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Die Tatort-Fini hat einen Verdacht

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Oder: Ana hod imma des Bummerl

Wieder eine weniger – war mein erster Gedanke, als ich den Menschenauflauf bei der Siebenerstiege sah. Hoffentlich nicht die Erni – schoss es mir als Zweites durch den Kopf. Gleichzeitig befiel mich eine innere Unruhe, die ich schon von anderen Anlässen her kannte. »Wos is gschegn?«, fragte ich den hatscherten Ferdl, der am Rand der Gruppe stand, weil ich meinen unguten Vorahnungen einfach nicht trauen wollte.

»Erlauben!«, kam die eindringliche Aufforderung von hinten. Ich wollte protestieren, weil ich nicht einsah, warum sich einer, der später als ich gekommen war, vordrängen wollte. Doch als ich den Mund öffnete, wurde ich von einer resoluten Mittfünfzigerin am Ärmel zur Seite gezogen. Ein Uniformierter der Wiener Bestattung schob sich mit ernster Miene an mir vorbei. Die beiden Kollegen, die ihm folgten, trugen einen Blechsarg, der in der Vormittagssonne aufblitzte.

Das Tuscheln der Umstehenden wich betretenem Schweigen und ich war gewiss nicht die Einzige, die beim Anblick des grauen Behältnisses in trübe Endzeitstimmung verfiel.

Geistesgegenwärtig schloss ich mich den Männern an, bevor sich der Durchlass, den sie sich schufen, wieder schließen konnte, und gelangte unbehelligt in den ersten Stock, wo die Tür zur Wohnung Nummer vier sperrangelweit offen stand. Davor und die Stufen hinauf bis zum Halbstock drängte sich ein kleines Grüppchen Neugieriger, deren Blicke den Uniformierten folgten, bis die Wohnungstür hinter ihnen ins Schloss fiel.

Ich stellte mich zu den teilnahmsvoll dreinschauenden und teilweise schniefenden Frauen, die nun wieder zu tuscheln begannen. Die alte Pospischil wischte sich mit einem Stofftaschentuch über die Nase und schaute mich aus geröteten Augen an. »Sie hod ned leidn miassn«, flüsterte sie. Als ob das ein Trost wäre!

»Wos is passiert?«

»Ihr Nichte hod s’ gfunden. Des oame Madl woa gaunz deschparat. Augleit hod s’ bei mia, i hob eh glei den Dokta augruafn, oba der hod a nimma höfn kenna«, berichtete die Pospischil.

»Im Schlafzimmer is glegn. Es muss schnell gangen sein«, mischte sich die junge Neumeister von der Dreierstiege ein, die, wie mir schon öfter aufgefallen war, immer gleich auftauchte, wenn irgendwo irgendwas geschehen war.

»Die Erni?«, versicherte ich mich, obwohl die Umstände eigentlich keine Zweifel ließen.

»Ja, die Frau Novacek«, bestätigte die junge Frau mit einem mitfühlenden Nicken.

Mir kam plötzlich vor, als würden die Steinsplitter im Terrazzoboden zu tanzen beginnen, gleichzeitig setzte das Stiegenhaus zu sanftem Schaukeln an, wie ich es von den Bootsfahrten auf der Alten Donau kannte. Gerade noch rechtzeitig bekam ich das Geländer zu fassen. Das Nächste, woran ich mich erinnere, war der besorgte Gesichtsausdruck der Pospischil, die sich über mich beugte und meine Wange tätschelte. »Geht schon wieder«, murmelte ich peinlich berührt.

»Gleich zwei am selben Tag wärn a bissl viel«, hörte ich die Neumeister sagen. Dann waren die Frauen wieder abgelenkt, weil sich die Vierertür öffnete und die Männer Erni mit den Füßen voraus im Sarg aus ihrer Wohnung trugen. Ganz so, wie sie es sich immer gewünscht hat, dachte ich. Denn Erni hatte nicht nur einmal gesagt, dass sie lieber zu Hause sterben wollte, als in einem Heim dahinzuvegetieren.

