Читать книгу Hannahs Welt - Maik Kohlbus - Страница 8
ОглавлениеKAPITEL 2
Es kam, wie es kommen musste. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht stürmte Hannah in die Küche, schleuderte ihren Rucksack mit Schwung auf den Küchentisch und kramte ihr Arbeitsheft hervor. „Mama, rate mal, was ich in der Mathearbeit geschrieben habe?“
Ihre Mutter legte das Küchenmesser zur Seite, mit dem sie gerade die Kartoffeln schälte, und wusch sich schnell die Hände. Zum Mittag sollte es Kartoffelauflauf mit Brokkoli geben, es war eines von Hannahs Lieblingsgerichten. „Lass mich raten. Eine Zwei?“ Sie würde es zwar nie sagen, aber mehr traute sie ihrer Tochter nicht zu. Eine Zwei war schon sehr optimistisch.
Obwohl Hannah versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, konnte sie ihr breites Grinsen nicht verstecken und es platze aus ihr heraus. „Eine Eins! Ich habe eine Eins geschrieben! Ich bin sogar Klassenbeste!“
Ihre Mutter warf das Geschirrhandtuch, mit dem sie sich gerade die Hände abtrocknete, auf die Arbeitsplatte und strahlte Hannah mit großen Augen an. „Zeig her, das glaub ich ja nicht!“
„Ich habe es auch nicht glauben können, ist aber wahr!“ Sofort öffnete Hannah ihr Arbeitsheft und hielt es ihrer Mutter so dicht vor die Nase, dass sie erst mal nichts erkennen konnte. „Siehst du, Frau Müller hat sogar einen großen Stern und einen Smiley unter die Eins gemalt!“
Gemeinsam bestaunten sie das Ergebnis, das Hannahs Mutter so noch nicht gesehen hatte. „Zieh jetzt erst mal deine Jacke aus, wir können gleich essen. Und zur Belohnung gibt es nachher ein großes Eis!“
Nachdenklich kratzte sich Hannah am Ohr und sah ihre Mutter verlegen an. „Da ist noch was.“
„Was denn, mein Schatz?“
Man war ihr das peinlich. Sie kniff die Augen zu und blinzelte zu ihrer Mutter hinüber. „Darf ich heute Besuch bekommen? Ich möchte gerne einen Jungen einladen.“
Es war das erste Mal, dass Hannah so etwas fragte. Natürlich hatte sie früher schon Besuch von Jungen. Aber damals war sie noch im Kindergarten oder in der Grundschule, und da war es noch anders. „Ein Junge? Wer ist es denn?“
Ein Lächeln der Erleichterung erschien in Hannahs Gesicht. „Er heißt Tom. Er ist neu in der Schule. Der ist total nett.“ Aus Hannah sprudelte es nur so heraus. Während ihre Mutter das Essen vorbereitete, erzählte sie ihr alles, was sie über Tom wusste. Toms Vater verlor vor einiger Zeit seine Arbeitsstelle und deswegen musste er mit seiner Familie umziehen. In ihrer Stadt hat sein Vater eine neue Anstellung gefunden: Entwicklungsleiter beim Forschungsinstitut. Tom sei auch ganz gut in der Schule. An seinem ersten Tag wurde er neben Hannah gesetzt. Der Platz war erst eine Woche vorher frei geworden, da Lisa die Schule verlassen hatte. Hannah mochte sie sowieso nicht. Was für ein Glück das doch war!
Für einen Moment wandte sich ihre Mutter Hannah zu und sah sie ernsthaft an. „Wie alt ist Tom denn?“
Mit viel Schwung sprang Hannah auf. „Tom ist genau zwei Wochen älter als ich. Er ist auch ein Wassermann!“
Ihre Mutter zwinkerte sie an. „Wie schön, dann passt ihr ja zusammen.” Es war jetzt an der Zeit, das Essen fertigzumachen, aber eines wollte sie noch wissen. „Wo wohnt Tom denn?“
MAN, FRAG NICHT SO VIEL! IST DOCH EGAL, SAG EINFACH JA! ICH BRAUCHE TOM. WAS MEINST DU WARUM LISA WEGGEHEN MUSSTE?
Hannah tänzelte davon. „In der neuen Siedlung, hinten am Wald. Er ist mit seiner Familie in das leere Haus neben Daniel gezogen. Du kennst Daniel doch. Der aus meiner Klasse.“ Mit Schwung warf sie ihre Jacke über die Garderobe und zog ihre Schuhe aus. Mit einem zufriedenen Lächeln sah ihre Mutter ihr hinterher. Ihre Tochter, schon so groß geworden! Natürlich hatte sie nichts gegen einen Besuch von Tom und stimmte zu.
