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ОглавлениеSpagyria und Spagyrik – die Geheimnisse der alten Meister
»Darum so lern Alchimiam, die sonst Spagyria heißt, die lernt das Falsch scheiden vom Gerechten.«
Paracelsus
In dem Wort Spagyria verbergen sich zwei griechische Wörter: spáō, »herausziehen, trennen, teilen«, und ageírō, »sammeln, verbinden, zusammenfügen, vereinigen«. Diese beiden Begriffe bilden die Grundlage jeder echten alchemischen Arbeit, daher der oft zitierte Satz: »Solve et coagula, et habebis magisterium!« (»Löse und binde, und du wirst das Magisterium haben!«) Ein Magisterium (Meisterstück) ist eine alchemisch erhöhte Aufbereitung, die stets aus einem Ganzen bereitet wird, zum Beispiel einer Heilpflanze. Die Aufarbeitung verlangt zunächst die Trennung bestimmter Bestandteile, danach werden sie gereinigt und wieder zusammengefügt.
Die alchemische Arbeit vollzieht sich stets in drei Stufen:
1 Die Trennung (Separation)
2 Die Reinigung (Purifikation)
3 Die Wiedervereinigung (Kohobation oder chymische Hochzeit)
Diese Arbeiten führen nach Ansicht der Spagyriker zu einer Erhöhung und Freilegung bestimmter Heilkräfte der Ausgangssubstanz.
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, gilt als der Großmeister der Alchemie. Lateinischer Paracelsus-Auswahlband des Gerald Dorn (Basel 1584) mit Kupferstich-Porträt und dem Motto des Paracelsus: »Alterius non sit qui suus esse potest« (»Keines anderen Knecht sei, wer sein eigener Herr sein kann«). (Museum Villach, Foto Olaf Rippe)
Der ägyptische Gott Thot wurde als Schriftgott, Erfinder der Alchemie, Seelengeleiter durch die Unterwelt und Initiationsgottheit verehrt. (Totenbuch, Detail, Ägyptische Sammlung, München, Foto Olaf Rippe)
Die Spagyrik ist die Anwendung alchemischer Arbeitsweisen zur Produktion von Heilmitteln. Wenn wir hören, dass der berühmte Arzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus (1493–1541), einen großen Teil seiner Arzneien nach spagyrischen Methoden aufbereitete, so müssen wir darunter eine sehr hohe Stufe der hermetischen Kunst verstehen. Diese hat wenig gemein mit der Vulgäralchemie, die oft verächtlich als »Goldmacherkunst« bezeichnet wird.
Die Anfänge dieser echten hermetischen Kunst liegen bis heute im Dunkeln. Wir wissen, dass die hermetisch-spagyrische Aufbereitungsweise vielen alten Kulturen bekannt war. Bedeutende Beiträge zur alchemischen Medizin finden wir zum Beispiel im alten China2, in Indien und bei den alten Ägyptern.3 Zwischen der altindischen und der altchinesischen Alchemie bestehen viele Parallelen. In Indien sind alchemische Aufbereitungen ein Teil der südindischen Siddha-Medizin, der ayurvedischen Medizin wie auch der später durch die Muslime nach Indien gekommenen Unānī-Medizin, die eine Weiterentwicklung der altgriechischen Medizin darstellt.
Die Alchemie der westlichen Schulen fußt hauptsächlich auf der ägyptischen Tradition. Im alten Ägypten wurde die Hermetik in den Tempeln von Memphis und Theben gelehrt. Aus den Schriften des Zosimos von Panopolis (Akhmim, 300 n. Chr.) lernen wir, dass die Alchemie im alten Ägypten unter der Aufsicht der Könige und Priester ausgeübt wurde und dass Veröffentlichungen von Geheimnissen dieser Kunst gegen das Gesetz waren4. Die hermetische Kunst wurde ausschließlich durch mündliche Überlieferung gelehrt. Die Araber waren die Hauptvermittler der theoretischen und praktischen Alchemie an die Europäer, die sie dann mit der christlichen Tradition verschmolzen (berühmte Vertreter waren beispielsweise Geber, um 721 bis 815 n. Chr., oder Rhazes, um 860 bis 930 n. Chr.).
Unter den historisch zugänglichen europäischen Quellen sind besonders die Schriften des Paracelsus zu nennen. Bevor die viel älteren indischen und chinesischen Quellen im Westen bekannt wurden, bildeten die paracelsischen Schriften die frühesten sicher datierbaren Informationen. Frühere Texte, einschließlich vieler orientalischer, sind unsicher in der Datierung und die Autoren schwer fassbar. Die ganze alchemische Gedankenwelt ist stark bildhaft und mythologisch unterbaut, das moderne geschichtliche Denken, das der Europäer so hoch bewertet, fehlt ihr weitgehend. Es darf uns daher nicht wundern, wenn viele Alchemisten in westlichen Ländern sich fortwährend auf Paracelsus berufen.
Paracelsus sagt in seinem Buch »Paragranum«: »Das dritte Fundament, auf welchem die Medizin beruht, ist die Alchemie. Wenn der Arzt in dieser nicht gute Fähigkeiten und Erfahrung hat, ist seine Kunst vergebens.«5
Doch wodurch unterscheiden sich nun eigentlich pflanzlich spagyrische Heilmittel von nicht spagyrischen? Gewöhnliche Tinkturen, Aufgüsse, Dekokte usw. nutzen die Heilkräfte der Pflanzen, aus denen sie bereitet werden, nur zum Teil aus. Bei diesen Zubereitungen steht die Wirkstoffidee im Vordergrund. Die spagyrische Aufbereitung »schließt die Pflanzen auf« und legt durch ihr eigenes Verfahren höhere Heilkräfte frei. Sie ist im Prinzip synergistisch und weniger an einzelnen pharmakologisch aktiven Prinzipien interessiert.
Man kann der Methodik der Spagyrik nicht gerecht werden, wenn man sie nach den Maßstäben der analytischen Chemie oder Pharmakologie misst, selbst wenn diese Wissenschaften auf ihre Art einen Teil der Wirkungen spagyrischer Heilmittel erklären können. So wie die Homöopathie ihre eigenen Erkenntnisse, Erfahrungen und Gesetze hat, die mit den bisher bekannten chemisch analytischen Kenntnissen allein nicht fassbar sind, besteht auch die Spagyrik auf ihren eigenen Maßstäben, für die sie ihre eigenen Vorstellungen und Symbole hat. Bei vielen dieser Vorstellungen und Begriffe handelt es sich um Analogien, die sich aber in der Praxis als äußerst wertvoll erweisen.
Wir dürfen die Spagyrik und die Alchemie als Ganzes nicht nur als eine Vorstufe der späteren wissenschaftlichen Chemie betrachten, es handelt sich eher um eine andere Betrachtungsweise der Natur und ihrer Kräfte. Seit die moderne Chemie und die westliche Medizin, spätestens seit Virchow, einen völligen Bruch mit den chemischen und medizinischen Künsten der Vergangenheit vollzog, blieben ihnen viele Erkenntnisse der Spagyrik verschlossen.
Es besteht ein ähnliches Verhältnis zwischen Chemie und Alchemie wie zwischen Neurophysiologie und Akupunktur. Dr. med. Felix Mann, Präsident der Medical Acupuncture Society, der sich seit vielen Jahren um eine im westlichen Sinne wissenschaftliche Aufklärung der Akupunktur bemüht hat, sagt in einem seiner Werke: »Was ich geschrieben habe, mag dem Leser den Eindruck vermitteln, dass der Akupunktur wenig übrig bleibt, da ich praktisch die ganze traditionelle Theorie auseinandergenommen habe. Das ist weit gefehlt, denn ich praktiziere ausschließlich Akupunktur während neunzig Prozent meiner Zeit, und ich würde das nicht tun, wenn ich durch sie nicht bessere Ergebnisse als mithilfe der Praxis westlicher Medizin in Fällen entsprechender Krankheiten oder Funktionsstörungen erreichen würde. Natürlich gibt es viele Krankheiten, für die die westliche Medizin besser ist als die Akupunktur. Die Quintessenz ist, dass ich versuche, Akupunktur mit Prinzipien westlicher Physiologie, Anatomie und Medizin zu verbinden. In einigen Fällen erklärt die chinesische Theorie die Phänomene besser als die westliche Theorie, und daher behandle ich den Patienten entsprechend. Ich versuche meinen Standpunkt in beiden Lagern zu halten, denn vieles ist der westlichen Physiologie unbekannt, was in bestimmter Weise besser mithilfe der chinesischen Tradition erklärbar ist.«6
Wir fallen leicht in Versuchung, das gesamte alchemische Wissen der Vergangenheit mit den Maßstäben des gegenwärtigen Standes der Wissenschaften des Westens zu beurteilen. Das führt zu einer Entstellung bzw. zu einer unvollständigen Erkenntnis echter spagyrischer Zusammenhänge.
