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3. Kapitel
ОглавлениеDer Sonntag hat seine festliche Stimmung vom ersten Läuten der Kirchenglocken, das in der Morgenluft verklingt, bis nachmittags, wo man, vom Segen heimkehrend, wieder über die heimische Türschwelle tritt; darnach aber, wenn die Sonne sich neigt und die Vögel zu lärmen aufhören, während »Manner und Buben« im Wirtshause damit anheben, beginnt für jene, die in den Stuben sitzen, für die Bäuerinnen, für die Bursche, die kein Geld haben, für die Bauern, die es sparen wollen, für die Unkräftigen, die vom Siechtum eben erstanden sind oder sich in dasselbe gelegt haben, eine verlassene, nachdenkliche, ja, langweilige Zeit.
Gegen das Verlassensein hilft freundnachbarlicher Besuch, gegen die Nachdenklichkeit unterhaltsame Ansprache, welche auch der Langweile nicht aufzukommen gestattet. Es war daher recht christlich von der alten Matzner Resl am oberen Ende des Ortes, daß sie sich entschloß, die Kleebinderin am unteren Ende desselben heimzusuchen. Die alte Resl befand sich nicht einmal allein auf ihrem Stübel, sie hatte da jederzeit ihr einzig Kind, die Sepherl, um sich, mochte sie übrigens auch einen kleinwenig selbstsüchtigen Anlaß zu dem Besuche bei der Mutter Muckerls haben, so soll das der Christlichkeit ihres Unternehmens keinen Abbruch tun; wer kann im Verkehr unter Menschen diese Schwäche hoch aufnehmen, die selbst der Frömmste im Verkehr mit Gott nicht los wird, durch den er für sich die ewige Seligkeit zu gewinnen hofft.
So gingen denn Mutter und Tochter die schmale Straße zwischen der Häuserzeile und dem Ufer des Baches dahin. Sepherl war eine mannbare Dirne, mittelgroß, mehr sehnig als voll gebaut, was, wie die Rauheit ihrer Hände, von früher, harter Arbeit herrühren mochte; sie hatte ein rundes, gutmütiges Gesicht, das schönste in selbem waren große, frische, blaue Augen, die sie oft, wie wundernd, weit aufriß, und daher rührte wohl die dünne, in der Mitte gebrochene Falte, die ober den Brauen von einer Schläfe zur anderen lief. Ihr Mund war klein, wie im Wachstum zurückgeblieben und nahm sich, geschlossen, die blutroten Lippen in tiefe Winkel verlaufend, wie der eines Kindes aus, das dem Weinen nahe ist.
Die alte Kleebinder saß bei geschlossener Türe am Fenster, als die beiden in das Vorgärtchen traten. Sie beeilte sich ihnen entgegen.
»Bist allein,« sagte die Resl.
»Ja, mein Muckerl is in‘s Wirtshaus.«
»Ich weiß.«
»Tut euch setzen. Sepherl, nimm dir den Sessel aus dem Eck dort. Is recht schön, daß ihr euch wieder einmal anschau‘n laßt«
»Freut uns, wann wir dir nit ung‘legen kommen. Heut‘ is a schöner Tag und ‚n Weg von uns her kann mer wohl für ein‘ klein‘ Spaziergang rechnen. Es wär‘ auch gar nit unlustig zu gehen, tat‘ nur der Bach nit sein, der stinkt so viel.«
»Ja, so viel stinken tut er,« sagte Sepherl mit dünner Stimme und wunderte sich hinterher, das heißt, sie machte große Augen, sei es über die üble Eigenschaft des Baches, oder weil sie, ungefragt, dazwischen gesprochen.
