Читать книгу Die Hüter des Sakraments Teil 3 - Manfred Arlt - Страница 4
Kapitel 1: Reise in die Vergangenheit
ОглавлениеNach einer Woche Griechenland waren Jack, Dennis und Bruder Andreas wieder in ihrem Kloster. Das Wetter in Griechenland war eindeutig angenehmer gewesen als in London. Aber das konnte selbst das Sakrament nicht ändern. Jack berichtete dem Abt, den anderen Brüdern und natürlich Schwester Sonja von ihren Erlebnissen im Kloster und in Kastraki. Die finanziellen Angelegenheiten hatte Bruder Andreas noch in Griechenland erledigt. Dass es noch ein zweites Sakrament gab, war für die Hüter natürlich eine riesige Überraschung. Welchen Sinn es hatte, oder welche eventuellen Vorteile sie daraus ziehen könnten war im Moment nicht ersichtlich. Obwohl sicher war, dass es eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen schien. Jack hatte versucht von Tiria nähere Informationen zu erhalten, aber er konnte keinen Kontakt zu ihr herstellen.
Doch auch im Kloster gab es Neuigkeiten. Ihr Kontaktmann ihm Archiv des Vatikans hatte sich gemeldet. Er hatte den Auftrag erhalten, nach Dokumenten oder Unterlagen zu suchen, die über die Beteiligung der Kirche an dem Angriff auf das Felsenkloster der damaligen Evanisten Auskunft gaben. Nun war er fündig geworden. Er hatte die entsprechenden Schriften fotografiert und an die ihm angegebene E-Mail-Adresse geschickt. Schwester Sonja hatte in der Zwischenzeit bereits die, in lateinischer Sprache geschriebenen, Dokumente übersetzt. Darin wurde der Angriff eines protestantischen Heeres geschildert. Eine Beteiligung der katholischen Kirche oder der Santen wurde natürlich nicht erwähnt. Nachdem das Kloster nach langer Belagerung eingenommen worden war, gelang es einem katholischen Heer die Protestanten wieder zu vertreiben. Das weitgehend zerstörte Kloster war daraufhin von einem katholischen Orden übernommen worden. Natürlich waren das für die Mitglieder des Ordens keine Neuigkeiten. Interessant war vor allem die Art, wie die Kirche die damaligen Ereignisse dargestellt hatte. Im Grunde ging es den Hütern auch nur darum herauszufinden, wie zuverlässig ihr Informant war. Weitaus wichtiger war jedoch ein Zusatz in dem Dokument. Er besagte, dass eine Abschrift für die Krieger Gottes, beziehungsweise Ritter Christus' angefertigt worden war. Gerade an dieser Stelle hatte Schwester Sonja jedoch Schwierigkeiten mit einer eindeutigen Übersetzung.
Der Abt klärte die drei Griechenlandreisenden weiter auf.
„Die Formulierung lässt verschiedene Definitionen zu. Einmal die Bezeichnung „Ritter Christus“. So wurden damals alle Teilnehmer an den Kreuzzügen genannt. Doch die Zeit der Kreuzzüge war zu diesem Zeitpunkt schon lange vorbei. Auch die Templer oder auch Tempelritter wurden als Soldaten Christi oder Ritter Christus bezeichnet. Aber auch deren Zeit war schon lange abgelaufen. Außerdem fand diese Bezeichnung Anwendung auf den Jesuitenorden. Doch die Waffe der Jesuiten ist der Geist, nicht das Schwert. Zusätzlich gibt es noch die Bezeichnung Wächter Christi. Damit ist im Allgemeinen der Orden Prieuré de Sion gemeint. Die Wächter der Blutlinie Jesu oder auch Rosenlinie. Wir können aber davon ausgehen, dass da keine Verbindungen zur Kirche bestehen. Dann könnte man es noch ziemlich frei als Beschützer Christi auslegen. Da musste ich dann zuerst an die Gründer denken. Deshalb habe ich vorgeschlagen diese Frage unserem Informanten zu stellen. Das ist dann auch geschehen. Auf eine Antwort müssen wir leider noch warten.
