Читать книгу Rhythm of Heartbeat - M. V. Melinar - Страница 2
Kapitel 1
ОглавлениеIch lag in meinem Bett und starrte an die Decke. Jeder einzelne Atemzug brannte sich meinen Hals hinab bis in meine Lunge, während mein Herz unaufhörlich gegen meine Brust pochte. Mein Körper war kraftlos, schaffte es aber trotzdem sich zu versteifen, langsam bewegte ich die Finger um sie zulösen. Alles tat mir weh! Ich hasste es, so aufzuwachen!
Ich griff neben mich und löschte das Licht meiner Lampe.
Es war bereits hell, die ersten Sonnenstrahlen des Tages fielen zum Fenster herein und bahnten sich ihren Weg durchs Zimmer. Der Sommer war auf seinem Höhepunkt. So manch einer konnte es kaum erwarten, dass der erste Regen kam oder zumindest ein kalter Sommerregen, der für Abkühlung sorgte. Einzig die Jüngeren hatten Freude daran, jeden Tag runter zum See baden zu gehen. Die Hitze setzte einem stark zu.
Ich lauschte auf die ersten Vögel des Tages, die auch nicht sonderlich froh über das Wetter schienen, dennoch ihren Dienst taten und wenigstens versuchten, fröhlich den Tag einzuleiten. Nebenbei versuchte ich krampfhaft, mich nicht von ihrem Gesang wieder einschläfern zu lassen. Denn freiwillig wollte ich bestimmt nicht mehr schlafen!
Bereits seit Monaten plagte mich ein und derselbe Traum. Die ersten Male vergaß ich ihn sofort nach dem Aufstehen wieder. Klar, jeder hatte mal den einen oder anderen Traum der einen öfter heimsuchte. Aber dieser war von der ganz hartnäckigen Sorte.
Erst hatte ich ihn alle paar Wochen mal, mittlerweile riss er mich täglich aus meinem Schlaf. Ich probierte wirklich alles… Von Musik hören zum Einschlafen, bis solange wach bleiben, bis die Augen nicht mehr offen zu halten waren. Nichts half! So das ich es mir zur Gewohnheit machte nachts das Licht neben meinem Bett vor dem Schlafen anzuschalten. Da der Traum in absolute Dunkelheit gehüllt war, musste ich ja nicht unbedingt auch darin erwachen.
Jedes Mal befand ich mich in einem Raum, ob es wirklich ein Raum war, konnte ich nicht sagen, so finster war es. Ich rannte vor jemanden davon, so schnell mich meine Beine trugen, immer auf ein kleines helles Licht zu. Ich musste unbedingt dort ankommen, dort war meine Rettung, ich war mir sicher. Aber ich schaffte es nie bis dorthin. Kurz davor stieß ich jedes Mal gegen etwas, das mich zu Boden warf. Der Boden war kalt und hart, aber ich spürte keinen Schmerz in meiner nicht enden wollenden Panik. Ich drehte mich in die Richtung meines Verfolgers ... und da war er! Mir war nicht klar, wie er so schnell hinter mir sein konnte. Nur wenige Meter von mir entfernt blieb er stehen und lächelte mich an. Sein übriges Gesicht konnte man im Dunkeln nicht erkennen. Während ich nur so nach Luft rang, schien er nicht einmal annähernd außer Atem zu sein. Ich wollte schreien, war mir jedoch sicher das mich hier niemand hören würde und selbst wenn, dann auch nicht helfen könnte. Also ließ ich es bleiben und starrte ihn nur weiter an, während er langsam seine Waffe auf mich richtete. Ich ergab mich meinem Schicksal und schloss meinen Augen, kurz bevor ich einen Knall hörte.
Und wenn ich sie wieder öffnete, lag ich unversehrt in meinem Bett. Na ja nicht wirklich. Jedes Mal hatte ich nach meinem Erwachen das Gefühl wirklich gerannt zu sein, alles tat mir weh und wurde auch nach der Häufigkeit des Traums nicht besser.
