Читать книгу Pension Kleine Möwe Band 2: Zeit für Entscheidungen - Lynda Lys - Страница 6
1. Kapitel
ОглавлениеWencke Fries saß auf ihrer überdachten Terrasse und auf ihren Knien ruhte ein alter Schuhkarton, in dem einst Herrenschuhe in Größe 43 schlummerten. Das weiße Preisetikett, welches an der einen Seite klebte, war noch aus der guten alten D-Mark-Zeit.
Doch anstatt brauner Lederschuhe lagen jetzt alte Bilder zum Teil noch in Schwarz-Weiß darin, die sie heraushob. Wencke hatte die Pappschachtel im Nebengelass gefunden, die sie nebst anderen Kartons aus Onkel Heikos Hinterlassenschaft vor etwas über einem Jahr dort eingelagert hatte.
Es war Hochsommer und die schwüle Luft kündigte ein Gewitter an. Die ersten Blitze zuckten bereits über den dunklen grauen Himmel und ein fernes Grollen war zu hören, als Haro Fries, Wenckes Ehemann, mit einer Flasche Wein aus der Küche kam.
»Na, mein Schatz, ein Schlückchen Wein zum Feierabend?«, fragte Haro und küsste seiner Frau sacht den Nacken. Er war frisch geduscht und hatte seine schwarze Stoffhose sowie das weiße, kurzärmligen Hemd gegen Shorts und T-Shirt getauscht. Seine Füße steckten barfuß in ein paar Schlappen und in seinem blonden Haar schimmerten noch einige Wassertropfen.
Er stellte die Weingläser sowie die Flasche mit dem roten Burgunder auf den Tisch und ließ sich ächzend in den bequemen Gartenstuhl fallen.
Wencke lächelte ihn an und nickte. Ihre dunkle Haarmähne hatte sie hochgesteckt und ihr schlanker Körper steckte in einem weißen, luftigen Sommerkleid. Die sonnengebräunte Haut bildete einen hübschen Kontrast zu dem Kleid und bei jeder Bewegung ihres rechten Armes klapperten die perlmuttfarbenen Armreifen.
»Schau mal, was ich im Nebengelass gefunden habe«, sagte sie und legte einen Stapel Bilder auf den Tisch. »Die sind ziemlich alt. Die müssen aus deiner Kindheit sein, also aus der Zeit, als deine Mutter noch Kontakt zu deinem verstorbenen Onkel Heiko hatte. Erinnerst du dich an die Kiste?«
»Ähm, nein. Nicht wirklich«, antwortete Haro und beugte sich über den Tisch.
»Wir hatten sie im Arbeitszimmer deines Onkels gefunden«, erwiderte Wencke und legte den nächsten Stapel Bilder auf den Tisch.
Haro nahm das erste Bild zur Hand und schaute es sich an. Unverkennbar war dort seine Oma als junge Frau mit seiner Mutter und Onkel Heiko als Kinder zu sehen. Die nächste Fotografie zeigte seine Mutter als kleines Mädchen mit einer Schultüte in der Hand, der große Bruder Heiko stand grinsend neben ihr.
»Ich kann mich daran erinnern, dass meine Mutter auch solche Bilder hat, also von ihrer Kindheit. Fein säuberlich in einem Fotobuch eingeklebt«, sagte Haro und wühlte in dem Bilderstapel.
Plötzlich sprang das Babyphon an. Es knarzte leicht in der Leitung und Wencke sprang auf. Das klägliche Weinen von Janis, dem mittlerweile vierjährigen Sohn der Eheleute, war zu hören. Er rief nach seiner Mama. Wencke war auf dem Weg ins Kinderzimmer, als der Kleine ihr bereits entgegenlief. Er war noch im Halbschlaf und wimmerte.
»Ich muss mal«, rief er weinerlich und rieb sich die Augen. Wencke nahm ihren kleinen Sohn an die Hand und brachte ihn ins Bad. Sie knipste ein kleines Lämpchen an, denn sie wollte nicht, dass er komplett wach wurde und später nicht mehr einschlief.
»Ist schon gut, mein Kleiner«, flüsterte sie und setzte ihn auf die Toilette. Anschließend brachte sie ihn zurück ins Bett, wo er sofort wieder einschlief. Sie schaute noch nach ihrer sechsjährigen Tochter Mia im Nebenzimmer, doch diese schlummerte tief und fest. Wencke schlich aus dem Kinderzimmer und begab sich wieder auf die Terrasse.
