Читать книгу Dindra Drachenreiterin - Manfred Lafrentz - Страница 5

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Es dauerte einen guten Teil des Vormittags bis Dindras Gedanken sich endlich von Etru und vom Hof lösen konnten. Anso hatte die ganze Zeit geschwiegen und sie ihrem stillen Kummer überlassen. Allmählich aber wurde der Abschiedsschmerz geringer und sie fing an, die Fahrt durch die Ebene nach Osten zu genießen. Das sanfte Rauschen der Waldinseln, in denen sich die warme Brise der letzten Tage in der Zeit der heißen Sonne verfing, die grünen Wogen des Grasland, das Geblöke der Schafe, die neben dem Wagen her trotteten, und das Knarren der eisenbeschlagenen Karrenräder, die das hohe Gras platt drückten und schmale Spuren hinterließen, all das machte sie nachdenklich.

„Ich werde die Ebene immer in mir haben”, dachte sie. Sie hatte sich oft fremd gefühlt, aber nun merkte sie, wie tief sie mit dem Land, in dem sie aufgewachsen, verbunden war. Ihrem Zuhause, dem Ort, an dem ihr Vater lebte und ihre Mutter gestorben war. Nichts konnte diese Verbindung auflösen, keine Berge und keine Drachen.

Um die Mittagszeit machten sie am Rand einer Waldinsel Rast, ließen die Schafe und Pferde grasen und machten sich über den Proviant her, den Intri ihnen in prall gefüllten Leinenbeuteln mitgegeben hatte: frische Brotlaibe und riesige Käseklötze, die für zehn gereicht hätten. Dazu Obst aus den Gärten des Hofes und Trinkschläuche, die mit Wasser aus den Zisternen gefüllt waren, in denen das kostbare Regenwasser auf den Höfen gesammelt wurde. Die Flüssigkeit war so warm, dass Dindra nach dem Trinken die Nase kraus zog.

„Ja ja, die Sonne der Ebene brennt heiß”, zitierte Anso den Drachensegen und lachte. „Du wirst in Goldfels dran denken, nicht wahr? Wirst nicht vergessen, wie sehr wir den Regen brauchen, wenn du eine Drachenreiterin bist.”

Dindra lächelte. „Noch bin ich keine, Väterchen.”

Er winkte ab. „Deine Mutter war eine, und du wirst auch eine, da wird kein Drache was dagegen haben.”

„Hast du eigentlich meine Mutter gekannt?”

Er seufzte. “Ja, weißt du, ich hab sie gekannt, das arme Ding.”

„Warum war sie ein armes Ding?”

Anso kaute auf einem Stück Käse und schaute nach Osten, wo sich die Gipfel der Drachenberge noch nicht viel größer abzeichneten als bei ihrem Aufbruch. „Ich glaube, sie war nicht glücklich. Es lag nicht an ihr. Fast alle haben sie wie eine Fremde behandelt, und das war eine Schande. Sie ist auf den Drachen geritten, aber sie hat deinen Vater geliebt und ist bei ihm geblieben. Vielleicht, wenn sie länger gelebt hätte, hätten die Leute sich an sie gewöhnt.”

Dindra bezweifelte es. Sie dachte an Alfru und an die Blicke seiner Mutter.

„Du siehst aus wie sie, als sie damals kam, weißt du?”, fuhr Anso fort. „Na, ein bisschen jünger vielleicht, aber ich kann mich daran erinnern. Sie war ein hübsches Mädchen. Aber nur Etru hätte eine Drachenreiterin geheiratet.” Er lachte, aber es klang ein wenig unbehaglich. Dindra sah ihn fragend an.

Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß, die Leute haben dich nie richtig akzeptiert, genau wie deine Mutter. Verdammt!” Er schüttelte den Kopf. „Sie ist mit mir von Goldfels zum Dorf gefahren, und mir ist so, als führe ich sie nun wieder zurück in ihre Welt, nachdem sie vierzehn Zeiten der heißen und kühlen Sonne bei uns gelebt hat. Ist irgendwie traurig und fast ein bisschen unheimlich, weißt du?”

Dindra nickte. Sie hatte selbst den Eindruck, als reiste der Geist ihrer Mutter mit ihr, und fröstelte.