„Was schwimmt denn da in deinem Aquarium?“ Tom schaute mit verzogenem Gesicht auf den Oktopus, der zusammengerollt am Boden des Aquariums lag. Zum Glück konnte er nicht sehen, wie Hannah hinter seinem Rücken die Augen verdrehte. Dass die Jungs auch immer so komisch nach ihrem Oktopus fragen mussten! Hannah kam näher zu ihm heran und sah ihn verlegen an. „Das ist ein Oktopus. Das ist mein kleiner grüner Oktopus! Hast du etwa noch nie einen Oktopus gesehen?“
Als sie in das Aquarium hineingreifen wollte, um den Oktopus herauszunehmen, ging Tom angewidert ein paar Schritte zurück. „Nimmst du den etwa auf die Hand?“
Sofort stoppte ihre Bewegung. „Magst du Oktopusse nicht? Die tun doch nichts.“
Tom wusste nicht, was er sagen sollte. Seine erste Verabredung mit Hannah. Bisher war ja alles ganz gut verlaufen und ihre Mutter schien auch nett zu sein. Aber er wusste nicht so recht, was er von diesem komischen grünen Ding in dem Aquarium halten sollte. Lügen wollte er aber auch nicht. „Ehrlich gesagt, ich finde das ein bisschen ekelig! Sowas habe ich noch nie gesehen!“
Das war natürlich ein Schock für Hannah. „Du findest den eklig?“
Mist, warum hatte er das gesagt? Hätte er doch nur seinen Mund gehalten! Nun wusste er nicht so richtig, was er sagen sollte. Er wollte Hannah doch nicht verletzen. „Können wir vielleicht lieber nach draußen gehen?“
Hannah sah ihren kleinen Oktopus an, der sich langsam vom Boden löste und fast wie in Zeitlupe zur Oberfläche schwamm. Mit einem traurigen Blick beobachtete er sie. Wollte er ihr etwas sagen? Natürlich nicht, denn niemals sprach der kleine grüne Oktopus, wenn jemand anderes außer Hannah anwesend war. Sie hatte noch niemandem davon erzählt, dass sie mit ihm sprechen kann. Noch nicht einmal ihrer besten Freundin. Für einen Moment überlegte sie, was sie tun könnte. Tom vergraulen wollte sie auf keinen Fall. Dann doch lieber den Oktopus links liegenlassen. „Kein Problem, wir können auch rausgehen! Wie wäre es mit einem Eis? Meine Mutter wollte mir noch ein Eis spendieren für meine Eins in Mathe!“
Noch immer sah Tom den kleinen grünen Oktopus etwas angewidert an. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er seine Gedanken lesen kann. „Hat der eigentlich einen Namen? Dein Oktopus meine ich“.
„Nein, hat er nicht.“ Sie kniff ihre Lippen zusammen und schüttelte ihren Kopf. Die Frage ärgerte sie.
„Warum denn nicht?“
„Weil…, weil mir noch kein guter Name eingefallen ist. Hannah musste sich bemühen, sich zu beherrschen. Die Fragen nach dem Namen für den Oktopus fingen wirklich an, sie zu nerven! Plötzlich zuckte Tom erschrocken zurück. Hatte der kleine grüne Oktopus ihn etwa gerade angestarrt und dabei leicht den Kopf geschüttelt? Als ob er sagen wollte ‚Hör nicht zu, Hannah lügt. Das hat einen anderen Grund‘?
NEIN TOM, HAT SIE NICHT. GEH EINFACH EIS ESSEN!
Ein kleiner grüner Oktopus in einem Aquarium, so was hatte Tom noch nie gesehen. Und dazu hatte er noch das Gefühl, der könnte seine Gedanken lesen! So langsam wurde ihm die ganze Angelegenheit unheimlich. Es war wirklich besser, einfach zu gehen. Eis essen mit Hannah klang vielversprechender, als sich mit dem komischen Oktopus zu beschäftigen.
