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Einbegleitung

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In diesem Buch will ich von etlichen Menschen berichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Alt Gewordene und jung Gestorbene werden darin aufgerufen, etwa ein Jurist mit erstaunlicher Berufskarriere oder ein Säugling, der lediglich vier Wochen leben darf, und das im Elend. Sie stammen aus einfachen oder aus begüterten Verhältnissen, auch ihr kultureller Hintergrund differiert zuweilen beträchtlich.

Der Zufall, besser gesagt die reine Willkür derer, die sich berechtigt sehen, über andere nach Belieben zu verfügen, verknüpft sie ohne Ausnahme für eine Weile mit ein und derselben Adresse, obwohl der wohlbestallte Bauer und Grundbesitzer aus Kirchschlag im dem Reichsgau Oberdonau angegliederten Südböhmen hoch über einem Moldauknie, heute Světlík in Tschechien, dem auffällig gewaltaffinen Fleischhauer aus dem oberösterreichischen Prambachkirchen sonst kaum je einmal begegnet wäre, jedenfalls nicht auf diese fatale Weise. Und so gut wie niemand von ihnen wäre nur Wochen davor auf die Idee gekommen, jemals mit dem abgelegenen winzigen Weiler Weyer am Rand des ausgedehnten Weilhartforstes bei Braunau am Inn in Verbindung gebracht zu werden.

Überwiegen auf den folgenden Seiten wie in der Wirklichkeit von damals sollen jene, deren Sterbeurkunde die ominöse Adresse beinhaltet, die aus Rache oder wegen der schlimmen gesundheitlichen Folgen des Aufenthaltes dort samt dem Nachspiel Mauthausen ihre Entlassung nicht lange überleben, die von Weyer über andere Lager einzeln in den gewaltsamen Tod gehen oder im Sammeltransport direkt zur Vernichtung deportiert werden, weil anderswo effizienter gemordet werden kann. Es braucht eben nur wenige, um viele zu beaufsichtigen, auszubeuten, leiden zu lassen, aktiv zu quälen, zur Befriedigung sadistischer Gelüste gegebenenfalls gar totzufoltern, sofern die wenigen gut bewaffnet sind, das Lagergelände ausreichend befestigt ist und solches Vorgehen sich als politisch erwünscht erweist.

Doch geht es diesem Buch ganz bewusst nicht nur um behutsam literarisierte, wenngleich reale Biographien der sogenannten Opfer, exemplarisch wird auch bei den Tätern vorbeigeschaut sowie bei Leuten, die weder der einen noch der anderen Gruppe angehören und doch nachhaltig in jene Geschehnisse verwickelt sind, denen sich mein Vorhaben verdankt.

Als nüchterne Gliederung soll mir das Alphabet dienen. Bunt durcheinandergewürfelt, gereiht nach den zufälligen Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen, werden die Menschen hier vorgestellt. Dass daraus dennoch statt Stückwerk ein großes, beziehungsreiches Ganzes entstehen möge, ist mir gestalterische Herausforderung. Vorwiegend handelt es sich bei den Ausgewählten übrigens um Männer und Kinder, denn deren Anzahl dominiert unter denen, die leiden, oft sterben müssen, beträchtlich. Die Täter wiederum rekrutieren sich ohnehin ausnahmslos aus den selbsternannten Herren der Schöpfung.

Anfang des Jahrtausends legte ich einen dokumentarischen Roman zum gleichen Thema vor, dessen Erfolg bei Kritik und Publikum auf der Recherchequalität, seiner konsequent radikalen Sprache und wohl auch auf der Tatsache gründete, dass es der kollektiven Erzählfigur nicht vergönnt war, sich in der ameisenartig utilitaristischen Welt nationalsozialistischer Prägung länger bei einzelnen Menschen aufzuhalten, gar richtige Protagonistinnen, Protagonisten aufzubauen. Helden, wenn man dieses Wort verwenden will, Helden sind in Herzfleischentartung die Strukturen der Barbarei, im Rahmen derer einzelne, sofern sie nicht zur obersten Machtelite zählen, keine besondere Rolle spielen.

Wenn nun in diesem Komplementärunternehmen konkreten Menschen nachgespürt wird, so versteckt sich dahinter keineswegs die Absicht, meinen ursprünglichen Ansatz zu korrigieren, ganz im Gegenteil. Die Porträtierten, selbst wenn sie in Ausnahmefällen Befehlsgewalt ausübten oder sich, soweit möglich, auflehnten gegen Unrecht und Terror, bleiben auch diesmal in erster Linie Spielbälle der Verhältnisse, Nutznießer die einen, Leidtragende die anderen, problematisch Eingebundene die Dritten. Alle zusammen erweisen sie sich als einigermaßen beliebige Versatzstücke des gesellschaftlichen Durchbruchs einer ebenso absurden wie stringenten Schreckensherrschaft. Das relativiert, entschuldigt nichts, aber die Begriffe Schuld und Unschuld, Gut und Böse stehen weniger im Mittelpunkt meines Interesses als die komplexe, zum damaligen Zeitpunkt und weit darüber hinaus nicht nur für die meisten direkt Betroffenen undurchsichtige Gemengelage, die solch Entsetzliches zuließ und sich auch dem Leser, der Leserin nur häppchenweise erschließen soll.