Also verbrachte ich den Start des Tages meistens damit, mich von meiner Verfolgung zu erholen. So auch heute. Nach dem ich mich einigermaßen im Griff hatte schwang ich mich aus dem Bett und kramte in meinen Schrank nach ein paar Klamotten. Mein Zimmer war noch immer mit den buchefarbenen Möbeln ausgestattet, die mein Vater mir damals mit zwölf Jahren gekauft hatte. Das einzige Farbige im Raum waren die kirschroten Vorhänge vor meinem Fenster und die dunkelblaue Bettwäsche. Ich warf einige Sachen auf den Schreibtisch und sah sie mir an. Wurde nicht fündig, entschied mich deshalb für das Erstbeste, das ich in die Hand bekam und stolperte ins Bad. Nach einer Dusche und in frischen Sachen sah die Welt schon wieder ganz anders aus.
Als ich nach unten kam, war Jayden bereits wach, ich setzte mich auf die letzten Stufen der Treppe und sah ihm zu, wie er in der Küche Frühstück machte.
Dass er krank war, war nicht mehr zu übersehen, mindestens die Hälfte seines Körpergewichts hatte er schon verloren. Damals sah er sportlich aus, obwohl er keinerlei Sport betrieb. Er war nicht der absolute Mädchenschwarm, trotzdem konnte er sich an Auswahl nicht beschweren. Heute war er kaum mehr vorhanden, der Großteil seiner Sachen waren ihm viel zu groß geworden und hingen an ihm hinab. Seine Hosen mussten nun immer von einem Gürtel gehalten werden. Die braunen Haare, die er sonst etwas länger trug, hatte er sich gekürzt als sie anfingen dünner zu werden und nur noch schlaff herunter hingen. Das Einzige an ihm das nur noch so voller leben strotzte waren seine dunkelbraunen fast schwarzen Augen, die so gar nicht zu seinem eingefallenen und knochigen Gesicht passen wollten.
An manchen Tagen fehlte mir mein alter Freund. Wir waren von klein auf beinahe täglich zusammen, hatten weitestgehend dieselben Interessen und für keinen von uns stand es jemals außer frage, dass wir später mal zusammenwohnen würden. Schon als Kinder spannen wir zusammen unsere Zukunftspläne. Jayden wollte ein Restaurant eröffnen in ganz schickem Stil, seine Gäste sollten alle samt Berühmtheiten sein. Für mich hielt er den Managerposten frei sollte es mit meiner Schauspielkarriere nicht klappen. Wir würden zusammen in einem prachtvollen Haus wohnen, mit Figuren in den Hecken und eigenem Brunnen im Garten. Eine Hausangestellte wollten wir haben die einen umsorgte wie eine Oma. Wunderbare kindliche Spinnereien. Nur stellte sich sehr bald schon heraus, das ich für eine Schauspielkarriere gänzlich ungeeignet war. Schon nach nur einem Monat und ohne wirklichen Auftritt in der Theatergruppe unserer Schule gab ich es auf. Weder der Text wollte bei mir sitzen, noch brachte ich es zustande auch nur einen anständigen Satz heraus zu bekommen, während der Proben.
Als Jayden mit der Schule fertig war, schenkten seine Eltern, Elisabeth und Mitchell Coleman, ihm zum Abschluss das Haus, in dem wir nun gemeinsam lebten. Es hatte vier Zimmer, aber war im Vergleich zu anderen doch eher winzig. Aber es genügte für uns beide. Für ihn war von Anfang an klar, dass es auch mein Zuhause war. Und seine Eltern hatten nichts dagegen, wie sollten sie, auch wenn sie so jemanden hatten, der sich Tag und Nacht um ihr krebskrankes Kind kümmern konnte. Meinem Vater war es gleich, ob ich vor meinem achtzehnten Lebensjahr auszog, Jayden war bereits ein Jahr älter als ich.
