Читать книгу Little Women: Beth und ihre Schwestern - Луиза Мэй Олкотт, Луиза Мэй Олкотт, Mybook Classics - Страница 6
Viertes Kapitel
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„O, wie schwer ist es doch, seine Last wieder auf die Schultern zu packen und weiter zu wandern,“ seufzte Margaret am Morgen nach der Gesellschaft; denn die vergnügten Ferien, die nun zu Ende waren, hatten ihr die ohnehin wenig angenehme Aufgabe nicht lieber gemacht.
„Ich wollte, es wäre immer Weihnacht oder Neujahr!“ antwortete Jo gähnend.
— „Wir würden uns dann nicht halb so sehr darauf freuen, wie jetzt. Aber es ist gar zu schön in Gesellschaften zu gehen, Bouquets geschenkt zu bekommen, in einem schönen Wagen nach Hause zu fahren und sich auszuruhen, statt sich zu quälen. Man kommt sich mehr vor wie andere Leute, und du weisst, ich beneide immer andere junge Mädchen, die es so gut haben. Ich liebe nun einmal den Luxus,“ sagte Margaret, während sie untersuchte, welches von zwei abgetragenen Kleidern das am wenigsten abgetragene sei.
„Luxus ist uns nun einmal nicht beschieden, darum lass uns nicht murren, sondern unser Bündel aufpacken und munter weiter wandern, wie die Mama. Tante March ist sicherlich keine leichte Bürde, wenn ich gelernt habe, sie ohne Klage zu tragen, so wird sie von selbst von meinen Schultern gleiten, oder so leicht werden, dass ich sie nicht mehr fühle.“
Diese Idee gefiel Jo und heiterte sie auf; aber auf Margaret hatte sie nicht denselben Einfluss; ihre Bürde, die aus vier verzogenen Kindern bestand, schien ihr schwerer als je. Sie hatte nicht einmal, wie gewöhnlich, Lust, sich mit einem blauen Bande zu schmücken und ihr Haar auf die kleidsamste Weise zu ordnen.
„Wozu nützt es, mich hübsch zu machen, es sieht mich ja niemand als die vier ungezogenen kleinen Geschöpfe, und niemand kümmert sich darum, ob ich hübsch bin oder nicht,“ murmelte sie, indem sie ihre Schublade heftig zustiess. „Ich werde mein Leben lang zu arbeiten und zu quälen haben, nur dann und wann ein kurzes Vergnügen, werde alt und hässlich und bitter werden, weil ich arm bin und mich meines Lebens nicht freuen kann, wie andere junge Mädchen. Es ist eine Schande!“
So fuhr Margaret fort, sich ihrer verdriesslichen Stimmung hinzugeben und war beim Frühstück sehr wenig liebenswürdig. Alle schienen mehr oder weniger verstimmt. Lieschen hatte Kopfweh und lag auf dem Sofa wo sie sich mit der Katze und ihren drei jungen Kätzchen zu trösten suchte. Amy war verdriesslich, weil sie ihre Aufgaben nicht gemacht hatte und ihre Gummischuhe nicht finden konnte. So konnte das Flöten nicht lassen und machte ihre Vorbereitungen mit möglichst grossem Geräusch, während Frau March damit beschäftigt war, einen Brief zu beendigen, der gleich abgehen musste. Auch Hannah war übellaunig; sie konnte kein spätes Aufbleiben vertragen.
„Ich habe nie eine mürrischere Familie gesehen!“ rief Jo ausser sich, nachdem sie ein Dintenfass umgestossen, ihre beiden Stiefelbänder abgerissen und sich auf ihren Hut gesetzt hatte.
„Du bist die übellaunigste von allen!“ rief Amy, indem sie mit den Thränen, die auf ihre Schiefertafel sielen, ihr ganz verkehrtes Exempel auslöschte.
„Lieschen, wenn du diese abscheulichen Katzen wieder mit heraufbringst, so werde ich sie ertränken lassen,“ rief Margaret ärgerlich, während sie sich bemühte, sich einer jungen Katze zu entledigen, die ihr auf den Rücken geklettert war und ihren Platz gerade so gewählt hatte, dass sie sie nicht erreichen konnte.
Jo lachte, Margaret schalt, Lieschen flehte und Amy meinte, weil sie sich nicht besinnen konnte, wieviel neunmal zwölf sei.
„Mädchen! Mädchen! verhaltet euch doch einen Augenblick ruhig. Ich muss diesen Brief mit der ersten Post abschicken, und ihr bringt mich mit eurem Streit und eurer bösen Laune um Sinn und Verstand,“ rief Frau March, indem sie zum dritten Male ein verkehrtes Wort in ihrem Briefe durchstrich.
