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Ein neuer Fall
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»Herr Weinrich, sie und Herr Böhme gehen jetzt am besten zu den anderen Teilnehmern der Führung, ich schicke ihnen dann jemand, der die Aussagen aufnimmt.«, sagte Leo zu Weinrich, bevor er sich noch an mich wandte. »Werner, ab jetzt bist Du wieder Zivilist, okay? Aber vielen Dank für Deine Einschätzung da oben auf dem Dach. Jetzt ist es aber besser, wenn ich allein übernehme, meine Chefs mögen es nicht, wenn Leute von außerhalb in die Ermittlungen einbezogen werden.«
Ich nickte nur, drehte mich dann um und zog Weinrich, der sich immer noch nicht rührte, am Ärmel seiner Jacke mit. »Na los, gehen wir zu den anderen.«
Als wir dort ankamen sahen wir, dass Fabian ebenfalls bei der Gruppe wartete, er war also von seinem Wachdienst befreit. Und er bemerkte uns sofort: »Werner, alles klar oben auf dem Fort? Erzähl, habt ihr etwas gefunden?« Neugierig wie immer, der Kleine.
»Ja, zumindest die Stelle, an der die Leiche gelegen haben muss. Es sieht so aus, als wäre die Landung zu unseren Füßen so nicht geplant gewesen, die Leiche also eher versehentlich abgestürzt.«
»Irgendwie beruhigt mich das ein wenig.«, entgegnete Fabian erleichtert.
»Wie wahr. Ich hoffe aber trotzdem, dass es Rita nicht allzu schwer trifft. Es klang ja vorhin ganz so, als würde sie den Toten kennen.«
»Und das tut sie tatsächlich.«, erklang Ritas Stimme hinter mir. »Seid ihr von eurer Erkundung zurück? Wo ist Leo abgeblieben?«
»Ja und bei seinen Kollegen.« Ich grinste, als ich sah, wie sich sowohl Rita als auch Fabian ratlos anblickten. »Ja, wir sind von unserer Erkundung zurück und Leo ist jetzt bei seinen Kollegen. Er hat mich hierher zu euch geschickt, damit es nicht nach Einmischung Dritter aussieht. Und wir dürfen jetzt gemeinsam darauf warten, dass jemand unsere Aussagen aufnimmt, bevor wir gehen dürfen. Und darauf läuft es sicherlich hinaus, denn ich glaube kaum, dass die Führung weitergeht. Hier dürfte alles einige Tage lang gesperrt bleiben.«
»Wie schade, aber durchaus verständlich.«, zeigte sich Rita verständnisvoll, während mit Fabian wieder die Abenteuerlust durchging: »Also ich finde ja, wir sollten hier wieder privat ermitteln. Dann wird der Täter viel schneller gefasst, als es die Polizei alleine schafft. Die tappt doch sicher wieder ewig im Dunkeln, während wir zwei tollen Typen den Fall ganz fix lösen.«
»Ich hingegen finde, die Polizei schafft das sicher auch allein.«, erwiderte ich kopfschüttelnd. »Für uns gibt es hier nichts zu tun.«
Weiter konnten wir dieses Thema aber nicht besprechen, denn plötzlich trat ein junger Mann an unsere Gruppe heran und verkündete, dass er und ein Kollege schnell unsere Aussagen aufnehmen würden. »Kommen sie dazu bitte einzeln vorn in den Bürocontainer des Betreibervereins, sehr lange sollte es ja nicht dauern. Was während ihrer Führung geschah, wissen wir ja bereits. Uns interessieren nur eventuelle Randbeobachtungen, die sie gemacht haben.«
Daraufhin brach ein allgemeines Gemurmel aus, niemand meinte, irgendetwas ‘am Rande’ beobachtet zu haben und somit sah sich auch niemand als für eine brauchbare Aussage qualifiziert an.
Dies machten die meisten dann auch lautstark klar, worauf der junge Polizist mit erhobenen Armen und lauter Stimme entgegnete: »Keine Sorge, es dauert nicht lange. Und auch wenn sie nichts weiter beobachtet haben, dann nehmen wir eben genau dies zu Protokoll. Der erste darf mir dann gleich folgen.« Er drehte sich um und ging in Richtung Bürocontainer los.