Mein Vater war Jack Dearing. Mit ihm hatte ich so ziemlich nichts gemeinsam. Während ich braunes Haar hatte und braune Augen, war er blond und blauäugig. Auch vom Charakter her hatten wir nichts voneinander.
So hatten wir nie ein Vater Tochter Verhältnis gehabt, sondern eher auf Distanz. Ich schob die Schuld dafür auf meine Mutter, Heather Dearing. Sie verließ uns, als ich noch sehr klein war, ich hatte fast bis keine Erinnerungen mehr an sie. Dennoch hatte ich immer das Gefühl sie wäre wegen mir weg. Das Verhalten meines Vaters bestätigte es mir nur, obwohl er versuchte es vor mir so gut wie möglich zu verbergen. Dankbar nahm er meine Angabe an, als ich bei ihm auszog und verschwand ebenfalls in einer Nacht- und Nebelaktion. Angeblich aus beruflichen Gründen. Einmal im Monat, wenn überhaupt, ließ er mal von sich hören in dem er mir einen Brief schrieb oder anrief. Die Briefe las ich schon gar nicht mehr, sie kamen mir verlogen vor und hatten mehr was von einem Geschäftsbrief als etwas Liebevolles. Alle wanderten ungeöffnet in eine Schublade in der Küche.
Wir lebten noch nicht lange hier, vielleicht ein halbes Jahr, alles musste erst noch renoviert werden. Dennoch kam es mir so vor als wäre es nie anders gewesen.
»Wieder schlecht geträumt?« Jayden sah mich mitfühlend an, es ließ ihn noch kranker wirken.
»Kennst mich ja.« Ich zwinkerte ihm zu.
»Brot?«
Ich rümpfte die Nase, ich hasste Brot.
»Ich verzichte auf Frühstück.«
»Du solltest was essen, Jenna. Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages.«
Er sagte es nur so vor sich hin, während er ins Wohnzimmer ging. Ich zog mich am Geländer hoch und folgte ihm.
»Wie hast du geschlafen?«, fragte ich, öffnete die Terrassentür und ließ Kimba, unsere Katze, nach draußen. »Wie tot«, antwortete er trocken.
»Das ist nicht witzig!«, missbilligend sah ich ihn an.
Er machte gerne Scherze über sein baldiges Ableben, wahrscheinlich um sich selbst zu täuschen. Aber für mich war es, spätestens seitdem die Ärzte Jayden sagten, dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre und man ihn nicht mehr helfen konnte, überhaupt kein Spaß mehr. Und das wusste er sehr genau.
»Ja, tut mir leid, ich habe sehr gut geschlafen.«
Ich glaubte Jayden nicht, wollte aber auch keinen Streit mit ihm. Also setzte ich mich einfach, weiter schmollend über seine Bemerkung, auf die Couch.
»Erzählst du mir von deinem Traum?«
Ein schlechter Versuch das Thema zu wechseln. Ich ließ mich trotzdem darauf ein, warum ihm unnötigen Kummer machen.
»Derselbe wie immer.«
Eine knappe Antwort, ich war immer noch ein bisschen böse auf ihn. Ich wusste nicht, wie Menschen immer so schnell von gut auf böse und zurück gehen konnten. Mir war das unmöglich, ich brauchte immer meine Zeit.
»Hast du dir mal überlegt jemanden danach zu fragen?«
Ich lachte.
»Wen denn? Etwa eine Wahrsagerin oder etwas in der Art?. Nein danke.«
»Ich dachte eher an einen Arzt«, seine Stimme wurde etwas leiser.
»Einen Arzt? Willst du damit etwa sagen, dass ich verrückt bin?«
»Nein so war das nicht gemeint, Jenna. Aber vielleicht belastet dich ja etwas, dass diese Träume auslöst.«
Jetzt merkte ich vorauf er hinaus wollte.