Am Nachmittag trafen wir uns trotzdem – weil es so windig war, im Kaffeehaus an der Ecke unseres Gemeindebaus. Die Gummi-Hilde – so nannten wir sie, weil sie früher bei einem Reifenschuster gearbeitet hatte –, die Erika, deren rosastichige Dauerwelle an Zuckerwatte erinnerte, und die Suchanek-Elfie, die wir als Kinder um ihre vielen Spielsachen beneidet hatten, waren schon da, als ich mit meiner besten Freundin Christl hinkam. Jemand hatte ein Sträußchen Vergissmeinnicht auf Ernis Stammplatz gestellt. Die Spiele, die die Gummi-Hilde mitgebracht hatte, blieben in ihren Schachteln. Die Stimmung war gedrückt.

Die Christl bestellte eine Runde vom Lieblingslikör der Verstorbenen. »Trinken wir auf die Erni«, sagte sie, als wir mit den Stamperln anstießen. »Pickats Zeig. Meins is des ned«, schüttelte sich die Suchanek-Elfie und griff nach ihrem Achterl und der Zigarette.

»Ohne die Erni tät’s unsere Runde gar ned geben«, sinnierte ich. Es war bei einer Geburtstagsfeier gewesen, als die Rede darauf gekommen war, wie man sich früher, bevor es Fernseher gab, die Zeit vertrieb. Ich hatte von meiner Omama erzählt, die sich mit ein paar Nachbarinnen regelmäßig zum Jollyspielen getroffen hatte. Bei Kaffee und Kuchen genoss die Omama den Zeitvertreib und versorgte sich ganz nebenbei mit dem neuesten Tratsch. An diesen Nachmittagen hatten wir Kinder mehr Freiheiten als sonst gehabt. Die Buben veranstalteten ihre Radrennen, wir Mädchen perfektionierten unser Tempelhupfen, sprangen Schnur oder zwangen die Jüngsten beim Vater-Mutter-Kind-Spiel in einen alten Kinderwagen.

»Es muass jo ned unbedingt Jolly sei und dass de Tatort-Fini mit von da Partie is, is sowieso kloa«, hatte Erni die Idee aufgegriffen. Tatort-Fini – den Spitznamen hatte sie mir verpasst. Mir gefiel das Etikett, denn schließlich mochte ich die Kultserie, und rätseln, wer der Mörder war, gehörte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Schon eine Woche später trafen wir uns im zweiten der insgesamt vier Höfe unseres Gemeindebaus in der Brigittenau. Bis auf die Hilde waren wir alle schon in Pension und Witwen – außer der Elfie, die immer nur Bekannte gehabt hatte. Wir hatten also Zeit und freuten uns auf die gemeinsamen Partien und die gemütlichen Plauscherl.

Die Suchanek-Elfie hatte den Platz bei der Sitzgruppe unter der alten Kastanie gleich nach dem Mittagessen reserviert und damit die Ausländerinnen, die sich dort ebenfalls gern aufhielten, verwirrt. »DU IN PARK GEHEN! NIX HIER SITZEN! GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT!«, hatte sie einer besonders begriffsstutzigen Türkin lautstark erklärt und dabei mit der Zeitung gewachelt, als wollte sie ein lästiges Insekt vertreiben. Mit der Zeit hatten sich die Ausländerinnen damit abgefunden, dass die Sitzgruppe an den Mittwochnachmittagen unser Revier war. Im Sommer war es unter dem Baum und mit dem leichten Lüfterl, das ab und zu durch die Höfe strich, weit angenehmer als in den schwülen Wohnungen. Während der kühleren Jahreszeit, bei Regen und im Winter wichen wir in eine der Wohnungen oder ins Kaffeehaus aus, das früher ein Branntweiner gewesen war.

»Oba dass es scho wieda ane von uns sei muass«, riss mich die Gummi-Hilde aus meinen Erinnerungen und sprach damit endlich aus, was mich schon seit dem Vormittag beschäftigte.

»Vorvorigen Winter die Mitzi, letztn Herbst die blade Vyslozil und jetzt die Erni. Des is do ned normal, oder?«

»Du tuast grod a so, ois waun wir wos dafia kennten«, wies mich die Elfie zurecht. Dabei rückte sie ihre Brillengläser, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Aschenbechern hatten, zurecht.

»Wir sind schließlich alle nicht mehr die Jüngsten«, warf die Christl ein.