Die meisten schienen sich nun mit ihrem Schicksal abzufinden und nach und nach verschwanden sie zur Aussage. Rita, Fabian und ich warteten einfach, bis alle durch waren. Wir erhofften uns, damit genug Zeit zu schinden, dass Leo uns schon etwas mehr sagen konnte, bevor wir das Fort verlassen mussten. Leider klappte das nicht, denn nachdem auch wir drei unsere Aussagen gemacht hatten, ich selbst habe dabei auch von meinem ‘Ausflug’ mit Leo aufs Dach des Forts berichtet, auch wenn damit die 'Einmischung Dritter' kein Geheimnis mehr bleibt. Aber sicher ist sicher und ehe ich nachher noch auf eine Weise mit dem Fall in Verbindung gebracht werde, die mich Kopf und Kragen kosten kann, blieb ich lieber bei der Wahrheit. Von Leo hingegen war auch nach unseren Aussagen noch immer nichts zu sehen. Aber das war ja abzusehen, in der ersten, der ganz heißen Phase ist jeder Beteiligte vollauf beschäftigt.
»Wenn sie alle ihre Aussagen gemacht haben, muss ich sie bitten, das Fort zu verlassen, da ab jetzt das gesamte Fort als Tatort angesehen wird.«, sagte der junge Polizist zu uns und drängte uns damit zu gehen.
Kurz darauf standen wir drei ratlos vor dem Tor und überlegten, was wir nun tun sollten. Fabian fiel dann schließlich etwas ein: »Wir wollten doch ohnehin nachher Kuchen essen gehen. Warum ziehen wir das nicht einfach vor?«
»Weil es viel zu früh für Kuchen ist. Aber ein ordentliches Mittagessen wäre auf den Schreck jetzt auch nicht das Schlechteste.«, antwortete ich ihm. »Wie wäre es mit dem Schaukelpferd?«
Rita schaute mich mit großen Augen an. »Schaukelpferd?«
»Ja, hier gleich um die Ecke ist ein österreichisches Restaurant dieses Namens. Dort gibt es richtig leckeres Essen für den großen Hunger.«
»Stimmt.«, pflichtete mir Fabian bei. »Und für ältere Damen mit etwas weniger Appetit gibt es sicherlich auch eine Seniorenportion.«
Rita schaute grimmig, nickte dann aber. »Meinetwegen. Gehen wir ein Seniorenportiönchen speisen.« Sprach es mit spitzem Mund, drehte sich um und ging los. Wir folgten ihr und hatten sie nach wenigen Metern eingeholt.
Das Mittagessen verlief weitgehend ereignislos und wurde nur selten durch ein paar Worte unterbrochen. Nach den Geschehnissen des Vormittags stand keinem von uns der Sinn nach Smalltalk. Und so verabschiedeten wir uns hinterher auch recht schnell wieder voneinander. Wir versprachen uns nur gegenseitig, uns jeweils zu informieren, sollte einer von uns etwas Neues über die Mordsache erfahren.
Während Rita eine Wanderung nach Hause machen wollte, nahmen Fabian und ich den Bus. Wieder in der Wilhelmstadt eingetroffen, trennten sich dann auch unsere Wege. Wir verabredeten uns lediglich lose für den nächsten Tag und ich ging zu mir nach Hause.
Meine Laune war nun endgültig verhagelt, erst wollte mir das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen und dann fällt mir ein Toter vor die Füße. Wenigstens das Mittagessen war ein Lichtblick, aber so richtig konnte der mich jetzt auch nicht aufbauen. Also setzte ich mich vor den Fernseher und ließ mich ein wenig berieseln, wobei ich prompt einschlief.
Ich wurde geweckt, weil mal wieder mein Telefon klingelte. Schlaftrunken erkannte ich, dass es Fabian war. Es ratterte kurz in meinem Kopf bis mir klar wurde, dass sein Anruf nur eines bedeuten konnte. Er hatte Infos zur Leiche. Das machte mich schlagartig hellwach und ich ging zur Abwechslung mal ohne einen lustigen Spruch ran: »Fabi? Was ist los?«
»Lange Geschichte kurz erzählt, wir sind mal wieder gefragt. Komm schnell rüber zu Rita, dann erfährst du alles.«
»Wie jetzt, wir sind gefragt?« Ich verstand nur Bahnhof.
»Nur soviel: Es ist kompliziert. Also komm fix rüber, dann erklären wir dir alles in Ruhe.«
»Alles klar, ich bin in etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten drüben.« Diese Info schien ihm zu genügen, denn er legte ohne weitere Worte auf.
Was meinte er nur damit, dass ‘wir wieder einmal gefragt’ wären? Ich hoffte inständig, dass er sich nicht zu irgendwelchen Zusagen hatte hinreißen lassen. Mir stand der Sinn nämlich aktuell nach allem möglichen, nur nicht nach Ermittlungsarbeit an der Polizei vorbei. Aber bei Fabian wusste man nie so genau, was er mal wieder anstellte. Ich richtete mich also auf das Schlimmste ein, zog mir flott eine Jacke über und machte mich auf den Weg zur Haveldüne.