Es trat eine augenblickliche Stille ein, bald von Hannah unterbrochen, die hereinfuhr, zwei heisse Apfelbröte auf den Tisch legte und ebenso wieder hinaus stürzte. Es war in der Familie eine hergebrachte Sitte, diese Apfelbröte zu backen, und die Mädchen nannten sie ,Muffs‘, denn sie hatten keine andere und fanden die heissen Pasteten an kalten Tagen sehr angenehm für die Hände. Hannah vergass nie, sie zu backen, wie viel sie auch zu thun haben, und wie verdriesslich sie auch sein mochte, denn der Weg war lang und kalt, die ,armen Dinger‘ bekamen kein anderes zweites Frühstück und kehrten selten vor drei Uhr nach Hause zurück.
„Verziehe deine Katzen und verabschiede deine Kopfschmerzen, Lieschen. Adieu, Mama, wir sind heute Morgen eine nichtswürdige Bande; aber wir wollen als wahre Engel wieder heimkommen. Schnell, Margaret!“ Und so ging hinaus, mit dem Gefühl, dass die Pilger diesen Morgen ihre Wanderung nicht in der rechten Weife antraten.
Sie wandten sich immer um, ehe sie um die Ecke bogen, denn sie wussten, ihre Mutter stand am Fenster, um ihnen zuzulächeln und mit der Hand zu winken. Es war ihnen, als hätten sie’s ohne diesen Gruss nicht aushalten können, für den ganzen Tag, fortzugehen; denn in welcher Stimmung sie auch sein mochten, der Anblick dieses mütterlichen Gesichtes wirkte auf sie wie Sonnenschein.
„Wenn Mama uns mit der Faust drohte, anstatt uns Kusshände zuzuwerfen, so geschähe uns ganz recht; denn undankbarere Geschöpfe, als wir sind, hat es nie gegeben,“ rief Jo, die in dem schmutzigen Wege und dem scharfen Wind eine Art bitterer Befriedigung empfand.
„Ich bitte dich, verschone mich mit deinen Kraftausdrücken,“ sagte Margaret, dicht verschleiert wie eine weltmüde Nonne.
„Ich liebe gute starke und bezeichnende Ausdrücke,“ sagte Jo, indem sie ihren Hut festhielt, der ihr eben vom Kopfe flog.
„Nenne dich selbst wie’s dir beliebt; aber ich bin kein undankbares, nichtswürdiges Geschöpf und will mich nicht so nennen lassen.“
„Du bist ein stiefmütterlich behandeltes Wesen und heute entschieden übellaunig, weil du nicht allezeit dem Glücke im Schosse sitzest. Du Aermste! warte nur, bis ich mein Glück gemacht habe, dann sollst du in Wagen, Eisrahm, Schuhen mit hohen Absätzen und schönen Bouquets schwelgen und rothhaarige Jünglinge in Menge haben, mit denen du tanzen kannst.“
„Wie albern du bist, Jo;“ aber Margaret konnte es nicht lassen, über den Unsinn zu lachen, und das that ihr wohl.
„Es ist ein Glück für dich, dass ich noch zuweilen einen Scherz mache, denn wenn ich mir auch das Ansehen einer geknickten Blume geben und den Kopf hängen lassen wollte wie du, so würden wir schön berathen sein. Freue dich, dass ich noch an allem eine komische Seite finden kann, um mich aufzuheitern. Höre nur auch auf zu klagen, komm fröhlich nach Hause und sei ein gutes Mädchen.“
Jo klopfte der Schwester mit einem ermuthigenden Blicke auf die Schulter, als sie sich für den Tag trennten, um jede ihren Weg zu gehen, jede an ihrem warmen Apfelbrot sich die Hände erwärmend und sich bemühend, fröhlich zu sein, trotz winterlichen Wetters, schwerer Arbeit und unerfüllter jugendlicher Wünsche.