»Ein Traum!«, fuhr ich ihn an, »Und nein, mich belastet nichts. Ich weiss nicht wie du darauf kommst, zu behaupten du wärst eine Belastung für mich.«
»Na es wäre ja nur ganz normal, es ist bestimmt nicht schön den ganzen Tag von einem Kranken umgeben zu sein, dessen Tage bald gezählt sind.«
Obwohl ich seine ganze Traurigkeit spürte, die in diesem Satz mitschwang, konnte ich mich doch nicht beherrschen.
»In meinem Kopf ist alles Okay. Und solltest du jemals wieder so etwas Absurdes behaupten wie das du mir zur Last fällst, bringe ich dich zu einem Arzt. Denk ja nicht das du für mich entscheiden kannst was gut und was schlecht ist. Lass dir das ja nie wieder einfallen!«
»Entschuldige, ich ...«, setzte er an, doch ich hatte genug von ihm gehört.
»Ich fang schon mit dem Mittag an.«
Mit diesen Worten stürmte ich aus dem Wohnzimmer in die Küche.
Dort angekommen musste ich mich an der hellen Arbeitsplatte festhalten, mir schossen die Tränen in die Augen. Krampfhaft versuchte ich meinen Ausbruch zu unterdrücken und mich in den Griff zu bekommen, bevor ich das Schluchzen nicht mehr aufhalten konnte. Niemals wollte ich vor Jayden weinen, dass hatte ich mir geschworen. Möge kommen, was wolle. Ich suchte nach den Kartoffeln und fing an sie zu schälen, im Radio lief leise Musik, die mich ablenken sollte. Es dauerte eine Zeit, bis der gewünschte Erfolg eintraf und ich an anderes dachte.
Zum Mittag gab es nur Kartoffeln, fertig mariniertes Fleisch und undefinierbares tiefgefrorenes Gemüse. Keiner von uns war in der Küche sonderlich begabt. Das Mittagessen lief ohne ein Wort ab.
Auch auf dem Weg zum Laden sprach keiner von uns. Auf den Straßen war nicht viel los. Bei der Wärme waren die meisten zuhause oder an einem der Seen, die Lamia umgaben. Im Gegensatz zu den gut besuchten Eisläden wirkten die anderen Geschäfte fast als hätten sie geschlossen. Nur selten sah man einen verirrten Kunden durch die Gänge laufen, der sich die Leere zum Vorteil machte.
Vineta lag nicht ganz am Ende der Hauptstraße. Gute zwanzig Minuten von unserem zuhause entfernt.
Jayden schloss die Tür auf. Der Laden gehörte eigentlich seinen Vater Mitchell. Er besaß Vineta und noch zwei weitere in anderen Städten. Es war eine Kneipe, nur nicht so runtergekommen. Ab und an verirrte sich mal ein Betrunkener hier rein, wurde aber schnell wieder vor die Tür gesetzt. Solche waren hier nicht gern gesehen.
Die meisten Leute kamen hier herein, um gemütlich beisammen zu sitzen, bei einem Glas Wein oder ähnlichem. Abends leuchteten auf den Tischen kleine Kerzen, alles war in dunklen Farben gehalten. Die Stühle und Bänke waren mit einem schicken, schwarzen Kunstleder bezogen. Hinter der Theke waren Spiegel befestigt, vor denen mit Flaschen gefüllte Regale waren. Einmal im Monat gab es einen Tanzabend im hinteren Bereich auf dem dafür ausgelegten Parkett.
Ich schnappte mir den Eimer aus der Kammer und begann den Boden zu wischen. Obwohl es eigentlich nicht nötig wäre. Innerhalb der Woche war selten viel los. Manche Abende verbrachten wir nur zu zweit mit Kartenspielen.
Unsere Stadt Lamia war nicht so klein, dass man jeden kannte, aber auch nicht so groß, dass einem nicht mindestens einer den man schon mal gesehen hat über den Weg lief. Um die Stadt herum waren Seen und Wälder. Für Kinder geradezu das Paradies, das dachten sich wohl auch unsere Eltern, als sie hierher zogen. Lamia war abends ab acht fast menschenleer. Und es passierten so gut wie nie Überfälle oder Ähnliches. Einfach eine harmonische kleine Stadt, mit dem üblichen Getratsche. Zum Gähnen langweilig.
