Читать книгу NÄCHSTER HALT: UNSTOPPABLE - Malte Stöckert - Страница 7

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DIE SITUATION – DIE HÖLLE – ALLES HAT KONSEQUENZEN

Situationen, die Sie sicher nicht kennen

Unser Tun hat immer Konsequenzen. Im Positiven soll meine Handlung etwas auslösen und ich tue das bewusst. Beispielweise pflanze ich im Frühjahr Blumenzwiebeln ein, weil ich im späteren Verlauf des Jahres mich und meine Umwelt erfreuen möchte mit den schönen, blühenden Blumen.

Genauso hat aber auch das Nichtstun Konsequenzen. Da wir jahrzehntelang weggeschaut haben, wenn es um das Thema Plastik ging, haben wir nun die Konsequenz, dass es einen riesigen Berg von Plastikmüll gibt, der auf dem Ozean vor sich hintreibt. Keiner hört die Wahrheit so gerne, wenn es um Konsequenzen geht, die negative Auswirkungen haben.

Unternehmen verschwinden vom Markt, weil sie die negativen Konsequenzen ihrer Handlungen oder Ausrichtungen nicht verkraften können. Nehmen wir das Beispiel Nokia und die Handyherstellung. Bevor Nokia sich komplett aus dem Geschäft der Handyherstellung zurückgezogen hat, haben sie angenommen, dass sich Smartphones niemals durchsetzen würden. Sie mussten die Konsequenz ihrer Fehleinschätzung bezahlen und existieren nicht mehr auf dem Markt.

Jeder Mensch weiß, dass er mit Sport und guter Ernährung dem Altern vorbeugen und ein besseres Leben im hohen Alter genießen kann. Dennoch gibt es Millionen von Menschen, die rauchen, sich von Fast Food ernähren und nur sehr unregelmäßig Sport machen. Sie werden die Konsequenzen ihres Nichtstuns tragen müssen und somit im Alter leiden.

Der Versuch von Boing, bei der Abnahme durch die Behörde zu tricksen, wird nicht nur tausende Jobs gekostet haben, sondern hat hunderte Menschenleben gekostet. Alles hat eben Konsequenzen.

Ich habe schon viele Projekte erlebt, bei denen der Projektleiter sich schlicht nicht getraut hat auszusprechen, dass die vorgegebene Zeit oder die eingesetzten Ressourcen nicht reichen werden. Das ist aber sein Job, er hat diesen Job ja gerne angenommen. Erstaunliche 60 % aller Projektleiter glauben nicht mal an den Erfolg des Projekts. Die Konsequenz ist, dass das Projekt das gewünschte Ergebnis nicht erzielen wird.

Es gibt viele Beispiele aus der Automobilindustrie, wo die verspätete Fertigstellung der Produktentwicklung zu erheblichen Auswirkungen geführt hat. Es gibt unzählige Spritzgusswerkzeuge, die nie zum Einsatz gekommen sind, weil sie technisch nicht funktionieren konnten oder weil der Chefdesigner kurz vor dem Produktionsstart nochmals seine Meinung geändert hat und alle Bemühungen damit zunichte gemacht hat, das Produkt in der gewünschten Zeit und mit der gewünschten Qualität auf den Markt zu bringen.

Es existieren Hallen voll Sitzgarnituren für die Automobilindustrie, die niemals in Autos eingebaut wurden, weil sie qualitative Mängel aufwiesen. Die Konsequenz einer laschen Qualitätspolitik oder nicht stringenter Einhaltung von Designregeln. Vielleicht alles nicht so schlimm, wenn es sich nur um Material handeln würde, aber es ist ja auch Arbeitszeit hineingeflossen und die Ledergarnituren waren ursprünglich Teile von lebenden Wesen.

Denken wir mal an die Erstellung von Budgets und sagen wir, der Manager hat nach bestem Wissen und Gewissen sein Budget aufgestellt und erklärt, dass es mit weniger Personal nicht möglich sein wird, die Aufgaben seiner Abteilung zu erfüllen. Und dann hört er, dass er die Kosten nochmals um x Prozent kürzen soll. Welche Konsequenzen wird das für den Manager haben? Wenn er clever ist, dann wird er seine Kosten vor der nächsten Budgetrunde höher rechnen und sich einen Puffer nehmen. Auf jeden Fall muss er schon hier Energie hineinstecken, bevor er überhaupt etwas umsetzen konnte. Er wird die Erstellung des Budgets als Last empfinden, denn er beginnt zu begreifen, dass er unter diesen Umständen sowieso nicht die Leistung aus seiner Abteilung herausholen kann, die er für sinnvoll erachten würde. Die Konsequenz ist, dass dieser Manager nur noch mäßig motiviert ist, die Interessen der Firmenleitung umzusetzen. Er beginnt über einen Jobwechsel nachzudenken.

Viele Projekte durfte ich erleben, bei denen das Budget schlicht zu gering angesetzt war und obwohl dies jedem bekannt war und es auch klar dargestellt wurde, wird am Ende des Projektes so getan, als sei das überraschend. Dann wird mit Mehraufwand die Situation halbwegs bereinigt. Die Kosten sind dann aber meist viel höher, als wenn man zu Beginn richtig kalkuliert hätte.

Es gibt Beispiele, wo Cent-Produkte Menschenleben gekostet haben, weil Menschen zu gierig waren, einen angemessenen Betrag für ein lebensnotwendiges Produkt auszugeben. Wenn ein Neugeborenes vom Nabel getrennt wird, dann muss die Nabelschnur abgeklemmt werden. Das geschieht mit ganz einfachen Klammern. Malen wir uns aus was passiert, wenn diese Klammer nicht die erforderliche Schließkraft aufbringt und das Blut nicht stoppen wird. Die Krankenschwester verlässt sich aber darauf, weil sie schon hundertmal bei der Entbindung dabei war. Alles hat Konsequenzen.

Sicherlich haben die allermeisten tagtäglichen Aufgaben, die wir so zu erfüllen haben, nicht DIESE Art von Konsequenzen, aber es macht sicherlich Sinn darüber nachzudenken, WIE ich den Job erfülle, für den ich mich entschieden habe. Lasse ich mich leiten von wahrhaft hohen Werten oder geht es mir nur um Pflichterfüllung und ich hoffe, niemand schaut genau hin, dann kann ich auch mal etwas unter den Tisch fallen lassen.

Die Hölle mit der internen Brille betrachtet

Der Manager, der das mittlere Management vertritt, der also die Werte des Unternehmens an sein Team weitergeben soll und gleichzeitig dafür sorgen muss, dass „der Laden läuft“, hat sich bewusst für den Job entschieden. In seinem Inneren drängt es ihn dazu, der Welt etwas zu geben. Er spürt, dass er noch Anleitung braucht und ist getrieben von seinem Ehrgeiz, etwas für seine Familie und für sich selber erreichen zu wollen. Dieser Mensch ist von Idealen geprägt, die er in seiner Jugend aufgenommen hat und die er durch sein Studium getragen hat. Er will die Welt verändern, weil es das ist, was ihn antreibt.

Er trifft am ersten Arbeitstag auf die Fülle der Aufgaben und ist zunächst erschlagen davon.

Am zweiten Tag trifft er auf Mitarbeiter seines Teams, die die Illusion verloren haben, etwas ändern zu können und erstmalig fragt er sich: Wie kann das eigentlich sein. War das im Vorstellungsgespräch nicht anders? Hat sich das nicht alles anders, viel besser angehört? Geht es der Firma nicht darum, das Beste für die Kunden und für die Mitarbeiter gestalten zu wollen?

Am dritten Tag trifft er auf seine „Peers“, also auf Manager, die andere Abteilungen vertreten, die aber komplett andere Ziele zu verfolgen scheinen, als die, die die Firma auf ihrer Homepage propagiert und die auch im Vorstellungsgespräch postuliert wurden? Die erste Begegnung ist nicht konfrontativ, sondern fühlt sich merkwürdig an, weil die Peers ihm viel Glück wünschen im neuen Job und er ahnt, dass das nicht vollkommen aufrichtig gemeint ist. Warum wird plötzlich in Frage gestellt, dass die Wünsche des Kunden zu respektieren sind? Warum dreht sich plötzlich alles nur noch um Kosten? Wie soll er bloß seinem Team klarmachen, dass er von den hehren Zielen wohl abweichen muss, die er noch gestern versprochen hat? Verwirrt geht er nach Hause.

