Читать книгу Hannahs Welt - Maik Kohlbus - Страница 7
ОглавлениеKAPITEL 1
„Ist das ein grüner Kugelfisch?“ Mit verzerrtem Gesicht starrte Paul auf das Aquarium. So ein Tier hatte er noch nie gesehen. Ein wenig ängstlich näherte er sich, um das kleine grüne Ding im Wasser genauer zu betrachten.
Hannah verdrehte ihre Augen. „Nein, das ist ein Oktopus! Der mag es gerne, sich wie eine kleine Kugel zusammenzurollen.“
„Ein Oktopus? So klein?“ Ängstlich kam Paul näher an das Aquarium heran. Er hatte wirklich Angst, versuchte es aber so gut es ging zu verbergen.
Gelangweilt stand Hannah da. Sie mochte Paul wirklich nicht. „Das wirst du ja in ein paar Minuten sehen, wenn ich mein Referat halte.“ Sie beachtete ihn nicht mehr und konzentrierte sich auf ihre Notizen, die sie nervös in den Händen hielt. Eigentlich hatte sie sich gut vorbereitet, jetzt war sie aber doch noch ein bisschen unsicher. Bisher musste sie noch nie ein Referat halten, aber nun war sie ja in der siebten Klasse und da gab es keinen Weg mehr daran vorbei. Das Thema im Biologieunterricht war zurzeit Haustiere. Jeder Schüler durfte ein Tier mitbringen und einen Vortrag darüber halten. Wer kein Haustier besaß, konnte auch einfach über irgendein Tier referieren. Das wollte aber keiner, da es ja auch nicht so cool war, wie sein echtes Haustier vorzustellen. Heute war Hannah dran, sie war die Dritte in diesem Schuljahr. Paul hatte bereits seine Katze vorgestellt und Tina ihren Hamster. Da Hannahs kleiner grüner Oktopus ihr einziges Haustier war, hatte sie das kleine Aquarium mitgebracht, das jetzt vor ihr auf dem Lehrerpult stand. Ihre Mitschüler sahen sie erwartungsvoll an, als sie noch einmal tief Luft holte und anfing zu erzählen.
Ihr Referat war ein voller Erfolg. Alle hörten interessiert zu, denn noch niemand in ihrer Klasse hatte jemals von einem so kleinen Oktopus gehört, dazu war es noch ein grüner. Keiner ihrer Mitschüler wusste, dass Oktopusse gerne in Riffen lebten und dass es ganz viele verschiedene Arten von ihnen gibt. Natürlich musste Hannah ihnen am Anfang erst einmal erklären, dass Oktopusse normalerweise viel größer sind als ihrer. Ihr Oktopus war aber ein besonderer. Er war nur ein paar Zentimeter groß und schimmerte in einem hellleuchtenden Grün. Nicht nur Hannahs Mitschüler waren begeistert, sondern auch ihre Klassenlehrerin Frau Müller. Alle staunten, dass ihr Oktopus auch Sternensauger genannt wurde. Wahrscheinlich kam es davon, dass er sich gerne wie ein Stern an das Glas seines Aquariums saugte und seine Arme in alle Richtungen von sich streckte. Was alle so richtig umhaute, war die Tatsache, dass Oktopusse drei Herzen haben. Am Ende des Referats gab es noch eine Fragerunde. Ohne Probleme konnte Hannah alles beantworten. Zum Schluss hatte nur noch Paul eine letzte Frage. Er hob die Hand und sah Hannah herausfordernd an. „Hat dein Oktopus auch einen Namen?“
Traurig sah Hannah zu Frau Müller hinüber, anschließend wieder zu Paul. „Nein, der hat keinen Namen!“
Paul ließ nicht locker und bohrte weiter. „Warum denn nicht? Alle Haustiere haben doch einen Namen. Außer Fische vielleicht. Aber ein Oktopus ist doch kein Fisch.“ Triumphierend grinste er.
Hannah überlegte kurz. „Mir ist noch nie ein Name eingefallen.“ Verlegen wischte sie sich ein paar widerspenstige Haare aus dem Gesicht. Ihr war es unangenehm, dass sie keine bessere Antwort auf eine so einfache Frage hatte. Es war aber leider die Wahrheit. „Ich habe den Oktopus schon so lange, ich wurde auch schon oft gefragt, wie er heißt. Er hat aber keinen Namen.“
Als Frau Müller merkte, wie unwohl sich Hannah fühlte, kam sie helfend zu ihr. „Sehr gut gemacht, Hannah. Das war wirklich ein sehr interessanter Vortrag. Wenn keine weiteren Fragen mehr sind, dann machen wir jetzt mit dem Unterricht weiter.“
Ihr Referat war vorbei, sie hatte es geschafft! Erleichtert setzte sie sich auf ihren Platz. Obwohl es so gut gelaufen war, ärgerte sie sich über die Frage von Paul. Ein Name! Wieso nur fiel ihr denn kein Name für ihren Oktopus ein?