Unterwegs sah ich nur wenige Menschen, das graue Wetter sorgte wohl dafür, dass die Menschen lieber auf dem gemütlichen Sofa blieben und es gingen nur diejenigen hinaus, die unbedingt mussten. Zum Beispiel weil der Pfiffi mal ein Beinchen heben musste. Das Wetter selbst war inzwischen auch deutlich ungemütlicher geworden, kalter und scharfer Wind blies und zuweilen kam ein kleiner Nieselschauer vom Himmel. Das passte ja bestens zu diesem Tag, der eigentlich ganz anders geplant war.
Ich war recht flott unterwegs und so war ich schon nach weniger als fünfzehn Minuten bei Rita.
Noch bevor ich klingeln konnte, öffnete Rita die Tür. »Ach Werner, schön dass du noch einmal vorbeigekommen bist. Du ahnst ja gar nicht, was hier los ist.«
»Ist es denn so schlimm?«
»Schlimm vielleicht nicht, wenn man mal von der Leichensache absieht, aber alle sind so furchtbar aufgeregt. Da muss jetzt jemand Ruhe reinbringen.«
»Dann lass uns mal reingehen und schauen, was der gute alte Werner machen kann.«, sagte ich beschwichtigend und wir gingen hinein.
In Ritas Wohnzimmer saßen neben Fabian noch zwei Damen, die in etwa Ritas Alter haben mussten. Rita stellte uns kurz vor: »Werner, das sind Anja Baumgarten und Carola Richter. Anja ist die Ehefrau, ähh, ja des Opfers.«
»Sag ruhig Witwe, mich musst du nicht schonen.«, antwortete Anja Baumgarten und begann direkt danach, in ein riesiges Stofftaschentuch zu schniefen. »Ich habe schon begriffen dass mein Hans nie mehr wiederkommt.«
Direkt darauf meldete sich die andere Frau, die musste ja die erwähnte Carola Richter sein, zu Wort: »Herr Böhme, sie müssen unbedingt helfen. Sie haben doch so viel Ahnung vom Mordermitteln und der Herr Dost sagte uns schon, dass sie bestimmt besser als die Polizei sind und da dachten wir, also die Anja dachte, dass sie das machen könnten. Und die Rita, die sagte dann auch, dass sie…«.
»Moment!«, unterbrach ich ihren Redefluss. Die Worte waren nur so aus ihr herausgesprudelt. »Besser als die Polizei ist schon mal falsch, denn ich habe keinerlei Informationen zu Spuren, ich habe keinen Kriminaltechniker mit umfangreichem Labor und auch sonst kann ich ja lediglich Fragen stellen. Also bin ich wohl eher nicht geeignet.« Ich schaute kurz zu Fabian, der direkt ein schmollendes Gesicht machte.
Anja Baumgarten schaute mich an. »Herr Böhme, ich weiß, was sie schon alles für Rita getan haben. Und ich wäre wirklich sehr glücklich, wenn sie auch in diesem Fall helfen könnten. Mein Hans hat es einfach nicht verdient, wie so ein Lump ermordet und anderen Menschen vor die Füße geworfen zu werden. Und es kann doch sicher kein Fehler sein, neben der Arbeit der Polizei noch einen anderen Blickwinkel einzubringen. Ach bitte, seien sie doch so nett.«
Ich staunte, wie ruhig und besonnen sie in ihrer Situation klang. Noch vor kurzer Zeit hatte sie vom gewaltsamen Tod ihres Mannes erfahren, da denkt man ja eigentlich, dass sie entweder vollkommen hysterisch oder zu Tode betrübt und zu keinem klaren Gedanken fähig wäre.
Ich lenkte ein wenig ein: »In Ordnung, wir setzen uns jetzt erst einmal alle hin, trinken eine Tasse Tee und überlegen, welches Vorgehen tatsächlich sinnvoll ist. Ist damit jeder einverstanden?«
Alle nickten und Rita erklärte sich bereit, frischen Tee zu kochen. Sie verschwand in der Küche und ich setzte mich neben Fabian an den Tisch. »Frau Richter, darf ich fragen, in welchem Verhältnis sie zu Familie Baumgarten stehen?«
»Ich bin die Nachbarin und beste Freundin von Anja. Wir kennen uns schon von Kindesbeinen an.«
»Carola ist meine beste Freundin«, konkretisierte Anja Baumgarten. »Ist es denn schlimm, wenn sie mit hier ist?«
»Nein, nein. Das passt schon.«, beschwichtigte ich. »Ich weiß immer nur gern, mit wem ich es zu tun habe.« Ich zwinkerte Anja Baumgarten zu und wollte mich an alle wenden.
