Читать книгу Himbeerdrops und Dynamit - Maj Bylock - Страница 6
Der Schatz des Riesen
Оглавление»Stacheldraht«, schimpfte Papa, »so was müßte verboten sein! Jetzt ist schon wieder eine Kuh daran hängengeblieben und hat sich das Euter aufgerissen. Ich muß hinfahren und es zusammennähen.«
Das kam häufig vor. Die Weiden waren überwiegend mit scharfem Stacheldraht eingezäunt. Zwar lernten die Tiere, nicht allzu nahe hinzugehen. Doch manchmal vergaßen sie, vorsichtig zu sein, und dann trugen sie schlimme Wunden davon.
Aber wahrscheinlich dachte Papa nicht nur an die Tiere, als er sich über den Stacheldraht aufregte. Stacheldraht war nämlich auch etwas, das zum Krieg gehörte. An vielen Stellen der schwedischen Grenzen gab es hohe Stacheldrahtzäune, damit der Feind nicht so leicht ins Land eindringen konnte.
So oft wie möglich begleitete ich Papa auf seinen Krankenbesuchen. Ich konnte ihm sogar ganz gut helfen. Als Papa diesmal zum Auto kam, stand ich schon bereit.
Die Sonne stach herab, es war heiß. Ich kurbelte ein Fenster herunter. Schade, daß es noch nicht richtig Sommer war. Dann könnte ich jetzt im Meer herumplanschen.
Die Kuh, die am Euter verletzt war, stand im Stall und ließ ihren schweren Kopf hängen. Das aufgerissene Euter tat bestimmt weh. Und vielleicht fühlte sie sich auch einsam. Die anderen Tiere waren ja alle draußen auf der Weide.
Ich durfte die blanke Schale halten, in der Papas Instrumente lagen. In der Schale waren lauwarmes Wasser, Watte, Nadeln und eine gekrümmte Schere. Papa konnte mindestens so gut nähen wie Mama.
Inzwischen spürte die Kuh nichts mehr. Sie war betäubt.
»Bald bist du wieder draußen auf der Wiese«, tröstete Papa sie und kraulte ihr braunes Ohr. »Jetzt habe ich deine Wunde nämlich vernäht. Es ist wunderschön geworden.«
Rasch raus zum Auto! Der Motor brummte los. Ich nahm an, daß wir jetzt nach Hause fahren würden.
Aber Papa hatte eine wunderbare Eigenschaft: Er bekam ziemlich oft Lust auf Süßigkeiten. Als wir an einem Laden vorbeikamen, bremste er, daß der Staub nur so hochwirbelte. Eine Wolke, weiß wie Weizenmehl, schwebte um das Auto.
So ein Pech! Die Tür des Ladens war verschlossen. Dann können wir ja gar nichts Gutes kaufen, dachte ich enttäuscht.
Aber Papa sagte, das spiele keine Rolle. An der Wand hing nämlich ein Schild, auf dem stand: Nehmen Sie, was Sie brauchen. Legen Sie das Geld in den Korb.
Im Korb lag der Türschlüssel, wir brauchten also bloß aufzuschließen und einzutreten.
Wir kauften Himbeerdrops, weil das meine Lieblingsbonbons waren. Papa zog Lakritzstangen vor, doch davon gab es keine mehr.
Papa wollte offensichtlich richtig feiern. Er bog nämlich auf den Weg ein, der zum Meer führte. Blank und glitzernd lag es vor uns. Der Weg zum Strand war fast schmaler als das Auto. Das Gras in der Mitte streifte raschelnd gegen den Boden des Autos. Aber wir kamen an unser Ziel, und das war die Hauptsache.
Schließlich mußten wir vor einem Gatter anhalten. Wir stiegen aus und kletterten hinüber. Auf der Strandwiese weideten Schafe. Sie blökten und guckten uns erstaunt an. Zum Glück interessierten sie sich nur fürs Gras. Selbst der Widder, der sonst so angriffslustig war, wandte seine gekrümmten Hörner in eine andere Richtung.
