Читать книгу Blutige Maiglöckchen zum Hochzeitstag - Manfred Eisner - Страница 10

Ränkespiele

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»Moin, moin, liebe Kollegen! Ich hoffe, ihr hattet ein geruhsames Wochenende!« Beschwingt betritt Kriminalkommissarin Margrit Förster das Arbeitszimmer, in dem das vierköpfige LKA-Sonderermittlungsteam zurzeit mit der Aufarbeitung von Cold-Case-Fällen beschäftigt ist. Auf jedem ihrer Schreibtische türmen sich Akten von bisher – aus welchem Grund auch immer – ungelöst gebliebenen Straftaten aller Art. Vor allem sind es mysteriöse Tötungs- und schwere Körperverletzungsfälle, teilweise schon vor mehreren Jahren begangen, die sich diese Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel vornimmt, den oder die ominösen Täter zu entlarven und sie ihrer längst fälligen und gerechten Strafe zuzuführen.

»Grues di, Margrit!«, tönt es hinter dem Bildschirm hervor, an dem Fachinspektor Ferdinand Csmarits gebannt die Daten screent, die er vor seinen Augen langsam herunterscrollen lässt. Der neben ihm stehende Kriminalkommissar Robert Zander, der ebenfalls aufmerksam auf Ferdls Bildschirm schaut, hebt kurz den Kopf, nickt ihr mit einem Lächeln zu und sagt lediglich: »Hallo, Margrit!«, bevor er wieder den Blick auf die Mattscheibe senkt.

»Da hammer’n, das feine Bürscherl!«, ruft Ferdl erfreut aus und deutet auf die Datei mit dem digitalisierten Bild und die Personenbeschreibung des Gesuchten. »Dieser Habermann Karl ist eindeutig der Pülcher, der auf dem Überwachungsvideo das junge Madel bedrängt, das man später unter der Bahnbrück’n verg’waltigt und erwürgt aufg’funden hat. Und der Oasch hat an Akt so lang wie Wagners Nibelungenring: Sei Highlights: Drei Mal hams ean scho einkastelt wegen Erpressung, bewaffneten Raubs und zuletzt wegen Totschlags. A feins Früchterl! Is erst vor a paar Monate aus der JVA Neumünster freikemmen und steckt scho wieder mit beid’n Hax’n tief im braunen Eimer! Wan der Richter nur an Zentimeter Gripps hat, Spezi, geht’s für di lebenslänglich ins Häfer! Da bin i mir sicher!«

»Gute Arbeit, Kollegen!«, lobt Nili ihr Team. »Wieder ein gelöster Fall mehr und eine Akte weniger.« Sie wendet sich an Ferdl: »Seien Sie so gut und leiten die Daten an Frau Staatsanwältin Doktor Bach in Itzehoe weiter. Ich rufe unseren ›Hein Gröhl‹ bei der Kriminalbezirksinspektion in der Großen Paaschburg an, um ihn ins Bild zu setzen, damit er den Verdächtigen festnageln kann. Da haben wir bei unserem Herrn Kriminalrat Stöver mal wieder einen gut. Und auch nochmals vielen Dank für Ihre gestrige Blitzaktion, Ferdl! Sie haben dem KTI-Kollegen Lutz Krause mit dem Ergebnis wirklich kolossal imponiert. Übrigens auch Herrn Doktor Mohr und mir mit den umfassenden Daten, die Sie herausgefunden haben. Und das nur aufgrund eines Eherings. Wirklich toll! Wie machen Sie das nur?«

»Steht doch bei Matheus 7, Vers 8 in der Bibel, Chefin: ›Wer suchet …‹ Hams doch sicher scho mal g’hört, oder?«

»Stimmt, Ferdl, aber was leider nicht dahinter steht, ist ›Gewusst wo!‹.« Grienend greift sie zum Telefonhörer und wählt.

»Was sollen wir als Nächstes angehen, Nili?«, fragt Robert, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hat und nach ihrem Kaffeekrug mit der Aufschrift ›Mi querido tinto‹ greift. Während sie einige Schlucke ihres ›geliebten Schwarzen‹ zu sich nimmt, sinniert sie einen Augenblick lang, wie es wohl ihrer Freundin Sandra und ihren kolumbianischen Kollegen gehen mag, mit denen die junge Kitt Harmsen und sie damals den Dschungel auf der lebensgefährlichen Suche nach Coca-Plantagen und Kokainbrauern durchkämmt haben. Auch sie war sehr berührt, als sie am Freitagabend die bekannten Gesichter auf dem Videofilm wiedergesehen und ihre Stimmen gehört hat.