»Dich sieht mer aber fast gar nit außer Haus, Kleebinderin?«
»Ich komm‘ so viel schwer ab. Weißt ja, Matzner Resl, mein Muckerl arbeit‘t heim. Feldarbeit braucht kein Nachräumen, aber Stubenarbeit braucht‘s, man glaubt nit damit fertig z‘werden. Ja, er schafft aber auch fleißig die ganze Woche über. No, wollt‘ er sich heut‘ einmal lustig machen, hab‘ ich mir gedacht, soll er.«
»Hast recht, Kleebinderin. Ich kann nit anders sagen, als daß du recht hast. Er is a braver Bub‘ und gönnt dir, als seiner Mutter, ja auch alles Gute.«
»Das tut er. Der liebe Gott mag ihm‘s lohnen.«
»Amen!« sagte die alte Resl, dann deutete sie nach der oberen Lade eines breiten Wäscheschrankes. »Gelt, jetzt is wohl wieder Geld da d‘rein, wie der alte Kasten schon seit viel Jahr‘ nimmer beisamm‘ g‘seh‘n hat?«
»Es is schon ein‘s d‘rein,« sagte die Kleebinderin, vom Ellbogen auf die Hände dazu beteuernd schüttelnd, »ich sag‘ nit, daß kein‘s d‘rein wär‘, aber so viel, wie du vermeinst, mein‘ liebe Matznerin, wohl nit! Mußt ja bedenken, daß aus ‚n harten Zeiten her noch Schulden zu zahlen waren, und was ‚s Arbeitszeug kost‘t und d‘Farben, wie hoch d‘Fracht z‘steh‘n kommt und was ein‘m d‘Steuer abbricht, Jesus, du mein!« Sie beugte sich, beide Hände auf die Knie gestützt, vor und sprach zur Diele hinab. »Kannst mir‘s glauben, wann d‘besten Freund‘ kämen, nit ein‘ Heller hätten wir zu verleihen.«
»Mein‘ liebe Kleebinderin, wer so gut als ich weiß, wie ein‘m nach nothafter Zeit jeder z‘ruckg‘legte Groschen anlacht, dem leid‘t ‚s d‘Freundschaft nit, daß er davon borgen kommt. Mußt also nit meinen, ich hätt‘ an dein‘ Geldtruhen klopfen woll‘n.«
»Glaub‘s eh nit, bist ja von je a Sparmeisterin g‘west.«
»Mußt auch nit glaub‘n, ich vermut‘ gar so viel bei dir. Gott sei Dank, rechnen hab‘ ich noch nit verlernt. Es is wahr, ös habt‘s jetzt ein schön‘s Einkommen, und der Muckerl is rechtschaffen fleißig, aber dafür will er halt auch sein‘ Aufheiterung haben, wie ja billig is; doch das leucht‘ ein‘m ein, daß du kein Haus sparen kannst, bei dem Aufwand, den er macht.«
»Mein Muckerl?« »Na ja, und es wird ihm ‚s auch niemand verdenken, daß er sein jung‘ Leben g‘nießt und sich wie andere Bursche mit‘n Schatz in‘s Wirtshaus setzt.«
»Mein Muckerl? Mit ein‘ Schatz?«
»Und sauber is die Zinshofer Helen‘, da laßt sich nix sag‘n.«
»Die Zinshofer Dirn?«
»Und gegen d‘Armut, die ‚s plagt, kommt ja der Muckerl auf. Schand‘ macht‘s ihm keine, sie kann sich seh‘n lassen neben ihm, wie er‘s jetzt h‘rausputzt hat von Kopf bis zun Füßen.«
»Von Kopf bis zun Füßen, sagst? O, der scheinheilige Lotter! Und ich wüßt‘ um die ganze G‘schicht nit einmal von Füßen an, wenn nit das kecke Mensch, um mich z‘ärgern, die Schuh‘ und Strumpf g‘wiesen hätt‘, die er ihr kauft hat.«
»Jesses! – So ein Unbedacht! – Heilige Mutter Anna! – Hätt‘ ich nur nix g‘sagt!« Die alte Resl legte nach jedem dieser An- und Ausrufe die Hand vor den Mund, aber nur, um sie sofort wieder wegzunehmen, und nach dem letzten faßte sie nach den Händen von Muckerls Mutter. »Mußt mir nit bös‘ sein, Kleebinderin.«
»Ich muß dir wohl danken,« entgegnete diese niedergeschlagen, »daß du mir noch heut‘ rechtzeitig damit in‘s Haus‘ kommen bist und ich nit morgen vor all‘n Leuten im Ort ein‘ Narren gleichschau‘.«
»Nimm‘s nit übel, Kleebinderin, daß ich‘s frei bered‘, mir is gleich die Sach‘ nit recht richtig vorkommen, und ich mocht‘ schwer daran glauben, aber sag‘ selber, mußt‘ ich nit? Könnt‘ ich mir denken, du wüßtest um nix? Freilich war mir rätselhaft, wie sich‘s hat schicken mögen, daß dir mit einmal die Zinshoferischen Leut‘ recht sein, die du nie hast leiden mögen!«
»Nach all dem, heut‘ weniger wie je. Jesses, der gottlos‘ Bub‘!«
»Aber was wahr is, Kleebinderin, is wahr, d‘Schönste hätt‘ er an ihr.«
Die Kleebinderin wies mit der Hand alle Schönheit entschieden von sich.
