Читать книгу Tödliches Verlangen - Madlen Schaffhauser - Страница 9

5.

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Wenn mich nicht alles täuscht, ist heute Donnerstag. Ich strecke mich in meinem Bett alle Glieder von mir und fühle mich erstaunlich erholt und entspannt. Obwohl ich mich nicht in meinen eigenen vier Wänden befinde, habe ich letzte Nacht ziemlich gut geschlafen. Das kann ich von den vorherigen Nächten nicht gerade behaupten. Liegt es vielleicht an dem dunkelblonden Alexander? Schon nur bei den Gedanken an ihn, macht mein Herz einige Hüpfer. Ungeachtet der Tatsache, dass ich mir geschworen habe, keinen Mann mehr nahe an mich ran zu lassen und mich keinem mehr zu öffnen, kann ich nichts gegen meine Zuneigung für Alexander unternehmen.

Aber was sollte ich wiederum gegen einen Flirt haben? In Alexanders Anwesenheit kann ich vor meinen tiefen Verletzungen flüchten. Also gibt es doch nichts besseres, als die paar gemeinsamen Stunden zu geniessen. Wenn ich aus dem Krankenhaus entlassen bin, trennen sich sowieso unsere Wege.

Hoffentlich ist Dr. Stevens immer noch der Ansicht, dass ich morgen nach Hause kann. Ich kann es kaum erwarten, von diesem Ort wegzukommen.

„Guten Morgen Frau Berner. Wie ich sehe, geht es Ihnen schon etwas besser.“ Frau Dr. Christensen reisst mich völlig unerwartet aus meinen Gedanken an gestern Nachmittag. Verdutzt sehe ich sie an.

„Es ist schön, Sie lächeln zu sehen.“ erwidert sie, sobald sie an meinem Bett steht.

„Guten Morgen Frau Dr. Christensen.“

„Haben Sie gut geschlafen?“

„Ja. Zum ersten Mal seit ich hier bin.“

„Und wie fühlen Sie sich?“

„Ziemlich gut.“ für den Moment jedenfalls, füge ich stumm dazu.

„Das freut mich. Wollen wir gleich beginnen?“ Sie nimmt ihren Laptop zur Hand. „Setzen wir uns doch an den Tisch.“ Mühsam stehe ich auf, um mich gleich darauf auf einen Stuhl zu setzten. Ich sehe die vielen Blumensträusse an, die immer noch unverrückt an ihrem alten Platz stehen. Die einen lassen schon die Köpfe hängen. Was mir nur recht ist, denn die von Noah hätte ich schon längst in den Eimer werfen sollen. Ich setzte mich links von der Ärztin hin. Sie öffnet ihren Laptop und startet ihn.

„Sind vielleicht schon irgendwelche Erinnerungen zurückgekommen?“

„Ich... ich...“ Was soll ich sagen? Es war ja klar, dass sie mich so etwas fragen würde. Warum habe ich mir keine plausible Antwort zurechtgelegt.

„Ja?“

„Ich habe einige Erinnerungsfetzen, aber ich kann sie noch nicht richtig miteinander verbinden.“ Ich fühle mich äusserst schlecht, meine Ärztin so anlügen zu müssen. Und das alles nur, wegen Noah. Warum mache ich das nur? Wäre es nicht viel einfacher, wenn ich ihn verraten würde? So reite ich mich nur selbst weiter in die Scheisse.

„Es muss Ihnen auf keinen Fall unangenehm sein. Wir machen jetzt ein paar Übungen. Danach gebe ich Ihnen Aufgaben, die Sie alleine bewältigen und lernen können. Sind Sie bereit?“

Ich kann nur hoffen, dass sie mir meine innere Unsicherheit und meine Lügen nicht anmerkt. Sie bemüht sich so, mir zu helfen und ich habe nichts besseres zu tun, als ihr etwas vorzuspielen.

„Okay. Dann legen wir mal los.“ Dr. Christensen dreht ihren Laptop zu mir. Es öffnet sich ein Programm, in dem ich verschiedene Gedankenübungen machen muss. Zwar habe ich meine Erinnerungen zurück, aber diese Übungen lenken mich, sehr zu meinem positiven Erstaunen, von meinen Sorgen und Problemen ab. Nach etwa dreissig Minuten brummt mir der Schädel und wir beenden die Sitzung. Bevor sie sich von mir verabschiedet, hinterlässt sie mir einige Bogen Papier, die ich für das tägliche Training benutzen kann. In einer Woche habe ich wieder einen Termin bei ihr. Dann möchte sie sehen, wie es um mein Erinnerungsvermögen steht.