»Genau«, bekräftigte die Gummi-Hilde. »Do kummt’s scho vua, dass ane de Bodschn streckt.«

»Aber ihr miassts zuagebn, dass die Umständ komisch sind. Das Krokodü (so hatte Mitzis verstorbener Ehemann sie immer genannt, wenn er mit ihr gestritten hatte – wir hatten das Kosewort in ihrer Gegenwart natürlich nicht benutzt) ertrinkt in ihrer Badewanne, die Vyslozil fliegt mitsamt der Stehleiter um …«, wandte ich mich an die Runde. »Dabei ist sie, seit ihr so oft schwindlig war, nicht amal freiwillig auf a Schamerl gstiegn«, fügte ich hinzu.

»Wenn ich mir’s aussuchen könnt, würd ich auch lieber schnell gehen. Am liebsten im Schlaf, damit ich gar nicht mehr wach werd«, nickte die Erika und ich überlegte, wie viel Spray ihre Zuckerwattenfrisur so gut in Form hielt, dass sich nicht ein einziges Haar dabei bewegte.

»Bei da Mitzi woas a Schlagl, hod da Sohn dazöd, und bei da Vyslozil wahrscheinli de Pumpn«, wiederholte die Gummi-Hilde, was wir ohnehin alle wussten.

»Wer wohl die Wohnung kriegt?«, wechselte die Christl das Thema.

»Gsindel. Keiner, der es sich leisten kann, zieht freiwillig da her.«

»So schlimm, wie du tust, ist es auch wieder nicht«, entgegnete die Christl mit ihrem Talent zum Schönreden.

»Geh schau da au, wie marod unsa Zinsburg beinaund is. Grod vurige Wochn hob i mi wieda bei de Wiena Wohnen wegen meine Fensta beschwert«, ereiferte sich die Suchanek-Elfie.

»Und wos hoben s’ gsogt?«

»Dass i woatn muass. Sie hom ka Göd.«

Die Zuckerwatte hatte sich vertraulich zu mir herübergebeugt. »Meinst, dass mir die Nichte von der Erni den neuen Eiskasten überlässt?« Der Kühlschrank, den sie meinte, war erst vor zwei Wochen geliefert worden. Die Entscheidung für den Gerätetyp war schwierig gewesen. Erni hatte sich letztendlich von Stani, unserem Haus- und Hofelektriker, gegen ein kleines Trinkgeld beraten lassen.

»Red halt mit ihr. Wenn sie selber keine Verwendung dafür hat, wird sie schon mit sich handeln lassen.« Die Zuckerwatte grinste zufrieden. Auf ihrer Zahnprothese schimmerten Reste vom korallenroten Lippenstift, mit dem sie sich immer schminkte. Ehrlich gesagt hätte mich schon interessiert, wie sie den Eiskasten zahlen wollte, wo ihr doch immer noch ein Stück vom Monat übrigblieb, wenn ihre Rente aufgebraucht war. Aber das war ein Thema, über das man von der Erika selber keine Auskunft bekam. Da würde ich schon die Elfie oder die Gummi-Hilde fragen müssen.

Als ich etliche Tage danach um halb acht zur Siebenerstiege kam, war die Arbeit schon in vollem Gange. Dabei war die Erni grad erst eine Woche unter der Erde. Pappelwolle wirbelte durch den Hof. Eine Schar Tauben pickte nach den Brot- und Semmelwürfeln, die die alte Pospischil jeden Morgen auf der Wiese neben den Coloniakübeln ausstreute. Dass diese Luftratzen Krankheiten verbreiteten und deshalb nicht gefüttert werden durften, war ihr einfach nicht beizubringen. Als ich vor der Eingangstür stand, kamen mir zwei Männer mit Ernis Diwan entgegen. Die Sessel und der Schlafzimmerkasten standen schon auf der Ladefläche des Kleinlasters, der im Hof geparkt war. Ein fleckiger Teppich hing über der Klopfstange, auf der wir als Kinder immer so lange herumgeturnt hatten, bis uns die Hausmeisterin mit einem giftigen »Schleichts eich« vertrieben hatte. Die Küchenkastl, auf die Erni seinerzeit so lange gespart hatte, standen im Dreck, Kochtöpfe und Deckel ragten aus einer Schachtel.

Ich ging weiter. Der Anblick hatte mich trübsinnig gemacht. Im dritten Hof schnaufte ich die Elferstiege zur roten Toni, einer der letzten aufrechten Sozialdemokratinnen im Bau, hinauf, für die ich montags und donnerstags einkaufen ging. Nach der Hüftoperation fiel ihr das Stiegensteigen schwer. Zwar gab es einen Aufzug im Haus, allerdings erst ab dem Halbstock, zu dem man sieben Stufen überwinden musste.