Zum Schluss noch eine andere Sache. Da Bruder Rolando und Bruder Marcel von den Santen mittlerweile als gleichberechtigt angesehen werden, sollten wir aus formellen Gründen auch beide zur Sakramentsprüfung bringen. Bruder Marcel hat sich sofort bereiterklärt als erster die Prüfung abzulegen. Wenn unsere drei Griechenland Urlauber keine Einwände haben, können wir mit der Prüfung heute noch beginnen.“
Natürlich hatte keiner etwas dagegen. Bruder Andreas und Bruder Rolando brachten Bruder Marcel sofort zum Sakrament und wünschten ihm viel Erfolg bei der Formung.
Bruder Marcel sah sich in dem kleinen Raum um. Er war erst zum zweiten Mal hier, jedoch noch nie alleine. Die Einrichtung war sehr übersichtlich. Eine grobgezimmerte Sitzecke mit zwei Stühlen und einem Bett. Dominiert wurde alles von dem Sakrament. Es stand mitten im Raum. Daneben standen drei Krüge mit Wasser. An der Kopfwand war das Relief mit der Blume des Lebens eingemeißelt. Einige Kerzen gaben dem Raum ein fast romantisches Ambiente.
Nach Schilderung der Abläufe durch seine Vorgänger, würde er gleich müde werden, sich aufs Bett legen und quasi gleich wieder aufwachen. Dann wären die fünf Tage vorbei und er ein vollwertiger Hüter. Dass mit dem Müde werden schien auf jeden Fall zu stimmen. Also legte er sich auf die Pritsche und versuchte sich zu entspannen.
Kurz bevor er richtig einschlief, hörte er weit entfernt Stimmen. Waren die fünf Tage schon um und man kam um ihn abzuholen? Langsam richtete er sich auf und öffnete seine Augen. Doch er war nicht in der Kammer mit dem Sakrament. Dieser Raum schien riesig zu sein. Allerdings wurde er nur durch wenige Kerzen erhellt. Die Luft war extrem stickig und verqualmt. In dem Raum verteilt saßen oder lagen ungefähr fünfzig Männer in grauen Kutten. Zumindest waren es mal Kutten, jetzt handelte es sich eigentlich nur noch um verdreckte Fetzen. Doch die passten zu ihren Trägern. Die Männer waren vollkommen ausgemergelt und erschöpft. Etliche waren dem Tod näher als dem Leben. Trotzdem versuchten sie etwas mit letzter Kraft zu erledigen. Bisher schien ihn niemand bemerkt zu haben. Bruder Marcel tippte einem der Mönche auf die Schulter. Genauer gesagt er wollte es, doch seine Hand ging durch den Mönch hindurch. Sie schien nicht materiell zu sein. Langsam begann er zu begreifen. Obwohl er diesen Raum noch nie gesehen hatte, wusste er, dass er sich in dem alten Felsenkloster befand. Wahrscheinlich zu der Zeit als es von den Santen und der Kirche angegriffen wurde. Das Sakrament hatte ihn als Zeitzeugen hierher versetzt. Er konnte alles sehen und hören, war aber selbst nicht wahrzunehmen. Eigentlich eine interessante Variante. Er begann sich in dem Raum umzusehen. Scheinbar waren es die Katakomben. An den Seiten hatte man Nischen in den Felsen geschlagen in denen man die Toten beerdigte. Anschließend waren sie wieder verschlossen worden. Eine Nische war noch teilweise geöffnet. Außer einem schmucklosen Sarg befanden sich noch etliche Schriftrollen, Töpfe mit Münzen, alte Bücher und viele sakrale Gegenstände darin. Zwei Mönche waren damit beschäftigt, die Nische wieder zu verschließen. Bruder Marcel begriff, dass die Mönche ihren geistlichen und weltlichen Schatz in den alten Grabnischen versteckt hatten. Zwar makaber aber scheinbar sicher. Bisher hatte man so gut wie nichts davon entdeckt.
Der Raum besaß nur einen Zugang. Einen gemauerten Gang mit einer ungefähr drei Meter hohen Gewölbedecke. Alle fünf Meter wurde das Gewölbe zusätzlich durch eine Säule abgestützt. Der Gang maß mindestens hundert Meter in der Länge. Ihm fiel auf, dass etliche Schlusssteine der Decke entfernt worden waren. Andere waren nur noch mit Stangen abgestützt. Viele der Säulen waren voller Kerben. Der ganze Gang sollte wohl im Notfall zum Einsturz gebracht werden. Bruder Marcel ging bis zum anderen Ende des Ganges. Dort waren zwei Mönche mit einer Figur beschäftigt, die am Eingang des Ganges stand.
