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Resilienz – Definition und Merkmale


Wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände psychisch gesund entwickeln, spricht man von Resilienz. Damit ist keine angeborene Eigenschaft gemeint, sondern ein variabler und kontextabhängiger Prozess. In verschiedenen Langzeitstudien auf der ganzen Welt wurden schützende (protektive) Fakto-ren festgestellt, die dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen zu unterstützen.


Der Begriff Resilienz leitet sich aus dem Englischen „resilience“ ab und bedeutet „Spannkraft, Widerstandsfähigkeit und Elastizität“. Damit ist die Fähigkeit eines Individuums gemeint, „erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Stressfolgen“ (Wustmann 2004, 18) umgehen zu können.

In der Literatur ist eine Vielzahl von Definitionen zu finden (z. B. Rutter 1990, Bender / Lösel 1998, Welter-Enderlin 2012).

Eine Definition von Resilienz hängt davon ab, welche Kriterien als Maßstab genommen werden. Es können externale und / oder internale Kriterien zugrunde gelegt werden, d. h., Resilienz wird anhand von Anpassungsleistungen an die soziale Umwelt verstanden, oder es werden explizit die inneren Befindlichkeiten mit berücksichtigt (Bengel et al. 2009).

Allgemein anerkannt im deutschsprachigen Raum ist die Begriffsbestimmung von Wustmann, die sowohl externale als auch internale Kriterien mit einbezieht und Resilienz zusammenfasst als


„die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“ (Wustmann 2004, 18).

In der Regel gehen Resilienzforscher davon aus, dass sich Resilienz bzw. resilientes Verhalten dann zeigt, wenn ein Mensch eine Situation erfolgreich bewältigt hat, die als risikoerhöhende Gefährdung für die Entwicklung des Kindes eingestuft werden kann, wie z. B. Verlust einer nahen Bezugsperson, Aufwachsen in Armut usw. Resilienz ist damit keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern immer an zwei Bedingungen geknüpft:

1. Es besteht eine Risikosituation.

2. Das Individuum bewältigt diese positiv aufgrund vorhandener Fähigkeiten.

Merkmale von Resilienz

Die Fähigkeit zur Resilienz ist nicht, wie zu Beginn der Resilienzforschung angenommen, angeboren, sondern entwickelt sich in einem Interaktionsprozess zwischen Individuum und Umwelt (Lösel / Bender 2008). Das bedeutet auch, dass das Kind selbst aktiv regulierend auf seine Umwelt einwirkt. Resilienz ist damit ein „dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess“ (Wustmann 2016, 28). Dies schließt ein, dass Resilienz sich im Laufe des Lebens eines Menschen verändert – abhängig von den Erfahrungen und bewältigten Ereignissen (Opp / Fingerle 2008, Rutter 2000, Scheithauer et al. 2000).

Resilienz ist damit auch eine „variable Größe“ (Wustmann 2016, 30) und keine stabile Einheit, die immerwährende Unverwundbarkeit (→ Invulnerabilität) verspricht. So kann es sein, dass Kinder zu einem Zeitpunkt ihres Lebens resilient sind, zu anderen Zeitpunkten mit anderen Risikolagen jedoch Schwierigkeiten haben, die Belastungen zu bewältigen.

Um der entwicklungspsychologischen Perspektive gerecht zu werden, formuliert Welter-Enderlin folgende Definition:


„Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (Welter-Enderlin 2012, 13).

Diese Definition macht deutlich, dass die → Ressourcen nicht nur auf der individuellen Ebene Bedeutung erlangen, sondern dass vor allem auch soziale Schutzfaktoren, wie. z. B. die Bindung an eine stabile emotionale Bezugsperson, einen bedeutenden Stellenwert für eine gesunde Entwicklung haben. Gabriel (2005) warnt deshalb davor, fehlende Resilienz als ein individuelles Charakterdefizit zu interpretieren, sondern verdeutlicht den Einfluss und die Relevanz von Erziehung, Bildung und Familie sowie von sozialen Netzwerken auf die Ausbildung von Resilienz.