In diesem Augenblick kam Rita mit einem Tablett voll Tassen und einer Kanne zurück. Der Tee war also fertig. Nachdem sie jedem eine Tasse eingeschenkt hatte, drehten sich alle zu mir um und sahen mich erwartungsvoll an. Na dann los.
»Auch wenn ihr das jetzt so ganz sicher nicht hören wollt, die schlauste Entscheidung wäre, die Ermittlungen komplett der Polizei zu überlassen. Wenn wir durch unser Stochern den falschen Staub aufwirbeln, könnte der Täter gewarnt werden und sich nachher noch komplett verdrücken. Und das können wir nicht wollen.«
Wieder sahen mich alle an und sagten kein Wort. Bis sich Fabians Gesicht zu einer Faust ballte. Ich hatte ihm da wohl gerade die Hoffnung auf eine abenteuerliche Mordermittlung genommen.
Plötzlich streckte er sich und erwiderte: »Ja, das kann so passieren. Es kann aber auch passieren, dass die Polizei die Ermittlungen komplett verseift und der Täter nie gefunden wird. Und dann werden wir uns unser Leben lang Vorwürfe machen, das wir es nicht wenigstens versucht haben.« Trotzig lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich wollte gerade etwas dazu sagen, als er noch ganz frech nachlegte. »Und du hast da sicher gut reden, denn du bist auf der Zielgeraden, ich hingegen muss mich noch viele Jahre länger mit dem schlechten Gewissen plagen.« Und als kleines Friedensangebot streckte er mir noch schnell die Zunge heraus und grinste dann von einem Ohr zum anderen.
»Na na na, mal nicht so frech.« Von wegen Zielgerade, so alt war ich ja nun auch noch nicht und ich hatte vor, noch viele, viele Jahre bei bester Gesundheit zu verbringen. »Aber ja, diese Möglichkeit besteht natürlich durchaus. Allerdings bringt uns das in eine Zwickmühle, denn wenn wir nur ermitteln, weil wir es der Polizei nicht zutrauen, dann ist unser guter Freund Leo bestimmt nicht sonderlich amüsiert, denn er ist schließlich der leitende Ermittler und damit auch derjenige, dem wir die Kompetenz absprechen.« Ich griff nach jedem Strohhalm, um aus dieser Sache herauszukommen. Obwohl mir zu genau diesem Zeitpunkt klar wurde, dass ich mal wieder Fragen stellen, mal wieder privat ermitteln würde.
Rita blickte mich entrüstet an: »Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder? Leo weiß ganz genau was er kann und was wir ihm zutrauen. Er weiß aber auch, was du kannst und ist mit Sicherheit sehr dankbar, wenn ihr beide Erfolg habt, falls er mit seinen Ermittlungen in eine Sackgasse gerät.«
»Ihr habt ja recht.«, lenkte ich ein. »Also machen wir es so, wie beim letzten Mal.«
»Ein Lösegeld übergeben und dann noch eine Leiche finden?«, fragte Fabian, nicht ganz ohne ein klein wenig gespieltes Entsetzen im Gesicht?
Bei unserem letzten ‘Fall’ ging es nämlich zunächst um eine Entführung und der Entführer hatte mitbekommen, dass wir ermitteln. Und so hat er dann verlangt, dass ich das Lösegeld übergebe. Dabei bekamen wir dann, nach einer ziemlich abenteuerlichen Schnitzeljagd, den Entführten zurück, leider jedoch nur als Leiche.
»Ganz sicher nicht! Ich meine es eher so, dass wir uns einfach mal einen Tag lang unverbindlich rumhorchen. Wenn wir dann eine Spur haben, dann machen wir weiter, stecken wir dann fest, überlassen wir den Profis mit all ihrem Forensikgedöhns und der ganzen tollen Technik das Feld.« Irgendwie hatte ich gerade wirklich ein Déjà-vu. Wieder einmal wurde um jedes bisschen Ermittlungszeit geschachert. Ob das gut gehen würde?
Anja Baumgarten blickte mich jedoch dankbar an, so dass meine Bedenken schnell verschwanden. »Das klingt sehr vernünftig. Vielen Dank Herr Böhme.«
Rita klatschte in die Hände. »Dann ist es also abgemacht, ihr beide fangt mal wieder einen Bösewicht.« Sie bemerkte jedoch sofort, dass ihre Fröhlichkeit in Gegenwart von Anja Baumgarten nicht wirklich angebracht war, legte die Hände schnell wieder in den Schoß und errötete leicht.
