Читать книгу Tödliche Aussicht auf Festanstellung - Mala Dewa - Страница 6
2 – Die erste Begegnung
ОглавлениеSo, nun ist also bekannt, wieso Maya vor sich hin gammelte, eine schwarze Liste führte und irgendwie den Spaß am Leben verloren hatte. Dennoch hat sie es an diesem speziellen Samstag Morgen irgendwie in die Küche geschafft und sich einen Kaffee zubereitet. Kaffee war mittlerweile ihr Grundnahrungsmittel geworden. Kaffee und Kekse. Doch im Gegensatz zu der Zeit im Teenageralter, während der sie unfassbar zugelegt hatte, selbst ein seitlicher Blick auf Schokolade reichte, konnte ihr dieses Mal die ungesunde Ernährung nichts anhaben. Sie sah aus wie immer.
Abgesehen natürlich vom eingebildeten dreifachen Doppelkinn.
Während sie an ihrem Kaffee schlürfte, begann sie damit, sich immer wieder umzusehen. Sie schien etwas zu suchen. Aber weit und breit war nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Sie suchte auch nicht nach etwas sichtbarem, also zumindest nicht vorrangig.
Sie suchte nach der Quelle des unfassbar ekelerregenden Gestanks, der sich mehr und mehr in der Wohnung breit machte. Sie schob den Barhocker zur Seite und fing bei der Spüle an. Meistens befand sich der Ursprung hier oder in dem Mülleimer darunter. Alte Bananenschalen, halb volle Dosen mit Kidneybohnen, die dir fröhlich entgegen winkten. Aber nichts. Auch Blumentöpfe und Kühlschrank kamen als Täter nicht in Frage. Irgendwann fing sie damit an, an sich selber herum zuschnüffeln. Sie zog eine Haarsträhne aus ihrem Zopf und roch daran. Zupfte an ihrem Shirt und wachelte mit den Armen. Nun, so unwahrscheinlich war es auch nicht, dass sie es selber gewesen sein könnte. Es war Ende Mai und äußerst warm. Wie am 19. März.
Und zu dieser Zeit legte Maya nicht aaallzu großen Wert auf Körperpflege. Nicht, dass sie nicht duschen würde. Bei kuschligen 29°C stieg auch sie hin und wieder unter den kühlenden Wasserstrahl. Sah man sie sich aber genauer an, hatte man doch irgendwie das Bedürfnis ihr einen Euro und ein belegtes Brot zu zustecken.
Ihre Haare hatte sie wirr zu einem Dutt hoch gesteckt und zusammen gezwirbelt. Dabei rede ich nicht von diesem überaus stylischen Ding, dass sämtliche Paris Hiltons und sonstige Starlets durch die Gegend tragen. Sondern von einem Haargebilde das man trägt, weil einem nichts anderes mehr übrig bleibt. Die Haare hatten sich so sehr an diese Position gewöhnt, dass sie schon ohne Gummiband zusammen hielten… gut nicht wirklich, aber so sah es zumindest aus.
Zusätzlich zu dieser Herberge für diverse Mikroorganismen auf Mayas Kopf, gesellte sich ein überaus müder Gesichtsausdruck. Man sagt doch, die Augen sind der Spiegel zur Seele. Mayas Augen war müde. Kein Glanz, nur grenzenlose Trauer.
Klamottentechnisch war sie auch recht schlicht unterwegs. Kurze Shorts, Tanktop, Unterwäsche. Tagesoutfit für die Wohnung. Unioutfit: längere Shorts, Tanktop, Tasche. Mit viel Glück wechselte sie auch schon mal das Shirt, bevor sie außer Haus ging. Aber nur mit wirklich viel Glück.
Maya hatte einfach die Freude am Leben verloren. Sie machte nichts mehr aus sich, war sie zuvor doch sehr modebewusst gewesen und hatte sich auch gern zu Recht gemacht. Und das sollte in naher Zukunft auch wieder der Fall sein – nur wusste sie das noch nicht.
Denn als Maya weiterhin dem Gestank nachging, kam sie, wie eigentlich tagtäglich, am großen Spiegel in der Diele vorbei. Aber dieses Mal blieb sie einfach stehen und betrachtete sich eingehend. Und es dauerte auch nur einen Augenblick bis sie ins Badezimmer rauschte, ausgiebig ihre Haare wusch, nach etlicher Zeit auch wieder einen Einwegrasierer benutzte und sich in frische Klamotten warf. Woher dieser plötzliche Wandel rauschte, wusste sie zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht. Sie schob es auf eine Art „Erleuchtung“. Klingt auch besser als zugeben zu müssen, dass man doch ein wenig von außen beeinflusst worden ist.
