Читать книгу Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch - Ludwig Bechstein, Ludwig Bechstein - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеDie Goldmaria und die Pechmaria
Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter,
eine rechte Tochter und eine Stieftochter; beide hießen
Maria. Die rechte Tochter war nicht gut und fromm,
dagegen war die Stieftochter ein bescheidenes, sittiges
Mädchen, das aber gar viele Kränkungen und Zurücksetzungen
von Mutter und Schwester erdulden mußte.
Doch sie war stets freundlich, tat die Küchenarbeiten
unverdrossen, und weinte nur manchmal heimlich in
ihrem Schlafkämmerlein, wenn sie von Mutter und
Schwester so viel Unbilliges zu leiden hatte. Aber
bald war sie dann allemal wieder heiter und frischen
Mutes, und sprach zu sich selbst: »Sei ruhig, der liebe
Gott wird dir schon helfen.« Dann tat sie fleißig ihre
Arbeit, und machte alles nett und sauber. Ihrer Mutter
arbeitete sie immer nicht genug; eines Tages sagte
diese sogar: »Maria, ich kann dich nicht länger zu
Hause behalten, du arbeitest wenig und issest viel,
und deine Mutter hat dir kein Vermögen hinterlassen,
auch dein Vater nicht, es ist alles mein, und ich kann
und mag dich nicht länger ernähren, daher du ausgehen
mußt, dir einen Dienst bei einer Herrschaft zu suchen.
« Und sie buk von Asche und Milch einen Kuchen,
füllte ein Krüglein mit Wasser, gab beides der
armen Maria und schickte sie aus dem Hause.
Maria war sehr betrübt ob dieser Härte; doch
schritt sie mutig durch die Felder und Wiesen, und
dachte: es wird dich schon jemand als Magd aufnehmen,
und vielleicht sind fremde Menschen gütiger als
die eigene Mutter. Als sie Hunger fühlte, setzte sie
sich in's Gras nieder, zog ihren Aschenkuchen hervor
und trank aus ihrem Krüglein, und viele Vöglein flatterten
herbei, pickten an ihrem Kuchen, und sie goß
Wasser in ihre Hand und ließ die munteren Vöglein
trinken. Und da verwandelte sich unvermerkt ihr
Aschenkuchen in eine Torte, ihr Wasser in köstlichen
Wein. Gestärkt und freudig zog die arme Maria weiter,
und kam, als es dunkel wurde, an ein seltsam gebautes
Haus, davor waren zwei Tore, eins sah pechschwarz
aus, das andere glänzte von purem Gold. Bescheiden
ging Maria durch das minder schöne Tor in
den Hof und klopfte an die Haustüre. Ein Mann von
schreckbar wildem Ansehen tat die Türe auf und fragte
barsch nach ihrem Begehren. Sie sprach zitternd:
»Ich wollte nur fragen, ob Ihr nicht so gütig sein
möchtet, mich über Nacht zu beherbergen?« und der
Mann brummte: »Komm herein!« Sie folgte ihm, und
bebte noch mehr zusammen, als sie drinnen im Zimmer
nichts weiter sah und hörte als Hunde und Katzen,
und deren abscheuliches Geheul. Es war außer
dem wilden Thürschemann (so hieß dieser Mensch)
niemand weiter in dem ganzen Hause.
Nun brummte der Thürschemann der Maria zu:
»Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden
und Katzen?« Maria sprach: »Bei Hunden und Katzen.
« Da mußte sie aber gerade neben ihm schlafen,
und er gab ihr ein schönes weiches Bette, daß Maria
ganz herrlich und ruhig schlief. Am Morgen brummte
Thürschemann: »Mit wem willst du frühstücken, mit
mir oder mit Hunden und Katzen?« Sie sprach: »Mit
Hunden und Katzen.« Da mußte sie mit ihm trinken,
Kaffee und süßen Rahm. Wie Maria fortgehen wollte,
brummte Thürschemann abermals: »Zu welchem Tor
willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?«
und sie sprach: »Zum Pechtor.« Da mußte sie durchs
goldene gehen, und wie sie durchging, saß Thürschemann
oben darauf und schüttelte so derb, daß das Tor
erzitterte und daß Maria ganz von Gold überdeckt
war, das von dem Goldtore auf sie herabfiel.
Nun ging sie wieder heim, und ins elterliche Haus
eintretend kamen ihre Hühner, die sie sonst immer gefüttert,
ihr freudig entgegen geflogen und gelaufen,
und der Hahn schrie: »Kikiriki, da kommt die Goldmarie!
Kikiriki!« Und ihre Mutter kam die Treppe
herunter und knixte so ehrfurchtsvoll vor der goldenen
Dame, als wenn es eine Prinzessin wäre, die ihr die
Ehre ihres Besuches schenkte. Aber Maria sprach:
»Liebe Mutter, kennst du mich denn nicht mehr? Ich
bin ja die Maria.«
Jetzt kam auch die Schwester ganz erstaunt und
verwundert, wie die Mutter, und beide voll Neides,
und Maria mußte erzählen, wie wunderbar es ihr ergangen,
und wie sie zu dem Golde gekommen war.
Nun nahm sie ihre Mutter wohl auf, und hielt sie
auch besser wie zuvor, und Maria wurde von jedermann
geehrt und geliebt; bald fand sich auch ein braver
junger Mann, der Marien als Gattin heimführte
und glücklich mit ihr lebte.
Der andern Maria aber wuchs der Neid im Herzen,
und sie beschloß, auch fortzugehen und übergoldet
wiederzukommen. Ihre Mutter gab ihr süßen Kuchen
und Wein mit auf die Reise, und wie Maria davon aß
und Vöglein geflogen kamen, um auch mit zu
schmausen, jagte sie dieselben ärgerlich fort. Ihr Kuchen
aber verwandelte sich unvermerkt in Asche, und
ihr Wein in mattes Wasser. Am Abend kam Maria
ebenfalls an Thürschemanns Tore; sie ging stolz zu
dem goldenen hinein, und klopfte dann an die Haustüre.
Wie Thürschemann auftat und nach ihrem Begehren
fragte, sagte sie schnippisch: »Nun, ich will
hier übernachten.« Und er brummte: »Komm herein!«
Dann fragte er auch sie: »Bei wem willst du schlafen,
bei mir oder bei Hunden und Katzen?« Sie sagte
schnell: »Bei Euch, Herr Thürschemann!« Aber er
führte sie in die Stube, wo Hunde und Katzen schliefen
und schloß sie hinein. Am Morgen war Mariens
Angesicht häßlich zerkratzt und zerbissen. Thürschemann
brummte wieder: »Mit wem willst du Kaffee
trinken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?« »Ei,
mit Euch«, sagte sie, und mußte nun gerade wieder
mit Katzen und Hunden trinken. Nun wollte sie fort.
Thürschemann brummte abermals: »Zu welchem Tor
willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?«
und sie sagte: »Zum Goldtor, das versteht sich!« Aber
dieses wurde sogleich verschlossen und sie mußte
zum Pechtor hinaus, und Thürschemann saß obendrauf,
rüttelte und schüttelte, daß das Tor wackelte
und da fiel so viel Pech auf Marien herunter, daß sie
über und über voll wurde.
Als nun Maria voll Wut ob ihres häßlichen Ansehens
nach Hause kam, krähte der Gluckhahn ihr entgegen:
»Kikiriki, da kommt die Pechmarie! Kikiriki!«
Und ihre Mutter wandte sich voll Abscheu von ihr,
und konnte nun ihre häßliche Tochter nicht vor Leuten
sehen lassen, die hart gestraft blieb, darum, daß
sie so auf Golderpicht gewesen.
Gevatter Tod
Es lebte einmal ein sehr armer Mann, hieß Klaus,
dem hatte Gott eine Fülle Reichtum beschert, der ihm
große Sorge machte, nämlich zwölf Kinder, und über
ein kleines so kam noch ein Kleines, das war das dreizehnte
Kind. Da wußte der arme Mann seiner Sorge
keinen Rat, wo er doch einen Paten hernehmen sollte,
denn seine ganze Sipp- und Magschaft hatte ihm
schon Kinder aus der Taufe gehoben, und er durfte
nicht hoffen, noch unter seinen Freunden eine mitleidige
Seele zu finden, die ihm sein jüngstgebornes
Kindlein hebe. Gedachte also an den ersten besten
wildfremden Menschen sich zu wenden, zumal manche
seiner Bekannten ihn in ähnlichen Fällen schon
mit vieler Hartherzigkeit abschläglich beschieden hatten.
Der arme Kindesvater ging also auf die Landstraße
hinaus, willens, dem ersten ihm Begegnenden die Patenstelle
seines Kindleins anzutragen. Und siehe, ihm
begegnete bald ein gar freundlicher Mann, stattlichen
Aussehens, wohlgestaltet, nicht alt nicht jung, mild
und gütig von Angesicht, und da kam es dem Armen
vor, als neigten sich vor jenem Manne die Bäume und
Blümlein und alle Gras- und Getreidehalme. Da
dünkte dem Klaus, das müsse der liebe Gott sein,
nahm seine schlechte Mütze ab, faltete die Hände und
betete ein Vater Unser. Und es war auch der liebe
Gott, der wußte, was Klaus wollte, ehe er noch bat,
und sprach: »Du suchst einen Paten für dein Kindlein!
Wohlan, ich will es dir heben, ich, der liebe Gott!«
»Du bist allzugütig, lieber Gott!« antwortete Klaus
verzagt. »Aber ich danke dir; du gibst denen, welche
haben, einem Güter, dem andern Kinder, so fehlt es
oft beiden am Besten, und der Reiche schwelgt, der
Arme hungert!« Auf diese Rede wandte sich der Herr
und ward nicht mehr gesehen. Klaus ging weiter, und
wie er eine Strecke gegangen war, kam ein Kerl auf
ihn zu, der sah nicht nur aus, wie der Teufel, sondern
war's auch, und fragte Klaus, wen er suche? – Er
suche einen Paten für sein Kindlein. – »Ei da nimm
mich, ich mach es reich!« – »Wer bist du!« fragte
Klaus. »Ich bin der Teufel« – »Das wär der Teufel!«
rief Klaus, und maß den Mann vom Horn bis zum
Pferdefuß. Dann sagte er: »Mit Verlaub, geh heim zu
dir und zu deiner Großmutter; dich mag ich nicht zum
Gevatter, du bist der Allerböseste! Gott sei bei uns!«
Da drehte sich der Teufel herum, zeigte dem Klaus
eine abscheuliche Fratze, füllte die Luft mit Schwefelgestank
und fuhr von dannen. Hierauf begegnete dem
Kindesvater abermals ein Mann, der war spindeldürr,
wie eine Hopfenstange, so dürr, daß er klapperte; der
fragte auch: »Wen suchst du?« und bot sich zum
Paten des Kindes an. »Wer bist du?« fragte Klaus.
»Ich bin der Tod!« sprach jener mit ganz heiserer
Summe. – Da war der Klaus zum Tod erschrocken,
doch faßte er sich Mut, dachte: bei dem wär mein
dreizehntes Söhnlein am besten aufgehoben, und
sprach: »du bist der Rechte! Arm oder reich, du
machst es gleich. Topp! Du sollst mein Gevattersmann
sein! Stell dich nur ein zu rechter Zeit, am
Sonntag soll die Taufe sein.«
Und am Sonntag kam richtig der Tod, und ward ein
ordentlicher Dot, das ist Taufpat des Kleinen, und der
Junge wuchs und gedieh ganz fröhlich. Als er nun zu
den Jahren gekommen war, wo der Mensch etwas erlernen
muß, daß er künftighin sein Brot erwerbe, kam
zu der Zeit der Pate und hieß ihn mit sich gehen in
einen finsteren Wald. Da standen allerlei Kräuter, und
der Tod sprach: »Jetzt, mein Pat, sollt du dein Patengeschenk
von mir empfahen. Du sollt ein Doktor über
alle Doktoren werden durch das rechte wahre Heilkraut,
das ich dir jetzt in die Hand gebe. Doch merke,
was ich dir sage. Wenn man dich zu einem Kranken
beruft, so wirst du meine Gestalt jedesmal erblicken.
Stehe ich zu Häupten des Kranken, so darfst du
versichern, daß du ihn gesund machen wollest, und
ihn von dem Kraute eingeben; wenn er aber Erde
kauen muß, so stehe ich zu des Kranken Füßen; dann
sage nur: Hier kann kein Arzt der Welt helfen und
auch ich nicht. Und brauche ja nicht das Heilkraut
gegen meinen mächtigen Willen, so würde es dir übel
ergehen!«
Damit ging der Tod von hinnen und der junge
Mensch auf die Wanderung und es dauerte gar nicht
lange, so ging der Ruf vor ihm her und der Ruhm,
dieser sei der größte Arzt auf Erden, denn er sahe es
gleich den Kranken an, ob sie leben oder sterben würden.