»Alles in Ordnung mit den Kindern?«, erkundigte Haro sich und goss den Wein in die Gläser.
»Ja, Janis musste nur Pipi, das war alles. Ich hatte ihm heute beim Zubettgehen zwar gesagt, er soll vorher noch mal aufs Klo, aber er konnte ja nicht hören«, schmunzelte Wencke und ließ sich in den Stuhl fallen. Sie seufzte laut.
»Was ist los?«, fragte Haro und schaute seine Frau über das Weinglas hinweg an.
»Stress mit den Gästen?«
»Nein, Schatz, alles bestens. Ich muss nur gerade daran denken, dass wir bereits über ein Jahr Pensionsbesitzer sind. Mir kommt es so vor, als wäre das Ganze erst gestern passiert. Findest du nicht?« Sie nippte versonnen an ihrem Glas.
»Dein Onkel Heiko verstirbt plötzlich an Herzversagen. Wir erben seine Pension hier auf Sylt, verlassen fast Hals über Kopf unsere Heimatstadt Flensburg und betreiben die Pension Kleine Möwe, als hätten wir nie etwas anderes gemacht.«
»Wie lieb von dir, dass du wir sagst. Eigentlich bist du diejenige, die hier den Laden schmeißt. Ich bin nur ein Anwalt mit einem kleinen Büro in Kampen«, lachte Haro. »Du hältst den Laden zusammen, kümmerst dich um die Gäste und Reservierungen, um unsere Kinder, den Garten, das Haus ...«
Wencke winkte bescheiden ab. »Ach Quatsch, Haro, du machst das schließlich mit den Steuern und hilfst mir mit den Abrechnungen am Wochenende. Wir sind schon ein gut eingespieltes Team.«
»Wenn es dir eines Tages zu viel wird, dann sagst du es mir aber, ja?«, bat Haro und blinzelte seiner Frau zu. »Nicht, dass du mir irgendwann zusammenklappst.«
Wencke lachte lauthals.
»So weit ist es noch lange nicht. Es sind ja schließlich nur drei Gästezimmer. Wobei ich sagen muss, es könnten locker noch ein oder zwei Zimmer mehr sein. Die Reservierungen laufen wie geschnitten Brot, es kommen des Öfteren Nachfragen rein, bei denen ich sagen muss, dass wir bereits ausgebucht sind.«
Ein Blitz erhellte den gesamten Garten und ein ohrenbetäubender Donner krachte über der kleinen Pension. Der Wind fachte auf und dicke Regentropfen fingen an, vom Himmel zu fallen. Fluchtartig verließen Wencke und Haro die Terrasse und begaben sich ins Innere des Hauses. Das Gewitter dauerte keine zehn Minuten, doch der Regen hielt die ganze Nacht über an.
*
Am nächsten Morgen, es war Samstag früh um sieben, blinzelten die ersten zarten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Die Luft roch frisch, wie gereinigt nach der Regennacht, als Wencke das Schlafzimmerfenster zum Lüften öffnete. Haro gab irgendwelche grunzenden Laute von sich und drehte sich im Bett zur anderen Seite. Wencke machte es nichts aus, so früh aufzustehen. Im Gegensatz zu ihrem Mann war sie schon immer ein Frühaufsteher gewesen. Und sie musste auch zeitig aufstehen, denn für die Gäste sollte das Frühstück ab acht Uhr bereitstehen. Momentan war sie wieder voll ausgebucht. Ein junges Pärchen bewohnte das Möwenzimmer, wollte aber nach dem Frühstück abreisen, das Leuchtturmzimmer hatte eine ältere Dame mit ihrer Freundin gemietet, auch sie reisten heute nach dem Frühstück ab. Und im dritten Zimmer, dem Strandkorbzimmer nächtigte zurzeit ihr Bruder Piet.