Am vierten Tag nimmt er wahr, dass nicht in allen Bereichen so agiert wird, wie er es für optimal hält, und er zweifelt zum ersten Mal, ob er sich für das Richtige entschieden hat. Aber heute ist noch nicht der Tag für ein Resümee und so geht er auch am fünften Tag in die Firma.

Freitage, so stellt er schon jetzt fest, sind in dieser Organisation nicht ganz so ruppig. Er hat Zeit, die ersten Eindrücke zu sammeln und ihm wird bewusst, dass sehr viel Arbeit vor ihm liegt.

Immer noch euphorisiert von den Anfängen genießt er das Wochenende mit den Freunden und der Partnerin, weil er sich wohl für das beste Unternehmen entschieden hat, für das man sich entscheiden kann.

Die nächst Woche verläuft ruhig und er gewöhnt sich langsam ein. Nicht in jedem Meeting (und es sind verdammt viele Meetings, die er zu besuchen hat) geht er auf Konfrontation, sondern hält sich hier und da auch mal zurück, weil das wohl so opportun ist. Er spürt, dass das für die Erfüllung des Jobs richtig ist, aber für die Durchsetzung seiner Ziele und die Auffassung über die Werte, die er vertritt, von denen er gedacht hat, dass sie auch vom Unternehmen vertreten würden, bringt ihm das nur große Fragezeichen.

In der dritten Woche beginnt er mit einem Masterplan, wie er seine Abteilung aufstellen will, damit sie die Herausforderungen schafft, die auf sie zukommen. Er freut sich über den Plan, weil er für sich genommen ein geniales Masterpiece ist.

In der vierten Woche macht er sich daran, seinen Plan an sein Team zu vermitteln und er trifft auf die ersten Widerstände. Sein Team scheint nicht zu verstehen, was er will. Er nimmt hier und da so etwas wie Weigerung wahr. Der Eine sagt „das haben wir schon immer so gemacht“ und der Andere zweifelt an seiner Kompetenz. Der Manager spürt, dass er noch sehr viel zu lernen hat und dass er keineswegs angekommen ist. Am Abend und am Wochenende zermartert er sich das Hirn, was er besser machen kann, damit sein Team versteht, was er will. Liegt das denn nicht offen auf der Hand? Er wischt sich gedanklich den Mund ab und denkt sich, es ist besser weiterzumachen.

Chaos und Aufgabenhaufen beim Manager

Mikromanagement und andere Führungsprinzipien. So werden Untergebene werden Verweigerer

Thomas trifft also mit seinem Masterplan auf das Team. Er führt ein multidisziplinäres Team und hat permanent tausend Dinge im Kopf, die während des Produktanlaufs eines neuen Automobils der gehobenen Mittelklasse nun einfach anstehen. Er muss sich beschäftigen mit den logistischen Anforderungen und dafür sorgen, dass die Materialien in richtiger Qualität und zum richtigen Zeitpunkt an den Verbauort kommen. Dafür hat er das Team. Das Team ist jung und unerfahren und kennt sich weder in der Marktumgebung aus, noch haben die Mitglieder gelernt, wie man Druck gegenüber Lieferanten aufbauen kann, die säumige Lieferungen haben oder schlechte Qualität liefern.

In dieser Situation versucht Thomas die Kontrolle zu gewinnen über all die kleinen Aufgaben und sein Mittel der Wahl ist ein großes Board, auf dem alle Aufgaben des Tages geschrieben stehen, den einzelnen Personen zugeordnet sind und mit Terminen und Uhrzeiten versehen sind. Jeden Morgen erwartet er pünktlich um 08:00 Uhr, dass sein Team sich am Board versammelt und gegenüber ihm Rechenschaft ablegt, welche Dinge erledigt werden konnten und welche offengeblieben sind.

Am ersten Morgen steht er vor einem motivierten Team und er spürt, dass diese Mannschaft reif ist etwas zu lernen und nach vorne zu gehen. Sie nehmen interessiert teil an der Diskussion und auch bereitwillig Aufgaben an. Allerdings stellt er schon fest, dass sich die Beteiligten ungerne auf Fertigstellungstermine oder gar Uhrzeiten festlegen lassen möchten. Das gefällt ihm nicht so gut, aber er denkt sich dabei erst mal noch nichts.

Über den Tag bekommt er weitere Aufgaben von den Ansprechpartnern seiner Kunden und auch von Lieferanten zugespielt, die er gerne an die Teammitglieder delegieren will. Daher setzt er für den frühen Nachmittag ein neues Meeting an. Dort will er die Aufgaben verteilen, stößt aber auf erste mürrische Antworten und muss sich anhören, dass die Aufgaben vom Morgen noch nicht gelöst worden wären und dass man doch bitte Zeit einräumen solle, diese zunächst zu lösen, bevor es wieder neue Aufgaben zu bewältigen gäbe.

Am nächsten Morgen erwartet er dann um 08:00 Uhr wieder die Anwesenheit und den Rapport seines Teams. Thomas stellt fest, dass nicht mal 50 % der verteilten Aufgaben erledigt worden sind. Mit dem, was er sich von gestern noch aufgeschrieben hat und was er sich in einer unruhigen Nacht noch alles hat einfallen lassen, türmen sich inzwischen schon die Aufgaben am Board und es beginnt unübersichtlich zu werden.

Am darauffolgenden Morgen sind nicht mehr alle Teammitglieder an der Morgenbesprechung beteiligt und auch die Anwesenden haben bei Weitem nicht alle Aufgaben gelöst.

Thomas ist frustriert. Er hatte doch so einen guten Plan für das Vorgehen und ist auch bis in die Haarspitzen motiviert, die besondere Herausforderung zu meistern. Er versteht einfach nicht, warum die anderen aus seinem Team die Wichtigkeit der Aufgaben einfach nicht begreifen wollen.

Er ändert seinen Ton und verschärft ihn, er wird fordernder gegenüber seinen Teammitgliedern und setzt noch kürzere Fristen, weil er will, dass endlich Dinge erledigt werden.

Am Ende der Woche stellt er fest, dass nur ein Bruchteil von dem, was er sich für sein Team vorgenommen hat, erledigt werden konnte. Thomas sagt sich „was man nicht selber tut …“ und ärgert sich über die schlechte Performance seines Teams. Frustriert geht er in das Wochenende und grübelt weiter darüber nach, wie es dazu kommen konnte.

Am Wochenende macht er sich erneut einen Plan und legt fest, dass er nur noch gezielte Aufgaben verfolgen wird. Immer nur eine Aufgabe zu einer bestimmten Zeit und dann muss er sich eben die Leute dazu holen, die ihm helfen können.

Also macht er das so, konzentriert sich auf eine Aufgabe, spricht bei Bedarf die Teammitglieder ganz individuell an und arbeitet auch mit Druck und Dringlichkeit. Damit scheint er wirklich Erfolg zu haben und es gelingt Thomas, ein paar größere Brocken, die ihn schon lange genervt haben, aus dem Weg zu räumen.

Wenn er Aufgaben von seinen Teammitgliedern zurückgespiegelt bekommt, dann schaut er sich die Ergebnisse genau an und kritisiert, verbessert und korrigiert, wo er nur kann. Thomas denkt, dass das Team dann am schnellsten lernt, was er von ihnen erwartet.

Langsam bekommt er einen Dreh in die Angelegenheit und er freut sich, dass jetzt zumindest ein paar Aufgaben erledigt werden. Akribisch verfolgt er die Aufgaben auch an dem Board und es stellt sich ein gutes Gefühl ein, weil der Haufen an Aufgaben nur noch langsamer wächst, allerdings bemerkt er ebenfalls kritisch, dass doch noch eine Menge Aufgaben zu spät erledigt werden.

Erstmals muss Thomas auch den übergreifenden Projektfortschritt bei seinen Vorgesetzten melden und ihm wird recht schnell deutlich, dass diese mit dem Ergebnis bisher nicht zufrieden sind. Also setzt er sich am Wochenende wieder hin und sortiert die Aufgaben, Zuständigkeiten und Fristen neu und freut sich am Sonntagabend über seinen Plan, den er gleich am Montag mit seinem Team zur Umsetzung bringen will.

Am Montag ist nur die Hälfte der Teammitglieder anwesend und Thomas gefällt das gar nicht. Er hat am Nachmittag ein paar kritische Gespräche zum Thema Anwesenheit mit den fehlenden Teammitgliedern. Am Donnerstag soll er dann erneut gegenüber der Geschäftsführung berichten und je näher der Termin rückt, umso nervöser wird er, weil sein Team die Aufgaben, die er vergeben hat, einfach nicht in der vorgegebenen Zeit abgearbeitet bekommt.