Lösel und Bender (2007) plädieren dafür, Resilienz nicht anhand zu enger Kriterien zu definieren, sondern verweisen auf verschiedene Studienergebnisse, die zeigen, dass ein Faktor in unterschiedlichen Situationen verschiedene Auswirkungen haben kann. Als Beispiel wird eine überdurchschnittliche Intelligenz genannt, die zum einen hilft, planvoller zu handeln, Situationen schneller zu erfassen und Strategien entwickeln zu können; zum anderen nehmen intelligente Menschen ihre Umwelt differenzierter wahr und reagieren dadurch sensibler auf Stress (Lösel / Bender 2008, 60).

Resilienz ist also als Fähigkeit nicht „automatisch“ über den gesamten Lebenslauf stabil; sie ist auch nicht auf alle Lebensbereiche eines Menschen übertragbar. Kinder, die in einem Bereich, z. B. in der Schule kompetent sind, können trotzdem Schwierigkeiten haben, Beziehungen einzugehen und sich als sozial wenig kompetent erweisen.

Man betrachtet Resilienz deshalb nicht mehr als universell und allgemeingültig, wie das zu Beginn der Resilienzforschung (Ende der 1970er Jahre) der Fall war, sondern eher im Sinne von situationsspezifischen Ausformungen. Teilweise wird sogar von „bereichsspezifischen Resilienzen“ (Petermann / Schmidt 2006, 121) gesprochen, wie z. B. soziale Resilienz oder emotionale Resilienz.

Da sehr viele Faktoren – sowohl biologische, psychologische als auch psychosoziale – eine Rolle spielen, ist Resilienz immer multidimensional zu betrachten.


Im Mittelpunkt der Resilienzforschung steht

▪„Die positive, gesunde Entwicklung trotz andauerndem, hohen Risikostatus (wie chronische Armut, psychische Erkrankungen der Eltern usw.)

▪Die beständige Kompetenz unter akuten Stressbedingungen (wie z. B. Trennung / Scheidung der Eltern)

▪Die positive bzw. schnelle Erholung von traumatischen Ereignissen (z. B. Trennung / Tod naher Bezugspersonen, sexueller Missbrauch)“ (Wustmann 2016, 19).

Wird Resilienz sehr eng definiert, wird die positive Bewältigung vor allem auf dem Hintergrund der Risikosituation bewertet. Resilienz liegt also nur dann vor, wenn eine Hochrisikosituation besser bewältigt wird als erwartet bzw. erwartbar ist (vgl. aktuelle Diskussionen in Opp / Fingerle 2008; Zander 2011). In einer weiter gefassten Definition wird Resilienz als eine Kompetenz verstanden, die sich aus verschiedenen Einzelfähigkeiten zusammensetzt (vgl. z. B. Fröhlich-Gildhoff / Rönnau-Böse 2012). Diese Kompetenzen sind nicht nur relevant für Krisensituationen, sondern auch notwendig, um z. B. Entwicklungsaufgaben und weniger kritische Alltagssituationen zu bewältigen. Die Einzelkompetenzen entwickeln sich in verschiedensten Situationen, werden unter Belastung aktiviert und manifestieren sich dann als Resilienz.

