Читать книгу Little Women: Beth und ihre Schwestern - Луиза Мэй Олкотт, Луиза Мэй Олкотт, Mybook Classics - Страница 5
Drittes Kapitel
ОглавлениеDer junge Lorenz
„ Jo! Jo! wo bist du?“ rief Margaret am Fusse der Bodentreppe. Hier“, antwortete eine heisere Stimme von oben. Margaret eilte hinauf und fand ihre Schwester, in einen Shawl gehüllt, auf einem dreibeinigen alten Sofa am sonnigen Fenster, Aepfel essend und über dem ,Erben von Redclyffe‘ Thränen vergiessend. Dies war Jo’s Lieblingsplätzchen; dorthin zog sie sich gern mit einem halben Dutzend schöner Aepfel und einen interessanten Buche zurück, um sich in Ruhe ihrer Lieblingsbeschäftigung, der Lectüre, und der Gesellschaft einer zahmen Ratte zu erfreuen, die sich durch ihre Gegenwart nicht im mindesten stören liess. Als Margaret erschien, schlüpfte das Thier in sein Loch; Jo trocknete ihre Thränen und fragte ihre Schwester, welche Nachricht sie ihr bringe. „Sieh nur, welcher Spass! Eine Einladung von Frau Gardiner auf morgen Abend! rief Margaret, indem sie der Schwester das kostbare Billet zeigte und es mit Entzücken las.
„Frau Gardiner sendet Fräulein Margaret und Josephine March ihre Freundlichen Grüsse und bittet sie, am Neujahrsabend bei, ihr Thee zu trinken. Es wird ein wenig getanzt werden. Mama erlaubt uns, hinzugehen; aber was werden wir anziehen?“
„ Welche Frage! Haben wir denn etwas Anderes als unsere halbseidenen Kleider?“ antwortete Jo mit vollem Munde.
„ Wenn ich doch ein seidenes Kleid hätte!“ seufzte Margaret, „die Mutter hat mir eins versprochen, wenn ich achtzehn Jahr alt bin; aber noch zwei ganze Jahre warten, das ist eine Ewigkeit.“
„ Tröste dich, Margaret, unsere Popelinekleider sehen aus wie Seide und sind schön genug für uns. Deines ist ja so gut wie neu; meines freilich — ich hätte den Riss und die verbrannte Stelle darin fast vergessen. Was fange ich an? die verbrannte Stelle ist sehr sichtbar, und herausnehmen kann ich sie nicht.“
„Du musst so viel wie möglich sitzen bleiben, so dass man die Rückseite nicht sieht. Von vorn sieht das Kleid noch ganz hübsch aus. Ich werde ein neues Band ins Haar machen und Mama will mir ihre schöne Perlnadel leihen. Meine neuen Schuhe sind sehr hübsch, und meine Handschuhe können sich auch noch sehen lassen; so schön wie ich sie haben möchte, sind sie freilich nicht.“
„Meine haben leider Limonadenflecke, und neue kann ich mir nicht anschaffen; ich werde also wohl ohne Handschuhe gehen müssen,“ sagte Jo, die sich über ihre Toilette nie viel Sorgen machte.
„Handschuhe musst du haben, sonst gehe ich nicht mit,“ rief Margaret entschieden. „Handschuhe sind wichtiger als alles Andere.“
„Nun, so bleibe ich zu Hause, du weisst, diese Tanzgesellschaften sind für mich kein grosses Vergnügen.“
„Warum musst du auch so nachlässig sein! Handschuhe sind ein so schöner Artikel, und die Mutter hat gleich gesagt, sie würde dir diesen Winter keine neue wieder kaufen. Lassen sich die Flede denn gar nicht herausbringen?“
„Ich kann sie in die Hand nehmen, so dass niemand sieht, wie fleckig sie sind; einen andern Rath weiss ich nicht. Nein! ich will dir sagen, wie wir’s machen können: jede von uns, zieht einen guten Handschuh an und nimmt einen schlechten in die Hand; was meinst du dazu?“
„Deine Hände sind grösser als meine, und du wirst meinen Handschuh schrecklich aufweiten,“ sagte Margaret, die in Bezug auf ihre Handschuhe sehr eigen war.