Nili blickt auf und der fragende Blick des Kollegen bringt sie in die Gegenwart zurück. Sie berichtet kurz über die furchtbar verunstaltete Frauenleiche, die man im Forst in der Nähe Kiels aufgefunden hat. Das bringt sie auf einen Gedanken: »Ich denke, wir sollten mal unseren Aktenstoß nach ungelösten Fällen von derart verwerflichen Gewaltakten gegen Frauen durchforsten. Es ist wirklich krank, was sich da so mancher Ehemann oder Lebenspartner gegenüber seiner Frau oder Freundin an Gewalttätigkeiten und Misshandlungen herausnimmt, ohne dass die Missetäter dafür zur Verantwortung gezogen werden!«

»Das Ganze hapert doch meistens an der Scheu oder auch Scham der Geschädigten, ihren Peiniger anzuzeigen«, relativiert Robert, während er sich seine Akten vornimmt, um dem Vorschlag Folge zu leisten. »Und wenn sie es doch mal wagen, dann ziehen sie kurz darauf reumütig die Anzeige wieder zurück, weil …« Er stocTitlekt, weiß er doch gerade nicht, wie er es richtig formulieren soll.

Margrit kommt ihm zu Hilfe. »Weil sich solche Frauen in ihrem Innern immer noch dem Mann untertänig fühlen oder ihm blauäugig vertrauen. Sie verzeihen ihm sogar, wenn er ihnen heilig verspricht, sie nie wieder zu verprügeln.« Während auch sie ihren Aktenstapel durchforstet, setzt sie hinzu: »Was meinen Sie, Ferdl?«

Der Fachinspektor liest gerade in der offenen Akte und schüttelt ungläubig den Kopf: »Das müsst ihr euch mal anhören, Kollegen: Da hab i an Fall derwischt, der vor sechzehn Monate hier in Kiel passiert is. Wann’s das so hörst, wirst ganz schö krawutisch! Gehns, seins so guat, Robert, lesen’s vor, Ihr Hochdaitsch is besser als meins!« Er reicht dem Kollegen den Ordner hinüber.

Robert überfliegt das Geschriebene. Offensichtlich betroffen, räuspert er sich und berichtet: »Ich fasse mal zusammen, was hier drinsteht: Eine gewisse Cindy Frohm, siebenundzwanzig Jahre alt, und ihr Bekannter Rafael Kohlmann, achtunddreißig, waren bei Freunden auf einer Party, bei der ziemlich heftig gebechert wurde. Beide waren mittel bis stark alkoholisiert. Besagter Rafael hatte vergeblich versucht, eine andere Frau anzumachen, die ihn aber abblitzen ließ. Entsprechend wütend bemerkte er plötzlich, dass seine Cindy inzwischen sehr intim mit einem anderen Mann tanzte und es anscheinend willig geschehen ließ, dass dieser – entschuldigen Sie bitte, meine Damen, denn jetzt wird’s etwas krass, also ich zitiere – ihr sein in der Hose markant erigiertes Glied zwischen die Schenkel drückte. Von Eifersucht getrieben, riss er das Paar auseinander und wollte den Mann tätlich angreifen. Nur mit großer Mühe konnten ihn die in der Nähe stehenden Gäste bändigen und ihn von der Gewalttätigkeit abhalten. Nachdem sich die Lage einigermaßen beruhigt hatte, bat der Hausherr die beiden zu gehen, damit die Feier unbelastet fortgeführt werden konnte. Rafael ließ seinen Wagen stehen und das Paar machte sich zu Fuß auf den Nachhauseweg. Unterwegs überschüttete der Kerl seine Begleiterin mit argen Vorwürfen bezüglich ihres unmöglichen Verhaltens, das sie damit rechtfertigte, dass er es ja ebenso mit dieser Bitch im Wintergarten getrieben hätte. Während sie laut streitend durch eine abgelegene Gegend gingen, riss Rafael der Geduldsfaden und er prügelte Cindy windelweich, bis sie mit gespaltener Lippe, blutender Nase und angebrochenem Nasenbein auf den Gehweg stürzte und dort liegen blieb. Angeblich hielt Rafael darauf ein vorbeifahrendes Taxi an und fuhr einfach davon. Ein zufällig vorbeikommender älterer Mann, der seinen Hund Gassi führte, hatte den Vorfall beobachtet und half Cindy wieder auf die Beine. Er griff nach seinem Handy, um die Polizei zu benachrichtigen, Cindy hielt ihn aber davon ab und bat darum, er möge ihr nur ein Taxi rufen. Kurz nachdem sie weggefahren war, kam ein Streifenwagen vorbei und der Zeuge namens Marco Thieslaff, neunundsechzig Jahre alt, schilderte den Beamten den stattgefundenen Vorfall. Diese fertigten daraufhin ein Protokoll an. Nachdem Cindy die ganze Nacht schlaflos und mit starken Schmerzen in einem Hotelzimmer verbracht hatte, fuhr sie in aller Frühe ins Städtische Krankenhaus, wo man neben einem blauen Auge und dem geschwollenen Gesicht auch noch Hämatome auf Brust und Armen feststellte. Man versorgte die Wunden und richtete die Nase. Die behandelnde Ärztin in der Notambulanz – eine Frau Doktor Wohlgast oder Wohlgarten – machte vorsichtshalber Fotos von den Blessuren für das Krankenhausarchiv. Auf die Weigerung der Patientin, Kopien der Fotos mitzunehmen, empfahl sie Cindy jedoch, gegen ihren Freund unbedingt Anzeige wegen körperlicher Misshandlung zu erstatten. Deswegen soll sich Cindy danach doch noch bei einer Polizeistation gemeldet haben. Da sie sich nicht so gut in Kiel auskennt, kann sie sich jedoch nicht mehr genau erinnern, wo diese gelegen war. Sie zeigte Rafael Kohlmann dort namentlich wegen Körperverletzung an. Gemäß ihrer Darstellung wurde zwar die Anzeige von einem Beamten schriftlich aufgenommen, ihr allerdings weder ein Protokoll zur Unterschrift vorgelegt noch eine Aktenzeichennummer bekannt gegeben, sodass sie von dem Vorgang keinen Beleg erhielt. Man soll ihr angeblich nahegelegt haben, die formelle Anzeige an ihrem gemeldeten Wohnort, Gemeinde Schönberg, zu erstatten. Dazu werde sie von der dortigen Polizeistelle eine schriftliche Anforderung erhalten. Eine solche hat sie allerdings nie zu Gesicht bekommen. Als sie in der dortigen Polizei-Zentralstation in der Ostseestraße zwei Wochen später vorstellig wurde, um danach zu fragen, wusste man angeblich nichts von dem Vorgang. Weil sie keine Aktenzeichennummer besaß, konnte man ihr auch hier nicht weiterhelfen. Zwei Monate später erhielt sie überraschenderweise ein Schreiben des Amtsgerichts, in dem ihr auf Antrag der Staatsanwaltschaft – gemäß Paragraph 170, Abs. 2 StPO – ich zitiere: ›Verfahrenseinstellung mangels eines hinreichenden Tatverdachts‹ mitgeteilt wurde. Die Begründung lautete, es stünde Aussage gegen Aussage, da der Beklagte Kohlmann ihrer Schilderung des Tathergangs widersprochen habe und diese als glatte Lüge bezeichnete. Die Frau sei vollkommen betrunken gewesen, deshalb gegen einen Laternenmast gelaufen und gestürzt. Als er ihr zu Hilfe eilen wollte, habe sie ihn unflätig beschimpft und ihn aufgefordert, ›sich zu verpissen‹. Darauf sei er in ein vorbeifahrendes Taxi gestiegen, habe aber mit seinem Handy den Polizeiruf 110 gewählt und ihre Verletzung gemeldet. Deshalb sei wohl auch ein Streifenwagen dort vorstellig geworden.«