Frisch zurecht gemacht – mit dem Ergebnis zufrieden – und nun was anstellen? Freizeit hatte sie schlussendlich genug. Die Diplomarbeit war geschrieben, Prüfung bestanden, der Sommer konnte kommen. Und bestimmt würde es auch ihre Mama ungemein freuen, wenn sie sich wieder unter Leute begab.
Ihr hatte sie es auch nicht gerade leicht gemacht, in den letzten Wochen. Kaum gegessen, kaum gesprochen. Aber ihre Mama hatte Verständnis dafür. Sie versuchte so gut es ging für ihre Tochter da zu sein. Natürlich hatte sie Maya immer wieder ermutigt doch aus dem Haus zugehen und sich mit Freunden zu treffen. Aber sie hatte auch respektiert, dass sie das schon tun wird, wenn die Zeit reif dafür war.
„Das wird Mama bestimmt freuen“, murmelte Maya in sich hinein und freute sich jetzt schon auf das Gesicht eben jener, wenn sie erfährt, dass sie draußen war. Aber wohin sollte es überhaupt gehen? Sie entschloss sich dazu, es langsam angehen zu lassen und beschränkte ihren Ausflug auf den nahe gelegenen Park. Dort gab es einen Brunnen, in den man schön die Füße hinein hängen und sich gleichzeitig hinlegen konnte. Dann schien einem die Sonne auf den Bauch, das kühle Nass hielt die Schweißausbrüche in Grenzen und man konnte bedenkenlos die Gedanken schweifen lassen.
„Ein guter Plan“, beschloss Maya, packte ihre längst verstaubte Tasche zusammen und verließ die Wohnung zum ersten Mal nicht für kleinere Einkäufe oder um auf die Uni zu fahren, sondern um etwas für sich selbst zu tun.
Der Park war wunderschön. Wie immer um diese Jahreszeit. Die Bäume standen in voller Blüte, wohl etwas zu früh, aber bei dem Wetter kein Wunder. Der Eingang bestand aus einem großen gusseisernen Bogen, mit vielen Schnörkeln. Die Türen waren, wenn der Park geöffnet hatte, offen und mit dicken Eisenhaken festgemacht. Direkt dahinter fing eine kleine Allee an, gesäumt von Kirschblütenbäumen, die von zartem rosa bis kräftigem pink leuchteten. Maya liebte es darunter durch zu schlendern und hin und wieder von einer zarten Blüte gestreift zu werden auf ihrem Weg Richtung Erde. Der Anblick dieser Allee verzauberte sie jedes Mal auf's neue. Die bereits tief stehende Sonne bahnte sich ihren Weg hindurch, gemeinsam schufen Licht und Schatten eine atemberaubende Stimmung, als wäre man in einer anderen Dimension. Langsam schritt sie hindurch, blickte hinauf in die Baumkronen und lachte vor sich hin, vor lauter Kitsch. Nach der Allee begann der eigentliche Park. Der Weg teilte sich noch einmal, vor einem lag eine runde Grünfläche, gesäumt von Blumenbeeten und Bänken, die zum Verweilen einluden. Nahm man den linken Weg, kam man zu einer recht großen Wiese, die man auch betreten durfte. Mit Picknickdecke und Proviant konnte man dort den ganzen Tag verbringen. Bog man jedoch rechts ab, kam man in eine Art Labyrinth, bestehend aus diesen riesigen Hecken. Kunstvoll waren sie zugeschnitten zu gleichmäßigen Quadern und säumten den Weg Richtung Brunnen. Zwischendurch gab es kleine Nischen. Vielleicht waren die einmal als Versteck gedacht oder einfach nur zum Rasten. Maya jedenfalls kannte eine Nische, die nur sehr wenigen Leuten bekannt war. Den Zugang sah man auch kaum. Nur wenn man wusste, wo man zu suchen hatte, war der Eingang unverkennbar. Denn an einer Stelle gab es einen kleinen Spalt in der Hecke. Für viele sah es wohl wie ein Schönheitsfehler aus, aber Maya wusste, dass sich dahinter der schönste Ort der Welt verbarg. Vorsichtig drückte Maya die Hecke zur Seite und quetschte sich durch die kleine Öffnung, die dabei entstand. Als Kind war das noch deutlich leichter gewesen. Endlich durch, blieb sie erst einmal stehen und sah sich um. Kaum zu glauben, dass wirklich noch niemand diesen Fleck entdeckt hatte. Maya stand vor einem quadratischen Platz, der in der Mitte eine große Fläche hatte, rundherum von der riesigen Hecke begrenzt. In der Mitte der Fläche war ein kleiner Brunnen, der auch tatsächlich funktionierte. Also musste irgendwer davon wissen oder gewusst haben und eine Wasserleitung gelegt, aber das Wissen niemals preisgegeben haben.