Und so war es auch. Wenn dieser Arzt den Tod
zu des Kranken Füßen erblickte, so seufzte er, und
sprach ein Gebet für die Seele des Abscheidenden; erblickte
er aber des Todes Gestalt zu Häupten, so gab
er ihm einige Tropfen, die er aus dem Heilkraut preßte,
und die Kranken genasen. Da mehrte sich sein
Ruhm von Tage zu Tage.
Nun geschah es, daß der Wunderarzt in ein Land
kam, dessen König schwer erkrankt darnieder lag,
und die Hofärzte gaben keine Hoffnung mehr seines
Aufkommens. Weil aber die Könige am wenigsten
gern sterben, so hoffte der alte König noch ein Wunder
zu erleben, nämlich daß der Wunderdoktor ihn gesund
mache, ließ diesen berufen und versprach ihm
den höchsten Lohn. Der König hatte aber eine Tochter,
die war so schön und so gut, wie ein Engel.
Als der Arzt in das Gemach des Königs kam, sah
er zwei Gestalten an dessen Lager stehen, zu Häupten
die schöne weinende Königstochter, und zu Füßen
den kalten Tod. Und die Königstochter flehte ihn so
rührend an, den geliebten Vater zu retten, aber die
Gestalt des finstern Paten wich und wankte nicht. Da
sann der Doktor auf eine List. Er ließ von raschen
Dienern das Bette des Königs schnell umdrehen, und
gab ihm geschwind einen Tropfen vom Heilkraut,
also daß der Tod betrogen war, und der König gerettet.
Der Tod wich erzürnt von hinnen, erhob aber drohend
den langen knöchernen Zeigefinger gegen seinen
Paten.
Dieser war in Liebe entbrannt gegen die reizende
Königstochter, und sie schenkte ihm ihr Herz aus inniger
Dankbarkeit. Aber bald darauf erkrankte sie
schwer und heftig, und der König, der sie über alles
liebte, ließ bekannt machen, welcher Arzt sie gesund
mache, der solle ihr Gemahl und hernach König werden.
Da flammte eine hohe Hoffnung durch des Jünglings
Herz, und er eilte zu der Kranken – aber zu
ihren Füßen stand der Tod. Vergebens warf der Arzt
seinem Paten flehende Blicke zu, daß er seine Stelle
verändern und ein wenig weiter hinauf, wo möglich
bis zu Häupten der Kranken treten möge. Der Tod
wich nicht von der Stelle, und die Kranke schien im
Verscheiden, doch sah sie den Jüngling um ihr Leben
flehend an. Da übte des Todes Pate noch einmal seine
List, ließ das Lager der Königstochter schnell umdrehen,
und gab ihr geschwind einige Tropfen vom Heil-
kraut, so daß sie wieder auflebte, und den Geliebten
dankbar anlächelte. Aber der Tod warf seinen tödlichen
Haß auf den Jüngling, faßte ihn an mit eiserner
eiskalter Hand und führte ihn von dannen, in eine
weite unterirdische Höhle. In der Höhle da brannten
viele tausend Kerzen, große und halbgroße und kleine
und ganz kleine; viele verloschen und andere entzündeten
sich, und der Tod sprach zu seinem Paten:
»Siehe, hier brennt eines jeden Menschen Lebenslicht;
die großen sind den Kindern, die halbgroßen
sind den Leuten, die in den besten Jahren stehen, die
kleinen den Alten und Greisen, aber auch Kinder und
Junge haben oft nur ein kleines bald verlöschendes
Lebenslicht.«
»Zeige mir doch das meine!« bat der Arzt den Tod,
da zeigte dieser auf ein ganz kleines Stümpchen, das
bald zu erlöschen drohte. »Ach liebster Pate!« bat der
Jüngling: »wolle mir es doch erneuen, damit ich
meine schöne Braut, die Königstochter, freien, ihr Gemahl
und König werden kann!« – »Das geht nicht« –
versetzte kalt der Tod. »Erst muß eins ganz ausbrennen,
ehe ein neues auf- und angesteckt wird.« –
»So setze doch gleich das alte auf ein neues!«
sprach der Arzt – und der Tod sprach: »Ich will so
tun!« Nahm ein langes Licht, tat als wollte er es aufstecken,
versah es aber absichtlich und stieß das kleine
um, daß es erlosch. In demselben Augenblick sank
der Arzt um und war tot.
Wider den Tod kein Kraut gewachsen ist.
Hirsedieb
In einer Stadt wohnte ein sehr reicher Kaufmann, der
hatte am Haus einen großen und prächtigen Garten, in
dem auch ein Stück Land mit Hirse besäet war. Da
nun dieser Kaufmann einmal in seinem Garten herumspazierte
– es war zur Frühjahrszeit, und der Same
stand frisch und kräftig – so sah er zu seinem größten
Ärger und Verdruß, daß verwichene Nacht von frecher
Diebeshand ein Teil von seinem Hirsesamen abgegrast
worden war, und gerade dieses Gartenäckerlein,
darauf er alle Jahre Hirse hinsäete, war ihm ganz
besonders lieb, wie manchmal die Menschen eine ausschließliche
Vorliebe für eine Sache haben. Er beschloß,
den Dieb zu fangen und dann nachdrücklich
zu strafen, oder dem Gericht zu übergeben. Daher er
seine drei Söhne, Michel, Georg und Johannes zu sich
rief, und sprach: »Heute Nacht war ein Dieb in unserm
Garten und hat mir einen Teil Hirsesamen abgegrast,
was mich höchlich ärgert. Dieser Frevler muß
gefangen werden, und soll mir büßen! Ihr, meine
Söhne, mögt nun wachen die Nächte hindurch, einer
um den andern, und welcher den Dieb fängt, soll von
mir eine stattliche Belohnung bekommen.« Der Älteste,
Michel, wachte die erste Nacht; er nahm sich etliche
geladene Pistolen und einen scharfen Säbel, auch
zu essen und zu trinken mit, hüllte sich in einen warmen
Mantel und setzte sich hinter einen blühenden
Holunderbusch, hinter dem er bald hart und fest einschlief.
Wie er am hellen Morgen erwachte, war ein
noch größeres Stück Hirsesamen abgegrast, als in voriger
Nacht. Und wie nun der Kaufmann in den Garten
kam, und das sahe und merkte, daß sein Sohn, anstatt
zu wachen und den Dieb zu fangen, geschlafen
hatte, ward er noch ärgerlicher, und schalt und höhnte
ihn als einen braven Wächter, der ihm samt seinen Pistolen
und Säbel selbst gestohlen werden könne!
Die andre Nacht wachte Georg; dieser nahm sich
nebst den Waffen, die sein Bruder vorige Nacht bei
sich geführt, auch noch einen Knittel und starke Strikke
mit. Aber der gute Wächter Georg schlief ebenfalls
ein, und fand am Morgen, daß der Hirsedieb wieder
tüchtig gegraset hatte. Der Vater ward ganz wild, und
sagte: »Wenn der dritte Wächter ausgeschlafen hat,
wird die Hirsesaat vollends zum Kuckuck sein, und es
wird dann keines Wächters mehr bedürfen!«
Die dritte Nacht kam nun an Johannes die Reihe.
Dieser nahm trotz allem Zureden keine Waffen mit;
doch hatte er sich im geheimen mit recht probaten
Waffen gegen den Schlaf versehen; er hatte sich Disteln
und Dornen gesucht, und diese, als er sich
abends in den Garten an seinen Wächterplatz verfügt,
vor sich aufgebaut. Wenn er nun einnicken wollte,
stieß er allemal mit der Nase an die Stacheln, und
wurde gleich wieder munter. Als die Mitternacht herbeikam,
hörte er ein Getrappel, es kam näher und
näher, machte sich in den Hirsesamen und da hörte
Johannes ein recht fleißiges Abraufen. Halt, dachte er,
da hab ich dich! und er zog einen Strick aus der Tasche,
schob leise die Dornen zurück und schlich dem
Dieb vorsichtig näher. Als er hinzukam – wer hätte
sich das vermutet? – war der Dieb – ein allerliebstes
kleines Pferdchen. Johannes war innerlich erfreut;
hatte auch mit dem Einfangen gar keine Mühe; das
Tierchen folgte ihm willig zum Stall, den Johannes
fest verschloß. Und nun konnte er noch ganz gemach
in seinem Bette ausschlafen. Früh, als seine Brüder
aufstiegen und hinunter in den Garten gehen wollten,
sahen sie mit Staunen, daß Johannes in seinem Bette
lag und schlief. Da weckten sie ihn, und höhnten ihn
mit allerlei Neckreden, daß er der beste Wächter sei,
da er sogar nicht einmal die Nacht ausgehalten habe
auf seiner Wache. Aber Johannes sagte: »Seid ihr nur
ganz stille, ich will euch den Hirsedieb schon zeigen.
« Und sein Vater und seine Brüder mußten ihm
zum Stalle folgen, wo das wunderseltsame Pferdlein
stand, von dem niemand zu sagen wußte, woher es gekommen
und wem es zugehöre. Es war allerliebst anzusehen,
von zartem und schlankem Bau, und dazu
ganz silberweiß. Da hatte der Kaufmann eine große
Freude und schenkte seinem wackern Johannes das
Pferdchen als Belohnung, der nahm es freudig an und
nannte es Hirsedieb.
Bald vernahmen die Brüder, daß eine schöne Prinzessin
verzaubert wäre im Schloß, das auf dem gläsernen
Berge stehe, zu welchem niemand wegen der großen
Glätte emporklimmen könne. Wer aber glücklich
hinauf und dreimal um das Schloß herumreite, der erlöse
die schöne Prinzessin, und bekomme sie zur Gemahlin.
Gar unendlich viele hätten schon den Bergritt
probiert, wären aber alle wieder herabgestürzt und
lägen tot umher.
Diese Wundermär erscholl durchs ganze Land, und
auch die drei Brüder bekamen Lust, ihr Glück zu versuchen,
nach dem gläsernen Berg zu reiten, und – wo
möglich die schöne Prinzessin zu gewinnen. Michel
und Georg kauften sich junge, starke Pferde, deren
Hufeisen sie tüchtig schärfen ließen, und Johannes
sattelte seinen kleinen Hirsedieb, und so ging es aus
zum Glücksritt. Bald erreichten sie den gläsernen
Berg, der Älteste ritt zuerst, aber ach – sein Roß glitt
aus, stürzte mit ihm nieder und beide, Roß und Mann,
vergaßen das Wiederaufstehen. Der zweite ritt, aber
ach – sein Roß glitt aus, stürzte mit ihm nieder, und
beide, Mann und Roß, vergaßen auch das Aufstehen.
Nun ritt Johannes, und es ging trapp trapp trapp trapp
trapp – droben waren sie, und wieder trapp trapp
trapp trapp trapp und sie waren dreimal ums Schloß
herum, als wenn Hirsedieb schon hundertmal diesen
gefährlichen Weg gelaufen wäre. Nun standen sie vor
der Schloßtüre; diese ging auf, und es trat die reizendschöne
Prinzessin heraus; sie war ganz in Seide und
Gold gekleidet, und breitete freudig die Arme gegen
Johannes aus. Und derselbe stieg schnell vom Pferdlein
und eilte die holde Prinzessin, und somit sein
ganzes überaus großes Glück zu umfangen.
Und die Prinzessin wandte sich zum Pferdlein,
liebkosete dasselbe und sprach: »Ei, du kleiner
Schelm, warum warst du mir denn entlaufen, daß ich
nicht mehr die einzige Nachtstunde, die mir vergönnet
war, unten auf der grünen Erde zu weilen, genießen
konnte, da du mich nicht mehr den gläsernen Berg
hinunter- und wieder herauftrugst? Nun darfst du uns
nimmermehr verlassen.« – Und da ward Johannes gewahr,
daß sein Hirsediebchen das Zauberpferdlein
seiner himmelschönen Prinzessin war. Seine Brüder
kamen wieder auf von ihrem Fall, Johannes aber
sahen sie nicht wieder, denn der lebte glücklich und
allen Erdensorgen entrückt, mit seinem Engel im Zauberschloß
auf dem gläsernen Berge, aber auch zu diesem
Berge fand kein Menschenkind mehr den Weg,
weil der Zauber gelöst und die Prinzessin von ihrem
Bann befreit worden war, durch ihr kluges Rößlein,
das den rechten Befreier und Gemahl ihr zugetragen.
Der goldne Rehbock
Es waren einmal zwei arme Geschwister, ein Knabe
und ein Mädchen, das Mädchen hieß Margarete, der
Knabe hieß Hans. Ihre Eltern waren gestorben, hatten
ihnen auch gar kein Eigentum hinterlassen, daher sie
ausgehen mußten, um durch Betteln sich fortzubringen.