Die Analyse kann nie zu einer vollständigen Erkenntnis führen, denn das Ganze ist stets mehr als die Summe seiner Teile. Deshalb haben zum Beispiel auch die analytischen Untersuchungen alter italienischer Meistergeigen nie das Geheimnis der berühmten Geigenbauer von Cremona entschleiern können. Die ganze wissenschaftliche Untersuchung des alten Geigenbaus, einschließlich der Analyse der berühmten Lacke, konnte nie zu einer neuen Höhe der Geigenbaukunst führen, da sie lediglich das »Solve« vollzog, aber nicht das »Coagula«. Die Qualität der Meisterinstrumente Stradivaris und des Guarneri del Gesu blieb bis heute unerreichbar. Nach dem »Geheimnis« der Meister von Cremona gefragt, sagte ein berühmter italienischer Geigenbauer der Gegenwart, der ein altes Instrument buchstäblich zu neuem Leben erwecken konnte, ebenso klar wie lapidar: »Es gibt da keine Geheimnisse im Sinne von Tricks, wie Sie vielleicht denken. Die ›Geheimnisse‹ bestehen in der echten Erkenntnis der Naturgesetze und ihrer Hintergründe, welche die alten Meister besser verstanden als wir heute.« Ähnlich verhält es sich mit der Spagyrik. Der Spagyriker soll »im Lichte der Natur stehen«, um noch einmal mit Paracelsus zu sprechen.
Ein Zitat aus dem R. g Veda soll in diesem Zusammenhang noch angeführt sein: »Die Struktur reinen Wissens – Ausdruck des Veda – ist in dem unsterblichen Feld transzendentalen Bewusstseins enthalten, in welchem alle Impulse schöpferischer Intelligenz (oder die Naturgesetze), welche für die Organisation der ganzen Schöpfung verantwortlich sind, ihren Sitz haben.«7 Und dazu schließlich noch ein Ausspruch eines indischen Gurus unserer Zeit, Maharishi Mahesh Yogi: »Wissen ist in Bewusstsein strukturiert.«
Mit Recht bewundern wir die erstaunliche Höhe metallurgischen Wissens im alten Indien und im alten China. Die Bhas.mas der indischen Ayurvedamedizin, die chemisch gesehen Metalloxide sind, haben sich in alter wie in neuer Zeit als ausgezeichnete Heilmittel erwiesen.8 So zeigt zum Beispiel das »Lohā-Bhaṣma«, ein besonders hergestelltes Eisenoxid, keine der bekannten Nebenwirkungen vieler westlicher Eisenpräparate, also weder Verstopfung noch Magenbeschwerden; es geht rasch in das Blut über und erhöht den Hämoglobingehalt schnell, während viele westliche Eisenpräparate, selbst wenn diese intravenös gespritzt werden, zu Magenbeschwerden und anderen Nebenwirkungen führen können. Diese ayurvedischen Bhas.mas werden durch Kalzinierung (einen Ascheprozess, auf den wir später eingehend zurückkommen werden) von Metallen und anschließendes Eintauchen in Pflanzensäfte hergestellt. Dieser Prozess wird viele Male wiederholt, bis das Präparat den erwünschten Zustand hat.
In der ersten Abbildung erkennen wir einen hermetisch verschlossenen Kolben, in dem vier Aggregatzustände und ein Pelikan angedeutet sind. Die Erhöhung wird in dem Pelikan genannten alchemistischen Gefäß (siehe auch Seite 168) vollzogen, das heißt in einem Rückflusssystem. Die zweite Abbildung zeigt die erhöhte Essenz, das Flüchtige (weiß) ist zugleich oben und unten und rechts und links, ebenso das Fixe (dunkel). In der Mitte des Kreises befindet sich der aus dem Feuer wiederaufsteigende Phönix, während die den Kolben umgebende Flammenaura die nun befreite Energie in Form von Strahlung andeutet. Die Aggregatzustände sind hier vereinigt, der »Wolkenkreis« läuft hindurch. Beide Bilder entstammen dem Manuskript aus dem 18. Jahrhundert »Sapientia veterum philosophorum sive doctrina eorundem de summa et universali medicina« (Französische Nationalbibliothek, Paris).
Alchemisten sprechen gelegentlich von Erhöhung (Exaltatio) der Grundsubstanzen. Spagyriker sind der Ansicht, dass diese Erhöhungen bestimmte Energien freilegen. Betrachten wir einmal die beiden Reproduktionen aus dem Manuskript »Sapientia veterum philosophorum sive doctrina eorundem de summa et universali medicina«, ein Manuskript des 18. Jahrhunderts, das sich in Paris befindet.9
Um zu dieser Freilegung höherer Energien zu kommen, bedarf es der alchemistischen Kunst. Hören wir, was Paracelsus in dem Buch »Paragranum« dazu sagt: »Da die Natur äußerst subtil und durchdringend in ihren Manifestationen ist, kann sie ohne die Kunst nicht gebraucht werden. In der Tat produziert sie nichts, was in sich perfekt ist, sondern der Mensch muss es perfekt machen, und diese Perfektionierung wird Alchemie genannt (…). Und da die Medizin nicht ohne die Teilnahme des Himmels handeln darf, muss sie mit dieser handeln. Daher musst du sie behandeln, um sie von der Erde zu befreien; da diese nicht vom Himmel regiert wird, muss sie in der Bereitung der Arznei entfernt werden. Wenn du die Medizin von der Erde geschieden hast, gehorcht sie dem Willen der Sterne, das heißt, sie wird von diesen geleitet werden.« Wenn Paracelsus hier von Erde spricht, bedeutet dies hier alles, was unrein ist und unnötigen Ballast bildet. Eine alchemistische Weisheit lautet: Alchimia est separatio puri ab impuro (»Alchemie ist die Trennung des Reinen vom Unreinen«). Wir dürfen das Wort Erde hier nicht mit dem Element Erde verwechseln, da die Elemente in der spagyrischen Arbeit gereinigt werden.
Während bei der Bereitung einfacher Tinkturen die Pflanzenrückstände nach dem Auszug weggeworfen werden, enthalten pflanzliche spagyrische Aufbereitungen stets die durch Veraschung und anschließende Kalzinierung des Pflanzenrückstands gewonnenen Salze. Diese sind teilweise wasserlöslich und werden aus dem Kalziniergut mit destilliertem Wasser ausgezogen. Durch Abdampfen des Wassers können sie sichtbar gemacht werden. Die nicht wasserlöslichen Salze werden meistens (aber nicht immer!) als »Caput mortuum« (Totenkopf) oder »verdammte Erde« verworfen, während die wasserlöslichen als »Sal salis« (Salz des Salzes) in die Aufbereitung eingehen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese Salze große Heilwirkungen haben und daher auch oft für sich allein gebraucht werden.
Wie alle alchemistischen Aufbereitungsmethoden betrachtet die Spagyrik die sogenannten drei philosophischen Prinzipien, auch »Essentiale« genannt, als die wesentlichen Träger der Heilkräfte. Diese drei Essentiale werden als »Merkur« (Quecksilber), »Sulphur« (Schwefel) und »Sal« (Salz) bezeichnet. Sie sind nicht mit der in der heutigen Chemie üblichen Bedeutung dieser Wörter zu verwechseln. Es handelt sich lediglich um Decknamen. Durch besondere Verfahren, die wir später kennenlernen werden, können diese Essentiale aus der jeweils verwendeten Spezies herausgelöst werden (Separation). Anschließend werden sie gereinigt (Purifikation) und zuletzt wieder vereinigt (Kohobation oder chymische Hochzeit).
Für lange Zeit widmete sich die moderne westliche Pharmakologie der Erforschung einzelner aktiver Stoffe, die aus den Spezies extrahiert wurden. Sie vollzog das »Solve«, aber nur in seltenen Fällen das »Coagula«. Trotzdem haben diese modernen Untersuchungen durchaus ihren Wert. Sie ermöglichten zum Beispiel die genaue Feststellung kritischer Mengen bestimmter Substanzen, ihr spezifisches Gewicht sowie viele weitere genaue qualitativ-quantitative Experimente.
Durch die Pionierarbeit der Ernährungswissenschaftler und der Heilpraktiker, die den völligen Bruch mit der Vergangenheit nicht vollzogen hatten, sondern an der Tradition anknüpften, gewann die ganzheitliche Verarbeitung und Verabreichung von pflanzlichen Heilmitteln wieder an Boden. Wenn auch einige Wissenschaftler bis heute am äußersten Spezialistentum festhalten und daher vielfach den großen Gesamtüberblick verloren haben, ist doch die Wissenschaft als Ganzes auf dem Weg zu einer neuen integralen Perspektive. Dazu könnten viele Zitate angeführt werden, hier nur einige wenige: »Unsere tägliche Erfahrung bis ins kleinste Detail scheint so sehr in die groß angelegten Züge des Universums eingegliedert zu sein, dass es praktisch unmöglich ist, die zwei als getrennt zu betrachten.«10 Die moderne Physik lehrt uns, dass der »Grundstoff« des Universums ein Energiefluss in Feldern ist, von welchen die Materie lediglich eine Manifestation darstellt. Schon Einstein sagte: »Das Feld ist die einzige Wirklichkeit.«11 – »Es war nicht möglich, die Gesetze der Quantentheorie zu formulieren, ohne sich auf Bewusstsein zu beziehen.«12
Das Große Werk: Die Jungfrau Alchemia bzw. Maria als Eingeweihte auf der Mondsichel bildet das Zentrum des Tafelbildes. Über ihr schwebt Hermes/Merkur, Schirmgottheit der Alchemie. Im Zentrum sieht man den alchemistischen Prozess, umgeben von den Elementen mit der Zusammenführung von Merkur (Adler; Luft und Wasser) und Sulphur (Löwe; Feuer und Erde) zur gekrönten Tinktur. Die Planeten sieht man im oberen Bildteil und spiegelbildlich auch im unteren Bereich. (Detail eines Tafelbildes aus der Amtsstube des Klosters Lorch, 17. Jahrhundert, Foto Olaf Rippe)
Die genaue Präzisierung biochemischer Vorgänge stellt sich nicht nur als ein chemisches, sondern oft auch als ein »alchemisches« bzw. als kernchemisches Problem dar. Um die subtile und subtilste Wirkung bestimmter Substanzen zu verstehen bzw. zu versuchen, diese zu verstehen, müssen wir uns mit dem Begriff der Transmutation13 vertraut machen.