Der Bäcker, der jeden Morgen die Kleine Möwe mit frischen Brötchen belieferte, klagte schließlich auch nicht, dass er seit vier Uhr in der Früh in der Backstube stand, da war sieben Uhr das reinste Ausschlafen. Wencke huschte leise ins Bad, sprang unter die Dusche und ein paar Minuten später stand sie bereits fix und fertig angezogen in ihrer großen Küche. Auf der rechten Seite befand sich eine weitere Eingangstür, in der ein Schlüssel steckte, sie war verschlossen. Wencke drehte den Schlüssel herum, öffnete die Tür und ging in den Raum. Dort standen drei Tische mit je vier Stühlen und an der Wand entlang stand ein großer Tresen, der als Frühstücksbuffet gedacht war. Es war unverkennbar der Frühstücksraum für die Gäste. Sie öffnete weit das große Fenster, ließ auch hier den sommerlichen Duft herein und fing an, die Tische einzudecken. Anschließend setzte sie den Kaffee auf und nach dem Durchlaufen füllte sie den braunen Muntermacher in Isolierkannen um. Leichtfüßig lief sie in ihren eigenen Wohnbereich zurück und öffnete die Haustür. Wencke durchquerte den Garten, um aus der Brötchen-Box die beim Bäcker bestellte Ware herauszuholen. Als sie diese öffnete, musste sie kurz an die Entstehung dieser Box denken.
*
Die Brötchen-Box wurde bereits zwei Wochen nach Eröffnung der Pension von Haro in liebevoller Tischlerarbeit selbst angefertigt, und das aus gutem Grund: An den ersten Tagen, nachdem Wencke mit dem Bäckermeister vereinbart hatte, dass er die bestellten Brötchen vorne einfach an den Zaun hängen sollte, ging alles gut, bis es eines Tages regnete. Sie holte im strömenden Regen die triefnassen, aufgeweichten Brötchen ins Haus und war mehr als verärgert darüber, dass sie nicht daran gedacht hatte, dass es auf Sylt natürlich auch mal regnen konnte.
Dem Bäcker machte sie keinen Vorwurf, er selbst war damals noch so nett gewesen und hatte eine Plastiktüte darübergestülpt, doch viel gebracht hatte es nicht. Haro schnappte sich an diesem Tag die Kinder und verschwand für eine Weile mit ihnen im Nebengelass. An die Tür hing er ein Pappschild, worauf stand: Betreten verboten! Am nächsten Tag trugen Janis und Mia eine große Holzkiste zu Wencke und überreichten sie ihr.
Sie war weiß angestrichen worden und in Mias ungelenkiger Schrift erstrahlte in großen Buchstaben das Wort Brötchen-Box. Janis hatte kleine blaue Wölkchen darauf gemalt und am unteren Rand klebten Muscheln. Wencke war ziemlich gerührt und lobte ihre Kinder und Haro für die tollte Kiste.
Fortan gab es nie wieder aufgeweichte Brötchen.
Wencke nahm die bestellte Ware aus der Box und musste schmunzeln, als sie an diese Geschichte zurückdachte.
*
Es war kurz vor acht, als Wencke mit allem fertig war. Sie schaute sich ein letztes Mal das Frühstückbuffet an und nickte zufrieden. Die frisch aufgeschnittene Wurst und der Käse lagen abgedeckt auf Kühltellern, die zurechtgeschnittene Butter schwamm im Eiswasser und das Müsli sowie andere Cerealien waren in den Glasboxen aufgefüllt. Die große Schale mit dem frischen Obst schob sie noch ein klein wenig nach vorn, dann verließ sie den Frühstücksraum.
Als sie das Wohnzimmer betrat, hörte sie schon das muntere Geplapper ihrer Kinder und die dunkle Stimme von Haro aus dem Bad. Am Wochenende kümmerte er sich am Morgen um die Kinder, denn er wollte Wencke damit ein klein wenig entlasten. Sie stemmte die ganze Woche über die Doppelbelastung mit Gästefrühstück und Kinder fertig machen, da fand er es nur fair und gerecht, dass er sich samstags und sonntags um die Kinder kümmerte.
Wencke öffnete die Badezimmertür und lächelte. Beide Racker waren bereits angezogen, Janis putze sich gerade die Zähne und Haro war mit einer Bürste und einem Zopfgummi bewaffnet, um Mia einen halbwegs ansehnlichen Pferdeschwanz zu binden.
»Ab ihr Mäuse«, rief Wencke fröhlich in die Runde und nahm Haro wortlos die Bürste aus der Hand. Mit geübten Griffen war in Nullkommanichts Mias Zopf gebunden und Haro schaute sie dankbar an.
»Frühstück ist fertig.« Die Kinder rannten in die Küche und Haro stand vom Toilettendeckel auf. Er hielt Wencke am Arm fest und zog sie an sich. Der herbe Duft seines Rasierwassers umwehte ihre Nase und sie blickte ihn an.