Als Kinder wollten Jayden und ich oft in die Welt hinaus, leider kamen wir nie weit, außer in den Urlauben, die wir alle paar Jahre mit unseren Familien unternahmen. Bis auch die irgendwann ausblieben, warum auch immer. Und unser Urlaub sich auf Zelten an einem der Seen beschränkte. Bis zu dem Tag an dem unsere Eltern uns verboten zusammen in einem Zelt zu schlafen, da war es auch damit aus. Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln, als wäre es damit erledigt gewesen. Zwar war es zwischen mir und Jayden nie mehr als Freundschaft, dennoch amüsierten wir uns köstlich über die Versuche seiner Eltern und meines Vaters uns voneinander fern zuhalten.
»Was ist denn so komisch?« Jayden sah mich an als hätte er mich noch niemals lächeln sehen. Es war wirklich selten.
»Ich hab an früher gedacht.«
Keine Ahnung was ihm dabei in den Sinn kam aber er musste ebenfalls lächeln.
»Bist du fertig? Dann nehme ich die Stühle runter«, was immer es war an das Jayden dachte er hörte sich munter an. »Warte, ich bring die Sachen weg und helfe dir.«
Als ich wieder kam, war er schon dabei die ersten Stühle runter zu holen. Vor ein paar Wochen hatten wir sie noch umgedreht auf die Tische gestellt, bis mir auffiel wie schwer es Jayden dabei erging sie wieder umzudrehen. Seither stellte ich sie einfach so rauf, was ihm auch nicht sehr half aber zumindest etwas, und es beruhigte mich. Ich versuchte so schnell wie möglich die anderen runter zu stellen, ohne dass Jayden bemerkte, dass ich das tat, damit er sich nicht so anstrengte. Meistens war ich mir irgendwie sicher er bemerkte es trotzdem, dann sah er mich immer mit diesem Blick an, vorwurfsvoll aber auch dankbar. Als ich zum letzten Tisch eilte, zündete Jayden bereits die ersten Kerzen an. Ich sah ihn fragend an. Es war nicht mal ganz Nachmittag und draußen schien die Sonne.
»Damit unser Gast es auch schön hat.«
Er grinste mich an, während ich die Nase krauszog.
Seit ein paar Tagen hatten wir einen neuen Gast, dem Anschein nach wollte er unser Stammkunde werden, dabei war er kaum älter als wir, höchstens zwei, drei Jahre. Er kam jeden Tag zur selben Uhrzeit, setzte sich an einen der Tische direkt am Fenster, und bestellte eine Cola. Die ganze Zeit sah er aus dem Fenster als würde er auf etwas warten und sprach mit niemandem. Das machte er solange, bis wir den Laden schlossen. Manchmal musste Jayden ihn darauf hinweisen, bevor er sich auf den Weg machte.
Ich erinnere mich sehr gut an den ersten Tag, an dem er hereinkam. Es war nicht viel los gewesen, wie meistens, als er durch die Tür bei uns in den Laden kam. Ich war in eins meiner Bücher vertieft und sah zu ihm auf. Aber er blickte nicht in meine Richtung sonder steuerte direkt zu dem Tisch, an dem er bis heute täglich sitzt. Jedoch war ich mir ziemlich sicher, dass er mich aus dem Augenwinkel zu beobachten schien. Mir lief es kalt den Rücken runter, obwohl er nicht so aussah, als stimmte etwas mit ihm nicht. Er trug sein kastanienbraunes Haar etwas länger, sorgfältig gemacht aber dennoch wild in alle Richtungen. Es erinnerte mich daran, wie Jayden damals sein Haar trug. Er hatte einen leichten drei Tage Bart, der ihm jedoch ausgezeichnet stand, sein Gesicht wirkte männlich, doch zum gleichen Teil auch noch jungenhaft. Seine Kleidung machte den Anschein als legte er wert auf sein Aussehen. Er trug eine dunkle Anzughose und ein eng anliegendes blaues T-Shirt. Er sah alles andere als wie ein Straftäter aus, aber was wusste ich schon von Straftätern? Dennoch traute ich mich nicht, ihn zu bedienen. Irgendetwas sagte mir, ich sollte ihm lieber nicht zu nahe kommen, also schickte ich Jayden an seinen Tisch. Während ich die anderen Tische bediente, war mir jedes Mal als würde er mir mit seinen Blicken folgen. Was absurd war, warum sollte er, aber auch die nächstens Tage hielt ich mich immer von ihm fern.