Der Brunnen war nicht tief, er diente nämlich unsagbar vielen, kleinen Vögeln als Bad, was ein Anblick war, den Maya jedes Mal aufs neue genoss. Den kleinen Spatzen dabei zuzusehen, wie sich ausgiebig und genüsslich ein Bad genehmigten. Rund um den Brunnen war eine kleine Wiese, alles in allem war der geheime Platz vielleicht 30 Quadratmeter klein und dennoch so groß für Maya. Seitdem sie und Inca denken konnten, kamen sie hier her. Sie hatten ihn eines Tages durch Zufall entdeckt, als sie gespielt hatten und Inca durch die Hecke fiel. Auf einmal war ihre Freundin verschwunden, denn Maya hatte den Spalt zuerst nicht bemerkt. Es wurde zu ihrem geheimen Versteck, in dem sie niemand entdecken konnte. An dem nichts Böses passierte und an dem sie sicher waren.
Auch dieses Mal hatte Maya eine Decke mitgebracht, die sie auf der Wiese ausbreitete. Natürlich hatte sie auch an ihre Gäste gedacht und ein paar alte Brotstücke mitgenommen, die sie nun unter den Spatzen verteilte. Sie sah ihnen so gern dabei zu, wie sich um jeden noch so kleinen Krümel stritten, wild dabei herum flogen und lauthals zwitscherten. Entspannt legte sie sich auf ihre Decke, schloss die Augen und genoss jeden Sonnenstrahl auf ihrer Haut. Die vereinzelten Wolken, die über den Himmel zogen spendeten angenehmen Schatten und ließen ihn wie gemalt aussehen. Kurz nachdem Maya es sich bequem gemacht hatte, kam er wieder. Und dieses Mal etwas penetranter als vorhin in der Küche. Sie runzelte ihre Stirn und rümpfte die Nase. Unfassbar.
Sie hatte sich doch geduscht, also konnte es wirklich nicht an ihr liegen. Auch die Decke war gewaschen. Woher kam dieser unerträgliche Geruch? Widerwillig öffnete sie ihre Augen, blieb jedoch ungerührt liegen. Sie verfolgte die Schäfchenwolken mit ihren Blicken, bewegte sich aber weiterhin nicht. Sie hoffte darauf, dass der Gestank erneut einfach verschwinden würde. Was aber, wenn er weitere Menschen anlockte? Und diese somit auf ihr Versteck aufmerksam gemacht werden. Also setzte sie sich nun doch auf, stützte sich mit ihren Armen ab. Aber weder links noch rechts von sich konnte sie irgendetwas entdecken, das diesen Geruch verursachen hätte können. Genau in dem Moment, in dem sich Maya wieder hinlegen wollte, hörte sie ein Rascheln. Etwas erschrocken und erstaunt drehte sie sich zum Eingang ihres Verstecks, wirbelte aber sofort bei einem weiteren Geräusch herum und – dort sah sie ihn zum ersten Mal stehen. Er sah sie einfach nur an und stand dort im Eck unter einem Baum. Er sah nicht furchterregend aus, machte keinen bedrohlichen Eindruck, ganz im Gegenteil. Er war eine äußerst gepflegte Erscheinung, sein Bart war gestutzt, seine Fingernägel sauber, kein Ehering am Finger, eine goldene Uhr zierte sein Handgelenk, ungefähr 50 Jahre alt, das Haar grau meliert.
Seine Augenfarbe konnte Maya nicht erkennen. Sie schien sich mit jedem Lidschlag zu ändern und sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Warum grinste sie? Weil er grinste? Und es einfach ansteckend war?
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sich Maya wieder gefangen und setzte sich auf.