„Nun, dann gehe ich ohne Handschuhe, es ist mir gleich, was die Leute sagen,“ rief Jo, indem sie zu ihrem Buche griff.
„Nein, ich werde dir einen von meinen leihen, aber mache ihn nicht schmutzig, halte dich gut und lege die Hände nicht auf den Rücken.“
„Mach’ dir meinetwegen keine Sorgen; ich werde mich musterhaft benehmen. Nun geh’ hin, um das Billet zu beantworten und lass mich dieses herrliche Buch beendigen.“
Margaret ging also hinunter, nahm ,die freundliche Einladung mit vielem Dank‘ an; besichtigte ihren Anzug und und sang vor Freude beim Anblick ihres ächten Spitzenkrageris, während Jo ihre Geschichte zu Ende las und dabei ihre vier Aepfel aufass.
Am Neujahrsabend war das Wohnzimmer verödet, denn die beiden jüngeren Schwestern spielten Kammerfrauen, und die beiden älteren waren ganz von ihren Toilettenangelegenheiten hingenommen. So einfach ihre Anzüge auch waren, gab es doch viel hin und her zu laufen; es wurde viel berathen und gelacht, und einen Augenblick war das Haus von einem starken Geruch verbrannten Haares erfüllt. Margaret wollte gern das Haar und die. Stirn gekräuselt haben, und Jo hatte es übernommen, die Papilloten zu brennen.
„Wie kommt es, dass sie so rauchen?“ fragte Lieschen, die auf einem Bette sass und zusah.
„ Das kommt von dem feuchten Haar, welches durchs Brennen trocknet,“ ersetzte Jo.
„ Was für ein sonderbarer Geruch! ganz wie wenn Federn verbrennen,“ bemerkte Amy, indem sie ihre eigenen hübschen Locken nicht ohne Befriedigung glatt strich.
„So, nun will ich die Papilloten los machen, und du wirst sehen, welche schöne Locken ich machen kann,“ sagte Jo, das Brenneisen, niederlegend. Sie nahm die papiernen Papilloten ab, aber ach! es kamen keine Locken zum Vorschein; das Haar blieb im Papier, und die entsetzte Friseuse legte eine Reihe kleiner versengter Bündel auf die Commode vor ihrem Opfer.
„O, was hast du gemacht? Ich bin ganz verunstaltet! Ich kann nicht hingehen,“ rief Margaret in Verzweiflung.
„O, das ist wieder meine unglückliche Hand! du hättest dich mir nicht anvertrauen sollen; ich verderbe alles. Ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir thut; das Brenneisen muss zu heiss gewesen sein, stöhnte Jo mit Thränen in den Augen.
„Das Unglück ist nicht so gar gross,“ sagte Amy, sie tröstend; kräusele das kurze Haar ein wenig und binde das Band so, dass die Enden ein wenig auf die Stirn fallen. Das ist die allerneuste. Mode; ich habe viele junge Mädchen so frisirt gesehen.“
„Es ist die Strafe für meine Eitelkeit,“ rief Margaret. „Ich wollte, ich hätte mein Haar in Ruhe gelassen.“
„Das wollte ich auch, es war so glatt und hübsch. Aber es wird bald wieder wachsen,“ sagte Lieschen, indem sie das geschorene Schaf zärtlich küsste.
