wohl gar und liegt im Sterben! Du mußt hinein,

und nachsehen, was mit ihr ist. – Gedacht, getan;

der Jäger ging in das Häuschen, da fand er den Herrn

Isegrimm im Bette der Alten liegen, und die Alte war

nirgends zu erblicken. »Bist du da?« sprach der Jäger,

und riß die Kugelbüchse von der Schulter. »Komm du

her, du bist mir oft genug entlaufen!« – Schon legte er

an – da fiel ihm ein: halt – die Alte ist nicht da, am

Ende hat der Unhold sie mit Haut und Haar verschlungen,

war ohnedies nur ein kleines dürres Weiblein.

Und da schoß der Jäger nicht, sondern er zog seinen

scharfen Hirschfänger und schlitzte ganz sanft

dem fest schlafenden Wolf den Bauch auf, da guckte

ein rotes Käppchen heraus, und unter dem Käppchen

war ein Köpfchen, und da kam das niedliche allerliebste

Rotkäppchen heraus, und sagte: »Guten Morgen!

Ach was war das für ein dunkles Kämmerchen da

drinnen!« – Und hinter dem Rotkäppchen zappelte die

alte Großmutter, die war auch noch lebendig, vielen

Platz hatten sie aber nicht gehabt im Wolfsbauch. –

Der Wolf schlief noch immer steinfest, und da nahmen

sie Steine, gerade wie die alte Geiß im Märchen

von den sieben Geißlein, füllten sie den Wolf in den

Bauch und nähten den Ranzen zu, hernach versteckten

sie sich, und der Jäger trat hinter einen Baum, zu

sehen, was der Wolf endlich anfangen werde. Jetzt

wachte der Wolf auf, machte sich aus dem Bett heraus,

aus dem Stübchen, aus dem Häuschen, und humpelte

zum Brunnen, denn er hatte großen Durst. Unterwegs

sagte er: »Ich weiß gar nicht, ich weiß gar

nicht, in meinem Bauch wackelt's hin und her, hin

und her, wie Wackelstein – sollte das die Großmutter

und Rotkäppchen sein?« – Und wie er an den Brunnen

kam und trinken wollte, da zogen ihn die Steine

und er bekam das Übergewicht und fiel hinein und ertrank.

So sparte der Jäger seine Kugel; er zog den

Wolf aus dem Brunnen und zog ihm den Pelz ab, und

alle drei, der Jäger, die Großmutter und das Rotkäppchen,

tranken den Wein, und aßen den Kuchen, und

waren seelenvergnügt, und die Großmutter wurde

wieder frisch und gesund, und Rotkäppchen ging mit

ihrem leeren Körbchen nach Hause, und dachte: du

willst niemals wieder vom Wege ab und in den Wald

gehen, wenn es dir die Mutter verboten hat.

Der alte Zauberer und seine Kinder

Es lebte einmal ein böser Zauberer, der hatte vorlängst

zwei zarte Kinder geraubt, einen Knaben und

ein Mägdlein, mit denen er in einer Höhle ganz einsam

und einsiedlerisch hauste. Diese Kinder hatte er,

Gott sei's geklagt, dem Bösen zugeschworen, und

seine schlimme Kunst übte er aus einem Zauberbuche,

das er als seinen besten Schatz verwahrte.

Wenn es nun aber geschah, daß der alte Zauberer

sich aus seiner Höhle entfernte, und die Kinder allein

in derselben zurückblieben, so las der Knabe, welcher

den Ort erspäht hatte, wohin der Alte das Zauberbuch

verbarg, in dem Buche, und lernte daraus gar manchen

Spruch und manche Formel der Schwarzkunst,

und lernte selbst ganz trefflich zaubern. Weil nun der

Alte die Kinder nur selten aus der Höhle ließ, und sie

gefangen halten wollte bis zu dem Tage, wo sie dem

Bösen zum Opfer fallen sollten, so sehnten sie sich

um so mehr von dannen, berieten miteinander, wie sie

heimlich entfliehen wollten, und eines Tages, als der

Zauberer die Höhle sehr zeitig verlassen hatte, sprach

der Knabe zur Schwester: »Jetzt ist es Zeit, Schwesterlein!

Der böse Mann, der uns so hart gefangen

hält, ist fort, so wollen wir uns jetzt aufmachen und

von dannen gehen, soweit uns unsere Füße tragen!«

Dies taten die Kinder, gingen fort und wanderten den

ganzen Tag.