»Ja, ich an deiner Stell‘ gäb‘ auch nix d‘rauf. Dein Bub‘ is a braver Bub‘, ein guter Bub‘, aber d‘Schönheit plagt ‚n just nit, und neb‘n der Zinshofer Dirn‘ kommt er gar nit auf. Heirat‘ ein Mann z‘tief unter sein‘ Vermögen, is er seiner Wirtschaft feind, heirat‘ er z‘hoch über sein‘ Schönheit, is er‘s seiner Ruh‘.«
»Mein‘ liebe Matznerin, das is a dalket Reden! Für mein‘ Bub‘n is mer d‘Schönste g‘rad sauber g‘nug und wär‘ d‘Zinshofer Dirn‘ nur anderer Leut‘ Kind, so sorget ich nit.«
»Verzeihst schon, aber so viel, wie du von dein‘m Muckerl, kann auch die Zinshofer von ihrer Helen‘ halten, denn jede Mutter hat ‚s schönste Kind und die Alte achtet‘ ‚s wohl für kein‘ Gnad‘, die vom Himmel fallt, wenn dein Sohn ihr‘ Dirn‘ zum Weib nähm‘! Mein liebe Kleebinderin (diese Ansprache überzuckerte jedesmal eine bittere Pille, die eine Alte der anderen einzugeben Lust hatte), halt‘ du dein‘ Bub‘n so hoch d‘willst, aber af‘s Kirchdach mußt‘ ‚n nit setzen; wo junge Leut‘ g‘nug af ebenen Boden ohne B‘schwer sich z‘sammfinden mögen, wird ihm kaum einer andern Mutter Kind dorthin nachsteigen. Freilich, ein arm‘s Hascherl wüßt‘ ich, daß sich lang‘ schon einbild‘t, er säß‘ so hoch über alle andern, und sich ‚n gern herunterholet, aber kein‘ Leiter find‘t, die hinanreicht.« Sie streichelte Sepherls Scheitel und tätschelte deren Wange. Die Dirne ward glührot im Gesichte und blickte wieder wundernd auf. Frau Resl erhob sich. »Nun, denk‘ ich, wär‘ g‘nug g‘schwätzt, vielleicht schon all‘s z‘viel; aber wenigstens weißt, woran d‘bist, Kleebinderin und wann d‘dazu schaust, so ließ sich wohl noch verhüten, was dir etwa nit in ‚Kram taugt. No, nix für ungut. B‘hüt‘ Gott!«
»B‘hüt‘ Gott! kommt gut heim. Völlig verwirrt hat mich euer Reden. Gute Nacht!«
»Gute Nacht, Kleebinderin!«
Auf der Straße fragte die Dirne mit leiser, klagender Stimme: »Nun sag mir, mußten g‘rad‘ wir ihm ‚n Verdruß in‘s Haus tragen?«
»Du Tschapperl, du! Hätten wir ihm den ersparen können?! Ich wollt‘ mir nur niemand bei der Kleebinderin zuvorkommen lassen; sie sollt‘ seh‘n, daß alte Freundschaft die erste am Platz is, und sie sollt‘ hören, was mich schon lang‘ druckt, zu sagen, nit meinetwegen, sondern dein‘twegen.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Morgen weiß er‘s, daß wir da waren, und dann schaut er mich mit kein‘ guten Aug‘ mehr an.«
»Bisher hat er dich mit gar kein‘m ang‘schaut! Is dir so um sein Anschau‘n, kannst ja z‘frieden sein, wann er derweil auch nur böse Augen in dir stecken laßt. Kommt Zeit, kommt Rat.«
Beide schritten längs des Baches dahin, von dem nun in der Abendkühle eine widerlich riechende Feuchte aufstieg.