Erwartungsvoll sah ich Papa an.
»Jetzt ist es soweit!« schrie er. Die Jacke flog in die Luft, die Schuhe folgten. Gleich darauf wateten wir vorsichtig ins Meer. Hier gab es zwar keine Stacheldrahtzäune, aber dafür ragten an mehreren Stellen große Steine aus dem Wasser. Wir hoben die Füße so hoch wie möglich. Mutig versuchten wir so zu tun, als würde uns die Eiseskälte nichts ausmachen.
Mama verbot uns, vor Mittsommer im Meer zu baden. Wenn man vorher bade, werde man krank, behauptete sie. Aber Papa und ich waren uns einig, daß man früher anfangen mußte, weil der Sommer so schrecklich kurz war.
Während wir uns von der Sonne trocknen ließen, zeigte Papa auf einen Berg im Süden. Hoburgen hieß der Berg. Der oberste Felsblock erinnerte an einen Riesenkopf.
Der Kopf war das einzige, was man vom Hoburgs-Alten sehen konnte, dem Riesen, der im Bergesinneren wohnte.
»Hab ich dir schon mal die Sage von dem Riesen erzählt?« fragte Papa.
»Nein«, log ich und füllte den Mund mit Himbeerdrops.
Und obwohl er die Geschichte schon mindestens achtmal erzählt hatte, begann Papa ein weiteres Mal.
»Du weißt, daß der Hoburgs-Alte sehr reich war. Und er hortete seine Reichtümer. Die armen Bauern, die hier in der Gegend lebten, fürchteten ihn, denn es war nicht einfach, mit dem Riesen auszukommen.
Eines Tages kam auf einem der Höfe ein kleiner Junge zur Welt. Die Eltern luden die Nachbarn zur Taufe ein.
›Und was machen wir mit dem Hoburgs-Alten?‹ fragte der Bauer.
›Wenn der kommt, ißt er uns alles weg‹, seufzte seine Frau. ›Und wenn wir ihn nicht einladen, wird er böse.‹
›Überlaßt das mir‹, sagte der Knecht.
Daraufhin zog der Knecht seine Sonntagskleider an, begab sich zum Berg und hämmerte an die Pforte.
Als der Riese öffnete, machte der Knecht eine tiefe Verbeugung und sagte: ›Mein Herr hat mich gebeten, dich herzlich zur Taufe einzuladen.‹
Der Riese freute sich, wollte aber wissen, wer außer ihm noch eingeladen sei.
›Der heilige Michael und der heilige Petrus‹, antwortete der Knecht.
Da wurde der Riese blaß. Michael und Petrus waren immerhin Heilige. Und alles, was mit Gott zu tun hat, macht jenen Angst, die Böses im Sinn haben.
›Ich glaube, ich schicke lieber ein Taufgeschenk‹, sagte der Alte schließlich und häufte ein paar Hände voll Silbermünzen in einen Sack. ›Ob das wohl genügt?‹
›Ich kenne welche, die haben mehr gegeben‹, log der Knecht.
›Nun, als der Schlechteste will ich auch nicht dastehen‹, brummte der Riese und füllte fast den ganzen Sack mit Goldmünzen.
Der Knecht verneigte sich höflich und schleppte den Sack zu seinem Bauern nach Hause. Und das war doch wirklich ein schönes Taufgeschenk!« schloß Papa.
Ich sah die Sonne auf die große Nase des Hoburgs-Alten scheinen. »Glaubst du, daß er immer noch seine Schätze hütet?« fragte ich.
»Bestimmt.« Papa lachte. »Versuch ihm doch bei Gelegenheit ein paar Goldstücke abzuluchsen. Aber lieber nicht jetzt, wir müssen nämlich schleunigst nach Hause.«
Wir gaben uns fest die Hand darauf, Mama mit keiner Silbe etwas von unserem verfrühten Bad zu verraten. Und ich versprach mir gleichzeitig selbst, den Schatz des Alten irgendwie an mich zu bringen.