Gerade als ich dabei bin die Blumensträusse, die von Noah stammen, in den Eimer zu werfen, erscheint mein Vater in der Tür.

„Hallo meine Kleine.“

Wie sehr ich seine warme Stimme vermisst habe. Ich bin so froh, dass er endlich Zeit gefunden hat, um mich zu besuchen. Unfähig irgendwas zu erwidern, schmiege ich mich in seine Umarmung.

„Wie fühlst du dich? Du siehst jedenfalls viel besser aus, als noch vor drei Tagen. Bin ich froh, dass du wieder bei Bewusstsein bist.“

„Danke. Es geht mir schon viel. Ich freue mich, dass du hier bist. Wo bist du gewesen?“

„Ich musste geschäftlich nach London. Ich habe alles versucht, den Termin zu verschieben, um so schnell wie möglich bei dir vorbeizukommen. Aber es war viel zu kurzfristig. Da gerade Ferienzeit ist, fehlen viele Mitarbeiter und so blieb mir nichts anderes übrig, als selbst zu gehen.“

„Paps. Natürlich habe ich dich vermisst und gehofft, dass du dich blicken lässt. Aber ich wusste auch, dass du so schnell wie möglich hierher kommst, sobald es dir geht. Mach dir deshalb keine Sorgen. Schliesslich bin ich kein kleines Kind mehr. Ich hatte jeden Tag genug Besuch und jetzt bist du ja hier.“

„Du wirst immer mein kleines Mädchen bleiben.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und sieht mich dann eindringlich an. Mir scheint, als würde er jeden Zentimeter von mir abchecken.

„Und wie geht es dir wirklich?“

„Gut. Warum?“

„Warum wirfst du all die Blumen weg?“ Er deutet auf die Sträusse, deren Blüten noch in voller Pracht leuchten.

„Ach die. Ich will sie nicht mehr ansehen müssen.“

„Und warum? Die sind doch von Noah? Habt ihr euch gestritten?“

„Nicht wirklich. Aber ich habe mich von ihm getrennt und das will er offenbar nicht wahr haben.“

„Ach Kleine. Irgendwann findest du auch deinen Märchenprinzen.“

„Da wäre ich nicht so sicher.“ Ich kämpfe gegen die plötzlich aufkeimenden Tränen an. Ich dachte, ich hätte das Schlimmste überwunden, aber sobald ich mir eine Zukunft neben einem Mann vorstelle, bleibe ich ständig alleine stehen, da ich keine Kinder mehr bekommen kann.

„Jetzt mach dich nicht verrückt. Du bist noch ziemlich jung und bist wunderschön. Du machst eine schlimme Zeit durch, aber auch die vergeht irgendwann. Wir sind immer für dich da.“

„Ich weiss. Danke.“ Ich schmiege mich wieder an ihn und trauere still um mein ungeborenes Baby.

Mein Vater drückt mich an den Schultern von sich weg und sieht mich ernsthaft an. „Was verschweigst du mir?“ In seiner Stimme klingt eine gewisse Härte mit.

„N...Nichts.“ Ich wende meinen Blick von ihm weg und schaue aus dem Fenster. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen und ihn dabei belügen.

„Was hat er dir angetan?“ Nun klingt er gar nicht mehr so heiter, wie vor wenigen Minuten und zwingt mich ihn anzusehen. Ich habe ihn noch nie so ausser sich gesehen. Hat ihm Valerie erzählt, dass ich schwanger war? Oder war Pam bei meinen Eltern und hat sie über alles informiert, was mir zugestossen ist? Ich vertraue meiner Schwester, wie auch meiner besten Freundin. Ich würde ihnen nie unterstellen, dass sie mir in den Rücken fallen würden, aber warum ist mein Dad plötzlich so aufgewühlt?

„Er war nur etwas zerknirscht, als ich Schluss gemacht habe. Das ist alles. Ich habe gehofft, dass wir uns in aller Freundschaft trennen können.“ Es tut mir in der Seele weh, dass ich auch meinen Vater so anschwindeln muss, aber ich schweige eisern. Ich möchte und kann ihm einfach nicht die Wahrheit erzählen.

„Wir haben euch dazu erzogen, ehrlich zu sein. Aber ich kann dich nicht dazu zwingen mir deine Sorgen mitzuteilen, wenn du nicht bereit dazu bist. Also werde ich dich auch nicht länger bedrängen. Wenn du es dir anders überlegst und dich mir anvertrauen willst, weisst du hoffentlich, dass ich für dich da sein werde. Immer.“

Froh darüber, dass er nicht mehr länger nachzubohren versucht, drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich lieb, Dad.“

„Ich dich auch, mein Schatz.“

Wir verfallen beide in ein unangenehmes Schweigen. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Ich versuche verzweifelt ein anderes Thema anzuschneiden. Mir fällt aber nichts Passendes ein, um ein Gespräch zu beginnen und bin noch so froh, dass er die Stille durchbricht.