Beginnen möchte ich mit einer persönlichen Erfahrung. Als ich als junger Student einer indischen Universität gezwungen war, in der Mensa zu essen, bereiteten mir einige Speisen zunächst Schwierigkeiten, besonders der Brauch, Zitrusfrüchte, vor allem Grapefruits, mit größeren Mengen Salz zu essen. Selbst Fruchtsaftgetränke wurden oft gesalzen serviert. Abgesehen von dem allgegenwärtigen Tee war das typische Sommergetränk das vielgeliebte »Nimbū-Pānī«, ein Gemisch aus Zitronensaft, Brunnenwasser und Salz. Langsam gewöhnte ich mich an viele andersgeartete Vorstellungen von Ernährung, unter anderem auch an die Gewohnheit, in der halben Papayafrucht stets zwei kleine Kerne mitserviert zu bekommen, statt die Frucht ohne Kerne zu essen. Als ich nach dem Grund dieser Angewohnheiten fragte, entwickelte sich etwa folgendes Gespräch:
»Warum finden wir immer diese zwei Kerne in der Papayafrucht, haben sie irgendeine symbolische Bedeutung?«
»Die zwei Kerne sind gut für deine Gesundheit. Sie enthalten Substanzen, die während der Verarbeitung der Nahrung günstig auf das Verdauungssystem wirken. Iss die Kerne stets mit der Frucht. Wir haben unsere eigene traditionelle Medizin und eine genaue Ernährungslehre; sie beruht auf Einsichten, die sich in vieler Hinsicht von eurer westlichen Medizin unterscheiden. Nimm zum Beispiel unsere ayurvedische Medizin: Das Wort ›Ayurveda‹ bedeutet Wissenschaft vom Leben. Die ayurvedische Medizin ist eines der erfolgreichsten Heilsysteme mit einer genauen Ernährungslehre und einer hoch entwickelten vorbeugenden Medizin. Eines ihrer Ziele ist, den Organismus widerstandsfähig zu machen. Wo eure Ärzte mit Antibiotika vorgehen, oft auch in Fällen, wo diese nicht nötig wären, würde der ayurvedische Arzt eher auf eine Intensivierung der Abwehrkräfte zielen. Er erreicht diese durch Wiederherstellung des Gleichgewichts der Kräfte im Organismus. Es ist wie bei den Kampfsportarten: Wer im Gleichgewicht ist, steht sicher. Wo Stabilität aus dem Gleichgewicht gerät, entsteht Anfälligkeit, wie beim Judo. Damit will ich nichts gegen eure Medizin sagen, die in der Chirurgie und der Technologie ausgezeichnet ist. Es hat eben jedes System seinen Platz, und keines ist in sich ganz vollständig. Oder nimm die Unānī-Medizin. Das Wort «Unānī» bedeutet »griechisch« oder eigentlich »ionisch«. Dieses System ist eurer klassischen Medizin verwandt, Hippokrates und anderen. Die Muslime brachten dieses System in unser Land.
Es gibt viele Vorgänge in unserem Organismus, und ich bitte dich, das Wort Organismus jetzt in einem viel weiteren Sinne zu verstehen, als du vielleicht gewohnt bist und den die offizielle westliche Medizin nicht kennt. Die Prāṇa-Energie des Atems und die Nādīs zum Beispiel sind der westlichen Medizin unbekannt, ebenso die Meridiane der chinesischen Medizin. Atem ist nicht nur Sauerstoffaufnahme, es sind da noch ganz andere Energien und Energieumwandlungen im Spiel. Mein Vater ist ein Vaidya [ayurvedischer Arzt] in Allahabad. Du wirst sehen, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis ayurvedische Medizin auch an unseren modernen Universitäten gelehrt wird.»14
»Das mag so sein. Aber vielleicht könntest du mir erklären, warum das Obst und die Limonade hier immer gesalzen werden. Mir wird immer wieder geraten, hier in Indien viel zu trinken, da wir bei der Hitze viel Flüssigkeit durch die Haut verdunsten. Soll das Salz das Wasser im Körper binden? Oder die mit der Flüssigkeit verlorenen Salze ersetzen?«
»Es ist nicht ganz so einfach. Wir können bestimmte lebenswichtige Salze nicht einfach durch Kochsalz ersetzen, auch nicht durch natürliches Meersalz. Das Salz bringt eine gewisse Frische. Es schützt dich vor Erschöpfung bei großer Hitze. Weizen zum Beispiel ist seiner Natur nach kühl und süß, und sein Verdauungsprodukt ist süß. Diese Büffelmilch hier ist fett und kühl. Nach dem Ayurveda gibt es acht verschiedene Arten von Honig, zum Beispiel frischen süßen Honig, zusammenziehenden Honig, leichten und kalten Honig usw. Diese Frucht hier, die Papaya, ist süß, schwer, appetitanregend und reduziert Pitta. Was Pitta [eigentlich Galle] bedeutet, erkläre ich dir bei Gelegenheit.«
»Aber wie kann ich mich mit diesem scharfen Salz im Körper frisch fühlen?«
»Es verursacht viele Wirkungen im Organismus. Beschäftige dich einmal mit der indischen Ernährungslehre und der Medizin. Ich rate dir mit gutem Gewissen, dich an unsere Ess- und Trinksitten zu gewöhnen.«
Das war ein guter Rat. Während meines halben Lebens in Indien war ich nie ernsthaft krank, was auf eine gesunde, den indischen Verhältnissen und dem Ayurveda angepassten Lebensweise zurückzuführen sein dürfte.
Für den häufigen Gebrauch des Salzes konnte ich lange Zeit keine völlig befriedigende Erklärung finden. Die oft gehörte Behauptung, dass es sich lediglich um einen Ersatz durch Ausscheidung verlorener Salze und Substanzen handle, befriedigte mich schon deshalb nicht, weil Meersalz keineswegs alle physiologisch notwendigen Salze und Spurenelemente enthält. Erst das Studium der Alchemie, genauer gesagt, der biologischen Transmutationen, konnte einiges Licht auf das Problem werfen. Darüber nun einige Worte mehr.
Als der Biologe Dr. L. C. Kervran sich 1959 auf einer offiziellen Mission in der Sahara befand, beobachtete er, dass diejenigen Techniker und Arbeiter, die selbst bei enormen Temperaturen und intensiver Arbeit vor Hitzschlag und Erschöpfung bewahrt blieben, alle größere Mengen Meersalz einnahmen, meistens in Form von Tabletten. (Diese Tabletten wurden in Indien während der Kolonialzeit auch an die britischen Streitkräfte verteilt.) Wiederholte Untersuchungen Kervrans, die auch von anderen Forschern bestätigt wurden, erwiesen, dass der Schweiß der Arbeiter nach Einnahme der Salztabletten einen sehr hohen Prozentsatz von Kalium enthielt. Kochsalz ist jedoch Natriumchlorid, nicht Kaliumchlorid. Wo war das Natrium geblieben? Es hatte sich im Organismus in Kalium verwandelt und konnte später im Schweiß in den bereits erwähnten hohen Mengen nachgewiesen werden. Dieser Prozess verbraucht Kalorien. Wir erinnern uns: »Das Salz bringt eine gewisse Frische, es schützt dich vor Erschöpfung bei großer Hitze …«, daher die kühlende Wirkung, ein endothermer Prozess.
Kervran formulierte diesen Prozess wie folgt:
Diese Formel stellt die substanzielle Seite des Vorgangs dar, der Energiefaktor ist darin nicht erkennbar.
Derartige kernchemische Formeln – wir können sie auch als »alchemische« oder »parachemische« Formeln bezeichnen – sind noch nicht sehr lange in Gebrauch. Die alten Meister gebrauchten andere Symbole, darunter oft sehr eindrucksvolle hochdramatische Bilder, zum Beispiel Drachen mit und ohne Flügel, rote und grüne Löwen, Schlangen, Raben, Adler, Kröten, Salamander, Blumen, Bäume, Ketten, Götter und Göttinnen. Wir sind heute gewohnt, viele parachemische Prozesse in kernchemischen Formeln auszudrücken, die den alten Meistern natürlich unbekannt waren. Wir sollten aber nicht übersehen, dass die konkrete und bildhafte Sprache der Alten nicht nur von großer Schönheit ist, sondern auch sehr suggestiv und genau. C. G. Jung, den die Sprache alchemischer Traktate zunächst verwirrte, wies später nach fortgeschrittenen Studien auf die außerordentliche Kohärenz und Präzision alchemischer Begriffe und Formulierungen hin, allerdings stets vom Standpunkt des Psychologen; die praktische Alchemie blieb ihm verschlossen.
