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Statt einer Einleitung: Aus den autoethnographischen Aufzeichnungen des Halbmutanten H.

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1.4.

Mein Fall ist, in Kürze, dieser: es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. Es wird mir allmählich auch unmöglich, ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen und dabei jene Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zu bedienen pflegen. Ich empfinde ein unerklärliches Unbehagen, die Worte „Geist“, „Seele“ oder „Körper“ nur auszusprechen. Ich finde es innerlich unmöglich, über politische oder kulturelle Angelegenheiten und Vorkommnisse ein Urteil herauszubringen.

13.4.

Allmählich breitet sich diese Anfechtung aus wie ein um sich fressender Rost. Es sind mir nun auch im familiären und alltäglichen Gespräch, alle die Urteile, die leichthin und mit schlafwandelnder Sicherheit abgegeben zu werden pflegen, so bedenklich, dass ich aufhören muss, an solchen Gesprächen teilzunehmen. Mein Geist zwingt mich, alle Dinge, die in einem solchen Gespräch vorkommen, in einer unheimlichen Nähe zu sehen: So wie ich einmal in einem Vergrößerungsglas ein Stück von der Haut meines kleinen Fingers gesehen hatte, das einem Blachfeld mit Furchen und Höhlen glich, so geht es mir nun mit den Menschen und ihren Handlungen. Es gelingt mir nicht mehr, sie mit dem vereinfachenden Blick der Gewohnheit zu erfassen.


30.5.

Es zerfällt mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr lässt sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwimmen um mich; sie gerinnen zu Augen, die mich anstarren, und in die ich wieder hineinstarren muss: Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.


24.8.

Ich führe ein Dasein, das andere kaum begreifen können, so geistlos, so gedankenlos fließt es dahin; ein Dasein, das sich freilich von dem meiner Nachbarn, meiner Verwandten und der meisten meiner Mitmenschen kaum unterscheidet und das nicht ganz ohne freudige und belebende Augenblicke ist. Es wird mir nicht leicht anzudeuten, worin diese guten Augenblicke bestehen; die Worte lassen mich wiederum im Stich. Denn es ist ja etwas völlig Unbenanntes und auch wohl kaum Benennbares, das in solchen Augenblicken mir sich ankündet.


24.8. (nachmittags)

Eine Gießkanne, eine auf dem Feld verlassene Egge, ein Hund in der Sonne, ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das Gefäß meiner Offenbarung werden. Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweg gleitet, kann für mich plötzlich in irgendeinem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen.

26.8. (nachmittags)

Gestern hatte ich einem Kammerjäger den Auftrag gegeben, Ratten in unserem Keller Gift zu streuen. Ich ging dann gegen Abend spazieren aus und dachte nicht weiter an diese Sache. Wie ich da im tiefen, aufgeworfenen Ackerboden meinen Weg suche, nichts Schlimmeres in meiner Nähe als ein paar aufgescheuchte Krähen und in der Ferne über den welligen Feldern die große sinkende Sonne, tut sich mir im Innern plötzlich dieser Keller auf, erfüllt mit dem Todeskampf dieses Volks von Ratten. Alles ist plötzlich in mir: die mit dem süßlich scharfen Geruch des Giftes angefüllte kühldumpfe Kellerluft und das Gellen der Todesschreie, die sich an modrigen Mauern brechen; diese ineinander geknäulten Krämpfe der Ohnmacht, durcheinander hinjagenden Verzweiflungen; das wahnwitzige Suchen der Ausgänge; der kalte Blick der Wut, wenn zwei einander an der verstopften Ritze begegnen.

26.8. (zwei Stunden später)

Es ist nicht Mitleid, was mich erfüllt. Es ist viel mehr und viel weniger als Mitleid: ein ungeheures Anteilnehmen, ein Hinüberfließen in jene Geschöpfe oder ein Fühlen, dass ein Fluidum des Lebens und Todes, des Traumes und Wachens für einen Augenblick in sie hinübergeflossen ist – von woher? Denn was hätte es mit Mitleid zu tun, was mit begreiflicher menschlicher Gedankenverknüpfung, wenn ich an einem anderen Abend unter einem Nussbaum eine halbvolle Gießkanne finde, die ein Gärtnerbursche dort vergessen hat, und wenn mich diese Gießkanne und das Wasser in ihr, das vom Schatten des Baumes finster ist, und ein Schwimmkäfer, der auf dem Spiegel dieses Wassers von einem dunklen Ufer zum andern rudert, wenn diese Zusammensetzung von Nichtigkeiten mich mit einer solchen Gegenwart des Unendlichen durchschauert, von den Wurzeln der Haare bis ins Mark der Fersen mich durchschauert, dass ich in Worte ausbrechen möchte, von denen ich weiß, fände ich sie, so würden sie jene Cherubim, an die ich nicht glaube, niederzwingen, und dass ich dann von jener Stelle schweigend mich wegkehre und nun nach Wochen, wenn ich dieses Nussbaums ansichtig werde, mit scheuem seitlichen Blick daran vorübergehe, weil ich das Nachgefühl des Wundervollen, das dort um den Stamm weht, nicht verscheuchen will, nicht vertreiben die mehr als irdischen Schauer, die um das Buschwerk in jener Nähe immer noch nachwogen.


26.8. (tief in der Nacht)

Ich lebe von zufälligen Augenblicken abgesehen ein Leben von kaum glaublicher Leere und habe Mühe, die Starre meines Innern vor meiner Frau und vor meinen Kollegen die Gleichgültigkeit zu verbergen, welche mir die Angelegenheiten des Berufs einflößen. Die gute und strenge Erziehung, welche ich meinem seligen Vater verdanke, und die frühzeitige Gewöhnung, keine Stunde des Tages unausgefüllt zu lassen, sind es, scheint mir, allein, welche meinem Leben nach außen hin einen genügenden Halt und den meinem Stande und meiner Person angemessenen Anschein bewahren. Auch meine Freunde werden mich wohl etwas wortkarger, aber nicht ungütiger als früher finden.

Halbmutanten

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