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Nach der Aufführung war er im Da Sandro eingekehrt. Er hatte sich zuvor einen Tisch reserviert. Das Nudelgericht, das ihm der Küchenchef und zugleich Lokalbesitzer kredenzte, war wie immer hervorragend.

»Ottimo, amico mio. Wunderbar. Bestens.«

Der kleine Sizilianer grinste übers ganze Gesicht.

»É così che deve essere, amico commissario. Wenn so ist, dann gut. Du musst … äh stentare, tormentare … wie man sagt in Deutsch?«

»Quälen?«

»Giusto. Du musst quälen dich, molte ore, für Stunden so viele, bei musica von diese sehr eigenwillige compositore tedesco, diese Maestro Wagner. Dann du verdienst zu bekommen immerhin jetzt eine gute Eindruck von bella cultura italiana.«

Er deutete mit der Hand auf den Teller.

»Pasta alla Norma. Das ist wie musica. Ganz anderes als bei Ricardo Wagner.«

Merana war klar, worauf Sandro hier anspielte. Das Nudelgericht galt als Hit der sizilianischen Küche, fein abgeschmeckt mit Ricotta salata, einen für Sizilien typischen Schafsfrischkäse. Und es ist benannt nach einer Oper, nach Norma, von Vincenzo Bellini, der aus Sizilien stammte.

»Grazie, maestro della cucina. Ja, die musica des compositore tedesco Ricardo Wagner hat wirklich lange gedauert, da gebe ich dir recht. Aber ich habe sie dennoch sehr genossen.« Er wies zum Teller. »Noch eine Frage: Von wo hast du denn dieses Mal diese köstliche Melanzane hergezaubert?«

»Quello, signor commissario ammirato, rimane un segreto, diese bleibt mein Geheimnis. Rifornitore giusto. Man muss kennen die richtige Lieferant.« Das Lachen des Sizilianers erfüllte den Raum, erwärmte Merana. Zusammen mit dem hervorragenden Nero d’Avola, der ihm zum Essen angeboten wurde.

Merana war am frühen Vormittag im Pinzgau aufgebrochen. Er hatte seinen Wagen auf dem Parkplatz der Polizeidirektion abgestellt und war dann zu Fuß in die Innenstadt geschlendert. Nachdem er im Da Sandro einen Espresso genossen hatte, machte er sich auf den Rückweg. Es war angenehm warm. In der Altstadt herrschte belebende Regsamkeit. Das gefiel Merana. In den Gassen, auf den Plätzen. Touristengruppen, Tagesausflügler, Gäste der Osterfestspiele, und dazwischen immer wieder viele Einheimische. Die im Freien stehenden Kaffeehaustische waren bestens gefüllt. Viele genossen die Ostermontag-Festtagsatmosphäre inmitten der barocken Pracht der Salzburger Altstadt. Auf dem Mozartplatz trat ihm eine junge Frau in den Weg, durchaus freundlich. Die Kappe, die sie schräg auf dem Kopf trug, wirkte pfiffig. Eine Art Baskenmütze in dunkler Farbe. Sie drückte ihm ein Flugblatt in die Hand. Sie war eine von mehreren jungen Leuten, die reihum Blätter verteilten.

»Bitte, mein Herr, wenn auch Ihnen unsere schützenswerte Umwelt ein Anliegen ist, dann können Sie gleich hier unterschreiben!« Sie wies zu einem hölzernen Stand am Rand des Platzes. Eine junge Frau mit auffallend roten Haaren winkte herüber. Auch sie verteilte Blätter. Mehrere Leute waren dort zu sehen. Zwei ältere Frauen beugten sich über einen Tisch. Sie waren dabei, ihre Unterschrift zu hinterlassen. »Stoppt Serena!« prangte auf einer großen Tafel über dem improvisierten kleinen Kiosk. Gemeint war dabei gewiss nicht die amerikanische Tennisspielerin Serena Williams, die ihre unnachahmliche Karriere noch nicht beendet hatte. Merana schmunzelte bei dem Gedanken. Es galt, ganz anderes zu stoppen. »Schluss mit Umweltsünden!« war einem weiteren Schild zu entnehmen. Merana vermutete zu wissen, worum es dabei ging. Wenn er sich recht erinnerte, plante eine Salzburger Firma, die Serena AG, eine Betriebserweiterung irgendwo im Norden der Stadt. Dagegen regte sich Widerstand.

»Danke, ich schaue es mir an.« Er steckte das Flugblatt ein.