Ich habe den Drachen deine Mutter weggenommen und nun nehmen sie dich mir weg, hatte Etru gesagt.

Während Anso im Schatten eines Fingerblattbaumes ein kleines Mittagsschläfchen machte, dachte Dindra darüber nach, ob Kirin sich auf dem Hof wie eine Fremde gefühlt hatte und ob sie deswegen unglücklich gewesen war. Sie nahm das silberne Amulett hervor und betrachtete es versonnen. Etru und Kirin hatten sich lieb gehabt. Vielleicht hatte das alles andere aufgewogen. Sie sah plötzlich Rylls Gesicht vor sich, dachte an die Art, wie er sein helles Haar zurückstrich. Dann ärgerte sie sich über sich selbst. Sie kannte ihn kaum, und ihr Abschied war nicht gerade herzlich gewesen. Dennoch ließ die Aussicht, ihn wiederzusehen, ihre Gedanken auseinanderflattern wie Blütenblätter, die vom Wind über das Grasland geweht wurden, bis sie peinlich berührt feststellte, dass sie breit grinste, und sich eine Närrin schimpfte.

Gegen Abend, als die Sonne in ihrem Rücken das Gras mit einem goldenen Schimmer bedeckte und die Schatten der Pferde weit voraus warf, kamen sie in die Nähe eines Dorfes. Auf einem der Höfe, dessen Besitzer Anso von seinen Fahrten nach Goldfels gut kannte, wollten sie übernachten. Erst am Abend des nächsten Tages würden sie die Drachenstation erreichen. Die Gipfel der Berge waren während des Tages gewachsen. Dindra hatte die Berge noch nie von so nahem gesehen und war jetzt schon beeindruckt von ihrer Größe.

Anso winkte ab. „Warte ab, bis wir dort sind, Vögelchen. Du wirst den Mund vor Staunen nicht zu bekommen.”

Kurz bevor sie das Grasland verließen und in den Weg zum Hof einbogen, entdeckte Dindra einen Drachen am Himmel. Er kam aus nordwestlicher Richtung, ein bisschen in ihrem Rücken, weshalb sie ihn vorher nicht bemerkt hatte. Er zog in großer Höhe Kreise über dem Dorf.

„Ein einzelner”, sagte Anso. Er kratzte sich gedankenverloren den Bart. „Merkwürdig.”

„Vielleicht ein Bote aus Goldfels, der zu dem Höfen fliegt”, sagte Dindra.

„Möglich”, brummte Anso. „Aber wieso kreist er da? Sieht fast so aus, als suchte er was.” Er schüttelte den Kopf. „Das gefällt mir nicht. Sehen wir zu, dass wir auf den Hof kommen.” Er schlug mit den Zügeln und trieb die Pferde zu einem schnelleren Tempo an.

Bei dem Wort suchte dachte Dindra unwillkürlich an ihren Traum der letzten Nacht. Wenn es ein Traum gewesen war. Unruhig schaute sie immer wieder zum Himmel hinauf, wo der Drache weiterhin Kreise zog. Auf dem Grasland war der Wagen deutlich sichtbar. „Als würde er im Dunkeln leuchten”, dachte sie unbehaglich. Sie war froh, dass der Weg zum Hof schließlich durch Waldinseln führte und das Laub der Bäume sie verbarg.

Der Hofbesitzer, ein Mann namens Tidru, und seine Familie begrüßten sie freundlich. Anso und er schienen sich seit langem zu kennen. Der Karren wurde abgestellt und die Pferde strebten, nachdem sie ausgeschirrt waren, von selbst dem Stall zu, den sie offenbar gut kannten, während die Schafe in einem Pferch untergebracht wurden.

Dindra sah sich neugierig um. Es sah nicht viel anders aus als zu Hause. Die Höfe und Dörfer der westlichen Ebene ähnelten einander ebenso wie die Kleider der Frauen, wie sie nach einer kurzen Musterung der Hoftöchter feststellte. Sie selbst trug immer noch ihren weiten blauen Rock und die Tunika mit den bunten Bändern an den Schultern. In Goldfels würde sie die graue Drachenreiterkleidung bekommen. Tedrus Töchter trugen keine bunten Bänder mehr, durften also gefreit werden. Sie waren zu dritt - die jüngste eine Zeit der heißen und kühlen Sonne älter als Dindra -, eher stämmig als hübsch, und ihre Gesichter hatten jenen erwartungsvollen Ausdruck, den sie von den heiratswilligen Mädchen ihres eigenen Dorfes kannte.