Später am Nachmittag saß Hannah in ihrem Zimmer vor dem runden Aquarium und beobachtete ihren kleinen grünen Oktopus, wie er munter langsame Kreise zog. Nach der Schule hatte sie das kleine Aquarium an seinen Platz auf ihrem Schreibtisch zurückgestellt. Dort konnte sie ihn immer beobachten, wenn sie ihre Hausaufgaben machte. Die sollte sie jetzt eigentlich anfangen, aber sie hatte keine Lust dazu. Immer noch dachte sie über das Referat nach, das ihrer Meinung nach ganz erfolgreich verlaufen war. Dadurch musste sich doch ihre Note verbessern, so wie sie es sich vorgenommen hatte. Jetzt war aber erstmal Mathe dran. Das verstand aber sowieso niemand in der Klasse und sie konnte sich nicht motivieren, mit ihren Aufgaben anzufangen. Viel lieber beschäftigte sie sich mit ihrem Oktopus. Der fühlte sich sehr wohl in seinem Aquarium, das Hannah liebevoll für ihn eingerichtet hatte. Der Lieblingsplatz des Oktopusses war am Boden des Aquariums. Am liebsten lag er zusammengerollt zwischen ein paar Steinen, inmitten von dünnen Seegräsern. Dorthin zog er sich oft zurück, als wollte er sich vor der Welt verstecken. Im Moment wirbelte er aber so wild im Kreis herum, dass sich das Wasser im Aquarium anfing zu drehen. Bis er abrupt stehen blieb und Hannah durch das Glas ansah. Ohne auch nur eine Bewegung zu machen, ließ er sich langsam zur Oberfläche treiben und streckte lautlos seinen kleinen Kopf aus dem Wasser. „Hannah, weißt du was?“
Hannah legte ihren Stift zur Seite, setzte die Ellenbogen auf ihren Schreibtisch und stützte ihren Kopf auf ihre Hände. Interessiert sah sie den kleinen Oktopus an. „Ja, was gibt es denn?“
Der kleine Oktopus klatschte mit einem Arm auf die Wasseroberfläche. „Heute in der Schule, da haben die Kinder doch nach meinem Namen gefragt. Es ärgert dich doch immer, wenn jemand nach meinem Namen fragt.“ Vorsichtig sah er sich um, als suche er etwas, bevor er Hannah mit klarem Blick anstarrte. „Ich weiß, warum ich keinen Namen habe!“
Mit verdrehten Augen sah Hannah ihn an. „Das weiß ich auch! Ist doch klar! Weil ich dir noch keinen gegeben habe!“
Der Oktopus streckte sich ganz weit aus dem Wasser. Es sah fast so aus, als würde er über der Oberfläche schweben. „Nein, das stimmt nicht!“ Wütend schlug er auf das Wasser. Als er sich wieder beruhigte, sah er Hannah an, als wollte er ihr ein Geheimnis verraten. „Ich habe keinen Namen, weil ihm noch keiner eingefallen ist!“
Hannah setzte sich aufrecht auf ihren Stuhl und sah den kleinen Oktopus verwundert an. „Von wem redest du? Wem soll kein Name eingefallen sein?“ Mit zusammengepressten Lippen schüttelte sie den Kopf. „Du bist doch mein Oktopus. Nur ich kann dir einen Namen geben!“
Der kleine Oktopus streckte sich noch weiter aus dem Wasser, legte den Kopf auf den Rand des Glases und flüsterte jetzt so leise, dass Hannah ihn kaum verstehen konnte. „Na, dem Schreiber. Dem Schreiber dieser Geschichte hier!“
„Dem Schreiber? Welche Geschichte? Wovon redest du denn?“
Für einen Augenblick ließ der Oktopus seinen Blick in die Ferne schweifen. „Ich glaube… nein ich weiß… wir sind in einer Geschichte. Du und ich. Wir beide zusammen. Und dem Schreiber fällt kein Name ein. Darum habe ich keinen!“
„So ein Quatsch! Wir sind doch nicht in einer Geschichte! Wie kommst du denn da drauf? Du und deine wilden Gedanken. Ich muss jetzt meine Hausaufgaben machen. Ich verstehe dich manchmal echt nicht.“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte sie sich ihren Hausaufgaben zu und ignorierte ihren Oktopus. Obwohl sie eigentlich keine Lust auf die Aufgaben hatte, verspürte sie plötzlich den Drang, dem Oktopus nicht mehr zuhören zu wollen. Traurig und enttäuscht sah sich der kleine grüne Oktopus um, tauchte ab und drehte langsam wieder seine Runden im Aquarium.