Als Herr March sein Vermögen verlor, indem er einem unglücklichen Freunde aufzuhelfen versuchte, baten die beiden ältesten Töchter, man möge ihnen erlauben, etwas zu unternehmen, um ihren eigenen Unterhalt zu verdienen. Da ihre Eltern der Ansicht waren, dass sie nicht zu früh anfangen könnten, ihre Willenskraft zu üben und durch Fleiss sich eine unabhängige Stellung zu schaffen, so willigten sie ein, und die beiden Mädchen begannen ihr Werk trotz aller Hindernisse mit soviel gutem Willen, dass es gelingen musste. Margaret fand eine Stelle als Erzieherin kleiner Kinder und fühlte sich mit ihrem kleinen Gehalte ganz reich. Sie liebte, wie sie sagte, den Luxus, und ihr grösster Kummer war ihre Armuth. Es wurde ihr schwerer, sie zu tragen, als den anderen, weil sie sich der Zeit erinnern konnte, wo ihr Haus schön, ihr Leben voll Behaglichkeit und Vergnügen, und Mangel irgend einer Art ihr unbekannt war. Sie bemühte sich, nicht neidisch und unzufrieden zu sein, aber es war natürlich, dass das junge Mädchen sich nach hübschen Sachen, munteren Freundinnen, Gelegenheiten ihre Talente auszubilden und einem glücklichen Leben sehnte. Bei der Familie King sah sie täglich alles, was sie sich wünschte, denn die ältern Schwestern ihrer Zöglinge waren in die Gesellschaft eingeführt, und Margaret sah häufig elegante Ballkleider und Bouquets, hörte lebhafte Unterhaltungen über Theater, Concert, Schlittenpartien und Freuden aller Art, und sah, wie für Kleinigkeiten Summen verschwendet wurden, die sie reich gemacht haben würden. Die arme Margaret klagte selten, aber sie konnte sich nicht immer einer gewissen Bitterkeit erwehren; denn sie hatte noch nicht erkannt, wie reich sie gerade an den Segnungen war, welche allein das Leben glücklich machen können.
Jo wurde Gesellschafterin bei ihrer Tante March, die lahm war und ein thätiges, munteres Wesen um sich zu haben wünschte. Die kinderlose alte Dame hatte sich erboten, eins der Mädchen an Kindesstatt anzunehmen, als das Unglück über sie hereingebrochen war, und fühlte sich sehr beleidigt, als das Anerbieten abgelehnt wurde. Gute Freunde sagten der Familie March, sie habe durch ihre Weigerung alle Aussicht verloren, in dem Testament der alten reichen Dame bedacht zu werden. Herr und Frau March aber erwiederten nur: „Wir können unsere Kinder nicht für eine Million hingeben. Reich oder arm, wir wollen zusammenhalten und in und mit einander glücklich sein.“
Die alte Dame wollte einige Zeit lang nichts von ihnen wissen, aber als sie eines Tages Jo bei einer gemeinsamen Freundin traf, fühlte sich die Tante durch das komische Gesicht und das eigenthümliche gerade Wesen des jungen Mädchens so angezogen, dass sie ihr den Vorschlag machte, ihre Gesellschafterin zu werden. Das war durchaus nicht nach Jo’s Geschmack; aber sie nahm die Stelle an, da nichts besseres sich bot, und wurde zu jedermanns Erstaunen mit ihrer reizbaren Verwandten sehr gut fertig. Ein Sturm dann und wann blieb nicht aus, und einmal war Jo nach Hause gekommen und hatte erklärt, sie könne es nicht länger aushalten. Aber die Tante March besann sich immer bald wieder und liess ihre Nichte so dringend bitten, wiederzukommen, dass sie’s nicht abschlagen konnte; denn im Grunde mochte sie die scharfe alte Dame doch recht gern leiden.
Der Hauptmagnet aber war wohl eine grosse schöne Bibliothek, die seit des Onkels Tode dem Staube und den Spinnen preisgegeben war. Jo erinnerte sich des freundlichen alten Herrn, der sie mit seinen grossen Wörterbüchern Eisenbahnen und Brücken bauen liess, ihr Geschichten über die sonderbaren Bilder in seinen lateinischen Büchern erzählte und ihr Pfefferkuchen kaufte, wie sie ihm auf der Strasse begegnete. Das düstere staubige Zimmer, wo Büsten von den hohen Bücherschränken herabstarrten; die behaglichen alten Stühle, die Globen, besonders aber die Massen von Büchern, unter denen sie nur zu wählen brauchte, machten die Bibliothek für sie zu einem Paradiese. Sobald Tante March ihr Mittagschläfchen hielt oder Besuch bekam, eilte Jo an diesen stillen Ort, warf sich in einen grossen Kessel und verschlang Poesie, Profa und Romane, Geschichte und Reisebeschreibungen wie ein ächter Bücherwurm. Aber auch dieses Glück dauerte nie lange; gerade wenn sie die spannendste Stelle der Geschichte, den schönsten Vers eines Gedichtes oder das gefährlichste Abenteuer eines Reifenden erreicht hatte, rief eine schrille Stimme: „Jose—phine! Jose—phine!“ und sie musste ihr Paradies verlassen, um Garn zu winden, den Pudel zu waschen, oder stundenlang Belsham’s Abhandlungen zu lesen.