„Wir haben vier Brüder”, erzählten sie Dindra, als sie ihr zeigten, wo sie schlafen sollte. „Wir werden über die ganze Ebene verstreut werden.”

Die Heiratsmöglichkeiten innerhalb eines Dorfes waren begrenzt, und die Kinder vielköpfiger Familien mussten meist in anderen Dörfern nach Ehepartnern suchen. Den Hof konnte nur der älteste Sohn oder, wenn es keine Söhne gab, der Mann der ältesten Tochter übernehmen. Dindra dachte mit leisem Grausen daran, dass einer der vier Brüder - allesamt sehr beleibte junge Männer mit runden Gesichtern, die acht bis zehn Kinne unter sich verteilten -, vermutlich irgendwann bei Etru vorstellig geworden wäre.

Aber die Leute waren herzlich, und Dindra hoffte, dass sie alle erfolgreich unter die Haube gebracht würden.

Beim Abendessen in der Halle erzählte Anso Neuigkeiten aus den Dörfern, durch die er bei seinen Fahrten kam, und erfreute sich mehrerer Füllungen seines Bierkruges. Dindra wurde wegen Goldfels ausgefragt, obwohl sie kaum etwas darüber sagen konnte. Mit ihren kurzen Haaren kam sie sich zwischen den anderen Mädchen und Frauen fremd vor, und da sie noch nicht einmal in der Drachenstation aufgenommen worden war, schien sie nirgendwo mehr hinzugehören.

„Wenn alle Leute in Goldfels gleich lange Haare haben”, sagte eine der Hoftöchter später neckend, als sie sich mit Dindra in die Mädchenkammer zurückgezogen hatten, „wie kann man dann die Jungen von den Mädchen unterscheiden?”

„Wenn ihr das nicht wisst, werdet ihr nach eurer Hochzeit eine Überraschung erleben”, brummte Dindra und löste damit heftiges Gekicher aus.

Die Töchter des Hofes erwiesen sich als leidenschaftliche Schnarcherinnen, aber das war nicht der einzige Grund, warum Dindra noch lange wach lag. Sie dachte an den Traum der letzten Nacht, von dem sie nicht wusste, ob es ein Traum gewesen war, und zögerte das Einschlafen hinaus, so lange es ging. Die Vorstellung, dem, was nach ihr in jener unheimlichen Dunkelheit suchte, hilflos ausgeliefert zu sein, ließ sie schaudern. Aber es half nichts. Sie musste der langen Fahrt unter der heißen Sonne Tribut zollen, und so sehr sie sich auch dagegen wehrte, schließlich schlief sie ein.

Sie träumte von langhaarigen Mädchen, die mit dicken Jungen zusammen auf Drachen saßen, über sie hinwegflogen und lachend mit dem Finger auf sie zeigten; von Alfru, der ganz allein in der Halle von Etrus Hof saß und weinend Dindras Gesicht in einen Balken schnitzte; von Ryll, der in einem Karren rasend schnell über die Ebene fuhr, während der alte Anso hinter ihm her rannte und vergeblich versuchte, ihn einzuholen. Die Traumbilder wechselten einander ab in der wirren Art, die ihnen eigen ist, aber dann ertranken sie plötzlich alle in jener Dunkelheit, die Dindra fürchtete, weil sie so undurchdringlich war wie Schatten, die sich nachts in den tiefsten Ecken sammeln. Wieder spürte sie, dass etwas nach ihr tastete und suchte, und wieder merkte sie entsetzt, wie sie anfing zu leuchten und sichtbar wurde.

„Ich habe dich gefunden”, flüsterte eine Stimme im Dunkeln, kalt und geisterhaft. „Komm heraus auf das Grasland oder all die Menschen, zwischen denen du dich versteckst, werden sterben.”

Feuer flammte in der Dunkelheit auf und raste auf sie zu, wurde größer und größer, bis sie spürte, wie es anfing, ihre Haut zu versengen, obwohl es eisig kalt und fahl wie Mondlicht war.