Es ist noch nicht lange her, dass die offizielle Chemie die Möglichkeit einer Elementeumwandlung leugnete; eben aus diesem Grund sprach sie von Grundstoffen. Durch die neuere Forschung wurde die Chemie gezwungen, ihre Formulierungen zu ändern, denn die Möglichkeit der Transmutation eines Elementes in ein anderes wurde experimentell beweisbar.
Transmutation– die Kunst der Verwandlung
Transmutation bedeutet die Umwandlung eines Elementes in ein anderes. Ein radioaktives Element transmutiert ständig, die Atome senden Partikel aus, dadurch wandelt sich die Zahl der Protonen, und ein neues Element formiert sich. Dieser Prozess setzt sich so lange fort, bis sich ein stabiles Element bildet, zum Beispiel Blei. Die Wissenschaft unterscheidet drei Arten von Kernumwandlungen: Fission, Fusion und Transmutation.
Bei der Fission (Teilung) teilt sich ein Kern in zwei Kerne, bei der Fusion (Zusammenfügung) verbinden sich zwei oder mehrere Kerne zu einem schwereren Kern. (Auch hier gilt der berühmte Satz: Solve et coagula, et habebis magisterium.) Bei einer Transmutation (Umwandlung) zerfällt ein radioaktives Element durch regelmäßige Emission von Partikeln. Jedes Element kann radioaktiv gemacht werden durch Bombardierung mit Alphapartikeln oder Neutronen. Das Element verwandelt sich auf diese Weise in ein radioaktives »Isotop«.
In der Alchemie ist der Begriff Transmutation einfach mit jeder Elementenumwandlung identisch.
In klassischen alchemischen Texten ist auch das Wort »Projektion« zu finden.
Die Umwandlung einer Materie wird nach alchemischer Methode eingeleitet, indem man ein bestimmtes aktives Prinzip darauf wirft, das heißt »projiziert«. In diesem Sinne kann man auch die Beschießung einer Materie mit beschleunigten Teilchen, welche eine Transmutation verursachen, als eine moderne Form der Projektion bezeichnen. Da die umgewandelte Materie die Farbe wechselt, spricht man in der klassischen Alchemie auch von »Tingierung« (von lateinisch tingere, tinctus).
Ernest Rutherford war der erste Wissenschaftler, dem eine künstliche Elementenumwandlung im modernen wissenschaftlichen Sinne im Laboratorium gelang. Mithilfe eines Heliumkerns (eines Alphapartikels) verwandelte er einen Stickstoffkern in ein Sauerstoff-Isotop und Wasserstoff nach der Formel:
Wissenschaftliche Erkenntnis und Formulierung der Transmutation führten zu einer Wandlung des Elemente-Begriffs. »Element« im modernen Sinne bedeutet eine reine Substanz, deren konstituierende Atome alle von der gleichen Art sind. Elemente sind homogene Systeme konstanter, nicht variabler Zusammensetzung, die mit chemischen Mitteln nicht zerteilt werden können.
Wir werden später sehen, dass der Elemente-Begriff der Alchemie völlig anders ist und eher einem Zustand gleicht, da die Alchemie keine Stabilität der in der freien Natur vorkommenden Materie anerkennt. Nichts außer dem Wandel ist stabil in der Natur, die selbst eine sich ständig vollziehende Alchemie darstellt.
Ein chemisches Element ist also ein aus gleichen Atomen zusammengesetzter Körper. Jedes dieser Atome besteht aus einem Kern mit der gleichen Anzahl Protonen bzw. auch Neutronen und einem »Orbit« (Umkreis) oder »Mantel« von »kreisenden« Elektronen, deren Zahl mit der der Protonen identisch ist. Dieses auf Ernest Rutherford und Niels Bohr zurückgehende Atommodell hat aufgrund seiner Anschaulichkeit bis heute überleben können, wenigstens unter Chemikern, während die Physiker sich besonders für die noch winzigeren Bausteine der Materie interessieren und diese vorläufig als »Elementarteilchen« bezeichnen. In der modernen Kernphysik erfahren die Begriffe der Elementarteilchen Wandlungen, die oft an die Grenze unserer Vorstellungsmöglichkeiten rühren.
Bleiben wir im Augenblick bei unserem bereits etwas altmodischen Protonen-Elektronen-Neutronen-Modell. Protonen weisen eine positive Ladung auf, Elektronen eine negative, Neutronen sind neutral. Wenn ein Atom im Kern mehr Neutronen als die Zahl der Protonen aufweist, ist das Atomgewicht höher, ein solches Atom wird als »Isotop« bezeichnet. Isotope sind Atome gleichen chemischen Verhaltens, aber mit höherem Atomgewicht durch die Anwesenheit von Neutronen. Auf diese Weise existieren zum Beispiel die schweren Wasserstoffe. Der »normale« Wasserstoff, Atomgewicht 1,008, besteht aus einem Proton und einem Elektron; Deuterium, Atomgewicht 2,016, hat ein Neutron dazu; das noch schwerere Tritium, Atomgewicht 3,024 hat zwei Neutronen zusätzlich.
In unseren oben erwähnten Formeln bedeutet die obere Zahl, Massenzahl genannt, die Summe der Zahl der Protonen und Neutronen (falls solche vorhanden sind), während die untere die Zahl der Elektronen darstellt. Wir können jetzt leicht Kervrans Formel der Umwandlung von Natrium in Kalium verstehen: Der Kern des NatriumIsotops mit 11 Protonen und 12 Neutronen verschmilzt mit dem Sauerstoffkern, der aus 8 Protonen und 8 Neutronen besteht. Die Elektronen werden ebenfalls addiert. Das Ergebnis ist ein neues Atom mit einem Kern, bestehend aus 19 Protonen (11 + 8) und 20 Neutronen (12 + 8), um welchen 19 Elektronen (11 + 8) kreisen, das ist ein Kalium-Isotop.
Dass diese Art von Transmutation, der viele Wissenschaftler immer noch skeptisch gegenüberstehen, eine gewisse Wärmeregulierung des Organismus darstellt, scheinen auch andere Beobachtungen zu bestätigen. Der Kaliumgehalt im menschlichen Urin steigt im Verhältnis zum Natriumgehalt beträchtlich in tropischem Klima, besonders bei körperlicher Arbeit.
Signaturenlehre – was ist das?
»Ihr wisset durch die Kunst der Signatur, dass jedes Ding nach dem, aus dem es ist und zu dem es gehört, gezeichnet wird, damit es immer gleich gefunden werde, wie es die Kunst der Signatur anzeigt, die der Arzt kennen soll.« (Paracelsus)
Die Signaturenlehre ist ein uralter Weg der Heilmittelerkenntnis. Paracelsus gilt als Pionier der Verknüpfung dieser Anschauung mit einer modernen analytischen Betrachtungsweise, nach dem Prinzip der Analogie. Demnach hat jede Substanz innere und äußere Merkmale, von denen man auf eine mögliche Heilwirkung schließen kann.
Um diese Methode sinnvoll anzuwenden, sollte man sie als Hinweise verstehen, die eine Bestätigung durch das Experiment erfordern. Als mögliche Signaturen dienen zunächst alle sinnlich wahrnehmbaren Phänomene wie Form, Gestalt, Farbe, Geschmack oder Geruch einer Pflanze, aber auch der Wachstumsort, die Vergesellschaftung mit anderen Pflanzen, der Bezug zu den Rhythmen der Tageszeit oder Jahreszeit spielen eine Rolle. Ferner berücksichtigte man ebenso die Bedeutung des Namens und natürlich auch die traditionellen Verwendungsformen oder die Verknüpfung mit Göttern und Mythen. (Text und Grafik v. Hrsg.)
Der Schachtelhalm erinnert in seinem Aufbau an die Wirbelsäule. (Handkolorierter Holzschnitt aus dem Kräuterbuch des Leonhard Fuchs, 1543)
Sporentrieb des Ackerschachtelhalms im Frühjahr (oben) – die Kieselsäure ist hier besonders gut löslich.
Schachtelhalm ist extrem genügsam und regeneriert als Bodenverbesserer die ausgelaugte Erde. Als Heilmittel wirkt er regenerierend auf das Gewebe und vermittelt Struktur, Festigkeit und die Fähigkeit zur Abgrenzung. (Fotos Olaf Rippe)
Ein anschauliches Beispiel für eine biologische Transmutation bietet der Schachtelhalm. Nach der klassischen Signaturenlehre (siehe Seite 26 und 124ff.) wird der Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense) als besonders vom Saturn beherrschte Pflanze betrachtet. Dieser Planet regiert unter anderen Organen besonders das Knochensystem und die mineralischen Prozesse im Organismus. Schachtelhalm hat eine korrigierende Wirkung im Falle einer Entmineralisierung der Knochen und wirkt allgemein strukturierend. Schachtelhalm korrigiert und erhält das organische Calciumgleichgewicht. Diese Fähigkeit beruht besonders auf der Transmutation von Silizium in Calcium.