Nach verschiedenen kleinen Unfällen war durch die vereinigten Bemühungen der Familie die Toilette der Schwestern beendigt. Sie sahen in ihren einfachen Anzügen sehr niedlich aus. Margaret im silbergrauen Kleide mit blauem Sammetband im Haar, einem Spitzenkragen und der schon erwähnten Perlnadel. Jo im braunen Kleide, mit einfachem leinenen Kragen und einer weissen Blume im Haar. Jede von ihnen zog einen saubern Hellen Handschuh an und trug einen schmutzigen in der Hand. Alle fanden, dass sie sehr niedlich aussahen. Margarets hübsche Schuhe drückten sie sehr, obgleich sie es nicht zugestehen wollte, und Jo’s neunzehn Haarnadeln quälten sie nicht wenig, aber das waren unvermeidliche Uebel. Hoffart muss Bein leiden.
„ Ich wünsche euch einen vergnügten Abend, liebe Kinder,“ sagte Frau March, als die Schwestern auf den Fussspitzen durch den Garten gingen. „Esst nicht zuviel und kommt um elf Uhr zu Hause, wenn ich Hannah schicke.“
Als die Thür hinter ihnen zuschlug, rief eine Stimme aus dem Fenster:
„Kinder, habt ihr beide nette Taschentücher?“
„O ja, sehr hübsche, und Margaret’s Tuch ist obendrein mit kölnischem Wasser parfümirt,“ rief Jo, und fügte lachend hinzu: „Ich glaube, Mama, würde diese Frage nicht vergessen, wenn wir auch vor einem Erdbeben flüchteten.“
„Mama hat einen ächt aristokratischen Geschmack. Eine feine Dame erkennt man gewöhnlich an ihrem Fusszeug, Taschentuch und ihren Handschuhen,“ erwiederte Margaret, die selbst einen ziemlich aristokratischen Geschmack hatte.
„ Nun vergiss nicht, die verbrannte Bahn möglichst zu verbergen, Jo. Ist mein Gürtel gerade, und sieht mein Haar sehr auffallend aus?“ fragte Margaret, als sie sich nach langer Beschauung in Frau Gardiner’s Ankleidezimmer vom Spiegel abwandte.
„Ich fürchte, ich werde es vergessen. Wenn du siehst, dass ich irgend etwas Verkehrtes thue, so gieb mir nur einen Wink,“ sagte Jo, indem sie ihr Haar hastig bürstete.
„Ich werde die Augenbrauen zusammenziehen, wenn irgend etwas verkehrt geht, und nicken, wenn alles in Ordnung ist. Halte dich gerade und mache kleine Schritte. Schüttele auch nicht allen Leuten, denen du vorgestellt wirst, die Hand; das gehört sich nicht.“
„Wie fängst du es an, alle diese Dinge zu lernen? ich werde es nie so weit bringen,“ seufzte Jo. „Wie lustig die Musik klingt!“
Sie traten nicht ohne Herzklopfen in das Gesellschaftszimmer, denn sie nahmen selten an solchen Vergnügungen Theil, und so einfach auch diese kleine Abendgesellschaft war, für sie war sie doch ein Ereignis. Frau Gardiner, eine stattliche alte Dame, begrüsste sie freundlich und führte sie zu der ältesten ihrer sechs Töchter. Margaret kannte Sally und fühlte sich bald ganz heimisch; Jo aber, die an mädchenhaftem Geplauder nicht viel Geschmack fand, stand da, den Rüden ängstlich gegen die Wand gekehrt, und fühlte sich in dieser Umgebung so wenig zu Hause wie ein Füllen in einem Blumengarten. Ein halbes Dutzend munterer Knaben unterhielten sich in einem andern Theile des Zimmers von Schlittschuhen, und so hatte die grösste Sehnsucht, sich zu ihnen zu gesellen, denn sie war eine leidenschaftliche Schlittschuhläuferin. Sie telegraphirte Margaret ihren Wunsch, aber die Augenbrauen zogen sich so bedenklich zusammen, dass Jo sich nicht von der Stelle zu rühren wagte. Niemand kam zu ihr, um sich mit ihr zu unterhalten; eine Gruppe nach der andern verschwand, bis sie ganz allein blieb. Wegen der verbrannten Bahn in ihrem Kleide konnte sie nicht umhergehen; sie betrachtete also die Leute und fühlte sich ziemlich verlassen, bis der Tanz anfing. Margaret wurde sofort aufgefordert und tanzte in den engen Schuhen so leicht dahin, dass niemand die Schmerzen ahnte, welche die Tänzerin lächelnd ertrug. Jo sah einen dicken rothhaarigen Knaben auf ihre Ecke zukommen, und da sie fürchtete, er möchte sie zum Tanz auffordern, schlüpfte sie hinter einen Vorhang in eine Vertiefung des Zimmers, in der Hoffnung, sich dort in aller Stille amüsiren zu können. Unglücklicher Weise aber hatte schon ein anderes schüchternes Wesen sich denselben Zufluchtsort ausersehen; denn als der Vorhang hinter ihr siel, stand sie dem jungen Lorenz gegenüber.