„Kannst du morgen nach Hause?“

„Ich denke schon. Mein Arzt wird heute noch vorbeikommen. Dann weiss ich mehr.“

„Holt dich jemand ab?

„Janosch hat versprochen, dass er mich fährt.“

„Gut.“

Ich sehe meinem Vater nach, wie er mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern das Zimmer verlässt. Ihn so zu sehen, gibt mir noch mehr Schuldgefühle, als dass ich sowieso schon habe.

Mein iPhone, das neben mir auf dem Beistelltisch liegt, piepst vor sich hin. Es ist eine Nachricht von Janosch darauf eingegangen.

Liebes Schwesterherz, Sorry, aber ich schaffe es heute nicht mehr. Glaub mir, ich wäre jetzt viel lieber bei dir, als hier, wo ich mich in diesem Augenblick befinde. Ich stecke vor Bern im Stau und wie es aussieht, werde ich das noch in der nächsten Stunde sein. Gib mir Bescheid, wann ich dich Morgen abholen kann. Ich drück dich ganz fest. Janosch.

Als ich ihm eine kurze Antwort schreibe, bemerke ich erst, wie spät es schon ist.

Schockiert stelle ich fest, dass ich fast den ganzen Nachmittag im Internet gesirft habe, nachdem ich meinem Chef eine Nachricht geschickt habe. Ich war heute noch keinen Moment draussen. Das werde ich jetzt gleich ändern. Nach einer kurzen Dusche föhne ich mir noch schnell die Haare.

Ich bleibe, wie von einer Tarantel gestochen, stehen, als ich ins Zimmer trete. Mir weicht alle Farbe aus dem Gesicht. So fühlt es sich jedenfalls an.

„Was machst du hier!“ schreie ich Noah an, der seelenruhig auf der Bettkante sitzt und mich mit einem ausdruckslosen Gesicht mustert.

„Für wen machst du dich schön?“

„Für mich. Und ausserdem geht dich das nichts an. Schon vergessen?“

„Ich habe doch gesagt, dass wir noch nicht fertig miteinander sind.“

„Und ich habe dir gesagt, dass ich zur Polizei gehe, wenn du mich nicht in Ruhe lässt!“ Allmählich bekomme ich Angst vor ihm. Mir ist übel und mein Körper bebt vor einer gewissen Wut.

„Du brauchst nicht so laut zu werden.“

Ich habe gar nicht registriert, dass ich angefangen habe ihn anzuschreien. Humpelnd gehe ich ums Bett und lasse mich auf einem Stuhl am Fenster nieder. Ich versuche so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns zu erhalten. Doch kaum bin ich auf der anderen Seite des Raums, steht er auf und kommt auf mich zu.

„Wie ich sehe, hast du schon etwas weggeräumt.“

Ich schaue ihn fragend an, denn mir will nicht in den Sinn kommen, was er damit meint. Aber als er auf die noch blühenden Sträusse deutet, fällt mir sogleich der Groschen.

„Ich konnte sie nicht mehr ertragen. So wie ich dich nicht mehr ertrage. Bitte verlass endlich dieses Zimmer und komm nie mehr zurück!“ Ich drehe mich von ihm weg und hoffe, dass er ohne weiteres geht. Zwar fühle ich mich überhaupt nicht wohl, ihn in meinem Rücken zu wissen, trotzdem bleibe ich beharrlich so stehen und schaue den Rotkehlchen zu, wie sie von einem Baum zum anderen fliegen.

Ich zucke so fest zusammen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spüre, dass ich fast zu Boden falle. Er dreht mich mit einem eisernen Griff um und die Bilder vom vergangenem Freitag steigen in mir hoch. Ich habe grosse Mühe auf den Füssen stehen zu bleiben.

„Wenn du auch nur ein Sterbenswörtchen erzählst, bist du dran.“

„Verschwinde!“ Mein Körper zittert heftig und die Angst steigert sich ins Unermessliche.

