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1.6 Argumentation und Methoden

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Dieses Buch argumentiert, dass das ideologische salafistische Metanarrativ Inhalte hat, die möglicherweise eine wichtige Ursache für die Isolation eines Teils der Muslime von der deutschen Gesellschaft und für das Einnehmen einer feindseligen Haltung ihr gegenüber darstellen und somit einen elementaren Beitrag zum Prozess der Radikalisierung leisten. Um diese Hypothese in all ihren Aspekten zu untersuchen und zu verstehen, machte ich mich daran, die Narrative der ideologischen Salafisten in ihren Freitagspredigten und im Alltagsleben in Deutschland zu analysieren. Dabei zeigte sich, dass die ideologischen Salafisten dort Narrative verbreiten, die zu einem großen Teil denjenigen von dschihadistischen Organisationen wie dem IS, der Nusra-Front und Al-Qaida entsprechen. Sie begrüßen die Verbreitung dieser extremistischen Narrative unter Muslimen, weisen jedoch einen markanten Unterschied zu [28]den genannten militanten dschihadistischen Organisationen auf: Sie rufen nicht direkt und öffentlich zum Dschihad auf. Was jedoch den Kern der ideologischen salafistischen Narrative in Deutschland, ihre Sprache, ihre religiösen Quellen und die historischen Ereignisse, auf die sie sich beziehen, betrifft, so stimmen sie letztlich doch größtenteils mit denen der militanten dschihadistischen Bewegungen überein.

Um die ideologischen salafistische Metanarrative von innen heraus zu verstehen, entschied ich mich für einen anthropologischen Ansatz, der zum Großteil auf der Methode der teilnehmenden Beobachtung und der Teilnahme am Alltag (je nach Möglichkeit) der zu untersuchenden Gruppe beruht. Die teilnehmende Beobachtung wird in einer Reihe von Disziplinen – besonders in der Ethnologie und den Sozialwissenschaften – als grundlegendes Instrument für das Sammeln von Informationen über Menschen, Kulturen und Gesellschaften im Rahmen qualitativer Forschung angewandt. Dabei wird der Forscher selbst zum Teilnehmer der Kultur oder desjenigen Kontexts, dessen Beobachtung er in seiner Studie beabsichtigt, sodass er die Zielgruppe in diesem Kontext analysieren und entsprechende Informationen und Feldnotizen sammeln kann. Die teilnehmende Beobachtung erfordert meist einen intensiven Feldforschungsaufenthalt von mehreren Monaten oder Jahren, da der Forscher als natürlicher Teil der Kultur oder des in der Studie untersuchten Kontexts akzeptiert werden muss. Dies ist auch nötig, um sich vergewissern zu können, dass die von ihm beobachteten Phänomene charakteristisch sind und dass seine Anwesenheit das Verhalten der Akteure nicht beeinflusst (siehe z. B. O’Reilly 2012).

Aufgrund dessen erstreckte sich die Feldforschung zu dieser Studie über zwei komplette Jahre (von November 2015 bis November 2017), um das Sammeln von Informationen und das Verständnis des Phänomens des ideologischen Salafismus in seinem lokalen Kontext zu vertiefen. Die Feldforschung umfasste die bayerischen Städte München, Nürnberg, Erlangen, Regensburg, Schwandorf, Bayreuth und Weiden. Dabei wurden drei Methoden für das Sammeln von Informationen angewandt.

1.) Teilnehmende Beobachtung: Das Ziel der teilnehmenden Beobachtung war es, sich mit dem Umgang der Salafisten untereinander vertraut zu machen und Vertrauen aufzubauen, damit ich zu einem tieferen Verständnis des salafistischen Gedankenguts gelangen konnte. Dazu nahm ich an zahlreichen Aktivitäten der Salafisten wie den täglichen Gebeten in den Moscheen, Freitagspredigten, Vorträgen und sozialen Anlässen teil.