Es hätte eines beträchtlichen, eines schmerzhaften Aufwandes bedurft, nach dem Wiedererstehen der Republik Österreich wirklich Licht in die zahllosen Dunkel zu bringen, von denen dieses hier meiner Überzeugung nach besonders viele bedenkenswerte Facetten aufweist. Dass darauf im großen und ganzen verzichtet wurde, ist heute allgemein bekannt und bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehbar. Welche Langzeitfolgen damit bis in die unmittelbare Gegenwart verbunden sind, wird immer noch sträflich unterschätzt.

Aus Respekt vor den Opfern, Leuten wie du und ich, und jenen wenigen, denen die Verfolgten auch in äußerst gefährlichen Zeiten ein echtes Anliegen waren, bitte ich die einen vor den Vorhang. Anderen, den Tätern, wird schon dieser Vorsatz höchst unangenehm sein, denke ich mir. Solchen Herrschaften wäre es natürlich sehr recht, bliebe wenigstens ihre eigene Geschichte ausgespart. Diese Freude will ich ihnen nicht machen.

Zweifellos helfen das auch nachträglich geringe gesellschaftliche Gewicht ihres monströsen Fehlverhaltens und die erbärmliche Kumpanei angesehener Institutionen mit den angeblich einer Siegerjustiz ausgelieferten Mördern etlichen von ihnen dabei, sich lange erfolgreich distanzieren zu können, oft auch geographisch. Das Die-Sau-Rauslassen begreifen sie bald nur mehr als ferne Episode ihres Lebens.

Damit soll jetzt Schluss sein. Ich gehe ihnen nach, wenn es sein muss, bis ans andere Ende der Welt. So spannt sich der räumliche Bogen vom abgelegenen Fleckchen in einem verschlafenen Winkel des oberösterreichischen Innviertels ganz selbstverständlich bis hin nach Italien und Syrien, sogar bis über den großen Teich in die unabsehbaren Weiten Südamerikas.

Und auch zeitlich geht es zuweilen tief zurück, nicht zuletzt wegen der Inhalte teils prophetischer Schriften eines in Weyer geschundenen Germanisten, dessen Großvater als junger Mann mit Franz Schubert befreundet war. Der Ich-Erzähler meines Buches wiederum ist eindeutig in der Gegenwart angesiedelt, und manches, was ausgebreitet wird, reicht ebenfalls fast an diese heran.

Sie haben es längst bemerkt, ich erlaube mir darüber hinaus ohnehin, alle Gewesenen in eine andersartige, eine zeitlose Gegenwart zurückzuholen, vergegenwärtige sie mir, Ihnen im Wortsinn. Nicht als abgeschlossene Abgelegte will ich sie nämlich begriffen wissen, sondern als unmittelbare Gegenüber, denen ich, wenigstens vom Ansatz her, ein mir letztlich nur ausschnitthaft zugängliches Eigenleben und ein gewisses Mitspracherecht zubillige. Ich bin jedenfalls bereit, mich auf sie einzulassen. Nichts ist vergangen.

Es ist wichtig, beim Lesen stets mitzubedenken, dass vielen der handelnden Personen die in der folgenden Prosa umfassend aufgeschlüsselten, für sie relevanten Zusammenhänge oft bis an ihr Lebensende ganz oder in Teilen unbekannt bleiben. Einen weitgehenden Überblick habe nur ich, haben nach der Lektüre aber auch Sie, selbst wenn sich nicht alle Lücken schließen lassen.

Ob sich eins zu eins wiederholen könnte, was Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts einen trotz aller vorangegangenen Greuel beispiellosen Zivilisationsbruch ausmachte, ist eine müßige Überlegung. Außer Frage steht für mich, dass leider keine evolutionären Schutzmechanismen vorgesehen sind, die den Homo sapiens vor ähnlichen Eruptionen dauerhaft feien würden.

Die einst mit einer nach wie vor gültigen Adresse in Weyer tragisch Verknüpften stehen daher gut und gern auch für jene, die heute an verschiedenen Ecken und Enden emsig ihren Geschäften nachgehen oder, gerade einmal eingetroffen auf diesem Planeten, gesäugt werden und irgendwann in der Zukunft womöglich in einen vergleichbaren Spiralstrudel geraten, ihn gar mitverursachen könnten, den rechtzeitig abzuwenden jede Generation neu aufgerufen ist. Dafür bedarf es freilich eines gesellschaftlichen Sensoriums ausreichend vieler mit historischem Wissen ausgestatteter, sprachlich sensibler und vor allem herzensgebildeter Individuen, die konsequent davon Abstand nehmen, analog wie digital mit den Wölfen zu heulen.

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