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Die Straßenfriseure
von Johannesburg oder:
Wie gefährlich ist es,
durch Südafrika zu reisen?

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Ich war zum ersten Mal in Johannesburg eingetroffen, hatte in einem Innenstadthotel eingecheckt, ausgepackt, gegessen und blickte aus dem achten Stock meines Hotelzimmers auf die Lichter der nächtlichen Stadt. Johannesburg. reichste Stadt Afrikas, Wirtschaftszentrum des gesamten Südens, Hoffnung für Millionen, die aus allen Teilen des Landes zu dir streben - was hältst du für mich bereit? Die Lichter der großen Stadt leuchteten tief unter mir in warmen, verlockenden Farben und schienen mir zuzuraunen: Komm herunter und sieh, was es in unseren Straßen zu erleben gibt!

Um die Wahrheit zu sagen: Für solche Impulse bin ich mehr als empfänglich. In den ersten Tagen einer Reise leide ich an einer Art Reise-Manie, die so weit geht, dass ich am liebsten aus dem Hotel heraus und in die Nacht hineinlaufen würde, um das Neue nicht zu verpassen. So griff ich zum Lonely Planet Guide Südafrika, blätterte im Johannesburg-Kapitel nach vorne und nach hinten und suchte nach etwas Interessantem, das ich an diesem Abend noch unternehmen könnte - und stieß auf einen Bericht über die Straßenfriseure von Johannesburg. Nach der Darstellung des Autors handelte es sich dabei um schwarzafrikanische Friseure, die in Johannesburg von morgens bis spät in die Nacht ihre Kundschaft auf der Straße bedienten, wobei es so munter und entspannt zugehe, dass es für einen Reisenden kaum einen besseren Ort gäbe, afrikanisches Originalkolorit zu erleben als eben hier. Das hörte sich gut an, und wenn ich dem Autor glauben konnte, war ein Besuch dieser Veranstaltung ebenso ungefährlich wie ein Freiluftauftritt der Bremer Stadtmusikanten. Nach einem kurzen Studium der Stadtkarte stellte ich fest, dass sich der Standort der Straßenfriseure nur drei Blocks von meinem Hotel entfernt befand. Das passte. Außerdem überzeugte mich ein kurzer Blick in den Spiegel, dass ich einen neuen Haarschnitt ganz gut vertragen konnte. Welch ein Brüller, mir bei einem Straßenfriseur in Johannesburg vor meiner afrikanischen Reise die afrikataugliche Frisur verpassen zu lassen.

Nach einem letzten Blick auf den Stadtplan machte ich mich auf den Weg. Meine Kameratasche nahm ich mit, denn ich wollte nicht darauf verzichten, meine Erlebnisse fotografisch festzuhalten. Über das erstaunte Gesicht des Hotelangestellten in der Eingangshalle machte ich mir noch keine Gedanken. Allerdings traf mich die plötzliche Stille, die vor dem Hoteleingang über mich hereinbrach, wie ein Schock. Normalerweise steigt der Geräuschpegel an, wenn man am Abend ein Hotel verlässt. Lachen, Rufen, Hupen, Musik aus Bars und Restaurants vereinen sich zu einem akustischen Lockruf der Urbanität, dem man gerne nachgibt. Nicht aber in Johannesburg. Kein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Kein Straßenverkehr. Auch die Lichtverhältnisse waren mehr als spärlich. Immerhin befand ich mich in der Innenstadt einer Wirtschaftsmetropole, doch auf eine Entfernung von zweihundert Metern erleuchteten gerade mal drei Laternen die Straßenränder. Das hatte von oben noch ganz anders ausgesehen. Nun kam doch ein Fahrzeug die Straße heruntergefahren, überfuhr eine rote Ampel und bog an der nächsten Kreuzung ab.

Ich ging nun etwas schneller und verfiel schließlich in einen leichten Trab. Ein zweites Auto fuhr an mir vorüber, reduzierte einen Moment seine Geschwindigkeit, als es meine Höhe erreicht hatte, um dann wieder zu beschleunigen. Auf der andern Straßenseite erkannte ich zwei Gestalten in einem Hauseingang. Sie wandten ihren Kopf in meine Richtung und schienen sich über mich auszutauschen. Was bin ich nur für ein Hasenherz, dachte ich, als ich begann, etwas schneller zu laufen. Meine Kameratasche schlenkerte mir um den Körper, als ich um die letzte Ecke bog und den Ort der Straßenfriseure erreichte.