Die wichtigsten im Ackerschachtelhalm enthaltenen Substanzen sind: Kieselsäure in großen Mengen, Schachtelhalmsäure (eine der Spezies eigene Säure mit diuretischer Wirkung), Equisetonin (ein Saponin), Schleimsäure, Apfelsäure, Oxalsäure, Eisen, Magnesium, Mangan, Kalium, Natrium, Aluminium, Calzium, Phosphor, Glucoside, Antivitamin (in den Sporen; das Antivitamin hat die Fähigkeit, das Vitamin B1 ›Thiamin‹ zu zersetzen), Dimethylsulphon, Vitamin C (in der frischen Pflanze), Phytostearin, Harz, eine Substanz, die das Koagulieren verhindert und auf dem Saft der Pflanze schwimmt, eine koagulierende Substanz im Satz des Saftes, eine noch nicht genau definierte Base und Equisetin, ein Alkaloid, durch einen Pilz (Ustilago equiseti) verursacht, welcher der Pflanze die typischen braunen Flecken verleiht. Falls der Gehalt von Equisetin vermieden werden soll, muss die Pflanze vor dem Befall geerntet werden. Junge Pflanzen enthalten weniger Kieselsäure als ausgewachsene, die jüngeren Pflanzen enthalten jedoch mehr lösliche Kieselsäure als die älteren, wobei zu berücksichtigen ist, dass die lösliche Kieselsäure den größeren Heilwert hat.
Die quantitative Analyse einer Schachtelhalm-Spezies stellt sich nach Auskunft der Firma Staufen Pharma wie folgt dar:15 Kieselsäure: 62,11, Chlor: 0,70, Schwefelsäure: 4,67, Phosphorsäure: 2,12, Schwefel: 4,03, Kohlensäure: 0,59, Kalium: 2,88, Natrium: 0,67, Magnesium: 1,53, Calcium: 15,40, Eisen: 2,19.
Beeindruckend ist der hohe Gehalt an Kieselsäure, der praktisch das Vierfache des Calciumgehalts darstellt. Wie ist nun die stark ausgleichende Wirkung des Calciumgehalts im Organismus zu erklären? Nach Kervran wird der Calciumgehalt des Organismus besonders durch die Transmutationsprozesse aufrechterhalten. Hier folgen die entsprechenden Formeln:
Die letzte dieser Formeln erklärt den Prozess. Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung des amerikanischen Ernährungswissenschaftlers Dr. Paavo Airola im Zusammenhang mit Osteoporosis16: Abnorme Porosität der Knochen älterer Menschen beruht gewöhnlich auf mangelhafter Ernährung, besonders Mangel an Vitaminen und Mineralen. Längere Behandlung mit Cortison kann auch zu Osteoporosis führen, da diese zu einer Reduzierung der Calcium- Aufnahme durch die Eingeweide führt und auch die Knochensubstanzbildung blockiert. Dr. Airola bemerkt, dass nach der Ansicht Dr. L. C. Kervrans die Verabreichung von calciumreicher Nahrung oder zusätzlichen Calciums in Fällen von Osteoporosis, Calciummangel oder Entcalzifizierung nicht empfehlenswert ist. Kervran schlägt stattdessen die Zuführung von organischer Kieselsäure, Magnesium und Kalium als einen wirkungsvolleren Weg vor, um den Mineralhaushalt zu verbessern und den Knochen und Geweben Calcium zuzuführen. Durch den Prozess der biologischen Transmutation wird das Silizium der Kieselsäure im Körper in leicht assimilierbares Calcium verwandelt. Kervran empfiehlt besonders Schachtelhalmtee17.
Kervran bemerkt in seiner bekannten Arbeit über biologische Transmutation, dass organische Kieselsäure für den Menschen empfehlenswert ist, da mineralische Kieselsäure die entgegengesetzte Wirkung hat: sie entcalcifiziert.18
Diese Hinweise sollen für den Augenblick genügen. Dem interessierten Leser seien die in der Bibliografie erwähnten Schriften Kervrans und Vitofranceschis empfohlen.
Im Zusammenhang mit einer Neubewertung der Transmutationsmöglichkeiten sei noch das viel besprochene Experiment der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt erwähnt. 1977 wurde dort eine Scheibe aus Uran mit Uranionen beschossen, die auf eine Energie von 1,8 Milliarden Elektronenvolt beschleunigt worden waren. Bei diesen Energien kommt es noch nicht zu einer völligen Verschmelzung zweier Urankerne, sondern es werden nur wenige Protonen und Neutronen zwischen den Kernen ausgetauscht. Mit wachsender Energie der Projektile nimmt dieser Austausch zu, und in der nachfolgenden (radiochemischen) Analyse wurde die Anwesenheit von Gold bestätigt. Wenn sich einer der beiden Urankerne in einen Goldkern umwandelt, so geht der Reaktionspartner in einen Kern des Elementes 105 über. (Uran hat die Ordnungszahl 92, Gold 79; der Unterschied beträgt 13; 92 + 13 = 105.) Derartige Elemente sind jedoch instabil und zerfallen rasch durch Kernspaltung.
Die klassischen Meister der Alchemie bedienten sich nicht dieser enorm hohen momentanen Energien, sondern äußerst subtiler Energien wie der des menschlichen Organismus, die sich wie viele alchemische Prozesse mit unendlicher Langsamkeit vollziehen. Arbeiten über viele Jahre und selbst Jahrzehnte sind keine Seltenheit. Viele Wissenschaftler bestehen darauf, dass Transmutationen nur mit riesigem Energieaufwand möglich sind, sich dann allerdings mit großer Schnelle vollziehen. Warum sollte es nicht möglich sein, Transmutationen mit niedrigeren Energien, aber mit größerem Zeitaufwand zu erzielen? Ist es vielleicht wie beim Flaschenzug: entweder viel Kraftaufwand und wenig Zeit oder wenig Kraftaufwand und viel Zeit? Außerdem, wie kann man die entsprechenden Energien messen? Besonders, wenn diese nicht einmal bekannt sind!
Der Adept folgt der Natur. Der Stich aus Michael Maiers berühmtem Werk »Atalanta Fugiens« deutet an, dass der Alchemist den Schritten der Natur folgen muss und ihre Wege beleuchten soll. »Für denjenigen, der sich mit Alchimie befasst, können die Natur, der Verstand, die Erfahrung und das Lesen Wegweiser, Stab, Brille und Laterne sein. Die Natur muss des Künstlers Anführerin sein; die Vernunft ist der Stab, auf den er sich stützt, um nicht dummen Irrtümern zu verfallen; die Erfahrung ist die Brille, die dem Künstler ermöglicht, Wahres von Unwahrem zu unterscheiden, wie sie dem Kurzsichtigen erlaubt, in die Ferne zu sehen. Das Lesen muss dem Intellekt wie ein helles Licht sein, wenn nicht, so werden düstere Wolken der Unklarheit obsiegen.« (Nach Stanislas Klossowski De Rola, The Golden Game, 1988)
Die alten Meister empfehlen, stets der Natur nachzufolgen und diese die Arbeit von selbst tun zu lassen, wie der Bauer. Die Nähe der Alchemie zum Ackerbau ist oft betont worden, und es gab Alchemisten, die sich den lateinischen Beinamen Agricola (= Bauer) zulegten.
Es ist wichtig für uns festzuhalten, dass die Möglichkeit der Transmutation eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache ist und keineswegs ein Fantasieprodukt; der Streit geht um die Mittel, nicht um die Tatsache als solche. Transmutationen ermöglichten überhaupt erst die Erscheinung der ganzen Materie. Aus dem ursprünglich aus dem Urknall hervorgegangenen Wasserstoff entwickelten sich nach Ansicht der Wissenschaft in etwa sieben Milliarden Jahren mit der Geburt und dem Tod von Generationen von Sternen immer schwerere Elemente. Wenn wir von der Materie als aus dem Urknall gefrorenes Licht sprechen, können wir auch sagen: »In principio erat hydrogenium« (im Anfang war der Wasserstoff), der nach Ansicht der Parachemie die am meisten wärmeverwandte Substanz ist.
Kehren wir nun zur Spagyrik zurück. Wesentlich für eine gelungene Transmutation sind die Qualität der Ausgangssubstanzen, das geeignete Auszugsmedium und der geeignete Zeitpunkt, denn alles hat »seine Zeit«; die Griechen nannten die Gunst der Stunde kairos (griechisch Καιρός).
Zur Aufbereitung spagyrischer Heilmittel verwendet man am besten nur gesunde Heilpflanzen, die ohne künstliche Düngung gewachsen sind. Ebenso verwendet man am besten möglichst reines Quellwasser. Außerdem beachtet der Spagyriker häufig die Planetenstellungen und die Planeten als sogenannte Stundenregenten (hierzu später mehr).
Noch einmal sei in diesem Zusammenhang Paracelsus zitiert: »So muss deine Medizin ihre Früchte tragen wie der Sommer die seinen. Ihr müsst wissen, dass der Sommer dieses mit Hilfe der Gestirne tut, nicht ohne diese. Wenn die Gestirne fähig sind, dieses zu tun, müsst ihr wissen, wie die Medizin auf solche Weise bereitet wird und dass sie von den Gestirnen regiert wird. Denn es sind diese, welche die Arbeit des Arztes vervollständigen. Und da diese handeln, muss die Arzney nach ihren Einflüssen verstanden, klassifiziert und justiert werden (…). Daher muss man verstehen, dass die Medizin in den Gestirnen bereitet werden muss und dass die Gestirne die Medizin werden.» (Buch »Paragranum«)
Mit dem allmählichen Vormarsch des Materialismus und der sich durchsetzenden Vorstellung des statischen Elementebegriffs in der offiziellen Chemie verlor die Alchemie immer mehr an Boden, obgleich sie im 17. Jahrhundert noch weithin blühte. Wirklich erloschen ist die alchemistische Glut jedoch zu keinem Zeitpunkt.