Zur Arbeit waren beide noch zu schwach und
klein; denn Hänschen zählte erst zwölf Jahre und
Gretchen war noch jünger. Des Abends gingen sie
vors erste beste Haus, klopften an und baten um ein
Nachtquartier, und vielmal waren sie schon von guten
mildtätigen Menschen aufgenommen, gespeiset und
getränket worden; auch hatte mancher und manche
Barmherzige ihnen ein Kleidungsstückchen zugeworfen.
So kamen sie einmal des Abends vor ein Häuschen,
welches einzeln stand; da klopften sie ans Fenster,
und als gleich darauf eine alte Frau heraussah, fragten
sie diese, ob sie hier nicht über Nacht bleiben dürften?
Die Antwort war: »Meinetwegen, kommt nur
herein!« Aber wie sie eintraten, sprach die Frau: »Ich
will euch wohl über Nacht behalten, aber wenn es
mein Mann gewahr wird, so seid ihr verloren; denn er
isset gern einen jungen Menschenbraten, daher er alle
Kinder schlachtet, die ihm vor die Hand kommen!«
Da wurde den Kindern sehr angst; doch konnten sie
nunmehr nicht weiter, es war schon ganz dunkle
Nacht geworden. So ließen sie sich gutwillig von der
Frau in ein Faß verstecken und verhielten sich ruhig.
Einschlafen konnten sie aber lange nicht, zumal, da
sie nach einer Stunde die schweren Tritte eines Mannes
vernahmen, der wahrscheinlich der Menschenfresser
war. Des wurden sie bald gewiß, denn jetzt fing er
an mit brüllender Stimme auf seine Frau zu zanken,
daß sie keinen Menschenbraten für ihn zugerichtet.
Am Morgen verließ er das Haus wieder, und tappte so
laut, daß die Kinder, die endlich doch eingeschlummert
waren, darüber erwachten.
Als sie von der Frau etwas zu frühstücken bekommen
hatten, sagte diese, »Ihr Kinder müßt nun auch
etwas tun, da habt ihr zwei Besen, geht oben hinauf
und kehrt mir meine Stuben aus, deren sind zwölf,
aber ihr kehret davon nur elf, die zwölfte dürft ihr
ums Himmelswillen nicht aufmachen. Ich will derzeit
einen Ausgang tun. Seid fleißig, daß ihr fertig seid,
wenn ich wieder komme.« Die Kinder kehrten sehr
emsig, und bald waren sie fertig. Nun mochte Gretchen
doch gar zu gerne wissen, was in der zwölften
Stube wäre, das sie nicht sehen sollten, weil ihnen
verboten war, die Stube zu öffnen. Sie guckte ein
wenig durchs Schlüsselloch, und sah da einen herrlichen
kleinen goldenen Wagen, mit einem goldenen
Rehbock bespannt. Geschwind rief sie Hänschen herbei,
daß er auch hinein gucken sollte. Und als sie sich
erst tüchtig umgesehen, ob die Frau nicht heimkehre,
und da von dieser nichts zu sehen war, schlossen sie
schnell die Türe auf, zogen den Wagen samt Rehbock
heraus, setzten drunten sich hinein in den Wagen und
fuhren auf und davon. Aber nicht lange, so sahen sie
von weitem die alte Frau und auch den Menschenfresser
sich entgegen kommen, gerade des Wegs, den sie
mit dem geraubten Wagen eingeschlagen hatten.
Hänslein sprach: »Ach, Schwester, was machen wir?
Wenn uns die beiden Alten entdecken, sind wir verloren.
« »Still!« sprach Gretchen, »ich weiß ein kräftiges
Zaubersprüchlein, welches ich noch von unsrer Großmutter
gelernt habe:
Rosenrote Rose sticht;
Siehst du mich, so sieh mich nicht!«
und alsbald waren sie verwandelt in einen Rosenstrauch.
Gretchen wurde zur Rose, Hänslein zu Dornen,
der Rehbock zum Stiele, der Wagen zu Blättern.
Nun kamen beide, der Menschenfresser und seine
Frau, daher gegangen und letztere wollte sich die
schöne Rose abbrechen, aber sie stach sich so sehr,
daß ihre Finger bluteten, und sie ärgerlich davon ging.
Wie die Alten fort waren, machten sich die Kinder
eilig auf, und fuhren weiter und kamen bald an einen
Backofen der voll Brot stund. Da hörten sie aus demselben
eine hohle Stimme rufen: »Rückt mir mein
Brot, rückt mir mein Brot.« Schnell rückte Gretchen
das Brot und tat es in ihren Wagen, worauf sie weiter
fuhren. Da kamen sie an einen großen Birnbaum, der
voll reifer schöner Früchte hing, aus diesem tönte es
wieder: »Schüttelt mir meine Birnen, schüttelt mir
meine Birnen!« Gretchen schüttelte sogleich, und
Hänschen half gar fleißig auflesen, und die Birnen in
den goldenen Wagen schütten. Und wieder kamen sie
an einen Weinstock, der rief mit angenehmer Stimme:
»Pflückt mir meine Trauben, pflückt mir meine Trauben!
« Gretchen pflückte auch diese und packte sie in
ihren Wagen.
Unterdessen aber waren der Menschenfresser und
seine Frau daheim angelangt, und hatte mit Ingrimm
wahrgenommen, daß die Kinder ihren goldenen
Wagen samt Rehbock gestohlen, gerade wie diese
beiden ebenfalls vor langen Jahren Wagen und Rehbock
gestohlen, und noch dazu bei dem Diebstahl
auch einen Mord begangen hatten, nämlich den rechtmäßigen
Eigentümer erschlagen. Der mit dem Rehbock
bespannte Wagen war nicht nur an und für sich
von großem Wert, sondern er besaß auch noch die
vortreffliche Eigenschaft, daß, wo er hinkam, von
allen Seiten Gaben gespendet wurden, von Baum und
Beerstrauch, von Backofen und Weinstock. So hatten
denn die Leute, der Menschenfresser und seine Frau,
lange Jahre den Wagen, wenn auch auf unrechtmäßige
Weise, besessen, hatten sich gute Eßwaren spenden
lassen, und dabei herrlich und in Freuden gelebt. Da
sie nun sahen, daß sie ihres Wagens beraubt waren,
machten sie sich flugs auf, den Kindern nachzueilen
und ihnen die köstliche Beute wieder abzujagen.
Dabei wässerte dem Menschenfresser schon der Mund
nach Menschenbraten; denn die Kinder wollte er sogleich
fangen und schlachten. Mit weiten Schritten
eilten die beiden Alten den Kindern nach, und wurden
dieselben bald von ferne ansichtig, weil sie vorausfuhren.
Die Kinder kamen jetzt an einen großen
Teich, und konnten nicht weiter, auch war weder eine
Fähre, noch eine Brücke da, daß sie hinüber hätten
flüchten können. Nur viele Enten waren darauf zu
sehen, die lustig umher schwammen. Gretchen lockte
diese ans Ufer, warf ihnen Futter hin und sprach:
»Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen,
Macht mir ein Brückchen, daß ich hinüber kann
kommen!«
Da schwammen die Enten einträchtiglich zusammen,
bildeten eine Brücke und die Kinder samt Rehbock
und Wagen kamen glücklich ans andere Ufer. Aber
flugs hinterdrein kam auch der Menschenfresser, und
brummte mit häßlicher Stimme:
»Ihr Entchen, ihr Entchen, schwimmt zusammen,
Macht mir ein Brückchen, daß ich hinüber kann
kommen!«
Schnell schwammen die Entchen zusammen, und trugen
die beiden Alten hinüber – meint ihr? nein! in der
Mitte des Teiches, da das Wasser am tiefsten war,
schwammen die Entchen auseinander, und der böse
Menschenfresser nebst seiner Alten plumpten in die
Tiefe und kamen um. Und Hänschen und Gretchen
wurden sehr wohlhabende Leute, aber sie spendeten
auch von ihrem Segen den Armen viel und taten viel
Gutes, weil sie immer daran dachten, wie bitter es gewesen,
da sie noch arm waren und betteln gehen mußten.
Vom Zornbraten
Es war einmal ein Ritter, der hatte neben vielem Geld
und Gut ein böses Weib, das wußte er nimmer zu bemeistern,
und war schier auf Erden kein ärger Weib
zu finden. Er aber war ehrenhaft und sanften Muts.
Beide hatten eine einzige Tochter, und die erzog die
Mutter also in ihren eignen bösen Sitten und nach
ihrem Schlag, daß sie arg und karg, mückisch und
tückisch wurde. Gleichwohl hatte Gott das Maidlein
zu einer schönen Jungfrau gebildet, daß wer sie
schaute, dem deuchte sie ein Bild voll minniglicher
Güte, wer aber näher mit ihr bekannt wurde, der nahm
bald ihre Argheit wahr und mied sie gänzlich. Nun
war die Jungfrau achtzehn Jahre alt und hätte gern
einen Mann genommen, aber keiner kam, der ihrer begehrt
hätte.
Das bekümmerte den Vater mächtiglich, und eines
Tages sprach er zu ihr: »Tochter, deiner Mutter Sitten
und ihr übler Rat machen, daß du ohne Mann bleibest,
oder aber, so einer dich nimmt, der nicht Lust
hat, wie ich, böse Weibertücken geduldig zu tragen,
so wirst du öfter geschlagen, als das Jahr Tage zählt,
und wird dich noch baß gereuen, daß du so in allen
Stücken deiner Mutter gefolgt bist und gefolgt hast.«
Das hörte die Tochter des frommen Ritters sehr un-
gern, und sprach zorniglich: »Ei, Herr Vater! Ihr
könnt viel reden, ehe mir eurer Worte auch nur eins
gefällt! Ihr habt meiner Mutter auch immer viel zu
viel gute Lehren gegeben, die sie Euch nicht danket.
Wißt Ihr was? Tut was Euch gut dünket, und lasset
mich gewähren. Denn wenn auch schon morgen ein
Freier käme, der mein begehrte, so wollte ich doch allezeit
in der Ehe das längere Messer tragen.«
»O meine Tochter!« antwortete der Rittersmann,
»das dünkt mich nicht gut, daß du solche Gedanken
hast. Du solltest doch darauf denken, besser zu sein,
wie deine arge Mutter, sonst könnte es wohl kommen,
daß du einen Mann bekämest, der so biderb und
fromm ist, daß er dich bezwingt, und du hernach mit
Scham, mit Schimpf und Schande nachgeben mußt.«
»Ei ja wohl!« antwortete die Tochter. »Eh der
Markt aus ist, gibt es noch mehr selben Kofents zu
kaufen!« und solche häßliche Spottreden mehr, die sie
dem Vater gab, so daß er zornig ausrief: »O du böse
Chriemhilt! So du deinem Vater nicht folgen willt, so
soll dir dein Rücken satt von Schlägen werden! Wer
immer dein begehre, er sei Ritter oder sei Knecht, der
soll dich haben, und soll dich ziehen nach seinem
Willen!«
»Oder ich ihn nach dem meinen!« erwiderte trotzig
die Tochter, und andere Reden mehr, bis dieser Wortwechsel
endete.
Nun saß etwa drei Meilen weit von der Burg dieses
guten Ritters ein anderer Rittersmann, der war reich
an Geld und Gut und hatte Freiersgedanken, war auch
hübsch vom Angesicht und höflich von Sitten, der
vernahm auf Fragen und Sagen, wie schön und wie
häßlich zugleich jenes Nachbarn Tochter sei, und
dachte: ich wag es frei, und wende ihr Gemüt zur Tugend,
und mache sie gut, wo nicht, so will ich sie
doch um ihrer Schöne wohl oder übel nehmen. Ritt
darauf mit seinen Gefreunden zum Vater der Maid
und bat ihn um seine Tochter. Dieser Rittersmann offenbarte
dem jungen Werber wie seine Tochter gesittet
sei, und jener sprach: »Ich hab es wohl vernommen,
aber gebt Ihr mir sie nur zum Weibe! Will Gott,
daß wir nur ein Jahr miteinander leben, so sollt Ihr
sehen, wie gut sie wird!« – Darauf antwortete der
künftige Schwäher: »Gott soll Euch behüten vor
ihrem Übelmut! Hütet Euch, denn wenn sie auf ihrer
Mutter Spur kommt, so lebt Ihr bei ihr, wie lang sie
lebe, nimmer einen guten Tag.« Der Freier beharrte
aber bei seinem Entschluß, und es ward ein Übereinkommen
getroffen und eine Eheberedung, daß der
junge Ritter, sobald er wieder käme, die Maid mit
sich nehmen und heimführen solle.