Robert legt eine Verschnaufpause ein. Während er stumm weiterliest, meint Margrit: »Wenn man das so hört, da möchte man sich doch so einen gemeinen Kerl vornehmen und ihn ordentlich verdreschen, nicht wahr?«

Robert nickt und ergreift wieder das Wort: »Aber jetzt kommen einige wirklich außergewöhnliche Anmerkungen, und es ist mir unerklärlich, wie so etwas hier auftaucht. Hört euch das mal an: Unhaltbare Zustände! Wieso gibt es kein amtliches Protokoll von der Anzeige der Geschädigten? Der Zeuge wurde nicht vernommen – dabei hätte ja die Aussage der Frau bestätigt werden können. Und in der Mitteilung der Verfahrenseinstellung vom Amtsgericht fehlt ebenso der obligate Hinweis auf die gesetzlich geregelte Möglichkeit zum Widerspruch oder zur Beschwerde-Einreichung. Frau Frohm ließ diese aus Unkenntnis verstreichen und konnte nichts mehr unternehmen, sodass der üble Täter unbestraft bleibt! Eine Schande ist das!«

Es folgt allgemeine Ratlosigkeit. Walter Mohr hatte den Arbeitsraum des Teams gerade in dem Augenblick betreten, als Robert Zander mit der Tatschilderung begann. Er meldet sich jetzt zu Wort: »Guten Morgen, Kollegen! In der Tat, eine ziemlich außergewöhnliche Darstellung, die mir da eben zu Ohren gekommen ist! Woher kommt überhaupt diese Akte?«

»Moin, moin!«, klingt es unisono seitens Margrit und Robert.

»Guat’n Morgen, Herr Doktor!«, antwortet Ferdl ebenfalls. »Die hob i heit zufällig auss’n Stapel nauszog’n!« Robert übergibt Waldi den Ordner. Der sieht sich diesen genauer an und es erscheinen einige Falten auf seiner Stirn.

»Diese Fallakte scheint mir ziemlich getürkt! Da hat offensichtlich jemand auf einem älteren Aktendeckel herumradiert und diesen dann neu tituliert.« Er geht an den Telefonapparat auf Nilis Schreibtisch und wählt. »Guten Morgen! Hier spricht EKHK Mohr. Ist zufällig Herr Treumann in der Nähe? Danke, ich warte!« Er blickt hinüber zu Nili, diese nickt ihm zu. »Gut, sollten Sie ihn erreichen, richten Sie ihm bitte aus, er möchte unverzüglich ins Sonderermittlungsbüro kommen, man benötigt hier dringend seine Hilfe. Vielen Dank, Frau Schmeling, und noch einen schönen Tag.« Er beendet das Gespräch und schaut auf. »Wenn der Bote kommt, fragt ihn, woher er die Akte hat, denn die ist nicht koscher. Ich muss jetzt aber weiter, gebt mir dann bitte beim Mittagessen in der Kantine Bescheid!«