Die Vorstellung am Donnerstag endet dann in einem gefühlten Desaster, weil Thomas‘ Kompetenz von dessen Vorgesetzten in Frage gestellt wird. Es geht vor allem um Fragen nach der Führung des Teams. Vollkommen frustriert verlässt er den Termin und nimmt sich vor, es sich einfach nicht mehr gefallen zu lassen.

Am Freitagmorgen geht er mit sichtlich schlechter Laune auf sein Team zu und konfrontiert es mit den schlechten Ergebnissen, die bis dato erzielt worden sind. ER lässt seinen ganzen Frust raus und bebt geradezu vor Wut. Einzelne Teammitglieder starren ihn ängstlich an und er merkt, dass sie sich zurückziehen. Plötzlich bekommt er Angst. Hat er es übertrieben? Er braucht doch die Zuarbeit vom Team. Ohne das Team wird es gar nicht gehen. Er bricht die Sitzung abrupt ab und zieht sich zurück. Völlig verwirrt läuft er durch die Hallen und weiß nicht, wo ihm der Kopf steht.

Nach dem Mittag kann er sich nochmals aufraffen und er versucht einen Plan zu machen. Der Aufgabenhaufen hat sich inzwischen zu einem schier unüberwindlichen Berg aufgetürmt und es erscheint ihm vollkommen unmöglich, dass er die aufgelisteten Aufgaben in irgendeiner Weise abdecken kann.

Da klopft es an seiner Tür. Er ist schon fast erleichtert über die Unterbrechung, weil er aus seinen fast panischen Gedanken gerissen wird. Vor der Tür stehen Petra und Oliver, die Lieferantenbetreuer, er bittet sie herein. Sie nehmen in aller Ruhe Platz an dem kleinen Besprechungstisch und überreichen ihm dann, beide mit einem diebischen Grinsen im Gesicht, ihre Kündigungen.

Die Sinnhaftigkeit der Aufgabe

Die meisten denken nicht mal bis zum Tellerrand Konsequenz: Keiner weiß, warum er eigentlich irgendwas macht

Thomas fährt vollkommen frustriert nach Hause. Er fragt sich, warum er sich das eigentlich alles antut. Er war doch angetreten, weil er die Aufgabe so reizvoll fand. Er überlegt, dass er sich für den Job entschieden hatte, weil ihn auf der einen Seite die Herausforderung und die Führungsaufgabe gereizt hatten und auf der anderen Seite fand er das Produkt so spannend und hatte sich überlegt, wie das Produkt auch andere fasziniert.

Und jetzt diese Situation. Sein Team löst sich gerade auf, die Aufgaben sind einfach nicht zu schaffen und außerdem fühlt er sich so, als wäre er nicht in der Lage, die Herausforderung zu meistern.

Eigentlich will er nur nach Hause fahren, sich in sein Bett legen und nichts mehr wissen. Da kommt ihm ein Gedanke. Am besten wäre es doch, wenn er sich mit ein paar Freunden auf ein paar Biere trifft und das Ganze einfach mal runterspült. Gut, dass ihm das jetzt einfällt denkt er und ruft seinen Freund Max an. Max ist sofort einverstanden und sie fragen auch noch Tim und Matse, da ist dann der Trupp von früher wieder komplett.

Am Abend ziehen sie gemeinsam um die Häuser und Thomas kann ein wenig Dampf ablassen. Tim, der ihn auf der beruflichen Ebene wohl am besten versteht, beginnt ein Gespräch mit den Worten: „Hey Thomas, das hört sich alles gar nicht gut an, was du so erzählst, dabei warst du doch am Anfang so begeistert und wolltest den Job unbedingt haben.“

Das trifft Thomas direkt ins Herz. Er denkt darüber nach und muss seinem alten Freund zustimmen. So einfach kann er doch nicht aufgeben. Schließlich hat er lange gesucht, bevor er den Job gefunden hat, und er wollte ihn unbedingt haben.

„Du hast recht“, antwortet Thomas, „ich habe mir das echt anders vorgestellt. Aber das ist so viel Arbeit, so viele kleine Aufgaben und dann ist das Team auch noch so unerfahren. Ich habe echt keine Ahnung, wer die ausgesucht hat, aber das kann niemand mit besonders großer Erfahrung gewesen sein. Wenn ich dann noch an die Erwartungshaltung der Führungsebene denke, dann kann ich nur sagen, dass diese voll übertrieben ist.“

„Aber was stört dich wirklich?“, will Tim wissen.

„Ich bin angetreten, weil ich wirklich etwas bewegen will. Weißt du noch, als wir uns als Jugendliche geschworen haben, nur Jobs anzunehmen, in denen wir wirklich etwas bewegen können und in denen wir die Welt verändern können?“ Thomas seufzt und fügt hinzu: „Das war wohl viel zu optimistisch, heute fühle ich mich wie in einem Hamsterrad und es ist auch vollkommen egal, ob ich den Job ausführe oder jemand anderer. Ich habe den Eindruck, dass meine Firma nur will, dass ich deren Interessen durchsetze, am liebsten mit Ellenbogen. Und wenn ich mich dann aufgerieben habe, dann soll ich auch noch Danke sagen für den tollen Job“, fügt er verbittert an.

„Alternativ könntest du doch einfach Karriere machen“, wirft Tim ein.

„Wie meinst du das denn?“, will Thomas wissen.

„Na ja, so wie das andere Manager da draußen eben auch machen. Nach unten treten und nach oben buckeln. Okay, das ist jetzt nicht wirklich das, was wir uns vorgenommen hatten, aber wenn es anders nicht geht, vielleicht ist das die einzige Alternative?“

„Ist das dein Ernst? Bringt man dir das so bei in deiner Firma?“, will Thomas wissen.

„Nein, ich würde nicht sagen, dass es beabsichtigt vermittelt wird“, lenkt Tim ein. „Aber wenn ich an all die Sitzungen denke, in denen es um das Wohl der Untergebenen geht, in denen ich Bewertungen abgeben soll und mich mit Belanglosigkeiten herumschlagen muss …“ Er unterbricht den Satz und fährt dann fort: „… dann fände ich es schon besser, wenn ich einfach durchstarte und meine Klariere mache.“

Thomas ist mit dieser Aussage nicht so richtig zufrieden und meint. „Schau mal, ich bin angetreten, weil ich etwas bewegen wollte, ich will etwas in der Welt hinterlassen. Wenn ich mir das Resultat der letzten Woche in meinem Job anschaue, dann frage ich mich ernsthaft, was ich da eigentlich mache. Das ist sehr weit weg von dem, was ich wollte. Was bewege ich denn schon? Warum sollte ich mich überhaupt einbringen? Das scheint alles keinen Wert zu haben. Dann kann ich es auch gleich lassen und ich werde Sachbearbeiter oder Experte und dann brauche ich auch mein Team nicht mehr zu motivieren, denn dann habe ich einfach kein Team. Vielleicht ist es die bessere Wahl, die Expertenkarriere anzustreben.“

„Tja, wahrscheinlich hast du recht, letztlich geht es doch darum, Geld zu verdienen und möglichst viel Schotter nach Hause zu tragen. Das eigene Haus kaufen, den Urlaub mit der Familie machen und sich ein schönes Hobby zulegen. Das macht glücklich, das erfüllt und damit ist das doch alles ganz einfach erledigt“, meint Tim.

Thomas ist verwirrt und schaut seinen Freund erstaunt an. So etwas aus dem Mund von Tim, dem Vorzeigestudenten und Motivator? Das kann doch gar nicht wahr sein. „Habe ich mich so getäuscht in Tim, ist der wirklich nur auf das Geld verdienen aus?“, fragt sich Thomas im Stillen. Laut spricht er aus: „Womöglich hast du recht, lass uns noch ein Bier nehmen und über etwas Positiveres reden, z. B. Fußball“. Tim lacht ihn an und ist sofort Feuer und Flamme für das neue Thema.