Die Toni war schon angezogen und ließ mich hinein. Auf dem Esstisch stand neben ihrem ausgeschlagenen Steinguthäferl eine Kaffeetasse. »Hast heut schon Besuch g’habt?«

»Da Stani woa do. Er hod mir des Fernsehkastl gricht. De Senda san imma ausgfoin.«

Ich griff nach der Einkaufsliste.

»Bei da Erni wird de Wohnung ausgramt.«

»Hob i gsehn«, antwortete ich und überflog, was die rote Toni notiert hatte.

»Da Stani muass olle Leitungen mochn, bevua de neichn Mieta eiziagn.«

»I weiß, seine Firma hat ja einen Vertrag mit der Gemeinde«, nickte ich.

»Oba ins Heim geh i ned.«

»Wieso ins Heim?«, fragte ich, die Türschnalle bereits in der Hand.

»Da Stani hod gmand, dass i’s durtn bessa häd, wäu de oidn Wohnungen komplett renoviert g’hern. Er sogt, dauernd gibt’s Scherereien, amoi mit de Leitungen, daun wieda mitn Strom …« Die Toni kam mir richtig aufgelöst vor. »Solang wir zsammhelfen, brauchst du gar nirgends hin«, beruhigte ich sie und setzte mich noch ein bisserl zu ihr. Einkaufen konnte ich später immer noch.

Natürlich hatte die Erni eine Lücke hinterlassen. Mir fehlten vor allem ihre trockenen Kommentare, mit denen sie uns so oft zum Lachen gebracht hatte. Trotzdem kam es mir nach wenigen Treffen vor, als wäre Dragica schon immer dabei gewesen. »Hobts g’hert?«, sagte sie, noch bevor sie sich niedergesetzt hatte. Ihre dunklen Augen funkelten. Ich stellte gerade den letzten Kegel für das Mensch ärgere Dich nicht-Spiel auf und wartete auf die angekündigte Neuigkeit.

»Bei altes Frau Novacek hot’s Untersuchung geben.«

»Wie?« In meinem Magen rumorte es.

Der Tratsch, mit dem Dragi aufwartete, kam immer direkt von der Quelle. Denn sie war nicht nur mit Rosl, der Ordinationshilfe des praktischen Arztes in unserem Gemeindebau, befreundet, sondern putzte auch regelmäßig dort. So erfuhren wir nicht nur das, was die Suchanek-Elfie aus dem Wartezimmer berichtete, sondern auch einiges von dem, was sich hinter der gepolsterten Tür im Behandlungszimmer abspielte.

»Na, waßt eh. Tote hom s’ ausgroben und aufgschnitten.«

»Exekution«, sagte die Zuckerwatte fachkundig.

»Exhumierung«, verbesserte ich sie. Den Fachausdruck kannte ich aus Kreuzworträtseln.

Die Erika warf mir einen bösen Blick zu.

Dragi hatte sich eine neue Zigarette angezündet und ließ den Rauch aus ihren Nasenlöchern strömen.

»Haben s’ was gfunden?«, fragte ich.

Dragica ließ sich Zeit und nahm einen weiteren tiefen Zug von ihrer Memphis. »Ihr Nichte hat glaubt, irgendwas stimmt ned. Sie sogen, a Sparbuch is weg und Goldschmuck is a nimmer do. Dabei hat altes Novacek ihrer Nichte Sochen zagt, kurz bevor sie is gstorben. Olles woa bei Unterwäsch versteckt.«

»Da schaun die Einbrecher doch immer gleich als Erstes nach«, warf ich ein. Solche ermittlungstechnischen Details wusste ich aus den Krimis, die ich haufenweise las.

»Was hat jetzt die Untersuchung ergeben?«

Dragicas Blick hatte sich verfinstert. »Nix. Oba Doktor woa sehr grantig. Das weiß i von Rosl.« Die Ex-Jugoslawin hatte schon öfter erzählt, dass Rosl, Trabeks Sprechstundenhilfe, unter den Launen des Arztes litt. Offenbar hatte sie sich wieder einmal bei der Putzfrau ausgeweint.