„Hallo.“
„Guten Tag.“
Verlegen wippte sie auf und ab und spielte hinter ihrem Rücken mit ihren Fingern.
„Jaaa... hmm... die Frage erscheint Ihnen vielleicht komisch, aber... was genau machen Sie hier? Suchen Sie jemanden?“
„Du hast mich doch gerufen.“
„Aha. Und wann war das genau? Es passiert mir nämlich hin und wieder, dass ich mich auf mein Handy lege und dann ruft es einfach irgendjemanden an. Einmal, da hab ich aus Versehen den Notruf gewählt, ich habs aber bemerkt und aufgelegt. Da haben die doch tatsächlich zurück gerufen und gedacht, ich wollte sie verarschen und haben mir eine dicke Strafe angedroht, bis ich sie davon überzeugen konnte, dass ich gerade nur ein paar Donuts gegessen und mich dabei eben unabsichtlich auf mein Telefon gesetzt habe... anfangs wollten die mir echt nicht glauben, aber…“
„Gerufen nicht angerufen.“
„Mhm, alles klar. Gerufen also? So wie man seinen Flaschengeist ruft? Oder Geister?“
„So in der Art.“
„Also können Sie Wünsche erfüllen?“
„Nein.“
„Blöd.“
„Ja.“
„Ich hab Sie…“
„Dich, wir können gern per Du sein.“
„Ich hab also DICH gerufen. Wünsche erfüllen kannst du nicht. Wie ein Geist siehst du auch nicht aus. Das einzige, das ich sagen kann ist, dass du stinkst.“
Aber just in diesem Moment fiel ihr auf, das der widerliche Gestank verschwunden war. Äußerst eigenartig.
„Nicht ich stinke, Maya. Jedoch kann ich meistens nicht verhindern, dass ich ein wenig Umgebungsluft mit mir bringe, wenn ich wechsle.“
„Ich hab absolut keinen Schimmer, wovon du sprichst.“
„Dann will ich es dir erklären. Seit einigen Monaten rufst du mich immer und immer wieder. Ich saß an meinem Schreibtisch, versuchte ein paar neue Verträge auszuhandeln. Du riefst nach mir. Ich saß beim Mittagessen. Ich hörte dein Gejammer. Selbst während einem entspannenden Bad konnte ich keine Ruhe von dir finden.“
„Es tut mir wirklich leid, aber ich habe absolut…“
„Ja ja ja, du bist dir keiner Schuld bewusst. Das ist mir klar. Denk aber nur einen Augenblick darüber nach, was du so die letzten Monate getrieben hast.“
Ungläubig sah Maya den eigenartigen Mann an. Er hatte sich mittlerweile zu ihr auf die Decke gesellt, Maya selber konnte sich keinen Millimeter bewegen. Dennoch hatte sie keine Angst. Sie hatte sich bisher auch kein einziges Mal so richtig darüber gewundert, wo dieser Typ auf einmal her kam. Als er sie so unverschämt fragte, was sie denn die letzten Monate so getrieben hatte, wurde sie dann doch ungehalten.
„Was ich so getrieben habe? Nicht viel würde ich sagen. Was du natürlich nicht wissen kannst ist, dass meine beste Freundin gestorben ist und…“
„Inca, ich weiß.“
„Und das war wirklich...und... hä?“
„Du hast herum gejammert. Nichts anderes hast du getan. Tag ein, Tag aus. Und eine überaus reizende Liste geführt, sehr interessant. Ja, auch davon weiß ich. Fein säuberlich notiert, wie viele Menschen auf der Welt wodurch sterben. Selbst in deinen Träumen gibst du an allem, das dir widerfahren ist, mir die Schuld. Und das nervt gewaltig. Glaubst du, ich habe nichts anderes zu tun? Und dann auch diese Zweifel. An allem zweifelst du. Als hätte dein Leben auch aufgehört und nicht Incas. Als hätte nichts mehr einen Sinn. Das macht mich verrückt. Aber - ich habe dich erhört. Du wolltest doch wissen, wieso weshalb warum irgendetwas passiert. Oder wolltest du nur bestätigt haben, dass ja alles ach-so-sinnlos ist? Und ich an allem schuld sei?“
„Ent…entschuldigung? Ich…ich…hä?“
„Sprachlos, hmm?“
Sie nickte stumm.