Zuerst sah ich nichts, weder einen Friseur, noch einen Kunden, allerdings erkannte ich in einiger Entfernung einen hell erleuchteten Laden mit einer Fensterfront, vor der sich eine Gruppe von Männern versammelt hatte. Es waren Schwarzafrikaner, bekleidet mit Steppjacken, Jeans und Turnschuhen, denn es war empfindlich kühl. Einige trugen Wollmützen auf ihren Köpfen, fast alle hatten einen Schal um den Hals geschlungen. Verdutzt blickten sie mich an, als ich an ihnen vorbeiging und den Laden betrat. Es war tatsächlich ein Friseursalon, sehr einfach eingerichtet, mit schadhafter Holzverkleidung, alten Spiegeln und mehreren Friseurstühlen. Drei junge Frauen waren mit Kamm und Schere zu Gange, um drei Schwarzafrikanern die Haare zu schneiden. An der Wand hingen sechs Bilder, die die verschiedenen Frisuren darstellten, die man in diesem Salon ordern konnte.

Sofort verstummten alle Gespräche. Die wartenden Männer schauten von ihren Zeitschriften auf, die jungen Friseusen ließen von ihrer Arbeit ab und blickten konsterniert in eine Ecke des Raumes, in der hinter einer Kasse ein großer Schwarzafrikaner saß. Er war offenbar der Boss, eine korpulente, respekteinflößende Gestalt mit breiten Schultern und einem massiven Widderkopf, der sich langsam in meine Richtung wandte. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass die Männer von der Straße in den Laden gekommen waren, um zu sehen, was sich nun ereignen würde. Einer der Männer, ein Jugendlicher mit einer blond gefärbten Irokesenfrisur rückte nahe an mich heran und schaute mir ins Gesicht. Ein anderer fixierte mit unverhohlener Neugierde meine Kameratasche.

Der Boss erhob sich und trat an mich heran. Er war einen Kopf größer als ich und wahrscheinlich doppelt so schwer. Er hatte unbestreitbar das Sagen in diesem Laden.

Whatyoudoingheeere?“ fragte er mit einer Stimme, so tief, als käme sie aus einem unsichtbaren Keller.

Ich machte ein so harmloses Gesicht, wie es mir nur möglich war und antwortete: „I need a haircut“.

Einen Augenblick stutzte der Inhaber, als könne er nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Dann schüttelte er den Kopf, trat an mich heran und griff mir mit beiden Händen an die Schultern. Seine Hände waren wie Pranken, und ich spürte die Kraft, die in ihnen steckte, als er mich einfach umdrehte und durch die Eingangstüre wieder nach draußen schob. Dort blieb er neben mir stehen, sein großes Gesicht dem meinen so nahe, dass ich die Poren auf seiner Haut erkennen konnte. Eine Hand noch immer auf meiner Schulter, wies er mit der anderen in die Richtung, aus der ich gekommen war und sagte mit Nachdruck: „Run Man, run as fast as you can!“

Der Inhaber ließ mich los, hob den Kopf und sagte etwas zu den Umstehenden, was ich nicht verstand. Zum ersten Mal hörte ich die Klickgeräusche der Xhosa Sprache, die ich später noch so oft hören würde, ohne sie jemals verstehen zu können. Die Männer nickten zustimmend, einige, die mich anblickten, schüttelten missbilligend den Kopf. Hinter der Glasscheibe sah ich die drei jungen Friseusen, die mich wie einen Totgeweihten anstarrten. War ich denn wirklich in einer derartigen Gefahr?

Ich nickte dem Boss zu und entfernte mich von der Gruppe, zuerst bewusst langsam, um meinen Abgang nicht ganz ohne Würde zu gestalten, dann etwas schneller, ehe ich wieder in einen leichten Trab verfiel. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass mir auf einen Wink des Inhabers zwei Männer folgten.

Obwohl mir zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich klar war, in welcher Situation ich mich befand, begann ich schneller zu laufen. Auch meine beiden Verfolger erhöhten ihre Geschwindigkeit, kamen mir aber nicht näher. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkannte ich nun vier Männer in einem dunklen Häusereingang, ein Auto stand vor einer grünen Ampel und fuhr nicht weiter. Ich schlug einen Bogen, um dem Wagen auszuweichen, meine Verfolger machten das gleiche. Nun beschleunigte ich noch mehr und rannte wie von Furien gejagt die letzten hundert Meter zum Hotel. Als ich den Eingangsbereich des Marison Hotels erreicht hatte, blieben meine Verfolger stehen. Sie warteten, bis ich die Eingangshalle betreten hatte, drehten sich dann um, und gingen, die Hände in den Taschen vergraben, gemächlich nebeneinander zurück.