Später am Abend trennen sich die Wege der Freunde und Thomas geht alleine die Straßen in Richtung seiner Wohnung entlang, er ist leicht angetrunken und fragt sich, was er von dem Verlauf des Abends halten soll. Er fühlt sich einsam. Auf jeden Fall fühlt er sich irgendwie nicht richtig verstanden und das macht ihn unruhig. An der „Heidelbeere“, der letzten Kneipe vor seiner Wohnung, hält er kurz inne und denkt sich: „Zu Hause wartet eh keiner auf mich, also kann ich hier noch einen Absacker nehmen.“ An die Hauswand ist ein lilafarbener VW Bus aufgesprüht mit ein paar Boards auf dem Dach. „Wirklich gut gemacht“, findet Thomas das gesprayte Bild. Früher war Thomas häufiger hier und er erinnert sich an ein paar wirklich lustige Abende mit den Freunden und mit einer ganz speziellen Freundin. Schöne Stunden waren das und sie scheinen sehr weit in der Vergangenheit zu liegen. Diese Momente scheinen nicht mehr erreichbar zu sein für Thomas.

Der Barmann, Thomas schätzt, dass er zwischen 45 und 55 Jahre alt ist, lacht ihm zu, als er die Tür öffnet. Das reißt Thomas aus seinen melancholischen Gedanken und er empfindet es als so motivierend, dass er sich sofort an den Tresen setzt und sich ein großes Pils bestellt. Im Hintergrund spielt leichte Musik und das Lokal hat sich schon weitestgehend geleert.

Nach einer Weile kommt der Barmann zu ihm und sagt: „Na, darf es noch ein Whiskey dazu sein?“

„Das ist echt toll, dass sich der Barmann daran erinnert“, denkt sich Thomas. Er kann sich nicht erinnern, mit dem Barmann jemals ein Wort gewechselt zu haben.

„Ich bin Jan“, sagt der Barmann freundlich, „soweit einen schönen Abend gehabt?“

„Ja, schon“, antwortet Thomas zögernd, wissend, dass das ein wenig geflunkert ist und aus einem spontanen Impuls heraus fragt er: „Warum machst du eigentlich deinen Job, Jan? Ich meine, ich komme hier gerne her und deine anderen Gäste sehen ebenfalls immer glücklich aus, wenn sie den Laden verlassen und ich bin sicher, dass das nicht nur mit dem Alkohol zu tun hat, den du ihnen ausschenkst?“

Jan lächelt und sagt: „Wie viel Zeit hast du mitgebracht? Wie ist dein Name?“

„Ich bin Thomas und ja, ich habe heute Abend nichts mehr vor, eigentlich.“

„Na gut“, meint Jan, der Barmann. „Du kennst ja den Spruch, wer nichts wird, wird Wirt.“ Thomas nickt.

„Jahrelang habe ich mich dafür geschämt, dass ich nur Barmann geworden bin“, gesteht Jan, „aber irgendwann habe ich mir gesagt: Das ist doch gut. Ich habe mir gesagt, die Leute kommen gerne zu mir, wer kann das schon von sich sagen, dass er jeden Abend Besuch bekommt. Ein paar schütten mir ihr Herz aus, andere freuen sich einfach über die Musik, wieder andere unterhalten sich untereinander und nehmen mich gar nicht richtig wahr. Dann sind da noch die, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind …“ Jan hält kurz inne und zwinkert Thomas zu.

„Das sind mir die Liebsten, denn die bringen meist ein wenig Zeit mit, sich meine Lebensgeschichte anzuhören. Für dich erzähle ich heute die stark verkürzte Version. Ich hatte ein wirklich super laufendes Business in den USA. Ein Exportgeschäft.

Ich habe alte VW Busse aufgekauft, sie hier rüberbringen lassen, habe sie restauriert und für gutes Geld verkauft. Das lief eine Weile richtig gut und mir hat das richtig Spaß gemacht, weil ich die VW Busse einfach liebe. Dann hatte meine Freundin einen ganz schweren Unfall und das hat mich voll aus der Bahn geworfen. Ich habe innerhalb kürzester Zeit alles verloren und meine Freundin ist dann an den Folgen des Unfalls auch gestorben.“ „Tut mir leid“, wirft Thomas betroffen und bedrückt ein. „Ist ja lange her“, führt Jan fort. „Also, das hat mich voll aus der Bahn geworfen und ich habe angefangen zu trinken und habe mich gehen lassen. Bis ich eines Tages gespürt habe, dass es so nicht weitergehen kann. Ich habe ausgerechnet diese Bar gemietet und sie sollte mein letztes Projekt werden. Ich habe mein letztes Geld zusammengesammelt und mir gedacht: Es muss doch noch andere Menschen geben, die sich so fühlen wie ich und mit denen ich mich austauschen kann. Dann würde es mir bestimmt besser gehen. Es kam aber ganz anders. Keiner wollte meine Geschichte hören, aber alle wollten in meinen Laden kommen, weil ich eben diese Atmosphäre hier geschaffen habe. Ich habe meine Gäste beobachtet, wenn sie meinen Laden verlassen, und mit der Zeit habe ich bemerkt, dass die meisten glücklich waren, vielleicht leicht beschwipst, aber doch fröhlicher, als sie reingekommen sind. Und plötzlich hat es bei mir klick gemacht und ich habe verstanden, dass das meine Aufgabe ist. Ich soll die Menschen glücklich machen. Sie sollen sich durch das, was ich erschaffe, fröhlicher fühlen. Jetzt denk‘ mal darüber nach, Thomas: Dadurch, dass ich hier meinen Laden betreibe, sind bestimmt schon viele Freundschaften entstanden, die Menschen haben sich ausgetauscht und sind glücklich nach Hause gegangen und wer weiß …“, Jan hält für einen ungewöhnlich langen Moment inne, schaut Thomas intensiv in die Augen und fährt fort: „… vielleicht sind durch mich auch schon ein paar Kinder gezeugt worden?“ Jan lächelt breit. „Wer nix wird, wird Wirt“, fügt er in sehr breitem Akzent hinzu, „und wenn er es richtig macht, dann macht er andere Menschen glücklich und inspiriert sie.“

Die beiden plaudern noch eine Weile und irgendwann verabschiedet sich Thomas und nimmt die letzten Meter bis zu seiner Wohnung.

Zu Hause lässt sich Thomas sofort auf sein Bett fallen und schläft traumlos bis zum nächsten Morgen.

Als er aufwacht macht er sich einen Morgenkaffee, um den schalen Geschmack zu vertreiben und er geht in Gedanken den gestrigen Tag durch. Da war das Gespräch mit Tim, das so merkwürdig endete und Thomas merkt, dass er gar keine Lust hat, weiter darüber nachzudenken. Dann geht er nochmals in Erinnerung das Gespräch mit Jan durch. Das Gespräch war so offen, so vollkommen anders. Jan hat eine Lebensfreude ausgestrahlt und eine Präsenz, das hat Thomas selten erlebt. An sich selbst gerichtet stellt er sich dann in Gedanken die Fragen: „Warum mache ich das eigentlich alles? Was ist meine Motivation? Was oder wen bewege ich? Was ist wirklich das Resultat meines Schaffens? Hat das, was ich tue, eigentlich einen Sinn?“ Ratlos und verwirrt verbringt Thomas den Rest des Tages und er spürt, dass er nicht wirklich befriedigende Antworten findet.

Denken in Silos führt zu Handeln in Käfigen

Der Sonntag verläuft für Thomas recht ruhig, aber er spürt, dass er immer unruhiger wird, je weiter der Tag voranschreitet. Es drängt ihn danach, einen Plan zu machen und so setzt er sich am Nachmittag hin und schaut sich alle Aufgaben an, die sein Team oder er in der letzten Woche nicht geschafft haben.

Dann überlegt er sich, welche Aufgaben von den zwei Personen, die ihre Kündigung am Freitag überreicht haben, auf die anderen verteilt werden müssen. Dann schaut er sich nochmals alle anfallenden Aufgaben an und fragt sich, ob sie in der nächsten Woche bewältigt werden können. Thomas hat das mit dem Priorisieren schon einmal gehört. Also teilt er alle Aufgaben in A-, B- und C- Kategorien ein. A-Aufgaben sind wichtig und dringlich, B-Aufgaben sind wichtig oder dringlich, C-Aufgaben entsprechen weder der einen noch der anderen Kategorie. Er verschiebt die C-Aufgaben in einen „Aufgabenspeicher“. Dann schaut er sich die verbleibenden A- und B-Aufgaben an und stellt fest, dass er sie in der kommenden Woche nicht erledigen kann. Sein Team wird das auch nicht schaffen.