„Möchtest du nicht wissen, woher ich das alles weiß, Maya? Wer ich bin?“
„Maya…hä? Ja..also…ich bin mir niiiicht so ganz sicher, ob ich es tatsächlich wissen möchte.“
„Ist mir egal. Ich sag’s dir einfach.“
Der fremde Mann war ziemlich nah an Maya heran gerückt, schaute ihr fest in die Augen.
„Ich bin der Tod.“
„Mhm.“
„Der TOOOOOOD.“ Seine Stimme erhob sich und wurde laut – wirkte aber bei dem herrlichen Wetter und den zwitschernden Vögeln wenig bedrohlich.
„Du glaubst mir nicht?“
„Nö. Im Zeitalter von Facebook und Co. ist es gut möglich, dass du einfach nur ein absoluter Spinner bist, der mich gestalkt hat und daher weiß wie ich heiße und auch das von Inca weiß. Ist also nichts Besonderes. Und dieses Versteck hier, falls du mich darauf ansprechen möchtest. Ein richtig guter Stalker würde mich schon seit längerem stalken und somit wahrscheinlich auch von diesem Plätzchen hier wissen. Also, der Tod wüsste noch ganz andere Sachen.“
„Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel, dass ich…haaa, guter Versuch.“
Der vermeintliche Tod grinste Maya an.
„Man kann’s ja mal versuchen. Aber mal ehrlich, was muss ich tun, um dich davon zu überzeugen, dass ich der Tod bin?“
„Bring mir ein Tschisi-Eis mit Löchern.“
„Ein Eis würde dir beweisen, wer ich bin?“
„Naja, es wäre ein Anfang.“
So schnell konnte Maya gar nicht schauen, hatte sie ein Tschisi-Eis in der Hand… mit Löchern.
„Wuuuuhuuuu…“ Sie sah ihn mit riesigen Augen an.
„Ein Tschisi-Eis...“
„Erstaunt, weil es ein Eis ist oder ein TSCHISI-Eis?“
„Weil es Löcher hat.“
„Und es erstaunt dich gar nicht, dass ich dir einfach so ein Eis herbei zaubern kann?“
„Irgendwie schon.“
Maya sah sich ihr Tschisi-Eis an, überlegte einen kurzen Moment und fing dann an, genüsslich daran herum zu schlecken.
„Sag mir, wenn du fertig bist, falls du noch ein paar Fragen hast.“
„Mhm…wobei, ich kann auch zwei Sachen gleichzeitig machen.“
„Hätte ich mir fast nicht gedacht, nach deinem Bewegungsprofil der letzten Monate zu schließen.“
Sie warf ihm einen genervten Blick zu.
„Also, der Tod, ja? Hast du auch einen richtigen Namen?“
Er druckste herum.
„Oder nennen dich deine Freunde auch einfach nur „Tod“? Hey, Tod, what’s up? Stell dir vor sie erzählen jemand anderem, dass ihr im Kino ward. „Ich war mit dem…na wie hieß er? Ja genau, mit dem Tod im Kino.“ Maya kicherte ausgiebig über ihren eigenen Witz.
„Natürlich habe ich einen Namen. Den interessiert aber meistens niemand. Außerdem ist er etwas eigenwillig. Eine Phase meiner Mutter.“
Maya verschluckte sich beinahe und fing stark an zu husten.
„Willst du mich umbringen? Ist DAS jetzt ein Scherz? Deine Mutter?“
„Was glaubst du denn? Dass ich vor Millionen von Jahren auf die Welt gekommen bin und den Job hier mache? Bestimmt nicht. Keiner hält das länger als ein paar hundert Jahre durch. Der Job macht dich doch irre. Diese vielen Toten, die ganze Bürokratie.“
„Mhm…der Job. Wie darf ich mir das denn vorstellen? Wird bei euch der Geschäftsführer gewählt oder was?“
„Nö, ist ein Familienbusiness, seit Generationen schon.“
Nun konnte sich Maya nicht mehr halten. Sie kugelte sich vor lauter Lachen auf dem Boden. „Familienbusiness? Ich lach mich schlapp. Hast du wohl von deinem Paps übernommen, was?“
„Jo.“
„Ne, ernsthaft jetzt?“
„ Klar, ich bin der älteste Sohn, also hab ich es übernommen.“
„Freiwillig?“ „Nicht wirklich. Ist halt ziemlich anstrengend. Viele Reisen, viele verschiedene Sprachen und im Grunde bist du nirgendwo gern gesehen. Außerdem bist du immer der Buhmann.“
„Also ich finde es eigentlich recht nett mit dir. Wobei ich mir sicher bin, dass ich unter Schock stehe. Ich habe mir nämlich immer schon mal vorgestellt wie es wäre, irgendeiner Figur zu begegnen, von der man bisher immer dachte, es würde sie gar nicht geben. Natürlich bin ich in meiner Fantasie immer äußerst cool und betont lässig dabei rüber gekommen, als wäre es auch das normalste der Welt. Aber dass ich es so sehr auf die leichte Schulter nehme, also kein Schockzustand und so, hätte ich nicht gedacht.“
Er nickte.
