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1. Kapitel

Die Ortung in der Zentrale der Mardora gab Alarm. Granger Tschad nahm die Füße von der Konsole und sah sich die Werte auf dem Bildschirm an. Ein Objekt bewegte sich jenseits des zehnten Planeten der Sonne Hendra. Es war riesig, vier Millionen Kilometer im Durchmesser. So etwas gab es nicht. Es konnte sich nur um eine Fehlfunktion der Fernortung handeln.

Granger justierte die Geräte und schaltete weitere Instrumente zu. Für ein interstellares Handelsschiff war die Mardora ziemlich gut ausgestattet. Was damit zu tun hatte, dass ihr Besitzer nicht nur die üblichen Güter transportierte.

Rasch kamen neue Daten herein. Das war kein Objekt dort draußen, sondern nur eine Struktur aus schwachen elektromagnetischen Feldern. Granger legte die Füße wieder auf die Konsole, nahm einen Schluck Kaffee und befahl der künstlichen Intelligenz des Bordcomputers, einige Berechnungen anzustellen.

Minuten später lag das Ergebnis vor: „Es handelt sich um ein Gebiet mit elektrischen Anomalien, das sich am Rand des Planetensystems gebildet hat. Derzeit bewegt es sich mit relativistischer Geschwindigkeit auf die Sonne zu. Genaue Messungen sind nicht möglich, aber der Sonnenwind scheint es abzubremsen.“

„Das heißt, es kommt aus dem interstellaren Raum?“, fragte Granger.

„Der Bewegungsvektor deutet darauf hin.“ Die KI schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr: „Eine erste Abschätzung von Kurs und negativer Beschleunigung ergibt, dass es sich auf unsere Position zubewegt. Seine Geschwindigkeit wird genau auf Höhe des Planeten Wolkental vom Sonnenwind völlig aufgehoben sein.“

„Das hört sich an, als wäre es ein Raumfahrzeug aus uralten Zeiten, das mit Hilfe eines Sonnensegels navigiert.“

„Richtig, Granger. Aber es ist kein massives Objekt zu orten. Es existiert keine Quelle, aus der sich die elektromagnetischen Felder speisen. Ihre Feldstärke ist überall gleich.“

„Gibt es in den Datenbanken einen Hinweis darauf, was es sein könnte?“

„Keinen.“

„Wann wird es Wolkental erreichen?“

„In sechs Tagen.“

Granger sah hinab auf die Oberfläche des Planeten, um den die Mardora kreiste. Er hatte vorgehabt, hierzubleiben und ein paar Tage Urlaub zu machen. Aber was auch immer sich von dort draußen näherte - sein Instinkt riet ihm, weg zu sein, bevor es eintraf.

Er meldete die Entdeckung über Funk an den Raumflughafen und bat darum, die versprochene Fracht schnellstmöglich an Bord zu bekommen.

„Wir haben das Phänomen ebenfalls in der Ortung“, erhielt er als Antwort. „Die für die Mardora vorgesehenen Container werden in fünf Tagen im Orbit sein. Sie können also rechtzeitig abhauen, falls Sie Angst vor ein paar elektrischen Feldern haben, Tschad.“

Granger bestätigte, ohne auf die Stichelei einzugehen. Falls die da unten ihn für einen Feigling hielten, was kümmerte es ihn? Er war für sich und sein Schiff verantwortlich, für sonst nichts. Auf sein Bauchgefühl zu achten hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet. Er würde sich auch diesmal danach richten.

Fünf Tage später brachte ein Shuttle die Container von der Oberfläche hoch in den Orbit. Granger beobachtete auf den Bildschirmen in der Zentrale der Mardora, wie sie in die freien Anlegestellen bugsiert und arretiert wurden.

Sechzehn Standardcontainer konnten an dem langgezogenen Rumpf der Mardora befestigt werden. Acht vor dem Hypersprungtriebwerk in der Mitte und acht dahinter. Zwölf Dockingplätze blieben nun leer. Dort war die Fracht befestigt gewesen, die Granger nach Wolkental gebracht hatte. Nahrungsmittel, Alltagsgegenstände und jede Menge Luxusartikel für die reichen Touristen, die die Hotels in den Wolken bevölkerten.