Im 19. Jahrhundert begann der deutsche Arzt Dr. med. et phil. Carl Friedrich Zimpel (1800–1878) eine neue Produktion spagyrischer Heilmittel. Dieser weitgereiste und gelehrte Mann war ursprünglich Ingenieur. Er widmete sich spät dem Studium der Heilkunst und erwarb den Doktorgrad der Philosophie und der Medizin. Er wurde mit der Preußischen Goldmedaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet und war Ehrenmitglied der Mineralogischen Gesellschaft der Universität Jena. 1849 ließ er sich in London als homöopathischer Arzt nieder. Zimpel widmete sich intensiv dem Studium der Werke des Paracelsus und jenem des Apothekers und Alchemisten Johann Rudolph Glauber. Allmählich entwickelte er eine bedeutende Produktion, bekannt unter dem Namen Müller Göppingen mit der Spezialabteilung Staufen Pharma, eine hochstehende, international bekannte Produktionsfirma, deren Erzeugnisse heute in vielen Ländern der Welt zu haben sind.19
Inzwischen führten auch die Forschungen Carl Gustav Jungs zu einer Neubewertung alchemistischer Texte und Anschauungen aus der Sicht des Psychologen. Jung erkannte in der alchemistischen Überlieferung ein philosophisches System von großer Kohärenz und Überzeugungskraft. Inzwischen wurden viele klassische Texte neu gedruckt, wobei die Einstellung der Herausgeber stark schwankt. Zu haben sind zum Beispiel die Werke von Paracelsus, Basilius Valentinus, Glauber, Van Helmont, Andreas Libavius u. a.
1921 gründete Alexander von Bernus das Soluna Laboratorium, ehemals Stift Neuburg in Heidelberg. Nach einem kurzen Aufenthalt in Stuttgart siedelte das Institut in das Schloss Donaumünster in Donauwörth über. Alexander von Bernus’ Buch »Alchymie und Heilkunst« sei jedem Leser wärmstens empfohlen. Das Soluna Laboratorium produziert nach wie vor eine große Anzahl spagyrischer Heilmittel.
Das Phönix Laboratorium in Bondorf, das nach paracelsischer Methode eine Reihe zuverlässiger Heilmittel produziert, und die Firma Naturwaren GmbH Dr. rer. nat. Peter Theiss in Homburg müssen ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähnt werden.
In Salt Lake City, Utah, gründete Frater Albertus (Dr. Albert Riedel) das jetzige Paracelsus College, das aus der Paracelsus Research Society hervorging. Frater Albertus gehört zu den bekanntesten Vertretern der Alchemie in unserer Zeit. Seine Kurse in vielen Ländern ermöglichten einer großen Zahl von Teilnehmern einen ersten Zugang zur Alchemie, auch wenn einige von diesen später vorzogen, allein weiterzuarbeiten.20
»Alchemie und Heilkunst« von Alexander von Bernus gehört zu den Schlüsseltexten der modernen Alchemie. Ausgabe von 1936.
Der Dichter und Alchemist Alexander von Bernus (1880–1965), Begründer des Laboratoriums Soluna.
In der Schweiz wirkt mein Freund und Lehrer, Augusto Pancaldi. Seine Schüler arbeiten in der Stille in mehreren Ländern weiter.
In Australien sind mehrere Alchemisten emsig am Werk. Hier, wo die Natur mit ihrem großen Reichtum an Gold und Mineralien den Weg so deutlich vorgezeichnet hat, wird sich noch vieles entwickeln, nicht zuletzt durch das Zusammenströmen der Überlieferung vieler Kulturen aus Ost und West. Die Firma Windmill in Victoria produziert spagyrische Erzeugnisse, ebenfalls Australerba in Adelaide mit ihren hochwertigen integralen Kräuterelixieren, die als praktische Kräutertees angeboten werden.21 Dazu kommt eine Serie beliebter Kräuterweine sowie eine Reihe herzhafter Kräuterhonige, die den altitalienischen Melliti entsprechen. Die auch bei Kindern sehr beliebten Honige sind hochwertige Honigarten aus der weiten, sonnenbeschienenen Landschaft Australiens, angereichert durch spagyrische Kräuterzubereitungen. Australerba wirkte bahnbrechend mit ihren Produkten, die heute auf dem ganzen Kontinent zu haben sind.
Inzwischen ist die Firma Soluna aus dem Schloss in Tapfheim, Donaumünster, in das neue Firmengebäude in Donauwörth gezogen. Blick in den Destillationsraum. Die Destillation erfolgt unter Luftkühlung; der Raum ist oktogonal angelegt, was einen vergeistigten Prozess unterstützt.
Ansatz einer Safrantinktur, eine Zutat zum Solunat Nr. 17 (früher Sanguisol). Das Mittel soll bei Melancholie das Blut mit der Energie der Sonne anreichern.
Es bestehen viele verschiedene Aufbereitungsmethoden spagyrischer Heilmittel. Mit einer großen Zahl davon werden wir uns in dem vorliegenden Werk beschäftigen. Einige sind relativ einfach, andere äußerst kompliziert. Darüber hinaus soll der Leser zum eigenen Forschen und Experimentieren und zum Studium der klassischen Texte angeregt werden.
Es geht heute darum, den Schatz der Spagyrik auf seine Wirkungsweise zu überprüfen und ihn von falschen Ansprüchen zu befreien. Nicht alles in den Tausenden von Traktaten der Alchemie ist echt. Auch liegen oft echten Prozessen falsche Vorstellungen zugrunde, aber vielfach sind die falschen Vorstellungen auch auf Seiten der Schulwissenschaft. Die Überlieferung und die Heilmittel zu prüfen, mit neuen Denkansätzen an die weitere Forschung zu gehen, das Echte der Überlieferung zu respektieren und das Falsche davon zu scheiden, das sind die Gebote der Stunde. Auch in diesem Sinne sollte die spagyrische Arbeit, wie Paracelsus sagt, eine Kunst sein, die das Falsche vom Gerechten scheidet.
Die Ratschläge des Basilius Valentinus
In einem der Schlüsseltexte der Alchemie von Basilius Valentinus heißt es: »In solcher meiner Betrachtung aber habe ich eigentlich befunden fünff Stücke, so am vornehmsten sind, und so da allen Suchenden der Weißheit und Kunstliebenden zu erforschen obliegt. Als da ist erstlich, die Anruffung zu Gott: Zum andern, die Betrachtung des Wesens: Zum dritten, die wahre unverfälschte Bereitung: Zum vierten, den Gebrauch: Und zum fünften, die Nutzbarkeit. Solche fünff Stücke nun muss ein jeder Chymicus und wahrer Alchymist wissen zu consideriren und zu erkennen. Dann sonsten ohne das kann er nicht vollkommen seyn, noch vollkommen für einen wahren Spagirum erkannt werden« (aus dem »Triumphwagen des Antimonii«).
Das Studium und die Praxis der Alchemie gründen sich auf Bescheidenheit, Geduld, Ernsthaftigkeit und Entschlusskraft. Die höhere alchemische Praxis kann nur durch persönliche Anweisungen eines qualifizierten Lehrers vermittelt werden. Wer die klassischen Texte ohne eine entsprechende Vorbereitung und Ergänzung liest, wird wenig oder nichts verstehen. Wie die Musik kann die alchemische Kunst nicht allein aus Büchern erlernt werden. Im Grunde wird die Alchemie stets eine Kunst bleiben, die auf persönlicher Einweihung aufbaut.
Über die Person des Basilius Valentinus wissen wir wenig. Nach seinen eigenen Angaben war er ein Benediktinermönch. Unter seinen chymischen Schriften befinden sich die besonders wichtigen Werke »Die zwölf Schlüssel der hermetischen Philosophie« und der »Triumphwagen des Antimonii«. Ob Basilius ein Alchemist des 16. Jahrhunderts war, ob er früher gelebt hat oder ob es nur ein Pseudonym war, soll uns an dieser Stelle nicht beschäftigen. Wichtig ist zu wissen, dass es sich um eine unbestrittene Autorität der Alchemie handelt.
»Triumphwagen des Antimon« von Basilius Valentinus. Titelkupfer, Ausgabe von 1727.
Basilius Valentinus. Frontispiz aus »Chymische Schriften. Zweiter Teil«, 1577.