Er denkt lange darüber nach, was er tun soll und wird immer nervöser. Dann kommt er auf die Idee, bei Tim anzurufen. „Hallo Tim“, beginnt er das Gespräch, „ich habe da mal eine Frage: Ich habe mir die Aufgaben für die nächste Woche angeschaut und festgestellt, dass mein Team und ich nicht in der Lage sein werden, die Aufgaben zu schaffen, es ist rein kapazitiv nicht möglich. Hast du so ganz spontan eine Idee, was ich machen kann?“

„Ja“, antwortet Tim, „ich gehe mal davon aus, dass du die Aufgaben nach Wichtigkeit sortiert hast. „Wenn das so ist, dann kannst du noch schauen, ob etwas geschoben werden kann. Wenn das auch nicht geht, dann würde ich mir die Aufgaben anschauen, die dein Team oder du von anderen bekommen hat. Schau mal, wie viele das sind. Streiche die oder reduziere sie von der Priorität. Wenn du dann in der Lage sein wirst, alle Aufgaben zu erledigen, dann ist das gut. Wenn das immer noch nicht reicht, dann schaue dir an, für wen die Aufgaben gemacht werden müssen, die noch übrigbleiben. Wenn da welche dabei sind, die nicht wichtig sind, weil ihr keinen Ärger bekommen werdet, dann streiche auch die. Aus meiner Erfahrung müsstest du jetzt eine Anzahl von Aufgaben haben, die überschaubar, aber mindestens machbar ist.“

„Hey, das ist ja eine super Idee, ist das echt so einfach, wie das klingt? Ich mache das jetzt mal und melde mich danach wieder bei dir, okay?“, fragt Tim und legt im Satz schon auf.

Voll motiviert macht er sich an die Planungsaufgabe und schaut sich die Aufgaben an, die von anderen an ihn oder sein Team herangetragen wurden und kategorisiert die nach M(uss), S(oll) und K(ann) und streicht dann alle K-Aufgaben. Die S-Aufgaben tut er in den Aufgabenspeicher. Das sieht schon viel besser aus. Er ordnet die Aufgaben wieder dem Team zu und bleibt danach skeptisch, ob das zu bewerkstelligen ist. Thomas schaut sich noch an, für wen die Erledigung der Aufgaben wichtig wäre und streicht alle heraus, die keinen direkten Kundennutzen haben, also die, von denen sein Kunde nicht profitieren wird. Als er damit fertig ist, ruft er wieder bei Tim an.

„Hi Tim, ich habe das genauso gemacht, wie du das vorgeschlagen hast, jetzt habe ich den Eindruck, dass das klappen kann, vielen Dank für den Tipp. Aber jetzt mal Hand aufs Herz, klappt das wirklich so einfach und wendest du das mit deinem Team schon länger an?“, will Thomas wissen. Tim antwortet: „Ja, ist genial, oder? Das habe ich mal von einem erfahrenen Linienhirsch bei uns in der Abteilung gelernt, der arbeitet schon seit Jahren so und kommt gut damit zurecht, sagt er. Ich habe das übernommen und muss dir sagen, seitdem ich das so anwende, ist mein Leben viel einfacher und die Arbeit ist viel stressfreier, mein Team macht das, was von ihm verlangt wird. Und das soll es doch und alle sind happy.“ „Alles klar, dann nochmals vielen Dank, du hast mir echt den Sonntag gerettet.“

Beruhigt geht Thomas am Sonntagabend ins Bett und kann ruhig einschlafen. Es ist eben doch gut einen Plan zu haben, denkt er und schläft ein.

Am Montagmorgen holt er sein verbliebenes Team zusammen und erklärt ihnen, welche Aufgaben sie in dieser Woche lösen sollen und er erklärt das Vorgehen mit den A-, B- und C-Aufgaben und mit den Muss-, Soll- und Kann-Aufgaben. Gemeinsam mit dem Team macht er das, was er schon am Sonntagabend zu Hause geübt hat und sie verstauen jede Menge Aufgaben in dem Arbeitsspeicher. Das fühlt sich gut an und er hat den Eindruck, dass das Team das auch gut findet, denn er sieht sie lächeln und sich freuen, wenn wieder eine Aufgabe von dem Board verschwindet. Das ist ein gutes Gefühl.

Der Montag verläuft ruhig und auch der Dienstag und der Mittwoch sind sehr angenehme Tage. Sein Team löst die Aufgaben, die an dem Board stehen und Thomas gewinnt immer mehr Vertrauen in das geänderte Vorgehen. Das gefällt ihm.

Am Donnerstag geht er dann zum üblichen Wochenmeeting mit den anderen Abteilungsleitern. Der Fertigungsleiter fragt ihn nach einer Aufgabe, die angeblich für letzte Woche vorgesehen war, und der Vertreter für die Entwicklungsabteilung hat eine Frage, die Thomas nicht beantworten kann, weil sie von seinem Team nicht erledigt wurde. Aber im Großen und Ganzen ist er mit dem Ergebnis der Sitzung zufrieden, er hat keine weiteren Aufgaben bekommen und es gab dieses Mal auch keinen Ärger. Auf dem Weg in sein Teambüro fragt er sich, warum die Aufgabe für die Entwicklungsabteilung durchrutschen konnte. Er geht an das Board und schaut in das Fach für den Aufgabenspeicher. Dort ist die Aufgabe tatsächlich vermerkt. Das beruhigt ihn erst mal, denn er hat die Aufgabe nicht vergessen, aber es bleibt ein ungutes Gefühl, weil er auf die Frage keine Antwort hatte. Er will sich das merken und nochmals mit Tim darüber reden, vielleicht hat er eine Antwort.

Am Abend telefoniert er dann mit Tim und sagt: „Tim, die Methode funktioniert ganz gut, aber ich habe da eine Aufgabe in den Aufgabenspeicher getan und auf der heutigen Sitzung mit den anderen Teamleitern hatte ich keine Antwort auf die Frage. Wie gehst du denn mit dieser Art von Aufgaben um bzw. was antwortest du in diesen Fällen?“

„Also, ich gebe erst mal eine Schätzung ab, wann mein Team die Aufgabe erledigten könnte. Generell schiebe ich das in einen Horizont von zwei Wochen. Wenn das als Antwort nicht reicht, dann sage ich, dass ich in der nächsten Woche eine Antwort habe.“

„Okay, das klingt gut“, antwortet Thomas. „Und was ist, wenn du oder dein Team die Aufgabe dann immer noch nicht erledigt hat?“

„Ja, dann sage ich wieder, dass es in der nächsten Woche erledigt wird. Und wenn das nicht reicht, dann verweise ich darauf, dass mein Team ja auch nur begrenzte Kapazität hat und das mit meinem Vorgesetzten abgesprochen ist, dass erst einmal die Aufgaben abgearbeitet werden, die für unsere Abteilung oder für ihn wichtig sind. Dann ist meistens Ruhe, weil sich keiner von den Teamleitern mit meinem Vorgesetzten anlegen will“, entgegnet Tim. „Das klingt ja schon wieder ziemlich einfach“, findet Thomas „und das klappt auch wirklich so?“

„Ja, schon. Gut, es gibt dann hier und da mal ein wenig Reibung, aber ohne Reibung ja auch keine Wärme, wenn du verstehst, was ich meine“, antwortet Tim.

Thomas arbeitet in aller Ruhe noch die Woche zu Ende und fühlt sich irgendwie gut. Das war doch eine recht ruhige und gute Woche. Die Methode scheint zu klappen und damit ist er vorerst zufrieden.

In der nächsten Woche geht es zunächst ohne größere Probleme weiter und Thomas hat ein gutes Gefühl mit seiner neu eingeführten Methode. Am Donnerstag ist dann wieder die Sitzung mit den anderen Abteilungsleitern und hier gibt es großen Krach. Einige der Teamleader haben mit ihren Teams die abgesprochenen Ergebnisse der letzten Woche nicht erfüllen können und ein großes Projekt, das die Geschäftsführung als strategisches Projekt ausgewiesen hat, wird daher aus heutiger Sicht zum angestrebten Zieltermin nicht fertiggestellt werden können.