Jo’s höchster Wunsch war, irgend etwas Herrliches zu vollbringen; was dies sei, davon hatte sie selbst noch keine Idee; die Zeit sollte es lehren; inzwischen bestand ihre grösste Prüfung darin, dass sie nicht soviel lesen, laufen, ausfahren und reiten konnte, wie sie gemocht hätte. Ihr heftiges Temperament, ihr unruhiger Geist und ihre scharfe Zunge bereiteten ihr oft Unannehmlichkeiten, und ihr Leben war eine Reihe von Freuden und Leiden, die oft tragikomisch waren. Aber die Erziehung, welche sie bei der Tante March erhielt, war gerade, was sie bedurfte, und der Gedanke, dass sie etwas that, um ihren eigenen Unterhalt zu erwerben, machte sie glücklich, trotz des beständigen „Jose—phine! Jose—phine!“
Lieschen war zu schüchtern um zur Schule zu gehen; man hatte es versucht, aber sie litt so sehr darunter, dass es aufgegeben wurde, und ihr Vater sie zu Hause unterrichtete. Selbst als er fortging, und ihre Mutter ihre Geschicklichkeit und Energie einer Gesellschaft widmen musste, die sich zur Unterstützung der im Felde stehenden Soldaten gebildet hatte, fuhr Lieschen fort, so gut sie konnte, allein zu arbeiten. Sie war eine kleine ,Hausfrau‘ und half Hannah, das Haus in Ordnung halten und es den Andern behaglich machen. Dabei dachte sie nie an einen andern Lohn als ihre Liebe. Sie brachte lange, ruhige Tage zu, fühlte sich aber nicht vereinsamt oder müssig, denn ihre kleine Welt war mit Freunden bevölkert, von denen viele freilich nur in ihrer Einbildungskraft existirten, und sie war von Natur eine kleine geschäftige Biene. Sie hatte jeden Morgen sechs Puppen zu versorgen und anzukleiden, denn Lieschen war noch ganz Kind und liebte ihre Puppen wie je zuvor. Und doch war nicht eine einzige hübsche oder heile darunter; alle waren verstossene Wesen, bis Lieschen sich ihrer annahm; sie waren von ihren Schwestern auf sie übergegangen, denn Amy wollte nichts Altes oder Hässliches haben. Lieschen liebte sie aus diesem Grunde nur um so zärtlicher und gründete ein Hospital für kranke Puppen, wo sie mit der grössten Sorgfalt gepflegt wurden. Eine derselben hatte Jo gehört und war nach einem stürmischen Leben in einen Flickenbeutel verbannt worden, aus welchem Lieschen sie befreit hatte. Um ihren verwundeten Kopf und ihren arg verstümmelten Körper zu verdecken, setzte sie ihr eine niedliche Müsse auf, wickelte sie in eine Decke, legte sie in ihr bestes Bett und pflegte sie mit rührender Zärtlichkeit. Sie brachte ihr Blumen, las ihr vor, trug sie, in ihr Kleid gehüllt, hinaus; damit sie die frische Luft geniessen konnte, sang sie in Schlaf und ging nie zu Bette, ohne ihr mit einem Kuss auf ihr schmutziges Gesicht zugeflüstert zu haben: ,Schlaf sanft, mein Liebling.‘
Aber auch Lieschen hatte ihren Kummer wie die Andern; und da sie kein Engel war, sondern ein sehr menschliches kleines Wesen, so weinte sie auch oft ihre bittern Thränen, weil sie keine Musikstunden nehmen und sein schönes Pianoforte bekommen konnte. Sie liebte die Musik so sehr, gab sich soviel Mühe und übte sich so geduldig auf dem alten schlechten Instrument, dass sie manchmal dachte: es könnte ihr wohl jemand (sie sagte nicht gerade die Tante March) zur Erfüllung ihres Lieblingswunsches behülflich sein. Aber niemand dachte daran, und niemand sah, wie Lieschen vor den gelben verstimmten Tasten ihre Thränen abwischte, wenn sie ganz allein war. Trotzdem sang sie bei ihrer Arbeit wie eine kleine Lerche und war nie zu müde, um ihrer Mutter und den Schwestern etwas vorzuspielen. „Eines Tages werde ich doch noch Musik lernen, wenn ich gut bin,“ sagte sie hoffnungsvoll zu sich selbst.
