Читать книгу Liam - Lukas Kohn - Страница 3

Erstes Kapitel

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“Die Deckung nach oben!”, rief es.

Und Liam, ein Mann von magerer, muskeldurchsetzter Statur, zog die Fäuste nach oben und konzentrierte sich ganz auf seinen Atem. Er atmete tief ein als er die Deckung vors Gesicht nahm und ließ die Luft erst wieder frei als er mit der rechten Faust auf den Boxsack schlug. Der Sack rasselte an der Leine, wackelte und Liam setzte nach mit der Linken. Schnell zog er die Deckung wieder nach oben, gemeinsam mit mit dem Luftstrom seines Atems.

Er war im Takt. Schlug mal vier-, mal fünfmal zu, immer konzentriert auf die Deckung, immmer konzentriert auf das, was sein Trainer Markus sagte.

„Genug für heute.“, sagte Markus und hielt Liam die Wasserflasche hin. „Das sieht alles ganz gut aus, es ist nicht deine schlimmste Zeit.“

Liam lächelte, leicht außer Atem, öffnete er die Handschuhe, nahm die Wasserflasche und sagte:

„Alles klar.“

Danach ging er in den Umkleideraum, wohin Markus ihm folgte. Markus sagte:

„Ich leg den Schlüssel unter den Stein, wie immer dann, ja?“

„Danke.“, sagte Liam und band seine Schuhe.

Als er aufstand überragte er Markus um einen halben Kopf. Beide reichten sie sich die Hand und Markus sagte:

„Ich weiß es ist schwierig da draußen. Aber mehr kann ich nicht für dich tun, das weißt du. Halt einfach durch.“, und er schlug ihm leicht auf die Schulter.

„Ja Sir.“, sagte Liam und verabschiedete sich.

Ein Hall schallte durch das Boxstudio, als Markus die Tür ins Schloss fallen sah..

Kalte Winterluft strömte über Liams Gesicht, als er die Mütze über die braunen Haare zog. Noch war ihm warm vom Training, er war schweißüberströmt und sehnte sich nach einer Dusche, wie eine Blume in der Wüste nach Regen. Doch das weiße Kreuz öffnete erst eine Stunde später und eine halbe brauchte er mit der U-Bahn. So saß er vor der Sozialeinrichtung und meditierte um seinen Verstand zu schärfen, wie ein Krieger es tut, wollte er die Achtsamkeit lernen.

Erst als das weiße Kreuz öffnete, öffnete er seine Augen und betrat den Raum. Kaffeetische waren in der Mitte des Raumes aufgebaut, an die sich Bedürftige gesellten, an denen er vorbei ging. Er ging direkt zur Dusche und man gewährte ihm den Vortritt, man kannte ihn hier.

Er drehte das Wasser so warm, wie nur angenehm um der Kälte der Straßen zu entrinnen. Es perlte ab und wusch und Niederlage von ihm. Denn er hatte den Krieg verloren. Wo die Menschen sich nicht mit Waffen ruinieren, ruinieren sie sich finanziell. Und diesen Kampf hatte er schon lange verloren. Neun Jahre, auf den Tag genau. Jetzt war er 25 und er bereute seine Entscheidung noch immer nicht.

Damals hatte er den Direktor des Waisenhauses geschlagen, statt ihn zu befriedigen. Daraufhin wurde er auf die Straße gesetzt und da saß er bis heute. Damals war er zu Markus gegangen und war so froh gewesen als dieser zu ihm sagte, er werde ihn weiterhin trainieren.

„Bleib fern von den Drogen!“, hatte Markus gesagt, doch daran hatte sich Liam nicht gehalten. Die Straße war mit Drogen überschwemmt.

Als er jünger gewesen war, rauchte Liam Joints, zog Speed, warf Ecstasy und wo Drogen sind, da ist der Streit nicht weit. Es war Colin, der sich mit ihm anlegte, den er zu Brei kloppte, bis einer der Erwachsenen damals dazwischen ging.