»Übrigens, bevor Fabian und ich mit irgendetwas anfangen, sollten wir die Förmlichkeiten lassen. Also ich bin der Werner. Frau Baumgarten, Frau Richter, sind sie beide damit einverstanden, wenn wir uns einfach ganz entspannt duzen und mit Vornamen ansprechen? Das wirkt dann weniger gezwungen.«
»Aber klar doch, ich bin die Anja.« Sie reichte mir, um das zu besiegeln, die Hand.
»Und ich bin Carola. Aber das wissen sie, ähh, das weißt du ja schon.« Sie kicherte kurz und tat es dann Anja gleich und gab mir die Hand.
Nachdem das geklärt war, schaltete sich Rita wieder ein: »Wenn ihr wieder ein Auto braucht, ihr wisst Bescheid.«
»Das Angebot ist nett, aber vorerst brauchen wir wohl keins. Die paar Meter hier in der Gegend schaffen wir gut zu Fuß.«
Fabian schaute schon wieder entsetzt, was mir insgeheim diebische Freude bereitete, denn ich wusste nur zu gut, dass er für sein Leben gern Auto fuhr. Und der uralte Benz von Rita war dabei sein allerliebster fahrbarer Untersatz.
Und gerade sah es so aus, als wolle er protestieren, da wurde unser Geplänkel von einem Telefonklingeln unterbrochen. Es war Anjas Telefon. Sie starrte es nur an, ließ es aber auf dem Tisch liegen. Ich schaute aufs Display und sah die Nummer des Anrufers. »Anja, das ist eine Nummer der Berliner Polizei. Du solltest rangehen, es ist bestimmt wichtig.«
Zaghaft griff sie ihr Telefon, nahm ab und meldete sich.
Wir konnten nicht verstehen, was gesprochen wurde, denn Anja murmelte nur gelegentlich ein ‘ja’ in das Telefon. Bis sie es plötzlich, ohne aufzulegen, herunternahm und Rita anschaute. »Rita, das ist dieser Polizist, ein Herr Willert. Er meint, er würde dich kennen und will jetzt hierher kommen. Ist das in Ordnung für dich?«
»Leo? Na klar, soll er mal machen.«
Anja gab das weiter und legte auf. »Dann kommt er jetzt hierher. Er hatte wohl noch einige Fragen zu meinem Hans.« Die Erwähnung des Namens schien ihr die schmerzlichen Umstände wieder ins Gedächtnis zu rufen, denn prompt fing sie an zu weinen. Carola reichte ihr sofort ein Taschentuch und nahm sie vorsichtig in den Arm. Und wieder einmal war es Rita, die die Situation gekonnt zu entschärfen wusste. Sie lenkte das Gespräch ganz geschickt auf ein unverfängliches Thema und so machten wir alle, ob wir wollten oder nicht, ein wenig Smalltalk. Selbst Fabian riss sich zusammen und machte mit. Auf diese Weise verging die Zeit bis zu Leos Eintreffen, das nicht allzu lange auf sich warten ließ. Denn nach etwa fünfzehn Minuten klingelte es an der Tür und das konnte nur Leo sein.
Rita ging zu Tür und tatsächlich, es war Leo. Nachdem er alle begrüßt hatte, setzte er sich in unsere Runde. Er schaute mich an und sagte: »Lass mich raten, deine Anwesenheit kann nur bedeuten, dass ihr mal wieder meine heimlichen Schatten seid. Richtig?«
»Ja, aber wir horchen uns vorerst nur einen Tag lang um und wenn sich dabei keine Spur ergibt, überlassen wir dir das Feld. So unsere Abmachung.«
»Okay, gut zu wissen. Aber versucht möglichst, uns nicht unnötig in die Quere zu kommen und vor allem, alles was ihr herausbekommt, muss auch ich wissen. Letztes Mal hat das ja, zumindest meistens, auch ganz gut geklappt. Deal?«
»Na klar, Deal!«, antwortete ich und war ganz froh darüber, dass Leo selbst noch einmal vor allen klargestellt hatte, dass letztlich er das Sagen hatte und wir eben nur die Laiendarsteller am Rande seiner Vorstellung waren.