„Eine Frage hätte ich aber noch.“
„Mein Name?“
„Jup.“
„Winnibald.“
„Hatte deine Mutter etwas gegen dich?“
„Siehst du. Deswegen sag ich den auch nicht so gern. Alle machen sich darüber lustig. Ist auch ein Scheißname…“
„Also Winnie, ich darf doch sicherlich Winnie sagen?“ Er verdrehte nur die Augen.
„Jetzt, wo das mit unseren Namen und Familiengeschichten geklärt wäre, warum genau bist du nun hier? Sicherlich nicht um einen netten Plausch zu halten. Und dass ich hier einfach so tot umfallen werde, kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem müsstest du mich erst einmal fangen und ich bin wahnsinnig schnell.“
Sie sprang auf und hopste von einem Bein auf's andere, die Hände wie ein Boxer in Abwehrstellung.
„Vor allem, woran wäre ich denn dann gestorben? Langeweile? Oder Sonnenstich? Wobei… das wäre schon eine Erklärung. Klar, in der Sonne eingeschlafen, bamm – tot.“
Sie sprang mit einem Satz einen Meter zurück.
„Du willst mich also doch holen?“
„Nö. Ich hab was ganz anderes mit dir vor.“
„Das klingt wieder sehr nach Stalker…“
„Bevor ich dir erkläre, was dich erwarten wird, musst du erfahren, wie es bei uns im Jenseits so zugeht.“
Maya rührte sich keinen Meter.
„Ich kann gut von hier aus zuhören.“
„Es ist so: Es gibt kein Himmel und Hölle. Kein Gut und Böse in dem Sinne. Wer brav war kommt nach oben, wer schlimm war kommt zu mir. Glaub mir, Gott hat ganz andere Dinge zu tun, als tote Menschen zu empfangen und den ganzen lieben Tag mit denen Bridge zu spielen. Er kümmert sich vielmehr um das Wohl der Lebenden. Ich hingehen arbeite mit dem, was von euch Menschen übrig bleibt, wenn ich gestorben seid: Euren Seelen.
Natürlich gibt es verschiedene Plätzchen bei uns. Ein Massenmörder hat es bei uns bei weitem nicht so angenehm wie ein Mensch, der fast ausschließlich ein normales Leben geführt hat. Denn das ein oder andere Geheimnis hat doch jeder von uns. Jedoch leidet niemand bei uns, denn sobald du ins Jenseits über getreten bist, hast du keinerlei Erinnerung an dein altes Leben. Du bist ein unbeschriebenes Blatt und lebst sozusagen ein neues Leben ohne jegliches Zeitgefühl.“
„Also weiß ein Massenmörder nicht, was er getan hat?“
„Ganz genau, somit wird er auch nicht dafür bestraft. Er lebt nur in einem Bereich der, sagen wir einmal, ein etwas beschwerlicheres Leben nach sich zieht – sie werden in eine Art Sibirien geschickt. Arsch kalt, nicht angenehm, Essen muss hart erkämpft werden, kein Fernsehen, keine Unterhaltung. Aber was man so oft im Fernsehen sieht – Der Teufel der seine Gefangenen foltert und sonstige Sachen macht, die mir nicht einmal annähernd in den Sinn kommen würden…alles Schwachsinn. Auch ich hab wahrhaftig besseres zu tun. Gute Menschen hingegen werden mit Dingen belohnt, die sie sich auch in ihrem alten Leben gewünscht haben.“
„Und können sie sich an ihr altes Leben erinnern?“
„Nun, stell dir vor sie wüssten, dass auf der Erde all ihre Lieben warten, trauern und ohne sie weiterleben müssen. Sie würden sie genauso vermissen und zu ihnen wollen und somit niemals glücklich werden. Und genauso ist es auch mit Seelen, die uns hin und wieder entwischen. Sie wandeln auf der Erde, wohl wissend, was sie nun sind und suchen ihre alten Bekannten, Freunde und Verwandten auf. Nicht immer um ihnen Angst zu machen, sondern einfach, um bei ihnen zu sein. Um ihr altes Leben zu leben. Oder aber um einfach nur Schabernack zu treiben.“
