Читать книгу PERSEUS Wolkental - Manfred Rehor - Страница 6
Оглавление3. Kapitel
Es gab wenig Natur auf Gaia, dem Sitz der Regierung der Perseuskolonie. Die Verwaltungszentren und militärischen Anlagen bedeckten fast die ganze Oberfläche wie eine einzige riesige Stadt. Deshalb fand Lydia Vendaar die Aussicht aus dem Hochhaus am Rande des Militärbezirks hinaus aufs Meer so beeindruckend. Sie beneidete ihren Vorgesetzten, Commodore Smith, um fast nichts, aber dessen Büro hätte sie gerne gehabt. Vielleicht wurde es bald frei, denn wenn der Commodore sich weiter so aufregte, würde seine Gesundheit das nicht mehr lange mitmachen.
„Sie haben was?“, brüllte er sie an. Sein Gesicht war noch stärker gerötet als sonst.
„Brendan Hollister zum Planeten Wolkental geschickt“, wiederholte Lydia. Sie saß auf dem Besucherstuhl und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
Der Commodore sprang auf und sah über seinen Schreibtisch hinweg auf Lydia herab. „Das ist das Dümmste, was Sie sich je geleistet haben!“, brüllte er weiter. „Es kann Sie Ihre Karriere kosten! Und mich die meinige.”
Die letzten Worte sprach er schon etwas leiser. Lydia kannte ihren Vorgesetzten gut genug, um zu wissen, was nun folgte. Zunächst forderte Smith sie auf, alles rückgängig zu machen; da es dafür zu spät war, verlangte er, jemand solle hinter Hollister herfliegen und ihn zurückholen; schließlich ließ er sich dazu herab, nachzugeben. Hauptsache, er konnte behaupten, nichts davon gewusst zu haben.
„Vertuschen Sie alle Hinweise darauf, dass es sich bei seinem Flug um einen Auftrag des Kommandos der Raumflotte handelt, verstanden?“, forderte er. „Egal, was geschieht, er ist auf eigene Faust unterwegs. Wir haben nichts damit zu tun.“
„Gilt das auch für den Fall, dass er Erfolg hat?“, fragte Lydia. Sie sah, wie Smith stutzte, und bemühte sich, nicht abschätzig zu lächeln.
„Nein, natürlich nicht. Halten Sie das für möglich?“
„Deshalb habe ich ihn ja hingeschickt. Die Situation auf Wolkental ist so außerhalb alles Üblichen, dass ein Mensch mit gewissen magischen Fähigkeiten etwas herausfinden könnte, was allen anderen entgeht.“
„Hören Sie auf mit diesem Gerede über Magie. Hollister hat ein ungewöhnliches Gehirnwellenmuster. Er denkt in anderen Bahnen als die meisten Menschen, mehr nicht. Nun gut, Sie haben mich überzeugt: Lassen Sie ihn tun, was er für richtig hält, aber überwachen Sie ihn. Sollte er etwas entdecken, das militärisches Eingreifen erforderlich macht, informieren Sie mich umgehend. Keine eigenmächtigen Handlungen mehr, verstanden?“
„Wolkental ist ein privat geführter Tourismusplanet. Was sollte dort militärisches Eingreifen erforderlich machen?“, hakte Lydia nach. „Die H’Ruun sind weg und kehren wahrscheinlich nicht mehr zurück.“
„Nun ...“ Commodore Smith zögerte. „Es gibt überall Dinge, die nicht so offensichtlich sind. Wolkental wird da keine Ausnahme sein. Hollister könnte zufällig über etwas stolpern, das zu groß für ihn ist. Dann ist es erforderlich, dass ich sofort eingreifen kann. Und jetzt verschwinden Sie. Ich muss an meinem Bericht für die Admiralität arbeiten.“
Lydia stand auf. Smith wusste mehr als sie und er hatte Angst. Das war normal bei ihm. Aber er sah wieder einmal eine Chance, groß herauszukommen und die Erfolge anderer als Stufen auf seiner Karriereleiter zu nutzen. Das war gut für sie. Solange er diese Hoffnung hatte, würde er sie gewähren lassen.
„Wenn das schiefgeht, habe ich von nichts gewusst. Ist das klar?“, rief ihr Smith noch nach.
Lydia reagierte nicht darauf.
Dr. Seanberg war Militärarzt, aber man sah es ihm nicht an. Er wirkte wie ein Hausarzt aus alten Zeiten: freundlich, fürsorglich, kompetent. Das weiche Gesicht und der graue Haarkranz unterstrichen diesen Eindruck.
Auch Lydia hatte sich anfangs von der Ausstrahlung des Mannes täuschen lassen. Inzwischen wusste sie, dass er ein hochqualifizierter Wissenschaftler war, aber auch ein harter und karrierebewusster Offizier.