Dann wandte er sich Anja zu. »Frau Baumgarten, ich habe einige Fragen über ihren Mann. Bisher wissen wir nämlich nur, dass er im Bezirksamt beschäftigt und in seiner Funktion für das alte Fort Hahneberg zuständig war. Er war wohl der Ansprechpartner für den Betreiberverein vor Ort. Und man hat uns gegenüber Andeutungen gemacht, dass er in dieser Funktion irgendwelche Probleme mit Dritten haben könnte. Nur wusste beim Betreiberverein niemand genau zu sagen, was das für Probleme wären. Wissen sie da eventuell mehr?«
Anja schien kurz zu überlegen, bevor sie antwortete. »Ja, da gab es einen Vorfall. Einer von den Naturschützern, die dort campieren, hatte ihn angegriffen. Allerdings sind die anderen von denen wohl gleich dazwischen und haben verhindert, dass Hans verprügelt wird. Hans hatte mir davon erzählt. Ich weiß aber nicht so genau, um was es dabei eigentlich ging. Hans hatte mir irgendwann mal erklärt, weshalb die Naturschützer dort sind, denn ich war verwundert, dass die dort immer wieder protestieren, wo doch das Fort eigentlich selbst dem Naturschutz dient. Aber leider habe ich das inzwischen vergessen. So wichtig war das für mich nicht.«
»Hatte ihr Mann denjenigen, der ihn angegriffen hat, beschrieben?«, hakte Leo nach, ohne weiter auf den Grund für die Anwesenheit der Naturschützer einzugehen.
»Nein. Wie der aussieht, weiß ich nicht. Aber dafür weiß ich, dass es wohl der Anführer von denen ist. So hat es Hans jedenfalls gesagt. ‘Der Obervogel der komischen Vögel’, so hat er ihn genannt. Ich hatte ihm noch gesagt, dass er den unbedingt bei der Polizei anzeigen muss. Aber da hat er nur abgewunken, es würde ja sowieso nichts passieren.« Anja Baumgarten schluchzte laut auf. »Ach hätte er das doch nur getan, dann wäre das alles bestimmt nicht passiert.« Dann brachen alle Dämme und sie fing an, hemmungslos zu weinen.
»Frau Baumgarten, ihr Mann hat bestimmt keinen Fehler gemacht. Noch wissen wir gar nicht, ob die beiden Geschehnisse überhaupt einen Zusammenhang haben. Wir werden das auf jeden Fall überprüfen, soviel kann ich ihnen versprechen. Aber ebenso kann ich ihnen sagen, dass eine Anzeige bestimmt nichts verändert hätte. Machen sie ihm und sich selbst deshalb also bitte keine Vorwürfe.«
»Also ist er ihr Hauptverdächtiger?«, wollte Carola wissen.
»Nein, bisher haben wir überhaupt keinen Verdächtigen. Dazu reicht die Indizienlage noch nicht aus. Aber er ist eine Spur und wir werden ihn sicher finden. Und dann sehen wir weiter.«
»Darf man denn fragen, ob es sonst irgendeine, im Film nennt man das immer ‘heiße Spur’, vorhanden ist?«, hakte Carola in das Gespräch ein.
»Leider noch nicht. Aber selbst wenn, dürfte ich ihnen da keine Auskunft erteilen. Tut mir leid.«
»Aber Anja dürfen sie doch bestimmt etwas sagen, oder?«
»Nein, auch das dürfte ich nicht tun. Aber ich kann sie beruhigen, alles was ich zu sagen vertreten kann, werde ich Frau Baumgarten mitteilen.« Leo versuchte dabei möglichst gutmütig dreinzuschauen, was ihm aber nicht wirklich gelang. Zum Glück bemerkte Carola die dabei entstandene Grimasse nicht, sonst hätte sie ihn nachher noch falsch verstanden.
Ich hatte aber auch noch eine Frage: »Lass uns nochmal auf die Naturschützer zurückkommen. Weißt du denn, weshalb die dort protestieren? Anja hat ja vollkommen Recht, das Fort ist als Fledermausquartier ja selbst dem Naturschutz gewidmet, soweit ich weiß, ist es sogar ein ausgewiesenes Fauna-Flora-Habitat.«
»Soweit sind wir noch nicht. Wir haben vorhin erst einmal alle heute anwesenden Mitglieder der ASG befragt. Die waren aber zum fraglichen Zeitpunkt allesamt in einer Mitgliederversammlung und haben damit schon mal ein Alibi.« Leo legte kurz den Zeigefinger an die Lippen und machte uns damit deutlich, dass wir mit dieser Information nicht unbedingt hausieren gehen sollten. »Und ja, daran, die Naturschützer zu befragen, habe ich auch schon gedacht. Die sind uns ja heute Morgen schon aufgefallen, als wir alle zur Führung unterwegs waren. Allerdings haben die sich, als der ganze Zirkus losging, ganz schnell verkrümelt. Wir müssen die also erst finden, bevor wir sie befragen können.«
Ich hatte dazu schon eine Idee, aber die wollte ich Leo noch nicht auf die Nase binden.