„Zoe, ist alles in Ordnung?“

Völlig erschrocken sehe ich hinter Noah hervor. Ich habe seine Stimme sofort erkannt, aber bin dennoch erstaunt, Alexander in der Öffnung der Tür zu sehen. Noch nie war ich so froh ihn hier zu sehen. Unsere Blicke senken sich ineinander und lassen uns nicht mehr los. Er kommt mit schnellen Schritten auf uns zu und stellt sich zwischen mich und Noah. Ich kann endlich wieder aufatmen und die Angst die ich vorhin noch verspürt habe, verfliegt in einem Flug.

„Es ist alles okay.“

„Wenn du meinst.“ Er dreht sich zu Noah um, der ihn mit einem finsteren Blick mustert. „Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Das geht Sie rein gar nichts an. Und tun Sie nicht so, als ob ich nicht wüsste, wer Sie sind.“ gibt Noah sarkastisch zurück. „Nur frage ich mich, was Sie hier wollen.“

Noahs Augen wandern meinen Körper auf und ab. „Das ist er also, nicht wahr?“

„Was soll er sein?“

„Der Grund dass du mit mir Schluss gemacht hast. Gibs zu! Hat er dich schon ran genommen und dich so richtig durchgefickt?“

„Hör auf! Du bist ein verdammter Mistkerl. Geh!“

„Damit du dich mit ihm vergnügen kannst?“ Noah sieht mich mit einem herablassendem Grinsen an. Mir wird es ganz elend davon. Wie kann er nur plötzlich so grausam sein? Wie konnte ich ihn nur jemals lieben? Verzweifelt versuche ich gegen die Tränen anzukämpfen, die in meinen Augen brennen.

„Verschwinden Sie auf der Stelle aus diesem Zimmer.“

„Sie haben mir überhaupt nichts zu sagen.“

„Kuhn.“ Alexander winkt seinen Leibwächtern. „Dieser Herr hier möchte uns verlassen. Führen Sie ihn hinaus und sehen Sie zu, dass er auch wirklich in sein Auto steigt und sich von diesem Areal entfernt.

Einer der Bodyguards kommt auf uns zu und packt Noah an seinem Arm. „Kommen Sie doch bitte mit uns.“

Noah schüttelt den Leibwächter wie ein lästiges Insekt ab. „Ich kann alleine gehen.“ und sieht mich mit einem eisigen Blick an, der mich zu Tode erschrecken würde, wenn Alexander nicht neben mir stehen würde. Mit ausgestrecktem Finger zeigt Noah auf mich. „Versteck dich nur hinter diesem Angeber, du elende Heuchlerin. Aber ich schwöre dir, er wird dich nicht immer beschützen können und dann erwische ich dich.“

Bevor er mich mit seinen Beleidigungen noch mehr erniedrigen und verletzen kann, greift der Leibwächter nach ihm und führt ihn weg.

Ich kann sein Fluchen und sein kaltblütiges Lachen, das im Flur widerhallt, noch weit hören, aber sobald Noah aus meiner Bildfläche verschwunden ist, kann ich mich nicht mehr länger beherrschen und lasse mich gegen Alexanders Brust fallen, der mich sofort in eine starke Umarmung schliesst. Hilflos klammere ich mich an ihm fest. Die Tränen, die ich vorhin noch mühsam verdrängt habe, laufen mir bereits über die Wange und ich weine unkontrolliert an seiner Brust. Es bricht einfach alles aus mir heraus. Alles, was ich in den letzten Tagen versucht habe zu unterdrücken, die Angst, die Wut, die Hilflosigkeit, selbst das Verlorene, steigt in mir auf.

Alexanders Hand streicht behutsam über meinen Kopf und hält mich in seinen Armen, bis ich mich von Noahs groben Worten erholt habe. Erst als ich mich von ihm löse, sieht er mich besorgt an. In seinem Gesicht lese ich deutlich, dass ihm viele Fragen auf der Zunge brennen, auf die er gerne Antworten hätte, aber sich eisern zurückhält.

Er führt mich zu meinem Bett, woraufhin ich mich völlig ermattet darauf lege. Zu meinem Erstaunen setzt sich Alexander nicht auf einen Stuhl, sondern streckt sich hinter mir aus und hält mich ganz fest an sich gedrückt, mit seiner Brust an meinem Rücken. Eigentlich sollte mir das nach all den wüsten Vorfällen nicht gefallen, doch das Gegenteil ist der Fall. In diesem Moment kann ich mir nichts Tröstenderes vorstellen, als genauso hier zu liegen. Seinen warmen Körper ganz nah an meinem wahr zu nehmen.

Einige Zeit bleiben wir in dieser Position. Ich geniesse seine starke Umarmung, so wie sein Atem, der leicht meinen Hals liebkost. Ich wage es nicht, mich zu bewegen, denn ich befürchte, dass diese Geborgenheit in sich zusammenfällt, sobald ich nur meine Hand etwas nach oben hebe. Still bleibe ich zusammengerollt an ihn gekuschelt liegen und höre seinem Atem zu, der ganz gleichmässig zu sein scheint.