An Handelswaren produzierte Wolkental nicht viel. Einige Gewürze und Weinsorten, die in den Tälern auf der Oberfläche angebaut wurden. Sie auf andere Welten zu exportieren war betriebswirtschaftlich unsinnig. Aber es war eine gute Tarnung, um das eigentliche Handelsgut zu schmuggeln.

Granger bestätigte den Empfang der Container und sah sich die Liste der Kunden an, die er beliefern sollte. Er kannte die Namen und die Zielplaneten. Es würde ein Routineflug werden.

„Wie weit ist dieses Gebiet mit den elektrischen Feldern noch entfernt?“, fragte er die KI.

„Es ist auf Höhe des vierten Planeten zum Stillstand gekommen. Grund unbekannt.“

„Wieso muss es einen Grund dafür geben?“

„Der Sonnenwind ist nicht stark genug, um das Phänomen so schnell abzubremsen. Falls doch, würde jetzt eine Gegenbewegung einsetzen. Das heißt, die elektrischen Felder müssten von der Sonne wegtreiben. Das ist aber nicht der Fall.”

„Ist schon jemand hingeflogen, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen?“

„Nein. Außer uns befinden sich derzeit nur fünf Touristenschiffe im Orbit um Wolkental. Sie werden ihre Besatzungen und Passagiere keinem Risiko aussetzen.“

„Also ist die Mardora das einzige Schiff, das nachsehen könnte?“

„So ist es.“

Die Frage, warum er nicht von der Raumhafenbehörde auf dem Planeten dazu aufgefordert worden war, erübrigte sich. Die Mardora hatte wertvolle Fracht an Bord. Man wollte sie noch weniger einer Gefahr aussetzen, als die gut zahlenden Touristen.

„Berechne einen Kurs, der uns weiträumig um das Phänomen herum in den Zielkorridor für den ersten Hyperraumsprung bringt“, wies Granger die künstliche Intelligenz seines Schiffes an. „Wir starten.“

Minuten später zeigten die Messinstrumente in der Zentrale an, wie die zwei Fusionsreaktoren hochgefahren wurden. Die Antigravtriebwerke stemmten sich gegen die Schwerkraft des Planeten. Millimeterweise bewegte sich das Bild der Oberfläche von Wolkental seitwärts aus Grangers Blickfeld. Viel langsamer als üblich.

„Funktionsstörungen der Triebwerke“, meldete die KI. „Analyse läuft. Außerdem Störungen im Hyperfunkverkehr.“

Granger fluchte laut, obwohl kein Mensch da war, der ihn hörte. Eine Angewohnheit, die viele Trader hatten, die als Händler alleine mit ihren Schiffen zwischen den Sternen unterwegs waren.

Plötzlich quäkte ein Alarmton aus den Lautsprechern, Lichter auf der Konsole flackerten rot. Die Schotte schlossen sich automatisch, Stahlblenden schoben sich vor die Sichtfenster.

„Stell den Lärm ab und sag mir, was los ist!“, brüllte Granger.

Prompt hörte der Alarm auf.

„Sechsundzwanzig Raumschiffe sind aus dem Hyperraum gekommen“, meldet die KI. „Erste Analyse: ein Kampfverband der H’Ruun. Darunter vier Schlachtschiffe. Der Verband nimmt Kurs auf Wolkental.“

„Weg hier!“

„Die Mardora ist zu langsam, um dem Kampfverband zu entkommen.“

„Das weiß ich selbst, du blöder Blechkasten. Aber die H’Ruun haben es auf den Planeten abgesehen. Vielleicht können wir entwischen, während sie damit beschäftigt sind, ihn auszulöschen.“

„Bisher hat es noch nie ein Schiff geschafft, ein von den H’Ruun angegriffenes Sonnensystem zu verlassen. Sie dulden keine Zeugen.“

„Dann werden wir die ersten sein, denen es gelingt. Funktionieren die Triebwerke wieder?“

„Mit zwanzig Prozent der Nennleistung. Es liegt keine Fehlfunktion vor, sondern eine Störung des Gravitationsfeldes. Ich verfüge nicht über die erforderlichen Messgeräte, um das genauer zu untersuchen.“

Granger beobachtete die Punkte, die in der Fernortung angezeigt wurden. Sie waren sichelförmig ausgebreitet. Pfeile deuteten die Flugrichtung an. Sie zeigten alle auf Wolkental.

