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Amore mio

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EIN neuer Morgen war angebrochen und die Sonne umarmte das Mittelmeer wie eine gute mütterli-che Freundin. Das klare Wasser wurde nur langsam und in einem sanften Wellenreigen an das schmale Ufer gespült. Karin steckt ihren großen Zeh in den Sand. Der kirschrote Nagellack, den sie gemeinsam mit ihrem zitronengelben Bikini vor der Abreise bei Woolworth erstanden hatte, strahlte mit der Sonne um die Wette und machte sich ausgezeichnet zu den modernen Pfennigabsatz-Sandaletten, die man in diesem Sommer `64 trug.

„An was denke, Amore mio?“ Giancarlo war verunsichert, da Karin so schweigsam war. „Ich denke an nichts, Giancarlo, an gar nichts", antwortete sie, schob sich eine widerspenstige blonde Locke zu-rück unter ihr Haarband und griff zu ihrer Badeta-sche. „Möchtest du eine Caffè, Amore mio?“, fragte Giancarlo und blickte Karin durch seine große getönte Hornbrille erwartungsvoll an. „Nein danke, Giancarlo. Jetzt nicht.“ „Aber du abe eute kaum gefrustuckt. Musse esse fur zwei, Amore mio. Bambino in deine Bauch bleibe sonst ganse klei-ne…so wie die Italiener….ganse kleine…capisci? Muss werde schöne große blonde Bambino, gute deutse Werkarbeite…..du verstehst?“

Giancarlo konnte sehr süß sein. Das war auch schließlich der Grund gewesen, warum sie sich im vergangenen Jahr in den gutaussehenden Gastar-beiter verliebt hatte. Karin war heute trotzdem nicht nach Lachen zumute. Sie kramte in ihrer Badeta-sche und zog ihre Bademütze heraus. „Möchtest du vielleicht ein Gelato, Amore?“ Sein fürsorglicher Blick galt Karins kleinem 4-Monats-Bauch. Sie seufzte. „Na gut. Aber nur ein ganz kleines.“ „Ja, ja, certamente, nur eine ganse kleine Kugel für diche und die kleine Bambino. Und welche Gusto, Amo-re mio? Erdbeere? Amarena? Cioccolato?“ Sie deutete ein Lächeln an: „Ich lasse mich überraschen.“

Karin schaute zum azurblauen Horizont der Adria und entdeckte ein kleines weißes Segelboot, das sich sanft hinter den felsigen Wellenbrechern als kleines i-Tüpfelchen in die malerische Landschaft einfügte. Sie setzte sich die zum Bikini passende Badehaube auf und lief zum Wasser. Ihre Füße sanken in den weichen Sand. Sie ging ein paar Schritte hinein und genoss die angenehme Kühle, die nun ihre Knöchel sanft umspielte. 28 Grad im Schatten bereits am Vormittag war sie von Fried-richshafen, ihrer Heimatstadt am Bodensee, nicht gewöhnt. Verträumt tauchte sie bis zum Hals in das glitzernde Salzwasser hinein und begann zu schwimmen.

Es war das erste Mal, dass sie im Meer schwamm, und sie genoss das klare Salzwasser in vollen Zü-gen. Nach einer Weile tauchte sie auch ihr Gesicht hinein, das Wasser brannte ein bisschen in den Augen, aber es war nicht schlimm. Das Meerwasser trug sie und sie schwamm, nein, sie schwebte quasi und die Schwimmzüge taten sich fast von selbst. Mit jedem Zug, den sie im Wasser nahm, fühlte sie sich leichter und befreiter. Es war, als würde sie von dem blauen Meer gereinigt werden, gereinigt von dem unglücklichen Start ihrer Urlaubsreise: die Reise nach Italien, auf die sie sich zu Beginn so gefreut hatte.


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