„ O! ich dachte nicht, dass irgend jemand hier wäre,“ stammelte Jo, die ebenso schnell zurückgehen wollte, wie sie hineingestürzt war.
Aber der Knabe, obgleich ein wenig überrascht, lachte und sagte freundlich: „Lassen Sie sich durch mich nicht stören, bleiben sie doch, wenn Sie Luft haben.“
„Werde ich Sie nicht stören?“
„Durchaus nicht; ich kam nur hierher, weil ich nicht viele Leute kenne und mich erst ein wenig fremd fühlte.“
„Mir ist’s ebenso gegangen. Bitte gehen sie nicht fort, wenn Sie’s nicht vorziehen.“
Der Knabe setzte sich wieder und versenkte sich in die Betrachtung seiner Stiefel, his Jo sagte:
„Ich glaube, ich habe schon das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen; Sie wohnen in unserer Nähe, nicht wahr?“
„Im nächsten Hause;“ und er sah auf und lachte, denn Jo’s zurückhaltendes Wesen kam ihm sehr komisch vor, wenn er daran dachte, wie sie miteinander geplaudert hatten, als er ihr die Katze wiederbrachte. Sein Lachen machte sie zutraulicher; sie stimmte ein und sagte in der herzlichsten Weise: „Wir haben uns so sehr über ihr schönes Weihnachtsgeschenk gefreut.“
„Grosspapa hat es geschickt.“
„Aber Sie haben ihn auf den Einfall gebracht, nicht wahr?“
„Wie geht es Ihrer Katze, Fräulein March?“ fragte der Knabe, der sich bemühte, ein ernsthaftes Gesicht zu machen, während der Muthwille aus seinen schwarzen Augen blitzte.
„Ich danke Ihnen, ganz wohl, Herr Lorenz; aber ich bin nicht Fräulein March, ich bin ,Jo‘,“ erwiderte die junge Dame.
„Ich bin nicht ,Herr Lorenz‘; ich bin nur ,Lori‘.“
„Lori Lorenz, welch’ sonderbarer Name!“
„Mein eigentlicher Name ist Theodor, aber ich mag ihn nicht leiden, denn die Knaben nannten mich Dora; deshalb lasse ich mich Lori nennen.“
„Ich hasse meinen Namen auch; er ist so sentimental! Ich wollte, jedermann nennte mich Jo, statt Josephine. Aber wie gewöhnten sie es den Knaben ab, Sie Dora zu nennen?“
„ Ich prügelte sie durch.“
„ Die Tante March kann ich nicht durchprügeln; ich werde mich also in mein Schicksal ergeben müssen,“ sagte Jo mit einem Seufzer.