Die Mutter wußte von dieser Verhandlung weder
viel noch wenig, sondern gar nicht, daß die Tochter
einem Mann verlobt war, und als sie's nun erfuhr,
ward sie überaus zornig, rief die Tochter und sprach:
»Tochter, wisse, daß mein Fluch dich trifft, wenn du
nicht deinem Manne so widerstehst, wie deinem Vater
ich mit Krieg und harter Rede allezeit und an jedem
Ort. Höre, was ich dir ansage: Ich war ein kleines
Mägdelein, als ich zu deinem Vater kam, viel geringer
als du, denn du bist vollgewachsen. Drei Wochen
lang schlug mich alle Tage dein Vater, daß ich krank
wurde, und gab mir Wasser zur Labe, und doch hab
ich meinen Streit gewonnen und mein Recht bis da
immer behauptet!« »Mutter!« antwortete das feine
Töchterlein, »ich sage Euch, und sollt ich tausend
Jahre leben, so mache ich meinen Mann zum Affen.«
Inzwischen kam nun der Tag der Heimführung; da
kam der Ritter heran auf einem schönen Roß von
hohem Preis, führte auch mit sich ein schlankes
Windspiel und trug auf der Hand einen wohlgetanen
Falken, nahm die Maid in Empfang ohne weiteres und
setzte sie hinter sich auf sein Roß, entsandte seine
Diener alle, daß ihrer keiner mit den zweien ritt, und
nahm gleich Urlaub vom Vater seiner Braut. Der
sprach zum Abschied ein bewegliches Wort: »Gottes
Güte sei mit dir, o Tochter! Er gebe dir Ruhe im
Glück und ein friedlicheres Herz, als ich an meiner
Frau erfunden habe!«
Kaum war diese Rede gesprochen, so schlug die
Mutter einen Lärmen auf und schrie der Tochter nach:
»Vernimm auch mein Wort! Du sollst alle deine Lebetage
deinem Mann untertan sein, so, wie ich dich
gelehret habe!« und die Tochter rief zurück: »Wohl,
meine Mutter, so soll es geschehen nach deiner
Lehre.«
So ritten nun die beiden ganz allein miteinander
hin, aber der Ritter vermied die Straße, um der Braut
Argheit willen, und ritt einen unbequemen, steilen
und engen Seitenweg, wohl einer Meile lang, doch ritt
er rasch, daß er in kurzer Zeit eine halbe Meile zurücklegte
auf dem rauhen, ungebahnten Steinpfad. Da
kamen sie an einen umbuschten Werder und der Falke
begann nach seiner Art mit den Flügeln zu schlagen
und von der Hand zu begehren, weil er auf Reiher stoßen
wollte. Sprach der Ritter: »Mit deinem Federschlagen
laß es gut sein, oder ich reiße dir den Kopf
ab.« Bald darauf sah der Falke eine Krähe fliegen, der
wollte er nach; da sprach wiederum der Ritter: »Du
bist betrogen, wenn du nach Ungemach strebst und
nicht gern in Ruhe dich hältst, und so will ich dir
gleich dein Recht tun. Stirb, da du nicht meinen Willen
halten willst!« Und er erwürgte den Falken, wie
ein Huhn.
Die Maid erschrak ob dieser Rede und der tötlichen
Tat und begann den Ritter zu fürchten. Nun wurde der
Pfad immer enger, steiniger und dorniger, und dem
Windspiel schmerzten die Füße, und es vermochte
nicht mehr, sich wie vor an des Pferdes Seite zu halten.
Der Ritter, der es an einem Riemen führte, mußte
es immer nachziehen, das war dem Ritter ungelegen,
und er schalt das Windspiel: »Du böser Hofwart, hab
acht, es kommt dir zum Unheil, daß du mir den Arm
so zerziehst!« Der arme Hund vermochte aber nicht
zu folgen, und da zog der Ritter sein Schwert und
hieb ihn tot.
Die Maid unterdrückte einen Schrei des Unwillens,
aber das Herz in der Brust erschrak ihr, es ward ihr
weh zu Mute, und sie dachte: Herr Gott, welch ein
Wüterich ist dieser Mann! brachte mich denn der Teufel
zu ihm! – Der Ritter aber behielt das Schwert
blank in der Hand und begann nun mit seinem Roß zu
schelten: »Was schnaubst du? Warum gehst du nicht
Paß oder Trab? Du willst wohl nur auf ebnem Plan
gehen? Du mußt sterben!« Da nun das arme Roß
nicht Paß traben konnte, welcher Gang ihm nie gelehrt
worden war, so sprach der Ritter: »Frau, steiget
ab!« Sie sprach: »Ich tue, was Ihr mich heißt.« Darauf
stieg der Ritter auch ab, und hieb dem Pferd das
Haupt vom Rumpfe, sprechend: »Wärest du nach
meinem Sinn gegangen, so wäre dir nicht der Tod geworden.
Frau, dies ist geschehen, wie Ihr seht. Mir
war das Pferd gar unlieb geworden, wie auch Windspiel
und Falke. Nun aber ist mir ein ungewohnt und
beschwerlich Ding, zu Fuße zu gehn, und ich habe
des keine Übung. Ich werde nun Euch reiten!« und
damit begann er, ihr Riemen und Bande anzulegen
und auch den Sattel wollte er ihr aufschnallen. Sie
sprach: »Herr, ich trüge schon genug an Euch, lasset
den Sattel und die Seile, viel herzlieber Herre mein,
ich trage Euch ja sanfter und besser ohne ihn.«
»Ei, Frau, wie stände mir das an, daß ich Euch ritte
ohne Sattel und Zeug?« fragte der Ritter heftig. »Ihr
habt böse Sitte, daß Ihr gegen meinen Willen zu
reden Euch erkühnet!« Und da ließ sie sich gefallen,
daß er zur Stund sie sattelte und aufzäumte, wie ein
Roß, und ihr Zaum und Gebiß in den Mund legte, und
gab ihr die Steigbügel in die Hände, die stramm zu
halten, saß dann auf, und ritt sie so eine kleine Weile,
etwa dreier Speerlängen weit, bis ihr die Ohnmacht
zuging von der schweren Last.
Da stieg der Ritter von ihr ab und sprach: »Frau,
schnappt Ihr nach Luft?« – »O nein, Herr!« antwortete
sie. Weiter sprach er: »Das ist ein schönes Feld, da
könnt Ihr nun im Zelt (Schritt) gehen.« Sie sprach,
indem sie auf Händen und Füßen weiter kroch: »Ich
will es gern tun. Auf meines Vaters Hofe laufen viele
Pferde, denen hab ich Zeltgang abgelernt.«
»So wollt Ihr alles tun, was ich will?« fragte der
Ritter, und sie gegenredete: »Und wenn ich tausend
Jahre leben sollte, so wollte ich tun, was Euch lieb
ist!« Da hieß er sie aufstehn, und nahm sie schön an
der Hand, und führte sie sittsamlich heim in sein
Schloß, wo seine Freunde versammelt waren, die
grüßten sie ehrfurchtsvoll und geleiteten sie in ihr
Zimmer. Das geschah mit großen Freuden, und die
Frau war das allerliebste Weib, ehrbar und wohlgezogen,
ohne List und Trug, treu, ruhig, mild, keine Tugend
fehlte ihr. Ihre Gäste empfing sie freundlich und
fröhlich, und ohne Haß und Unwillen erfüllte sie, wie
ein biederes Weib tun soll, die Wünsche ihres Eheherrn.
Als nun sechs Wochen vergangen waren, fuhren
der jungen Frau Vater und Mutter zu ihrer Tochter
hin, zu sehn, wie es ihr ergehe und wie sie sich gehabe.
Bald genug erfuhr die Mutter, was geschehen war,
und wie ihre Tochter ihrem Manne gehorsamte, als sie
diese zornig schalt und ihr zurief: »O über dich unseliges
Weib! Was ich sehen und hören muß, läßt mich
zweifeln, daß du mein Kind bist. Was? Du lässest
deinen Mann deinen Meister sein?« Und dabei schlug
die böse Mutter die Tochter ins Gesicht und wo sie
sonst hinkam, und fiel ihr in die Haare und raufte sie,
schlug und schalt und trieb einen schrecklichen
Unfug. Die junge Frau weinte und schrie: »Seid Ihr
hergekommen zu schelten, so wartet doch, bis Ihr des
Ursach findet! Ich habe den allerbesten Mann, und er
ist gut und bieder, wer aber seinen Willen nicht tut,
dem geht er in seinem Zorn gleich ans Leben. Darum,
Mutter, habt weisen Sinn und hütet Euch, Arges
wider ihn zu sprechen, denn er ist so zornmütig, daß
er alles, was seinem Willen entgegen ist, im Zorn
richtet und vernichtet.«
»Hoho! Morgen ist auch noch ein Tag!« höhnte die
Mutter. »Wie schlimm dein Mann sei, das macht mir
den geringsten Kummer! Nicht ein Haar stark acht ich
seiner! Du alberne Trine! Dir muß der Teufel durchs
Hirn fahren, daß du wagst, mir, deiner Mutter, mit
deinem Mann zu dräuen!«
»Mutter, ich dräue Euch ja nicht!« verteidigte die
Tochter sich. »Ich sage Euch ja nur die Wahrheit; ich
darf Euch doch wohl raten, meinen Mann baß zu grüßen,
denn wolltet Ihr ihm tun, wie meinem Vater, so
zerbläut er Euch den Rücken, und obschon Ihr nicht
viel Haares mehr habt, ist's dessen noch genug, daß
er's Euch ausreißt!«
»Das wäre ein Hauptwerk!« erwiderte böse die
Mutter. »Ich fürcht ihn nicht, und wenn er so groß wie
ein Berg wäre; nicht mehr und nicht weniger fürcht
ich ihn, wie deinen Vater! Was hat der ausgerichtet
mit mir nun die zwanzig Jahre? Noch heute geb ich
ihm um kein Haar breit nach!«
Während dieser Schalkrede der ältern Frau standen
der Schwäher und der Tochtermann an einer heimlichen
Stelle, wo sie jedes Wort hörten und der Alte
sprach leise zu seinem Schwiegersohn: »Ich bin in-
niglich froh, daß Ihr meiner Tochter starren Sinn bezwungen,
und gern hinterlasse ich Euch und ihr mein
Hab und Gut, wenn ich dahinfahre.« Der Schwiegersohn
bedankte sich für die freundliche Gesinnung des
Schwähers, der dann wieder zu ihm sprach: »Ratet
mir doch, wie ich Eurer Schwieger tue, die mir allezeit
widerstrebt und mir mein Leben so bitterlich
vergällt! Wär es nur zu machen, daß sie etwa ein Jahr
vor ihrem Tode wenigstens von ihrer Härte ließe, so
hätte ich die sonderste Freude und all mein Leid ein
Ende!«
Darauf verhieß der Schwiegersohn die Schwiegermutter
gut zu machen auf seine Weise, wenn der
Schwiegervater ihm das nicht wehren wolle. Der
sprach: »Ich will Euch nichts verwehren, siedet oder
bratet sie, so will ich noch Holz dazu tragen.«
Der Ritter nahm alsbald heimlich vier flinke starke
Knechte, vermaß sich großen Zorns, und ging nach
der Kemnate, wo noch die Alte saß, und immerfort
auf ihn und ihre Tochter schalt. Als sie ihn kommen
sah, grüßte sie ihn spöttisch: »Seid Gott willkommen,
Herr Engelhart!« »Schönsten Dank, Frau Schlechthart!
« klang sein Gegengruß, und dabei trat er fest an
sie heran und sprach: »Frau, laßt Eure Unart, das bitt
ich Euch, gegen Euern und meinen Herrn. Er sollte
Euch ungezählte Schläge auf Euern Rücken mit einer
eichenen Elle zumessen, bis Euch so weh würde, daß
Ihr ein gut Weib würdet.«
»Ei!« sprach sie: »ich höre wohl, daß Ihr viele so
erschlagen habt, lieber Herr Guguguk! Ich habe aber
doch bisher noch Haut und Haar behalten, hoff es
auch noch länger zu tragen! Was hab ich aber Euch
getan?«
»Ihr scheltet täglich meinen Herrn, Euern Mann,
und verleidet ihm sein eignes Haus!« antwortete der
junge Ritter; sie war aber gleich mit der Gegenrede
zur Hand: »In meinem Hause heiße ich Kratzmaus!
Ich kann darin sein Meister sein, wie mein eigner, und
es soll ihm Gott, so lang ich lebe, nun keinen einzigen
guten Tag mehr geben!«
»Und gibt Gott mir Glück«, sprach der Schwiegersohn,
»so acht ich, daß Ihr noch, ehe wir voneinander
gehen, Eure bösen Ränke und Schwanke laßt.«
»Daß es Euch nur nicht mißglücke!« rief sie,
»sonst habt Ihr, so mir der große Gott von Schaafhausen,
nur Schande und Spott davon!«
»Ich weiß, was Euch so irr und wirr und böse
macht«, nahm der Ritter wieder das Wort. »Ihr habt
zwei Zornbraten hier an jeder Hüfte, davon kommt's,
daß Ihr so üble Sitte habt, wenn Euch die jemand ausschnitte,
das wär vortrefflich gut, denn Ihr würdet
fröhlicher als jemals eine Frau, und für Euern Mann
wär's nicht minder gut.«
»Ach! Ich freue mich, daß Ihr so ein guter Arzt
seid, lehrt doch Eure Kunst meiner Tochter!« war ihre
Antwort. »Habt Ihr auch Bertram feil und Nieswurz?