Herr Müller, der operative Geschäftsführer, redet sich aber mal so richtig in Rage über die Situation und er äußert sich mit lauter Stimme: „Jetzt hört doch mal auf, immer euer Klein-Klein zu machen und fangt mal endlich an, richtig zusammenzuarbeiten. Mir geht das gehörig auf die Nerven, dass wir hier immer wieder über rudimentäre Dinge reden müssen und die klar definierten Aufgaben nicht erledigt worden sind. Was wollen wir denn machen, wenn das Projekt nicht liefert? Wollen wir dann was anderes verkaufen? Das neue Produkt ist schon längst am Markt adressiert und wir sind in einer sehr aggressiven Marketingkampagne dabei. Wenn wir nicht liefern können in der Anzahl und zum Zeitpunkt, den wir versprochen haben, wer wird dann wohl den Ärger bekommen? Ich? Sicher nicht! Ich werde dann zur Seite springen, sodass Sie die volle Breitseite vom Vertrieb bekommen werden. Bis hierhin habe ich Sie alle noch in Schutz genommen, aber jetzt reicht es mir! Was wird die Konsequenz sein? Genau, beim nächsten Neuproduktanlauf werden wir selbstverständlich über Südostasien reden müssen! Wollen Sie das?“

Es entsteht eine Stille im Raum, dass man eine Stecknadel hören könnte, wenn sie auf den Boden fällt. Nach einer viel zu lang erscheinenden Pause nimmt Herr Müller das Wort wieder auf. „Ich weiß, dass das Ihnen allen nicht wirklich gefällt, also ist hier meine letzte Warnung an Sie. Reißen Sie sich zusammen, arbeiten Sie endlich als Team. Ich will ein innovatives Team sehen, das sich damit beschäftigt, den Zeitplan aufzuholen. Ansonsten werde ich persönlich mit jedem Einzelnen von Ihnen ein Gespräch haben. Haben wir uns verstanden?“

Es herrscht betretenes Schweigen im Raum und die Teamleiter schauen auf den Boden. Thomas nicht, aber er traut sich auch nicht wirklich Herrn Müller ins Gesicht zu schauen. Auf eine gewisse Weise fühlt sich Thomas ertappt. Auf der anderen Seite fragt er sich, was er wohl falsch gemacht haben sollte.

Die Sitzung löst sich auf. Es bilden sich hier und da kleine Grüppchen, aber auch diese lösen sich schnell auf und man geht zum Mittagstisch. „Mahlzeit“, raunt der Kollege aus der Fertigung herüber und das hellt die Stimmung schon wieder ein wenig auf. Über Mittag legt sich die Aufregung bei Thomas wieder und am Nachmittag kann er schon wieder halbwegs ruhig arbeiten. Irgendwie erwartet er aber trotzdem von seinen Kollegen irgendeine Reaktion. Er rechnet damit, dass es am Nachmittag an der Tür klopft und sich jemand mit ihm austauscht. Aber das passiert nicht. „Wahrscheinlich, weil ich der Neue bin“, denkt sich Thomas und belässt es dabei.

Am Abend denkt er nochmals über das Erlebte nach und fragt sich, ob das wirklich real war. So im Nachhinein fühlt sich das alles ein wenig unwirklich an. Er ruft bei Tim an und schildert ihm die Vorfälle. Dieser geht auch sofort darauf ein und sagt: „Tja, so was kommt schon mal vor, ich würde dem Ganzen nicht so viel Wichtigkeit beimessen. Da hat halt mal einer Dampf abgelassen und sich in Rage geredet. Das passiert bei uns auch alle Nase lang mal. Mach dir keinen Kopf, du bist ja nicht direkt angesprochen worden, daher kannst du ja auch unmöglich gemeint gewesen sein.“

„Ja schon“, wendet Thomas ein. „Aber ich fühle mich doch irgendwie ertappt und angesprochen, schließlich bin auch ich einer von denen, die nicht alle Aufgaben erfüllt hatten. Letztlich trägt das dazu bei, dass die Gesamtsituation so aussieht, wie sie aussieht. Wir werden das angestrebte Projektzieldatum so nicht erreichen können.“

„Ach, mach dir darum doch keinen Kopf, Thomas. Was hat deine kleine Aufgabe schon damit zu tun, dass eure Firma das Produkt nicht zum richtigen Zeitpunkt launchen kann? Glaubst du echt, dass das irgendjemanden in zwei Monaten noch interessiert? Dann wird das schon wieder Schnee von gestern sein und die nächste Sau wird durch das Dorf getrieben. Letztlich geht es doch immer darum, nicht der Letzte zu sein und negativ aufzufallen. Solange es andere gibt, die noch weniger Aufgaben erfüllt haben als du, ist doch alles klar. Außerdem bin ich sicher, dass du dir wirklich den Hintern aufreißt, so wie ich dich kennengelernt habe. Du bist doch voll der Fleißige, sonst hättest du wohl kaum den Job bekommen. Also komm da mal wieder runter und lass uns mal lieber was Lustiges planen. Schon was vor am Wochenende?“

„Nein“, Thomas zögert. „Oder doch, ich will am Wochenende mal in die Natur fahren“, sagt er nicht ganz aufrichtig, aber der Verlauf des Gespräches gefällt ihm irgendwie nicht so richtig. Er kann nicht genau sagen, was ihn stört, aber da ist etwas in der Antwort, was ihm nicht gefällt. Die beiden Freunde sprechen noch ein paar Minuten über belanglose Dinge, dann verabschieden sie sich und beenden das Gespräch.

Thomas denkt ein wenig darüber nach, was ihn gestört hat, aber er kann es immer noch nicht genau sagen. Auch nach längerem überlegen, fällt es ihm nicht ein. Irgendwie sind ihm die Antworten von Tim ganz einfach zu kurz gedacht.

Er überlegt, was er am Wochenende machen kann und ruft seinen Onkel Willi an, der in einer anderen Stadt ca. 100 km entfernt wohnt und fragt ihn, ob sie sich am Wochenende mal treffen können, Thomas würde ihn gerne mal zum Essen einladen. Da sein Onkel gerne isst, willigt er sofort ein und schlägt ein Restaurant vor, das Thomas noch vom letzten Besuch in bester Erinnerung geblieben ist. Sein Onkel ist ein echter Feinschmecker, obwohl er von der Statur nicht so erscheint.

Die beiden treffen sich am Samstagabend im Restaurant. Nachdem sie die vielversprechende Karte studiert haben, sich jeder für das Menü des Abends entschieden hat, Onkel Willi den Wein gewählt hat und die Vorspeise verzehrt wurde, fragt Onkel Willi: „Ja, Thomas, dann sag‘ doch mal, wo dir der Schuh drückt.“ „Ja, das will ich gerne tun.“

Thomas erzählt die gesamte Geschichte mit dem Jobwechsel, dem neuen Team, dass zwei aus seinem Team gekündigt haben, die Ratschläge von Tim und von dem Ärger, den es auf der Abteilungsleitersitzung gab.

Wann immer das Gespräch auf die Ratschläge von Tim kommt, hört Onkel Willi genau zu, verzieht ein wenig das Gesicht, aber lässt Thomas komplett zu Ende erzählen. Ab und zu nippt er an seinem Weinglas und hört bis zur letzten Silbe zu. Thomas fühlt sich gleich viel besser, weil er das an seinem Onkel so schätzt. Er hört einfach gut zu und unterbricht nicht immer sofort oder hat kluge Ratschläge auf Lager. Als Thomas mit seiner Geschichte geendet hat, sagt Onkel Willi vielsagend „Mhh, lass‘ uns erst mal den Hauptgang genießen.“ Er stellt noch ein paar Fragen zum Verständnis und dann widmen sie sich dem Hauptgang.