„ Tanzen sie nicht gern, Fräulein Jo?“
„Ich tanze gern, wenn’s recht lebhaft dabei zugeht, und man reichlich Raum hat. Hier würde ich sicherlich etwas umstossen, den Leuten auf die Füsse treten oder sonst etwas Schreckliches, begehen. Ich halte mich deshalb klüglich fern und überlasse es Magaret, die Liebenswürdige zu spielen. Aber tanzen Sie denn nicht?“
„Zuweilen wohl. Ich bin viele Jahre im Auslande gewesen und bin noch nicht genug in Gesellschaft gewesen, um zu wissen, wie man sich hier bei solchen Gelegenheiten benimmt.“
„ Im Auslande!“ rief Jo; „o, erzählen sie mit etwas davon! Ich höre so gern Reisen beschreiben!“
Lori schien erst nicht recht zu wissen, womit er anfangen sollte; aber Jo’s eifrige Fragen brachten ihn bald in Gang, und er erzählte ihr, er sei in Vevey in Pension gewesen, wo die Knaben nie Hüte trügen, wo sie eine kleine Flotte von Böten auf dem See gehabt, und in den Ferien mit ihren Lehrern Fusstouren in der Schweiz gemacht hätten.
„O, da möchte ich auch gewesen sein!“ rief Jo. „Sind Sie nicht in Paris gewesen?“
„Wir haben den Winter dort zugebracht.“
„Können sie Französisch sprechen?“
„Wir durften in Vevey nichts Anderes sprechen.“
„Bitte, sprechen Sie ein wenig. Ich kann wohl Lesen, aber nicht richtig aussprechen.“
„Quel est le nom de la jeune demoiselle qui a de si jolis souliers?“
„Wie gut sie sprechen! Sie sagten: ,Wie heisst die junge Dame mit den hübschen Schuhen?‘ nicht wahr?“
„Oui, Mademoiselle.“
„Es ist meine Schwester Margaret, und Sie wussten es wohl. Finden Sie sie hübsch?“
„Ja, sie erinnert mich an die deutschen Mädchen; sie sieht so frisch und ruhig aus und tanzt mit soviel Anstand.“
Jo erröthete vor Freude, als sie ihre Schwester rühmen hörte und nahm sich vor, Margaret alles treulich zu berichten. Beide beobachteten, kritisirten und plauderten, und bald war es ihnen, als hätten sie sich schon lange gekannt. Lori’s Schüchternheit verschwand; denn Jo’s knabenhaftes Wesen belustigte ihn, und so fand ihre fröhliche Laune wieder, denn ihr Kleid war vergessen, und niemand zog die Augenbrauen zusammen. Der junge Lorenz gefiel ihr mehr als je; sie betrachtete ihn genau, um ihn ihren Schwestern beschreiben zu können; denn sie hatten keine Brüder und sehr wenige Vettern! Knaben waren ihnen daher fast unbekannte Wesen.
Krauses schwarzes Haar, braune Gesichtsfarbe, grosse schwarze Augen, lange Nase, hübsche Zähne, kleine Hände und Füsse, so gross wie ich; sehr höflich für einen Knaben und ganz lustig. Ich möchte wol wissen, wie alt er ist?
Die Frage schwebte ihr auf der Zunge; aber sie besann sich noch zur rechten Zeit eines Bessern und versuchte mit ungewöhnlichem Takt, auf Umwegen ihren Zweck zu erreichen.
„Ich denke, Sie werden bald auf die Universität gehen; ich sehe Sie nicht anders als mit der Nase über den Büchern, ich wollte sagen, eifrig studirend,“ sagte Jo, indem sie über ihren wenig gewählten Ausdruck erröthete. Lori lächelte, schien aber nicht verlebt und, antwortete achselzuckend:
„Das hat wenigstens noch zwei oder drei Jahre Zeit; ich gehe keinenfalls auf die Universität, ehe ich siebzehn Jahr alt bin.“
„ Sind Sie denn erst fünfzehn Jahr alt?“ fragte Jo, indem sie den Hochgewachsenen Jüngling betrachtete, den sie für wenigstens siebzehn Jahr alt gehalten hatte.