Allein gelassen, geriet die Kleebinderin, je mehr sich die Zeit dehnte, in immer größere Aufregung und Befürchtungen, der Falschheit ihres Sohnes wegen, so daß zuletzt die arme Alte ebensowenig an einer Stelle zur Ruhe kam, wie eine Maus in der Falle.
Das Wirtshaus lag am andern Ende des Dorfes. Da der Garten etwas anstieg, so war eine Kegelbahn in demselben nicht anzubringen, weder in der Höhe noch der Quere nach; bergauf hätte kein Spieler die Kugel bis zu den Kegeln zu treiben vermocht, sie von selbst bergunter laufen zu lassen, dabei wär‘ weder Kunst noch Spaß gewesen, und quer, nach einer Seite überhängig, mußte es ja jeden Schub verreißen und käm‘ der beste Scheiber vor lauter Anwandeln zu keinem Spiel. Aber kegeln wollten die Bauern, und so war denn die Bahn vor dem Hause, längs der Straße angebracht und, wer einkehren wollte, mußte unter dem Vordach hindurch, an den lärmenden, meist hemdärmeligen Spielern vorbeigehen.
Als der Kleebinder Muckerl mit der Zinshofer Helen‘ herankam, blickten alle verwundert auf.
»Je, Muckerl, getraust du dich auch einmal von deine Herrgottl‘n weg?« rief der Wirt und folgte den beiden durch den Hausflur, an Gaststube und Küche vorbei, in den Garten nach.
Der Bursche, der eben zum Schub angetreten war, verzog das Maul, verdrehte die Augen und ließ, als ob er über diese Begegnung auf das nächste vergäße, die schwere Kugel aus der Hand fallen, worauf er einen Schrei tat und auf einem Beine herumhüpfte, als sei das andere geschädigt worden.
Es mußte das ein guter Spaß sein, weil ihn alle belachten.
Im Garten war es kühl und fast einsam. An einem Tische saßen zwei alte Bauern und an einem zweiten ein Knecht mit einer Dirn.
»Was soll ich bringen?« fragte der Wirt. »Wirst wohl ein‘ Wein woll‘n, ein‘ bessern, versteht sich und ein Backwerk? Wirst dich nit spotten lassen?«
Versteht sich, daß der Muckerl sich nicht spotten ließ.
»Sapramost,« rief einer der Bursche draußen, »ist aber die Zinshoferische sauber, die is die Schönst‘ word‘n von all‘n!« Auf der Bank hinter dem langen Tische, auf dem die Spieler ihre Krüge stehen hatten, saßen etliche Dirnen, die mochten, während der Schatz kegelte, zusehen oder untereinander plaudern, durften auch ab und zu einen Schluck nehmen. Hatte eine ein Glas mit süßem Weine vor sich und etwa gar ein Zuckerbretzel dazu, so war das eine große Aufmerksamkeit, oder sie – bezahlte sich‘s selbst.
Bisher hatten sie ziemlich fremd gegeneinander getan und sich nur wenige Worte gegönnt. Oft sah eine die andere mißtrauisch von der Seite an und dann wieder von ihr weg, nach der Kegelbahn und verfolgte eifrig den Gang des Spieles oder tat wenigstens so, während sie mit dem Schatz zu liebäugeln versuchte und dabei auch beobachtete, »ob nit die daneben ein schlechts Mensch mache« und ihn ihr abzuwenden verlangt, wobei es allerdings vorkam, daß die Betreffende selbst einen Augenblick darauf vergaß, daß sie seit acht Tagen mit einem »Neuen« gehe und aus alter Gewohnheit dem »Früheren« zulächelte. Jetzt aber, wo mit einmal die Zinshoferische die Schönste sein sollte, rückten sie naserümpfend zusammen, zogen bedauernde und spöttische Gesichter und wußten wohl, wem das Bedauern und der Spott galt.
