Читать книгу Ein gefährliches Spiel - Madeleine Abides - Страница 8

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Sie sah mich dann geraume Zeit an, und mir wurde zunehmend unwohl dabei. Ihre Blicke schienen mir derart durchdringend, dass ich mich vollkommen durchschaut fühlte, und möglicherweise war ich das sogar. So traf es mich wie ein Keulenschlag, als sie mit ihrer feminin samtigen Stimme auf einmal sagte:

„Du hast lange keine Frau gehabt, nicht wahr!“

Es war eine Feststellung, keine Frage, doch ich versuchte auszuweichen:

„Ach, ich, das würde ich so nicht …“

„Wie lange?“

„Also, das … das möchte ich nicht …“

„Antworte!“

Etwas Schneidendes lag in ihrer Stimme. Das war immer noch dieses becircende Stimmchen, das mich den ganzen Abend lang auf Wolke sieben gehalten hatte. Doch da war auch ein unüberhörbarer Unterton, der mir ganz ohne Worte zu verstehen gab: ‚Entweder du redest jetzt, oder du kannst dir für den Rest der Nacht jeden Gedanken an Sex abschminken’.

Das wollte ich auf keinen Fall.

„Ein halbes Jahr“, stieß ich heiser hervor, „nein, nein: über ein Jahr!“

Ohne ersichtlichen Grund hatte mich auf einmal die Vorstellung gepackt, dass sie in meinen Gedanken lesen konnte wie in einer Speisekarte und dass sie meine Lüge mit dem halben Jahr sofort durchschaut hatte. Wenn sie mich nun ausgerechnet deswegen aufs Abstellgleis geschoben hätte – nicht auszudenken! Dann lieber die Wahrheit gesagt, auch wenn mich die als Liebhaber in einem ziemlich miesen Licht erscheinen ließ.

„Na also, war doch gar nicht so schwer.“

Ihre Worte waren wie ein begütigendes Streicheln über meinen Nacken, mit dem ich mich sehr wohl gefühlt hätte, wäre da nicht die beunruhigende Ahnung gewesen, ihr auf eine seltsame Weise ausgeliefert zu sein.

Zaghaft schüttelte ich den Kopf.

„Dann onanierst du viel, oder?“

Ich war fassungslos, wie unbekümmert sie das schändliche Wort aussprach, ganz abgesehen davon, dass sie die hochnotpeinliche Befragung mit äußerster Selbstverständlichkeit durchführte. Es war wirklich, als gäbe es für sie nichts Normaleres auf der Welt.

Trotzdem protestierte ich jetzt:

„Darüber will ich nicht … nicht … Wie kannst du nur so etwas fragen?“

„Gib Antwort!“, sagte sie völlig ruhig. „Auf der Stelle!“

Ich kann nicht sagen, weshalb ich sie an diesem Punkt nicht rigoros zurechtwies oder sie gleich aus dem Haus warf. Oder nein: Einen Punkt weiß ich schon, eigentlich zwei. Insgesamt sogar drei. Wenn man ihre sehenswerte Rückseite dazurechnet, vier beziehungsweise fünf.

Denn mittlerweile saß sie nicht mehr so reglos da wie zu Beginn. Sie bewegte sich vielmehr auf eine kaum wahrnehmbare, sinnliche Art, der ich nichts entgegenzusetzen hatte. Es war wie das lautlose Gleiten einer Anakonda, die sich ihrem Opfer nähert, bis dem kein Ausweg zur Flucht mehr bleibt. Und die es dann erbarmungslos bei lebendigem Leib verspeist.