„Im nächsten Monat werde ich sechzehn.“
„Wie würde ich mich freuen, wenn ich zur Universität gehen könnte! Sie sehen nicht aus, als ób Sie sich darauf freuten.“
„ Der blosse Gedanke daran ist mir verhasst. Das Leben der jungen Leute hier zu Lande scheint mir unerträglich.“
„ Was möchten Sie dann?“
„ In Italien wohnen und mein Leben auf meine eigene Weise geniessen.“
Jo hätte gern gewusst, was er unter seiner eigenen Weise verstand, aber seine zusammengezogenen schwarzen Augenbrauen sahen etwas drohend aus; sie lenkte daher die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand über.
„ Das ist eine herrliche Polka,“ sagte sie, indem sie mit dem Fusse den Takt dazu schlug. „Warum tanzen Sie nicht?“
„ Ich will wohl tanzen, wenn Sie auch kommen,“ antwortete er mit einer ganz französischen Verbeugung.
„ Ich kann nicht, denn ich habe Margaret versprochen, nicht zu tanzen, weil —“ Jo stockte, unentschieden, ob sie sprechen oder lachen sollte.
„ Nun weil?“ fragte Lori neugierig.
„Versprechen Sie mir, zu schweigen?“
„Gewiss.“
„Nun, ich habe die schlechte. Gewohnheit, mich vor’s Feuer zu stellen und so meine Kleider zu verbrennen; auch dieses habe ich auf solche Weise versengt, und obgleich es gut ausgebessert ist, so sieht man’s doch. Margaret sagte mir deshalb, ich sollte sitzen bleiben, dann würde es niemand sehen. Nun lachen Sie, wenn Sie wollen; denn es ist wirklich komisch genug.“ Aber Lori lachte nicht; sah nur eine Minute vor sich hin, und der Ausdruck seines Gesichts machte Jo betroffen, als er frenndlich sagte:
„Machen Sie sich darüber keine Sorgen; ich will Ihnen sagen, was wir thun können; draussen ist ein langer Vorplatz; dort können wir prächtig tanzen, ohne dass uns jemand sieht. Bitte kommen Sie.“
Jo dankte ihm und ging fröhlich mit ihm hinaus, konnte aber nicht umhin, zu wünschen, sie möchte zwei saubere Handschuhe haben, als sie sah, dass ihr Tänzer ein Paar schöne perlgraue anzog. Der Vorplatz war leer, und sie tanzten nach Herzenslust Polka. Lori tanzte sehr gut und lehrte sie die schwungvolle deutsche Weise, was ihr viel Vergnügen machte. Als die Musik aufhörte, setzten sie sich auf die Treppe, um Athem zu schöpfen, und Lori war mitten in der Beschreibung eines Studentenfestes in Heidelberg, als Margaret erschien, die ihre Schwester suchte. Sie winkte Jo, und diese folgte ihr mit Bedauern in ein Seitenzimmer. Hier fand sie Margaret auf dem Sofa; sie hielt ihren Fuss in der Hand und sah sehr bleich aus.
„ Ich habe mir den Fuss verstaucht, die dummen hohen Hacken sind schuld daran. Es thut mir so weh, dass ich kaum stehen kann, und ich weiss nicht, wie ich nach Hause kommen soll,“ sagte sie, indem sie sich vor Schmerzen hin und her bewegte.
„Ich dachte wohl, dass dich diese dummen Dinger peinigen würden. Es thut mir leid, aber ich weiss nicht, was wir anders thun können, als uns einen Wagen verschaffen oder die ganze Nacht hier bleiben,“ antwortete Jo, indem sie den schmerzenden Fuss sanft zu reiben begann.