Es geht bei Resilienz somit in erster Linie nicht nur um die Feststellung von Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung und die „Abwesenheit psychischer Störungen“, sondern vor allem um den „Erwerb bzw. Erhalt altersangemessener Fähigkeiten und Kompetenzen“ und die „erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben“ (Wustmann 2016, 20). Entwicklungsaufgaben bestehen i. S. von Havighurst (1948) in jeder Altersstufe; in der frühen Kindheit sind dies z. B. die Sprachentwicklung, die Entwicklung von Autonomie oder auch der Übergang von der Familie in den Kindergarten. Bewältigt ein Kind diese Anforderungen erfolgreich, entwickeln sich Kompetenzen und Fähigkeiten und das Kind lernt, dass Veränderungen und Stresssituationen nicht bedrohlich, sondern bewältigbare Herausforderungen sind (Wustmann 2016, 20). Was unter erfolgreicher Bewältigung verstanden wird und was eine altersentsprechende Entwicklung beinhaltet, kann wiederum sehr unterschiedlich sein und, wie anfangs beschrieben, können auch hierfür externale (z. B. Schulleistungen) und internale Kriterien (z. B. das subjektive Befinden) herangezogen werden. Eine differenzierte Operationalisierung dieser Konstrukte steht noch aus und wird derzeit kontrovers diskutiert (Bengel et al. 2009, Holtmann / Schmidt 2004, Alvord / Grados 2005, Fingerle / Grumm 2012).

Die Resilienzforschung ist ressourcen- und nicht defizitorientiert ausgerichtet. Sie geht davon aus, dass Menschen aktive Bewältiger und Mitgestalter ihres Lebens sind und durch soziale Unterstützung und Hilfestellungen die Chance haben, mit den gegebenen Situationen erfolgreich umzugehen und ihnen nicht nur hilflos ausgeliefert zu sein.

Es geht dabei nicht darum, die Schwierigkeiten und Probleme zu ignorieren, sondern die Kompetenzen und → Ressourcen eines Kindes zu nutzen, damit es besser mit Risikosituationen umzugehen lernt. Dieser Ansatz beinhaltet die große Chance für die Pädagogik, insbesondere der ersten Lebensjahre und der Frühförderung, aber auch für die klinische Psychologie und Kinderpsychotherapie, ressourcen- und bewältigungsorientierte Kompetenzen bei Kindern frühzeitig und gezielt zu unterstützen und die Ergebnisse der Resilienzforschung für sich zu nutzen.

Darüber hinaus kann ein weiterer Aspekt diskutiert werden, der in der Literatur bisher wenig Beachtung findet: Die starke Fokussierung auf Stärken, Schutzfaktoren und Ressourcen kann den Eindruck erwecken, dass negative Gefühle, wie z. B. Angst, Trauer, Schmerz, aber auch Dysfunktionalität, weniger Berechtigung erhalten. Die mit dem Resilienzkonzept verknüpfte Aufforderung, die Ressourcen und Kompetenzen von Menschen wahrzunehmen, führt in den letzten Jahren vor allem in der Praxis wieder zu einer Verengung des Konzepts, d. h. Schwierigkeiten und negative Gefühle dürfen „weniger sein“. Wer nicht gleich mitschwimmt auf der positiven Welle und sich seine positiven Seiten und Ressourcen vor Augen führt, wird dazu gedrängt. Es wird dabei vergessen, dass auch eine resiliente Entwicklung sehr anstrengend ist, mit Schmerz und Trauer verbunden sein kann und viel Kraft benötigt. Die Bewältigung der verschiedenen Belastungen mag aufgrund verschiedenster Schutzfaktoren gelingen – der Weg dahin wird dadurch aber nicht zwangsläufig einfacher für die Betroffenen.


Das Konstrukt Resilienz ist ein dynamischer oder kompensatorischer Prozess positiver Anpassung bei ungünstigen Entwicklungsbedingungen und dem Auftreten von Belastungsfaktoren. Charakteristisch für Resilienz sind außerdem ihre variable Größe, das situationspezifische Auftreten und die damit verbundene Multidimensionalität.


Einen sehr gut verständlichen und umfassenden Überblick über den Stand der Forschung zu Resilienz gibt Wustmann (2016): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern.

Eine detaillierte Betrachtung von Resilienz nehmen Opp / Fingerle (2008) vor: Was Kinder stärkt. Neben Grundlagen der Resilienzforschung und kritischer Reflexion des Begriffs, werden themenspezifische Zusammenhänge mit sozialen Arbeitsfeldern verknüpft.