Pünktlich zum Abendessen war Hannah wieder zurück. Ihre Eltern saßen schon am gedeckten Tisch und warteten auf sie. Ihre große Tochter hatte ihre erste Verabredung mit einem Jungen. Das war natürlich das Highlight des Tages. Aufgeregt erzählte Hannah ihren Eltern über ihren Tag mit Tom. Die waren sehr froh, dass sie so ein fröhliches und offenes Mädchen war. Sie hatten immer das Gefühl, dass Hannah ihnen alles erzählte. Das war schon seit dem Kindergarten so. Ihr Vater wusste es noch ganz genau. Damals im Kindergarten kam Hannah eines Tages mit einem selbstgemalten Bild nach Hause. Es war ein kleiner grüner Oktopus. Na ja, niemand wusste so richtig, was das kleine grüne Ding auf dem Bild sein sollte. Da ihr Vater aber Biologielehrer war und sich sehr für Meerestiere interessierte, erklärte er einfach, es sei ein kleiner grüner Oktopus. So kam es, dass kurze Zeit später das kleine Aquarium mit dem Oktopus auf ihrem Schreibtisch stand, denn Hannah ließ von dem Tag an nicht mehr von dem Thema ab und wollte unbedingt einen Oktopus haben. Das war zwar ein sehr ungewöhnliches Haustier, aber wenn sie sich einmal etwas in den Kopf setzte, dann musste sie es unbedingt haben und am Ende gaben ihre Eltern nach.
Der Oktopus, der war jetzt ein Problem. Tom mochte ihn nicht, er fand ihn sogar ziemlich eklig. Aber Hannah mochte Tom. Was sollte sie denn jetzt machen? Sie hatte sogar Angst, dass Tom nicht wiederkommen wollte, solange der Oktopus da ist.
Ihre Mutter sah, wie Hannah verzweifelt nachdachte. „Du willst doch wohl nicht den Oktopus weggeben, oder?“ Sie lächelte ihre Tochter an. „Also ich finde, der Tom ist ganz nett. Wenn du deinem Oktopus endlich einen Namen gibst, dann hat Tom vielleicht nicht mehr so viel Angst davor. Du hast schon so lange davon gesprochen, dass er keinen Namen hat und du ihm einen geben möchtest. Vielleicht wird es jetzt wirklich Zeit, einen Namen zu finden.“
WAS IST DENN DAS FÜR EINE IDEE? HALLO? OKTOPUSSE BRAU-CHEN KEINE NAMEN. WOFÜR HAB’ ICH DENN TOM ERSCHAFFEN UND LISA AUS DER SCHULE RAUSGESCHMISSEN?
Fragend sah Hannah ihre Mutter an. „Meinst du, das hilft?“
Liebevoll legte ihre Mutter die Hand auf die ihres Vaters und sah ihn mit einem strahlenden Lächeln an. „Weißt du, als ich deinen Vater kennengelernt habe, hatte er einen Hund. Ich mochte damals keine Hunde, da ich als Kind einmal gebissen wurde. Dein Vater hat mir aber gezeigt, dass seiner ganz lieb war und dann habe ich mich daran gewöhnt. Er hieß Bessie, er war ein kleiner Mischling.“
Hannah hörte auf zu kauen und starrte ihre Eltern erstaunt an. „Ihr hattet einen Hund? Das wusste ich ja gar nicht!“
Ihr Vater nickte und lächelte Hannahs Mutter mit einem Zwinkern an. „Ist schon lange her. Tom wird sich sicherlich auch an den Oktopus gewöhnen. Ein Name hilft vielleicht wirklich.“
WAS IST DENN DAS FÜR EIN GEQUATSCHE? JETZT FÄNGT DER AUCH NOCH AN! OKTOPUSSE HABEN KEINEN NAMEN!
Einen Namen! Einen Namen für den kleinen grünen Oktopus! Ein Königreich für einen Namen! Der Gedanke ging Hannah nicht mehr aus dem Kopf. Tom, ihre Eins in Mathe, der Oktopus, der fehlende Name. Was war bloß los? Alles war so furchtbar durcheinander. Und wieso fiel ihr ums verrecken kein Name ein?
Nach dem Abendessen ging sie auf ihr Zimmer, setzte sich an ihren Schreibtisch und sah dem kleinen grünen Oktopus zu, wie er still am Boden des Aquariums zwischen den Seegräsern saß. Als er Hannah sah, ließ er sich zur Oberfläche treiben und streckte den Kopf aus dem Wasser. Es war für Hannah schon immer ein Rätsel, wie er es schaffte, dabei nicht die kleinste Welle zu erzeugen. Mit einer ernsten Miene sah er sich um, verharrte einen Moment nachdenklich, tauchte dann aber wieder still und leise ab, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
GUT SO!