Als Waldi aus der Tür ist, meldet sich Nili zu Wort: »Ferdl, seien Sie so gut, schauen Sie mal in unserem Netz nach, ob Sie irgendetwas über den Fall finden, zum Beispiel Anschriften von besagter Cindy Frohm, dem Zeugen Marco Thieslaff und dem mutmaßlichen Missetäter Rafael Kohlmann. Margrit und Robert, Sie fahren bitte zur Polizei-Zentralstation in Schönberg und versuchen, dort Näheres zu erfahren. Fragen Sie deren Leiter, warum man Frau Frohm nicht weitergeholfen hat. Ich kümmere mich um das Städtische Krankenhaus, denn ich will die Ärztin ausfindig machen, die Cindy behandelt hat, und sie fragen, ob wir Kopien ihrer Fotos bekommen können.«

»Chefin, I schau mal ah, ob i vielleicht das Streif’nrevier z’fassn krieg, das die Zeug’naussage aufgn’nomm’n hat! An Datum hamma ja!«, volontiert Ferdl.

Nili nickt ihm anerkennend zu.

»Haben wir überhaupt einen Fall, Nili?«, fragt Margrit ein wenig verunsichert. »Ich meine, weil doch die Akte anscheinend ein Fake sein könnte.«

»Das entscheiden wir, wenn wir ein paar Fakten zusammengetragen haben. Ich vermute, dass jemand diese Akte bewusst und sehr gezielt in unsere Hände manövriert hat, damit in dieser bösen Sache endlich etwas passiert. Die darin geschilderte Darstellung erscheint mir dennoch durchaus plausibel und ich frage mich ernsthaft, ob da nicht irgendwer etwas vertuschen wollte. Jedenfalls ist es der Sachverhalt wert, dass wir ihm nachgehen. Also los, Leute, an die Arbeit!«

*

»Herzlichen Dank, Frau Prinz, sehr gute Arbeit, meine Damen und Herren vom Kriminaltechnischen Institut!«, lobt Staatsanwalt Dr. Uwe Pepperkorn die zum Lagebericht versammelte Ermittlungsmannschaft. »Besonders erfreulich, dass Sie so rasch die Identität der Leiche feststellen konnten!«

Lutz Krause wirft einen raschen Seitenblick auf Koordinatorin Annegret Prinz und räuspert sich, ist ihm doch klar, dass das, was er jetzt sagt, nicht unbedingt nach dem Geschmack der ehrgeizigen Fallanalytikerin sein wird. Dennoch möchte er es – wahrscheinlich gerade deshalb – klarstellen und meldet sich zu Wort: »Ich muss allerdings gestehen, dass dies nicht allein auf unserem Mist gewachsen ist. Es war Frau Kriminalhauptkommissarin Masal, mit der meine Familie und ich am Wochenende zum Essen verabredet waren, die den richtigen Spürsinn hatte und ihren Kollegen Csmarits vom Sonderermittlungsteam veranlasste, die kargen Daten, die auf dem von mir gefundenen Ehering eingraviert waren, weiter zu erforschen. Der wackere IT-Fachmann schlug sich mit der Suche den ganzen Sonntagnachmittag um die Ohren und war glücklicherweise so erfolgreich mit dieser reichhaltigen Ausbeute.«

Wie Lars Krause es erwartet hatte, zuckte die neben ihm sitzende Kriminologin Annegret Prinz merklich zusammen, blieb aber stumm.

Staatsanwalt Pepperkorn, dem die kontroverse Haltung der beiden SpuSi-Beamten nicht verborgen bleibt, interveniert: »Wie es auch gewesen sein mag, geschätzter Herr Krause, sind wir Ihnen allen zu Dank verpflichtet. Wir konnten dadurch rasch konkrete Hinweise gewinnen, denen wir nun unverzüglich nachgehen werden. »Was schlagen Sie vor, Herr Kriminalrat? Wie wollen wir vorgehen?«