Das ist das Ende, dachte Granger. Die H’Ruun waren gnadenlos und zerstörten von Menschen bewohnte Planeten ohne jede Rücksicht. Selbst zivile Welten ohne militärischen Schutz wurden vernichtet. So war es vor einigen Monaten Alkana ergangen. Millionen, in einigen Fällen sogar Hunderte von Millionen Leben wurden binnen Stunden ausgelöscht.

„Die elektrischen Felder zwischen der H’Ruun-Flotte und Wolkental werden schwächer“, meldete die KI. „Unsere Triebwerksleistung steigt an. Soll die Mardora im Orbit bleiben oder wie geplant einen Kurs einschlagen, der aus dem System herausführt?“

Bevor Granger antworten konnte, meldete sich die Bodenstation des Raumflughafens.

„An die Schiffe im Orbit! Helfen Sie mit bei der Evakuierung der Zivilbevölkerung! Alle verfügbaren Shuttles sind bereits auf dem Weg nach oben. Nehmen Sie so viele Menschen wie möglich an Bord und fliehen Sie!“

Granger schüttelte den Kopf. Die Touristenschiffe konnten sicherlich im Notfall je tausend Passagiere unterbringen, aber sein Transporter nur ein paar Dutzend. Auf Wolkental lebten hunderttausend Menschen - die Gäste in den Hotels nicht eingerechnet. Der Versuch, einige wenige davon zu retten, würde eine schlimmere Panik auslösen, als wenn alle in Ruhe abwarteten, bis die Bomben fielen.

„Ich leite Ausweichkurs mit chemischen Nottriebwerken ein“, meldete die KI. „Zwei Touristenschiffe sind auf Kollisionskurs mit uns. Sie versuchen, denselben Fluchtvektor weg von der H’Ruun-Flotte zu nutzen wie wir.“

Fluchend starrte Granger auf die Bildschirme. Die gewaltigen Passagierschiffe hatten nicht darauf gewartet, bis die Menschen eingeschleust waren, die mit den Shuttles hochkamen. Sie flohen in Panik. Ihre Besatzungen versuchten, sich selbst zu retten und ließen die Passagiere zurück.

Zwei der Schiffe, jedes ungleich größer als die Mardora, kollidierten. Es gab weder einen Blitz noch eine Explosion. Lediglich eine Wolke aus Trümmerstücken wies daraufhin, dass die Schiffe schwer beschädigt waren. Die Mardora wich aus, so gut es auf die kurze Entfernung noch möglich war.

Viele Punkte tauchten nun in der Ortung auf. Das waren die Shuttles, die einen niedrigen Orbit um den Planeten erreichten. Die drei noch intakten Touristenschiffe bemühten sich, ihnen zu helfen. Aber auch in den Shuttles herrschte Panik. Es kam zu mehreren Kollisionen, die sicherlich viele Menschenleben kosteten.

„Ausweichmanöver erfolgreich verlaufen“, meldete die KI. „Aber dadurch haben wir auch die minimale Chance verloren, außer Reichweite der H‘Ruun zu sein, wenn sie hier eintreffen.“

„Kehre in den Standardorbit zurück“, wies Granger die KI an. „Ich hole mir ein paar Büchsen Bier und genieße den Weltuntergang.“

Zwei Stunden später ging die Flotte der H’Ruun in einen weiten Orbit um den Planeten. Sie kümmerte sich weder um die Mardora noch um die Touristenschiffe und Shuttles. Es gab keinen Funkkontakt, obwohl die Bodenkontrolle des Raumflughafens inständig darum bat, gehört zu werden. In einer Endlosschleife wies man auf den zivilen Charakter aller Anlagen auf Wolkental hin.