Ihr mischt wohl Beifuß zum Tranke?« –
»He! Euer Spott ist groß!« rief der Ritter, »aber er
wird Euch gleich versalzen werden; sobald wir Eure
Zornnieren und Zornbraten haben, so werdet Ihr besser
und frommer als ein Kind werden!«
»Genug mit Eurem Klaffen, Klaffer!« schalt die
Frau. Da griffen aber die Knechte auf des Ritters
Wink sie an, warfen sie nieder, und der Tochtermann
wetzte ein großes scharfes Messer, das setzte er ihr an
ihre Hüfte und schnitt ihr durch Gewand und Hemde
eine lange tiefe Wunde, daß ihr Hohnlachen ihr ganz
verging; dann sprach er, indem er ein Stück Fleisch in
ein Gefäß warf: »Seht, Frau, Ihr seid manches Jahr
ein schlimmes Weib gewesen, daran waren Eure
Zornbraten Schuld, die kann ich Euch nicht länger
lassen.« Sie aber lag traurig und schreiend: »Das
wußt ich an mir selbst nicht, aber ich weiß, welcher
Teufel Ihr mich beraten habt!«
»Ja, Ihr habt noch einen Zornbraten«, sprach der
Ritter, »an Euerm andern Bein, der muß noch heraus!
«
»Ach«, klagte sie fast weinend: »der ist ganz klein,
der schadet mir nicht zu viel! Helfe mir Gott! der, den
Ihr schon ausgeschnitten habt, der war an allem Schaden
Schuld. Ich bin alles Zornes ledig, und will still
sein, laßt nur den andern ungeschnitten.«
Da sprach die Tochter heiter zu ihrem Gatten: »Bedenket
wohl, was Ihr tut; ich fürchte, wenn auch der
andere Zornbraten nicht herfürkömmt, so ist die große
Arbeit an dem einen verloren, und am Ende bekommt
der andere Zombraten Junge, so Ihr den nicht auch
ausschneidet.«
»Nein, nein, liebe Tochter!« rief die Mutter,
»sprich ihm doch zu, daß er mich unversehrt lasse, ich
will ja gut sein!«
»Frau Mutter«, antwortete die junge Frau: »Ihr
gabt mir den Rat, wider meinen Mann zu streiten, ihm
nicht untertan zu sein; darum, und daß sie meinem
Vater so übel mitgespielt, schneidet nur ihren Zornbraten
aus!« Und da griff der Ritter zum andern an,
jene aber schrie: »Nein, nein! Es ist mehr als genug!
Tochter, denke, daß ich dich unterm Herzen getragen,
und gewinne mir Frieden von deinem Manne! Ich will
beschwören, daß ich gütevoll leben will, und der
milde und gerechte Gott behüte mich vor Zorn. Den
großen Zorn hat mir der Ritter schon genommen, und
der kleine ist keines Eies wert zu achten!«
»Wohl«, sprach der Ritter, »begehrt sie Friedens,
so lasse ich ab von ihr, doch gelobe sie zur Hand, daß
wenn sie den Zorn nicht meidet, sie sich aber will
schneiden lassen.« Hierauf ward sie aufgehoben und
ihre Wunde verbunden.
Und die Frau warf allen Krieg und Hader unter die
Füße, wurde ein gut sittig Weib, ließ ab von ihrer
bösen Heftigkeit, und als der andere Tag kam, nahm
sie Urlaub mit ihrem Mann von dem Schwiegersohn,
und er wünschte ihr, daß Gott sie bewahren möge vor
allem Übel.
Wenn sie nun nach der Hand dennoch noch manchmal
etwa ein Wörtlein oder mehr zu ihrem Manne
sprach, das ihm leid und unlieb war, so durfte er nur
sagen: »Ich kann mir nicht helfen, ich muß nach unserm
Tochtermann senden«, so wurde sie rot vor
Furcht und sprach: »Es ist nicht not darum, sein
Kommen wäre mir nicht zum Heile. Ich habe ja Mut
und Sinn, zu tun, was Euch lieb ist, und rate auch
allen Frauen, daß sie ihren Männern das entbieten,
was ich jetzt dem meinen, so sie nämlich in Frieden
bestehen wollen.«
Damit hat diese Mär ein Ende, und kann davon
eine beliebige Nutzanwendung jeder Mann und jede
Frau sich selbst machen. Der alte Dichter aber, der
diese Mär erzählt, gibt noch folgenden Rat:
Wenn wer ein übel Weib hat,
Der tu sich ihr'r in Zeit ab,
Empfehl sie dem Ritter,
Und leg sie auf ein'n Schlitten,
Und kauf ihr ein Bästchen,
Und henk sie an ein Ästchen.
Und henk dabei
Zwei Wölf oder drei.
Wer sah dann ein'n Galgen
Mit böseren Balgen?
Es sei denn, daß wer den Teufel fing,
Und ihn auch dazwischen hing.
Das Nußzweiglein
Es war einmal ein reicher Kaufmann, der mußte in
seinen Geschäften in fremde Länder reisen. Da er nun
Abschied nahm, sprach er zu seinen drei Töchtern:
»Liebe Töchter, ich möchte euch gerne bei meiner
Rückkehr eine Freude bereiten, sagt mir daher, was
ich euch mitbringen soll?« Die Älteste sprach: »Lieber
Vater, mir eine schöne Perlenhalskette!« Die andere
sprach: »Ich wünschte mir einen Fingerring mit
einem Demantstein.« Die Jüngste schmiegte sich an
des Vaters Herz und flüsterte: »Mir ein schönes, grünes
Nußzweiglein, Väterchen.« – »Gut, meine lieben
Töchter!« sprach der Kaufmann, »ich will mir's aufmerken
und dann lebet wohl.«
Weit fort reisete der Kaufmann, und machte große
Einkäufe, gedachte aber auch treulich der Wünsche
seiner Töchter. Eine kostbare Perlenhalskette hatte er
bereits in seinen Reisekofier gepackt, um seine Älteste
damit zu erfreuen, und einen gleich wertvollen Demantring
hatte er für die mittlere Tochter eingekauft.
Einen grünen Nußzweig aber konnte er nirgends gewahren,
wie er sich auch darum bemühte. Auf der
Heimreise ging er deshalb große Strecken zu Fuß, und
hoffte, da sein Weg ihn vielfach durch Wälder führte,
endlich einen Nußbaum anzutreffen; doch dies war
lange vergeblich, und der gute Vater fing an betrübt
zu werden, daß er die harmlose Bitte seines jüngsten
und liebsten Kindes nicht zu erfüllen vermochte.
Endlich, als er so betrübt seines Weges dahinzog,
der ihn just durch einen dunkeln Wald, und an dichtem
Gebüsch vorüberführte, stieß er mit seinem Hut
an einen Zweig, und es raschelte, als fielen Schlossen
darauf; wie er aufsah, war's ein schöner, grüner Nußzweig,
daran eine Traube goldner Nüsse hing. Da war
der Mann sehr erfreut, langte mit der Hand empor und
brach den herrlichen Zweig ab. Aber in demselben
Augenblicke schoß ein wilder Bär aus dem Dickicht
und stellte sich grimmig brummend auf die Hintertatzen,
als wollte er den Kaufmann gleich zerreißen. Und
mit furchtbarer Stimme brüllte er: »Warum hast du
meinen Nußzweig abgebrochen, du? warum? ich
werde dich auffressen.« Bebend vor Schreck und zitternd
sprach der Kaufmann: »O lieber Bär, friß mich
nicht, und laß mich mit dem Nußzweiglein meines
Weges ziehen, ich will dir auch einen großen Schinken
und viele Würste dafür geben!« Aber der Bär
brüllte wieder: »Behalte deinen Schinken und deine
Würste! Nur wenn du mir versprichst, mir dasjenige
zu geben, was dir zu Hause am ersten begegnet, so
will ich dich nicht fressen.« Dies ging der Kaufmann
gerne ein, denn er gedachte, wie sein Pudel gewöhnlich
ihm entgegenlaufe, und diesen wollte er, um sich
das Leben zu retten, gerne opfern. Nach derben Handschlag
tappte der Bär ruhig ins Dickicht zurück; und
der Kaufmann schritt, aufatmend, rasch und fröhlich
von dannen.
Der goldene Nußzweig prangte herrlich am Hut des
Kaufmanns, als er seiner Heimat zueilte. Freudig
hüpfte das jüngste Mägdlein ihrem lieben Vater entgegen;
mit tollen Sprüngen kam der Pudel hinterdrein,
und die ältesten Töchter und die Mutter schritten
etwas weniger schnell aus der Haustüre, um den Ankommenden
zu begrüßen. Wie erschrak nun der Kaufmann,
als seine jüngste Tochter die erste war, die ihm
entgegenflog! Bekümmert und betrübt entzog er sich
der Umarmung des glücklichen Kindes und teilte nach
den ersten Grüßen den Seinigen mit, was ihm mit dem
Nußzweig widerfahren. Da weinten nun alle und wurden
betrübt, doch zeigte die jüngste Tochter den meisten
Mut und nahm sich vor, des Vaters Versprechen
zu erfüllen. Auch ersann die Mutter bald einen guten
Rat und sprach: Ȁngstigen wir uns nicht, meine Lieben,
sollte ja der Bär kommen und dich, mein lieber
Mann, an dein Versprechen erinnern, so geben wir
ihm, anstatt unsrer Jüngsten, die Hirtentochter, mit
dieser wird er auch zufrieden sein.« Dieser Vorschlag
galt und die Töchter waren wieder fröhlich, und freuten
sich recht über diese schönen Geschenke. Die
Jüngste trug ihren Nußzweig immer bei sich; sie ge-
dachte bald gar nicht mehr an den Bären und an das
Versprechen ihres Vaters.
Aber eines Tages rasselte ein dunkler Wagen durch
die Straße vor das Haus des Kaufmanns, und der häßliche
Bär stieg heraus und trat brummend in das Haus
und vor den erschrockenen Mann, die Erfüllung seines
Versprechens begehrend. Schnell und heimlich
wurde die Hirtentochter, die sehr häßlich war, herbeigeholt,
schön geputzt und in den Wagen des Bären
gesetzt. Und die Reise ging fort. Draußen legte der
Bär sein wildes zotteliches Haupt auf den Schoß der
Hirtin und brummte:
»Graue mich, grabble mich,
Hinter den Ohren zart und fein,
Oder ich freß dich mit Haut und Bein!«
Und das Mädchen fing an zu grabbeln; aber sie machte
es dem Bären nicht recht, und er merkte daß er betrogen
wurde; da wollte er die geputzte Hirtin fressen,
doch diese sprang rasch in ihrer Todesangst aus dem
Wagen.
Darauf fuhr der Bär abermals vor das Haus des
Kaufmanns, und forderte furchtbar drohend die rechte
Braut. So mußte denn das liebliche Mägdlein herbei,
um nach schwerem bittern Abschied mit dem häßlichen
Bräutigam fortzufahren. Draußen brummte er
wieder, seinen rauhen Kopf auf des Mädchens Schoß
legend:
»Graue mich, grabble mich,
Hinter den Ohren zart und fein,
Oder ich freß dich mit Haut und Bein!«
Und das Mädchen grabbelte, und so sanft, daß es ihm
behagte, und daß sein furchtbarer Bärenblick freundlich
wurde, so daß allmählig die arme Bärenbraut einiges
Vertrauen zu ihm gewann. Die Reise dauerte
nicht gar lange, denn der Wagen fuhr ungeheuer
schnell, als brause ein Sturmwind durch die Luft.
Bald kamen sie in einen sehr dunkeln Wald, und dort
hielt plötzlich der Wagen vor einer finstergähnenden
Höhle. Diese war die Wohnung des Bären. O wie zitterte
das Mädchen! Und zumal da der Bär sie mit seinen
furchtbaren Klauen-Armen umschlang und zu ihr
freundlich brummend sprach: »Hier sollst du wohnen,
Bräutchen, und glücklich sein, so du drinnen dich
brav benimmst, daß mein wildes Getier dich nicht
zerreißt.« Und er schloß, als beide in der dunkeln
Höhle einige Schritte getan, eine eiserne Türe auf,
und trat mit der Braut in ein Zimmer, das voll von giftigem
Gewürm angefüllt war, welches ihnen gierig
entgegenzüngelte. Und der Bär brummte seinem
Bräutchen ins Ohr:
»Seh dich nicht um!