„Wer war das?“

Ich habe mich schon davor gefürchtet, aber mir war schon von Anfang klar, dass dieses Gespräch unausweichlich sein wird. Obwohl es mir gleichgültig sein könnte, was Alexander von mir und all dem was hier passiert ist, denkt, möchte ich ihn nicht zurückweisen.

„Noah.“

„Dein Ex?“

Mein Herz krampft sich zusammen. „J...ja.“

„Was hat er dir angetan?“

Warum muss er mich diese Frage stellen? Ich kann und will ihm nicht die Wahrheit erzählen. Ich brauche Zeit, um mich all dem zu stellen, was mir widerfahren ist. Ausserdem befällt mich eine Angst, dass sich Alexander von mir zurückzieht, wenn er das tragische Ereignis zwischen mir und Noah, in seiner ganzen Tragweite erfährt.

„Nichts.“ flüstere ich kaum hörbar.

„Warum willst du es mir nicht sagen?“ Alexander dreht mich vorsichtig auf meinen Rücken und sieht mich mit einem finsteren Blick an, den ich noch nie an ihm gesehen habe. Was denkt er nur von mir? Ich möchte mich aus diesem Gespräch davonstehlen, aber Alexander hält mich eisern fest. Sein Körper drückt halb auf meinen Brustkorb, während er mich eingehend mustert. Dabei machen sich meine gebrochenen Rippen schlagartig bemerkbar und der Schmerz breitet sich in Windeseile in meinem ganzen Körper aus.

„Bitte lass mich los. Meine Rippen...“ hauch ich.

Völlig verschreckt lässt Alexander mich los und springt auf. „Es tut mir Leid, Zoe. Habe ich dir wehgetan? Das wollte ich nicht. Ehrenwort.“ Er starrt mich an, als hätte er mich soeben geschlagen. Er ist so fürsorglich und lieb. Er hat es nicht verdient, dass ich ihn so belüge, wie bisher, aber auch wenn ich ihm alles erzählen möchte, kann ich es einfach nicht. Langsam erhebe ich mich und setzte mich ebenfalls hin. All die aufgestauten Gefühle stürzen auf mich ein und schwirren wie ein Schwarm Bienen wild in meinem Kopf herum. Ich brauche unbedingt einen Moment, um mich wieder zu sammeln und flüchte ins Bad.

„Zoe?“

„Gib mir einen Augenblick, bitte.“ Ich kann ihn nicht ansehen, denn er soll meine Tränen nicht sehen. Kaum ist die Tür hinter mir verschlossen, sinke ich an der Wand hinunter auf den Boden und lasse meinen zurückgedrängten Tränen freien Lauf. Mein Körper wird ständig von meinen tiefen Schluchzern, die nicht enden wollen, durchzuckt.

Keine Ahnung, wie lange ich schon auf diesem kahlen Boden sitze, aber ich bekomme allmählich kalt.

Zum wiederholten Mal frage ich mich, ob sich Alexander noch in meinem Zimmer aufhält oder ob er bereits weggegangen ist. Es würde mich nicht verwundern, wenn er schon längstens verschwunden wäre. Jedes Mal wenn wir uns begegnen, breche ich in Tränen aus. Was sollte er schon von einer solchen Heulsuse wie mir halten? Geschieht mir recht oder? Frage ich mein Spiegelbild, sobald ich es erblicke. Meine Augen sind total gerötet, vom vielen Weinen, sowie meine Nasenspitze. Ich nehme ein Taschentuch und putze mir meine Nase. Danach wasche ich mein Gesicht und kämme kurz meine Haaren durch, die sich vollends aus dem Pferdeschwanz gelöst haben. Für wen mache ich mich überhaupt zurecht? Mein Zimmer ist bestimmt verlassen, denn es herrscht absolute Stille darin.

Leise drücke ich die Tür auf und gehe vorsichtig hinaus. Da steht er. Am Ende von meinem Bett steht er. In seiner Hand hält er eine grosse Sonnenblume.

„Ich wusste nicht, welche Blumen du magst, da habe ich mich für meine Lieblingsblume entschieden.“

Ich mache meinen Mund auf, doch es dringt kein Laut heraus. So überrascht darüber, dass er noch hier ist und mir eine Blume schenken möchte, bleiben die Worte in meiner Kehle stecken.

„Sie ist wunderschön.“ bringe ich schliesslich heraus.