Resilienzforschung und relevante Studien

Die Resilienzforschung entwickelte sich aus der → Entwicklungspsychopathologie, die vor allem in den 1970er Jahren die Risikoeinflüsse auf die Entwicklung von Kindern untersuchte. Dabei wurde der Blick mehr und mehr auf die Kinder gerichtet, die sich trotz schwierigster Bedingungen sehr gut entwickelten, d. h. Beziehungen eingehen konnten, eine optimistische Lebenseinstellung hatten, in der Schule gut zurecht kamen usw. Eine systematische Resilienzforschung begann dann Ende der 1970er Jahre in Großbritannien und Nordamerika (Rutter 1979, Garmezy 1984, Werner / Smith 1982) und wurde Ende der 1980er Jahre auch in Deutschland zu einem festen Bestandteil der Forschung.

Beeinflusst wurde der → Perspektiven- oder sogar Paradigmenwechsel – also der Blickwechsel von der Pathologie auf die Resilienz – von den Studien des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky, der den Begriff der → Salutogenese prägte. Wie die Resilienzforschung legt das Salutogenesekonzept den Schwerpunkt auf die → Ressourcen und Schutzfaktoren von Menschen und fragt danach, was Menschen hilft, schwierige Bedingungen erfolgreich zu bewältigen. In beiden Konzepten wird davon ausgegangen, dass der Mensch Ressourcen zur Verfügung hat, die ihm helfen mit diesen Bedingungen umzugehen. Anstatt Risiken und krankmachende Einflüsse zu bekämpfen, sollen Ressourcen gestärkt werden, um den Menschen gegen Risiken widerstandsfähig zu machen. Dabei wird in der Resilienzforschung das von Antonovsky (1997) benannte Gefühl der → Kohärenz als eine personelle Ressource gesehen. Das Kohärenzgefühl setzt sich aus drei wesentlichen Komponenten zusammen: (1) dem Gefühl der Verstehbarkeit von Situationen und Ereignissen („sense of comprehensibility), (2) dem Gefühl der Handhabbarkeit („sense of managability“), also dem Gefühl, schwierige Situationen meistern zu können und ihnen nicht ausgeliefert zu sein, und (3) dem Gefühl der Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“) von erlebten Situationen. Somit sind die Kernannahmen und Fragestellungen beider Konzepte ähnlich, es werden aber verschiedene Akzente gesetzt. So legt die Salutogenese den Schwerpunkt auf Schutzfaktoren zur Erhaltung der Gesundheit, die Resilienzforschung konzentriert sich mehr auf den Prozess der positiven Anpassung und Bewältigung. Der Resilienzansatz ist darüber hinaus stärker methodenorientiert (Bengel et al. 2001). Insgesamt lässt sich der Resilienzansatz in das Salutogenesemodell integrieren, und er kann es sinnvoll ergänzen.

Bengel et al. (2009) unterteilen die Entwicklung der Resilienzforschung nach einem Vorschlag von O’Dougherty Wright und Masten (2006) in drei Phasen:

▪„1. Phase: Identifikation der Schlüsselkonzepte und allgemeiner Schutzfaktoren“ (Empirische Grundlage) – Hier steht die Definition der Dimension von Resilienz im Mittelpunkt, d. h. die Frage, welche Kriterien eine Rolle spielen sowie die Identifikation von Schutzfaktoren allgemein.

▪„2. Phase: Kontextfaktoren und Prozessorientierung“ (Komplexität des Konstrukts) – Prozesse und Wirkmechanismen werden untersucht.

▪„3. Phase: Maßnahmen zur Förderung von Resilienz“ (Prävention und Intervention) – resilienzförderliche Maßnahmen werden entwickelt (Bengel et al. 2009, 15 – 17).

Diese Phasen überlappen sich zeitlich, laufen teilweise nebeneinander her und dauern weiterhin an. Da aber unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden, ist eine Aufteilung in die drei Phasen eine sinnvolle Strukturierung.