Es giebt viele kleine „Lieschen‘ in der Welt, die schüchtern und still in ihrem Winkel sitzen, bis man ihrer bedarf, und so freudig für Andere leben, dass niemand die Opfer bemerkt, die sie bringen, bis das Heimchen am Herde aufhört, zu zirpen und Stille und Leere zurücklässt.
Wenn man Amy gefragt hätte, welches ihr grösster Kummer sei, so würde sie ohne Zögern gesagt haben: „Meine Nase.“ Als kleines Kind hatte Jo sie in einen Kohlenkasten fallen lassen, und Amy behauptete, dieser Fall habe ihre Nase für immer ruinirt. Sie war nicht dick, auch nicht roth, wie die der armen ,Petrea‘, sie war nur ein wenig platt, und alles Drücken konnte ihr keine aristokratische Form geben. Niemand anders als sie. dachte daran; Amy aber empfand den Mangel einer griechischen Nase tief und zeichnete ganze Bogen voll schöner Nasen, um sich zu trösten.
„Klein Raphael“, wie ihre Schwestern sie nannten, hatte entschiedenes Talent zum Zeichnen und fühlte sich nie glücklicher, als wenn sie Blumen zeichnen, oder zu den Geschichten, die sie gelesen hatte, allerlei sonderbare Illustrationen machen konnte. Ihre Lehrer klagten, dass sie, statt ihre Exempel zu rechnen, ihre Tafel mit Zeichnungen von Thieren bedeckte, auf die weissen Blätter in ihrem Atlas wurden Karten gezeichnet, und aus ihren Büchern flogen oft sehr zur Unzeit die allerkomischsten Carricaturen. Ihre Arbeiten machte sie so gut es gehen wollte und wusste gewöhnlich durch musterhaftes Betragen Tadel zu vermeiden. Bei ihren Mitschülerinnen war sie sehr beliebt, denn sie war gutmüthig und besass die Kunst, zu gefallen, ohne dass es ihr viel Mühe kostete. Ihr anmuthiges Wesen und ihre Talente wurden sehr bewundert; sie konnte zeichnen, zwölf Melodien spielen, häkeln und Französisch lesen, ohne mehr als zwei Drittel der Wörter falsch auszusprechen. Es klang sehr rührend, wenn sie im klagenden Tone sagte: „Als Papa reich war, thaten wir dies und jenes;“ und ihre langen gewählten Worte wurden von ihren Gespielinnen sehr vornehm klingend gefunden. Amy war auf dem besten Wege verzogen zu werden, denn sie war jedermann’s Liebling, und die Eitelkeit und Selbstsucht der keinen Damne waren im raschen Wachsthum begriffen. Eins aber war ihr ein Dorn im Auge, sie musste ihrer Cousine die Kleider nachtragen, und unglücklicherweise hatte Florentinens Mutter keine Idee von Geschmack. Amy fühlte sich höchst unglücklich, dass sie, statt eines blauen Hutes, einen rothen, und hässliche Kleider und Schürzen tragen musste, die ihr nicht recht passten. Alles war von gutem Stoff, gut gemacht und wenig getragen; aber es verletzte Amy’s Schönheitssinn, wenn sie, wie z. B. diesen Winter ein hässliches violettes Kleid mit gelben Punkten und ohne Besatz tragen musste.
„Mein einziger Trost ist,“ sagte sie mit Thränen in den Augen zu Margaret, „dass Mama in meine Kleider keine Aufnähen macht wie Maria Parks Mutter. Es ist wahrhaft schrecklich, wie sie oft aussieht; zuweilen reicht ihr Kleid nur bis auf die Kniee, und sie kann nicht zur Schule kommen. Wenn ich an diese Demüthigung denke, so kann ich sogar meine platte Nase und mein violettes Kleid mit gelben Punkten ertragen.“
„Margaret war Amy’s Vertraute und Rathgeberin, und durch eine seltsame Anziehungskraft entgegengesetzter Naturen war Jo die des sanften Lieschen. Der Schwester Jo allein theilte das schüchterne Kind seine Gedanken mit, und unbewusst übte das sanfte Lieschen über ihre unruhige Schwester mehr Einfluss als alle andern. Die beiden ältesten Schwestern standen sich sehr nahe, aber jede von ihnen nahm sich einer der jüngeren an und wachte in ihrer Weise über sie; sie nannten das ,bemuttern‘ und adoptirten ihre kleinen Schwestern mit dem mütterlichen Gefühle kleiner Frauen, anstatt der verschmähten Puppen.