„Bruder Abt, das waren die letzten Handgriffe. Die Sachen sind in den Hohlräumen versteckt. Unser Abt Edgarus wird diese Dokumente beschützen.“
„Dann komm Bruder Karlas, lass uns zu den anderen zurückkehren. Sie müssten auch bald fertig sein. Wenn das Kloster gestürmt wird, sollte man nichts von den erhofften Reichtümern finden. Ich bete das Bruder Markus mit dem Sakrament sein Ziel erreicht.“
„Geht schon vor Bruder Abt, ich muss mich noch einen Moment erholen. Dann komme ich nach.“
Der Abt nahm eine der beiden Lampen und ging durch den Gang in Richtung der Katakomben. Bruder Marcel, genauer gesagt seine körperlose Erscheinung, sah sich die lebensgroße Figur genauer an. Er wusste, dass sie jetzt im Archiv der Santen stand. Doch von irgendwelchen Hohlräumen war ihm nichts bekannt. Als er sich gerade auf den Rückweg machen wollte kam aus dem Gang ein anderer Mönch. Er ging an der Figur und dem dahinter sitzenden Mönch vorbei und verschwand durch einen kaum sichtbaren Spalt in der Wand. Bruder Karlas, der sich gerade auf den Rückweg machen wollte folgte ihm vorsichtig. Natürlich folgte auch Bruder Marcel den beiden. Nach einigen Metern mündete der Spalt wieder in einen größeren Stollen, an dessen Ende eine Laterne leuchtete.
Die Person, die dort wartete, gehörte eindeutig nicht zu den Evanisten. Die rote Kutte wies ihn mindestens als Bischof aus. Der unbekannte Mönch verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor ihm.
„Eure Exzellenz Bischof Gerold, ich habe gute und schlechte Nachrichten für Euch. Alle Schätze sind in den Gräbern der Katakomben versteckt. Man kann sie ohne großen Aufwand wieder ausgraben. Doch das Sakrament ist bereits weggebracht worden. Außer dem Abt kennt niemand das Ziel.“
Der Bischof schien zu überlegen.
„Schade, dadurch wird die Angelegenheit verzögert. Aber es gibt keinen Grund noch länger zu warten. In drei Stunden werden durch diesen Stollen die Söldner angreifen. Mit Gegenwehr ist ja wohl nicht zu rechnen.“
Dann übergab er dem Mönch ein Band.
„Trage dieses Band damit man dich als Verbündeten erkennt. Du kannst sicher sein, dass du eine fürstliche Belohnung erhalten wirst.“
Bruder Karlas hatte genug gehört. Er ging sofort zurück in die Katakomben um den Abt über den Verrat zu informieren. Als der unbekannte Mönch bei seinen Mitbrüdern erschien wurde er sofort gefesselt und eingesperrt. Der Abt rief seine anderen Brüder zusammen.
„Es ist nun soweit. Wir haben noch eine letzte Aufgabe zu erfüllen, alles andere liegt nicht mehr in unserer Macht.“
Dann gingen sie an den Anfang des Gewölbeganges und entfernten die manipulierten Schlusssteine. Gleichzeitig schlugen sie die Stützsäulen weg. Bevor sie sich bis zu den Katakomben zurückgearbeitet hatten begann der Gang einzustürzen. Es war wie eine Kettenreaktion, die auch die eigentlichen Katakomben erfasste. Alle Evanisten wurden von den herabstürzenden Felsmassen erschlagen.
Bruder Marcel geriet auch in Panik, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass er nicht verschüttet werden konnte. Alles versank in Staub. Als er einen Hustenanfall bekam klopfte ihm jemand auf den Rücken.
„Hey alter Mann, was ist los?“
Neben ihm stand ein Mönch, der ihm bekannt vorkam. Keiner der ausgemergelten Männer in den verschlissenen Kutten. So langsam legten sich die Staubschwaden und sein Blick klärte sich. Er befand sich in der Kammer mit dem Sakrament. Neben ihm stand Bruder Rolando und sah ihn besorgt an. Bruder Andreas gab ihm einen Becher Wasser.
„Hier, trink einen Schluck. Ich habe den Eindruck, dass wir gleich wieder eine interessante Geschichte zu hören bekommen.“
Die beiden stützten Bruder Marcel und gemeinsam gingen sie in den großen Besprechungsraum, wo neben einem leckeren Büfett, auch die anderen Hüter warteten. Man gönnte ihm noch eine kleine Pause aber alle waren natürlich auf seine Geschichte gespannt.