Als es nun gegen den Nachmittag kam, war der

Zauberer nach Hause zurückgekehrt und hatte sogleich

die Kinder vermißt. Alsobald schlug er sein

Zauberbuch auf und las darin, nach welcher Gegend

die Kinder gegangen waren, da hatte er sie wirklich

fast eingeholt; die Kinder vernahmen schon seine zornig

brüllende Stimme, und die Schwester war voller

Angst und Entsetzen, und rief: »Bruder, Bruder! Nun

sind wir verloren; der böse Mann ist schon ganz

nahe!« Da wandte der Knabe seine Zauberkunst an,

die er gelernt hatte aus dem Buche; er sprach einen

Spruch, und alsbald wurde seine Schwester zu einem

Fisch, und er selbst wurde ein großer Teich, in welchem

das Fischlein munter herumschwamm.

Wie der Alte an den Teich kam, merkte er wohl,

daß er betrogen war, brummte ärgerlich: »Wartet nur,

wartet nur, euch fange ich doch!« und lief spornstreichs

nach seiner Höhle zurück, Netze zu holen,

und den Fisch darin zu fangen. Wie er aber von hinnen

war, wurden aus dem Teich und Fisch wieder

Bruder und Schwester, die bargen sich gut und schliefen

aus, und am andern Morgen wanderten sie weiter,

und wanderten wieder einen ganzen Tag.

Als der böse Zauberer mit seinen Netzen an die

Stelle kam, die er sich wohl gemerkt hatte, war kein

Teich mehr zu sehen, sondern es lag eine grüne Wiese

da, in der es wohl Frösche, aber keine Fische zu fangen

gab; da wurde er noch zorniger wie zuvor, warf

seine Netze hin, und verfolgte weiter die Spur der

Kinder, die ihm nicht entging, denn er trug eine Zaubergerte

in der Hand, welche ihm den richtigen Weg

zeigte.

Und als es Abend war, hatte er die wandernden

Kinder beinahe wieder eingeholt; sie hörten ihn schon

schnauben und brüllen, und die Schwester rief wieder:

»Bruder, lieber Bruder! Jetzt sind wir verloren, der

böse Feind ist dicht hinter uns!«

Da sprach der Knabe wiederum einen Zauberspruch,

den er aus dem Buche gelernt, und da ward

aus ihm eine Kapelle am Weg, und aus dem Mägdlein

ein schönes Altarbild in der Kapelle.

Wie nun der Zauberer an die Kapelle kam, merkte

er wohl, daß er abermals geäfft war, und lief fürchterlich

brüllend um dieselbe herum; er durfte sie aber

nicht betreten, weil das immer im Pakt der Zauberer

mit dem Bösen stand, daß sie niemals eine Kirche

oder eine Kapelle betreten durften.

»Darf ich dich auch nicht betreten, so will ich dich

doch mit Feuer anstoßen, und auch zu Asche brennen!

« schrie der Zauberer und rannte fort, sich aus

seiner Höhle Feuer zu holen.

Während er nun fast die ganze Nacht hindurch

rannte, wurden aus der Kapelle und dem schönen Altarbild

wieder Bruder und Schwester; sie bargen sich

und schliefen, und am dritten Morgen wanderten sie

weiter und wanderten den ganzen Tag, während der

Zauberer, der einen weiten Weg hatte, ihnen aufs neue

nachsetzte. Als er mit seinem Feuer dahin kam, wo

die Kapelle gestanden, stieß er mit der Nase an einen

großen Steinfelsen, der sich nicht mit Feuer anstoßen

und zu Asche verbrennen ließ, und dann rannte er mit

wütenden Sprüngen auf der Spur der Kinder weiter

fort.

Gegen Abend war er ihnen nun ganz nahe, und zum

drittenmal zagte die Schwester und gab sich verloren;

aber der Knabe sprach wieder einen Zauberspruch,

den er aus dem Buche gelernt, da ward er eine harte

Tenne, darauf die Leute dreschen, und sein Schwesterlein

war in ein Körnlein verwandelt, das wie verloren

auf der Tenne lag.

Als der böse Zauberer herankam, sah er wohl, daß

er zum drittenmal geäfft war, besann sich aber diesmal

nicht lange, lief auch nicht erst wieder nach

Hause, sondern sprach auch einen Spruch, den er aus

dem Zauberbuche gelernt hatte; da ward er in einen

schwarzen Hahn verwandelt, der schnell auf das Gerstenkorn

zulief, um es aufzupicken; aber der Knabe

sprach noch einmal einen Zauberspruch, den er aus

dem Buche gelernt, da wurde er schnell ein Fuchs,

packte den schwarzen Hahn, ehe er noch das Gerstenkorn

aufgepickt hatte, und biß ihm den Kopf ab, da

hatte der Zauberer, wie dies Märlein, gleich ein Ende.


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