Sie schrak auf, vor Entsetzen keuchend, aber das Grauen, das im Schlaf von ihr Besitz ergriffen hatte, fiel nicht von ihr ab. Immer noch tanzten die bleichen Flammen vor ihren Augen, als hätten sie sich in sie hineingebrannt, und nur ganz langsam wurden sie schwächer und verblassten. „Es ist kein Traum”, dachte sie, und die Gewissheit war so schrecklich, dass sie beinahe laut aufgeschrien hätte.

Die drei Hoftöchter um sie herum schnarchten friedlich in ihren Betten und rührten sich nicht.

Sie werden sterben, wenn ich nicht gehorche. Sie und alle anderen im Haus. Dindra hatte keinen Zweifel, dass die Drohung ernst gemeint war. Jemand war draußen auf dem Grasland und rief sie zu sich. Jemand, der in ihre Träume eindringen und sie dadurch aufspüren konnte.

Sie dachte an den Drachen, der am Abend über Anso und ihr seine Kreise gezogen hatte. „Wenn er es ist”, dachte sie schaudernd, „kann er den ganzen Hof niederbrennen.”

Sie stand auf und öffnete einen der Fensterläden. Der Hof lag still und verlassen im Licht des fast vollen Mondes. Nichts deutete auf eine Gefahr hin. Sterne funkelten im Süden über der Ebene, dort, wo hinter den Obstgärten und dem Wald das Grasland lag. Dindra fröstelte in der nächtlichen Kälte, obwohl es windstill war. Was sollte sie tun? Die Hofleute aufwecken, damit sie sich in Sicherheit bringen konnten? Aber sie würden ihr kaum glauben. Du hattest einen schlechten Traum, würden sie sagen und hinter ihrem Rücken über sie lachen. Sie will nach Goldfels und hat Angst vor Drachen!

Sie strich mit den Händen über ihr Gesicht und über die Arme, dort, wo das fahle Feuer sie im Traum, der kein Traum war, versengt hatte, aber sie fühlte nichts. „Wenn es ein Drache ist, darf ich mich nicht vor ihm fürchten”, dachte sie. „Sonst werden sie mich niemals in Goldfels aufnehmen.”

Sie war nicht sicher, ob sie es überhaupt noch wollte, aber was war, wenn es kein Zurück mehr gab? Wenn sie sich nun, da man sie aufgespürt hatte, nicht mehr verstecken konnte vor dem, der nach ihr suchte? Sie ahnte dumpf, dass er sie nicht mehr in Ruhe lassen, ihr zu Etrus Hof folgen würde, wenn sie heimkehrte, und dort tat, was er hier angedroht hatte.

„Ich bringe alle in Gefahr”, dachte sie, „wohin auch immer ich gehe.” Es war ein furchtbarer Gedanke, der nach Einsamkeit schmeckte. Und warum? Was hatte sie getan? Oder war es Maquon, der etwas Unrechtes getan hatte?

Wenn die Drachen sich im Kopf eines Mädchens eingenistet haben, kann es nicht mehr glücklich werden.

Wenn Etru nun Recht hatte? Vielleicht war die Begegnung mit Maquon ein Fluch. Sie dachte an ihre Mutter, die auch vor den Drachen geflohen war. Aber sie war dadurch nicht glücklich geworden oder wenn, dann nur für kurze Zeit. Dindra nahm das Silberamulett in die Hand und drückte es an ihre Wange. Es hatte die Wärme ihres Körpers, auf dem es gelegen hatte, und es fühlte sich tröstlich an.

„Ich darf nicht weglaufen”, dachte sie. Kirin hatte es versucht, und es hatte nichts genützt. Sie musste herausfinden, was die Drachen von ihr wollten, und wenn es ihr Leben, war, weil sie durch Maquon eine verbotene Traumwelt gesehen hatte, dann lieber nur ihres. Sie durfte niemanden deswegen in Gefahr bringen, hier nicht und ansderswo.

Sie küsste das Amulett und schloss den Fensterladen. Dann streifte sie ihr Kleid über, zog die Stiefel an und verließ leise die Kammer. Die Treppe knarrte fürchterlich, aber als Dindra unten durch die Halle eilte, rührte sich nichts im Haus.