„Wer war Abt Edgarus?“
Die Frage war an den Abt gerichtet. Der sah ihn ziemlich verständnislos an.
„Edgarus war der erste Abt der Evanisten in dem alten Felsenkloster.“
„Im Archiv der Santen steht eine lebensgroße Statue. Keiner wusste bisher wen sie darstellt. Es ist dieser Abt Edgarus. In dieser Figur müssen Hohlräume eingearbeitet sein, die irgendwelche wichtige Informationen verbergen. Das werde ich so schnell wie möglich überprüfen.“
Nachdenklich sah der Abt Bruder Marcel an.
„Als damals unser Bruder Markus mit dem Sakrament nach London kam hatte er einen Brief von seinem Abt Bernando bei sich. Diesen durfte er erst nach einem Jahr öffnen. Sinngemäß stand in dem Brief, dass unsere toten Brüder und besonders Abt Edgarus über das Schicksal und die Vergangenheit der Hüter wachen. Doch wie kommst du jetzt darauf?“
Jetzt erzählte Bruder Marcel von seiner Reise in die Vergangenheit. Den Verstecken in den Grabnischen, dem Verrat eines Mönches und wie die Mönche die Katakomben zum Einsturz gebracht hatten. Als er mit seiner Erzählung am Ende war herrschte erst einmal betretenes Schweigen.
Bruder Wolfgang unterbrach die Stille.
„Du sagtest, dass einer der Mönche mit einem hohen Tier der Kirche gesprochen hat. Kannst du dich noch an den Namen von diesem Typ erinnern?“
„Ja, das war ein Bischof Gerold. Er wurde mit dem Titel Eure Exzellenz angesprochen.“
Der Abt erhob sich langsam und sah seine Leute der Reihe nach an.
„Damit stehen unsere wichtigsten Aufgaben schon fest. Bruder Marcel lässt sich morgen nach Belgien bringen. Am sinnvollsten wäre es, wenn du die Statue von Abt Edgarus hierherbringen würdest. Bevor wir versuchen, die Hohlräume zu öffnen, sollten wir die Statue mit unserem 3D-Scanner vermessen. Bruder Wolfgang und Jack versuchen, irgendetwas über diesen Bischof Gerold in Erfahrung zu bringen. Allerdings glaube ich nicht an einen Erfolg. Schwester Sonja sollte sich den Brief von Abt Bernando an Bruder Markus noch einmal vornehmen. Vielleicht gibt es da ja noch mehr versteckte Hinweise. Hat noch jemand eine andere Idee?“
Bruder Marcel war der einzige, dem noch etwas einfiel:
„Ich habe noch zwei Punkte. Erstens habe ich seit fünf Tagen nichts mehr gegessen. Zweitens ist hier ein Büffet aufgebaut. Fällt jemandem eventuell eine Lösung ein um diese zwei Punkte miteinander zu verbinden?“
Überraschenderweise fand man sehr schnell eine Möglichkeit die von allen sofort akzeptiert wurde.
Bruder Marcel und Bruder Rolando fuhren am nächsten Morgen sofort nach Belgien. Dort ließen sie die Statue verpacken und in einen Transporter laden. Am nächsten Tag fuhren sie wieder zurück nach London und brachten die Figur in das Labor mit dem Scanner. Es dauerte eine Zeit bis sie komplett eingescannt war, dafür hatten sie aber ein digitales Abbild des Originalzustandes.
Zwischenzeitlich hatten Jack und Bruder Wolfgang versucht, etwas über einen Bischof Gerold der im siebzehnten Jahrhundert gelebt hatte in Erfahrung zu bringen. Allerdings ohne Erfolg. Deshalb begannen sie jetzt gemeinsam mit Bruder Marcel die Statue zu untersuchen. Sie stellte einen Mönch in einfacher Kutte auf einem Stuhl sitzend dar. Das Unterteil des Stuhls war wie ein geschlossener Kasten ausgebildet. Im Schoß umklammerte die Figur ein dickes Buch mit einem Arm. Mit dem anderen Arm stützte sich sie sich auf dem Stuhl ab. Auf der Vorderseite des Kastens war die Blume des Lebens eingemeißelt.