„Ja, sicher“, stieß ich schließlich kleinmütig hervor. „Macht doch jeder.“

Ohne es zu wollen, sah ich zu Boden wie ein ertappter Fünftklässler. Ich fühlte, dass ich errötete. Doch im nächsten Moment hörte ich sie sagen:

„Na, da muss man doch was tun. Komm mal her zu mir!“

Ich war jetzt vollkommen von der Rolle und hätte dringend jemanden gebraucht wie einen Regisseur oder einen Verkehrspolizisten oder auch bloß ein billiges elektronisches Navigationssystem, um mich wieder in der Welt zurechtzufinden. Doch ich war auf mich allein gestellt. Weil mein Gehirn trotz allen Bemühens keinen einzigen verwertbaren Gegenvorschlag zu unterbreiten vermochte, tat ich wie mechanisch, wozu sie mich aufgefordert hatte. Als ich mich erhoben hatte und vielleicht eine Armlänge von ihr entfernt stand, fühlte ich mich einfach nur unendlich hilflos.

Sie lächelte mich von unten heraus an, wissend und herausfordernd, und sie bewegte sich noch immer in dieser schlangengleichen Art, die mich so einschüchterte. Der Ausschnitt ihres Tops gewährte von oben jeden Einblick, den sich ein Mann wünschen kann. Ich wusste mit absoluter Sicherheit, dass ich ihr keinen Wunsch abschlagen würde. Keinen einzigen.

„Nimm mal die Hände in den Nacken“, forderte sie mich auf, „beide!“

Vor Verlegenheit bebend biss ich mir auf die Lippen, versuchte mir eine Antwort auszudenken, mit der ich mich verweigern konnte, ohne sie gegen mich aufzubringen. Weil mir keine einfiel, tat ich schließlich widerstrebend, was sie verlangt hatte. Von da an wurde es besser.

Sie ließ ihre flache Hand an meiner Hose aufwärtsgleiten, sachte und mit Bedacht, und sie sprach dabei leise Worte, die ich schon gar nicht mehr als solche mitbekam. Dann das gleiche am anderen Bein. Ich atmete heftig, ja keuchte, obwohl ich doch nur dastand.

Es war eine bizarre Situation. Mit fügsam erhobenen Armen stand ich vor einem Mädchen, einer jungen Frau, die ich noch am Morgen nicht gekannt hatte. Ich hatte sie mitgenommen, weil sie kein Obdach gehabt hatte und nicht einmal die Mittel, sich für die Nacht einfach ein Zimmer zu nehmen. Trotzdem harrte ich jetzt bebend vor ihr aus, ließ gefügig meinen Intimbereich inspizieren und brachte selbst nicht mehr zustande als ein bisschen lüsternes Keuchen. Wie ein Tölpel nahm ich es hin, dass sie mich immer wieder aus dem Nichts mit kleinen Neckereien verspottete. Und statt ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen, wagte ich nicht einmal, mit der Hand meinem eigenen Ständer behilflich zu sein, der seit einer kleinen Ewigkeit vergebens versuchte, sich gegen die hinderliche Hose durchzusetzen.

„Oh weh!“, hörte ich da wieder die Stimme meines blonden Engels. „Das ist ja noch viel schlimmer, als ich dachte. Du möchtest jetzt wirklich sehr gerne, nicht wahr?“

Ich schluckte hart. Und nickte.

Es war beschämend, das vor ihr einfach zuzugeben, vor allem wo sie schon wusste, dass ich so lange nicht zum Schuss gekommen war. Doch ihre Hand lag schon fast an der richtigen Stelle, sie musste nur noch eine Handbreit zur Mitte rutschen.

Aber das tat sie nicht.

Ohne es zu wollen, hatte ich die Augen geschlossen. Was die Sache nicht einfacher machte, sondern mich erst recht zum willfährigen Opfer dieser erbarmungslos erregenden Hand. Beschämt registrierte ich, dass mein Becken in Bewegung geriet. Doch ich war unfähig, damit aufzuhören.

Bis ich irgendwann spürte, dass ihre Hand nicht mehr da war.

Ich schlug die Augen auf. Enttäuscht. Und schluckte vor Verlegenheit.