»Sie können unsere Petition auch im Internet unterschreiben«, rief ihm die junge Frau nach, während er rasch seinen Weg fortsetzte.

Später erzählte er davon der Großmutter beim Telefonat am Abend. Er richtete ihr zudem schöne Grüße von Sandro aus. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch schilderte er ein paar seiner Eindrücke von der Parsifal-Aufführung. Gegen 21.30 Uhr setzte er sich an den Schreibtisch und klinkte sich in den Bürocomputer ein. Er wollte noch ein wenig arbeiten, zumindest einen Teil der eingegangenen Nachrichten und dienstlichen Infos überfliegen. Er ging früh zu Bett, jedenfalls für seine Verhältnisse. Die Uhr zeigte erst kurz vor Mitternacht.

Am nächsten Morgen griff er sich Joggingschuhe und Sportdress. Er lief fast eine Stunde. Danach duschte er, gönnte sich zwei große Tassen Espresso und war um 8.50 Uhr in seinem Büro. Er überflog den Mailposteingang und kramte in den Unterlagen, die man ihm seit seiner Abwesenheit auf den Schreibtisch gelegt hatte. Gegen 9.30 Uhr griff er zum Telefon. Er wählte die Nummer der Salzburger Festspiele und ließ sich verbinden.

»Guten Morgen, Herr Kommissar. Wie geht es Ihnen? Wie hat Ihnen denn gestern die Parsifal-Aufführung gefallen? Die Frau Präsidentin hat mir von der Begegnung erzählt.«

»Guten Morgen, Frau Hertel. Alles in allem war ich sehr beeindruckt. Vor allem musikalisch. Szenisch hätte ich ein paar Anmerkungen zu machen.«

»So erging es mir auch. Ich habe die Premiere gesehen. Die Frau Präsidentin hat mich darüber informiert, dass Sie anrufen werden. Es geht um einen Termin, wie sie andeutete. Wie lange werden Sie mit der Frau Präsidentin brauchen, Herr Kommissar? Reicht für das Gespräch etwa eine halbe Stunde?«

»Aber natürlich, Frau Hertel. Das wäre fein.«

»Dann kann ich Ihnen für übermorgen etwas anbieten. Ich habe das Interview mit der Journalistin von der Süddeutschen etwas nach hinten geschoben und die geplante Besprechung mit dem Kaufmännischen Direktor verkürzt, dann geht sich das gut aus. Sagen wir, um 11.20 Uhr bei uns im Büro?«

»Sehr gerne. Das passt bestens. Vielen Dank, Frau Hertel.«

»Nichts zu danken, Herr Kommissar. Für Sie immer. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«

»Gleichfalls, Frau Hertel.«

Er legte auf, widmete sich den Unterlagen und den Infos im PC.

Gegen Mittag klopfte es.

»Ja, bitte.«

In der geöffneten Tür erschien der Abteilungsinspektor.

»Hallo, Otmar.« Er deutete mit der Hand auf einen der freien Stühle.

Sein Freund und Kollege nahm Platz, legte eine dünne grüne Mappe auf Meranas ohnehin angefüllten Schreibtisch.

»Wie war es im Pinzgau bei der Großmutter?«

»Ich bin froh, dass sie immer noch in guter Verfassung ist. Das Miteinander hat uns beiden wohlgetan.«

»Warst du schon beim Chef, Martin?« Dem Kommissar entfuhr ein Schnauben. Nein, das stand ihm noch bevor. Aber das hatte Zeit.

»Ich schaue am Nachmittag zu ihm rüber. Aber den lieben Günther interessiert derzeit ohnehin nur eines: ob mir etwas Passendes eingefallen ist, damit er sich bei den Kollegen, die über Pfingsten zum Meeting kommen, glanzvoll präsentieren kann.«

Der Abteilungsinspektor grinste.

»Und ist dir etwas eingefallen, Herr Kommissar?«

Merana vollführte eine abschätzige Handbewegung. »Möglicherweise. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass du mit mir darüber reden willst. Also, was kann ich für dich tun, Herr Abteilungsinspektor?«

Otmar Braunberger beugte sich vor. Er öffnete die grüne Mappe.

»Ich habe dir dazu eine kurze Mailnachricht geschickt.«

Der Kommissar blickte auf den Schnellhefter.

»Ja, ich erinnere mich. Die Nachricht habe ich gestern Abend von zu Hause aus schnell überflogen. Es geht um diese Knochen, die man am Karfreitag auf dem Kapuzinerberg gefunden hat.«

Er zog die geöffnete Mappe näher heran, blickte auf die Bilder.