2.) Interviews: Indem ich auf die Methode des snowball sampling (‚Schneeballauswahl‘) zurückgriff, konnte ich mehr als 70 Interviews [29]und Gespräche mit Salafisten, Experten, Aktivisten aus der Zivilgesellschaft und Regierungsangestellten durchführen. Die meisten dieser Interviews (mehr als 40) wurden mit Salafisten geführt und erfolgten face to face. Sie erstreckten sich jeweils über eine Dauer von 30 Minuten bis hin zu mehr als vier Stunden in manchen Fällen. Viele der Personen wurden mehrmals interviewt. Während der meisten Interviews machte ich mir Notizen, nur in wenigen Fällen konnte ich das Interview aufzeichnen und anschließend transkribieren. Unter den Personen, die ich interviewt habe, befinden sich keine, die als führende Persönlichkeiten der salafistischen Bewegung in Deutschland betrachtet werden können oder die in der Szene durch Social Media bekannt sind. Solche Führungsfiguren gibt es in Bayern nicht. Die Leute, die ich getroffen habe, sind lokale Prediger und Imame, Personen, die sich zum Salafismus bekennen, und Aktivisten in muslimischen Gemeinden und Moscheen. Den Fokus auf diese Gruppe zu legen erlaubt es uns, sich den Salafisten von innen her und im Rahmen ihrer lokalen Interaktionen anzunähern und so ihre tatsächlichen Beziehungen und Interaktionen mit den muslimischen Gemeinden und der deutschen Gesellschaft zu beobachten. Denn die bekannten Führungspersönlichkeiten (wie Pierre Vogel, Ahmad Armih (genannt Ahmed Abu al-Baraa), Hasan Dabbagh etc.) haben bereits eine fortgeschrittene Stufe in der Erfahrung mit der Öffentlichkeitsarbeit erreicht, was sie in die Lage versetzt, Details durch Ablenkungsmanöver oder geschickte Formulierungen zu verbergen, wenn sie das möchten, entweder um interne Spaltungen der salafistischen Bewegung oder Gefahren durch die Sicherheits- oder Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (für eine Studie zu den bekannten Salafisten in Deutschland siehe Wiedl und Becker 2014). Leider befinden sich trotz der Bedeutung dieser Thematik und der Notwendigkeit, auch die weibliche Perspektive zu beleuchten und damit ihre Rolle in dem Geschehen zu erfassen, keine Frauen unter den Salafisten, die ich getroffen habe. Wegen der strikten Trennung zwischen Männern und Frauen, die die Salafisten praktizieren, und der Schwierigkeit, zu diesen Frauen durchzudringen, gab es keine Möglichkeit, mich mit einer salafistischen Aktivistin zu treffen. Dieser Bereich bedarf also nach wie vor vertiefter und intensiver Feldforschung, um die Rolle von Frauen in der salafistischen Bewegung zu verstehen (Studien zu der Rolle von Frauen in salafistischen Bewegungen sind sehr selten, siehe Inge 2017).

3.) Freitagspredigten: Parallel zu der Durchführung von Interviews besuchte ich zwischen April 2016 und April 2017 Freitagspredigten in einer salafistischen Moschee in Bayern und hielt meine Beobachtungen fest. Um das Informationsgeheimnis und die Identität der Moschee zu [30]wahren, werde ich sie in diesem Buch in Anlehnung an das arabische Wort für Monotheismus mit dem Decknamen ‚Tauḥīd-Moschee‘ bezeichnen. Im Laufe eines ganzen Jahres, welches ich damit verbrachte, mir salafistische Freitagspredigten anzuhören, trug ich insgesamt 30 Predigten zusammen und untersuchte sie. Dies bildet die Basis der Analyse und des Verständnisses der ideologischen salafistischen Narrative in diesem Buch.

Die 30 Freitagspredigten lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie umfasst politisch orientierte Predigten. Diese stehen im Fokus der Analyse dieses Buches, da ich auf dieser Grundlage nachzuvollziehen versuche, welche politischen Botschaften durch die Predigten vermittelt werden. Insgesamt habe ich 15 Predigten zusammengetragen, die sich dieser Kategorie zuordnen lassen. Auch wenn sie generell hauptsächlich religiöse Themen behandeln, weisen sie doch jeweils zumindest politische Tendenzen auf oder propagieren politische Ziele, sei es auf direkte oder indirekte Art und Weise. In diesen Predigten wurden zahlreiche Themen behandelt, die vor allem mit der gegenwärtigen Lage und den Kriegen in der islamischen Welt zu tun haben. Verantwortlich gemacht werden dafür sowohl äußere Feinde (die christlichen Kreuzfahrer) als auch innere Feinde (Sufisten, Säkulare, ‚Heuchler‘, Schiiten). Die zweite Kategorie von Predigten, in der ich ebenfalls 15 Stück zusammengetragen habe, behandelt eher soziale und pädagogische Themen, wie Familie und Erziehung, Geschlechterrollen, Verschleierung oder Integration. Der Inhalt dieser Predigten wird im Rahmen dieses Buches nicht vertieft analysiert. Dieses Material bedarf noch einer getrennten Abhandlung, um zu verstehen, welche Art der Erziehung die Salafisten Muslimen ans Herz legen und was für eine Gesellschaft sie damit anstreben. Die übergreifenden Themengebiete und Einzelaspekte, die in den Predigten behandelt wurden, sind im ersten Anhang im Detail aufgeführt.