Dann legt Onkel Willi los. „Also, was dein angeblicher Freund Tim dir so rät, kann man so nicht stehen lassen. Hast du schon mal was von internen Kunden gehört oder vom sogenannten Silodenken?“ Thomas schüttelt den Kopf und sagt: „Na ja, gehört habe ich den Begriff interne Kunden schon, aber so richtig etwas anfangen kann ich damit nicht.“

„Das ist schnell erklärt. Als interne Kunden bezeichnet man die Personen oder Abteilungen in deiner Firma, die von den Arbeitsergebnissen deines Teams profitieren und denen du mit deinem Team in gewisser Weise zuarbeiten musst. Das mag in manchen Fällen sehr einfach zu verstehen sein, z. B. kann der Vertrieb ein interner Kunde der Fertigung sein, denn nur wenn der Vertriebler etwas verkauft, kann die Fertigung produzieren und somit eine Berechtigung haben. In gewisser Weise hängt also die Fertigung vom Vertrieb ab. Ohne Vertrieb keine Fertigung, ohne Fertigung nichts zu tun, also auch keine Jobs für die Mitarbeiter der Fertigung. Hast du dir das schon mal so klar gemacht?“ Onkel Willi unterbricht und wartet eine Reaktion von Thomas ab. „Ja, irgendwie schon, aber so krass habe ich das noch nicht gesehen. Das würde ja bedeuten, dass wir die Vertriebler unbedingt brauchen, um zu existieren, dabei kann ich diese gelackten Typen überhaupt nicht ab.“

„Aber faktisch ist das so, wenn sich eure Produkte nur über Vertriebler vertreiben lassen. Dann braucht die Fertigung die Vertriebler und daher solltet ihr besser darauf hören, was die sagen. Aber gehen wir einen Schritt weiter. Wenn wir also davon ausgehen, dass es immer einen internen Kunden gibt, dann bist du ja auch ein Kunde von jemandem. Wie willst du als interner Kunde behandelt werden? Wie willst du dich fühlen?“ Willi hält erneut inne. Thomas zuckt mit den Schultern und antwortet mit einer Gegenfrage: „Was hat denn das jetzt mit Gefühlen zu tun?“

„Oh, sehr viel. Schau‘ mal, hier sind wir doch heute Abend Kunde in diesem Restaurant der besseren Qualität. Welche Erwartungshaltung hast du an den Service, den du in diesem Etablissement erwartest, völlig unabhängig von den hervorragend schmeckenden Speisen, die du sicherlich ebenfalls erwartest?“

„Na ja, ich will halt gut behandelt werden, ich möchte nicht auf den Tisch warten und ich möchte eine Beratung beim Wein haben, weil ich mich da nicht so gut auskenne“, antwortet Thomas etwas zweifelnd.

„Gut, dann zurück zu meiner Frage. Wie willst du dich also fühlen, wenn du hierherkommst?“

„Gut, entspannt, ich will mich in gewisser Weise amüsieren und auch tiefe Gespräche führen, so wie jetzt eben mit dir hier.“ Plötzlich dämmert es Thomas, dass das im Prinzip vergleichbar ist mit dem Barmann Jan, der MÖCHTE, dass es seinen Gästen gut geht. Offensichtlich sieht Willi das Blitzen in Thomas‘ Augen, denn er sagt.

„Ich denke, du hast es begriffen. Wir gehen gerne in dieses Restaurant, weil wir gerne gut bedient werden in einer sehr guten und gemütlichen Atmosphäre, check?“ Thomas nickt.

„Also muss der Koch dafür sorgen, dass wir gutes Essen bekommen, der Tellerwäscher dafür, dass das Geschirr sauber ist, der Ober dafür, dass wir uns besonders bedient fühlen, der Besitzer ein gutes Auge für die Atmosphäre habe, der Sommelier wirklich Ahnung von Wein haben und die Putzfrau dafür sorgen, dass wir uns wohlfühlen, check?“ Thomas nickt erneut.

„In unserem Fall müssen also mindestens fünf Personen gut zusammenarbeiten, damit ein hervorragender Service zustande kommt, oder anders, um den Kunden zufriedenzustellen, richtig?“ Thomas nickt erneut.

„Was würde passieren, wenn der Tellerwäscher seinen Job nicht richtig macht und wir schmutzige Teller bekommen?“

„Nun, wir würden uns wahrscheinlich beschweren“, antwortet Thomas.

„Genau, und was würde passieren, wenn das immer wieder vorkommt?“, bohrt Willi nach.

Thomas denkt kurz nach und sagt dann: „Wahrscheinlich würden wir nicht mehr herkommen.“

„Bingo“, antwortet Willi. Langsam dämmert es Thomas. „Wenn wir also nicht vollkommen kundenorientiert arbeiten und unsere internen Kunden bedienen, wie der Tellerwäscher z. B. den Ober, dann kann der Ober nicht dafür sorgen, dass wir uns hier gut fühlen. Und wenn wir uns nicht gut fühlen, dann kann der Koch nichts für uns kochen und der Besitzer, so wie alle anderen, werden kein Geld verdienen, weil wir einfach nicht mehr wieder herkommen.“ „Bingo“, antwortet Willi mit einem breiten Grinsen.

„Was dein Freund Tim dir geraten hat ist, dass du mit deinem Team die Aufgaben festlegst und weder darauf achtest, wer dir eine Aufgabe gegeben hat, noch was es für KONSEQUENZEN für die gesamte Firma hat, wenn du das Ergebnis nicht erledigst und nicht weitergibst.“

Thomas ist erst mal bedient und denkt ein wenig darüber nach, was das bedeutet, was Willi ihm gerade klargemacht hat bezogen auf seinen eigenen Job und seine Umgebung.

Sie lassen sich den Hauptgang gut schmecken und haben einen wirklich guten französischen Rotwein dazu. Als sie fertig damit sind, fährt Onkel Willi fort.

„Jetzt stell‘ dir ein Silo vor und du befindest dich in dem Silo, was siehst du?“ „Die Außenwand des Silos von innen“, antwortet Thomas schnell.

„Richtig, kannst du mit dem Bild etwas anfangen? Wenn man von Silodenken spricht, dann meint man, dass der Angestellte immer nur innerhalb seiner Abteilung denkt, innerhalb seines Silos. Er wird nicht mehr aus dem Silo kommen, weil die Wand auch einfach zu hoch ist, um sie zu erklimmen. Das mein lieber Thomas wird passieren, wenn du auf den Ratschlag von Tim hörst. Du wirst mit deinem Team immer in deinem eigenen Silo spielen und die Dinge innerhalb des Silos lösen, aber es wird nichts von außen an euch herandringen und ihr werdet nicht in der Lage sein, etwas von anderen zu bekommen, denn es hört euch ja keiner. Das ist nämlich die Konsequenz von Abteilungsdenken, jeder macht das Seine und am Ende kommt gar kein Ergebnis heraus. Deswegen war Herr Müller auch so sauer auf euch. Er hat keinen gesehen, der bereit ist, aus seinem Silo zu steigen und mal über den Hof zu schauen, was noch zu erledigen ist.“ Jetzt redet sich Onkel Willi in Rage, das scheint irgendwie sein Thema zu sein. „Wenn wir alle immer nur auf unseren eigenen Vorteil aus sind und die Wände unseres eigenen Silos anstarren, dann wird es keinen Austausch geben, dann begeben wir uns letztlich selbstgewählt in unseren eigenen Käfig und verlernen das Fliegen, wenn du so willst. Dein Horizont wird extrem begrenzt, du starrst auf Wände, du siehst überall nur Widerstände.“ Willi unterbricht sich für einen Schluck Wasser. „Verstehst du, wenn du dir nicht den Blick dafür bewahrst, was für die Allgemeinheit gut ist, sondern immer nur dein eigenes Süppchen kochst, dann wirst du Experte für dein eigenes Süppchen, nicht aber für das gesamte Menü! Du beschneidest dich quasi in deinen eigenen Möglichkeiten zur Entfaltung, da du dich freiwillig für den Käfig entschieden hast.“

Thomas schweigt. Das hat gesessen. Das muss er erst mal in Ruhe verdauen.

Die meisten Qualitätsprobleme entstehen, weil das Risiko am Anfang nicht richtig eingeschätzt wird

Thomas denkt am Wochenende noch länger darüber nach, was sein Onkel Willi ihm geraten hat und je länger er darüber nachdenkt, umso mehr sieht er ein, dass er nicht in Isolation lebt und auch nicht arbeiten kann. Es bereitet ihm Freude, das Leuchten in den Augen derjenigen zu sehen, denen er eine Freude gemacht hat. In diesem Zusammenhang erinnert er sich immer wieder an den Spruch, dass geben seliger ist als nehmen und er kann das bestätigen.

Am Sonntag kommt er dann zu dem Entschluss, seine Marschrichtung zu ändern. Er überlegt sich, dass er vor seinem Team eingestehen muss, den „Arbeitsspeicher“ nochmals überarbeiten zu müssen. Das wird zwar peinlich und er hat auch eine Scheu davor. Andererseits wird er aber nicht zum Erfolg des strategischen Projektes beitragen können und daher überwiegt für ihn hier die langfristige Überlegung. Die Drohung von Herrn Müller, die Produktion nach Südostasien zu verlagern, klingt ihm noch im Ohr und dafür will er nun wirklich nicht verantwortlich sein.