Liam drehte das Wasser ab. Er traf sich mit Sifu etwa vier Haltestellen abseits des Gesindels. Hochhausblocks türmten auf dem Asphalt und versperrten den Weg der Sonnenstrahlen auf die Straße. Sifu, der in der Lage war Straßenschilder mit nur einem Tritt bis auf den Boden zu biegen, war ein illegal eingewanderter Asiate mit ebensolchen Zügen. Seit fast neun Jahren schon unterrichtete er Liam in der Praxis des Kung-Fu. Gemeinsam gingen sie in eben jenen Park in dem Sifu seine Holzpuppe gebaut hatte. Hier trainierten sie jeden Tag um sich von der Langeweile und der Trostlosigkeit der Straße abzulenken und um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Manche Übungen waren nur zu zweit durchführbar und so zeigte der Mann, der einst zwischen Colin und Liam trat, um Liam zu verprügeln, Liam wie man Kräfte des Gegners umlenkt und kontrolliert, wie man einen Kampf für sich entscheidet und wie man mit den erlernten Fähigkeiten umgeht.

„Das soll dir eine Lehre sein.“, hatte er damals gesagt und sich umgedreht.

Erst drei Tage später hatte Liam sich getraut und Sifu gefragt, wie man derart kämpft. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht hatte Sifu gesagt:

„Ich bringe es dir bei.“

Die Holzpuppe, die an einem Baum verankert war, wackelte ein wenig, als Liam daran arbeitete. In Bruchteilen von Sekunden trafen die Handkanten auf das Holz und der Schlag mit dem Ellenbogen untersetzte das Klackern der Stäbe. Dabei drehte sich Liam stehend nach rechts, stehend nach links. Und die Puppe, die Sifu selbst gebaut hatte, blieb beständig am Baum, wie die Sonne in den Gedanken an den Sommer.

Liam ließ ab, er ließ die Arme sinken.

„Das war`s für heute.“, sagte Sifu.

Liam ging zurück zum weißen Kreuz um zu Mittag zu essen. Die Suppe schmeckte nicht, doch die Tage an denen Liam sich auf kriminellen Wegen Geld beschafft hatte waren längst vorbei. Das Training mit Sifu hatte ihn besänftigt und auf den rechten Pfad gebracht.

Kerzengerade saß er am Tisch und ignorierte sein Gegenüber, welches ihn mit gebeugtem Gesicht, herausfordernd ansah.

„Ich hab dich gesehen.“, sagte der Mann. „Dich und deinen schwulen Kumpel. Ihr glaubt wohl mit eurem bisschen Kampfsport könnt ihr was ausrichten, aber ich sage dir Junge, dass da...“, und mit gehauchter Stimme zog er eine Pistole aus der Hosentasche. „….das ist was die wahre Macht verleiht.“

Liam ignorierte den Mann. Mit Gelassenheit wischte er sich den Mund ab, bevor er aufstand um den Raum zu verlassen.

Doch, „Hey!“, rief der Mann und hielt den Lauf der Waffe nun auf Liam.

Auch wenn Liam ahnte, dass der Mann lediglich seine Macht demonstrieren wollte, reagierte er instinktiv und trat dem Mann mit dem ersten Sidekick die Pistole aus der Hand, mit dem zweiten zog er dessen Kopf auf den Boden, der krachend aufschlug.

Liam rieb sich die Hände als er den Raum verließ. Intuitiv wollte er mit dem Kopf schütteln, denn die Diskussion hatte ihm nichts eingebracht, doch stattdessen rieb er die Rückhand über das vernarbte Gesicht. Alles hat seine Zeit und nun war für Liam die Zeit zu verdauen.

Dazu ging Liam in den Park. Die Sonne warf ihre Strahlen auf den vereisten See und einzelne Schneeflocken tauten auf Liams Gesicht, während er meditierte. Es war ein milder Winter, der auch die geistig leicht betuchten unter den Obdachlosen milde stimmte. Streitereien wie die im weißen Kreuz gehörten dieses Jahr scheinbar der Seltenheit an.