Sie mied den Weg, auf dem sie mit Anso gekommen war, und lief stattdessen quer durch die Obstgärten, die den Hof umgaben und in ein Wäldchen übergingen. Die Schatten unter den Bäumen boten Schutz bis sie das Grasland erreichte. Hinter sich hörte sie die Pferde in den Ställen unruhig wiehern. „Sie spüren es”, dachte sie. „Sie spüren, dass da draußen etwas ist.”

In dem Wäldchen war es stockfinster. Fingerblattbäume und Ebenenstolze standen dicht an dicht, und auch wenn sich ihr Laub verfärbt hatte, war es noch dicht genug, um kein Mondlicht durchzulassen. Dindra musste sich von Stamm zu Stamm tasten und stolperte mehrmals über Wurzeln, die sich wie steinharte Schlingen aus der Erde erhoben, aber es dauerte nicht lange, bis sie vor sich den hellen Schimmer des vom Mondlicht beschienenen Graslands sah. Vorsichtig schlich sie zum Rand des Wäldchens, verbarg sich hinter einem der letzten Stämme und spähte hinaus auf die Ebene. Was sie sah, bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen.

Ein Drache stand etwa dreißig Fuß von ihr entfernt zu ihrer Rechten, dort, wo der Weg zum Hof begann. Sein grauer Schuppenpanzer schimmerte silbrig matt im Mondlicht, und seine Schwingen waren angelegt. Es sah aus, als ob er auf etwas wartete.

„Also sind es doch die Drachen, die mich suchen”, dachte Dindra entmutigt. Sie waren ihr feindlich gesinnt, und das scheinbare Einverständnis mit Maquon war nur eine Illusion gewesen.

Während sie noch überlegte, was sie jetzt tun sollte, setzte sich der Drache unruhig in Bewegung. Dabei bemerkte Dindra, dass er einen Reiter trug, der bis dahin hinter dem Kopf des Drachen verborgen gewesen war. Statt der üblichen Drachenreiterkleidung trug er einen dunklen Umhang mit einer Kapuze, die seinen Kopf vollständig bedeckte. Der Drache wandte sich zunächst ein Stück nach rechts, kehrte dann um und näherte sich der Stelle, an der sich Dindra versteckte. Als er fast auf ihrer Höhe war, blieb er stehen. Sie fürchtete schon, dass er sie entdeckt hatte, aber dann wandte er sich wieder ein Stückchen nach rechts und blieb dort stehen.

Der Reiter richtete sich im Sattel auf. „Verbirgst du dich immer noch vor mir?” Die Stimme schallte dünn über das Grasland. Ihr Klang war kalt, der Ton höhnisch.

„Ich weiß, dass du dort irgendwo steckst.” Der Reiter lachte. „Ich weiß, du hast ein weiches Herz. Das habe ich immer an dir gehasst. Du würdest nicht zulassen, dass den Menschen auf dem Hof etwas geschieht, nicht wahr? Also komm heraus und zeig dich!”

„Er redet, als ob er mich kennen würde”, dachte Dindra verwirrt. Wer konnte das sein? Sie beschloss, abzuwarten und im Versteck zu bleiben.

Der Drache setzte sich wieder in Bewegung, passierte den Baum, hinter dem Dindra sich verbarg, und blieb wieder stehen.

„Was ist?”, rief der Reiter. Sein Gesicht war in den Schatten unter der Kapuze nicht zu erkennen. „Worauf wartest du? Es hat keinen Sinn mehr, sich zu verstecken. Ich habe dich gefunden, nach all der Zeit. Du hast es verstanden, dich unsichtbar zu machen. Ich hatte die Suche schon fast aufgegeben. Aber dann hast du einen Fehler gemacht. Hast einem Drachen geholfen, meinen Befehlen zu widerstehen. Hast du Mitleid mit ihm gehabt? Hast du nicht daran gedacht, dass ich es merken würde?” Er lachte spöttisch. „Wieder dein weiches Herz. Zu weich!”