Der Angesprochene sieht zunächst seine beiden Mitarbeiter, Steffi Hink und Sascha Breiholz, an, räuspert sich, und schließlich sagt er: »Wenn wir in Ermangelung des von Professor Doktor Klamm noch abzuliefernden Obduktionsberichts von dem vorläufigen Ergebnis der Leichenbeschau durch den Assistenzarzt Engelmann ausgehen, ist die tot aufgefundene Frau offensichtlich einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Person«, er blickt auf den schriftlichen Bericht, den er von Lutz Krause soeben erhalten hat, »der Jenny Bartels-Klinck, geboren am 28.10.1977 in Oldenmoor, Kreis Steinburg. Kollegin Hink konnte inzwischen feststellen, dass eine Frau mit diesem Namen und einer zu der Toten passenden Beschreibung am letzten Sonnabend, dem 8. Mai, um elf Uhr vormittags bei der Polizeistation Mettenhof am Skandinavienkai von einem Herrn Julian Volkmann als vermisst gemeldet wurde. Im vorliegenden Bericht wird Herr Volkmann als ihr Jugendfreund und gegenwärtiger Wohnungsgeber des Opfers bezeichnet. Offensichtlich ist jedenfalls, dass der Leichenfundort nicht der Tatort ist. Auffällig ist zudem eine Übereinstimmung des am Ehering eingravierten Heiratsdatums des 7. Mai mit dem Tag, an dem die Tat mutmaßlich begangen wurde. Eine Beziehungstat ist also naheliegend. Als erste Schritte werden wir besagten Jugendfreund sowie den geschiedenen Ehemann, Leutnant zur See Klinck, am Tirpitzhafen aufsuchen und befragen sowie zur Identifizierung der Leiche auffordern. Selbstverständlich werden wir aber auch in sämtliche weitere Richtungen ermitteln. Wir erstatten Ihnen Bericht, sobald wir Neuigkeiten haben. Wir dürfen uns jetzt empfehlen?« Er steht auf und nickt in die Runde. »Wir möchten uns unverzüglich an die Arbeit machen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

*

»Ja, Frau Kriminalhauptkommissarin, ich muss Ihnen gestehen, dass ich der Autor dieser vorgetäuschten Akte bin!«, beichtet ein zerknirschter Hugo Treumann, der mit gesenktem Haupt vor Nilis Schreibtisch steht.

»Wie kommen Sie dazu, Treumann, was ist Ihnen da nur eingefallen?« Nili sieht ihn herausfordernd an. »Das kann böse Konsequenzen für Sie haben! Als Hausbote des LKA haben sie doch eine Vertrauensstellung, die Sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollten – noch dazu so kurz vor Ihrem Ruhestand!«

»Ich weiß, Frau Masal, Sie haben selbstverständlich recht! Aber ich konnte einfach mein armes Patenkind nicht mehr weiter so vergrämt sehen, das müssen Sie verstehen! Das Mädel leidet seit dem Vorfall unter schlimmsten Depressionen. Sie hat deswegen auch ihren vormaligen guten Arbeitsplatz bei den Stadtwerken sowie fast alle ihre Freunde und Bekannte verloren. Cindy lebt nun mehr schlecht als recht von der Stütze und verkriecht sich nur noch in ihrer Einzimmerwohnung. Dieser miese Kerl, den sie einst so sehr geliebt hat, hat sie kaputt gemacht und läuft unbescholten und frei herum. Das konnte ich nicht mehr mit ansehen und habe deshalb die wenigen Unterlagen, die Cindy in dieser Sache überhaupt besaß, zusammen mit dem von mir verfassten ›amtlichen Protokoll‹ in einen alten Aktendeckel – der bei uns zur Vernichtung anstand – eingebracht und diesen neu beschriftet. Es tut mir leid, ich wollte Sie und Ihre netten Kollegen keineswegs hintergehen, aber ich dachte mir, da Sie bei den letzten Cold Cases so erfolgreich ermittelt haben, wäre das Hineinschmuggeln in Ihren Aktenberg ein gangbarer Weg, damit das arme Kind vielleicht endlich zu ihrem Recht kommt. Ich bedaure sehr, dass ich Sie damit verärgert habe, Frau Masal, glauben Sie mir bitte!« Dicke Tränen laufen über die Wangen des Sechzigjährigen.

»Ist ja gut, Treumann, beruhigen Sie sich! Es wäre einfacher und ehrlicher gewesen, wenn Sie sich mit diesem Sachverhalt direkt an uns gewandt hätten. Seien Sie so nett, nehmen Sie die Akte wieder mit und bringen Sie sie mir in einem neuen und unbeschriebenen Aktenordner zurück. Abgesehen von Ihrem kleinen illegalen Dreh, über den ich ausnahmsweise hinwegsehen möchte, nehme ich Ihnen den darin geschilderten Tatbestand als durchaus plausibel ab und wir werden sehen, ob sich diese Untat irgendwie wieder aufrollen lässt. Jedenfalls benachrichtigen Sie bitte Ihr Patenkind, sie möchte sich morgen früh um neun hier melden, damit ich sie persönlich befragen kann. Außerdem benötigen wir von ihr die Zustimmung, das Städtische Krankenhaus von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, damit wir an die Behandlungsakte und die Fotos gelangen, die die behandelnde Ärztin gemäß ›Akteneinsicht‹«, Nili zwinkert mit den Augen, »von Frau Frohm am Tage danach gemacht hat. Anschließend können wir entscheiden, ob wir bei der Oberstaatsanwaltschaft vorstellig werden, um eine Neuaufnahme des Falles zu beantragen.«

Treumann wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich … ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann, verehrte Frau Krim…«, stottert er und wird jäh von Nili unterbrochen: »Nun gehen Sie schon, Mann, bevor ich’s mir anders überlege!« Breit lächelnd deutet sie mit einem Blick zur Tür.

Treumann nickt nur und eilt hinaus.