„Ein Wagen würde sehr theuer kommen; auch weiss ich nicht, wie ich einen solchen bestellen sollte; denn die meisten Leute sind in ihren eigenen gekommen, und ich habe niemanden zu schicken.“
„Ich will hingehen.“
„Nein, es ist schon nach zehn und eine ägyptische Finsterniss. Hier kann ich nicht bleiben, denn das Haus ist voll. Sally hat in diesem Augenblicke Hausbesuch von einigen Freundinnen. Ich will mich ausruhen, bis Hannah kommt und dann sehen, was ich thun kann.“
„Ich will Lori bitten; er wird hingehen,“ sagte Jo, deren Herz sich durch diesen Gedanken erleichert fühlte.
„Um alles in der Welt nicht! Sag niemanden etwas davon. Hole mir meine Gummischuhe und stelle diese Schuhe mit unsern Sachen zusammen. Tanzen kann ich nicht mehr; sobald das Abendessen vorüber ist, sieh zu, ob Hannah da ist, und sag es mir gleich.“
„Man geht jetzt zu Tisch, aber ich will lieber bei dir bleiben.“
„ Nein, liebe Jo; geh hin, du kannst mir dann eine Tasse Kaffee bringen. Ich bin so müde, dass ich mich nicht rühren kann.“
Margaret legte sich auf’s Sofa, indem sie ihre Gummischuhe unter ihren Kleidern verbarg, und Jo ging fort, um das Speisezimmer zu suchen, welches sie endlich fand, nachdem sie ein Zimmer geöffnet hatte, wo der alte Herr Gardiner eben in der Stille eine kleine Erfrischung, einnahm. Sie näherte sich dem Tische und nahm eine Tasse Kaffee, goss aber leider einen Theil des Inhalts über ihr Kleid, wodurch die Vorderseite ebenso hässlich würde wie die Rückseite.
„O, ich Unglückskind!“ rief Jo, indem sie ihr Kleid mit Margaret’s sauberem Handschuh abwischte.
„Kann ich Ihnen behülflich sein?“ fragte eine freundliche Stimme, und neben ihr stand Lori, mit einer vollen Tasse in der einen Hand, und einer Portion Eis in der andern.
„Ich wollte für Margaret etwas holen, weil sie sehr müde ist, da hat mich jemand angestossen, und nun bin ich schön zugerichtet,“ antwortete Jo, mit einem trostlosen Blicke auf die Flecke in ihrem Kleide und ihren kaffeefarbenen Handschuh.
„Wie unangenehm! Ich sah mich gerade nach jemandem um, dem ich dies bringen könnte. Darf ich es Ihrer Schwester hintragen?“
„Sie sind sehr freundlich, ich nehme es mit Dank an und will Ihnen zeigen, wo sie ist. Ich wage nicht, mich zu erbieten, es selbst hinzubringen; ich würde nur noch mehr Unheil anrichten.“
„Jo zeigte Lori den Weg, und als wäre er’s gewohnt, Damen zu bedienen, setzte er einen Tisch zurecht, brachte eine zweite Tasse Kaffee und eine zweite Portion Eis für Jo, und war so ausserordentlich gefällig und liebenswürdig, dass selbst die schwer zu befriedigende Margaret ihn für einen ,netten Jungen‘ erklärte. Es kamen noch einige Freunde und Freundinnen zu ihren, und unter Scherz und Spiel verging ihnen die Zeit sehr angenehm, bis Hannah erschien. Margaret vergass ihren Fuss und stand rasch auf, schrie aber vor Schmerz auf und musste sich an Jo halten, um nicht zu fallen.
„Still! sage nichts,“ flüsterte sie, indem sie laut hinzufügte: „Es ist nichts; ich habe mir nur den Fuss verstaucht,“ und sie hinkte die Treppe hinauf, um sich anzukleiden.
Hannah schalt, Margaret fing an zu weinen und Jo wusste nicht, was sie thun sollte. Endlich entschied sie sich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie eilte hinunter und fragte einen Diener, ob er ihr nicht einen Wagen bestellen könne. Der Gefragte aber wusste in der Nachbarschaft nicht recht Bescheid, und Jo sah sich nach anderer Hülfe um, als Lori auf sie zukam und ihr seines Grossvaters Wagen anbot, der eben angekommen war.