»Es gab am Abend einen Fernsehbericht. Den habe ich gesehen. Wenn ich mich recht erinnere, ging es dabei nur um das tote Gamstier. Von menschlichen Knochen wurde nichts erwähnt.«

Der Abteilungsinspektor nickte. »Die zum Kapuzinerberg gerufenen Kollegen haben das mit den Journalisten gleich abgeklärt. Tote Gämse ja, menschliche Skelettteile nein.«

Der Kommissar nickte, studierte die Bilder, blätterte um.

»Ich erkenne keinen direkten Zusammenhang, ob das überhaupt etwas für uns ist. Wenn es sich um einen polizeilichen Fall handelt, dann liegt das Ganze sehr weit zurück. Vielleicht sogar an die 100 Jahre, wie ich deinen Notizen entnehme. Es wäre mir lieb, Otmar, wenn du dich darum kümmern kannst. Ich bin mit anderer Arbeit eingedeckt. Halt mich auf dem Laufenden, falls sich etwas Interessantes ergibt.« Er schloss die schmale Mappe, schob sie zurück.

Er stockte. Das Gesicht seines langjährigen Mitarbeiters und Freundes blickte ihn ernst an. Sehr ernst.

»Ist noch etwas, Otmar?«

»Ja, Martin.« Der Abteilungsinspektor räusperte sich. »Es hat sich etwas ergeben. Deshalb bin ich hier.«

Merana schaute auf die Uhr. Das geschah eher unwillkürlich. Die beiden kannten einander sehr lange. Er konnte seinem Freund und Mitarbeiter direkt sagen, dass er mit vielen Aufgaben eingedeckt war und wenig Zeit hatte. Da brauchte es keinen verstohlenen Hinweis durch einen Blick zur Uhr.

»Ich nehme an, es ist wichtig, Otmar. Sehr wichtig?«

Der andere nickte, griff in die Tasche seines Sakkos. Als er die Hand hervorzog, hielt er einen kleinen Gegenstand in den Fingern. Er legte ihn auf den Schreibtisch.

»Dieser Ring wurde zusammen mit den Skelettteilen gefunden.«

Der Kommissar schaute den Kollegen leicht verwundert an.

»Davon habe ich gestern nichts in deiner Mailnachricht gelesen.«

»Nein. Davon stand nichts in der Notiz. Ich hielt es zu dem Zeitpunkt nicht für so wichtig.«

»Aber jetzt schon. Was ist mit diesem Ring?«

»Ich habe ihn gestern unseren Technikern weitergegeben zur genaueren Untersuchung.«

»Und?«

»Die Jungs von Thomas Brunner waren erfolgreich.«

Mit dem Chef der Tatortgruppe hatte er heute einen Termin, fiel ihm ein. Wegen einer anderen Angelegenheit. Er streckte die Hand aus, nahm das kleine Schmuckstück. Es machte keinen besonderen Eindruck, schien alt und abgegriffen. Doch an der Innenseite war der Ring offenbar kürzlich behandelt worden. Von den Technikern, wie Merana annahm. Die behandelte Stelle war hell poliert. Er hielt den Ring näher ans Auge.

»Da ist etwas zu erkennen, Otmar. Sind das Ziffern?«

Der Angesprochene nickte.

»Ja. 21, 6, 44.«

Die Inschrift war sehr klein, aber man konnte sie gut ausmachen. Unter dem Mikroskop der Techniker waren die Ziffern sicher eindeutig erkennbar.

»21, 6, 44 – das könnte ein Datum sein.« Er drehte den Ring in den Fingern. Dann probierte er, ihn sich anzustecken. Doch nicht einmal an Meranas kleinem Finger passte er. »Die Hand, die ihn trug, war gewiss schmal. Der Ring könnte ein Geburtstagsgeschenk gewesen sein. Vielleicht handelt es sich um einen Ehering. Dann könnte es sich bei den Ziffern um ein Hochzeitsdatum handeln.«

»Ja, davon bin ich auch ausgegangen.«

Der Abteilungsinspektor nahm die Mappe in die Hand.

»Wie du weißt, habe ich gute Beziehungen zu den Beamten im Magistrat. Zu denen im Standesamt genauso wie zu denen im Archiv. Ich habe mich heute Früh an die Magistratskollegen gewandt. Vor wenigen Minuten erhielt ich diesen Archivauszug.«

Er kramte im Ordner, zog aus den hinteren Unterlagen ein Blatt hervor.