Inzwischen wird auch von einer vierten Phase der Resilienzforschung gesprochen (Bengel/Lyssenko 2012). Im Mittelpunkt steht hier die Entwicklung von Mehrebenenmodellen in der Erforschung der Einflussfaktoren. Dabei spielen sowohl psychosoziale Aspekte als auch neurobiologische und Gen-Umwelt-Interaktionen eine Rolle. Diese Mehrperspektivität erfordert eine hohe Interdisziplinarität der Forschungsbereiche.

Insgesamt wurden seit dem Beginn der Resilienzforschung 19 Längsschnittstudien in den USA, Europa, Australien und Neuseeland durchgeführt (Werner 2006). Die bekanntesten Studien der Resilienzforschung sind:

▪Kauai-Studie (Werner / Smith 1982, 2001)

▪Isle-of-Wight-Studie (Rutter 1987)

In Deutschland:

▪Die Mannheimer Risikokinderstudie (Laucht et al. 2000)

▪Die Bielefelder → Invulnerabilitätsstudie (Lösel / Bender 2008)

Nachfolgend wird näher auf die Kauai-Studie eingegangen, da sie als die „Pionierstudie“ der Resilienzforschung gilt. Außerdem sollen die beiden deutschen Studien näher betrachtet werden, die für die Resilienzforschung in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt haben.

Die Kauai-Studie: Als Pionierin der Resilienzforschung wird die Amerikanerin Emmy Werner gesehen, die mit der Forschergruppe um Ruth S. Smith den gesamten Geburtsjahrgang 1955 der hawaiianischen Insel Kauai über mehrere Jahrzehnte hinweg begleitete. Die Kauai-Längsschnittstudie von Werner und Smith ist die bekannteste und auch älteste Studie zur Untersuchung der Resilienz. Über 40 Jahre hinweg wurden 698 Menschen beobachtet, interviewt und Daten über ihre Lebens- und Gesundheitssituation erhoben. Ein Drittel dieser Stichprobe lebte mit einer hohen Risikobelastung, wie z. B. chronischer Armut, psychischen Erkrankungen der Eltern oder familiärer Disharmonie. Bei wiederum einem Drittel dieser Risikogruppe stellten Werner und Smith fest, dass diese sich trotzdem gut entwickelten und nicht – wie zwei Drittel der anderen Kinder dieser Gruppe – Verhaltensauffälligkeiten zeigten (Werner 2000). Die Probanden, die sich also als resilient erwiesen, konnten z. B. Beziehungen eingehen, waren optimistisch, fanden eine Arbeit, die sie erfüllte usw. Verglichen mit den anderen Probanden, die unter denselben schwierigen Bedingungen aufwuchsen, konnten bei ihnen im Alter von 40 Jahren eine geringere Todesrate, weniger chronische Gesundheitsprobleme und weniger Scheidungen festgestellt werden (Wustmann 2016). Im Gegenteil zeigten sie auf den verschiedensten Ebenen protektive Faktoren, wie z. B. eine emotionale Bezugsperson, einen stabilen Familienzusammenhalt, hohe Sozialkompetenzen und positive Selbstwirksamkeitserwartungen. Mit protektiv oder schützend sind in diesem Zusammenhang Prozesse und Faktoren gemeint, die den Kindern und später den Erwachsenen helfen, sich trotz der schwierigen Bedingungen positiv zu entwickeln (siehe Kapitel 2). Diese „Kette schützender Faktoren“ wie sie Werner nannte, interagieren miteinander und verstärken sich gegenseitig (Bengel et al. 2009).

Ähnliche Studien wurden dann auch in Deutschland durchgeführt. Zu den bekanntesten gehören die Mannheimer-Risikokinderstudie von Laucht und Mitarbeitern und die Bielefelder → Invulnerabilitätsstudie von Lösel und Mitarbeitern. Auch diese beiden Studien waren Längsschnittstudien, d. h., sie erstreckten sich über einen sehr langen Zeitraum und konnten verschiedene Entwicklungsstadien erfassen.