Dann dreht sich Nili zu Ferdl um, der sehr geschäftig an der Tastatur seines PCs hantiert. »Nach dieser Cindy brauchen Sie also nicht mehr zu recherchieren, Ferdl, die erscheint morgen früh bei uns. Wie sieht es mit dem Zeugen Thieslaff aus, irgendwas Neues?«

»Hab scho sei Anschrift: Marco Thieslaff, neunundsechzig Jahre alt, Rentner, gebürtig in Kiel, wohnhaft Paradiesweg 78 im Schwentinetal. Hab ebenfalls an g’wissen Rafael Kohlmann, achtunddreißig Jahre, auch in Kiel geboren, g’funden, der ist g’meldet am Hafkamper Weg 22 in Heikendorf, Kreis Plön.«

»Gut gemacht, mein werter Herr Fachinspektor! Dann rufe ich gleich Margrit und Robert an, sie sollen bei den Herren vorbeifahren und sie für morgen Vormittag zur Befragung einbestellen.«

Wenig später kommt Hugo Treumann herein und bringt einen unbeschriebenen Aktenordner. Nili, die gerade telefoniert, nickt ihm nur zu und deutet auf ihren Schreibtisch, auf dem der Bote die Akte deponiert. Sie blättert durch die vier beschriebenen Seiten, die sich darin befinden. Treumann verbeugt sich nur kurz und verlässt hastig den Raum.

»Ja, Herr Oberstaatsanwalt, wirklich ein sehr merkwürdiger Fall von unterlassener Tatverfolgung, von der uns heute zufälligerweise unser Hausbote berichtet hat. Ich habe vorsichtshalber erste Erkundungen veranlasst, vor allem eine Zeugenbefragung, um konkrete Fakten hervorzubringen. … Ja, es betrifft Herrn Treumanns Patenkind, eine junge Frau namens Cindy Frohm, die auf dem Nachhauseweg nach einer feuchtfröhlichen Feier bei Freunden mutmaßlich von ihrem Bekannten brutal zusammengeschlagen und dann auch noch hilflos auf der Straße liegen gelassen wurde. Ich denke, es ist wieder so ein arger Fall von Gewalt gegen Frauen, dem wir nachgehen sollten. Am besten, ich bringe Ihnen die Akte persönlich vorbei und trage vor, was wir wissen, dann können Sie entscheiden, ob und wie der Fall wieder aufgenommen werden kann. … Gut, dann morgen Nachmittag um halb vier, danke sehr für den raschen Termin! Übrigens, nochmals herzlichen Dank für das wunderschöne Fest. Herr Doktor Mohr und ich haben es sehr genossen. Bitte grüßen Sie herzlichst Ihre liebe Frau Hannelore und Kitt von uns. … Ach, die ist gerade bei Ihnen? Dürfte ich sie kurz sprechen? … Ja danke, Ihnen auch! … Hi Kitt, auch dir nochmals vielen Dank für deine herrliche Doktorhut-Party. … Ja, ja, okay, das Video hat auch uns Riesenfreude gemacht. Du, könnten wir uns heute Abend irgendwo treffen? … Ja, natürlich, in unserer Taverna Syrtaki wäre prima. Ich denke, ich hätte da eventuell eine Mandantin für dich. … Ja, darüber sollten wir uns auch unterhalten. Also schön, um sieben bei Georgios und Marita! Ich sehe zu, dass Waldi auch dazukommt. Freue mich! Pura vida!6 Tschüss!«

Nachdem Nili das Gespräch beendet hat, meldet sich das Städtische Krankenhaus. Zufrieden nickend nimmt sie das Gespräch entgegen. »Herzlichen Dank, geehrte Frau Doktor Wallgarten, dass Sie netterweise zurückrufen. Ich darf mich vorstellen, Kriminalhauptkommissarin Nili Masal vom Sonderermittlungsteam im LKA. Wir kümmern uns um sogenannte Cold Cases … Ach Sie haben schon davon aus den Medien erfahren, prima! Es handelt sich hier um einen Fall von ernster Misshandlung an der Person einer jungen Frau namens Cindy Frohm, der Mitte November vorvorletzten Jahres … gut, sehr schön, dass Sie sich daran erinnern können. Selbstverständlich, das wissen wir! Sie erhalten Frau Frohms Erklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, sobald sie diese morgen Vormittag hier bei uns unterschrieben hat. Es wäre nett, wenn Sie die Akte und vor allem die Fotos, die Sie laut Aussage der Geschädigten von ihr gemacht haben, raussuchen lassen. Ich schicke Ihnen so gegen vierzehn Uhr jemanden vorbei, der sie abholt und Ihnen im Gegenzug die Erklärung übergibt. … Prima, ich danke Ihnen sehr für Ihre Unterstützung! Schönen Tag noch.«

Als Nili auflegt, kommen Margrit und Robert herein.

»Ein Widerling, dieser Kohlmann!«, raunt Robert wütend. »Der hat uns abblitzen lassen wie dumme Jungs!«

Margrit stimmt ihm zu. »So ungehobelt, wie der Typ sich darstellt, traue ich ihm durchaus zu, dass er die arme Frau nach Strich und Faden verprügelt hat!«

Nili sieht die beiden mit fragender Miene an.

