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Briefe – Liebesleid und Liebesfreud´

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Anfang 1987 war ich dann fast am Ende meiner psychischen Kräfte. Auch körperlich ging es mir nicht mehr gut, obwohl ich nach wie vor hart trainierte. Rannte und rannte, rannte Kilometer um Kilometer. Rannte neben oder weg von allen Sorgen? Zuviel? Die „Körner“ waren offensichtlich und deutlich „aufgebraucht“. Mein mich betreuender Arzt, der mir freundschaftlich verbunden war, zog einen energischen Schlussstrich! Er ließ sich auf meine Ausflüchte in Bezug auf Behandlungen und Erholungsmaßnahmen nicht mehr ein. Ließ irgendwelche Beziehungen spielen …

So landete ich Ende Mai in Warmbad/Wolkenstein15 im Erzgebirge. In einem Bergarbeitersanatorium für Wismut-Kumpel16! Ein reiner Zufall? Weiß ich bis heute nicht. Kann ich mir aber heute erklären. Damals war mir das nicht wichtig. Ich kam also nach einem recht traurigen Abschied von Anne ziemlich bedrückt in dem kleinen Kurort an. Die kräftigen urwüchsigen Kumpel, also meine Mit-Kur-Patienten, „begutachteten“ zwei/drei Tage den für ihre Maßstäbe etwas schmalen und schmächtigen Journalisten. Doktor der Philosophie obendrein! Doch fanden schnell unkompliziert zusammen. Dazu trug wesentlich bei, dass ich gut in eine Kumpel-Volleyballmannschaft hineinpasste. Flink im „Ausputzen“ der hinteren Spielfeldhälfte und Genauigkeit im „Stellen“ der Bälle für die Angriffsspieler. Das waren meine Stärken. Ich hatte ja auch über Jahre recht aktiv Volleyball gespielt. War aber für den schlagkräftigen Angriff und die gute Abwehr am Netz zu klein. Folglich spielte ich in der Regel in der zweiten Reihe auf der Position 3 – eben als „Ausputzer“.

Während langer Gespräche zwischen meinen Kurfreunden und mir kam ich zu manch neuer Einsicht über die große Lage in der DDR und über die Lage der kleinen Leute im Lande. Die Gespräche übrigens nicht nur während der Bier-runden. Diese immer mit Lachen und Spaß verknüpft und mit anerkennendem Klopfen auf die Tischplatte, wenn ein guter Witz erzählt oder ein kluger Gedanke in die Diskussion geworfen worden war.

Neben der Kurerei mit vollem Programm schrieb ich und schrieb ich Tag für Tag. Saß in meinem Einzelzimmer Nr. 6 im Pawlow-Haus17. Schrieb mir die Seele aus der Brust und den Kopf frei. Dachte nach und schrieb auf, was mir auf meinen bisherigen Lebensweg gelungen und nicht gelungen war, wie meine Bilanz mit fünfzig Lebensjahren aussah, was mit mir und meinem Land DDR vor sich ging, welche Rolle ich da spielte, wie ich mit meiner neuen Liebe und Lebens-gefährtin unser künftiges Leben gestalten könnte … Ich hielt auch fest, was ich im kleinen „Kurleben“ so beobachtete und erlebte. Nicht zuletzt schrieb ich meine Wanderberichte, streifte ich doch bei jeder Gelegenheit durch die ernst-heitere erzgebirgische Landschaft um die Zschopau. Es entstand ein fast druckreifes Manuskript. Sogar ein Titel für ein Buch hatte ich mir schon einfallen lassen.


Ob ich in der Noch-DDR dafür einen Verlag gefunden hätte? Ich hatte es nicht probiert. Andere Sorgen und Notwendigkeiten drängten auf den Herbst 89 hin.