Bruder Wolfgang ging langsam um die Statue herum und klopfte sie mit einem kleinen Hammer ab.
„Auf den ersten Blick kann ich keine Hohlräume entdecken. Aber es gibt einige Stellen die dafür prädestiniert sind. Zum Beispiel das Buch, oder der Kasten, der in dem Stuhl integriert ist. Wahrscheinlich bleibt uns keine andere Möglichkeit als die Figur zu zerstören. Ist zwar schade drum, aber wohl nicht zu ändern. Oder hat von euch jemand noch eine andere Idee?“
Den beiden fiel auch nichts anderes ein. Bruder Wolfgang tauschte den kleinen Hammer gegen ein deutlich größeres Exemplar aus. Dann legte er eine Decke um den Kopf der Statue und schlug zu. Schon beim ersten Schlag löste sich der Kopf vom Rest und wäre auf den Boden gefallen, hätte Jack ihn nicht aufgefangen. Er wickelte den Kopf aus der Decke und betrachtete ihn neugierig. Man konnte erkennen, dass der massive Stein nachträglich ausgehöhlt worden war. Danach war er mit einem Harz oder Teer wieder ausgefüllt worden. Ob noch etwas darin eingeschlossen war ließ sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Jack legte den Kopf zur Seite und Bruder Wolfgang schlug weiter auf die Statue ein. Doch da war nur massiver Stein. Dann nahmen sie sich den Rest der Statue vor. Auch hier gab es nichts zu entdecken. Schließlich blieb nur noch der Sockel mit dem geschlossenen Stuhl übrig. Bevor sie diesen jedoch genauer untersuchten, legten sie den Rest der Statue vorsichtshalber auf den Rücken. Jetzt konnte man sofort erkennen, dass die Unterseite nachträglich eingesetzt worden war. Schon nach einigen leichten Hammerschlägen konnte die Platte entfernt werden. In den Hohlraum war eine Holztruhe eingepasst worden. Mit sanfter Gewalt und ein wenig hin und her schieben gelang es ihnen, die Truhe aus dem Sockel hervorzuziehen. Der Deckel der Truhe ließ sich einfach öffnen und unter einer Schicht verrotteter Samtstoffe wurde der Inhalt erkennbar. Münzen, wahrscheinlich sogar Goldmünzen. Für die damalige Zeit bestimmt ein unvorstellbarer Schatz. Aber die drei Hüter waren trotzdem enttäuscht. Obwohl sie nichts Bestimmtes erwartet hatten. Allerdings hatten sie mit mehr als nur materiellen Schätzen gerechnet. Vielleicht etwas, das eine ihrer unzähligen Fragen beantwortet hätte. Den Inhalt des Kopfes sowie die Münzen wollten sie am nächsten Tag untersuchen. Bruder Marcel versuchte die deprimierte Stimmung mit einer Flasche Rotwein zu verbessern, was ihm auch teilweise gelang. Plötzlich sprang er auf und sah Bruder Wolfgang und Jack an.
„Wir sind blinde Idioten. Ich habe gesehen, was für Schätze in die Grabkammern gelegt wurden. Das hier in der Statue ist nur ein Bruchteil davon. Die Münzen sind nur zur Ablenkung gedacht. Normale Plünderer würden damit mehr als zufrieden sein und abziehen. Aber das wirklich Wichtige muss noch in der Statue sein.“
Bruder Wolfgang nickte.
„Das was du sagst klingt logisch. Aber in dem Torso ist nichts. Das ist massiver Stein. Aber wir können die Figur trotzdem in kleine Stücke zerlegen, nur um wirklich sicher zu sein.“
„Ich glaube nicht, dass in dem Torso noch etwas versteckt ist, sondern im Sockel. Wir haben die Holztruhe herausgezogen und dann den Sockel nicht weiter untersucht. Genau das war der eigentliche Sinn dieser Holztruhe. Ein goldenes Ablenkungsmanöver. Ich bin überzeugt davon, dass in dem Sockel noch etwas versteckt ist.“
Bruder Wolfgang sah ihn an und trank dann in einem Schluck sein Weinglas leer.