»Er hat uns an der Tür mit barschem Ton abgefertigt, als wir ihn darüber informierten, weswegen wir gekommen sind, und dass wir ihn vorladen wollten«, ergänzt Margrit. »Dann hat er uns angeschrien. Wir sollen uns gefälligst bei seinem Anwalt melden, wenn wir etwas von ihm wollen. Schließlich hat er einfach die Tür vor unserer Nase zugeknallt. Ein süßes Früchtchen, unser Rafael! Aber wer dieser Anwalt sein soll, hat er uns auch auf unser wiederholtes Klingeln hin nicht verraten.«

»Keine Bange, Leute«, sagt Nili besänftigend, »den kriegen wir schon noch bei den Hammelbeinen! Ich habe für morgen Nachmittag bereits einen Termin beim Oberstaatsanwalt, nachdem wir Frau Frohm befragt haben. Ich bin mir sicher, da bekommen wir eine amtliche Vorladung. Wie sieht es mit dem Zeugen Thieslaff aus?«

»Den haben wir nicht persönlich angetroffen, aber bei seiner Tochter unsere Karte und eine Benachrichtigung, dass er morgen früh hier aussagen soll, hinterlassen!«, berichtet Robert, der schon etwas ruhiger geworden ist.

Margrit ergänzt: »Und übrigens, noch etwas Eigenartiges: Bei der Polizei-Zentralstation in Schönberg weiß man angeblich überhaupt nichts von dem Fall. Keine Protokolleintragung bezüglich der Nachfrage einer gewissen Frau Cindy Frohm im vorvorletzten Monat November.«

»Sagte ich doch: Da ist etwas faul im Lande Schleswig-Holstein!«, dichtet Robert Shakespeares ›Hamlet‹ um.

*

»Evkaristo, lieber Georgios! Vielen Dank auch an deine Marita in der Küche! Diesen Oktopus-Salat haben wir bisher so noch nie bei dir gegessen, aber er hat wieder mal hervorragend geschmeckt!«, lobt Nili Wirt und Köchin der Taverna Syrtaki, wo sie sich mit Kitt und Waldi zum Abendessen getroffen hat.

»Ich gebe das Lob gerne weiter, aber ich muss gestehen, dass der Salat dieses Mal nicht von Marita, sondern von unserem neuen spanischen Küchenpraktikanten aus Vigo zubereitet wurde. Manolo, komm mal her!«, ruft er in die Küche.

Kurz darauf erscheint ein jugendlicher Schwarzzopftwen mit wachen und lustig lächelnden dunklen Augen an ihrem Tisch. Er trägt eine weiße Jacke und eine karierte Hose. »Vielen danken«, sagt er und blickt verlegen zu Boden, »fur meine ensaladilla de pulpo a la gallega hat gut geschmackt.«

Nili dankt ihm auf Spanisch und lobt noch einmal das leckere Gericht. Danach verziehen sich die beiden wieder in die Küche und Waldi schenkt roten Kamaris nach, den sie so gern und deshalb immer wieder bei ihrem ›Griechen um die Ecke‹ trinken.

»Also, wie sieht es aus, Kitt? Was meinst du? Wird dein Vater zustimmen? Wäre es sinnvoll beziehungsweise Erfolg versprechend, den Fall wieder aufzurollen?«

»Wenn das alles sich so darstellt, wie du es mir beschrieben hast, Nili, denke ich schon. Am besten wäre, wenn du die Akte mit der Aussage des Opfers sowie des Zeugen ergänzen könntest. Und ja, auch mit dem medizinischen Untersuchungsbefund und den Fotos des Krankenhauses. Ich glaube schon, dass Vater dir darauf eine amtliche Vorladung für den ominösen Täter ausstellen wird. In diesem Fall würde ich auch Frau Frohm sehr gern rechtlich vertreten, sollte sie einwilligen.«

*

Nachdem sie am nächsten Abend eine mit bestem Olivenöl reichlich beträufelte und aus fleischigen Cuore di-bue-Tomaten- sowie Mozzarella-di-bufala-Scheiben und Basilikumblättern selbst gemachte Insalata Caprese verspeist hat, sitzt Nili in ihrer Kieler Wohnung bei einer Tasse grünem Tee und tippt fleißig in ihr Tagebuch, in dem sie die wichtigsten Ereignisse und ihre interessantesten Fälle festhält. Sie folgt damit dem Beispiel ihrer Abuelita Clarissa, die schon seit früher Jugend die bedeutenden und intimsten Gedanken ihren Tagebüchern anvertraute und gelegentlich Tochter und Enkelin daraus vorliest. Nili konnte so wiederholt spannende Begebenheiten aus ihrer Familiengeschichte und von den ereignisreichen Tagen der Flucht der Großeltern Heiko und Clarissa, ihrer Mutter Lissy und ihres Onkels Oliver aus Nazi-Deutschland sowie aus ihrem langjährigen bolivianischen Exil erfahren. Nach dem Abitur und der längeren, durch eine unglückliche Liebesaffäre verursachten Unterbrechung begann sie erst wieder mit ihren Eintragungen, als sie zur Kriminaloberkommissarin befördert und von Hamburg zu ihrer Familie nach Oldenmoor zurückgekehrt war. Die getippten Berichte werden auf separaten, nur für sie selbst bestimmten Festplatten gesondert gespeichert.