Nach der Atempause im Park, traf sich Liam mit Frank. Sie hatten sich vor einiger Zeit im weißen Kreuz kennengelernt und seitdem trafen sie sich regelmäßig am Abend um die Muskeln zu trainieren. Ab und an zeigte Frank Liam einige Bodentechniken aus seiner Vergangenheit als Ringer, die mit Depressionen in der Obdachlosigkeit endete.

Die Scheidung von seiner Frau, so erzählte Frank, habe er nicht gut überstanden. Er sei zu kraftlos gewesen für den Job in der Automobilindustrie. Und so zeigte er Liam nun, wie man diesen oder jenen Knochen brach, den Schwitzkasten richtig anzuwenden und das zu Boden werfen.

Das Alles tat Frank mit einer unglaublichen Ruhe und Präzision, die ihm zu eigen war.

Nachdem sie trainiert hatten, sagte Frank, der insgesamt dicklich und klein gebaut war und ein ovales Gesicht besaß:

„Robin Paul und Matthias sind tot.“

Liam stutzte. Auf der Straße kam es immer wieder einmal vor, dass Junkies an einer Überdosis starben. Robin Paul und Matthias hingegen lebten drogenfrei, waren Sportler mit einem Schicksalsschlag gewesen, deren Schrei nach der Hoffnung nun auf der Straße verendet war.

„Wie sind sie gestorben?“, fragte Liam mit zurückhaltender Stimme.

Frank kratzte sich am Hinterkopf.

„Alle Drei im Krankenhaus.“, sagte er. „Irgendein Virus wohl.“

„Vielleicht etwas falsches gegessen.“, sagte Liam und dachte kurz nach.

Wie schnell das Leben vorbei sein konnte, das wusste er seit er Andere totprügeln konnte. Doch mit seinen 25 Jahren hörte er so selten davon, dass es nun beinahe so war als fühle er sich bedrückt über den Tod der flüchtigen Bekannten. Vielleicht war er auch bedrückt? Wer wusste das schon?

Er hatte nur wenig Zugang zu seinen Gefühlen, war weitgehend abgestumpft. Nicht nur die Straße hatte ihn hart gemacht, sein ganzes Leben hatte ihn hart gemacht. Er war abgebrüht wie Eier vor dem Verzehr.

„Morgen ist die Beerdigung. Ich gehe hin falls du mitwillst.“, sagte Frank.

„Ich komme mit.“, sagte Liam und verabschiedete sich mit einem Handschlag von Frnak, denn die Nacht legte sich über Milham und sie brachte wie jedes Mals nichts Gutes hervor.

Liam fuhr mit der U-Bahn. Eine Gruppe Jugendlicher randalierte darin, doch Liam nahm keinen Anstoß daran. Mit voller Aufmerksamkeit, aber ohne jegliche Bewertung, beobachtete er, wie sie Mülltonnen durch den Bahnhof traten. Ein Schwarm Fliegen folg aus der Tonne und verängstigt wichen die Jugendlichen zurück.

„Vorischt!“, rief der Anführer von ihnen.

„Glaubst du das sind diese Dinger?“, fragte ein Anderer.

Liam lächelte. Eine Gruppe randalierender Jugendlicher, die sich vor einem Schwarm Fliegen fürchtete, das war dieser seltsame Humor der Großstadt, die einen in jedem Moment zu kennen glaubte, wie ein übersinnliches Wesen.

Das Geräusch des einfahrenden Zuges unterbrach das Schauspiel. Liam stieg in die Bahn, während sich die Jugendlichen Hals über Kopf aus dem Staub machten.

Nach fünf Stationen stieg Liam aus, er ging zu Fuß zu Markus Studio, wo er wie jeden Tag den Schlüssel unter dem Stein hervor zog und sich erschöpft auf der Trainingsmatte schlafen legte.

Liam

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