„Wo du Recht hast, hast du Recht. Das werden wir in wenigen Minuten herausfinden.“
Sie gingen zurück zu der Statue. Mit einem langen Meißel vergrößerten sie den Raum, den vorher die Holztruhe eingenommen hatte. Schon nach kurzer Zeit hatten sie ein zweites Fach entdeckt. Vorsichtig schlugen sie ein kleines Loch hinein und vergrößerten dann die Öffnung, bis sie ein, in mittlerweile verrottete Tücher eingepacktes, Paket erkennen konnten. Vorsichtig nahm Bruder Wolfgang das Paket aus dem Hohlraum. Es schien sich um einen Stapel Dokumente zu handeln, die noch einmal in eine Art Wachstuch eingewickelt waren. Keiner der drei kam auf die Idee, die Dokumente einfach hier und jetzt auszupacken. Das Paket wurde so wie es war zu dem Kopf und der Holztruhe gelegt. Als Bruder Marcel dann erklärte, dass die Weinflasche kein Einzelkind war, sondern noch Geschwister hatte, verbesserte sich die Stimmung der drei Hüter schlagartig.
Am nächsten Morgen wurden die Fundstücke dann genauer untersucht. Das Paket mit den Dokumenten wurde von Aleyn in ein Museum gebracht, wo man die einzelnen Blätter konservieren würde. Vorher wurde von jedem einzelnen Dokument ein hochauflösendes Foto angefertigt. Diese Fotos brachte er wieder mit ins Kloster. Die Münzen wurden als französische Golddukaten identifiziert. Allein der reine Goldwert war schon beachtlich. Aber der historische Wert bzw. der Sammlerwert war noch deutlich höher. Die Masse in dem Kopf wurde mit einem normalen Bunsenbrenner erwärmt und konnte problemlos entfernt werden. In der Masse waren vier riesengroße speziell geschliffene Rubine eingebettet. Keiner der Hüter hatte eine Vorstellung was diese Steine für einen Wert präsentieren. Aber das war auch nicht relevant. Am interessantesten waren natürlich die Dokumente. Man konnte eindeutig erkennen, dass es sich um drei verschiedene Vorgänge handelte. Das eine schienen offizielle Dokumente oder Briefe zu sein. So richtig mit Unterschrift und Siegel. Da aber alles in lateinischer Sprache verfasst war, musste es natürlich erst übersetzt werden. Das war ein Job für Schwester Sonja, die sich damit erst einmal zurückzog.
Die anderen Dokumente sahen aus wie ein Mittelding zwischen einer isometrischen Skizze und einer Kindergartenzeichnung. Rohre, oder Wege bzw. Gänge verliefen kreuz und quer, ohne dass man ein Muster erkennen konnte. Manchmal kreuzten sie sich oder gingen ineinander über. Mal waren sie senkrecht, mal waagerecht schraffiert. Es gab Gebilde, die eng und welche, die weit schraffiert waren. Ein Blatt konnte als kalligraphisches Kunstwerk durchgehen, andere schienen auf abgerissenen Blättern skizziert zu sein. Von einem einheitlichen Maßstab war nichts zu erkennen. Bei den meisten Blättern wusste man nicht mal wo oben oder unten war. Keiner hatte auch nur die geringste Vorstellung um was es sich dabei handeln könnte. Es war ein Plan ja, aber von was? Jeder der Hüter bekam einen Satz Kopien und sollte sich Gedanken darüber machen.
Außerdem gab es noch eine Kupferplatte, in die diverse Symbole eingeritzt waren. Im Moment war aber nur die Patina zu erkennen.
Mittlerweile kam Sonja mit den Übersetzungen zurück. Sie sah Bruder Rolando und Bruder Marcel an und lächelte dabei.
„Herzlichen Glückwunsch. Den Brüdern vom Felsenkloster, als offizielle Eigentümer des Felsenklosters in den Ardennen, ist im Jahre 1628 ein stattliches Geschenk gemacht worden. Ein riesiges Waldgebiet an der Schelde in der Nähe von Antwerpen, sowie die Abteikirche St. Michael in Antwerpen. In der Statue lagen die Schenkungsurkunden, ausgestellt von Ferdinand von Bayern seines Zeichens Erzbischof von Köln und Fürstbischof von Lüttich. Die Besitztümer befanden sich in seinem Privatbesitz. Als Auflage wird allerdings die Wiederherstellung des guten Namens der Abtei festgeschrieben. Die Brüder vom Felsenkloster sind meines Wissens auch heute noch die Besitzer des Felsenklosters. Damit dürften sie Anspruch auf die in den Urkunden erwähnten Besitztümer haben. Die Urkunden sehen für meine Begriffe ganz schön echt aus. Aus den Unterlagen geht weiter hervor, dass ein Jahr später ein Bruder aus dem Felsenkloster als Abt Johannes Chrysostomus van der Sterre die Abtei übernahm und im Laufe der Zeit den arg angeschlagenen Ruf der Abtei wiederherstellte.