»Und wieso war er zwida?«

»Na hot er Theater g’hobt. Wenn ana sogt, Doktor orbeit nix gut …«

Ich beugte mich vor und stieß dabei einen blauen Kegel um. »Wär es gscheiter, wenn ma nicht einmal ordentlich untersucht, ob bei der Erni nachg’holfn worden is?«

»Nicht wahr!« Die Zuckerwatte-Erika hatte die Augen weit aufgerissen. Auch die anderen schauten mich überrascht und entsetzt an.

Ich ärgerte mich über meine unbeherrschte Bemerkung. Wie sollte ich den anderen das ungute Gefühl erklären, das mir, seit Erni gestorben war, keine Ruhe mehr ließ? Dragi winkte ab. »Nema Einbrecher, nema Mörda! Is nix aussekumma, gaunze Aufregung umsunst.«

»Eh kloar, hob i mia jo glei denkt«, sagte die Gummi-Hilde und legte die Würfel auf das Spielbrett.

»Aber der Schmuck ist weg!«, wandte die Christl ein, deren nachdenklicher Blick auf mir ruhte.

»Den hom s’ am End beim Ausraman übasegn«, erklärte die Gummi-Hilde und würfelte einen Sechser. »I hob a wos in an Etui auf de Unterseitn von an Ladl pickt.«

Mir fielen die Küchenkästen aus Ernis Wohnung ein, die damals im Dreck neben dem Mistkübel gelagert waren.

»Dann hat das Mädl Pech gehabt!« Die Zuckerwatte überholte meinen gelben Kegel mit ihrem roten.

»Womöglich hat sich ein Mistkübler über den Fund gfreut«, spekulierte ich. Aus einem der offenen Fenster hörte man Geschirr klappern. Ein Hund bellte.

»Wieso hob i ned so viel Glick?«, raunzte Dragi und schmiss Erikas Kegel knapp vor dem Ziel aus dem Spiel.

»Blitz und Donner«, schimpfte die Erika.

Wenn mich nicht alles täuschte, hatte Dragica beim Zählen der Felder geschummelt. Da sich niemand darüber aufregte, hielt auch ich den Mund und grinste schadenfroh, weil sich die Zuckerwatte so schön ärgerte.

Die Suchanek-Elfie holte die Thermoskanne mit dem Kaffee aus ihrer Einkaufstasche und schenkte nach. »Mit de neichn Mieta in der Erni ihra Wohnung gibt’s a scho de erschtn Wickl«, wechselte sie das Thema.

Ernis Wohnung war letzte Woche von einer jungen Familie bezogen worden.

»Die Frau versteht kein Wort Deutsch und hat gleich am ersten Tag die Waschkuchl unter Wasser gsetzt«, berichtete ich.

»De Hausmasterin hod si eh glei eigmischt. Schau ma, ob des wos hüft und ob des Kopftiachl vastaundn hod, wia’s bei uns do rennt«, keifte die Suchanek-Elfie, die für Zuwanderer generell nicht viel übrig hatte. »Soin daham bleim, waun sa se ned aupassn woin«, ergänzte sie.

»Samma sowieso boid letzte Oestarreicha do in Bau«, legte die Dragica nach.

»Das Ventil ist gebrochen«, mischte sich die Christl ein. »Da kann die Türkin gar nichts dafür.«

Die Suchanek-Elfie verdrehte die Augen. »Woascheinli hod sie’s söba ruiniert«, sagte sie rechthaberisch. Ich legte Christl die Hand auf den Arm, was unnötig war, weil meine Freundin sich ohnehin auf keine Konfrontation mit der Elfie einließ.

»Ich hob g’hert, die zoin iba siebenhundert Oero fia sechzig Quadratmeter. Siebenhundert!«, wiederholte die Dragi und griff nach den Zigaretten in ihrer Tasche.

»Die Erni hat nicht amal dreihundert zahlt.« Ich schüttelte verwundert den Kopf.

»A neicha Mieta wird neich eigstuft. Sogar ois Vawaunta zoist mehr, wennst die Wohnung iwanimmst«, wusste die Gummi-Hilde.

»De miassn a a Gschäft mochn«, zeigte die Suchanek-Elfie Verständnis.

»Stani had si sicher gefreid«, sagte die Dragi boshaft.