Was Jayden sehr wohl auffiel. Die ersten Tage machte er sich noch über mich lustig, bis er merkte, dass es mir sehr ernst damit war. Bald gewöhnte er sich daran, dass er als Einziger unseren neuen Stammgast bediente. Die Sticheleien konnte er dennoch nicht immer unterdrücken.
»Glaubst du er wird heut wieder da sein?«
Ich hoffte Jayden würde lügen um mich zu beruhigen, aber nein, er grinste frech.
»Klar, wie jeden Tag. Gib es zu, du freust dich doch!«
»Ich finde ihn unheimlich.« Mich schüttelte es schon wieder.
»Ach komm, für sein gutes Aussehen kann er doch nichts.« »Aber für seine Art.«
»Hast du schon mal mit ihm gesprochen?«
Ich schüttelte den Kopf und wusste, dass ich diesen Kampf verlor.
»Woher willst du dann wissen, wie seine Art ist? Schäm dich, Jenna.« Jayden streckte mir die Zunge raus.
Ich blickte auf die Uhr, kurz vor drei, eine halbe Stunde noch.
Langsam ging ich hinter die Theke, holte mein Buch dahinter vor und setzte mich auf meinen Stuhl. Es handelte sich um eine Liebesgeschichte. Eigentlich nicht mein Fall, aber ich hatte so eine Ahnung, dass es mit den beiden nicht gut ausging. Ich würde es nie zugeben aber ich mochte, wenn die Sache nicht gut endete. Vielleicht, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie zwei Menschen bis an ihr Lebensende glücklich und zufrieden zusammenlebten. Wenn einem von beiden am Ende etwas zustieß, hatte es für mich mehr von der Realität.
Als die Tür aufging, fuhr ich erschrocken zusammen. Ich war so in mein Buch vertieft, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie die Zeit verging. Strafend sah ich zu Jayden rüber, der an der Anlage versuchte die Musik anzustellen, er hätte mich ruhig vorwarnen können. Mein Blick ging zurück ins Buch, ich fühlte mich schließlich nicht für die Bedienung zuständig und wollte auf keinen Fall sehen, wie er da saß und aus dem Fenster starrte.
»So ein grimmiges Gesicht heute, Schatz?«
Ich zuckte schon wieder zusammen, mit einem Wort aus der Richtung hatte ich nicht gerechnet.
Ben Redford war ebenfalls einer unserer Stammkunden, mit dem unterschied, dass ich ihn normalerweise gerne sah. Wenn er mich nicht gerade zu Tode erschreckte.
»Oh, und schreckhaft auch noch.« Er freute sich anscheinend darüber.
»Sie hatte Angst, dass du der unheimliche Gast bist«, trällerte Jayden aus seiner Ecke.
Ich sah ihn böse an, musste ja nicht jeder wissen!
»Was für ein unheimlicher Gast?«
Na was soll’s ...
»Der, der immer dort drüben am Tisch sitzt.«
Ich nickte kurz in die grobe Richtung.
»Der sieht doch eigentlich ganz nett aus.«
»Ich weiss, ich hab nur so ein Gefühl. Ist auch egal.«
Ben sah mich ungläubig an.