Man konnte Bruder Marcel und Bruder Rolando ansehen, dass sie von dieser Sache nichts wussten. Natürlich konnten bezüglich der Schenkung in dieser Runde keine Einzelheiten geklärt werden. Die Golddukaten und die Rubine wurden in die unterirdische Schatzkammer zu den Artefakten gebracht. Die Kopien der Schenkungsurkunden nahm Bruder Rolando an sich. Die Sache wollte er von den Anwälten der Santen klären lassen. Es wäre natürlich interessant zu wissen, wer momentan der angebliche Eigentümer war. Mit den ominösen Skizzen, die sich noch in der Statue befanden, sollte sich jeder für sich beschäftigen. Die Kupferplatte musste erst einmal gereinigt werden bevor man dazu näheres sagen konnte
In den nächsten Tagen gingen die Arbeiten im Kloster ihren normalen Gang. Zu tun gab es ja genug.
Die Hüter trafen sich zu ihrer wöchentlichen Besprechung. Zuerst wurden die allgemeinen Themen abgehandelt. Dabei gab es nichts Ungewöhnliches zu berichten. Alles bewegte sich im grünen Bereich. Doch Bruder Rolando hatte einige interessante Informationen. Er hatte Erkundigungen über die aktuellen Eigentumsverhältnisse der Abtei St. Michael und des Waldstückes einziehen lassen. Dabei kamen einige Überraschungen ans Licht.
„Die Abtei gibt es nicht mehr. Aber das Grundstück, was einen Teil der Altstadt ausmacht und sich bis ins Diamantenviertel zieht, ist noch als Einheit vorhanden. Aktueller Eigentümer ist eine Immobilienfirma deren Sitz, man höre und staune, im Vatikan angesiedelt ist. Auch das Waldstück, das dem Felsenkloster geschenkt wurde, ist nicht mehr vorhanden. Es ist mittlerweile ein Wohngebiet und teilweise Hafenanlage. Die ehemaligen Grenzen lassen sich auf Anhieb nicht mehr genau festlegen. Zufälligerweise ist der heutige Eigentümer die gleiche Immobilienfirma wie von dem Grundstück der ehemaligen Abtei. Wir sind mit unseren Recherchen noch nicht fertig, aber diese beiden Grundstücke gehörten angeblich schon immer der Kirche und sind erst vor einigen Jahren in die Immobilienfirma überführt worden. Diese Firma scheint in den Beneluxstaaten sowie in Frankreich und Deutschland jede Menge Immobilien im Namen der Kirche zu verwalten.“
Jetzt begann eine hitzige Diskussion darüber ob es sinnvoll wäre, die Ansprüche durchzusetzen, oder es zumindest zu versuchen. Die Meinungen darüber gingen weit auseinander. Von alles beim Alten lassen, bis zum Ausnützen aller rechtlichen Möglichkeiten. Überraschenderweise wurde die Diskussion von Dennis beendet.
„Ich bin ziemlich überrascht wie stark die Emotionen bei euch hochkochen können. An dem Wert dieser Immobilien kann es ja nicht unbedingt liegen. Weder die Santen noch die Evanisten müssen sich Gedanken machen wie sie die nächste Tankrechnung bezahlen. Oder liegt es daran, dass die Kirche die Gegenseite repräsentiert? Wisst ihr was mir total unverständlich ist? Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende lang haben die Hüter ihre Existenz verheimlicht. Es gab sie eigentlich nicht. Das wollt ihr jetzt wegen ein paar Grundstücken aufs Spiel setzen? Wenn ihr den Weg über die Gerichte wählt wird wohl kaum irgendein Dorfpfarrer hier auftauchen und sich für die unrechtmäßige Benutzung entschuldigen. Die Kirche oder genauer der Vatikan wird eine Gruppe hochkarätiger Rechtsverdreher aufbieten. Denen sollen sich dann die Mönche aus dem Kloster entgegenstellen? Die Santen als eigentliche Herren des Klosters können ja nicht aktiv werden. Wie lange meint ihr würde es dauern bis die Gegenseite anfängt misstrauisch zu werden? Und dann könnt ihr nicht mehr zurück. Auch wenn ihr den Prozess gewinnt, wäre die Kirche doch auf das Kloster aufmerksam geworden. Das soll aber doch gerade vermieden werden. Vielleicht sollten wir erstmal versuchen herauszufinden, wieso die Kirche überhaupt als Eigentümer auftritt. Irgendeine Art von Anspruch wird sie schon haben. Dann kann man immer noch überlegen inwieweit andere Schritte sinnvoll sind und vor allem welche.“
Einen Augenblick war es sehr still im Zimmer. Dann beendete der Abt diese Diskussion.