Die Gummi-Hilde packte den Zirbenschnaps aus. Die Suchanek-Elfie verteilte die randvollen Stamperln. »Wiaso?«

»Wäu a floch is.« Die Gummi-Hilde runzelte grimmig die Stirn. »Zwa Scheidungen, Alimente und jetz hod a si a no mit den jungan Flitschal eilossn.«

»Welches?«

»De gaunz schwoaz Gfärbte, de Kassierin mit de komischn Tätowierungen auf de Händ bein Hofa wisawi. Furchtboa wia sie de Menscha heit herrichten!«

»I möcht wissen, was die Weiber an dem finden?«

»An Schmäh hod a.« Die Suchanek-Elfie grinste anzüglich. »Außadem is a a fescha Mau. Samma uns ehrlich. Von da Bettkantn häd eam kane von eich gsteßn.«

»Du musst es ja wissen«, eiferte die Zuckerwatte, die selbst ein Auge auf den Elektriker geworfen hatte.

»Nur Gerüchte. Leida«, wehrte die Suchanek-Elfie ab.

»Fia sei erschte Frau zoid a a no imma«, kam die Gummi-Hilde auf das ursprüngliche Thema zurück.

»De hod nie wos g’hakelt und jetz nimmt s’ kana mehr«, wusste die Suchanek-Elfie.

»Geh hör auf. Wenn man will, findet man schon was. Aber wenn man sich die Finger nicht schmutzig machen will …«, wandte die Zuckerwatte ein, die die meiste Zeit ihres Berufslebens selber Stempeln gegangen war.

»Angeblich ist sie unheilbar krank.«

»Ka Wunda, dass eam seine Viertln schmeckn, waun er rundumandum nix ois Bresln hod.«

Der herannahende Rettungswagen unterbrach unsere Betrachtungen. Das Blaulicht flackerte noch einmal auf, bevor das Auto im nächsten Hof vor der Elferstiege hielt. Wir reckten die Hälse und Dragica stand auf, um nachzuschauen, was passiert war. Obwohl mir die Sonne warm auf den Rücken schien, stellten sich die feinen Härchen an meinen Unterarmen auf. Die Reaktion war mir vertraut und ich kippte meinen Zirbenschnaps hinunter, weil sich meine Kehle mit einem Mal so trocken anfühlte.

Eine halbe Stunde später wusste der halbe Bau Bescheid. Angeblich hatte die rote Toni während ihres Mittagsschlaferls einen Abgang gemacht. Dass sie angezogen in ihrem Bett gefunden worden war, wunderte außer mir offenbar keinen. Wer hatte auch sonst schon gewusst, dass sie sich im Gewand nicht einmal auf die Decke setzte, weil sie da so heikel war? Ich ging nach Hause. Denn es gab einiges, worüber ich in Ruhe nachdenken musste.

Der Anhänger war nicht zu übersehen. Vor lauter Aufregung fiel mir der Salat aus der Hand. Meine Knie waren weich geworden und ich musste mich am Einkaufswagen festhalten. »Hoppala«, sagte die Kassierin, auf deren Unterarm ein Totenkopf tätowiert war. Ein weiterer, aus purem Gold und mit herzförmigen Rubinen in den Augenhöhlen, hing an einer Kette um ihren Hals. Solche Zufälle gab es nicht! Was hatte sich die Erni geärgert, als sie das Schmuckstück im Allerheiligenpark gefunden hatte. »So a schiacha Dreck«, hatte sie gesagt, als sie uns ihren Fund bei der darauffolgenden Spielerrunde gezeigt hatte. Schließlich trösteten wir sie damit, dass der »schiache Dreck« immerhin etwas wert war und sie den Totenschädel zur Not ins Pfandl tragen konnte.

»Ein schöner Anhänger«, sagte ich zur Kassierin.

Sie griff nach dem Schmuckstück. »A Verlobungsgeschenk!«

»Dann steht er sicher unhamlich auf Sie«, schmeichelte ich und packte meine Einkäufe ein.

Die Kassierin grinste wie ein Hutschpferd.