„Hat niemand etwas zu erzählen? Der ganze Tag ist so trübe gewesen, dass ich mich danach sehne, etwas Belustigendes zu hören,“ sagte Margaret, als Mutter und Töchter am Abend, mit Näharbeit beschäftigt, bei einander sassen.
„Ich hatte heute ein komisches Abenteuer mit Tante, und da ich stegreich daraus hervorgegangen bin, so will ich’s euch erzählen,“ sagte Jo, die gar zu gern Geschichten erzählte. Ich las diesen ewigen Belsham und dröhnte wie gewöhnlich, denn die Tante schläft häufig bald ein, und dann nehme ich irgend ein schönes Buch und lese wüthend, bis sie aufwacht. Heute nun hatte ich mich, fast selbst in Schlaf gelesen, ehe die Tante anfing, zu nicken, und ich gähnte so sichtbar, dass sie mich fragte, was mir in den Sinn käme, ob ich das ganze Buch mit einem Male verschlingen wollte, dass ich den Mund so aufrisse.
„Ich wollte ich könnte es,“ erwiederte ich, dann wäre ich damit fertig.“ Da hielt sie mir eine lange Strafrede über meine Sünden und gab mir anheim, über dieselben nachzudenken, während sie ein wenig schlummerte. Sie erwacht nie sehr schnell. Sobald also ihre Müsse anfing, zu nicken wie eine Georgine, deren Kopf für den Stengel zu schwer ist, zog ich meinen Vicar of Wakefield aus der Tasche und fing an zu lesen, das eine Auge auf mein Buch, das andere auf die Tante geheftet. Ich war gerade bis zu der Stelle gekommen, wo sie alle ins Wasser fallen, da vergass ich mich und lachte laut auf, Die Tante erwachte und, nach ihrem Schläfchen gutmüthiger als vorher, forderte sie mich auf, ein wenig zu lesen, damit sie sähe, welches leichtfertige Buch ich ihrem würdigen und lehrreichen Belsham vorzöge. Ich that mein Bestes, und sie hörte mit Vergnügen zu, obgleich sie nur sagte: „Ich verstehe nicht, wovon die Rede ist, fang wieder von vorne an, sind.“ Ich fing also an und machte die Familie Primrose so interessant wie möglich. Einmal war ich boshaft genug, an einer spannenden Stelle aufzuhören nnd demüthig zu sagen: „Ich fürchte, es ermüdet Sie, liebe Tante; soll ich das Buch nicht lieber weglegen? Sie nahm ihr Strickzeug, das ihr aus der Hand gefallen war, wieder auf, sah mich durch ihre Brille scharf an und sagte in ihrer kurzen Weise: „Lies das Kapitel zu Ende und sei nicht impertinent.“
„Gestand sie ein, dass sie das Buch gern hörte?“ fragte Margaret.
„O nein, so weit ging sie nicht; aber sie liess den alten Belsham ruhen, und als ich zurücklief, um meine Handschuhe zu holen, die ich vergessen hatte, fass sie da, so vertieft in den ,Vicar‘, dass sie mich nicht lachen hörte, als ich vor Freuden über die guten Tage, die nun kommen sollen, im Vorplatz einen Hopser tanzte. Welch angenehmes Leben könnte sie führen, wenn sie nur wollte! Ich beneide sie nicht, trotz ihres Geldes, denn am Ende haben die reichen Leute ebenso viele Sorgen wie die armen,“ sagte Jo.
„Das erinnert mich daran, dass ich auch etwas zu erzählen habe,“ sagte Margaret. Es ist nicht komisch, wie Jo’s Geschichte, aber ich habe auf meinem Heimwege viel daran gedacht. Bei Kings war heute alles in Aufregung, und eins der Kinder sagte, ihr ältester Bruder habe etwas Schreckliches gethan, und ihr Papa habe ihn deshalb fortgeschickt. Ich hörte Frau King weinen, Herr King laut sprechen, und Grace und Ellen wendeten sich ab, als sie an mir vorbeigingen, damit ich die rothgeweinten Augen nicht sähe. Ich fragte natürlich nicht, was geschehen sei, aber ich bedauerte sie, und freute mich, dass ich keinen leichtsinnigen Bruder habe, der seiner Familie Schande machen kann.“
„Ich glaube, in der Schule Schande zu erleben, ist schlimmer, als irgend etwas, das böse Knaben thun können,“ sagte Amy, indem sie den Kopf schüttelte, als ob sie sehr ernste Erfahrungen gemacht habe. „Suste Perkins kam heute mit einem reizenden Carneolringe zur Schule. Ich beneidete sie sehr und wünschte mich an ihre Stelle. Da zeichnet sie ein Bild von Herrn Davis mit einer ungeheuern Nase und einem Buckel. Aus seinem Munde kam eine Art Ballon hervor, auf welchem die Worte standen: ,Kinder, meine Augen sind auf euch gerichtet.‘ Wir konnten natürlich das Lachen nicht lassen, als wir plötzlich seine Augen wirklich auf uns gerichtet sahen. Er befahl Susie; ihm ihre Tafel zu bringen. Sie war wie gelähmt vor Schrecken, aber sie gehorchte, und — o, ihr könnt euch nicht denken, was. Herr Davis that. Er fasste sie beim Ohr, denkt nur, beim Ohr! und führte sie an den Platz, wo wir gewöhnlich beim Declamiren stehen. Da liess er sie eine halbe Stunde lang ihre Tafel halten, so dass alle sie sehen konnten.“
„Lachten die Mädchen nicht alle laut auf, als sie das Bild sahen?“ fragte Jo, die sich über die Geschichte belustigte.