Einen später entstandenen Plan verwirklichte ich dann ebenfalls nicht mehr. Ich hatte 2001/2002 mit folgendem Gedanken gespielt: Zwanzig Jahre nach deinen Warmbader Kurtagen, also 2007, fährst du wieder dorthin. Parallel genau zu den Daten deines 87er Aufenthaltes. Dann vollziehst du Datum für Datum und Seite für Seite das nach, was du damals dachtest, erlebtest und aufgeschrieben hattest. Zu-gleich schreibst du auf, was du während deiner zweiten Warmbader Kur denkst und erlebst. Dann stellst du beide Darstellungen nebeneinander und vergleichst die Ergebnisse deines zwiefachen Nachdenkens zu den unterschiedlichen Zeitpunkten deines Lebens. Dadurch zu einem Resümee kommend, was dir dieser Lebensnerv-Einschnitt 1989 gebracht hatte oder eben nicht. Keine schlechte Idee!

Habe ich leider, leider auch nicht geschafft, mich an solch ein Vorhaben heranzuwagen. Anderes stand auf der Tagesordnung. Schade, denke ich 33 Jahre nach meinen Kurtagen mit den Wismut Kumpel. Einen Verlag hätte ich für dieses Buchprojekt ganz sicher gefunden. Das vorliegende Buch über meine LebensLiebe und andere haben ja auch einen wirklich guten verlegerischen Betreuer erhalten!

Zu Warmbad 1987 schrieb ich nicht nur an meinem Tagebuch. Auch für meine LebensLiebste Anne war ich sehr schreibfleißig. So flogen Liebesbriefe zwischen Berlin und dem kleinen erzgebirgischen Ort an der Zschopau hin und her. Sie fanden die gewünschten Lese-Augen.

Liebesbrief altmodisch? Für mich sind sie nicht alt- und auch nicht neumodisch. Sympathie und gar Liebe wird heute fast ausschließlich mit den flinken spitzen Fingern auf das Smartphone getippt. Nur aus wenigen Worten bestehend und als Höhenpunkt der Gefühlsäußerung diese mit einem oder mehreren Smileys ergänzt. Wenn Liebesbriefe nicht zu jeder Zeit und nicht in jedem Jahrhundert geschrieben worden wären, was wäre da für ein Verlust entstanden! In der Epik, in der Lyrik und in der Dramatik! Am größten wäre aber der Verlust für die gelebte Liebe geworden. Ich formuliere bewusst etwas kategorisch: Liebe muss um der Liebenden willen ausgesprochen und auch aufgeschrieben werden!

Als ich nach ihrem endgültigen Abschied über meine LebensLiebe Anne nachdachte und schrieb, las ich nach langer Zeit wieder unsere Warmbader Briefe. Las über unsere Liebesfreud´ und über unser Liebesleid und über unser Zueinander-Finden. Dies in sehr, sehr schwierigen gesellschaftlichen Zeiten, aus denen wir uns ja nicht abkoppeln konnten und wollten. An vielen Stellen musste ich lächeln, und manchmal stiegen mir die Tränen in die Augen. Fragte ich mich auch, ob ich die Leser an meiner Freude und an meinem Schmerz, den ich einst und auch noch heute empfinde, teilnehmen lassen sollte, indem ich sie mitlesen lasse. Wenigstens auszugsweise. Entschied ich mich dafür. Stellte ich aber nicht die schönsten Stellen aus allen Briefen zusammen. Griff ich in den Stapel unserer Liebesbriefe aus dieser Zeit, zog nach dem Zufallsprinzip zwei Briefe heraus, einen von meiner Liebsten und einen von mir.

Anne Berlin, 16. Juni 1987, abends

Du! Malte, du bist es immer noch!

Habe deine Tagebuchnotizen und deinen Brief vom 11. Juni gelesen. Ich beneide dich um die Gespräche mit deinem Arzt. Da kann man ausholen, so richtig aus der Tiefe, und hat danach das Gefühl, dass einem geholfen wurde. So ginge es jedenfalls mir.