Nicht rechts, nicht links;
Gerade zu, so hast du Ruh!«
Da ging auch das Mädchen, ohne sich umzublicken,
durch das Zimmer und es regte und bewegte sich so
lange kein Wurm. Und so ging es noch durch zehn
Zimmer, und das letzte war von den scheußlichsten
Kreaturen angefüllt, Drachen und Schlangen, giftgeschwollenen
Kröten, Basilisken und Lindwürmern.
Und der Bär brummte in jedem Zimmer:
»Seh dich nicht um!
Nicht rechts, nicht links;
Gerade zu, so hast du Ruh!«
Das Mädchen zitterte und bebte vor Angst und Bangigkeit,
wie ein Espenlaub, doch blieb sie standhaft,
sah sich nicht um, nicht rechts, nicht links. Als sich
aber das zwölfte Zimmer öffnete, strahlte beiden ein
glänzender Lichtschimmer entgegen, es erschallte
drinnen eine liebliche Musik und es jauchzte überall
wie Freudengeschrei, wie Jubel. Ehe sich die Braut
nur ein wenig besinnen konnte, noch zitternd vom
Schauen des Entsetzlichen, und nun wieder dieser
überraschenden Lieblichkeit – tat es einen furchtbaren
Donnerschlag, also daß sie dachte, es breche Erde und
Himmel zusammen. Aber bald ward es wieder ruhig.
Der Wald, die Höhle, die Gifttiere, der Bär – waren
verschwunden; ein prächtiges Schloß, mit goldgeschmückten
Zimmern, und schön gekleideter Dienerschaft
stand dafür da, und der Bär war ein schöner
junger Mann geworden, war der Fürst des herrlichen
Schlosses, der nun sein liebes Bräutchen an das Herz
drückte, und ihr tausendmal dankte, daß sie ihn und
seine Diener, das Getier, so liebreich aus seiner Verzauberung
erlöset.
Die nun so hohe, reiche Fürstin trug aber noch
immer ihren schönen Nußzweig am Busen, der die Eigenschaft
hatte, nie zu verwelken, und trug ihn jetzt
nur noch so um so lieber, da er der Schlüssel ihres
holden Glückes geworden. Bald wurden ihre Eltern
und ihre Geschwister von diesem freundlichen Geschick
benachrichtigt, und wurden für immer, zu
einem herrlichen Wohlleben, von dem Bärenfürsten
auf das Schloß genommen.
Der Mann ohne Herz
Es sind einmal sieben Brüder gewesen, waren arme
Waisen, hatten keine Schwester, mußten alles im
Hause selbst tun, das gefiel ihnen nicht, wurden Rates
untereinander, sie wollten heiraten. Nun gab es aber
da, wo sie wohnten keine Bräute für sie, da sagten die
älteren, sie wollten in die Fremde ziehen, sich Bräute
suchen und ihr Jüngster sollte das Haus hüten, und
dem wollten sie eine recht schöne Braut mitbringen.
Das war der Jüngste gar wohl zufrieden und die sechse
machten sich fröhlich und wohlgemut auf den Weg.
Unterwegs kamen sie an ein kleines Häuschen, das
stand ganz einsam in einem Walde, und vor dem
Häuschen stand ein alter alter Mann, der rief die Brüder
an und fragte: »Heda! Ihr jungen Gieke in die
Welt! Wohin denn so lustig und so geschwind?« –
»Ei, wir wollen uns jeder eine hübsche Braut holen,
und unsern jüngsten Bruder daheim auch eine!« antworteten
die Brüder.
»O liebe Jungen!« sprach da der Alte: »ich lebe
hier so mutterseelensternallein, bringt mir doch auch
eine Braut mit, aber eine junge hübsche muß es sein!«
Die Brüder gingen von dannen und dachten: Hm,
was will so ein alter eisgrauer Hozelmann mit einer
jungen hübschen Braut anfangen? –
Da nun die Brüder in eine Stadt gekommen waren,
so fanden sie dort sieben Schwestern, so jung und so
hübsch als sie sie nur wünschen konnten, die nahmen
sie und die jüngste nahmen sie für ihren Bruder mit.
Der Weg führte sie wieder durch den Wald, und der
Alte stand wieder vor seinem Häuschen, als wartete er
auf sie, und sagte: »Ei ihr braven Jungen! Das lob
ich, daß ihr mir so eine junge hübsche Braut mitgebracht
habt!« – »Nein!« sagten die Brüder, »die ist
nicht für dich, die ist für unsern Bruder zu Hause, den
haben wir sie versprochen!« –
»So?« sagte der Alte: »versprochen? Ei daß dich!
ich will euch auch versprechen!« und nahm ein weißes
Stäbchen und murmelte ein paar Zauberworte,
und rührte die Brüder und die Bräute mit dem Stäbchen
an – bis auf die jüngste – da wurden sie alle in
graue Steine verwandelt. Die jüngste aber von den
Schwestern führte der Mann in das Haus, und das
mußte sie nun beschicken und in Ordnung halten, tat
das auch gern, aber sie hatte immer Angst, der Alte
könne bald sterben, und dann werde sie in dem einsamen
Häuschen im wilden öden Walde auch so mutterseelensternallein
sein, wie der Alte zuvor gewesen
war. Das sagte sie ihm und er antwortete: »Hab kein
Bangen, fürchte nicht und hoffe nicht, daß ich sterbe.
Sieh, ich habe kein Herz in der Brust! stürbe ich aber
dennoch, so findest du über der Türe mein weißes
Zauberstäbchen, und rührst damit an die grauen Steine,
so sind deine Schwestern und ihre Freier befreit
und du hast Gesellschaft genug.«
»Wo aber in aller Welt hast du denn dein Herz,
wenn du es nicht in der Brust hast?« fragte die junge
Braut. »Mußt du alles wissen?« fragte der Alte. »Nun
wenn du es denn wissen mußt, in der Bettdecke steckt
mein Herz.«
Da nähte und stickte die junge Braut, wenn der
Alte fort und seinen Geschäften nachging, in ihrer
Einsamkeit gar schöne Blumen auf seine Bettdecke,
damit sein Herz eine Freude haben sollte. Der Alte
aber lächelte darüber und sagte: »Du gutes Kind, es
war ja nur mein Scherz;mein Herz das steckt – das
steckt –« »Nun wo steckt es denn lieber Vater?« –
»Das steckt in der – Stubentür!« –
Da hat die junge Frau am andern Tage, als der Alte
fort war, die Stubentüre gar schön geschmückt mit
bunten Federn und frischen Blumen und hat Kränze
daran gehangen. Fragte der Alte, als er heimkam, was
das bedeuten solle? sagte sie: »Das tat ich, deinem
Herzen was zu Liebe zu tun.« Da lächelte wieder der
Alte, und sagte: »Gutes Kind, ganz wo anders, als in
der Stubentüre, ist mein Herz.« Da wurde die junge
Braut sehr betrübt, und sprach: »Ach Vater, so hast
du doch ein Herz, und kannst sterben und ich werde
dann so allein sein.« Da wiederholte der Alte alles,
was er ihr schon zweimal gesagt, und sie drang aufs
neue in ihn, ihr zu sagen, wo doch eigentlich sein
Herz sei? Da sprach der Alte: »Weit weit von hier
liegt in tiefer Einsamkeit eine große uralte Kirche, die
ist fest verwahrt mit eisernen Türen, um sie ist ein tiefer
Wallgraben gezogen, über den führt keine Brücke,
und in der Kirche da fliegt ein Vogel wohl ab und auf,
der ißt nicht und trinkt nicht und stirbt nicht, und niemand
vermag ihn zu fangen und so lange der Vogel
lebt, so lange lebe auch ich, denn in dem Vogel ist
mein Herz.«
Da wurde die Braut traurig, daß sie dem Herzen
ihres Alten nichts zu Liebe tun konnte, und die Zeit
wurde ihr lang, wenn sie so allein saß, denn der Alte
war fast den ganzen Tag auswärts.
Da kam einmal ein junger Wandergesell am Häuschen
vorüber, der grüßte sie und sie grüßte ihn und
sie gefiel ihm, und er kam näher und sie fragte ihn,
wohin er reise, woher er komme? – »Ach!« seufzte
der junge Gesell: »Ich bin gar traurig. Ich hatte noch
sechs Brüder, die sind von dannen gezogen sich Bräute
zu holen und mir, dem Jüngsten, wollten sie auch
eine mitbringen, sind aber nimmer wieder gekommen,
und da bin ich nun auch fort vom Hause, und will
meine Brüder suchen.«
»Ach lieber Gesell!« rief die Braut: »da brauchst
du nicht weiter zu gehen! Erst setze dich und iß und
trinke etwas, und dann laß dir erzählen!« Und gab
ihm zu essen und zu trinken, und erzählte ihm, wie
seine Brüder in die Stadt gekommen, und wie sie ihre
Schwestern und sie selbst als Bräute mit sich nach
Hause hätten führen wollen, und daß sie für ihn, ihren
Gast, bestimmt gewesen, und wie der Alte sie bei sich
behalten, und die andern in graue Steine verwandelt
habe. Das alles erzählte sie ihm aufrichtig und weinte
dazu, und auch daß der Alte kein Herz in der Brust
habe und daß es weit weit weg sei in einer festen Kirche
und in einem unsterblichen Vogel. Da sagte der
Bräutigam: »Ich will fort, ich will den Vogel suchen,
vielleicht hilft mir Gott, daß ich ihn fange.« – »Ja das
tue, daran wirst du wohl tun, dann werden deine Brüder
und meine Schwestern wieder Menschen werden!«
und versteckte den Bräutigam, denn es wurde schon
Abend, und als am andern Morgen der Alte wieder
fort war, da packte sie dem Wandergesellen viel zu
essen und zu trinken ein, und gab es ihm mit, und
wünschte ihm alles Glück und Gottes Segen auf seine
Fahrt.
Als nun der Gesell eine tüchtige Strecke gegangen
war, deuchte ihm, es sei wohl Zeit zu frühstücken,
packte seine Reisetasche aus, freute sich der vielen
Gaben und rief: »Holla! nun wollen wir schmausen!
herbei, wer mein Gast sein will!«
Da rief es hinter dem Gesellen: »Muh!« und wie er
sich umsah, stand ein großer roter Ochse da und
sprach: »Du hast eingeladen, ich möchte wohl dein
Gast sein!« – »Sei willkommen und lange zu, so gut
ich's habe!« Da legte sich der Ochse gemächlich an
den Boden, und ließ sich's schmecken, und leckte sich
dann mit der Zunge sein Maul recht schön ab, und als
er satt war, sagte er: »Habe du großen Dank und
wenn du einmal jemand brauchst, dir in Not und Gefahr
zu helfen, so rufe nur in Gedanken nach mir, deinem
Gast.« Und erhob sich und verschwand im Gebüsch.
Der Gesell packte seine Tafelreste zusammen
und pilgerte weiter; wieder eine tüchtige Strecke, da
deuchte ihm nach dem kurzen Schatten den er warf, es
müsse Mittag sein, und seinem Magen deuchte das
nämliche. Da setzte er sich an den Boden hin, breitete
sein Tafeltuch aus, setzte seine Speisen und Getränke
darauf, und rief: »Wohlan! Mittagmahlzeit! Jetzt
melde sich, was mittafeln will!« Da rauschte es ganz
stark in den Büschen, und es brach ein wildes
Schwein heraus, das grunzte: »Qui oui oui«, und
sagte: »Es hat hier jemand zum Essen gerufen! Ich
weiß nicht ob du es warst, und ob ich gemeint bin?«
»Immerhin, lange nur zu, was da ist!« sprach der
Wandersmann und da aßen sie beide wohlgemut miteinander
und schmeckte beiden gut. Darauf erhob sich
das wilde Schwein und sagte: »Habe Dank, bedarfst
du mein so rufe dem Schwein!« und damit trollte es in
die Büsche. Nun wanderte der Gesell gar eine lange
Strecke, und war schon gar weit gewandert, da wurde
es gegen Abend, und er fühlte wieder Hunger und
hatte auch noch Vorrat, und da dachte er: wie wär es
mit dem Vespern? Zeit wär es dächt ich; und breitete
wieder sein Tuch aus und legte seine Speisen darauf,
hatte auch noch etwas zu trinken, und rief: »Wer Lust
hat mit zu essen, der soll eingeladen sein. Es ist nicht,
als wenn nichts da wäre!« Da rauschte über ihm ein
schwerer Flügelschlag und wurde dunkel auf dem
Boden, wie vom Schatten einer Wolke, und es ließ
sich ein großer Vogel Greif sehen, der rief: »Ich hörte
jemand hier unten zur Tafel einladen! Für mich wird
wohl nichts abfallen?«
»Warum denn nicht? Lasse dich nieder und nimm
vorlieb, viel wird's nicht mehr sein!« rief der Jüngling,
und da ließ sich der Vogel Greif nieder und aß
zur Genüge und dann sagte er: »Brauchst du mich, so
rufe mich!« hob sich in die Lüfte und verschwand. Ei,
dachte der Geselle: der hat's recht eilig; er hätte mir
wohl den Weg nach der Kirche zeigen können, denn
so finde ich sie wohl nimmer und raffte seine Sachen
zusammen, und wollte vor dem Schlafengehen noch
ein Stückchen wandern. Und wie er gar nicht lange
gegangen war, so sah er mit einem Male die Kirche
vor sich liegen und war bald bei ihr, das heißt, am
breiten und tiefen Graben, der sie rings ohne Brücke
umzog. Da suchte er sich ein hübsches Ruheplätzchen,
denn er war müde von dem weiten Weg und
schlief, und am andern Morgen da wünschte er sich
über den Graben und dachte: Schau, wenn der rote
Ochse da wär und hätte rechten Durst, so könnte der
den Graben aussaufen und ich käme trocken hinüber.