So stellt er sich also am Montag vor sein Team und erklärt dem Team, dass die Aufgaben aus dem „Arbeitsspeicher“ durchgesehen werden müssen und wieder als aktive Aufgaben behandelt werden müssen. Einige aus dem Team sind damit nicht einverstanden und versuchen die Entscheidung zu torpedieren, aber letztlich kann Thomas sein Vorhaben durchsetzen, weil er überzeugend darlegt, dass das der Wunsch von Herrn Müller ist. Er berichtet dem Team ganz offen von der letzten Abteilungsleitersitzung und von dem betretenen Schweigen, das sich im Anschluss ergab. Wenn er daran zurückdenkt, dann liegt diese Situation immer noch wie Blei auf seinem Geist. Er jedenfalls will das nicht mehr erleben.

Im Anschluss an die Sitzung mit seinem Team klopft er bei einigen Kollegen an die Tür und fordert sie auf, ihn dabei zu unterstützen, das verfahrene Projekt wieder auf einen akzeptablen Stand zu bringen. Zwei seiner Teamleiterkollegen sind sofort Feuer und Flamme und unterstützen Thomas, der Rest hält sich aber eher vornehm zurück.

In den nächsten beiden Wochen bemüht sich Thomas, auf seine Kollegen, also die anderen Teamleader, zuzugehen und mit ihnen einen Schlachtplan zu erarbeiten, wie das strategische Projekt wieder auf die Zeitschiene gehoben werden kann. Er setzt sich wirklich ein und unter seiner Moderation wird ein Fahrplan entwickelt, wie der Zeitverlust wieder aufgeholt werden kann.

Thomas vertieft sich so in dieses Projekt, dass er für die anderen Aufgaben, die in seiner Abteilung angesiedelt sind, kaum noch Zeit findet. Auch am Samstag kommt er in das Büro und geht erst dann nach Hause, wenn die Arbeiten so erledigt sind, dass er damit zufrieden ist. Er hängt sich voll rein und ist abends so müde, dass er vollkommen geschafft ins Bett fällt. Selbst zu seinen Laufrunden kommt er nicht mehr und zum Einkaufen nimmt er sich auch keine Zeit mehr. Die Kantinendamen werden seine Ersatzmütter und stellen ihm auch abends noch etwas auf den Tresen, wenn er sie mittags danach fragt. Wenn er dann am nächsten Mittag mit dem leeren Teller in die Kantine kommt, dann schütteln die Damen hinter dem Tresen den Kopf mit der Bemerkung „hast du schon wieder so lange gemacht? Hast du denn keine Freundin oder sonst wen zu Hause?“ Thomas lacht nur und antwortet nicht.

Ein ganz wichtiger Meilenstein wird die Überführung des Prototypen in den Serienanlauf sein und hierzu ist die Zuarbeit von vielen Abteilungen notwendig, die zeitgerecht ihre Aufgaben erfüllen müssen. Thomas hat mit den anderen Abteilungsleitern eine Abweichungsanalyse erstellt und die notwendigen Tätigkeiten zum Aufholen des Plans in der Donnerstagssitzung mit den Abteilungsleitern vorgestellt. Herr Müller hatte zunächst zurückhaltend reagiert, aber konnte dann letztlich davon überzeugt werden, diesen Plan zu unterstützen.

So wird es dann beschlossen und Thomas ist ein wenig stolz darauf, dass er die Moderation übernommen und diese Abweichungsanalyse durchgeführt hat. Zufrieden mit sich selbst kehrt er in seine Abteilung zurück, wo ihn Steffen, der zuverlässigste Mitarbeiter aus seinem Team begegnet.

„Das man dich auch mal wieder sieht hier“, beginnt er etwas vorwurfsvoll. „Wir haben in deiner Abwesenheit das Board weiter gepflegt, aber es stehen einige Entscheidungen an, wo wir deine Unterstützung brauchen. Kommst du auch mal wieder mit dazu?“

„Ja“, antwortet Thomas und errötet leicht, „es ist eben sehr viel zu tun für das neue Produkt.“ Rasch verschwindet er in seinem Büro, weil er im Moment keine Lust auf unangenehme Fragen oder Entscheidungen hat.

Unter der Woche macht sich ein Gerücht breit, dass bei der Erprobung des Prototyps irgendetwas nicht richtig gelaufen ist. Was es genau ist oder welche Auswirkungen das auf die Terminschiene hat sickert aber nicht durch. Am Donnerstagmorgen, kurz vor der Abteilungsleitersitzung, platzt dann aber die Bombe. Zwei kritische Komponenten passen nicht zusammen, sodass die rudimentäre Funktion des Produktes nicht sichergestellt werden kann. Im Prinzip ist es das Aus für das Projekt. Jeder versteht das sofort, es lässt sich auch nicht kurzfristig reparieren, korrigieren oder gar schönreden.

Thomas ist am Boden zerstört, all die Arbeit, die er in den letzten Wochen in das Projekt gesteckt hat waren umsonst und haben nichts gebracht.

Die Abteilungsleitersitzung läuft dann sehr ruhig ab, Herr Müller lässt sich im Detail erklären, was passiert ist und man versucht noch Lösungen zu finden, um das Desaster abzuwenden, aber es wird schnell klar, dass ein Spritzgusswerkzeug nicht richtig dimensioniert war und dass es komplett neu hergestellt werden muss. Selbst wenn man sich damit beeilt, wird es mindestens eine Verzögerung von zwölf Wochen geben. Das ist für Herrn Müller und für den gesamten Standort eine Katastrophe, weil alle auf die Markteinführung des Produktes gesetzt haben und große Hoffnungen hatten, dass so der Negativtrend der letzten Jahre umgedreht werden könnte. Herr Müller löst die Versammlung mit den Worten auf: „Wir sollten jetzt alle ganz ruhig nach Hause gehen, vielleicht fällt ja jemandem noch ein Wunder ein, ich werde nun den Vorstand informieren und ab morgen sehen wir dann weiter, was getan werden kann.“

Die Runde löst sich auf, nur Thomas und Herr Müller sind noch im Raum. „Na, sie können sich wohl nicht trennen?“, fragt Herr Müller.

„Ja, ich bin schon sehr enttäuscht, es will mir einfach nicht in den Kopf, dass wir gar nichts machen können. All die Arbeit, die wir in den letzten Wochen da reingesteckt haben und jetzt ist das alles umsonst gewesen. Irgendwie kommt mir das nicht real vor.“

„Sehen Sie“, sagt Herr Müller, „es ist doch besser, dass uns das heute aufgefallen ist. Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn das erst bei unseren Kunden aufgefallen wäre, wenn wir also schon voll im Markt wären. Das wäre ein so großer Imageschaden für die Firma, dass wir uns davon wohl nicht erholen würden. Aber nicht nur das, stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn das Produkt ausgefallen wäre und es hätte einen Menschen verletzt? Das wäre ja durchaus möglich. Dann überlegen Sie sich mal, dass wir daraus eine Rückrufaktion hätten machen müssen. Das wäre extrem kostspielig für uns geworden und dann auch noch die Kosten für etwaige Rechtsstreits und so weiter und so fort. Insofern ist es doch gut, dass es jetzt aufgefallen ist und es kein versteckter Mangel ist.“

Thomas ist zunächst sprachlos. Wie kann man denn aus dieser katastrophalen Lage noch etwas Positives nehmen? Er hat Herrn Müller bewundert für seinen konsequenten Führungsstil, aber jetzt das? Das scheint so gar nicht zu dem Herrn Müller zu passen, den er als großartigen Geschäftsführer erlebt hat.

Herr Müller fährt fort: „Probleme mit der Qualität eines Produktes kommen nicht einfach so aus dem Nichts, sie tauchen nicht plötzlich auf wie eine Naturkatastrophe. Sie sind meist Ausdruck davon, dass an einer anderen Stelle, nämlich am Beginn der Produktentstehung, nachlässig mit den Risiken umgegangen wurde. Je weniger Augenmerk auf die Risikobetrachtung in der ersten Phase der Entwicklung gegeben wurde, desto größer die Mängel, die während der Produktion entstehen, desto mehr Kundenbeschwerden und desto größer die Gefahr für Rückrufaktionen. Sie haben bestimmt schon mal die Redewendung gehört ‚Shit in – Shit out‘? Wenn Sie etwas Schlechtes reinstecken, dann kann auch nur etwas Schlechtes rauskommen. Letztlich ist es so einfach, auch wenn wir uns das immer alles sehr kompliziert machen. Wenn Sie eines daraus lernen können“, Herr Müller schaut Thomas direkt in die Augen, „dann ist es das: Denken Sie so früh wie möglich an die Risiken! Alles, was wir tun, hat Konsequenzen!“

NÄCHSTER HALT: UNSTOPPABLE

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