»Weißt du, wie sehr ich dich liebe?«, flüsterte er und zog sie noch näher an sich heran. Er küsste sanft ihre Augen, ihre Wangen und anschließend ihren weichen Mund. Bei Wencke stellten sich die Nackenhaare hoch und es kribbelte in ihrem ganzen Körper. Sie schnurrte wie ein kleines Kätzchen und sie schlang ihre Arme um seinen Hals.
»Ich liebe dich auch«, hauchte sie in sein Ohr. »Aber wir sollten jetzt nicht auf dumme Gedanken kommen und lieber in die Küche gehen«, grinste sie und befreite sich aus seiner Umarmung. Haro seufzte und beide folgten den Kindern.
*
Piet, Wenckes älterer Bruder, kam die Treppe herunter, durchquerte den Gästefrühstücksraum und begab sich in die Küche der Familie. Da er der Bruder, beziehungsweise Schwager der Pensionsleute war, hatte er das Privileg, bei ihnen und den Kindern zu frühstücken. Er war selbstständiger Handwerker und betrieb eine kleine Baufirma in Flensburg. Er wohnte mit seiner Frau Sarah und dem gemeinsamen kleinen Sohn Theo im Stadtteil Weiche, der Ort, in dem seine Schwester vor etwas über einem Jahr ebenfalls noch wohnte.
Er hatte damals zusammen mit einem seiner Angestellten nach der Pensionsübernahme kostengünstig einige Innenumbauten an dem Haus vorgenommen: Aus dem großen Arbeitszimmer von Onkel Heiko zauberte er mittels Trennwand zwei niedliche Kinderzimmer, verpasste dem Wohnzimmer moderne Tapeten und verlegte Laminatböden. Jetzt war er für eine Woche hier, um im Nebengelass ein gemeinsames Büro für Wencke und Haro herzurichten.
Er betrat die Küche. Die Geschwister Janis und Mia begrüßten ihn stürmisch und Haro schmunzelte, als Piet den kleinen Janis packte und eine Runde ›Flugzeug‹ spielte. Janis quietschte vor Vergnügen und Wencke schüttelte nur den Kopf.
»So, jetzt ist aber Schluss«, schimpfte sie lachend. »Lasst uns und euren Onkel erst einmal frühstücken.« Piet setzte den Jungen vorsichtig auf den Boden zurück, kitzelte Mia hinter dem Ohr und setzte sich.
»Ich habe im Strandkorbzimmer wieder hervorragend geschlafen«, grunzte er und kratzte sich am unrasierten Kinn. »Wie ein Baby.«
»Das freut mich zu hören, lieber Bruder«, antworte Wencke und schenkte ihm Kaffee ein.
»Ich habe mein ganzes Werkstattauto voll mit neuen Fenstern und Türen. Ich habe sie für euch günstig im Großhandel geschossen, preiswerter, als ich veranschlagt hatte«, sagte er und wandte sich an Haro. »Da haben wir nachher ordentlich zu schleppen.«
»Das macht nichts, Piet. Wir sind dir ja schon dankbar, dass du das alles für uns machst und deine Zeit opferst«, sagte Haro und klopfte seinem Schwager freundschaftlich auf die Schulter.
»Na hör’ mal. Wir sind doch schließlich eine Familie. Und ich mache das ja auch nicht umsonst. Ihr bezahlt mich, auch wenn es mit einem großzügigem Familienrabatt ist«, grinste Piet. »Meine Angestellten kommen eine Woche auch mal ohne mich klar.«
Das Nebengelass, welches im hinteren Bereich des Grundstücks lag, war in keinem sehr guten Zustand. Die Bausubstanz und das Dach waren zwar in Ordnung, doch es hatte marode Fenster und eine große alte Holztür, die sich kaum noch öffnen ließ. Sie war verzogen, zum Teil splitterte das Holz und die Betonwaschplatten, die einmal um das ganze Gebäude herumführten, boten auch einen traurigen Anblick. In den Ritzen zwischen den einzelnen Platten wucherte das Unkraut, die Oberflächen waren vermoost und stark verschmutzt. Onkel Heiko schien in den letzten Jahren nichts daran gemacht zu haben.
Als sie damals die kleine Pension übernommen hatten, fanden sie im Nebengelass nur alte Holzgartenmöbel und einiges an Gerümpel vor. Heute standen nur noch der alte Holzschreibtisch, den Haro unbedingt aufheben wollte, sowie zwei Kisten mit persönlichen Dingen von Onkel Heiko drin, die Wencke nicht wegwerfen wollte.