„Lachen! keine einzige; sie sassen alle still wie die Mäuse; und Susie vergoss Ströme von Thränen. Ich beneidete sie nun nicht mehr, denn Millionen von Carneolringen hätten mich nach einem solchen Vorfall nicht glücklich machen können. Eine solche Demüthigung hätte ich nie überwinden können,“ fügte Amy im stolzen Bewusstsein ihrer Tugend hinzu.
„Ich habe heute Morgen etwas gesehen, das mir sehr gefiel, und es war meine Absicht, es euch zu erzählen, aber ich habe es ganz vergessen,“ sagte Lieschen, indem sie Jo’s unordentlichen Arbeitskorb aufräumte. „Als ich nach dem Fischladen ging, um für Hannah einige Austern zu holen, war Herr Lorenz dort, aber er sah mich nicht, denn ich blieb hinter einem Fass stehen, und er war mit Herrn Cutter, dem Fischhändler, im Gespräch. Da kam eine arme Frau mit einem Eimer und einem Scheuertuch herein und fragte, ob er sie nicht für etwas Fisch scheuern lassen wolle; sie habe für ihre Kinder kein Mittagessen und finde keine Arbeit. Herr Cutter, der sehr beschäftigt war, gab ihr in ziemlich verdriesslichem Ton eine abschlägige Antwort, und sie war schon im Begriff, traurig hinauszugehen, als Herr Lorenz mit seinem Hakenstocke einen grossen Fisch nahm und ihr denselben reichte. Sie war so froh und überrascht, dass sie den Fisch fast zärtlich in ihre Arme nahm und dem Geber nicht genug danken konnte. Dieser sagte: ,Geht heim, gute Frau und kocht euren Fisch.‘ O, wie glücklich eilte sie fort! War das nicht schön von ihm? Die arme Frau sah so komisch aus, wie sie den grossen glatten Fisch in ihren Armen hielt und Herrn Lorenz ein weiches Lager im Himmel wünschte.“
Die Schwestern lachten herzlich über Lieschen’s Geschichte, und dann baten sie ihre Mutter, ihnen etwas zu erzählen.
„Als ich heute im Comité blaue Flanelljacken zuschnitt,“ sagte sie, konnte ich nicht umhin, mit grossen Sorgen an den Vater zu denken und mir vorzustellen, wie einsam und hülflos wir sein würden, wenn er uns entrissen würde. Da kam ein alter Mann mit einem Schein, gegen welchen ich ihm verschiedene Sachen einzuhändigen hatte. Er setzte sich zu mir, und ich begann eine Unterhaltung mit ihm; er sah arm, müde und sorgenvoll aus.
„Habt ihr Söhne in der Armee?“ fragte ich, denn der Schein, den er brachte, war nicht an mich adressirt.
„Ja, Madame,“ antwortete er ruhig; „ich hatte vier Söhne im Heere; aber zwei sind gefallen, einer ist gefangen genommen, und ich gehe zu dem vierten, der im Hospital in Washington schwer krank danieder liegt.“
„Dann habt ihr viel für euer Vaterland gethan,“ sagte ich, und mein Mitleid verwandelte sich in Achtung.