»Merkwürdig,« sagte der Wirtshannsl, nebenbei bemerkt, seines Vaters beste Kundschaft, »merkwürdig, daß bis heut‘ keiner von uns um der ihr Sauberkeit g‘wußt hat!«
»Kein Wunder,« sagte ein anderer, »wann hat man‘s voreh‘ auch zu G‘sicht kriegt? Nit außer, nit unter der Arbeit. Ihr Hütten liegt am untersten, untern End‘ und müß‘t mer erst g‘wußt hab‘n, was mer dort z‘suchen hat, eh‘ man sich nach Feierabend dahin müd‘ lauft, und in‘s Tagwerken hat‘s ihr Mutter nit g‘schickt.«
Das war richtig, die Helen‘ hatte noch niemand arbeiten gesehen.
Als jetzt ein stämmiger Bursche in die Ärmel seiner Jacke schlüpfte und sagte: »Die Schnur is aus, scheibt‘s ohne meiner weiter. Ich geh‘, mir die zwei Leuteln anschau‘n,« da schrien die Dirnen lachend: »Tu‘ dich nur nit in Kleebinder Muckerl verschau‘n!« Sie bildeten jetzt eine Kette und hatten gegenseitig die Arme um Nacken und Hüften geschlungen.
»Sorgt‘s nur, daß euch keiner von euere Muckerln ausreißt,« sagte der Stämmige mit pfiffigem Augenblinzeln.
Nicht lange, so war ein Bursche nach dem andern verschwunden und bei den Dirnen, die nun aneinanderrückten wie Schafe, wenn‘s donnert, blieb niemand zurück als der Wirtshannsl. Der Schalk wußte, daß er nun als der »einzig G‘scheite« bei den armen, vernachlässigten Geschöpfen einen Stein im Brette haben werde, und da verletzte Eitelkeit gar manche veranlaßte, sich so zu benehmen, als wäre ihr darum zu tun, die widerfahrene Kränkung auch zu verdienen, so sah er einem recht unterhaltsamen Abend entgegen. Wirklich schallte es bald unter dem Vordache vor lautem Gelächter und Geschrei, das manchmal in ein grelles Aufkreischen ausartete. —
Der Kleebinder Muckerl war im Orte wohlgelitten, in besonderer Achtung stand er nicht, kam ihm ja auch gar nicht zu. Körperstärke, Arbeitstüchtigkeit, erwirtschaftetes, auch überkommenes Geld wertet der Bauer frischweg, darauf versteht er sich, das bewährt sich unter seinen Augen als zu Nutz‘ und wünschenswert; vor dem Manne, dem man nicht auf den Grund der vollen Tasche zu sehen vermag, rückt er den Hut und gibt ihm, als einem, dem Gott über die andern emporgeholfen hat, wie der hohen Obrigkeit, aus Respekt, kurze Reden. Alle andere Schätzung und Wertung ist ihm überkommen, selbst was unseres lieben Herrgotts und all‘ seiner Heiligen Gnad‘ und Barmherzigkeit anlangt, verläßt er sich auf seines Pfarrers Wort und Lehr‘. Alles, was in seinem Kreise dem Hergebrachten zuwiderläuft, macht ihn verlegen und mißtrauisch, ‚s mag ja von Gott gegeben sein, ‚s könnt‘s aber auch der Teufel geschenkt haben, wer weiß sich da schnell aus? Und gar, was so inmitten zwischen dem Weltlichen und Heiligen liegt, das Gebiet der Kunst, das ist ihm allzeit nebelgrau geblieben und dürfte es ihm wohl bleiben; vor einem Kunstgegenstande wagt er sich kaum über das reservierte Urteil hinaus: Das schaut schön aus! Da war denn nun der Kleebinder Muckerl, klein und knirpsig, sicher außerstand, auf dem Felde seinen Mann zu stellen, freilich war sein Glück, daß er findig und geschickt genug war, sich daheim mit leichterer Arbeit mehr Geld zu verdienen, als manche andere mit der harten, aber feiern durfte er auch nicht, und sein‘m Sack war wohl noch auf‘n Grund zu seh‘n, übrigens, war solche Arbeit überhaupt welche zu nennen und Ehr‘ dabei aufzuheben? Wohl heißt‘s, zu Zwischenbühel da sitzt einer, der versteht‘s Herrgottlmachen und Heiligenschnitzen, aber (die guten Zwischenbüheler empfanden instinktiv, daß ihr Dorfkind kein Genie sei) wenn er‘s gar so ausbündig, so aller Welt ungleich verstünd‘, säß‘ er nit mehr unter uns. Eben dieses Gefühl der Gewöhnlichkeit Muckerls, das dem unzureichenden Grunde, ihn als etwas Besonderes zu betrachten, entsprang, machte ihn wohlgelitten, nur wollten ihn die Bursche unter sich nicht als einen gleichen gelten lassen, und schau‘ ein‘s, nun möcht‘ mit einmal das Halbmännel, der Stub‘nschaffer gar vor allen was voraushaben und mit der Schönsten vom Ort gehn?!