„Sie hätten aber keinen Frieden.“
„Genau so ist es.“
„Und die, die euch entwischen? Wie passiert das?“
„Bei uns sieht es nicht anders aus als hier. Man kann im Grunde tun und lassen, was man möchte. Es gibt nur eine einzige Regel: Öffne niemals die grün-blau-gelb gepunktete Tür.“
„Die grün-blau-…“
„gelb“
„…gelb gepunktete Tür? Mysteriöser geht’s nicht? Ist doch ungefähr so, als wenn du einem Kind sagst: Öffne niiiiemals dieses Kinderüberraschungsei. Niiiieeemals. Da kannst du natürlich davon ausgehen, dass es nicht’s anderes mehr im Sinn hat!“
„War ja nicht meine Idee“, entgegnete Winnie etwas beleidigt. „Aber ich muss sagen, dass die meisten diese Tür gar nicht interessiert. Ihnen geht es gut, dort wo sie sind. Sie wollen gar keine Veränderung. Aber dann gibt es diese unruhigen Seelen, im wahrsten Sinne des Wortes, die immer nach etwas neuem suchen. Das liegt in ihrem Charakter, dagegen kann auch der Tod nichts tun.“
„Und wenn sie durch diese Türe gehen?“
„Dann kommen sie ins Diesseits, ihre Erinnerungen sind zurück und sie können tun und lassen was sie wollen. Problematisch ist, dass es oft die gleichen sind, die ausbüxen. Einmal Ausreißer – immer Ausreißer. Charaktersache eben. Wenn wir sie wieder eingefangen haben, dann haben sie natürlich wieder alles vergessen, aber es zieht sie immer wieder zu dieser Tür.“
„Und wo komme ich ins Spiel?“
„Nun, die Seelen wissen im Diesseits genau wer sie waren, wo sie gelebt haben und woran sie gestorben sind. Sie wissen noch viel mehr. Ist sozusagen ein „Geisterbonus“. Vor ein paar Stunden hat sich gleich eine ganze Reisegruppe auf den Weg gemacht, sie haben sich jedoch getrennt. Soweit ich weiß sind auch ein paar der üblichen Verdächtigen mit von der Partie. Und du sollst sie finden.“
„Ich soll mich also auf so eine Art Schnitzeljagd begeben, deine Seelen einfangen und sie dir zurück bringen?“
„Das ist ein Nebenaspekt. Aber du wirst einiges über diese Menschen erfahren. Über ihr Leben, ihren Tod und über dich selbst. Du sollst DEIN Leben schätzen und erfahren, dass dein Glück nicht unbedingt nur von anderen abhängig sein sollte.“
„Ooooh, ich soll also etwas daraus lernen?“
„Wenn du dazu bereit bist?“
Zweifelnd sah Maya Winnie an. Was war hier gerade eben passiert? Eben noch genoss sie ein paar Sonnenstrahlen, schon saß der Tod namens Winnibald direkt vor ihr und erzählte ihr eine Story von ausgebüxten Seelen, die sie zurück holen sollte. Und dabei „noch etwas lernen wird“. Den letzten Satz dachte sie sich mit Winnies Stimme und ahmte seine ernste Miene dabei nach. Natürlich, was er so zu erzählen hatte klang schon plausibel…so plausibel es eben klingen konnte. Die ganzen Erzählungen von vergessenen Erinnerungen, neuen Leben und einem Jenseits-Sibirien. Sollte sie dem ganzen nun Glauben schenken? Was war mit dem Tschisi-Eis?
„Ach Scheiß drauf, ist zwar alles total irre, was du mir hier erzählt hast, aber ich bin dabei. Was sollte ich auch sonst tun? Studium fertig, kein Bock auf diese Stadt. Wann soll’s denn los gehen?“
„Wann immer du Zeit hast.“
„Und wie erkläre ich das meinen Eltern?“
„Da hätte ich schon eine Idee…“