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Vorwort – Das Ende eines Idylls
ОглавлениеBereits seit über 4.000 Jahren nutzt der Mensch die Kraft des Windes. Die Idee, sich dieses Geschenk der Natur zu eigen zu machen, reicht zurück bis nach Altägypten, wo auf einer 3100 v. Chr. datierten Vase ein Segelschiffmodell abgebildet ist. In späteren Zeiten verbreiteten sich im östlichen Mittelmeer bei den Phöniziern, Griechen und Römern die teilweise auch durch Wind angetriebenen Wasserfahrzeuge unterschiedlichster Art. Auch die Wikingerschiffe des 9. Jahrhunderts n. Chr. führten das charakteristische und allseits gefürchtete trapezförmige Rahsegel am Mast, das sie als erste Europäer sogar bis zum amerikanischen Kontinent hinüberbrachte. Die Koggen der Hanse, die Expeditionskaravellen der waghalsigen Entdecker und Erkunder unseres gesamten Globus und nicht zuletzt die Kriegsschiffe der Seemächte, die die neu entdeckten Gebiete eroberten und diese ihrer Schätze beraubten sowie deren Bewohner versklavten, aber auch jene der Piraten und Freibeuter, die ihnen die Beute wieder abjagten, hatten eines gemeinsam: Sie wurden vom Wind angetrieben. Es wird berichtet, dass im Jahre 1700 v. Chr. die ersten Windmühlen in Mesopotamien – dem heutigen Irak – gestanden haben sollen. Historisch belegt sind die Windmühlen aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. in Persien. In Europa ist die erste in Dienst gestellte Bockwindmühle im Jahr 1105 datiert. Diese verbreiteten sich bis in das 16. Jahrhundert mannigfaltig über unseren gesamten Kontinent.
Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts verwendete man die Windkraft zum Antrieb solcher Mühlenwerke, um die unter Meeresniveau liegenden Marschländer Schleswig-Holsteins zu entwässern. Die Honigflether Bockmühle in Stördorf, Kreis Steinburg, ist das letzte noch funktionsfähige Schöpfrad Deutschlands. Sie förderte das Wasser aus den Ackergräben in die Wettern, von der es über die Stör schließlich in die Elbe abfloss. Das Bild wird mit freundlicher Genehmigung der Fotografin Frau Dagmar Krause, Wilster wiedergegeben.
Die Blütezeit der europäischen Windmühlen währte vom 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts, wo bis zu 200.000 Exemplare dieser ansehnlichen Bauwerke unsere Landschaften zierten. Der zunehmende Einsatz von Dampfmaschinen, elektrischer Strom und die Erfindung von Verbrennungsmotoren lösten schließlich die Windkraft ab und bedeuteten nach und nach das Ende ihrer Nutzung.
Die Brokdorfer Mühle von 1721 – seit 1895 in Besitz der Familie Wolfsteller – thronte voll funktionsfähig auf dem Elbdeich bei Osterende, bis sie 1939 vollständig abbrannte. Das Gemälde ist ein Werk des Dithmarscher Malers Christian Hadenfeldt (1883–1971) aus dem Jahre 1935. Im Vordergrund die ehemalige Kate der Familie Pfingst, in der heute das »Café in de Hörn« untergebracht ist; auf dem linken Areal befindet sich das Brokdorfer Freibad. Eigene Fotoreproduktion eines Gemäldes des Autors.