„Nicht mehr als meine Schuldigkeit, Madame. Ich würde selbst mitgegangen sein, wenn meine Dienste von Nutzen gewesen wären. Da dem nicht so ist, so gebe ich meine Söhne, und thue es von Herzen.“
Dabei sah er so aufrichtig aus und schien so freudig sein Alles hinzugeben, dass ich mich schämte. Ich hatte über die Trennung von eurem Vater gemurrt, während dieser Mann willig seine vier Söhne hingab; meiner warteten daheim meine vier Töchter, die mich lieben und mein Trost sind, während sein letzter Sohn in weiter Ferne sich danach sehnt, ihn zu sehen und ihm vielleicht ein letztes Lebewohl zu sagen. Ich fühlte mich so reich und glücklich bei dem Gedanken an alle Segnungen, die Gottes Güte mir noch gelassen, dass ich ihm ein nettes Bündel zurecht machte, etwas Geld hinzufügte und ihm für seine Lehre herzlich dankte.“
„Erzähle uns noch eine ähnliche Geschichte, Mutter; ich denke nachher gern darüber nach, besonders wenn sie aus dem Leben gegriffen ist,“ sagte Jo nach kurzem Schweigen.
Frau March lächelte und begann sogleich. Sie kannte ihre jungen Zuhörerinnen, denen sie seit Jahren erzählte, und sie wusste immer etwas, das sie interessiren konnte.
„Es waren einmal vier kleine Mädchen, die hatten reichlich zu essen und zu trinken; auch an Kleidern fehlte es ihnen nicht. Sie hatten, gute Freunde und Eltern, die sie zärtlich liebten; daneben erfreuten sie sich mancher andern Segnungen, und doch waren sie nicht zufrieden.“ (Bei diesen Worten warfen sich die Zuhörerinnen verstohlene Blicke zu und begannen fleissig zu nähen.) „Diese Mädchen bestrebten sich ernstlich, gut zu sein und fassten viele vortreffliche Entschlüsse, aber leider führten sie dieselben nicht immer aus und sagten beständig: Wenn wir doch nur dies und jenes hätten!“ Wie viel Gutes sie besassen, und wie mancher Annehmlichkeiten sie sich erfreuten, vergassen sie völlig. Sie fragten also eine alte Frau, ob sie nicht einen Zauber wisse, der sie glücklich machen könne. „O ja,“ antwortete diese; „wenn ihr euch unzufrieden fühlt, so denkt über alle Segnungen nach, mit denen Gott euch überschüttet hat, und seid dankbar.“ (Hier blickte Jo rasch auf, als ob sie sprechen wollte; da sie aber merkte, dass die Geschichte noch nicht zu Ende war, schwieg sie.)
„Da sie vernünftige Mädchen waren,“ fuhr die Erzählerin fort, so beschlossen sie, ihrem Rathe zu folgen, und bald waren sie erstaunt, zu sehen, wie gut sie’s hatten. Die Eine entdeckte, dass der Reichthum nicht vor Kummer und Schande schützt; eine Andere fand, dass sie trotz ihrer Armuth durch Gesundheit, Jugend und frohen Muth weit glücklicher sei, als eine gewisse grämliche alte Dame, die sich ihres Reichthums und ihres schönen behaglichen Hauses nicht freuen konnte; eine dritte sah ein, dass, wie unangenehm es auch sein möchte, das Mittagessen besorgen zu helfen, es doch noch viel härter sei, es erbetteln zu müssen; und die vierte erkannte, dass selbst Carneolringe weniger werthvoll seien, als gutes Betragen. Sie nahmen sich also vor, nicht mehr zu klagen, das Gute, das sie befassen, zu geniessen und zu verdienen, damit es ihnen nicht noch genommen würde; und ich glaube, sie haben es nie bereut, dem Rathe der alten Frau gefolgt zu sein.“
„Wie schlau du bist, Mama, unsere eigene Geschichte gegen uns zu kehren und uns eine kleine Predigt zu halten,“ rief Margaret.
„Ich liebe diese Art von Predigten, solche hielt uns der Vater auch,“ sagte Lieschen nachdenklich, indem sie Jo’s Nadeln ordentlich auf das Kissen steckte.
„Ich klage lange nicht soviel wie die Andern, und werde mich von jetzt an noch mehr in Acht nehmen, denn Susie’s Schicksal ist eine Warnung für mich gewesen,“ sagte Amy höchst verständig.
„Die kleine Vorlesung that uns noth, und wir wollen sie nicht vergessen; sollten wir es dennoch thun, so sag nur, wie die alte Chloe in Onkel Tom „Tink ob Yer marcies, chillen, tink ob Yer marcies,“ fügte so hinzu, der selbst die kleine Predigt Gelegenheit zu einem Scherz geben musste, obgleich sie die Worte der Mutter nicht weniger zu Herzen nahm als irgend eine ihrer Schwestern.
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