GUT SO! DAS IST, WAS OKTOPUSSE AM BESTEN MACHEN. OK-TOPUSSE BRAUCHEN KEINEN NAMEN! DREH EINFACH WEITER DEINE RUNDEN UND SEI STILL!
Während Hannah den Oktopus nicht weiter beachtete, stoppte er für einen kurzen Augenblick und kam mit kräftigen Stößen zur Oberfläche geschwommen. Er streckte seinen Kopf weit aus dem Wasser und sah sich wütend um. „Ich soll einfach nur meine Runden drehen? Ich weiß doch, dass ich recht habe! Dir fällt kein Name ein, darum habe ich keinen!“
Es dauerte einen Moment bis Hannah realisierte, dass der Oktopus nicht mit ihr sprach, sondern mit jemandem anderen. Verwundert ließ sie ihren Stift fallen und kam ganz nah an ihn heran. „Mit wem sprichst du denn?“
Verlegen schaute er sie an. Man, war es ihm peinlich. Es war sein Geheimnis und Hannah sollte es nicht wissen. Jetzt hatte er es durch seine Ungeduld fast verraten. „Tut mir leid Hannah. Ich spreche mit niemandem.“ Um sich noch einmal zu vergewissern, dass außer ihr niemand im Zimmer war, sah Hannah sich um. Natürlich war niemand da, sie war mit ihrem Oktopus alleine.
„Nun sag schon, mit wem hast du gesprochen? Doch nicht mit mir, oder? Nun erzähl schon! Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst!“
VERRATE MICH LIEBER NICHT, KLEINER OKTOPUS! SONST HABEN WIR BEIDE EIN PROBLEM MITEINANDER!
Demütig ließ sich der kleine Oktopus an den Rand des Aquariums treiben und saugte sich mit seinen Armen am Glas fest. Nachdenklich starrte er Hannah einige Sekunden durch das Glas an, um anschließend langsam zum Boden abzutauchen. Nach ein paar Minuten kam er träge wieder hoch, legte seinen Kopf auf den Rand und sah Hannah mit einem traurigen Blick an. „Du kannst es auch nicht verstehen. Nur ich kann es verstehen.“
„Was kann ich nicht verstehen?“ Lustlos ließ sie ihren Stift fallen und starrte den kleinen Oktopus an.
„Okay, ich erkläre es dir. Es ist aber nicht so einfach zu verstehen. Also, es ist so: Ich bin eine allwissende Figur in dieser Geschichte.“
„Was? Was denn für eine Geschichte?“
„Diese Geschichte hier, in der wir uns befinden. Du und ich, mein Aquarium, dein Zimmer hier, deine Eltern, einfach alles was hier geschieht. Alles wird vom Schreiber gesteuert! Wie ich schon sagte, ich bin die allwissende Figur in dieser Geschichte. Ich weiß alles. Auch, dass der Schreiber keinen Namen für mich hat!“
Hannah schüttelte verwirrt den Kopf. „Mal angenommen, ich würde dir glauben und wir sind tatsächlich in einer Geschichte. Woher willst du denn wissen, was er denkt? Kannst du mit ihm sprechen?“
Der kleine grüne Oktopus sah sich um und nickte langsam. „Ja, das kann ich. Ich kann mit ihm sprechen und er mit mir! Aber nur ich. Nur die allwissende Figur in einer Geschichte kann es. Sonst niemand!“ Hannah winkte ab und hörte ihm gar nicht mehr zu. Ihr wurde das ganze Gerede zu viel. Das ergab doch alles keinen Sinn und es war sowieso Zeit für das Abendessen. Ohne den Oktopus weiter zu beachten stand sie auf und ließ ihn alleine in ihrem Zimmer zurück.
VERDAMMTER KLEINER GRÜNER OKTOPUS! VERRÄTER!
Wütend sah sich der Oktopus um. „Aber das stimmt doch! Ich weiß es!“
KANN SEIN, DASS DU DIE ALLWISSENDE FIGUR BIST. ICH BEREUE ES BEREITS DICH JEMALS ERSCHAFFEN ZU HABEN! EINEN NA-MEN BRAUCHST DU TROTZDEM NICHT! OKTOPUSSE BRAUCHEN KEINEN NAMEN!