In den USA wurde 1887/88 die erste vollautomatische Windanlage zur Stromerzeugung gebaut. Dieser folgte 1891 ein Windkraftwerk in Frankreich, das elektrischen Strom produzierte. Ab den 1950er Jahren begann allmählich die Entwicklung von Wechselstrom generierenden Anlagen, vorwiegend in Dänemark, die zum Vorreiter in der Weiterentwicklung – allerdings zunächst kleinerer Anlagen – wurden. In Deutschland sammelte man die ersten Erfahrungen in diesem Fach mit der Einführung des Prototyps einer Groß-Windenergieanlage auf dem Dithmarscher Kaiser-Wilhelm-Koog Ende der 1970er Jahre. In Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg und der Firma MAN hatte das Bundesministerium für Forschung und Technologie die Errichtung dieser in die Geschichte als »GROWIAN« eingegangene Entwicklung eines großen Windkraftwerks – übrigens gegen den öffentlichen Druck und Widerstand der maßgeblichen Energieversorgungsunternehmen – zwecks Erforschung der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Windenergieerzeugung beschlossen. 1978 verordnete das Ministerium den Bau der bisher weltweit größten Windkraftanlage mit 100 Metern Turmhöhe und 100 Metern Flügeldurchmesser. Die Projektdurchführung oblag der Growian GmbH, an der die Hamburger Elektrizitätswerke (HEW), die Schleswag und die RWE beteiligt waren. Neben den bei der technischen Konzeption der Anlage begangenen Irrtümern (falsche Gehäuseauslegung, ungeeignete Werkstoffe, falsche Anbringung des Zweiblattrotors als Leerläufer auf der windabgewandten Turmseite) war es wegen der schon anfänglichen negativen Einstellung der Firmen, die hier agierten, voraussehbar, dass wenig oder überhaupt kein Interesse am Gelingen des Projektes bestand, ja sogar ein Vorstand eines der beteiligten Unternehmen bei deren Hauptversammlung öffentlich kundtat, man brauche den GROWIAN, um zu beweisen, dass Windenergie nicht gehe und das Ganze lediglich »so etwas wie ein pädagogisches Modell« sei, »um Kernkraftgegner zum wahren Glauben zu bekehren«. Weil von vornherein – unbewusst oder bewusst? – fehlerhaft konzipiert, konnte die Anlage niemals bei voller Leistung betrieben werden. Die meiste Zeit stand sie wegen technischer Probleme und Reparaturbedarfs still. Im Sommer 1988 wurde der GROWIAN – der während seines Testbetriebes von fast vier Jahren lediglich 420 Stunden Betrieb aufweisen konnte – endgültig stillgelegt und wieder abgerissen. Nach der Energiekrise 1973/74 erfolgte aber ein erneuter Startschuss, um die Erdölabhängigkeit zu reduzieren. In der Folge der ersten kleineren, hier und dort aufgestellten Windräder wurden diese Bemühungen später vor allem durch die Bundesregierung mit dem neuen Gesetz für den Vorrang Erneuerbaren Energien vom März 2000 forciert. Immer mächtiger wurden seitdem die hohen Masten, umfangreicher deren Flügel, gewaltiger die Leistung, zahlreicher die Windparks sowohl auf dem Lande als auch in unseren Küstengewässern. So rasch und offensichtlich planlos wuchsen diese, dass man es bis heute noch nicht schaffen konnte, all die erzeugten Wind-Energiemengen auch dorthin zu befördern, wo sie gebraucht werden.
Diese GROße WIndenergieANlage (GROWIAN) entstand 1987 als einer der ersten Versuche zur alternativen windangetriebenen Energieerzeugung im schleswig-holsteinischen Kaiser-Wilhelm-Koog. Ihr war kein gutes Omen beschieden: Wegen grundsätzlicher Fehlkonzeption hatte sie mehr Pannen und Stillstand als brauchbare Funktionszeiten und wurde 1988 abgewrackt. Der Turm sowie eines der Rotorblätter werden im Technik-Museum in Sinsheim ausgestellt. Das Foto wird mit freundlicher Genehmigung von Mr. Paul Gipe – weltbekannter US-amerikanischer Spezialist für Regenerative Energien – wiedergegeben (Photo by Paul Gipe – All rights reserved).
Ungeahnte Hindernisse bauten sich da auf: Den einen sind die riesigen Strommasten, den anderen die um ein Vielfaches kostspieligeren unterirdischen Kabeltrassen ein Dorn im Auge. Die derart entstandenen Staus bei Stromerzeugung und -transport verschlingen Unsummen, und diese gehen schamlos – den Letzten beißen bekanntlich die Hunde – zu Lasten der Verbraucher-Portemonnaies. Schade! Natürlich kann die Menschheit auf Dauer nicht ohne alternative – und vor allem auch absolut verbrennungslose – Arten der erneuerbaren Energiegewinnung überleben. Dennoch kann sich der Autor beim Anblick der pausenlos rotierenden Giganten sowie der während der Nacht unaufhörlich blitzenden oder rot blinkenden Umgebung nicht der nostalgischen Sehnsucht nach den ehemals von harmonischen Landschaften gesäumten formschönen und sanften Windmühlen erwehren.
Manfred Eisner, im Herbst 2016