Ich sitze heute hier allein, weil Waldi mal wieder nach Berlin zu einem Informationsaustausch beim BKA fahren musste. Die Indizien im Fall Frohm (ja, wir haben tatsächlich einen Fall!) haben sich konkret erhärtet. Also der Reihe nach: Pünktlich um neun Uhr erschien Cindy Frohm und berichtete ausführlich über die Geschehnisse, die sich in der Nacht vom 13. zum 14. November des vorvorigen Jahres zugetragen hatten. Im Großen und Ganzen deckte sich ihre Erzählung mit dem, was wir bereits aus Treumanns ›Akte‹ erfahren hatten. Mit ihren Angaben und der Hilfe Ferdls bei der Durchforstung der diversen Kommissariate Kiels konnten wir gemeinsam die wahrscheinlichste Polizeistation herausfinden, bei der sie ihre ergebnislos gebliebene Anzeige am Tag darauf gemacht hat: Da die Fete im Gebiet unweit des Tatorts in der Paradiesstraße im Schwentinetal stattfand, war dies wohl das nahe gelegene Revier am Seebrocksberg. Auf meinen Anruf hin bestätigte man mir, dass dort tatsächlich ein entsprechendes Protokoll angefertigt und dieses ordnungsgemäß an die Staatsanwaltschaft übersendet worden sei. Man mailte uns sofort eine Kopie von Cindys Anzeige, die sehr wohl eine Aktenzeichennummer trägt und von einem gewissen Polizeimeister Ullrich gegengezeichnet worden war. Man konnte mir allerdings nicht erklären, warum man der Anzeigenden nicht sogleich die Nummer des Aktenzeichens mitgeteilt hatte. Während Cindy auf ihr getipptes Aussageprotokoll wartete, um es zu unterschreiben, erschien auch der Zeuge Thieslaff. Er erkannte die Frau sofort, machte eine nochmalige und gleichlautende Aussage und unterschrieb ebenfalls sein Protokoll.

Mit Frau Frohms Bewilligung zur Entbindung von ihrem Patientengeheimnis schickte ich Robert zu Frau Doktor Wallgarten ins Städtische Krankenhaus. Sie mailte uns postwendend den medizinischen Untersuchungsbefund sowie die von ihr gemachten Fotos der Verletzungen als pdf- und jpg-Anhang. Die Verletzungen, die Rafael Kohlmann der armen Frau zugefügt haben soll, waren in der Tat äußerst brutal.

Den üblen Gesellen hätte ich mir liebend gern persönlich vorgeknöpft und ihn ordentlich verdroschen (Aber, aber, Frau Kriminalhauptkommissarin, so etwas dürfen Sie doch nicht einmal denken!). Unerklärlich bleibt für mich dennoch, wieso man damals den Vorfall seitens der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolg hat (Schlamperei oder bewusste Verschleierung?). Es lag ja die eindeutige Aussage des Zeugen Thieslaff bei den Streifenpolizisten vor. Ferdl hat inzwischen recherchiert, dass diese beiden, Polizeimeister Uwe Jochimsen und Axel Waldmann, die Meldung Thieslaffs ordnungsgemäß auf ihrem Revier weitergaben. Sie sagten jedoch ihm gegenüber aus – entgegen der Behauptung des mutmaßlichen Täters Kohlmann –, sie seien im Rahmen ihrer routinemäßigen Streifenfahrt rein zufällig und nicht auf den etwaigen Anruf beim Notruf 110 am Tatort vorbeigekommen. Bewaffnet mit all diesen Beweismitteln, machte ich mich auf den Weg zu Oberstaatsanwalt Harmsen und legte sie ihm vor. Auch er war sichtlich erbost, weil die Angelegenheit derart unprofessionell von Polizei und Strafverfolgung gehandhabt worden war, und veranlasste die Ausstellung einer Vorladung des Rafael Kohlmann zwecks Befragung. Dann rief er in meinem Beisein Staatsanwalt Dr. Uwe Pepperkorn an und bat ihn, sich des Falles anzunehmen und ein internes Ermittlungsverfahren in den beiden betroffenen Polizeistationen einzuleiten. Er meinte auch noch, er wolle selbst in Erfahrung bringen, wer hier als Staatsanwalt zuständig gewesen sei und weshalb dieser eine Einstellung des Verfahrens veranlasst habe. So, liebes Tagebuch, das war’s für heute. Schade, ich muss diese Nacht allein schlafen! Werde noch eine SMS an Waldi schicken und mich beklagen, dass ich ihn so sehr vermisse. Und dann ab ins Bett! Morgen früh nach dem Joggen geht’s mal wieder auf den Schießstand, bin schon drei Mal vom Kollegen Hummel angemahnt worden.

Blutige Maiglöckchen zum Hochzeitstag

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