Wenden wir uns nun seinen fünf Ratschlägen zu:
Die Anrufung Gottes
Sie ist für jeden Spagyriker der Anfang und das Ende, das Alpha und das Omega jeder Absicht und jeder Handlung, und nichts wird jemals ohne sie begonnen. In den klassischen Texten sind uns einige dieser Gebete überliefert, die uns die jeweilige religiöse Haltung ihrer Verfasser erkennen lassen. Hier als Beispiel eine Invokation des Nicolas Flamel, der ein bedeutender französischer Alchemist des 14. und 15. Jahrhunderts war:
»Allmächtiger ewiger Gott, Vater des Lichts, von dem alle guten Dinge und alle vollendeten Gaben zu uns kommen. Ich bitte Dich um Deines unendlichen Erbarmens willen, lass mich Deine ewige Weisheit erkennen, jene, die Deinen Thron umgibt, die alles erschaffen und gemacht hat, die alles leitet und erhält. Schicke sie mir vom Himmel, Deinem Heiligtum, und vom Thron, Deinem Ruhm, dass sie in mich eingehe und in mir arbeite. [Denn] diese ist die Meisterin aller himmlischen und verborgenen Künste, welche das Wissen und die Einsicht in alle Dinge erschließt. Gib, dass sie mich in allen meinen Arbeiten begleitet, damit ich, durch ihren Geist gestärkt, die wahre Einsicht erhalte und ohne Irrtum in der edlen Kunst, der ich mein Leben geweiht habe, voranschreite in der Erforschung des wunderbaren Steins der Weisen, den Du vor der Welt verborgen hast, dessen Entdeckung Du aber Deinen Auserwählten gewährst. Dass ich dieses große Werk, welches ich auf dieser Erde zu vollenden berufen bin, glücklich beginne, fortsetze und vollende (und) dass ich mich immer daran erfreue. Darum bitte ich Dich durch Jesus Christus, den himmlischen Stein, Pfeiler des Wunderbaren, auf ewig begründet, welcher mit Dir bestimmt und herrscht. Amen.«
Nicolas Flamel bittet um die rechte Erleuchtung, um die rechte Erhöhung und Strukturierung seines Bewusstseins, um die ewige Weisheit, die den Grund des Seins bildet.
Und hier ein schlichtes Gebet des Paracelsus:
»O Heiliger Geist, weise mir, was ich nicht weiß, und lehre mich, was ich nicht kann, und gib mir, was ich nicht habe. Gib mir die meinigen fünf Sinne, dass Du, Heiliger Geist, wohnest drinnen; mit den sieben Gaben sollst Du mich begaben und soll Deinen göttlichen Frieden haben. O heiliger Geist! Lehre und weise mich, dass ich recht leben kann mit Gott und meinem Nächsten!«
Die Betrachtung des Wesens
»Dieser wahren Anruffung zu dem lieben Gott folget nun nach der Ordnung die Betrachtung eines jeden Dinges; das ist so viel gesagt, dass alles anfänglich wohl muss betrachtet werden, nemlich die Umstände eines jeden Dinges, was seine Materia und Form, woraus dasselbe seine Würckung überkommen, wodurch sie eingegossen und einverleibet, auch wie sie aus dem Siderischen empfangen, durch die Elementa gewürcket, und durch die drey anfahenden Dinge gebohren und förmlich gemacht werden.22 lm gleichen wie eines jeden Dinges sein Leib wiederum kann rücklich gemacht, das ist, resolviret werden in seine Primam Materiam, oder erstes Wesen, wie ich dann in den andern meinen Schriften dessen allbereit unterschiedlich gedacht habe, damit aus der ultima Materia die Prima Materia und aus der Prima Materia wiederum die ultima Materia werden kann.23 (…)
Das ist nun Theoria, nemlich, was sichtbar und greifilich, auch ein zeitliches förmliches Wesen hat, auszugründen, wie ihm fortzuhelffen ist durch seine Zerlegung, dass ein jedes Corpus seinen Nutzen von sich geben kan, was in ihm ist, gut oder böse, Gifft oder Artzney, wie das Ungesunde von dem Gesunden zu scheiden ist, auch wie seine Anatomia anzustellen, und seine Zerstörung und Zerbrechung vorzunehmen, damit justo titulo ohne falsch und Sophisterey Purum ab Impuro [damit ist die richtige Art und Weise gemeint] kan geschieden und separiret werden, welche Scheidung nun geschehen kan durch vielerley Hand-Arbeit, vielerley Wege und Mittel, dero etliche in der Erfahrenheit gemein, etliche aber nicht gemein seynd: als da geschiehet durch Calciniren, Sublimiren, Reverberiren, Circuliren, Putreficiren, Digeriren, Destilliren, Cohobiren, Figiren, und dergleichen, welche Gradus allzumal nacheinander in der Arbeit erfunden, gelemet, ergründet, und offenbar gemacht werden, daraus beweißlich wird, was fix und unfüx, was weiß, schwartz, roth, blau oder grün ist, und so fortan: da anders der Künstler recht damit umgehet, und die Betrachtung wohl anlegen wird …«
Basilius fordert uns auf, die Materie und die Prozesse durchzumeditieren, bevor wir zur Handlung schreiten.
Die unverfälschte Bereitung
Auf die theoretische Betrachtung der Dinge folgt die praktische Aufbereitung, welche die rechte Einstellung, Hingabe und entsprechendes Können verlangt. Zur rechten Erkenntnis kommt nun die Handarbeit, auf diese Weise wird das geplante Werk zur Wirklichkeit.
»Wann nun die Betrachtung eines jeden Dinges recht ergründet worden, welches, wie zuvor ermeldet, anders nichts ist denn Theoria, so folget diesem nach die rechte wahre Bereitung, welche rechte wahre Bereitung durch die Hand-Arbeit muss vollzogen, und zu Werck gerichtet werden, damit etwas Thätliches und Würckliches hernach folgen möge. Aus der Bereitschaft kömmt her die Wissenschaft, nemlich eine solche Wissenschafft, daraus man allen Grund und Gelegenheiten der Artzneyen haben kan. Die Hand-Arbeit geschiehet durch eine fleißige Anwendung; Die Wissenschafft aber bringet sein Lob durch Erfahrung zum Unterscheid dieser beyder; dass eines vor dem andern in gewisser Tugend kann erkannt werden, ist Anatomia ihr aller Richter. Die Hand-Arbeit gibt zu Tage, wie alle Dinge können notoria, beweißlich und sichtbarlich gemacht und vorgestellt werden, die Wissenschafft aber gibt zu Tage Praxin, und den rechten wahren unverfälschten Grund, daraus ein rechter und wahrer Practicus werden kan, und ist anders nichts, denn eine Confirmation und Bestättigung, dass die Hand-Arbeit etwas Gutes offenbahret, und die verborgene geheime Natur herausser bekannt und beweißlich gemacht hat zum Guten.«
Der rechte Gebrauch
»Wann nun deine Bereitung geschehen, nemlich die Absonderung des Guten vom Bösen, welches durch die Aufschließung geschehen muss, so musst du demnach den Gebrauch in acht nehmen des Gewichts, dass du der Sachen nicht zu viel noch zu wenig thust, welches du in der Würckung kanst mercken und observiren, ob die Artzney zu stark oder zu gelinde, auch ob sie nützlich oder schädlich seyn wolte: welches dann ein Artzt zwar vorhin wissen soll, und dessen einen Grund haben, will er ihm nicht einen neuen Kirch-Hof zubereiten, mit Verlust und Verderb seiner Seelen, und mit Untergang seines guten Namens.«
Der Nutzen
Hier steht vor allem die Gretchenfrage nach der richtigen Dosis im Mittelpunkt.
»Nachdem die Würckung eingegangen ist, sich auszubreiten und auszutheilen in alle Glieder des Leibes, zu suchen den Gebrechen, darzu sie angeordnet und gebraucht wird, so folgt hernach endlich die Nutzbarkeit, als das letzte, das dadurch erkannt wird, was die Würckung Guts zur Nutzbarkeit bracht. Dann es kan wohl eine Sache oder Artzney würcken zum Schaden, und nicht zum Guten, welches der Krankheit eine Widerwärtigkeit, und mehr ein Gifft denn eine Artzney zur Gesundheit seyn würde. Darum so muss ein jeder mit Fleiß darauf wohl Achtung geben, wegen der Nutzbarkeit, dass solches gemercket und aufgeschrieben werde, damit dieselbe Nutzbarkeit nicht vergessen, sondern an andern auch könne gebrauchet werden.«
Vor jeder praktischen Arbeit muss die Theorie verstanden sein. Wir sind aufgefordert, die entsprechenden Texte wiederholt aufmerksam durchzulesen und über sie zu meditieren. »Ora, lege, lege, lege, relege, labora et invenies« (bete, lies, lies, lies, lies noch einmal, arbeite und du wirst finden). Dieser Satz steht auf der vierzehnten Tafel des »Stummen Buches«; dieses ist ganz in Form von Bildern verfasst und erschien 1677 in La Rochelle.
In der Schmiede des Gottes Vulcan. (Musaeum Hermeticum, Frankfurt 1678, Nachdruck Graz 1970)
»Ora Lege Lege Lege Relege Labora et Invenies« – »Bete, lies, lies, lies, lies noch einmal, arbeite und du wirst finden« – heißt es im »Mutus liber«, dem »Stummen Buch« der Alchemie von 1677.
Betrachten wir nun zwei Stiche, um das bisher Gesagte besser zu verstehen.
Der Stich auf Seite 37 links soll zeigen, dass die Theorie (die Bibliothek) und die Praxis (das Laboratorium) miteinander Hand in Hand gehen müssen, um in der Alchemie Erfolg zu haben. Wir sehen drei Meister der hermetischen Kunst: den Benediktinermönch Basilius Valentinus, den Abt Cremerus von Westminster und den Engländer Thomas Norton, Autor des »Ordinall of Alchemy«. Der Letztgenannte deutet auf den Ofen, auf dem sich ein alchemischer Prozess vollzieht. In den Glaskolben erkennen wir eine geflügelte Schlange, Symbol einer flüchtigen korrosiven Substanz. Das Laboratorium ist symbolisch dargestellt als die Schmiede des Gottes Vulcan. Der Gott selbst dient den drei Meistern, indem er den Ofen mit Feuerholz versorgt.