Kaum war dieser Wunsch getan, so stand der Ochse
schon da und begann den Graben auszusaufen. Nun
stand der Gesell an der Kirchenmauer, die war gar
dick und die Türme waren von Eisen, da dachte er so
in seinen Gedanken: ach, wer doch einen Mauerbrecher
hätte! Das starke wilde Schwein könnte vielleicht
hier eher etwas ausrichten, als ich. Und siehe, gleich
kam das wilde Schwein daher gerannt und stieß heftig
an die Mauer und wühlte mit seinen Hauern einen
Stein los, und wie erst einer los war, so wühlte es
immer mehr und immer mehr Steine aus der Mauer,
bis ein großes tiefes Loch gewühlt war, durch das
man in die Kirche einsteigen konnte. Da stieg nun der
Jüngling hinein, und sah den Vogel darin herumfliegen,
vermochte aber nicht ihn zu ergreifen. Da sprach
er: »Wenn jetzt der Vogel Greif da wäre, der würde
dich schon greifen, dafür ist er ja der Vogel Greif!«
Und gleich war der Greif da und gleich griff er den
Vogel, in dem des alten Mannes Herz war, und der
junge Gesell verwahrte selbigen Vogel sehr gut, der
Vogel Greif aber flog davon.
Nun eilte der Jüngling so sehr er konnte zur jungen
Braut, kam noch vor Abends an und erzählte ihr alles,
und sie gab ihm wieder zu essen und zu trinken und
hieß ihn unter die Bettstelle kriechen mitsamt seinem
Vogel, damit ihn der Alte nicht sähe. Dies tat er alsbald,
nachdem er gegessen und getrunken hatte; der
Alte kam nach Hause und klagte, daß er sich krank
fühle, daß es nicht mehr mit ihm fortwolle – das
mache, weil sein Herzvogel gefangen war. Das hörte
der Bräutigam unter dem Bette und dachte, der Alte
hat dir zwar nichts Böses getan, aber er hat deine
Brüder und ihre Bräute verzaubert, und deine Braut
hat er für sich behalten, das ist des Bösen nicht zu
wenig, und da kneipte er den Vogel, und da wimmerte
der Alte: »Ach, es kneipt mich! Ach, der Tod kneipt
mich, Kind – ich sterbe!« Und fiel vom Stuhl und war
ohnmächtig, und ehe sich's der Jüngling versah, hatte
er den Vogel totgekneipt, und da war es aus mit dem
Alten. Nun kroch er hervor, und die Braut nahm den
weißen Stab, wie ihr der Alte gelehrt hatte, und
schlug damit an die zwölf grauen Steine, siehe, da
wurden sie wieder die sechs Brüder und die sechs
Schwestern, das war eine Freude und ein Umarmen
und Herzen und Küssen, und der alte Mann war tot
und blieb tot, konnt ihn keine Meisterwurz wieder lebendig
machen, wenn sie ihn auch hätten wieder lebendig
haben wollen. Da zogen sie alle miteinander
fort, und hielten Hochzeit miteinander und lebten gut
und glücklich miteinander lange Jahre.
Der Richter und der Teufel
In einer Stadt saß ein Mann, der hatte alle Kisten voll
Geld und Gut, er selbst aber war voll aller Laster, so
schlimm war er, daß es die Leute schier Wunders
dünkte, daß ihn die Erde nicht verschlang. Dieser
Mann war noch dazu ein Richter, das heißt, ein Richter,
der aller Ungerechtigkeit voll war. An einem
Markttage ritt er des Morgens aus, seinen schönen
Weingarten zu sehen, da trat der Teufel auf dem
Heimweg ihn an, in reichen Kleidern und wie ein gar
vornehmer Herr gestaltet. Da der Richter nicht wußte,
wer dieser Fremdling war, und solches doch gern wissen
mochte, so fragte er ihn nicht eben höflich, wer
und von wannen er sei? Der Teufel antwortete: »Euch
ist besser, wenn Ihr's nicht wisset, wer und woher ich
bin!« – »Hoho!« fuhr der Richter heraus, »seid wer
Ihr wollt, so muß ich's wissen, oder Ihr seid verloren,
denn ich bin der Mann, der hier Gewalt hat, und wenn
ich Euch dies und das zu Leide tue, so ist niemand,
der es mir wehren wird und kann. Ich nehm Euch Leib
und Gut, wenn Ihr mir nicht auf meine Frage Bescheid
gebt!« – »Steht es so schlimm«, antwortete der
Arge, »so muß ich Euch wohl meinen Namen und
mein Gekommen offenbaren; ich bin der Teufel.«
»Hm!« brummte der Richter, »und was ist hier dei-
nes Gewerbes, das will ich auch wissen?« – »Schau,
Herr Richter«, antwortete der Böse, »mir ist Macht
gegeben, heute in diese Stadt zu gehen, und das zu
nehmen, was mir in vollem Ernst gegeben wird.«
»Wohlan!« versetzte der Richter, »tue also, aber
laß mich dessen Zeuge sein, daß ich sehe, was man
dir geben wird!«
»Fordre das nicht, dabei zu sein, wenn ich nehme,
was mir beschieden wird«, widerriet der Teufel dem
Richter; dieser aber hub an, den Fürsten der Hölle mit
mächtigen Bannworten zu beschwören, und sprach:
»Ich gebiete und befehle dir bei Gott und allen Gottes
Geboten, bei Gottes Gewalt und Gottes Zorn, und bei
allem, was dich und deine Genossen bindet, und bei
dem ewigen Gerichte Gottes, daß du vor meinem Angesicht,
und anders nicht, nehmest was man dir ernstlich
geben wird.«
Der Teufel erschrak, daß er zitterte bei diesen
fürchterlichen Worten, und machte ein ganz verdrießlich
Gesicht, sprach auch: »Ei so wollte ich, daß ich
das Leben nicht hätte! Du bindest mich mit einem so
starken Band, daß ich kaum jemals in größerer Klemme
war. Ich gebe dir aber mein Wort als Fürst der
Hölle, das ich als solcher niemals breche, daß es dir
nicht zum Frommen dient, wenn du auf deinen Sinn
bestehst. Stehe ab davon!«
»Nein, ich stehe nicht ab davon!« rief der Richter.
»Was mir auch darum geschehe, das muß ich über
mich ergehen lassen; ich will jenes nun einmal sehen!
Und sollt es mir an das Leben gehn!«
Nun gingen beide, der Richter und der Teufel miteinander
auf den Markt, wo gerade Markttag war,
daher viel Volks versammelt, und überall bot man
dem Richter und seinem Begleiter, von dem niemand
wußte, wer er sei, volle Becher und hieß sie Bescheid
tun. Der Richter tat das auch nach seiner Gewohnheit,
und reichte auch dem Teufel eine Kanne, dieser aber
nahm den Trunk nicht an, weil er wohl wußte, daß es
des Richters Ernst nicht war.
Nun geschah es von ungefähr, daß ein Weib ein
Schwein daher trieb, welches nicht nach ihrem Willen
ging, sondern die Kreuz die Quere, da schrie das zornige
Weib im höchsten Ärger dem Schwein zu: »Ei so
geh zum Teufel, daß dich der mit Haut und Haar
hole!«
»Hörst du, Geselle?« rief der Richter dem Teufel
zu. »Jetzt greife hin und nimm das Schwein.« Aber
der Teufel antwortete: »Es ist leider der Frau nicht
Ernst mit ihrem Wort. Sie würde ein ganzes Jahr lang
trauern und sich grämen, nähme ich ihr Schwein. Nur
was mir im Ernste gegeben wird, das darf ich nehmen.
«
Ähnliches geschah bald hernach mit einem Weib
und einem Kind. Das letztere ging auch nicht so, wie
die Frau es lenken wollte, so daß sie auch zu schreien
begann: »Hole dich der Teufel, und drehe dir den
Hals um!« »Hörst du, Geselle?« fragte da wieder der
Richter. »Das Kind ist dein, hörst du nicht, daß man
es dir ernstlich gibt?«
»O nein, es ist auch nicht ihr Ernst!« antwortete der
Teufel. »Sie würde bitterlich wehklagen, nähme ich
sie beim Wort, und das Kind nicht fahren lassen.«
Jetzt sahen beide ein Weib, das hatte viel mit
einem Kinde zu schaffen, welches heftig schrie und
sich sehr unartig gebärdete, so daß die Frau voll Unwillens
war und ausrief: »Willst du mir nicht folgen,
so nehme dich der böse Feind, du Balg!«
»Nun? nimmst du auch nicht das Kind?« fragte der
Richter ganz verwundert, und der Teufel antwortete:
»Ich habe des keine Macht, das Kindlein zu nehmen.
Dieses Weib nähme nicht zehn, nicht hundert und
nicht tausend Pfund, und gönnte mir im Ernst das
Kind; wie gern ich's auch nähme, darf ich doch nicht,
denn es ist nicht des Weibes rechter Ernst.«
Nun kamen die beiden recht mitten auf den Markt,
wo das dichteste Volksgedränge war, da mußten sie
ein wenig stille stehen, und konnten nicht durch das
Gewimmel und Getümmel schreiten. Da wurde ein
Weib des Richters ansichtig, das war arm und alt und
krank und trug ein großes Ungemach; sie begann laut
zu weinen und zu schreien, und ließ vor allem Volk
folgende heftige Rede vernehmen: »Weh über dich,
Richter! Weh über dich, daß du so reich bist und ich
so arm bin; du hast mir ohne Schuld, göttliche und
menschliche Barmherzigkeit verleugnend, mein einziges
Kühlein genommen, das mich ernährte, von dem
ich meinen ganzen Unterhalt hatte. Weh über dich,
der du es mir genommen hast! Ich flehe und schreie
zu Gott, daß er durch seinen Tod und bitteres Leiden,
die er für die Menschheit und für uns arme Sünder
trug, meine Bitte gewähre, und die ist, daß deinen
Leib und deine Seele der Teufel zur Hölle führe!« Auf
diese Rede tat der Richter weder Sage noch Frage,
aber der Teufel fuhr ihn höhnisch an und sprach:
»Siehst du, Richter, das ist Ernst, und den sollst du
gleich gewahr werden!« Damit streckte der Teufel
seine Krallen aus, nahm den Richter beim Schopf,
und fuhr mit ihm durch die Lüfte von dannen, wie der
Geier mit einem Huhn. Alles Volk erschrak und
staunte, und weise Männer sprachen die Lehre aus:
»Es ist ein unweiser Rat,
Der mit dem Teufel umgaht.
Wer gern mit ihm umfährt,
Dem wird ein böser Lohn beschert.«
Star und Badewännlein
Vor einem Wirtshaus im Walde hielt ein junger stattlicher
Reitersmann, da trat eine feine Maid aus der
Türe, grüßte ihn züchtig, und fragte, was er begehre.
Da heischte er einen Becher kühlen Weins, den brachte
ihm die Jungfrau. Der Reitersmann trank aber nicht
eher, bis die Maid mit ihren roten Lippen von dem
Weine genippt und den Trunk ihm kredenzt hatte.
Während er nun trank, trat die Wirtin aus der Türe,
ein häßliches Weib von brauner Gesichtsfarbe und
widrigem Ansehen. Die fragte der Reitersmann:
»Holla, Frau Wirtin! Ihr habt fürwahr ein feines
Töchterlein! Nicht also?« – »Nein, Herr!« antwortete
die Wirtin, »diese Dirne da ist nicht meine Tochter,
sie ist nur meine angenommene Magd, hat nicht Eltern
und Heimat mehr. Habe sie angenommen aus
Barmherzigkeit.«
Der Reitersmann fühlte Liebe zu der schönen
Maid, stieg ab vom Roß, begehrte ein Nachtquartier,
und daß ihm die Magd ein Fußbad rüste, weil er gern
mit ihr reden wollte. Die Wirtin gebot der Magd in
den Garten zu gehen, und Rosmarin, Thymian und
Majoran für das Bad zu pflücken. Dies tat sie gern
und freudig, ging und brach die Kräuter, da flog ein
Star auf ein Sträuchelein neben ihr und sang und
sprach: »O weh du Braut! Du sollst dem Junker die
Füße zwagen in dem Badewännelein, darin du hierher
getragen worden! Dein Vater ist vor Herzeleid gestorben,
und deine Mutter hat sich schier um dich zu
Tode gegrämt!