„Maquon!”, dachte Dindra. „Er meint Maquon.” Sie hatte dem Drachen geholfen, ohne zu wissen, wobei. Dieser Reiter mit der Kapuze war es, der Maquon so aufgebracht hatte! Aber was hatte sie getan, um ihm beizustehen? Es war nur dieses Leuchten um sie herum gewesen, sonst hatte sie nichts gemacht. Es wurde immer rätselhafter.

„Ich habe die Stelle gefunden, an der du wieder aufgetaucht bist”, fuhr der Reiter fort. „Jener Drache hatte es fast aufgegeben, sich gegen mich zu wehren, und als er sich mir entzog, auf eine Weise, wie sie nur du und ich bewerkstelligen können, wusste ich, dass du bei ihm warst. Ich habe eine Weile gebraucht, um den schwachen Abglanz deines Seelenlichts auf der Ebene zu finden.” Er lachte wieder. „Du hast deine Spuren nicht verwischt. War es Nachlässigkeit oder hast du dich sicher gefühlt nach all der Zeit? Wie unbedacht von dir! Du wirst niemals sicher vor mir sein. Hast du gespürt, wie ich nach dir gesucht habe gestern Nacht?”

„Godru war also doch nicht betrunken gewesen“, dachte Dindra. „Er hat tatsächlich einen Drachen bei Etrus Hof gesehen.“

Immer noch ließ der Reiter den Drachen hin und her marschieren. Er wusste offensichtlich nicht, wo Dindra sich befand.

„Es wird dir nicht gelingen, mir zu entkommen”, sagte er. „Du wirst müder und müder werden und bald wird dein Schlaf tief genug sein, um dein Seelenlicht so lange leuchten zu lassen, dass ich dich finden kann. Gib es auf! Ich kann nicht dulden, dass es außer mir noch jemanden gibt, der über die Feuerseelen der Drachen gebieten kann. Was hast du jetzt vor? Willst du dich wieder in Goldfels verkriechen? Oder hast du es dir überlegt?” Seine Stimme bekam einen beschwörenden Klang. „Hör zu! Meine Macht ist größer geworden. Bald werden alle Drachen mir gehorchen müssen. Ich werde über die Stationen und über die Ebene herrschen! Du kannst mir dabei helfen. Ich gewähre es dir, denn wir sind miteinander verbunden. Ich habe es dir schon einmal angeboten, vor fünfzehn Zeiten der heißen und kühlen Sonne. Aber du hast es vorgezogen, vor mir zu flüchten, obwohl wir zusammen sicher schon erreicht hätten, was ich anstrebe.” Er klang bitter. „Es ist das letzte Mal, dass ich dir anbiete, mit mir zu herrschen.”

„Kirin!”, dachte Dindra plötzlich. „Er glaubt, er redet mit Kirin!”

Sie hatte vor fünfzehn Zeiten der heißen und kühlen Sonne Goldfels verlassen und Etru geheiratet. Dindras Herz pochte aufgeregt. Offenbar wusste der Reiter nicht, dass ihre Mutter tot war. Aber woher kannte er sie? Wer war er? Kirin musste vor ihm geflohen sein, damals. Vor ihm und seinen Plänen, die mit den Drachen zu tun hatten.

„Wenn Kirin sich nicht darauf einlassen wollte”, dachte Dindra, „darf ich es auch nicht tun.”

„Du antwortest nicht?”, schrie der Reiter wütend. Der Drache bäumte sich auf, und seine Flügel entfalteten sich halb. „Also schön! Du bist immer noch derselbe störrische Nichtsnutz! Ich wollte dir ein letztes Mal die Gelegenheit geben, deine Meinung zu ändern. Wenn du nicht auf meiner Seite bist, musst du sterben! JETZT!”

Er beugte sich tief über den Hals des Drachen, als ob er ihm etwas zuflüstern wollte, und dieser riss das Maul auf und spie einen gewaltigen Feuerstrahl in das Wäldchen, der sofort die äußeren Bäume in Brand setzte. Dindra, die sich weit genug von der Stelle entfernt befand, um nicht von dem Feuer erfasst zu werden, stieß sich von dem Stamm, hinter dem sie hockte, ab, und rannte blindlings durch den Wald. Hinter sich hörte sie den Drachen fauchen, und dort, wo sie einen Augenblick zuvor noch gekniet hatte, gingen die Bäume in Flammen auf. Weitere Feuerstöße folgten. Der Atem des Drachen trieb das Feuer weiter in das Wäldchen hinein. Dindra spürte die Hitze im Rücken und rannte noch schneller, aber der Rauch, den das lichterloh brennende Laub entwickelte, brachte sie zum Husten und erschwerte das Atmen.