»Na egal ist es nicht, dass ist doch sonst nicht deine Art. Ich überprüf den mal für dich.«
Super, das hatte mir noch gefehlt.
»Ach was, lass mal gut sein«, ich hoffte nur er ließ es wirklich, »Willst du ein Bier?«
Ich hatte bereits das Glas in der Hand. Ben trank nie etwas anderes als Bier. Von allen Gästen war er mir der liebste. Er war mehr so der väterliche Typ, obwohl er mein Opa hätte sein können. Sein Haar war bereits fast komplett grau, nur an den Seiten ließ sich noch erahnen, welche Farbe sie mal hatten. Dafür, dass sein Körper stämmig wirkte, war er noch gut unterwegs. Jeden Tag lief er fast eine Stunde bis hier her, nur nachts nahm er sich ein Taxi.
»Klar wie immer, Schatz.«
Ich zapfte das Bier, während die Tür des Vineta sich ein weiteres Mal öffnete. Ich versuchte nicht hinzusehen, musste aber doch, wie sollte ich mir sonst sicher sein.
Und da war er, seine Haut wirkte blass, obwohl draußen Hochsommer war. Ich blickte auf meine Arme. Naja braun gebrannt war ich auch nicht gerade. Er ging wie immer an seinen üblichen Tisch, nur diesmal sah er nicht aus dem Fenster, sondern direkt zu mir und lächelte. Mein Herz setzte einmal spürbar aus, bevor es wild zu klopfen anfing. Mein Blick richtete sich sofort wieder auf das Bier, das ich vor Ben abstellte. Meine Hand zitterte leicht. Es kam mir vor als würde ich von irgendeinem Raubtier beobachtet, das nur darauf lauerte, dass ich einen Fehler machte. Jayden war bereits auf dem Weg zu unserem Gast und nahm die Bestellung auf. Die Musik, die er angestellt hatte, lief so leise das man nur erahnen konnte, was gespielt wurde. Es hörte sich an als würde jemand zwischendurch sprechen. Ich kam zu dem Entschluss, dass Jayden sich wohl für Radio entschieden hatte.
Mein Buch lag noch auf der Theke. Ich griff danach und versuchte mich auf irgendetwas in diesem Buch zu konzentrieren. Mir war nicht einmal bewusst, ob ich auf der richtigen Seite war. Als ich zum wiederholten Male am Anfang des Absatzes beginnen musste, gab ich es auf, auch hatte ich eh das Gefühl diese Stelle schon einmal gelesen zu haben. Zu meiner Überraschung war der Platz vor mir leer auf dem eben noch Ben saß. Sofort schnellte mein Kopf zu dem mir mittlerweile unbeliebten Tisch.
Wirklich, Ben saß dort und unterhielt sich mit dem unbekannten Gast. Er merkte, dass ich zu ihm sah, und lächelte mich an.
Ich wusste nicht, ob ich sauer sein oder seinen Mut bewundern sollte. Beides war irgendwie der Fall. Meine Hoffnung war, dass er nicht erwähnte, dass ich ihn unheimlich genannt hatte. Unheimlich war auch nicht wirklich passend, eher beängstigend.
Lauschen war von meiner Position aus unmöglich, deshalb musste ich mich wohl oder übel damit abfinden, dass ich vor morgen nicht erfahren würde, was die beiden sprachen. Irgendwann kam Jayden bei mir an mit einem Kartenspiel in der Hand. Wir gingen an einen freien Tisch in sicherer Entfernung und spielten Runde um Runde. Ich verlor meistens, trotzdem lenkte es mich ein wenig ab.
Jayden sprach die meiste Zeit für uns beide. Nur manchmal versuchte ich, aus dem Augenwinkel, zu den beiden Männern am Fenster zu sehen. Konnte mir jedoch keinen Reim aus ihnen machen.
Die beiden blieben unsere einzigen Gäste an diesem Abend.