Die Mannheimer-Risikokinder-Studie: Die Mannheimer-Risikokinderstudie wollte herausfinden, wie sich Kinder mit unterschiedlichen Risikobelastungen entwickeln und welche möglicherweise protektiven (schützenden) Faktoren es gibt, um die Belastungen zu kompensieren. In der Studie wurden 362 Kinder, die zwischen 1986 und 1988 geboren wurden, jeweils im Alter von drei Monaten, 2, 4, 5, 8 und 11 Jahren untersucht. Die Ergebnisse konnten die Aussagen von Werner bestätigen und darüber hinaus deutlich machen, welche Risiken vor allem dazu beitragen, die Entwicklung von Kindern zu beeinträchtigen. Damit lag der Schwerpunkt dieser Studie nicht primär auf den Schutzfaktoren für die Entwicklung; die Autoren konnten aber beschreiben, welche Prozesse eine Rolle bei der gesunden Entwicklung von Kindern spielen.

Die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie: Die Bielefelder → Invulnerabilitätsstudie wollte dagegen explizit die seelische Widerstandskraft, also Resilienz von Kindern, die ein hohes Entwicklungsrisiko tragen, untersuchen und dabei speziell erfassen, welche Schutzfaktoren außerhalb der Familie zu einer resilienten Entwicklung beitragen können (Lösel et al. 1990). Sie ist damit die erste deutsche Resilienzstudie. Die Stichprobe der Studie setzte sich aus 146 Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren zusammen, die alle in Heimen aufwuchsen. Dabei wurden die Jugendlichen auf der Basis von Fallkonferenzen, Erzieherberichten, Selbsteinschätzungen der Jugendlichen und einem Risikoindex in zwei Vergleichsgruppen eingeteilt. Mit einem Risikoindex können Risikofaktoren erhoben werden. In diesem Fall wurden 70 Items zugrunde gelegt, die zum einen „objektive“ Faktoren erhoben, wie z. B. schlechte Wohnverhältnisse, Trennung / Scheidung der Eltern, Armut usw., zum anderen aber auch subjektive Faktoren wie erlebte Elternkonflikte, Alkoholprobleme etc. (Lösel / Bender 2008, 58).

In der einen Gruppe waren die 66 Jugendlichen, die aufgrund der oben beschriebenen Verfahren als resilient eingestuft wurden, in der anderen Gruppe waren 80 Jugendliche aus denselben Heimen, die eine gleichartige Risikobelastung aufwiesen, aber im Gegensatz zur resilienten Stichprobe starke Verhaltensauffälligkeiten zeigten (Lösel / Bender 2008, 58).

Die Jugendlichen beider Gruppen wurden interviewt und anhand von Fragebögen befragt. Dabei wurden vier Merkmalskomplexe erfasst: die biografische Belastung, Störung des Verhaltens und Erlebens sowie personale und soziale → Ressourcen (Homfeldt / Maag 2004, 417).

Und obwohl diese Studie in einem anderen Kulturkreis durchgeführt wurde und sich auf eine spezifische (Hochrisiko-)Gruppe beschränkte, kam sie zu ähnlichen Ergebnissen wie die Untersuchung von Emmy Werner auf der Insel Kauai: Die als resilient eingestuften Jugendlichen zeigten während der Studienlaufzeit eine Reihe von protektiven Faktoren wie z. B. eine realistische Zukunftsperspektive, ein positives Selbstwertgefühl oder eine hohe Leistungsmotivation. Auffallend war auch, dass sie bedeutend öfter eine feste Bezugsperson außerhalb ihrer Familie hatten, bessere Beziehungen in der Schule eingehen konnten und auch zufriedener mit der erhaltenen sozialen Unterstützung waren. Ob ein Jugendlicher über die Zeit der Untersuchung hinweg stabil resilient oder verhaltensauffällig blieb, hing vor allem auch damit zusammen, wie die Studienteilnehmer das Erziehungsklima in den Heimen erlebten, das im besten Fall → autoritativ, d. h. durch Empathie und Grenzsetzung, gekennzeichnet war, im schlechtesten Fall eher autoritär und restriktiv war (Lösel / Bender 2008).