Dazu dürft‘ ihm doch wohl der Weg zu verlegen und zu verleiden sein.
Wär‘ anders denen unter‘m Vordache draußen die Lustigkeit vom Herzen gegangen, so hätten sie die Gesellschaft, die da rückwärts im Garten saß, verlachen können, denn die kam zu keinem Behagen.
Der Stämmige, der zuerst herbeigeschlichen war, hatte sich ohne viele Umstände an Muckerls Tisch gesetzt, nachdem er dem Herrgottlmacher ein paar kurze Reden gegönnt, wobei er, über dessen Achsel hinweg, Helenen zublinzelte, ging er sofort daran, sich dieser gegenüber als den Spaßhaften und Zutätigen zu bezeigen, denn er hielt dafür, daß der Deckel rasch vom Korbe müsse, wenn er Hahn darin sein wollte, denn die andern Bursche würden nicht lang wegbleiben, aber schon der nächste, der hinzukam, fand ihn verdrossen mit einer hochgeröteten Backe dasitzen.
Und alle Bursche, wie sie sich nun hinzufanden, richteten erst vorab paar Worte an den Muckerl, dann reckten sie die Hälse und sprachen von dem nächsten Tische herüber zu der Dirne, als säße die allein unter ihnen.
»Zinshofer Dirn‘, anschau‘n is wohl erlaubt?«
»Wenigstens nit verboten,« sagte sie.
»Könnt‘st uns ein G‘fallen erweisen —«
»Wüßt‘ kein Grund.«
»Sag‘ uns, wie d‘ so sauber sein magst?«
»Dank für‘s Kumplament, is mir leid, daß ich‘s nit z‘ruckgeben kann.«
»Macht nix. Auf d‘Säubrigkeit von andere verstehst dich halt nit. Dös sieht man.«
Alle Bursche lachten, und zum Ärger der Dirne, Muckerl mit.
Da saß sie nun, wie sie es gewollt, unter Leuten und wünschte sich weit weg. Hätte sie lieber die dumme Geschichte mit dem Muckerl, wo doch noch nichts dahinter war, geheim gehalten! Was brauchte sie die durch ‚s ganze Ort zu tragen und von morgen an sein Schatz zu heißen? Dafür haben sie auch die Bursche genommen, als sie vorerst Muckerl ansprachen, als ob sie gar nicht da wäre, aber statt nur ihre Ansprach zu suchen und dadurch zu zeigen, hier säßen zwei, die kein Drittes neben sich leiden, hat er sie wie allein sitzen lassen, und da haben denn die andern getan, als ob er nicht da wäre, und die Hände nach ihr ausgereckt, wie nach einem Ding, das man nur aufzugreifen braucht, etwa wie die junge Katz‘ beim Fell, und er ist daneben gesessen, hat keinem auf die Finger geklopft, er hat sich nicht um sie gewehrt, nein, er hat sie sich um ihn wehren lassen, als war‘ er ihrer so ganz sicher und sie müßte sich in allem, lieb oder leid, in ihn schicken. Lachen mag er, statt in den Tisch zu schlagen, als man ihr in‘s Gesicht bietet, sie vergab‘ sich was, wenn sie mit ihm ging‘!