Als ich der Christl davon erzählte, wollte sie es zunächst nicht glauben. Deshalb gingen wir gemeinsam noch einmal zum Hofer gegenüber von unserem Gemeindebau – um einen Liter Milch. Obwohl Kassa zwei frei war, stellten wir uns bei Kassa drei an, wo die Tätowierte saß. Vor uns schlichtete einer seinen Wochenendeinkauf umständlich auf das Förderband. So hatten wir genug Zeit, den Anhänger zu begutachten. Ich stieß die Christl mit dem Ellenbogen an, weil mir ihr auffälliges Starren schon peinlich war.

Wieder daheim, fügten wir die Verdachtsmomente wie Puzzleteile zusammen. »Das ist der Totenschädel, den die Erni im Park gefunden hat«, bestätigte meine Freundin. »Aber wie kommt die Kassierin zu dem Schmuck?«

»Sie ist das neue Flitscherl vom Stani und der Anhänger ist sein Verlobungsgeschenk«, erklärte ich.

»Aber das heißt ja …«

»…, dass der Stani ein Dieb ist«, vervollständigte ich den Satz.

»Unser Stani?« Meine Freundin war ziemlich perplex.

»Ich fürchte, es ist noch viel ärger«, fuhr ich fort. »Ich glaub, der Stani hat was damit zu tun, dass bei uns in letzter Zeit etliche alleinstehende alte Frauen gestorben sind.«

In Christls Miene spiegelte sich Entsetzen. »Im Ernst? Wie kommst du darauf?«

»Erstens hat er bei der Mitzi, der bladen Vyslozil, der Erni und der roten Toni, knapp bevor sie tot gefunden worden sind, was Elektrisches in der Wohnung gerichtet.«

»Bei mir auch, und ich leb noch«, wandte die Christl ein.

»Und zweitens war er auch an ihren Todestagen in unserem Gemeindebau unterwegs, obwohl er für mehrere Zinskasernen im Bezirk zuständig ist«, setzte ich unbeirrt fort.

Die Christl holte den Sliwowitz, den ihr die Dragi zum Geburtstag geschenkt hatte, aus dem Küchenkastl und kippte ein Stamperl des Obstbrands auf ex. »Aber wieso hätte er bei denen nachhelfen sollen? Die hätten sowieso nicht mehr ewig gelebt.«

»Damit er nicht so lange auf große Aufträge warten muss. Du weißt doch, dass die ganze Elektrik erneuert wird, bevor eine Wohnung wieder vergeben wird. Der Stani braucht dringend Geld, bei zwei Scheidungen und für die Alimente, die neue Geliebte, Schulden und was weiß ich noch alles«, erklärte ich.

»Und wenn die Gelegenheit günstig war, hat er gleich noch was mitgehen lassen, so wie den Schmuck bei der Erni«, sagte die Christl und runzelte die Stirn. »Aber wie hat er’s gemacht?«

Diese Frage hatte auch mich beschäftigt, bis mich ein Fernsehkrimi auf eine Idee gebracht hatte. »Ich glaub, er hat sie betäubt, so dass sie sich nicht mehr wehren konnten. Und dann hat er sie erstickt. Dazu reicht ein weicher Fetzen, die fallen in einem Werkzeugkoffer nicht auf. Damit man ihm nicht dahinterkommt, hat er es bei jeder ein bisserl anders ausschauen lassen«, breitete ich meine Theorie aus.

»Da hätte doch spätestens bei der Obduktion was auffallen müssen«, entgegnete die Christl.

Ich winkte ab. »Geh, warum sollte man eine Alte, ohne dass es einen Verdacht gibt, aufschneiden? Das kommt doch viel zu teuer und außerdem gibt’s nicht genug Pathologen. Es wird gespart, wie überall.« Ich schenkte mir nun auch einen Sliwo ein und nahm einen ordentlichen Schluck.

»Und was tun wir jetzt? Sollen wir ihn anzeigen?«, fragte die Christl.

Ich schüttelte den Kopf. »Mit welchen Beweisen? Wen interessieren denn schon ein paar tote alte Weiber aus einer Zinskaserne?«

»Du hast recht. Wahrscheinlich glaubt die Polizei sogar, wir fantasieren uns da was zusammen und wollen uns wichtigmachen, weil uns fad ist.« Die Christl hatte sich aufgerichtet und die Arme auf den Tisch gestützt. »Also, was machen wir?«

Ich griff nach der Flasche und schenkte uns fürs Erste einen weiteren Obstbrand ein. Die Erkenntnis, dass der attraktive Elektriker, für den fast alle aus unserer Runde schwärmten, uns in Wahrheit mit seinem Schmäh nur hatte einkochen wollen, damit er leichtes Spiel mit uns hatte, ließ uns immer zorniger werden. Während wir am Sliwowitz nippten, debattierten wir, wie wir die Sache am besten angehen könnten. Nach und nach entwickelte sich ein Plan. Es war schon sehr spät, als wir uns beim fünften Sliwo auch über die letzten Details einig wurden.