Aus anderen Funksprüchen wusste Granger, dass in den Wolkenhotels und den besiedelten Tälern eine Welle von Selbstmorden grassierte. Die Menschen töteten sich, um dem Tod durch Fusionsbomben zu entgehen.

Er hatte inzwischen genügend Alkohol im Blut, um den Ereignissen schläfrig und unaufgeregt zu folgen. Der erste Schlag der Kriegsschiffe würde sicherlich den Kommunikationssatelliten und den anderen Raumschiffen im Orbit gelten - also auch ihm und seiner Mardora.

Doch dieser Schlag kam nicht. Die H’Ruun-Schiffe kreisten um die Welt, ohne irgendwelche Aktivitäten zu entwickeln.

Später wurde Granger von der KI seines Schiffes geweckt. Er war eingenickt.

„Der feindliche Kampfverband schickt Hunderte von Aufklärungssonden in die Atmosphäre von Wolkental“, meldete sie. „Eventuell sind auch einige Landungsboote dabei.“

„Das macht keinen Sinn. Die H’Ruun-Flotten kommen, vernichten einen von Menschen besiedelten Planeten und verschwinden wieder. Das war bisher immer der Fall.“

„So steht es in allen Berichten“, bestätigte die KI. „Ihr derzeitiges Vorgehen lässt darauf schließen, dass sie nach etwas suchen.“

Es gibt auf Wolkental nichts Besonderes, wollte Granger sagen. Aber das war natürlich Unsinn. An sein Schiff waren vier Container angedockt, die mehrere Tonnen Drogen enthielten. Vielleicht war dieses Teufelszeug auch bei den Außerirdischen etwas wert. Oder es handelte sich gar nicht um einen militärischen Kampfverband, den sie geschickt hatten, sondern um eine Polizeieinheit, deren Aufgabe es war, die Produktion der Droge einzudämmen. Vielleicht wurden auch H’Ruun davon abhängig. Das würde aber bedeuten, dass die Hersteller auf Wolkental Kunden bei den schlimmsten Feinden der Menschheit hatten. Was nicht gerade wahrscheinlich war.

Nach und nach kehrten die Sonden wieder zu den Kampfschiffen zurück. Sechzehn Stunden, nachdem die H’Ruun-Flotte über Wolkental erschienen war, nahm sie Fahrt auf. Unbehelligt und ohne einen Schuss abgefeuert zu haben, beschleunigten die Schiffe.

„Energiemessung ergibt, dass der Kampfverband sich auf den Sprung in den Hyperraum vorbereitet“, meldete die KI.

„Jetzt bräuchte ich jemanden, der allwissend ist und mir das erklärt“, sagte Granger und nahm sich noch eine Bierbüchse. „Eine so mächtige Flotte unserer Todfeinde - und sie haut einfach ab.“

„Die Auswertung meiner Ortung und der Funksprüche von der Planetenoberfläche ergeben ein schlimmes Bild“, informierte ihn die KI. „Durch die Unfälle im Orbit, Massenpaniken und Selbstmorde sind mehr als zehntausend Menschen ums Leben gekommen.“

Granger ließ sich im Pilotensitz zurücksinken. „Was kommt als Nächstes?“, fragte er.

„Soeben ist eine Flotte der Raumstreitkräfte von Gaia hier im System erschienen. Sie wäre aber nicht stark genug gewesen, um die H’Ruun aufzuhalten.“

„Wieso gewesen?“

„Weil die H’Ruun wenige Sekunden vor dem Erscheinen unserer Flotte in den Hyperraum gesprungen sind.“

„Ihr Timing ist perfekt“, gab Granger zu. Er trank sein Bier aus und schloss die Augen. „Weck mich, falls jemand mit mir sprechen will.“

PERSEUS Wolkental

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