Warum fühle ich mich aber bei den von dir zitierten Sätzen so persönlich angesprochen, fast angegriffen und schuldig? Ich will das nicht! Und doch kommt es so! Es ist wie ein Schuldkomplex! Das macht mich noch ängstlicher und unsicherer! Wie kann ich ein Selbstwertgefühl bekommen, wenn ich finde, dass ich selbst wertlos bin? Meine Pflicht und Schuldigkeit gegenüber meinen Kindern habe ich getan! Das ist es nicht, was mir fehlt … ach, ich weiß es nicht!

Sei nicht böse, ich bin wieder mal blöd!

Du sollst aber wissen, dass mir dein Brief doch

Hoffnung macht, dass du mir und uns Zeit gibst.

Ja, ich verstehe das, was du geschrieben hast, und ich akzeptiere das auch, weil es auch meine Wünsche und Gedanken sind. Nur kann ich sie nicht so gut aufschreiben und so gut aussprechen wie du. Mein Minderwertigkeitskomplex – deine Klugheit. Dabei mag ich klugen Männer sehr. Aber wenn es ernst wird, dann merke ich, dass mir so vieles fehlt und dass ich nicht weiterkann. Das ist es! Mir fehlen dann die Worte, ich krieg sie nicht auf die Zunge, kann sie aber selbst in mir hören. Das ist doch dumm, ich meine Dummheit/doof sein!

Nun fälltt mir doch noch ein, was ich dir erzählen sollte. Etwas Schönes und zugleich Trauriges.

Heute nachmitttag fuhr ich zu deinem Papa ins Krankenhaus. Auf dem Wege zu ihm sind mir die Tränen gerollt. Ich glaube vor Glück! Ich hatte damit begonnen, deinen Brief zu lesen. All meine Gefühle für dich waren plötzlich so groß. Und es drängte mich fast zu deinem Vater.

Ich wollte dann mit ihm spazieren gehen, holte also im Krankenhaus diesen ollen Rollstuhl aus der Abstellkammer. Und stell dir vor: Während ich unterwegs war, hat er seine Blase über das

Handwaschbecken entleert.

Ich war platt über diese Raffinesse und habe ein bisschen geschimpft. Und er? Er hat gegrient!

Die Spazierfahrt im Park war recht anstrengend.

Regen und Wind, und ich bekam auch noch meinen hässlichen Heuschnupfen. Als wir ins Zimmer zurückkamen, hat doch Papas Zimmerkollege geweint. Ich habe ihn umarmt, getröstet und Mut gemacht. Dann war ihm besser. Aber dann fing Papa an zu weinen. Er war eifersüchtig geworden. Also umärmelte und tröstete ich auch ihn. Diese Männer! Nun mache ich Schluss mit diesem Brief!

Mir fehlt deine Zärtlichkeit! Anne

Malte Warmbad, 21. Juni 1987, 21:45

Liebe Anne,

irgendwie liege ich hier ein bisschen krumm im Bett, liege krumm im Bett herum. Im Radio spielen sie gerade passend die „Kleine Nachtmusik“. Bevor ich zum Schlafen komme, will ich dir noch einen Brief schreiben. Ob meiner schrägen Lage wird meine Schrift noch schlechter zu lesen sein als sonst. Aber damit hast du ja als meine langjährige Sekretärin Erfahrung. Manche meiner Notizen konntest du im Nachhinein besser als ich lesen.

Anne, ich habe heute Nachmittag deinen Brief vom 16. Juni bekommen. Heute Vormittag schrieb ich dir noch in meinem Antwortbrief, dass ich mit dir nicht gern „zeitverschoben“ sprechen möchte. Aber jetzt möchte ich trotzdem auf deinen Brief antworten – nur wenige Gedanken.

Pfingsten wäre für dich nicht schön gewesen, schreibt du mir. Ist mir völlig klar! Trotzdem bin ich traurig, mitleidig, auch böse, dass du dich so sehr hängen lässt, wie ich es aus deinen Zeilen herausgelesen habe. Siehst du denn die Schuld für unsere Probleme nur bei dir? Ziehst du dich jetzt wieder auf deine Kinder zurück? „Ich habe jetzt wieder meine Kinder, meine Wohnung“, schreibst du. …

Das stimmt alles, und stimmt auch wieder nicht! Deine Kinder haben doch ihr eigenes Leben, ihr eigenes selbständiges Leben schon begonnen. Lass sie doch jetzt laufen! Kümmere dich um deinen Jüngsten! Das muss noch sein! Aber die anderen sind weg! Ordne sie dort in dein Leben ein, wo sie jetzt hingehören! Du hast ihnen gegeben, was du konntest. Sie gehen so oder so ihren Weg.