Auch wenn ich meine Leichtfertigkeit aus dem Abstand der Jahre noch immer nicht ganz verstehen kann, wurde dieses weit zurückliegende nächtliche Erlebnis für mich zur halb kuriosen, halb makabren Ouvertüre meiner späteren afrikanischen Reisen. Dreierlei habe ich daraus gelernt:

(1) Die Darstellung Südafrikas, wie sie sich in vielen Büchern, Zeitungen und einem großen Teil der öffentlich-rechtlichen Medien darstellt, ist gelinde gesagt, geschönt, um nicht zu sagen, krass falsch. Kennzeichnend dafür war die idiotische Empfehlung meines Reiseführers die Straßenfriseure von Johannesburg zu besuchen, wobei ich aber der Gerechtigkeit halber sagen muss, dass es sich um bei dem Lonely Planet Guide um eine sehr alte Ausgabe handelte. In den Neuauflagen ist man in dieser Hinsicht erheblich vorsichtiger geworden. Natürlich war vor meiner Abreise in Deutschland darüber berichtet worden, dass nach dem Machtwechsel am Kap die Kriminalität in den südafrikanischen Städten explodiert sei. Es hatte aber auch ganz andere, positivere Nachrichten gegeben. Ihr Tenor war, dass Südafrika einen neuen Anlauf wage, dass der neue Präsident Nelson Mandela das Land versöhnen und in eine friedlichere Zukunft führen würde. Ja, man solle Südafrika gerade jetzt besuchen und Zeuge einer epochalen Umwälzung werden, wie sie die Welt noch nicht gesehen habe. Weil mir solche Nachrichten viel besser gefielen, als die düsteren Unkenrufe, hatte ich sie schließlich geglaubt und war in meiner Arglosigkeit in die Johannesburger Nacht hinausgegangen.

All das ist lange her, trotzdem hat sich die geschönte Berichterstattung über Südafrika bei den meinungsführenden Medien kaum geändert. Auch wenn sich die Sicherheitslage in den großen Städten immer weiter verschlechtert, widerstrebt es vielen Redakteuren offenbar noch immer, die Schattenseiten des neuen Südafrikas ungeschminkt darzustellen.

(2)Heute weiß ich, dass in dem Jahr, in dem ich Südafrika zum ersten Mal besuchte, die öffentliche Ordnung auf der Kippe stand. Die Knute der Apartheid war überwunden, Millionen Menschen waren dabei, die Townships und Homelands zu verlassen, um in die Städte zu strömen, allen voran nach Johannesburg. Dort staunten sie über den Reichtum der Weißen und forderten ihren Anteil, wenn nötig, mit Gewalt - wobei paradoxerweise die Gewalt dann vor allem ihresgleichen traf. Ein innergesellschaftlicher Bürgerkrieg zwischen den schwarzafrikanischen Ethnien der Zulus und Xhosas, zwischen Arm und Reich, Stadt und Land drohte das gerade erst frei gewordene Land zu zerreißen. Dieser latente Konflikt dauert an und hat zusammen mit der „normalen“ Kriminalität in der Zeit zwischen 1994 bis 2006 weit über hunderttausend (!) Todesopfer gefordert. Ganz zu schweigen von den Vergewaltigungsopfern, namentlich unter schwarzen Frauen, die nach Millionen zählen.

Allerdings trifft diese Massengewalt die Menschen in ganz unterschiedlicher Weise. Wer sich als Weißer nur am Tage durch die Zentren der großen Städte bewegt und die Nacht ebenso meidet wie die Vorstädte, bleibt meistens verschont. Das gilt in noch höherem Ausmaß für Touristen, die sich in den Städten kaum aufhalten und vorwiegend die Nationalparks besuchen.

Mein Ausflug auf die nächtlichen Straßen von Johannesburg war also eine ahnungslose Grenzübertretung gewesen, ich war ohne Not von einer Zone relativer Sicherheit in den Naturzustand gewechselt, von dessen Gefährlichkeit ich noch nichts ahnte.