„Ich muss aus dem Wald raus!”, dachte sie. Auf ihrer linken Seite, dort, wo der Drache zuerst Feuer gespuckt hatte, überholten die Flammen sie schon. Sie erleuchteten die Dunkelheit des Waldes, sodass es fast taghell war. Es hatte den Vorteil, dass Dindra alle Wurzeln und Fallen meiden konnte, aber sie war gezwungen, auf die rechte Seite auszuweichen. Das Wäldchen war nicht groß. Wenn der Drache es umrundete und auf allen Seiten in Brand setzte, saß sie in der Falle, und wenn sie es verließ und hinaus aufs Grasland lief, würde der Reiter sie sehen.

Rechts von ihr, in der Richtung, in die das Feuer sie getrieben hatte, brannte es auch schon. Der Drache war schneller als sie erwartet hatte. Um sie herum knackte, krachte und fauchte es, als ob von allen Seiten wütende Untiere auf sie zu rasten. Sie änderte die Richtung und lief wieder geradeaus, sprang über Steine, Wurzeln und tote Äste. Es war ein verzweifeltes Wettrennen. Schweiß lief ihr in Strömen übers Gesicht. Die Hitze konnte sie umbringen, bevor die Flammen sie erreichten, oder der Rauch würde sie ersticken, wenn sie nicht schnell genug war. Aber das Grasland hatte sie laufen gelehrt. Niemand lief so schnell über das Gras wie sie. Alfru hatte sie niemals einholen können, denn niemand außer ihr hatte diese unsinnige Angst, im grünen Meer zu versinken. Außer Kirin vielleicht.

Kirin! Der Gedanke an ihre Mutter trieb sie noch schneller voran. Sie durfte hier nicht sterben! Sie musste herausfinden, was der unheimliche Reiter mit Kirin zu tun hatte. Er hatte so vieles gesagt, das Dindra verwirrte. Kirin war wie er gewesen, so viel hatte sie verstanden. Und er fürchtete sie so sehr, dass er sie töten wollte, wenn sie nicht auf seiner Seite war.

Aber bin ich wie Kirin?

Hustend und keuchend erreichte sie den Rand des Wäldchens. Jeder Atemzug schmerzte, und es nützte nicht viel, dass sie den Saum ihres Kleides ans Gesicht drückte. Ohne nachzudenken warf sie sich zwischen

den letzten Stämmen hindurch auf das Gras, überschlug sich, rappelte sich sofort wieder auf und überquerte eine schmale Schneise zu den Obstgärten, die sich jenseits davon befanden. Kaum hatte sie die Schatten der Bäume dort erreicht, als der Drache um die Rundung der Waldinsel bog, dabei immer wieder Feuer speiend und Laub in Brand setzend, und die Flammenlücke schloss, durch die Dindra wenige Momente zuvor entkommen war. Das Wäldchen brannte nun rundum. Der Drache bäumte sich auf, breitete die Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Über dem Knacken der brennenden Zweige und dem Tosen der gefräßigen Flammen hörte Dindra das hässliche Lachen des Reiters. Er war sich offenbar gewiss, dass sein Opfer der Feuerhölle, in die der Wald sich verwandelt hatte, nicht mehr entrinnen könne. Aus der Luft spuckte der Drache noch weiteres Feuer auf die brennenden Baumkronen, dann stieg er kreisend zum Himmel hinauf, wobei das dumpfe Knallen der mächtigen Flügel die Geräusche des Brandes übertönte, und flog nach Osten davon, in Richtung der Berge.

Eine Weile starrte Dindra noch auf seine Silhouette, die wie eine rasende Wolke die Sterne verdeckte und wieder freigab, während das Wäldchen wie eine riesige Fackel zu ihnen aufflackerte, dann rannte sie durch die Obstgärten zum Hof, stolperte ins Haus und schrie: „Feuer! Feuer! Eine Waldinsel brennt!”

Dindra Drachenreiterin

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