»Was ist das?«

»Die Kopie einer Heiratsurkunde. Vom 21. Juni 1944.«

Braunberger reichte Merana das Blatt.

»Ich möchte, dass du dir das genau anschaust, Martin. Und dann wirst du entscheiden, wie es weitergehen soll.«

Der ernste Tonfall in der Stimme seines Mitarbeiters irritierte ihn. Auch die Formulierung klang eigenartig. Merana nahm das Blatt in die Hand. Das darauf abgebildete Dokument war alt, gelbstichig. Was ihm sofort ins Auge sprang, war der auffällige Stempelabdruck. Ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln. Unter seinen Krallen ein großes Hakenkreuz. Das war zu erwarten gewesen. 1944. Natürlich, ein Hakenkreuz. Aber es irritierte ihn dennoch. Es war mehr als bloße Irritation. Er spürte tiefe Ablehnung in sich aufsteigen. Widerwillen. 1944, da hatte es kein Österreich mehr gegeben. Schon einige Jahre nicht mehr. Da war seine heutige Heimat Teil des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Der historische Sachverhalt war eindeutig. Und die Österreicher hatten sich in großen Scharen jubelnd den neuen Machthabern zugewandt. Sie waren keine Opfer. Viele wurden Mittäter. Daran bestand kein Zweifel. Das war lange vor seiner Geburt geschehen. Er konnte nichts dafür. Aber er verspürte dennoch eine Mischung aus Wut und Traurigkeit, wenn er daran dachte. Langsam ließ er die Augen über das abgebildete Dokument gleiten. Das Datum war deutlich zu erkennen, notiert in gestochen klarer Schrift. »Heiratsurkunde« stand am Kopf des Dokuments, in dicken gotischen Frakturlettern. Zu Beginn des Textes hieß es:

Vor dem unterzeichneten Standesbeamten erschienen heute zum Zwecke der Eheschließung …

Dann waren die Namen notiert. In deutscher Kurrentschrift. Damit war er nicht allzu vertraut. »Dein Opa hat sich alles in Kurrent notiert. Manchmal sogar auf Rezepten. Das war aber für unseren Apotheker kein Problem«, hatte ihm die Großmutter öfter über die Schreibgewohnten ihres Mannes berichtet. Sein Großvater war praktischer Arzt gewesen. Merana hatte sich Kurrentschrift in der Volksschulzeit selbst beigebracht. Einfach aus Interesse. Er blickte intensiver auf das Blatt. Vielleicht reichten seine spärlichen Kenntnisse noch. Natürlich konnte er das die Techniker lösen lassen. Und er konnte getrost davon ausgehen, dass auch Otmar wusste, was hier stand. Aber er wollte es selbst probieren. Seine Augen wanderten über die ersten Buchstaben.

Der Obergefreite Niklas Stirner … las er.

Stirner? Er hielt inne, blickte verdutzt auf. Stirner? Konnte das sein? Er schüttelte den Kopf. Wohl eher nicht. Seine Augen glitten weiter. … geboren 13. April 1922. Die Entzifferung der angegebenen Adresse ließ er beiseite. Was ihn mehr interessierte, war der Name der Braut. … und die Verkäuferin Maresa Grubtal … Sein Atem stockte. Also doch? Nach ihrer Verehelichung hieß die Frau natürlich nicht mehr Grubtal mit Familiennamen, sondern ebenfalls Stirner.

Maresa Stirner. Die Mutter von …

»Emilia Stirner«, flüsterte er. Er ließ das Blatt sinken, starrte ungläubig zu seinem Kollegen.

»Maresa Stirner? Kann das sein?«

»Ja.« Immer noch wirkte der Abteilungsinspektor sehr ernst. Sogar besorgt. »Ich wollte es dir persönlich zeigen, Martin, und nicht als Mailnachricht schicken. Wann hattest du zuletzt Kontakt zu Frau Professor Stirner?«

Merana schüttelte langsam den Kopf.

»Ich weiß nicht. Das ist sicher sehr lange her. Zehn Jahre mindestens. Vielleicht länger. Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt noch lebt.«

»Sie lebt noch.« Braunberger langte in die Mappe. »Und sie wohnt immer noch in Salzburg. Sogar an derselben Adresse. Was neu ist, ist ihre Telefonnummer.«

Er holte einen Zettel hervor, legte ihn vor Merana.

Emilia Stirner, las der Kommissar auf dem Blatt, geboren am 24.09.1945 in Salzburg. Darunter standen Anschrift und Handynummer. Ja, die Adresse war ihm vertraut.

Salzburgsünde

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