„Ich glaube den Argumenten von Dennis ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Vielleicht sollten wir unseren Mann im Vatikan auf diese Sache ansetzen. Er soll versuchen herauszufinden, woraus die Kirche einen Anspruch auf diese beiden Immobilien ableitet. Dann können wir unser weiteres Vorgehen anpassen.
Was hat sich denn mit diesen wirren Zeichnungen ergeben? Ich muss zugeben, dass ich selber dabei nicht einen Schritt weitergekommen bin.“
Bei diesem Thema übernahm Bruder Wolfgang die Gesprächsführung.
„Das ist eine ganz konfuse Sache. Wir sammeln momentan alle Einfälle. Allerdings ist diese Sammlung noch sehr übersichtlich. Einen Erfolg können wir aber verzeichnen. Auf einem Blatt ist unten rechts ein breiter Bogen dargestellt. Darin gibt es ein Wortfragment. TEVE…. Mehr ist nicht zu entziffern. Wir haben diese Buchstabenkombination durch den Computer laufen lassen. Unter anderem kam als Ergebnis das Wort TEVERE heraus. Das ist der italienische Name für den Fluss Tiber. Wenn der Bogen eine Flussschleife darstellen soll ergibt das sogar einen Sinn. Damit hätten wir vielleicht ein weiteres Puzzleteil. Über diesem Bogen ist eine eckige Schlangenlinie und darüber zwei Gebilde, die mit viel Fantasie als Flügel durchgehen könnten. Die Schlangenlinie könnte als Symbol für Burgzinnen dienen. Dann könnte das Gesamtsymbol für die Engelsburg in Rom dienen, die sich oberhalb einer Schleife des Tibers befindet. Was ja auch den Tatsachen entspricht. Damit würde auch ein Symbol auf einem anderen Blatt einen Sinn ergeben. Dieses Symbol entspricht in etwa dem damaligen Grundriss des Petersdoms mit dem Petersplatz. An dem Symbol der Engelsburg befindet sich links ein dicker, gerader Strich. So ein Strich befindet sich auch rechts vom Petersdom. Desweiteren gibt es zwei Seiten, die diesen schwarzen Strich ungefähr in der Mitte aufweisen. Wahrscheinlich muss man diese Blätter in einer Reihe aneinanderlegen. Der schwarze Strich würde dann den Passetto, den oberirdischen Fluchtgang zwischen Petersdom und Engelsburg symbolisieren. Aber das sind im Moment alles noch Vermutungen. Doch mit irgendetwas muss man ja anfangen. Jack ist momentan dabei, die einzelnen Blätter in ein CAD-Programm zu übertragen. Vielleicht ergeben sich dann wieder neue Erkenntnisse. Die Kupferscheibe wurde im Museum gereinigt. Sie scheint eine einfache Darstellung unseres Sonnensystems zu sein. In der Mitte die Sonne und rundherum die Planeten. Natürlich ohne irgendwelche Maßstäbe zu berücksichtigen. Wir haben versucht herauszufinden, wann die dargestellte Konstellation erreicht ist. Es müsste Ende dieses Jahrhunderts sein. Natürlich unter Vorbehalt. Ein Foto dieser Scheibe wurde zu einer Sternwarte geschickt mit der Bitte um eine Zeitangabe für diese Konstellation. Es ist allerdings noch keine Antwort eingetroffen.
„Das ist doch schon mehr als ich zu hoffen wagte. Und wegen der beiden Grundstücke in Antwerpen werde ich Morgen unseren inoffiziellen Helfer im vatikanischen Archiv kontaktieren. Mal sehen, was der gute Mann uns für Informationen beschaffen kann. Das wäre es im Moment.“