Die Ergebnisse dieser Grundlagenstudien verifizieren sich auch in neueren Studien, die spezifische Erkenntnisse in verschiedenen Bereichen erheben. So zeigte eine Metastudie einen signifikanten Zusammenhang zwischen Resilienz und psychischer Gesundheit bei körperlich Erkrankten (Färber / Rosendahl 2018). Eine andere Studie konnte nachweisen, dass sich prosoziales Verhalten, emotionale Kompetenz und Freizeitaktivitäten positiv auf die Entwicklung von Resilienz bei Jugendlichen auswirken (Karpinski et al. 2017). Darüber hinaus werden vermehrt Studien aus dem neurowissenschaftlichen Bereich initiiert. Nationale Beispiele dafür sind das „Mainzer Resilienzprojekt“ oder die „Gutenberg Brain Study“ (Deutsches Resilienzzentrum Mainz 2017), international z. B. die „Marine Resiliency Study“ (US Department of Veterans Affairs Health Services Research and Development 2018; dazu insgesamt Kunzler et al. 2018 und Lindert et al. 2018).

Wie wesentlich Resilienz für die Entwicklung von Kindern mit sozioökonomischer Benachteiligung ist, hat eine Sonderauswertung der OECD PISA Daten ergeben. Hier zeigte sich, dass personale Resilienz – gefördert durch ein „positives Schulklima“, eine „offene Kommunikation“ sowie „vertrauensvolle Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen und Projekte, die die Selbstwirksamkeit unterstützen“ – eine verbesserte Schul- und Anpassungsleistungen von Jugendlichen trotz ungünstiger Startschwierigkeiten zur Folge hat (OECD / Vodafone Stiftung 2018).

Diese Studien zeigen, dass sich in unterschiedlichsten Regionen und in verschiedenen Problemfeldern,

„ein Kernbereich von Merkmalen ergibt, die für die seelisch gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam sind [und] … für relativ breit wirksame protektive Faktoren sprechen“ (Lösel / Bender 2007, 59).

Im nächsten Kapitel soll näher auf diese Faktoren eingegangen, aber auch eine Verknüpfung zum Risikofaktorenmodell hergestellt werden.


Genauere Informationen über die einzelnen Studien, findet man bei den jeweiligen Autoren, z. B.

▪Werner (2008b): Entwicklung zwischen Risiko und Resilienz.

▪Lösel et al. (1990): Psychische Gesundheit trotz Risikobelastung in der Kindheit: Untersuchungen zur → Invulnerabilität.

▪Laucht et al. (1999): Was wird aus Risikokindern? Ergebnisse der Mannheimer Längsschnittstudie im Überblick.

Eine tabellarische Übersicht über die von Werner (2006) identifizierten 19 Längsschnittstudien, geben Bengel et al. (2009).

Rönnau-Böse (2013) wertete insgesamt 20 Studien zu Schutzfaktoren sowie vier Reviews aus; die Ergebnisse finden sich in diesem Buch auf S. 41ff.

Resilienz über die Lebensspanne

Die Resilienzforschung, aber auch die Konzepte zur Resilienzförderung, haben sich viele Jahre auf die Entwicklungsphasen der Kindheit und Jugend beschränkt. Erst in neuerer Zeit haben Bengel und Lyssenko (2012) Studien zu „Schutzfaktoren im Erwachsenenalter“ zusammengefasst. Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff (2015) haben systematisch die „Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne“ und entsprechende Konzepte beschrieben.


▪Bengel, J., Lyssenko, L. (2012): Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter.

▪Rönnau-Böse, M., Fröhlich-Gildhoff, K. (2015): Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne.

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