Sie sah zu mir auf mit einem Blick, der Steine durchdrungen hätte: sanft, fürsorglich, begütigend, aber auch wissend und ein unübersehbares bisschen arrogant.

„Ich sage dir, was wir tun werden“, hauchte sie, und der Anblick ihrer vollen Lippen war eine Offenbarung.

Vage nahm ich wahr, dass ich nickte.

Es geschah wie von selbst, ohne dass ich erst über ihre Worte nachgedacht hätte. In meinem Kopf flackerten die Bilder durcheinander. Ich sah uns beide am Bahnhof, wo ich tollpatschig ihr Gepäck geschleppt hatte, sah uns plaudernd in der Studentendisco, ich sah ihren verzweifelten Blick, als sie von ihrem Missgeschick mit der Unterkunft berichtet hatte, und ich sah dieses wissende Lächeln, das jetzt über ihr Gesicht glitt, jetzt, da sie sich so vollkommen unbekümmert unweit meines Geschlechts zu schaffen gemacht hatte.

War das wirklich immer ein und dasselbe Mädchen?

Hatte ich etwas Wichtiges verpasst?

Und was genau mochte sie vorhaben, wenn sie so ohne jede Hemmung auf das eine Ziel lossteuerte, das eigentlich mein Ziel gewesen war? Würde sie schon bald zuvorkommend die Lippen über meine Eichel legen und es damit dann gut sein lassen? Oder doch gleich echten, klassischen Sex nur für die eine Nacht, die sie unter meinem Dach schlief? Sozusagen Vorkasse in Naturalien für eine Übernachtung mit Frühstück?

Oder war alles nur ein schrecklicher Irrtum, eines dieser herzlosen Spiele, das Frauen zur Selbstbestätigung spielen, wenn sie wittern, dass ein Mann, der sie nicht interessiert, bedingungslos scharf auf sie ist?

Dann, ich glaubte meinen Ohren nicht mehr trauen zu können, vernahm ich wieder dieses Stimmchen, schmeichelnd, lockend, mit aller Süße der blutjungen Frau:

„Ich wette, ein großer Junge wie du hat hier irgendwo seine Spielsachen versteckt.“

„Spielsachen?“, wiederholte ich heiser.

„Tu nicht so, du weißt, was ich meine.“

Das wusste ich genau. Aber ich konnte nicht glauben, dass sie es wusste.

Ich meine, auf meiner Stirn war kein Aufkleber angebracht, der verriet: „Spielt gerne mit Stricken!“, oder: „Besitzer mehrerer Kopfgeschirre“. Wieso also konnte sie so sicher sein, dass sie damit bei mir ins Schwarze treffen würde?

Ich hatte die Spielsachen grundsätzlich nur hinter verschlossener Tür benutzt, im Verborgenen, und die wenigen Versuche, sie bei dem einen oder anderen Betthäschen ins Spiel zu bringen, waren allesamt schon im Ansatz kläglich gescheitert. Sie konnte es also nicht wissen.

Und doch wusste sie es.

„Na, nun lauf schon!“, spornte sie mich an. „Lauf und bring sie mir!“

Sie sagte das exakt in dem Tonfall, in dem eine Hundehalterin gesagt hätte: „Na, nun bring schön das Balli, bring es zu Frauchen!“

Was mich freilich nicht davon abhielt, noch kurz in Frauchens Gesicht zu blicken, um mich zu vergewissern, dass sie das ernst meinte. Aber dann war ich auch schon fort. Ich ging in mein Schlafzimmer, nein, ich sauste dorthin, und auf dem ganzen kurzen Weg zerbrach ich mir den summenden und brummenden Kopf, was ich denn nun Schönes apportieren sollte.

Oben fühlte ich mich vom ersten Moment an seltsam unter Druck. Drunten wartete jetzt eine unternehmungslustige junge Frau auf mich, die ich insgeheim schon fest eingeplant gehabt hatte für die traditionellen Reize der Nacht, die sich aber nun verblüffenderweise auch noch aufgeschlossen gab, was meine ganz speziellen Vorlieben anging.