Mit seiner ganzen Kraft streckte sich der kleine grüne Oktopus weit aus dem Wasser. „Du bist zwar der Schreiber, aber wenn Hannah mir einen Namen geben möchte, dann kannst du das nicht verhindern. Ihren Willen kannst du nicht beeinflussen! Das kann niemand! Selbst du nicht!“
IHREN WILLEN KANN ICH NICHT BEEINFLUSSEN, ABER ICH KANN DAFÜR SORGEN, DASS DU NICHT MEHR WICHTIG BIST! SOLL ICH DIR MAL ZEIGEN, WIE EINFACH DAS IST? ICH ZEIGE ES DIR! WENN HANNAH NACH DEM ESSEN WIEDERKOMMT, WIRD SIE MATHE LIEBEN UND DU WIRST NICHT MEHR WICHTIG SEIN!
Der kleine Oktopus senkte den Kopf, tauchte ab und versteckte sich zwischen den Steinen am Boden des Aquariums. Es gab nichts mehr, was er noch erwidern konnte.
Nach dem Abendessen saß Hannah wieder an ihrem Schreibtisch, vertieft in ihre Hausaufgaben. Noch nie hatte ihr Mathematik Spaß gemacht, doch plötzlich verstand sie alles. Ohne große Mühe löste sie eine Aufgabe nach der anderen. In dem Moment war nichts anderes auf der Welt wichtig für sie. Sogar der kleine grüne Oktopus war ihr egal. Bis sie plötzlich aufschreckte. Ihre Mutter war in ihr Zimmer gekommen und stand neben ihr. Da Hannah so vertieft war in ihre Aufgaben, hatte sie es gar nicht gemerkt. Voller Bewunderung schaute ihre Mutter ihr über die Schulter und begutachtete die Hausaufgaben. „Heute so fleißig? Und ich dachte immer, du magst Mathe überhaupt nicht.“
Ohne den Stift abzusetzen, sah Hannah mit einem breiten Grinsen zu ihrer Mutter hoch und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht. Plötzlich ist alles so leicht. Es hat irgendwie klick gemacht und dann ging es supereinfach!“
Hannahs Mutter wuschelte ihr durch die Haare und gab ihr einen leichten Kuss auf den Kopf. „Das freut mich! Denkst du bitte auch noch daran, das Aquarium sauber zu machen? Es wird langsam mal wieder Zeit.“
Kopfschüttelnd winkte Hannah ab. „Das Aquarium sauber machen?“ Voller Eifer wandte sie sich lieber wieder ihren Aufgaben zu. „Dazu habe ich jetzt keine Zeit. Der Oktopus kann warten. Ich mach das morgen. Oder übermorgen, mal sehen. Meine Hausaufgaben sind jetzt wichtiger. Wir schreiben doch am Montag die nächste Mathearbeit.“
SIEH DA, KLEINER OKTOPUS, SO SCHNELL BIST DU NICHT MEHR WICHTIG. RATE MAL, WARUM HANNAH PLÖTZLICH MATHEMA-TIK SO LEICHT FÄLLT! WEIL ICH IHR DIE FÄHIGKEIT GEGEBEN HABE UND DU KANNST NICHTS DAGEGEN MACHEN!
Für einen Moment wunderte sich Hannah, warum sie plötzlich alle Aufgaben lösen konnte, dachte aber nicht mehr weiter darüber nach und ging zur nächsten Aufgabe über. Leise drehte sich ihre Mutter um und wollte den Raum verlassen. Es war wohl besser, Hannah jetzt nicht weiter zu stören. „Na gut, mach aber nicht mehr so lange. Es ist schon spät!“
Als sie vor der Tür stand, drehte Hannah sich plötzlich zu ihr um. „Mama, warum hat mein Oktopus eigentlich keinen Namen?“
Ihre Mutter blieb stehen und sah Hannah nachdenklich an. „Das weiß ich nicht. Es ist dein Oktopus, gib ihm doch einfach einen Namen!“
Für einen Moment dachte Hannah nach, wandte sich dann aber wieder ihren Aufgaben zu. „Na gut. Ist auch nicht so wichtig.“
Leise schloss ihre Mutter die Tür hinter sich und blieb für einen Moment mit einem Lächeln im Gesicht stehen. Sie fragte sich, woher plötzlich der Eifer ihrer Tochter kam. Normalerweise hatte die doch nie Spaß daran, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Und warum die Frage nach dem Namen des Oktopusses? Sie fand das alles sehr merkwürdig.
DAS IST NICHT MERKWÜRDIG. OKTOPUSSE BRAUCHEN KEINEN NAMEN! BASTA. WIRD ZEIT, DASS HANNAH EINE ABLENKUNG BEKOMMT VON DEM DING UND ES ÜBERFLÜSSIG WIRD!