O weh du Braut, du Findelkind!
Weißt nicht, wer dein Vater und Mutter sind!«
Da erschrak die fromme Maid und grämte sich, rüstete
das Bad unter Tränen in dem kleinen Wännelein,
und trug's hinauf in die Stube, wo der junge Ritter
ihrer harrte. Als der sie weinen sah, fragte er:
»Warum weinest du, Schönste? Willst du nicht lieber
mit mir fröhlich sein?«
»Wie kann ich mit Euch fröhlich sein?« fragte sie
weinend zurück. »Ich weine über das, was mir der
Star sang, da ich drunten im Garten die Kräuter
pflückte in Euer Bad.« Der Star, der sang: »O weh du
Braut! Du sollst dem Junker die Füße zwagen in dem
Badewännelein, darin du hergetragen bist. Dein Vater
ist vor Herzeleid gestorben, und deine Mutter hat sich
schier um dich zu Tode gegrämt!
O weh du Braut, du Findelkind!
Weißt nicht, wer dein Vater und Mutter sind!«
Da betrachtete der Herr das Badewännelein, und sah
daran das Wappen des Königs am Rhein, verwunderte
sich über alle Maßen und rief: »Das ist meines Vaters
Wappenschild! Wie kommt dies Wännelein in
dies schlechte Wirtshaus?«
Da schlug ein Vogel draußen an das Fenster, das
war wieder der Star, der sang: »In dem Badewännelein
ist sie hergetragen!
O weh du Braut, du Findelkind!
Weißt nicht, wer dein Vater und Mutter sind!«
Jetzt sah der junge Herr am Hals der Maid ein Muttermal,
und rief freudig aus: »Grüß dich Gott, du
Schönste! Du bist meine liebe Schwester! Dein Vater
war der König am Rhein! Christine heißt deine Mutter!
Konrad heiße ich, dein Zwillingsbruder bin ich.
Darum empfand mein Herz nach dir, gleich als ich
dich zum ersten sah, solch ein heftiges Verlangen!«
Da fielen sie einander um den Hals und weinten
beide, knieeten nieder und dankten Gott, und sprachen
liebreich miteinander die ganze Nacht. Wie nun der
Morgen graute rief die Wirtin vor der Tür mit lauter
Stimme und voll Hohn: »Steh auf, steh auf, du junge
Braut und kehre deiner Frauen die Stube aus!« Da
antwortete aber die Stimme Herrn Konrads: »Weder
ist sie eine junge Braut, noch kehrt sie der Wirtin ihre
Stube aus! Bringet uns nur selbst den Morgenwein!«
Als die Wirtin mit dem Morgenwein hereingetreten
war, fragte sie Herr Konrad: »Von wem und von wannen
habt Ihr diese edle Jungfrau? Sie ist eines Königs
Tochter und meine Schwester!«
Die Wirtin ward weiß wie eine Wand und fiel zitternd
auf ihre Kniee, brachte aber kein Wort hervor,
des es auch nicht bedurfte, denn der Star war schon
wieder am Fenster und verriet der Wirtin böse Tat,
indem er sang: »In einem Lustgarten im grünen Gras,
saß ein zartes Kind in einem Badewännelein, und wie
die Wärterin nur einen Augenblick zur Seite gegangen
war, da kam die böse Zigeunerin und trug das Kind
samt dem Wännelein vondannen!«
Darüber wurde Herr Konrad so entrüstet, daß er
das Schwert zuckte, und es der Wirtin durch die
Ohren spießte, zu einem hinein, zum andern heraus.
Dann küßte er züchtiglich seine allerschönste Schwester,
nahm das Badewännelein, führte sie an ihrer
schneeweißen Hand aus dem Hause, hob sie auf den
Sattel und sie mußte das Badewännelein vor sich auf
dem Schoß tragen. Auf ihre Schulter setzte sich der
Star. So ritten sie vor das Königsschloß am Rhein,
darin die Mutter, die Königin, herrschte, und als sie in
das Tor einritten, kam ihnen die Mutter gerade entgegen
gegangen. Die fragte verwundert: »Ach, mein
liebster Sohn! Was für eine Dirne bringst du da her-
ein! Sie führt ja ein Badewännelein mit sich, als ob
sie mit einem Kinde ginge!«
»Oh, meine liebste Mutter!« antwortete der junge
Königssohn, »sie ist drum keine Dirne, sondern ist
eure Tochter Gertraud, die in diesem Wännelein Euch
geraubt wurde!« Und da stieg die Prinzessin aus dem
Sattel, die Königin aber fiel vor Freuden in eine Ohnmacht,
aus der sie in den Armen ihrer Kinder wieder
erwachte. Der Star sang: »Heut sind es gerade achtzehn
Jahre, seit die Königstochter geraubt und in dem
Wännelein über den Rhein getragen worden ist!« Das
sang der Star, und auch noch dies:
»Der Zigeunerin tun die Ohren so weh,
Sie wird keine Kinder stehlen mehr!«
Die Prinzessin aber ließ einen Goldschmied berufen,
der mußte ein goldnes Gitterlein vor das Badewännelein
schmieden, da hinein tat sie den Star und pflegte
sein, bis an sein Ende.
Die beiden kugelrunden Müller
Es war einmal ein Müller, der war schon an sich sehr
stark und dick, wollte aber auch fest sein gegen Hieb
und Stich, gegen Bolz und Pfeil, darum steckte er sich
in eine wunderliche Kleidung. Er ließ sich zuvörderst
ein Wams machen, das fütterte er mit Kalk und Sand,
und ließ, um das zu verbinden geschmolznes Pech
hineinfließen, hinten machte er ein Futter von mehreren
Körben und vorn beblechte er es mit alten Reibeisen
und eisernen Hafendeckeln, da wurde das Wams
schwerer als der schwerste Brust- und Rückenharnisch,
den jemals ein streithafter Ritter trug.
Darüber zog dieser Müller nun drei Hemden, und
unter das Wams legte er einen wirklichen Panzer an,
über die Hemden auch einen Panzer, und darüber zog
er neun lodene Röcke, wie sie die Wollenweber im
Schwabenlande noch heute fertigen. Wenn nun der
Müller sich mit diesem stattlichen Kleiderbollwerk
angetan, wobei er die Beine mit mehr als vier alten
übereinander gezogenen Lederhosen verwahrt, so war
er ein so stattliches kugelrundes Kerlchen, daß er
eben so breit war, als hoch, wie eine rechte Kugel sein
muß, und konnte schier nicht ohne Gezwang durch
ein Stadttor aus- und eingehen, konnte sich auch
kaum rühren und regen, und mußte denn seine
Freundschaft mit ihm gehen, ihn führen und geleiten.
Da er nun alljährlich zu St. Oswalds Kirchtag ging
und sich auch sehen lassen wollte vor den Leuten, so
fuhr er einher auf einem Karren in seiner Rüstung und
so gewappnet, wie jedermänniglich noch nie gesehen
hatte. Den Wagen zogen vier starke Ochsen, und hinterdrein
gingen alle Bauern seines Orts mit ihren Weibern
und Kindern, die steckten sich, wenn sich ein
Feind zeigte, hinter ihres Müllers Karren, wie hinter
eine Feste und Schirmhut. Er war gewaffnet mit
zween Spießen und einer Armbrust, an seiner Seite
hing ein Schwert einer Mannslänge lang, ein Zweihander;
und neben ihm lag noch ein Bogen nebst
einem Pfeilköcher.
Wenn nun der kugelrunde Müller mit seinem Karren
und seinen vier Ochsen an einen gewissen Berg
kam, über welchen der Weg führte, so harreten seiner
dort ein paar Neffen mit Weib und Kindern, die halfen
den Wagen in die Höhe hinauf schieben, während
vorn noch sechs Ochsen als Vorspann zogen, und so
brachten sie ihn denn endlich hinauf mit Ach und
Krach und Vergießung vieler Schweißtropfen. Ging
es nun auf der andern Seite des Berges wieder abwärts,
so mußte eingehemmt werden so viel als nur
möglich, daß es nicht mit dem Kugelrunden kopfüber
kopfunter ging. Wenn seine Sippschaft ihn nun endlich
am Ziele hatte, so wurde er mit Leitern und Hebe-
bäumen vom Wagen herabgeschrotet, wie ein großes
volles Weinfaß, und dann scharten sie sich um ihn
her, und zumeist hinter ihm wie die Philister hinter
ihrem Goliath.
Dabei war der runde Mehlsack von großer Stärke
und Unerschrockenheit und es ging von ihm die Rede,
daß er einst in einem Schimpfspiel, wo ein Kämpfer
einen Apfel, der andre eine Birne an der Spitze seiner
Klinge geführt, und sich ein großer Lärm erhob, dermaßen
in den Haufen mitten hinein geschlagen, wie
ein Hagelschauer in das Getreide, so daß er vielen
Bauern viel Leids gebracht. Aber da war ihm ein
Gegner entgegengetreten, stark und kräftig, der führte
einen Hauptstreich nach dem Müller, daß seine
Blechhaube gleich zu Boden fiel, und meinten alle,
die das sahen, der Kopf wäre mit vom Rumpfe geflogen;
der kugelrunde Kämpe hatte aber, wie sein Gegner
ausholte, seinen Kopf aus der Haube schnell heraus
und unter die hohe Halsberge gezogen, und jetzt
tat er einen Streich nach dem Gegner, der ihm so tief
in den Hals schnitt, wie die Sense des Mähers in das
Gras. Da fürchteten sich alle vor dem gewaltigen
Mann, dem die Taten, die man von Recken las, nur
ein Spaß schienen.
Nun war aber ein andrer Müller in der Nachbarschaft,
der war ebenso stark und groß, ebenso kugelrund
und trug auch so ein wohlausgefüttertes und ge-
blechtes Wams, und keiner mochte den andern leiden,
weil keiner dem andern nachstand. Und haßten und
bekriegten einander schon zehn Jahre. Auf jedem
Kirchweihtag, wo sie hinkamen, gerieten sie aneinander,
und fochten gegeneinander mit Worten und Waffen;
es konnte aber ihrer keiner dem andern etwas anhaben,
und waren zwei gar sehr gefürchtete Kampfhelden.
Der eine Müller hatte einen Sohn, der andre
eine Tochter, welche beide einander so sehr liebten,
als die Väter einander haßten, darüber wurde der
Zwiespalt noch größer, bis endlich gute und einsichtsvolle
Freunde sich ins Mittel schlugen und beiden
Müllern rieten, gute Freunde zu werden und ihre Kinder
miteinander zu verheiraten.
Wie das Gerücht vom Bündnis der beiden Müller
ins Land erscholl, und daß sie sogar ihre Kinder miteinander
verheiraten wollten, da erhob sich große Unruhe
und Besorgnis, denn jedermänniglich konnte sich
nun an den Fingern abzählen, daß die beiden Kugelrunden
sein würden wie zwei Mühlsteine, zwischen
denen alles, was ihnen zu nahe käme, würde aufgerieben
werden. Und wer jetzt dem einen Müller zu nahe
trat, der hatte es gleich mit beiden zu tun, und konnte
kein Fürst beide Wämser überwinden, denn die Müller
glichen runden Burgen, waren auch nicht auszuhungern
durch eine Belagerung, denn sie hatten auch
in ihren Wämsern manche Metze gefaßt, von der sie
zehren konnten lange Zeit. Da aber nun die beiden unüberwindlichen
Helden also mannhaft waren, daß
selbst der Kaiser große Mühe gehabt haben würde,
sie zu überwältigen, so mußte man nur froh sein, daß
sie ihre große Macht gegen die Feinde des Reiches
kehrten, und begehrten gar keinen Sold und Lohn,
sondern nur die Ehre fechten und streiten zu dürfen.
Und war das nur ihre einzige Klage, daß so mancher
Tag verging, an dem sie keines Gegners ansichtig
wurden, weil ihr Ruf so weit und breit genannt war,
daß sich alles vor ihnen fürchtete.
Viele tapfre Taten vollführten die beiden kugelrunden
Müller, seit sie miteinander verbunden waren,
und wenn man diese Taten und die Abenteuer, welche
durch sie bestanden wurden, niedergeschrieben hätte,
so wäre das ein Buch geworden, zweimal so stark wie
die Bibel und die Weltchronik. Auch taten sie mehr
Wundertaten, als alle die Recken, von denen die alten
Lieder und Geschichten sagen. Endlich schlugen sie
ihre Wohnung in einer Wüste hinten an der Welt
Ende auf, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben
sie heute noch.