Wencke und Haro hatten sich dazu entschlossen, dieses Nebengelass so nach und nach von Piet renovieren zu lassen. Es war ein L-förmig angelegtes Flachgebäude und hatte insgesamt eine Größe von knapp siebzig Quadratmetern. Die Planung der Eheleute sah vor, dass dort ein weiteres Gästezimmer, ein Büro und zu guter Letzt ein großer Raum, der eventuell mal als Praxis für Wencke vorgesehen war, entstehen sollte. Denn Wencke war examinierte Hebamme und träumte schon immer davon, eine eigene Praxis zu führen. Bevor sie die Pension übernahmen, arbeitete sie in Flensburg Teilzeit als Angestellte in einem Geburtshaus.
»Während ihr Männer nachher den Wagen ausladet, werde ich die beiden anderen Gästezimmer vorbereiten. Für heute Nachmittag ist die Anreise eines einzelnen Herrn angekündigt und morgen erwarte ich ein Rentnerehepaar«, sagte Wencke und strahlte über beide Ohren.
Sie biss herzhaft in ihr Brötchen, nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Kaffeepott und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»So, ihr Lieben, die Pflicht ruft«, sagte sie zehn Minuten später und stand vom Frühstückstisch auf. Sie betrat den Nebenraum, aus dem die ersten Geräusche zu hören waren. Die beiden älteren Damen waren bereits im Gästefrühstücksraum anwesend und schlichen um das Büfett herum.
»Einen wunderschönen guten Morgen«, begrüßte Wencke die Damen.
»Guten Morgen«, riefen beide wie aus einem Mund und schauten ihre Gastgeberin freundlich an.
»Ach, wie schön Sie wieder alles hergerichtet haben«, lobte die eine grauhaarige Dame und machte eine Handbewegung über das Buffet. Die andere nickte bestätigend.
»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt hier in unserer kleinen Pension«, lachte Wencke und freute sich ungemein über das Lob der Damen.
»Mein Mann wird Ihnen nachher behilflich sein, Ihr Gepäck herunterzutragen, sagen Sie nur Bescheid, wenn Sie mit allem fertig sind.«
»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, danke schön«, antwortete die etwas Korpulentere der beiden. Plötzlich schwang die Tür auf, und das junge Paar kam herein. Sie hing kichernd an seinem Arm, er küsste ihre Wange immer und immer wieder.
»Die hängen zusammen wie Kletten«, brummte die dünne Grauhaarige und schüttelte leicht ihren Kopf.
»Ach Gerda, nun lass doch die jungen Leute, die sind frisch verliebt, das sieht man doch«, erwiderte die rundliche Dame und grinste. »Du warst doch auch mal jung, oder?«
Das junge Paar wünschte allen einen guten Morgen und setzten sich an ihren gedeckten Tisch.
Wencke wandte sich an das Paar und wiederholte auch bei ihnen die Frage.
»Hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt hier in unserer kleinen Pension?«
»Oh ja!«, sagte der junge Mann. »Wir kommen sicher noch mal hierher.«
»Prima, das freut mich zu hören«, erwiderte Wencke.
»Wenn Sie nachher abreisen, dann lassen Sie bitte den Zimmerschlüssel einfach in der Tür stecken«, bat Wencke.
*
Derweil die Kinder im Garten spielten, schleppten Haro und Piet sämtliche Fenster, Türen, Spanplatten, Holzleisten und Farbeimer ins Nebengelass und stellten alles fein säuberlich in den letzten Raum, der später als Wenckes Praxis dienen sollte. Als sie fertig waren, standen sie schnaufend am Zaun, als plötzlich die Nachbarn Niels und Eike Jensen mit dem Auto an ihnen vorbeifuhren. Niels bremste kurz ab, ließ die Seitenscheibe herunter und grüßte freundlich. »Moin Moin, werter Herr Nachbar«, schrie er aus dem Wagen und Eike, die direkt neben ihm auf den Beifahrersitz saß, hielt sich das linke Ohr zu.
»Brüll doch nicht so«, brummte sie und schüttelte verärgert den Kopf.
»Moin Moin liebe Nachbarn«, rief Haro zurück und hob die Hand, um zu winken.
»Braucht ihr Hilfe beim Ausladen?«, rief Niels über Eike hinweg. »Kommen gerade vom Einkaufen, hätte jetzt Zeit«, bot er sich an und beugte sich über seine Frau, um Haro besser sehen zu können.