»Vielleicht haben die sich ja einfach nur ganz klein gemacht und verstecken sich jetzt hinter ihren tollen Transparenten.«, witzelte Fabian, aber lediglich Rita ging mit einem kurzen Lacher darauf ein.
»Glauben sie denn, das einer von denen etwas mit dem Tod von Hans zu tun haben könnte?«, fragte Anja. »Immerhin war ja auch der Naturschutz ein großes Anliegen von Hans. Und auch wenn es da diesen seltsamen Streit gab, wollten doch eigentlich alle das Gleiche. Außerdem war es doch nur der eine, die anderen hatten Hans doch zur Seite gestanden.« Anja schaute Leo zerknirscht an.
»Im Moment glaube ich noch gar nichts. Es wäre ein Fehler, voreilige Schlüsse zu ziehen. Aber nichtsdestotrotz muss ich wieder los.« Leo drehte sich zu mir um. »Werner, bei uns gilt das Übliche. Alles was ihr wisst, muss auch ich wissen. Und diesmal bitte keine Alleingänge.«
»Aber wir würden doch niemals irgendwelche Alleingänge machen.« Ich versuchte möglichst brav in Leos Richtung zu schauen.
»Sag das mal dem Bootshaus unten an der Scharfen Lanke. Dort hattest du nur unverschämtes Glück.« Noch ehe ich antworten konnte deutete Leo einen Gruß in die Runde an und machte sich aus dem Staub.
Und er hatte Recht, bei unserem letzten Fall haben wir den Täter ohne Hilfe der Polizei aufgegriffen und das hätte insbesondere für mich sehr schlecht ausgehen können. Der Täter hatte mich nämlich niedergeschlagen und nur mit jeder Menge Glück konnte Fabian dann den Täter überwältigen. Aber daran mochte ich jetzt nicht mehr denken, jetzt sollten wir uns auf unseren neuen ‘Fall’ konzentrieren.
Durch den Abgang von Leo wurde es kurz still im Haus und das nutzte ich aus. »Heute werden wir nichts mehr bekleistern können, also sollten wir jetzt alle ins Bett und morgen geht es dann los. Fabian, wir sollten dann als erstes Mal mit diesen Naturschützern reden und hinterher werden wir versuchen, im Fort jemanden zu finden, der bereit ist, ein wenig mit uns zu plaudern.«
»Das klingt nach einem Plan. Allerdings müssen wir die Naturschützer ja erstmal finden. Denn Leo meinte ja, die hätten sich verdünnisiert.«
»Hast du dir mal die Transparente von denen genauer angeschaut? Das sah aus wie Malerleinwand und obendrein waren die ja ganz elegant gemalt und nicht einfach nur mit einem fetten Pinsel dahingeschrieben. Also sollten wir mal unten am alten Grenzkontrollpunkt nachschauen. Dort ist doch dieser Künstlerclub.«
»Ei ei ei, das passt natürlich auffallend. Und gleich um die Ecke ist es auch. Du meinst also, die haben ihr Quartier bei den Künstlern. Nun, fragen können wir ja mal.«
»Eben. Aber jetzt sollten wir die Runde hier auflösen. Rita, wir bleiben morgen auf jeden Fall telefonisch in Kontakt und du informierst dann Anja. Das sollte am einfachsten sein.«
Rita nickte und auch Anja schien mit dieser Vorgehensweise einverstanden zu sein.
Und so machte ich mich gemeinsam mit Fabian auf den Heimweg.
»Anja ist schon echt eine tolle Frau.«, sagte Fabian, während wir langsam heimwärts trotteten. »Hat gerade ihren Mann verloren und ist trotzdem stark genug, sachlich damit umzugehen. Manch andere liegt dann erstmal tagelang in Tränen.«
»Kennst du denn so viele Frauen, die ihren Ehemann durch Mord verloren haben?«
»Nein, aber man sieht es ja immer wieder im Fernsehen.«
»Aha, und das ist natürlich ganz schwer realistisch. Sagst du.« Ich schaute Fabian zweifelnd an.
»Na irgendein Fünkchen Wahrheit ist doch immer dabei.«, verteidigte er sich.
Ich winkte ab. »Wenn du es sagst.« Ich hatte keine Lust, jetzt auch noch über den Wahrheitsgehalt von Fernsehsendungen zu philosophieren. Und so gingen wir dann schweigend weiter, bis sich bei mir vor der Haustür unsere Wege trennten.