Allerdings: So viel hatte sie ja gar nicht gesagt, und wenn ich nun das Falsche anbrachte, dann vermasselte ich mir das schöne Abenteuer vielleicht wirklich auf den allerletzten Drücker.

Ich sah die vertrauten Sachen durch, die mir als erstes unterkamen, eine Menge Stricke, Dildos, Handschellen, Knebel, und ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Erst packte ich ein Taillenkorsett und ein Halsband mit Leine, dann legte ich sie wieder weg und kramte stattdessen ein paar Stricke zusammen. Dann auf einmal überkam mich die schiere Panik, dass es sich da unten eine traumhafte junge Frau noch anders überlegen könnte, bloß weil ich hier so lange unschlüssig herumtrödelte. Also packte ich entschlossen eine der Kisten, ohne noch lange nachzudenken, und hastete damit so schnell es ging wieder die steile Treppe hinunter.

Sie hatte sich nichts anders überlegt. Nicht einmal von der Stelle gerührt hatte sie sich. Sie saß da noch immer vor ihrem nicht prickelnden Mineralwasser, hatte lässig ein Bein über das andere geschlagen und sah einfach nur umwerfend aus.

„Ziemlich unordentlich“, nörgelte sie spitz, als ich die Kiste vor sie hinstellte. Ich hatte das wohl tatsächlich nicht sonderlich elegant getan, doch ich war eben komplett in Auflösung.

„Ich hab es nur eben so …“, druckste ich hervor.

„Aha!“, rief sie da schon aus und hielt eines meiner Kopfgeschirre in die Luft. „Wer das wohl zuletzt getragen hat?“

Schon wieder fühlte ich, dass ich rot wurde, denn ich wusste aus absolut sicherer Quelle, dass der Ballknebel noch in keinen anderen Mund als meinen eigenen gezurrt worden war.

„Und du bist sicher, dass du keine niedlichen kleinen Freundinnen hast, die du hin und wieder zu Paketchen verschnürst und aufs Bett fesselst?“

„Nein!“, rief ich empört aus. Und ergänzte, sobald ich meine Antwort kurz überdacht hatte, so nonchalant ich konnte: „Zur Zeit eigentlich nicht.“

Wortlos lächelnd schüttelte sie ihr Köpfchen, als hätte sie meine frisierte Wahrheit sofort als solche erkannt, und wandte sich wieder den Spielsachen zu. Sie hielt sich ein Paar Handschellen neben die Handgelenke, betastete feinfühlig den Stoff einer Augenbinde und besah sich den Verschlussriemen eines Ballknebels so eingehend, als müsse sie ihn umgehend nachbauen. Dann hielt sie ihn mir schließlich entgegen und rief triumphierend:

„Den hier!“

Ich betrachtete das aufreizend baumelnde Stück, sah sie an und fragte dann geistreich:

„Den hier?“

„Ein Spiel. Wird dir gefallen!“

„Damit?“

Ich wies auf den Knebel, dessen knalliges Rot reizvoll mit der Farbe ihrer Haut und ihrer Haare kontrastierte.

„Ich gehe jetzt nach oben. Allein.“

Ich nickte verständnislos und ließ sie reden:

„In ein paar Minuten kommst du nach. Du überraschst mich, ich stoße dich zurück, und dann ziehst du mir den hier zwischen die Zähne. Klar?“

Den hier.

Ich warf einen verdutzten Blick auf ihre herrlichen Lippen und konnte auf einmal gar nicht glauben, dass sie das ernst meinte. So hörte ich nur mit halbem Ohr hin, als sie schmeichelnd hinzufügte:

„Aber warte unbedingt auf dein Stichwort.“

„Welches Stichwort?“

„Dein Stichwort heißt: Knebel!“

Ein gefährliches Spiel

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