„So wie du.“

Es stiehlt sich doch tatsächlich ein Lächeln auf mein Gesicht, obwohl ich noch vor kurzem geglaubt habe, dies nicht mehr tun zu können. Mein Blut steigt langsam in meinen Kopf und meine Wangen fangen an zu glühen. Verlegen schaue ich zu Boden.

Alexander kommt zu mir und legt seinen Daumen und Zeigefinger an mein Kinn und dreht mein Gesicht so, damit er mich ansehen kann.

„Ich hätte dich nicht so bedrängen sollen, aber ich dachte, dass du vielleicht reden möchtest. Ich kann es verstehen, wenn du es für dich behalten möchtest. Nur habe ich mir schreckliche Sorgen um dich gemacht. Ich sehe dir doch an, wie schlecht es dir geht, aber ich werde dich nicht mehr unter Druck setzten. Wenn du dich mir anvertrauen möchtest, kommt es aus deinem eigenen Impuls heraus.“

Seine herzliche Art lässt mein Herz wild gegen die Brust schlagen. Erstaunt sehe ich ihn an. Warum bin ich ihm nicht schon früher begegnet? Warum musste zuerst dieser Unfall geschehen, bevor ich diesen Mann kennenlernen durfte? Ist das wirklich mein Schicksal? Ich kann nicht anders und falle ihm um den Hals. Er schliesst mich in seine starke Arme und hält mich etliche Minuten so fest.

Seine Hand gleitet durch meine Haare und rückt etwas von mir ab, um mir wieder ins Gesicht sehen zu können.

„Du hast so wunderbar, feines Haar. Du bist wunderschön, Zoe.“

Seine Worte schmeicheln mir zutiefst. Noch bevor ich etwas erwidern kann, sind seine weichen Lippen auf den Meinen. Er schmeckt wunderbar und fühlt sich grossartig an. Erst zögernd und scheu, dann immer fordernder küssen wir uns, als könnten wir sonst etwas verlieren. Seine Zunge kitzelt meine Lippen, bis ich sie ein wenig öffne. Sanft drängt er in meinen Mund und umspielt gekonnt meine Zunge. Ein warmer Schauer durchrieselt meinen Körper. Solche Gefühle habe ich schon seit einer geraumen Zeit nicht mehr empfunden. Eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, schon einmal so gefühlt zu haben, denn dieser Mann bringt mich auf eine angenehme Art noch um den Verstand.

Seine Berührungen auf meinem Rücken, wie er mit seinen Händen langsam nach oben und unten streicht, lösen ein sonderbares Kribbeln in mir aus. Er ist so rücksichtsvoll und fürsorglich, dass mich seine Liebkosungen total verwirren.

Alexander drückt mich behutsam nach hinten, bis ich die Bettkante in meiner Kniekehle spüre, ohne den Kuss zu unterbrechen. Wir gleiten auf das Krankenhausbett, worauf er achtet, dass er nicht auf mich zu liegen kommt. Meine Verletzungen hätten ganz bestimmt gleich angefangen zu protestieren und er, sowie ich wollen auf keinen Fall, dass diese intime Nähe aufhört.

In meiner Magengrube regt sich ein seltsames, brennendes Gefühl, das sich weiter nach unten ausbreitet, während seine Hände vorsichtig einen Weg unter mein T-Shirt bahnen und zögernd nach oben gleiten. Ich wünsche mir, dass er mich überall anfasst und mit mir das anstellt, was wir hier in diesem Zimmer nicht tun sollten. Niemals tun sollten. Noch nie hatte ich solche Sehnsucht nach einem Mann, wie nach diesem atemberaubendem Schönling, der hier neben mir liegt und mich berührt. Noch nie habe ich mich so sehr danach verzerrt, einen Mann ganz in mich aufzunehmen. Ein mir unbekannter, wohliger Seufzer dringt aus meiner Kehle, als er mit seinen Fingerspitzen meine Brustknospen kitzelt, die sich sogleich aufrichten, als er mit ihnen zu spielen beginnt.

Plötzlich hört er auf, mich zu liebkosen. Sein Mund entfernt sich von meinem und seine Finger bleiben ganz ruhig liegen. Verwirrt und etwas verlegen öffne ich meine Augen. Sein Blick senkt sich sogleich in den meinen und wir sehen uns stumm an. Niemand von uns wagt etwas zu sagen, bis sich einer von uns wieder gefasst hat.