Drei Tage später

Ich stelle mir vor, wie Christl die Tasse mit dem dampfenden Kaffee vor den Elektriker stellt. »Einen kleinen Beifahrer«, sagt sie und platziert den Sliwowitz daneben. Stani, der bereits angeheitert erschienen ist, lässt sich nicht lange bitten, kippt den Obstbrand hinunter und spült mit Kaffee nach. »Oisdann!« Er wankt leicht, als er ruckartig aufsteht. »Da FI is unten«, wiederholt er und macht sich am alten Herd zu schaffen. Er kippt das abgeschlossene Gerät auf die Rodel und stellt es ins Vorzimmer. Der neue E-Herd ist bereits ausgepackt. Jetzt ist es gleich soweit. Sobald Stani den Herd an den Starkstrom anschließt, kommt der wichtigste Teil meiner Aufgabe. Wir haben lange diskutiert, wer von uns beiden es tun soll. Letztendlich haben wir gewürfelt. Ich habe verloren und bin nun froh darüber, dass ich den letzten Akt zwar hören, aber wenigstens nicht sehen muss. Christl hat sich neben der Küchentür postiert und behält gleichzeitig den Elektriker im Blick. Ich warte im Vorzimmer neben dem Sicherungskasten auf meinen Einsatz. Mir ist vor Aufregung jetzt schon ganz schlecht.

»Fini!«, sagt Christl. Das ist mein Stichwort. Ich drücke den FI-Schalter nach oben, vorsichtig, halte ein wenig dagegen, damit ich nur ja kein verdächtiges Geräusch mache. Stani bemerkt nicht, dass der Anschluss wieder unter Strom steht. Das Warten setzt mir langsam zu. Ich bin plötzlich nicht mehr überzeugt, dass es wirklich so eine gute Idee ist. Noch könnte ich die Sache abbrechen. Dann fällt mir Erni ein, der goldene Totenkopf, die tätowierte Kassierin, die rote Toni, die blade Vyslozil …

Christl schreit auf, als es schnalzt. Der dumpfe Schlag deutet darauf hin, dass Stani gegen das Küchenkastl geprallt ist. Der schlimmste Moment steht uns dann noch bevor. Was machen wir, wenn der Elektriker noch lebt? Ziehen wir ihm ein Plastiksackerl über den Kopf und warten, bis er den letzten Rest Leben ausgehaucht hat? Ihm Nase und Mund zuzuhalten wäre auch eine Möglichkeit. Aber das schaffen wir bestimmt nicht! Ich erinnere mich, was Christl über Stromunfälle gesagt hat: »Starkstromopfer sind fast immer tot oder sterben kurz nach dem Schlag.« Während ich an die Bilder der angesengten Leichen aus einer Zeitschrift denke, die mir meine Freundin gezeigt hat, läutet es an der Wohnungstür.

Eigentlich dürfte nichts schiefgehen. Wir haben alles genau geplant und den Ablauf wie einen Fernsehkrimi bis ins kleinste Detail x-mal durchgespielt. Trotzdem sind meine Handflächen vor Aufregung ganz nass. Christl nickt mir aufmunternd zu, bevor sie die Tür öffnet.

»Grüß Sie«, sagt Stani und stellt den Werkzeugkoffer ab.

Ich schicke ein letztes Stoßgebet zum Himmel, damit alles so klappt, wie wir es geplant haben. »Einen Kaffee, Herr Stani? Und vielleicht einen kleinen Beifahrer dazu?«, fragt meine Freundin und holt den Sliwowitz aus dem Küchenkastl. »Nehmen S’ ruhig Platz«, sage ich meinen gut geübten Einleitungssatz für den finalen Showdown auf. »Olles leiwaund?«, fragt Stani und ich merke, wie mein Lampenfieber nachlässt, weil sich auch der Elektriker an unser Drehbuch hält.

Tatort Gemeindebau

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