Was jetzt für dich kommt, das ist dein Leben! Diese Tatsache musst du in deine Regeln bringen.

Zu diesem neuen Leben gehöre jetzt ich. Will ich dazugehören. So haben wir das ja beide für uns entschieden. Und so wie du bisher deine Kinder, deine Arbeit, deine Art zu leben in dein Leben eingeordnet hast … so fällt es dir schwer, jetzt mich dort einzuordnen. Ich bin nicht eines deiner Kinder, und ich bin nicht eines deiner bisherigen Lebensprobleme! Da ist mit mir etwas völlig Neues für dich hinzugekommen …

Anne, Liebes, was ich nach wie vor nicht verstehe, das ist dein Minderwertigkeitsgefühl. Das begreife ich nicht! Nach wie vor nicht! Soll ich wieder aufzählen, was du in deinem bisherigen Leben geleistet hast, was du erreicht hast? Worauf du alles verzichten musstest? Worauf du auch stolz sein kannst?

Was redest du dir auch mit deinem Aussehen ein?

Du hättest oder hast zum Beispiel Gedankenprobleme wegen deines angeblich zu kleinen Busen.

Anne, was bist du da dumm! Was macht denn eine Frau aus? Das brauche ich dir doch nicht erklären! Was lässt du dich von meiner Bildung – Annchen, Halbbildung! – so beeindrucken? Verstehe ich nicht! Verstehe ich nicht! Warum wirst du plötzlich eifersüchtig, wenn ich mit anderen spreche, „kluge Reden“ führen kann? Lächele doch über die

„Gockelei“, die da manchmal bei mir durchbricht!

Da kannst mit Selbstbewusstsein und aus guten

Gründen souveräner sein!

Anne, ich merke doch auch im Kurbetrieb, wie wichtig es ist, mit anderen Menschen sprechen zu können. Ich sehe doch aber auch, wie verklemmt oder gar stur manche Leute sind. Sie kommen nicht aus sich heraus.

Auch in diesem Zusammenhang noch ein wenig zu mir, Annchen! Eine meiner Schwierigkeiten ist mir hier in Warmbad deutlicher geworden: Ich bin durch die langjährige Überbelastung psychisch völlig verspannt. Ich bin durch die familiären

Probleme in den zurückliegenden Jahren fast völlig ausgebrannt! Das liegt aber fast alles vor unserer Zeit. Ich kann fast überhaupt nicht mehr „locker“ sein. Ich lachte ja fast überhaupt nicht mehr!

Und hier habe ich wieder ein wenig den Spaß gefunden. Kann auch wieder mehr Spaß machen! So wie früher – bis in meine vierziger Jahre hinein.

Diese kleine Veränderung verdanke ich auch den Wismut-Männern. Das sind Kerle!

Die Kurleute hier schätzen mich als einen freundlichen Menschen. Und ich mache, ihnen zur kleinen Freude, zunehmend meinen Ulk. Dann ziehe ich mich wieder völlig zurück in das Wandern, in die Sauna, in das Schreiben …

Dieser Wechsel bekommt mir!

Jetzt gegen Mitternacht im Radio gleich die Nachrichten. Will ich noch hören!

Dann: schlafen, schlafen!

Komm, lass dich streicheln!

Und lächele wieder – mit mir! Vergiss es nicht: Als erstes habe ich mich in dein Lächeln verliebt!

Gute Nacht!

Malte

PS Ich bin dir sehr, sehr dankbar dafür,

dass du dich trotz aller Belastungen so

liebevoll um meinen Vater kümmerst!

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Anne LebensLiebe

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