„Ich würde dich am liebsten hier und jetzt vernaschen. Aber ich habe Angst, dass ich dir wehtun würde, wenn ich die Kontrolle über mich verliere.“

„Du tust mir bestimmt nicht weh.“

Es scheint mir, als hätte er meine Worte gar nicht gehört. Unbeirrt fährt er fort. „Ausserdem sind wir hier in einem Krankenhaus. Uns könnte jederzeit jemand erwischen.“ Ein Lächeln umspielt seinen ausgesprochen süssen Mund. „Und ich möchte dich ganz für mich alleine. Unser erstes Mal soll etwas besonderes werden. Ich möchte dich nach Strich und Faden verwöhnen und dich mit all meinem Können beglücken.“

Alexander wirft mich einfach um. Ich kann nicht anders und laufe, wie eine reife Tomate, rot an. Hat er das jetzt wirklich offen und ehrlich gemeint? Er will mich? Aber was ist mit dieser anderen Frau? Seiner angeblichen Managerin? Darüber hinaus möchte ich doch nur einen kurzen Flirt. Ich brauche keine Beziehung. Nie mehr. Traurig über diese Erkenntnis drehe ich mich von ihm weg. Ich möchte nicht, dass er diesen verstörten Ausdruck in meinem Gesicht sehen kann und allenfalls falsch deutet.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“ erklingt seine sanfte Stimme neben meinem Ohr.

„Nein.“

„Aber warum wendest du dich von mir ab?“

„Was machen wir hier?“

„Das was zwei erwachsene Menschen manchmal so tun.“

„Aber.“ Ich zögere kurz, ehe ich weiterspreche. „Ich weiss doch überhaupt nichts von dir.“

„Wir haben noch alle Zeit der Welt, um uns kennenzulernen.“

„Nur denke ich, dass ich dir nicht das bieten kann, was du dir wünschst.“

„Woher willst du das wissen?“

Ich zucke nur mit meinen Schultern. Unfähig etwas darauf zu erwidern.

„Er muss dir schrecklich wehgetan haben.“

Sofort drehe ich ihm mein Gesicht zu und schaue ihm direkt in die Augen. Was weiss er denn schon?

„Was auch immer er dir angetan hat, ich bin nicht so einer wie er.“ Er streicht mir sanft über die Wange und wischt eine Träne weg, die sich aus meinen Augenwinkel gelöst hat. Sein durchbohrender Blick haftet sich auf mein Gesicht.

„Was willst du von mir?“

„Ich will dich besser kennenlernen.“

„Warum?“

„Du faszinierst mich, seit ich dich das erste Mal gesehen habe.“

„Das kann nicht sein. Ich bin ein Häufchen Elend. Schau mich an.“

„Man braucht nicht immer eine deutliche Erklärung. Vor allem nicht, wenn es um Gefühle geht. Du machst vielleicht eine schwere Zeit durch, aber ich kann dir ansehen, dass du eine sehr starke Frau bist und diese Hürde überwinden wirst.“

„Ich kann dir nicht geben, was du dir wünschst.“ wiederhole ich abermals.

„Woher willst du das wissen?“

„Ich....“ Ich kann keine Einwände mehr hervorbringen. Doch wo führt das mit uns nur hin?

„Darf ich dich küssen?“

Ich muss einfach über ihn schmunzeln. Auch wenn ich noch vor Sekunden hätte weinen können, sind meine schlimmsten Ängste wie weggeblasen.

„Ja.“

Sein Gesicht nähert sich mir, wobei er seine Augen nicht von den meinen abwendet und sich sein Blick in mich bohrt. Wir küssen uns zuerst scheu und mit einer gewissen Unsicherheit, bis wir uns unseren Gefühlen heisshungrig hingeben.

Doch dieser Moment hält nicht lange an, da uns ein energisches Klopfen in die Wirklichkeit zurückbringt. Alexander richtet sich abrupt auf und streicht seine Kleider wieder in einen makellosen Zustand. Er sieht nochmals kurz zu mir hinab, um sich zu vergewissern, dass bei mir alles in Ordnung ist.

„Herein.“

Natürlich ist es wieder einer dieser Leibwächter. Eine Krankenschwester oder Arzt wäre schon längstens eingetreten. Wenn ich mich richtig entsinne, ist der Name von diesem Bodyguard Kuhn. Aber warum diese Männer nicht von Alexanders Seite weichen, weiss ich immer noch nicht.

„Was gibts?“

„Herr Drenk. Es ist bereits fünf Uhr. Wir müssen um sechs bei ihrem Termin sein. Vorher müssen wir noch bei Frau Fehrlin vorbei. Sie erwartet uns bestimmt schon.“

„Gut. Ich komme in fünf Minuten.“

Die Tür wird von aussen zugezogen und Alexander dreht sich wieder zu mir um.