»Nein, vielen Dank. Wir sind gerade fertig geworden«, erwiderte Haro und grinste. Er sah, wie Eike ihren Ehemann von sich schob.
»Helfe lieber mir, den Einkauf ins Haus zu tragen«, grollte sie. Sie schenkte Haro ein gequältes Lächeln und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Niels fuhr im Schritttempo weiter und rollte auf seine Auffahrt.
»Was war das denn jetzt?«, fragte Piet und schaute seinen Schwager verwundert an.
»Ach, die sind eigentlich ganz lieb. Sie waren gute Freunde meines Onkels. Aber heute scheint Eike eine Laus über die Leber gelaufen zu sein. Wer weiß ...«, sagte Haro und zuckte mit den Schultern.
*
Die beiden älteren Damen sowie das junge Paar waren abgereist und Wencke fing mit dem Herrichten des einen Gästezimmers an. Sie hatte die Betten mit frischer Wäsche bezogen und stellte die weit geöffneten Fenster auf Kippposition. Sie reinigte das Bad, saugte alles durch und stellte auf den kleinen Tisch eine Vase mit frischen Blumen, die sie im Garten gepflückt hatte und hing im Badezimmer die Handtücher auf. Zum Schluss füllte sie den Kühlschrank, der sich außerhalb des Zimmers auf den großen Flur befand, mit neuen Getränken auf. Sie schloss die Tür vom Möwenzimmer und begab sich wieder nach unten.
Das Haus war damals von Heiko Brodersen so konzipiert worden, dass es ein Wohnhaus, in dem er selbst wohnte, gleichzeitig aber auch eine Pension war. Es war ein braunrot verklinkertes Haus mit einem Reetdach und weißen Fenstern. An der Vorderseite des Hauses befand sich die private Eingangstür und ging man um das Haus herum, fand man die Eingangstür der Gäste.
Dahinter lag ein hell gefliester Raum, mit einer Tür, die zum Frühstücksraum führte. In der Mitte des großen Flures befand sich eine breite Holztreppe, die nach oben zu den drei Gästezimmern und einem Hauswirtschaftsraum führte.
Am oberen Treppenabsatz befand sich wiederum ein breiter Flur, auf dem ein großer Kühlschrank stand. Die Preisliste für die Getränke, die Wencke dort für ihre Gäste bereitstellte, hing an der rechten Seite des Kühlschranks. Ein großes Fenster über die gesamte Breite des Hauses erhellte den kompletten Flur, die Wände waren in einem hellen Beige getüncht.
Maritime Bilder zierten die Wände und an jeder Tür war in der oberen Mitte eine quadratische Keramikkachel mit einem Symbol passend zum Zimmer angebracht.
Das Möwen- und das Leuchtturmzimmer waren von der Größe sowie der Ausstattung her identisch.
In der Mitte stand jeweils ein großes Doppelbett mit zwei kleinen Nachttischen und an einer Wand stand ein zweitüriger Kleiderschrank. Unter dem Fenster befand ein kleiner Tisch, um den sich drei Stühle gruppierten, auf der anderen Seite, neben einer kleinen Tür stand eine schmale Kommode.
Hinter der kleineren Tür verbarg sich ein gefliestes Badezimmer in den Farben Blau-Weiß, mit einem WC, einem Waschbecken und einer Duschkabine. Das Bad war nicht sehr groß, aber immerhin gab es dort ein kleines Fenster, mit Blick auf den Garten, wenn man die Plissee-Jalousie hochzog.
Hingegen war das Strandkorbzimmer um einiges größer. Zusätzlich stand dort eine Ausziehcouch auf der rechten Seite und war somit für vier Personen gedacht.
Wencke schaute zur Uhr. Ihr einzelner Gast, Herr Wladimir Popojew, hatte sich für den späten Nachmittag ankündigt. Somit blieb ihr noch genügend Zeit, das Mittagessen vorzubereiten. Da es in den letzten Tagen wieder ziemlich heiß war, entschloss sie sich für einen leichten gemischten Salat mit Hähnchenbruststreifen und frischem Baguette dazu. Nach dem Essen schickte sie Haro und Piet zusammen mit den Kindern an den Strand. Bepackt mit zwei Sonnenschirmen, Luftmatratzen und eine Kühltasche mit Getränken stiefelte die kleine Gruppe los.