Der zweite Stich (rechts) stammt aus der Sammlung »Amphitheatrum Sapientiae Aeternae« (»Schauplatz der ewigen allein wahren Weisheit«) des Arztes und Alchemisten Heinrich Khunrath (1560–1605). Der Zeichner dieses besonders schönen Stiches ist Hans Fredemann Vries, der Stecher ist Paulus van der Doost. Das Bild stellt das Motto Khunraths dar: Durchhaltend – Betend – Arbeitend. Links sehen wir ein Oratorium, eine Art Gebetszelt. Der Text auf der Tafel im Zelt bedeutet: »Sprecht nicht von Gott ohne das Licht«. Auf dem Tisch liegen Bücher, symbolische Zeichnungen und Schreibinstrumente. Rechts ist das Laboratorium. Die zwei Säulen tragen die Inschriften »Ratio« und »Experientia«, Vernunft und Erfahrung. Es findet gerade eine Destillation statt, die »Seele« und »Geist« voneinander trennt. Auf dem Ofen erkennen wir die Worte: »Festina lente« (Eile mit Weile). Die Tür in der Mitte des Bildes deutet das Ziel an; sie ist weit entfernt, und draußen ist es hell. Der Text auf dem Torbogen sagt: »Dormiens vigila« (wache im Schlaf). In der Mitte des Bildes sehen wir Musikinstrumente, Symbole der harmonischen Ordnung der Welt und der Kunst. Die Inschrift sagt: »Die heilige Musik verjagt die Sorgen und die bösen Geister, denn der Geist Gottes singt mit Freude im Herzen, wo die heilige Freude wohnt«.24
Heinrich Khunrath, »Amphitheatrum Sapientiae Aeternae« (»Schauplatz der ewigen allein wahren Weisheit«), 1595 (aus »Geheimnisse der Alchemie« von Manuel Bachmann und Thomas Hofmeier).
Das himmlische Sulphur als Phönix (auf ihm steht Chronos als göttlicher Baumeister mit Sense und Zirkel zwischen Wasser und Feuer als den Urpolaritäten), der Merkur als goldene Mitte zwischen Sonne (König, Vater) und Mond (Königin, Mutter) und das Salz als Würfel inmitten von sieben Blumen (sieben kosmische Prinzipien in der Natur). (»Recueil de manuscrits chymiques«, Handschrift um 1760, aus »Geheimnisse der Alchemie« von Manuel Bachmann und Thomas Hofmeier)
2Siehe O. S. Johnson: A Study in Chinese Alchemy, Shanghai 1928, und Ko Hung: The Nei P’ien of Ko Hung. Alchemy, Medicine and Religion in the China of A. D. 320, Übersetzung Prof. J. R. Ware.
3Die ägyptische Alchemie wurde in westlichen Ländern zur bekanntesten Überlieferung, sodass die Alchemie nach dem Gott Thot, besser bekannt als Hermes Trismegistos, der Dreifach Große Hermes, auch schlechthin als hermetische Kunst bezeichnet wurde.
4Vgl. E. J. Holmyard: Alchemy, S. 26, und M. Berthelot: Collection des Anciens Alchimistes Grecs.
5In seinem 1530 verfassten Buch »Paragranum« nannte Paracelsus vier Säulen, auf denen die Medizin beruhen sollte: »Den Grund, auf den ich baue und aus dem meine Schriften hervorgehen, setze ich auf vier Säulen, nämlich die Philosophie, die Astrologie, die Alchemie und die Tugend.« Unter Philosophie verstand er die Liebe zur Schöpfung, die Kenntnis von den Signaturen und den unsichtbaren, geistigen Kräften, die das Leben und die besonderen Eigenschaften bewirken. Diese Urkraft ist nach hermetischer Vorstellung die göttliche Trinität, die als unsichtbare Quintessenz die »vier Mütter des Lebens«, die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft, beseelt. Die Astrologie beschreibt die Wirkung dieser unsichtbaren Kräfte in der sichtbaren Welt durch das Wirken der Planetenintelligenzien. Hierdurch ergeben sich die Korrespondenzen zwischen Kosmos, Natur und Mensch. Die Alchemie verbindet diese zwei Säulen, indem man durch spagyrische Verfahren das Geistartige in den Substanzen heilend zur Wirkung bringen kann. Doch Paracelsus nannte noch eine Säule der Medizin, dies ist die »Virtus« oder die Tugend des Heilers, ohne die alles andere auf Sand gebaut wäre. (Anm. d. Hrsg.)
6Felix Mann: Acupuncture. The Ancient Chinese Art of Healing and How its Works Scientifically, New York 1962.
7Ṛg Veda 1, 164.39.
8Vgl. Ch. G. Thakkur: Ayurveda. Die indische Heil- und Lebenskunst, Freiburg 1977, S. 224ff.
9Bibliothèque de l’Arsenal, Paris, Ms. 974.
10F. Hoyle: Frontiers of Astronomy, London 1970, S. 304.
11M. Capek: The Philosophical Impact of Contemporary Physics, Princeton 1961, S. 319.
12F. Capra: The Tao of Physics, London 1978, S. 318.
13Lateinisch transmutatio, »Verwandlung«. Paracelsus bezeichnete den Stoffwechsel als »innere Alchemie«. (Anm. d. Hrsg.)
14Inzwischen hat sich diese Prognose erfüllt. Ayurvedische Medizin wird an mehreren indischen Universitäten gelehrt. Die Gujarat Ayurved University widmet ihr gesamtes Lehrprogramm ausschließlich diesem Fach. Daneben bestehen viele eigene ayurvedische Colleges und Institute.
15Spagyrische Arzneimittellehre, Staufen Pharma, Göppingen 1953, S. 112.
16Paavo Airola: How to Get Well, Phoenix, Arizona 1974, S. 140.
17Um die Kieselsäure zu lösen, muss man Schachtelhalm mindestens 20 Minuten kochen. (Anm. d. Hrsg.)
18Louis Kervran: Biological Transmutations, Brooklyn, N. Y. 1972, S. 46.
19Leider wurde Staufen-Pharma Ende 2015 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Erfreulich ist, dass die Herstellung der spagyrischen Heilmittel nach Zimpel und wohl auch einiger Spezialitäten von Müller Göppingen von anderen Firmen weitergeführt wird. Die anderen Präparate, vor allem homöopathische Einzelmittel und Nosoden, kann man weitgehend über die österreichische Firma Spagyra beziehen. Firmen die in der Tradition von Zimpel arbeiten sind z. B. Aurora Pharma (Schweiz), Phylak (Deutschland), Spagyra (Österreich), Spagyros (Schweiz) oder Spagyrik-Pharma (Österreich). (Anm. d. Hrsg.)
20Einer seiner Schüler, Josef Lüthi (1935–2004), gründete die Schweizer Firma Aurora Pharma, die bis heute Produkte nach den Vorstellungen von Frater Albertus herstellt. (Anm. d. Hrsg.)
21Manfred Junius war einer der Firmengründer. Die Firma existiert noch heute und stellt die Originalrezepturen nach Junius her. Siehe www.australerba.com.au. (Anm. d. Hrsg.)
22Alles Existierende hat also seinen Ursprung in der göttlichen Trinität, während die spezifischen Formen und Eigenschaften durch die Elemente und Gestirne vermittelt werden. (Anm. d. Hrsg.)
23Alles kann auf seinen geistigen Ursprung zurückgeführt werden. Prima Materia bezeichnet die »dunkle« Urmaterie, aus dem das eigentlich Stoffliche entstanden ist. »Ultima Materia« ist ein Synonym für den Stein der Weisen. (Anm. d. Hrsg.)
24Die Beziehung zwischen Alchemie und Musik ist sehr eng. Viele Meister der Alchemie waren zugleich Musiker. Al Razi z. B. ist zugleich Autor einer Enzyklopädie der Musik, wenigstens wird ihm diese zugeschrieben. Die klassische indische Musik ist geradezu eine musikalische Alchemie, die auf Verwandlung des Bewusstseins des Hörers zielt. (»Ein Raga ist das, was den Geist färbt«, sagt ein immer wieder zitierter Spruch.) Der ganze Aufbau eines Ragas im Konzert vollzieht sich nach dem Grundsatz »Solve et coagula«. Der Raum der Oktave, in welcher der Raga verankert ist, wird in zwei Teile gespalten, Sthayi und Antara genannt. Diese werden in der Introduktion (Ālāpa) einzeln entwickelt. Der nachfolgende Sanchari (Herumwandern) fügt die durch das Solve gespaltenen und einzeln ausgearbeiteten Teile dann zusammen. Der Alapa ist weitgehend analytisch, einzelne Bestandteile werden nacheinander vorgeführt, um sie später wieder in das Ganze einzufügen. Die auf die Introduktion folgende Komposition (Bandish oder Gat) bringt das ganze Material dann in eine feste Form und kann mit der alchemischen Figierung verglichen werden. In ihrer Struktur vollzieht sich noch einmal kurz das »Solve«, um dann erneut zu einer Verschmelzung zu führen, die schließlich in einer lebhaften, sich daraus entwickelnden improvisorischen Ausschmückung gipfelt.