„Wer bist du?“

„Alexander Drenk.“ Er schenkt mir ein Lächeln, womit seine ebenmässigen weissen Zähne zum Vorschein kommen.

„Jetzt bin ich genauso schlau, wie vor ein paar Minuten.“

„Wir haben alle Zeit der Welt, um uns kennenzulernen und um alles von einander zu erfahren. Aber leider rufen die Geschäfte. Auch wenn ich viel lieber hier bei dir bleiben würde, muss ich jetzt los.“

„Zu dieser Frau Fehrlin? Die Frau im Rollstuhl?“

„Ja.“

„Wer ist sie?“

Er hebt eine Braue in die Höhe und sieht mich fragend an. „Das habe ich dir doch schon gesagt? Sie ist meine Managerin.“

„Und....?“

„Nichts und? Du brauchst dich nicht zu beunruhigen. Sie ist meine beste Freundin und meine Managerin, die ihren Job hervorragend macht.“

„Warum ist sie hier?“

„Sie hatte einen Autounfall. Ein betrunkener Fahrer überfuhr ein Rotlicht.“

„Oh.“

„Ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Aber jetzt möchte ich nicht über sie sprechen, sondern wissen, wann wir uns wiedersehen.“

„Ich hoffe, dass ich morgen Nachmittag das Krankenhaus verlassen kann.“

„Das freut mich.“

„Definitiv Bescheid erhalte ich erst morgen.“

„Darf ich dich abholen?“

„Mein Bruder hat sich schon angeboten.“

„Na dann.“ Seine Hände in den Hosentaschen, bleibt er reglos stehen und sieht mich lange an. „Sehen wir uns vorher noch?“

„Ja.“ flüstere ich.

Ein Lächeln huscht kurz über seine Lippen, bevor er sich zu mir beugt und mir einen zarten Kuss auf den Mund drückt.

„Ich freue mich darauf.“

„Ciao Alexander.“

Endlich bin ich draussen an der frischen Luft. Ich sitze auf derselben Bank, auf der ich gestern schon mit Alexander war. Ich konnte doch tatsächlich ohne Krücke gehen. Was mir ein gewisses Hochgefühl verlieh. Meine blauen Flecken sind nur noch gelbe kleine Kleckse, die man bald nicht mehr sehen wird und ich kann auch meine rechte Hand wieder gut bewegen. Die zwei gebrochenen Rippen werden auch irgendwann wieder geheilt sein. Aber das was mir Noah angetan hat und dass ich mein Baby wegen ihm verloren habe, wird wahrscheinlich mein Leben lang an mir zehren. Ich darf gar nicht daran denken, dass ich wegen ihm keine Kinder mehr bekommen kann. Das werde ich ihm niemals verzeihen können.

Man müsste meinen, ich könnte mich glücklich schätzen, dass ich kein Kind von so einem miesen Typen bekomme, aber es war trotz allem ein Teil von mir, das gestorben ist.

Ich darf nicht mehr an das ungeborene Baby denken, denn es stimmt mich unglaublich traurig und klemmt mein Herz zusammen. Ich versuche meine Gedanken auf etwas Erfreulicheres zu lenken, da taucht Alexander vor meinem geistigen Auge auf und tatsächlich geht es mir gleich besser. Dieser Mann ist so einfühlsam, dass es schon fast nicht mehr wahr zu sein scheint. Bilder von der letzten Begegnung mit ihm tauchen vor mir auf und ich kann nichts gegen meine aufkommendes Schamgefühl unternehmen. War ich das wirklich vorhin in meinem Zimmer? Es kommt mir so unwirklich vor. Noch nie habe ich mich so schnell auf einen Mann eingelassen, wie auf Alexander. Kann ich ihm wirklich vertrauen und all die Dinge, die er zu mir gesagt hat, glauben? Und was ist mit seiner besten Freundin? Seiner angeblichen Managerin, für was auch immer sie zuständig ist? Woher soll ich wissen, dass er mich nicht gründlich verarscht? Ich habe Angst davor, dass er es nicht ernst meint. Ich muss mich unbedingt davor hüten, echte Gefühle für ihn zu entwickeln. Bei einem Flirt bin ich dabei, aber mehr darf es nicht werden. Mein Unterbewusstsein weiss, dass es nicht gut enden würde. Also werde ich mich morgen von ihm für immer verabschieden. Obwohl mir jetzt schon klar ist, dass dies nicht einfach werden wird, muss ich es trotzdem tun. Es ist besser und einfacher so.

Tödliches Verlangen

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