Dr. Seanberg arbeitete in einer Abteilung, die für die bioelektronische Ausstattung von Soldaten zuständig war. Nachdem die Menschheit die erfolglosen Versuche aufgegeben hatte, ideale Kämpfer zu erschaffen, begnügte man sich nun mit kleinen Eingriffen. Selbst die nahm man nur vor, wenn Soldaten für Einsätze auf Planeten mit lebensfeindlichen Bedingungen vorgesehen waren.
Alle früheren, weitergehenden Bemühungen, Menschen zu verbessern, waren gescheitert. Immer hatte sich herausgestellt, dass die Ergebnisse dieser Manipulationen von ihrem Wesen her keine Menschen mehr waren und begannen, sich in ihrem Verhalten von menschlichen Normen zu entfernen.
Die in früheren Jahrhunderten herbeifantasierte Verbesserung des Körpers durch Technik und Biologie war ebenso gescheitert wie die Versuche, echte Intelligenz und Bewusstsein in Computern zu erschaffen oder Beweise für die Existenz anderer Universen zu entdecken.
Es gab kein Multiversum und in Computern konnte nur eine Form von künstlicher Intelligenz simuliert werden, aber kein eigenständiges Bewusstsein. Außerdem konnte kein menschlicher Eingriff die Entwicklung der Rasse Homo sapiens besser vorantreiben als die Evolution.
Dr. Seanberg war ein überzeugter Verfechter dieser Ansicht. Er war es, der die allmähliche Veränderung der Menschen wissenschaftlich nachgewiesen hatte, die auf den Planeten im Perseus geboren wurden. Das hatte ihm viel Häme von seinen Fachkollegen eingebracht - und eine hochbezahlte Stelle in der Militärbürokratie. Denn er behauptete, dass nichts für die weitere Entwicklung des Perseus wichtiger sei, als diesen Wandel genau zu erfassen und seine Vorteile zu erkennen. Wenn die Natur den Menschen an die Verhältnisse hier anpasste, dann hatte sie einen zwingenden Grund dafür. Den galt es herauszufinden, die Veränderungen zu nutzen und ihre Nachteile zu minimieren.
Mit seiner Hilfe war Lydia Vendaar auf Brendan Hollister und Arianna Bold gestoßen. Zwei junge, im Perseus geborene Menschen, bei denen die ungewöhnlichen Gehirnwellenmuster dieser Personengruppe besonders stark ausgeprägt auftraten.
Welche neuen Fähigkeiten damit verbunden waren, erforschte Dr. Seanberg.
„Sie wollten mich sprechen?“, fragte Lydia, als sie ihm gegenüberstand.
„Ja, es geht um Hollister. Ich habe nun die ersten Ergebnisse der Forschungsteams auf dem Planeten Chenderra vorliegen. Wie Sie wissen, hat der Junge dort eine seltsame Beziehung zu Hyperkristallen aufgebaut und konnte uns einen Weg zeigen, den Verschleiß dieser Raumschiffbauteile rückgängig zu machen.“
„Was haben die Untersuchungen ergeben?“
„Eine gewisse Synchronizität zwischen den Gehirnschwingungen Hollisters und den Ausstrahlungen dieser Kristalle, wenn man eine größere Anzahl von ihnen zusammenbringt. Das könnte zunächst darauf hindeuten, dass er sich an die Kristalle angepasst hat oder umgekehrt. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. Sehen Sie.“
Seanberg ließ einige wissenschaftliche Daten und Diagramme über der Fläche seines Schreibtisches aufleuchten.
„Eine eingehende Analyse hat ergeben, dass die Kristalle schon immer solche Schwingungen aufwiesen - und Hollisters Gehirn bereits seit seiner Geburt. Es gibt etwas, das der Junge mit den Hyperkristallen Chenderras gemeinsam hat.“
„Was vermuten Sie?“, fragte Lydia gespannt.