Fabian war schon ein paar Meter weiter, als er sich noch einmal umdrehte. »Wann treffen wir uns morgen früh eigentlich? Wie üblich vor dem Aufstehen?«
»Nein, so früh dürfte weder bei den Künstlern noch im Fort jemand anzutreffen sein. Komm also einfach gegen acht hierher. Und bring frische Brötchen mit, dann können wir in Ruhe frühstücken, bevor wir uns auf den Weg machen.«
»So machen wir es, dann bis nachher.« Fabian drehte sich um und ging los, ich hingegen ging zu mir in die Wohnung und ließ mich, nachdem ich meine Jacke lustlos auf den Boden geworfen hatte, aufs Sofa fallen und schloss die Augen.
Jetzt sollte ich also wieder ermitteln, obwohl ich doch eigentlich endlich meine Pension genießen wollte. Ich tröstete mich damit, dass die Ermittlungsarbeit ja am Ende auch verhinderte, das zu viel Langeweile aufkommt. Ich lachte innerlich. Na klar, Langeweile. Genau das wollte ich doch eigentlich. Und wenn es nur ein paar Wochen sind. Nur musste die heiß ersehnte Langeweile jetzt noch etwas warten.
Also begann ich, über den Mord nachzudenken. Wer konnte ein Motiv haben? Oder war es nachher gar kein Mord, sondern nur Totschlag oder gar ein Unfall? Diese Möglichkeiten hatten wir bisher noch gar nicht in Betracht gezogen. Immerhin wird im Fort gebaut und es kann ja durchaus sein, dass Hans irgendwo unglücklich gefallen ist. Bei diesen Überlegungen realisierte ich, dass wir noch gar nicht über die Todesursache gesprochen hatten.
Schnell griff ich zum Telefon um Leo anzurufen. Es klingelte zweimal, dann war er dran. »Hi Leo, störe ich gerade?«
»Nein, was hast du denn für Sorgen und Nöte.«
»Ich grüble gerade über der Mordgeschichte. Und dabei bin ich darüber gestolpert, dass wir noch gar nicht wissen, woran Baumgarten eigentlich gestorben ist. Am Leichnam konnte man ja nichts weiter erkennen.«
»Richtig, der Medizinmann hat sich da auch zunächst bedeckt gehalten und nur unter Vorbehalt angedeutet, dass es ein Schlag auf dem Kopf gewesen sein könnte. Aber vor Ort konnte er nicht genau einschätzen, welche Verletzungen durch den Sturz in den Schacht entstanden sind. Obendrein gibt es keine erkennbaren Platzwunden, lediglich Wunden, die sich durchaus auch mit dem Sturz erklären lassen. Wir werden uns also wenigstens bis morgen gedulden müssen. Vormittags habe ich einen Termin in der Rechtsmedizin, danach kann ich dir möglicherweise Genaueres sagen.«
»Alles klar, vielen Dank. Und gleich noch etwas. Du hast es sicher schon getan, aber man sollte auch in Betracht ziehen, dass es nur eine Affekthandlung, also Totschlag oder sogar ein Unfall gewesen sein könnte.«
Leo räusperte sich laut. »Aber selbstverständlich habe ich das schon bedacht, was denkst Du von mir?« Er versuchte entrüstet zu klingen, musste dann allerdings lachen.
»Nur das Beste, Leo, nur das Beste! Hier war eher ich eingerostet, denn ich habe tatsächlich erst jetzt daran gedacht, als ich den Tag noch einmal habe Revue passieren lassen. Ich bin wohl gedanklich schon zu sehr im Ruhestandsmodus.«
»Und das sei dir auch gegönnt. Und ich kann dir versichern, wenn es ein Unfall war, dann wird das die Autopsie klarstellen. Und wenn es Fremdeinwirkung gibt, wovon ich allerdings ausgehe, dann ebenfalls. Aber genug geschwätzt, ich habe noch einen Bericht zu schreiben und möchte dann auch irgendwann ins Bett. Bis morgen also, wir hören voneinander.« Und wieder einmal legte er, ohne eine Antwort abzuwarten, einfach auf. Typisch Leo.
So wirklich konnte mir seine Antwort nicht helfen, aber wenn der Gerichtsmediziner schon vorsichtig einen Schlag gegen den Kopf in den Raum stellt, dann wird es wohl auch dazu passende Verletzungen geben. Meine Hoffnung, dass es lediglich ein Unfall war, schwand zunehmend. Ich konnte es drehen und wenden wie ich wollte, ich hatte einen neuen Fall.