Es war ein aufregender Tag gewesen. Morgen wollte sie extra früh zur Schule gehen, um noch vor dem Unterricht Zeit mit Tom zu verbringen. Schnell packte sie ihre Schulbücher für den nächsten Tag in ihren Rucksack und machte sich fertig fürs Bett. Eigentlich liebte sie es, vor dem Schlafen noch ein paar Seiten zu lesen, aber heute war sie viel zu müde und legte ihr Buch gleich wieder weg. So wie jeden Abend sah sie noch ein letztes Mal zu ihrem kleinen grünen Oktopus hinüber. Er lag ganz ruhig auf dem Boden des Aquariums, als sie ihm eine gute Nacht wünschte. Sie war sich ganz sicher, dass sie am nächsten Tag einen Namen für ihn finden würde.
Alles war vernebelt. Hannah stand mitten in einer Gruppe von kleinen Kindern. Ein Junge zog an ihrer Hand. Reglos ließ sich Hannah mitziehen. Kannte sie ihn? War sie in ihrer alten Kindergartengruppe? Etwas schwerfällig folgte sie dem Jungen und setzte sich mit ihm an einen langen Tisch. Eigentlich war sie viel zu groß für diese kleinen Kindergartenstühle, aber irgendwie passte es. Der Junge schob ihr ein leeres Blatt und einige Stifte zu und forderte sie auf, etwas zu malen. Umgeben von einem Gefühl der Schwerelosigkeit nahm Hannah einen blauen Stift in die Hand und kritzelte ziellos Striche auf das leere Blatt. Sie achtete aber überhaupt nicht darauf, was sie malte. Nach einigen Strichen zog der kleine Junge das Blatt zu sich hinüber, musterte für einen Augenblick Hannahs Kunstwerk und fing an, es weiter auszumalen. Dabei murmelte er etwas vor sich hin, das Hannah aber nicht verstand. All das war ihr auch gar nicht wichtig. Ruhig saß sie da und beobachtete die anderen Kinder, bis ihr Blick plötzlich auf ein besonderes Kind fiel. Auf der anderen Seite des langen Tisches saß ein kleines Mädchen, zusammen mit einer jungen Frau. Vor dem Mädchen lag ein strahlend weißes Blatt, auf dem sie etwas mit einem grünen Stift kritzelte.
Plötzlich zuckte Hannah zusammen. Sie erkannte das Mädchen, das jetzt langsam ihren Kopf hob und sich zu ihr drehte. Mit den langen blonden Haaren sah das Mädchen aus wie sie selbst! Ja, sie sah nicht nur so aus, sie war es selbst! Das Mädchen wandte sich wieder ab, nahm ihr Bild hoch und richtete ihre Aufmerksamkeit der jungen Frau zu, die immer noch geduldig neben ihr saß. „Fertig! Mein Bild ist fertig!“ Mit beiden Händen nahm die junge Frau das Blatt entgegen und drehte es ein paarmal hin und her. Sie versuchte zu erraten, was es sein sollte, konnte aber nichts erkennen. War es eine Seegurke? Für einen Augenblick musste die junge Frau lachen bei dem Gedanken, was man für schöne Geschichten erzählen könnte mit dieser Seegurke. „Sehr schön, Hannah. Was hast du denn da für mich gemalt?“
Mit einem bösen Blick starrte das Mädchen die Frau an. „Na, ein kleines grünes Ding habe ich gemalt!“
Die junge Frau nickte so zustimmend, wie es Erwachsene halt tun, wenn sie eigentlich keine Ahnung haben, was ein kleines Kind ihnen sagen oder zeigen will. „Und, hat dein kleines grünes Ding auch einen Namen?“
„Natürlich hat das Ding einen Namen, alle Dinger haben doch einen Namen! Das Ding… das Ding ist meine…“ Für einen kurzen Moment dachte das Mädchen nach, setzte sich aufrecht hin und stemmte ihre geballten Fäuste in ihre Seiten. „Das Ding ist meine kleine Mathilda!“
Die junge Frau drehte das Bild noch einmal langsam hin und her und runzelte die Stirn. „Mathilda, das ist aber ein schöner Name für das kleine grüne Ding!“ Vorsichtig legte sie das Blatt wieder auf den Tisch. Für einen Moment saßen beide schweigend da, bis das kleine Mädchen ihren Kopf erneut zu Hannah drehte. Ihre Blicke trafen sich wie zwei Blitze inmitten eines Gewitters.
Plötzlich wurde es ganz still. Es kam Hannah vor, als ob die Zeit stehen geblieben sei. Obwohl die Kinder um sie herum immer noch wild tobten, hörte sie nichts. Sogar das Ticken der Uhr an der Wand verstummte.