(3) Glimpflich war es in der Nacht von Johannesburg wahrscheinlich nur abgelaufen, weil mich der Inhaber des Friseursalons beschützt hatte. Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass die beiden Männer, die mich verfolgten, mir zu meiner Sicherheit hinterhergeschickt worden waren. Obwohl es vor allem die schwarzafrikanische Bevölkerungsmehrheit ist, die unter der überbordenden Kriminalität am meisten leidet, sind es oft gerade die Schwarzafrikaner, die ahnungslose Weiße bei der Hand nehmen und auf den richtigen Weg weisen, wenn sie sich wie die Lämmer in einem Wolfsrudel verirren. Ähnliches habe ich später immer wieder erlebt. Auch wenn ich es nicht ganz verstehe, kommt es mir so vor, als betrachtete die Mehrheit der Schwarzafrikaner trotz ihrer eigenen Not die Weißen als eine besondere, zarte Spezies, die man nach dem Verlust ihrer Vorrechte vor einem Geschick behüten müsse, dem sie nicht gewachsen sind. Nelson Mandela selbst hat diese Merkwürdigkeit in seiner Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ am Beispiel einer weißen Bettlerin beschrieben, die ihn unverständlicherweise mehr rührte als ein schwarzer Bettler.

Sollen diese Zustände den Reisenden abhalten, Südafrika zu besuchen?

Nein, dreimal nein.

Denn die Sicherheitslage für Touristen ist noch immer vertretbar - wenn sie sich vor Eskapaden hüten und bestimmte Sicherheitsvorschriften beachten. Außerdem sind die Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich - in der Kapprovinz sind die Zustände besser als in der Transkei, in Pretoria besser als in Durban. Und am allerbesten, weil kaum von Kriminalität betroffen, sind die Nationalparks, in denen man vor den Menschen sicher ist und sich nur vor wilden Tieren hüten muss.

Wer sich wirklich für die sozialen Zustände in Südafrika interessiert, dem empfehle ich einen geführten Besuch in einem Township im Umkreis von Kapstadt oder Johannesburg. Dabei handelt es sich nicht um den Besuch eines „Menschenzoos“, wie es oft abwertend heißt, sondern um einen schockierenden Intensivkurs zum Verständnis einer afrikanischen Wirklichkeit, die dem Touristen ansonsten fast immer verborgen bleibt (vgl. S. 189ff.).

Wer eine Vorstellung von dem Zauber erhalten will, der die Europäer jahrhundertelang in den Süden Afrikas trieb, der bereise die sogenannte „Gartenroute“ zwischen Kapstadt und Port Elisabeth. In Plettenberg, Knysa oder im Tsitsikamma Nationalpark weiß die blühende Natur nichts von den Nöten der großen Städte, und allenthalben stößt man auf vertraute Spuren Europas in einem ganz anderen Winkel der Welt (vgl. S. 78ff.). Erheblich heikler war es in der Transkei und Durban, die ich mit den Büchern von J.M. Coetze im Gepäck bereiste. (vgl. S. 119ff.). In der alten Provinz Natal, zwischen den Stränden des Indischen Ozeans und dem Krüger Nationalpark begegnete ich der Geschichte Südafrikas auf Schritt und Tritt. Vom Schlachtfeld am Blood River bis zum Burenmonument von Pretoria führte mich die Reise durch eine vielfach geschichtete Wirklichkeit, deren Konturen und Farben täglich wechselten – schwarz waren die Dörfer, blutrot die Bougainvilleas neben alten anglikanischen Kirchen, blütenweiß die Kleider der weißen Mädchen, die die Sonntagschule in Ladysmith besuchten, korrodiert die alten Kanonen aus den Zulukriegen und obszön-martialisch der Gesichtsausdruck des burischen Schwertträgers am Vortrekker-Monument. Dann wieder das Afrika aus dem Touristenkatalog, der Drive-in Krüger Nationalpark, in dem die Tiere mittlerweile so adaptiert sind, dass sie die Fahrzeuge auf den Asphaltstraßen kaum noch beachten und ihre Leben leben, als wären die Menschen gar nicht da. Kurz und gut – es gibt reichlich Gründe, Südafrika zu bereisen. Nur in Johannesburg braucht man sich nicht über Gebühr lange aufzuhalten.

Vom Kap zum Kilimandscharo

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