„ Aber es ist ja noch so früh; es kann nicht Ihre Absicht sein, die Gesellschaft schon zu verlassen,“ sagte Jo, die sich durch das freundliche Anerbieten sehr erleichtert fühlte, aber noch nicht recht wagte, es anzunehmen.
„Ich gehe immer früh nach Hause; bitte, erlauben Sie mir, Sie zu begleiten. Sie wissen, es ist ganz mein Weg, und es regnet, wie ich höre.“
Jo machte nun keine Schwierigkeiten mehr; sie erzählte Margaret’s Unfall und nahm das Anerbieten dankbar an. Sie eilte hinauf, um Margaret und Hannah zu holen. Letztere fürchtete den Regen fast ebenso sehr, wie die Katzen und liess es sich gern gefallen, mitzufahren. Lori stieg auf den Kutschersitz, damit Margaret ihren Fuss stützen könnte, und so rollten sie dahin in dem prächtigen bequemen Wagen und fühlten sich ganz festlich und vornehm. Sie begannen nun, über ihre Gesellschaft zu plaudern.
„Ich habe mich köftlich amüsirt; und du, Margaret?“ fragte Jo, indem sie sich das Haar zurückstrich und sich’s in der Wagenecke bequem machte.
„Ich auch,“ antwortete Margaret, „bis ich mir den Fuss verstauchte.“ Sally’s Freundin, Anna Moffat, war sehr freundlich gegen mich. Sie hat mich eingeladen, sie im Frühling mit Sally eine Woche zu besuchen. Wir könnten dann auch miteinander die Oper besuchen. O, es wäre herrlich! Wenn Mama mir nur erlaubt, die Einladung anzunehmen! sagte Margaret, die bei diesem Gedanken ihre Schmerzen vergass.
„Ich sah dich mit dem rothhaarigen Jüngling tanzen, vor dem ich weglief; war er nett?“
„Sehr nett. Sein Haar ist goldbraun, nicht roth, und er war sehr höflich. Ich habe eine köstliche Redowa mit ihm getanzt.“
„Er sah aus wie ein Grashüpfer, der Krämpfe hat, als er den neuen Pas versuchte. Lori und ich konnten das Lachen nicht lassen. Habt Ihr uns gehört?“
„Nein, aber es war sehr unhöflich. Was habt ihr denn die ganze Zeit in eurem Winkel getrieben?“
Jo erzählte nun ihre Abenteuer, und sie war noch nicht damit zu Ende, als sie zu Hause ankamen. Mit vielen Danke wünschten sie ihrem freundlichen Begleiter ,gute Nacht‘ und schlichen sich ins Haus, in der Hoffnung, niemanden zu stören; allein sobald die Thüre knarrte, fuhren zwei kleine Köpfe in die Höhe und zwei schlaftrunkene aber eifrige Stimmen riefen: „Erzählt uns von eurer Gesellschaft! Seid ihr recht vergnügt gewesen?“
Jo hatte für die kleinen Schwestern einige Bonbons mitgebracht, was Margaret höchst unfein fand. Nachdem sie sich sie interessantesten Begebenheiten des Abends hatten erzählen lassen, verschwanden die Kleinen mit ihren Süssigkeiten.
„Es ist wirklich, als wäre ich eine vornehme junge Dame. Ich komme in ,meinem Wagen‘ aus der Gesellschaft und sitze nun hier und lasse mich von meiner Kammerfrau bedienen,“ sagte Margaret, die sich von Jo den Fuss mit Arnica verbinden und ihr Haar bürsten liess.
„Ich glaube nicht, dass vornehme junge Damen sich besser amüsiren können als wir, trotz unseres verbrannten Haares; unserer alten Kleider und engen Schuhe, in denen man sich die Füsse verstaucht, wenn man thöricht genug ist, sie anzuziehen.“ Und ich glaube, Jo hatte Recht.
__________