Diese Gedanken schössen ihr durch den Kopf, während sie die fortdauernden Stichelreden der Burschen zungenfertig zurückgab. In augenfälligem Unbehagen saß sie da, zwischen den Händen, die sie vor sich auf den Tisch gestemmt hielt, ihr Taschentuch zerrend und zerknüllend; mit klarer Stimme, die aber etwas höher klang als sonst, schnellte sie ihre Gegenreden heraus und schielte dabei unter den zusammengezogenen Brauen nach einer leeren Tischplatte neben, nur manchmal warf sie Muckerl, der an ihrer Seite duchste, einen zornigen Blick zu, wenn der gutmütige Bursche in das allgemeine Gelächter einstimmte und dadurch die Heiterkeit auf ihrer beiden Kosten auf das Bedenklichste erhöhte. Der Klang einer Zither am Nebentische machte sie zusammenschrecken. Sie wußte, was nun kommen werde. Gegen alle Rede glaubte sie aufkommen zu können und keine schuldig bleiben zu müssen, aber singen konnte sie nicht, dazu war ihre Stimme zu schrill und dafür fehlte ihr das Gehör, das wußte sie vom Kirchengesange her, auch auf‘s Wortreimen versteht sie sich nicht und hat nie auf solche Alfanzerei etwas gegeben; gegen Trutzliedeln ist sie wehrlos.
Da hob schon einer damit an.
»Beim Herrgottlmachen,
Bei‘n Heiligenschnitzen
Tu ich mich d‘ ganz‘ Wochen
Krump und bucklet sitzen.«
Darauf sang ein anderer:
»Ich kenn‘ ein jed‘s Fladerl,
Jed‘s Maserl im Holz, —
Und ‚s aller sauberste Maderl,
Dös war halt mei Stolz!«
Nun kam der Stämmige an die Reihe:
»Spannst du dich mit der Schönsten z‘samm,
Gib, Herrgottsschnitzer, acht,
Am End‘, da hätt‘st damit erst dann
Ein Herrgottsschnitzer g‘macht!«
Das zündete. Aber ehe noch das stürmische Gelächter sich beruhigen konnte, hatte Helen‘ den Muckerl an der Hand gefaßt, emporgezogen und war mit ihm dem Ausgange zugeschritten.
»Oh! Hoho!« schrien die Bursche. »Schon fortgeh‘n, wo‘s erst lustig wird und ‚s schönste Paar dazu?!«
Obwohl es nun auch dem Muckerl für ausgemacht galt, daß er just nicht unter Freunden gesessen habe, wofür er ihnen, ohne »Behüt‘ Gott« zu sagen, den Rücken kehrte, so konnte ihn doch der Spott über das schönste Paar, den er, auf sich gemünzt und vom Neide eingegeben glaubte, nur schmunzeln machen.
Die Dirne aber fühlte nur eine Spitze gegen sich heraus, weil sie mit einem gar so Ungleichen gehe, der obendrein weder Maul noch Hand zu brauchen wußte, der sie reden und sich von ihr leiten ließ. Mit einem trotzenden Blick in all‘ die spöttischen Gesichter, wandte sie sich unter der Schwelle ab und schritt Hand in Hand mit dem Burschen hinweg. Bis sie das Wirtshaus außer Sicht hatten, gingen sie so, dann gab ihn das Mädchen frei und trat von ihm zurück.
»Aber warum denn, warum denn?« fragte der Bursche, der den kräftigen Druck ihrer Hand nicht ungerne weiter empfunden hätte.
»Es war nit deshalb,« sagte sie.
Sie sprach es nicht aus, weshalb sie nach seiner Hand hätte fassen können, noch was anderes sie veranlaßte, es zu tun, aber der Bursche verstand sie und schritt, vor sich hinblickend, neben ihr her.
Sie sprachen kein Wort und gingen mit raschen, hallenden Schritten durch das Dorf.
Bei seiner Hütte angelangt, bot ihm die Dirne kurz: »Gute Nacht!« Sie übersah wohl in der Dunkelheit des Burschen dargereichte Hand und war ihm rasch aus den Augen.
Ihre Türe hörte er knarren, ein paar keifende Worte der Alten, dann war alles ringsum stille. Die Sterne brannten hoch am Himmel, die Mondsichel glänzte. Fern bellte ein Hund, und nun hörte er auch den Bach leise gurgeln.
Seufzend wandte er sich ab und schritt nach seinem Häuschen.