Die Auswahl der Tauḥīd-Moschee für das Sammeln der Freitagspredigten erfolgte aus einer Reihe von Gründen.

Erstens bekennt sich die Tauḥīd-Moschee selbst in ihren internen Dokumenten, die nur auf Arabisch verfügbar sind und von denen ich einige kopieren konnte, als ich sie einsehen durfte, zu dem Ziel, mithilfe der Anhänger „der Methode der Leute der Sunna und der Gemeinschaft, der Methode der frommen Altvorderen“ die „Botschaft des Monotheismus“ zu verbreiten. Wie ich anschließend in dieser Studie noch erläutern werde, gelten der Fokus auf den at-tauḥīd und die ‚salafistische Methode‘ (al-manhaǧ as-salafī) als Priorität ihrer Mission (ad-daʿwa) und [31]als die zwei essenziellen Merkmale, durch die sich die Strömung des Salafismus und ihr Diskurs auszeichnet.

Zweitens wird die Moschee von einigen Gruppen frequentiert und verwaltet, die sich zum Salafismus – oder wie sie es nennen: zur ‚Methode der Leute der Sunna und der Gemeinschaft‘ (manhaǧ ahl assunna wa-l-ǧamāʿa) – bekennen, wie sich mir in den Interviews offenbarte, die ich mit ihnen durchführte.

Drittens ist die Tauḥīd-Moschee in Hinblick auf die Fläche und die Anzahl der Besucher des Freitagsgebets eine der größten salafistischen Moscheen in Bayern. Meinen persönlichen Notizen und Schätzungen zufolge wird die Moschee an Freitagen von etwa 350 bis 500 Personen besucht, um die Freitagspredigt zu hören und das Gebet zu verrichten, wobei die große Mehrheit davon Männer sind. Mit Ausnahme der Freitagspredigten geht die Zahl der Besucher während der Gebete nicht über 50 Personen hinaus. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich nicht alle Besucher dieser Moschee zum ideologischen Salafismus bekennen. Unter ihnen befinden sich auch zahlreiche gewöhnliche Muslime und Flüchtlinge, die in ideologischer Hinsicht nicht der ideologischen salafistischen Doktrin folgen. Dennoch können die salafistischen Prediger Einfluss auf ihre Überzeugungen und ihr Verhalten nehmen.

Viertens wird die Tauḥīd-Moschee von einer Reihe von bekannten Predigern und Führungspersönlichkeiten der salafistischen Bewegung in Deutschland besucht und genutzt. Einer der hervorstechendsten davon ist Hasan Dabbagh, eingebürgerter salafistischer Prediger mit syrischen Wurzeln und Imam der Ar-Rahman-Moschee in Leipzig, der als Symbolfigur der salafistischen Strömung in Deutschland gilt und dem vom sächsischen Verfassungsschutz vorgeworfen wird, dass seine Predigten zur Radikalisierung muslimischer Jugendlicher beitragen. Außerdem wird die Moschee von dem berühmten salafistischen Prediger Ahmad Armih (genannt Ahmed Abu al-Baraa) aus Berlin besucht, der von den deutschen Medien als „Hassprediger“ bezeichnet wurde (Wehner 2020).

Fünftens propagiert die Moschee das salafistische Gedankengut durch den Verkauf von Büchern und religiösen Publikationen, die von salafistischen Institutionen in Ägypten oder in Saudi-Arabien produziert werden. So wird z. B. das Buch Monotheismus von Muhammad Ibn Abd al-Wahhab, dem Gründer der in Saudi-Arabien verbreiteten islamischen Strömung des Wahhabismus (siehe z. B. DeLong-Bas 2004, Gharaibeh 2014 und Mouline 2014, Kapitel 2), in Umlauf gebracht, der von den meisten Salafisten als eine maßgebliche religiöse Autorität betrachtet [32]wird. Das Buch erläutert die Ursprünge der salafistischen Doktrin in der Auseinandersetzung mit den anderen islamischen Gruppierungen und Bekenntnissen, die Handlungen und Aussprüche erlauben, welche Ibn Abd al-Wahhab als Widerspruch zum Monotheismus auffasst (zur Beziehung des Salafismus zu Saudi-Arabien siehe Lohlker 2017).

Sechstens beschrieben mir viele Muslime, die ich in der Stadt getroffen habe, in der sich die Moschee befindet, diese als salafistisch.

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