Stille. Nichts als Stille.
Ohne eine große Bewegung zu machen, nickte das kleine Mädchen Hannah plötzlich mit einem selbstbewussten Lächeln zu. Ganz langsam öffnete es ihren Mund, ihre Lippen bewegten sich wie in Zeitlupe und Hannah hörte es. Inmitten der Stille war es das Einzige, was sie wahrnahm. Es war der Name, den sie so lange gesucht hatte: Mathilda.
NEIN! WAS IST DENN HIER LOS? DAS KANN DOCH NICHT WAHR SEIN!
Im Dunkeln des Zimmers schreckte Hannah hoch und suchte nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe. Ohne zu zögern sprang sie aus ihrem Bett, rannte zum Schreibtisch hinüber und setzte sich vor das Aquarium. Der kleine grüne Oktopus trieb an der Oberfläche, als ob er auf Hannah gewartet hatte. Für einen Moment wunderte Hannah sich, ob Oktopusse nie schlafen würden. Sie war so vertraut mit ihm, aber das wusste sie nicht. Ganz nah kam sie an ihn heran und der kleine grüne Oktopus erwiderte ihren Blick. „Du hast geträumt, oder?“
„Woher weißt du das?“
„Ich habe dir doch schon mal erzählt, dass ich alles weiß.“
Hannah konnte ihre verschlafenen Augen kaum offen halten und nickte. Voller Erwartung sah der Oktopus sie an. „Wovon hast du denn geträumt, erzähl es mir.“
„Ich habe von mir selber geträumt. Von damals im Kindergarten, als ich das Bild von dir gemalt habe. Na ja, nicht von dir, aber von einem grünen Ding. Mein Vater meinte damals, es sei ein Oktopus und kurze Zeit später haben wir dich in der Zoohandlung gekauft.“
Der Oktopus wandte sich ab, drehte eine kleine Runde durch das Aquarium, tauchte wieder auf und sah Hannah dann neugierig an. „Und, was hast du noch geträumt? Was war da noch?“
Die Bilder des Traumes hatte Hannah noch klar vor ihren Augen. Sie wunderte sich für einen Moment, woher der Oktopus so viel wusste. Müde rieb sie sich die Augen. „Du weißt doch immer alles. Dann weißt du es doch sowieso schon, oder?“
„Nein, das weiß ich nicht. Träume kenne ich nicht. Die kennt niemand! Also, erzähle es mir bitte! Was hast du geträumt?“
Hannah kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Im Traum habe ich erfahren, wie dein Name ist. Ich weiß jetzt, wie du heißt!“
Aufgeregt plätscherte der Oktopus mit seinen Armen im Wasser. „Wie denn? Wie ist mein Name? Erzähl es mir bitte!“
Für einen kurzen Moment dachte Hannah nach und ließ den Traum noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen. „Dein Name ist…“ Sie ließ den Traum noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen. „Dein Name ist Mathilda!“
Das erfreute den kleinen Oktopus so sehr, dass er einen Freudentanz aufführte. Mehrmals sprang er umher und planschte dabei so stark, dass sich Wasserspritzer auf dem Schreibtisch verteilten. „Mathilda! Was für ein schöner Name! Mathilda!“
Plötzlich beendete Mathilda ihren Freudentanz, blieb ganz ruhig stehen und sah sich vorsichtig um. Was das zu bedeuten hatte, wusste Hannah nicht. „Was ist denn los? Suchst du etwas?“
Völlig bewegungslos lag Mathilda auf der Wasseroberfläche. „Pssst, leise.“
Obwohl Hannah nicht verstand, warum sie leise sein sollte, blieb sie ganz ruhig. Gemeinsam lauschten sie in die Stille der Nacht. Das Einzige, was Hannah hören konnte, war das monotone, endlose Ticken ihres Weckers.
MATHILDA, LEISE SEIN HILFT NICHT! IST ABER SCHON GUT, MAT-HILDA IST EIN SCHÖNER NAME!
Mathilda spürte eine riesige Erleichterung. Mit einem Strahlen im Gesicht sah sie Hannah an, die sich nachdenklich am Kopf kratzte und überlegte, warum Mathilda sich so komisch benahm. Erst war sie ernst und jetzt plötzlich glücklich? Was war denn nur los? Da sie keine Erklärung dafür hatte, gab sie ihre Überlegungen auf. Sie war einfach nur glücklich, endlich einen Namen für ihren kleinen grünen Oktopus gefunden zu haben: Mathilda.