„Eine neue Art von Bewusstsein. Hollister hat berichtet, er habe von dem Gebirgsmassiv, in dem die Kristalle abgebaut werden, Gefühle und Mitteilungen erhalten. Unwissenschaftlich und überspitzt formuliert vermute ich, wir sind einer neuen Form von Leben und Intelligenz auf der Spur, die nicht zwingend an einen biologischen Körper gebunden ist. Es scheint etwas Andersartiges zu geben, das denken kann und über uns völlig unbekannte Fähigkeiten und Vorstellungen verfügt.“
„Eine Superintelligenz in einem Berg?“
„Leben in einer bisher unbekannten Gestalt“, antwortete Seanberg. „Bringen wir es doch einmal so auf den Punkt. Das dürfte besser verständlich sein. Leben, das nicht an die Grenzen gebunden ist, die uns gesetzt sind. Nicht, was seine Entstehung betrifft; nicht, was seine Art betrifft, das Universum zu erfassen; nicht, was seine Fähigkeit betrifft, seine Umwelt zu manipulieren. Denn diese Fähigkeit ist eines der essentiellen Kriterien, die eine Lebensform erfüllen muss.“
„Was folgt daraus, dass Menschen wie Brendan und Arianna sich dieser Art Leben verbunden fühlen?“
„Dass die Menschheit im Perseus sich zu etwas Neuem entwickelt. Zu etwas, das die besonderen Kräfte, die hier wirken, nutzen kann.“
Vendaar trat einen halben Schritt näher an den Arzt heran. Ihre Stimme klang brüchig, als sie fragte: „Kräfte, wie es sie im Orionarm der Milchstraße, also auf der Erde, nicht gibt?“
„So ist es.“ Dr. Seanberg hob dozierend den Finger, während er fortfuhr: „Daraus ergeben sich mehrere Schlussfolgerungen: Was hier vor sich geht, übersteigt die uns verständlichen Naturgesetze; es ist in diesem Sinne sozusagen Magie. Wir müssen damit rechnen, zunehmend auf seltsame und zunächst unerklärliche Phänomene zu stoßen. Mit denen verstehen nur Menschen umzugehen, die bereits gut an die hier herrschenden Bedingungen angepasst sind. Wir müssen also weiterhin gezielt nach jungen Leuten wie Hollister und Bold suchen. Nur sie werden uns in Krisensituationen helfen können.“
„So weit bin ich mit Ihnen einer Meinung. Aber Sie wissen, dass wir diese Aktionen verdeckt durchführen müssen. Würden die Öffentlichkeit und die Regierung davon erfahren, so würde man uns als Geistesgestörte abstempeln, die Steuergelder verschwenden.“
Dr. Seanberg nickte. „Da wäre aber noch etwas“, fuhr er fort.
„Nämlich?“
„Eine der Schlussfolgerungen aus meiner These lautet, dass die Hyperkristalle, die wir für die Raumfahrt verwenden, nicht im Orionarm der Milchstraße vorkommen können. Nur der Perseus bietet die Bedingungen, unter denen sie wachsen. Irgendjemand muss sie zur Erde gebracht haben. Sonst hätte man dort niemals Raumschiffe mit interstellarem Antrieb bauen können.“
Lydia stand für einen Moment starr. Dann sagte sie: „Das würde erklären, warum wir keine genauen Herstellungsanweisungen für sie in den Datenbanken haben.“
„So ist es. Eine weitere Schlussfolgerung ist, dass es auf der Erde nur einen begrenzten Vorrat davon geben kann. Dass die Erdregierung behauptet hat, die Kristalle würden auf einem abgelegenen Planeten abgebaut und geschliffen, war eine Lüge. Vermutlich hat man ein riesiges Lager fertiger Hyperkristalle entdeckt und wollte das öffentlich nicht zugeben.“
„Das bedeutet, die Erde ist jetzt in der Situation, in der wir uns vor kurzem noch selbst gesehen haben. Die Kristalle werden knapp, Nachschub ist nirgends zu bekommen. Also wird über kurz oder lang die interstellare Raumfahrt im Orionarm der Milchstraße zum Erliegen kommen.“
„Richtig gefolgert! Commander Vendaar, Sie sollten diese Erkenntnis bei den zuständigen Stellen zu Gehör bringen.“
Lydia wusste, wen er damit meinte.
Die Frauenstimme klang amüsiert, als sie sagte: „Das ist alles bereits bekannt, beziehungsweise so oder so ähnlich vermutet, Commander. Aber es ist schön, nun eine erste wissenschaftliche Bestätigung dafür zu erhalten. Seanbergs Forschungen und seine Ergebnisse müssen weiterhin geheim gehalten werden, auch vor unserer Regierung, verstanden?”
„Selbstverständlich“, sagte Lydia. Sie wusste nicht, wer die Person war, mit der sie gerade redete. Es gab nur eine Funkverbindung, in die ein Sprachmodul eingeschaltet war, das die Stimme völlig veränderte. Trotzdem vertraute sie dieser Frau voll und ganz. Deshalb berichtete sie ihr auch von dem Gespräch mit ihrem Vorgesetzten.
„Commodore Smith weiß, was auf Wolkental gespielt wird“, sagte die Frauenstimme. „Er ist nicht daran beteiligt, aber er kennt einige Namen aus der Militärhierarchie, die in der Akte Wolkental stehen. Leute, die tief fallen werden, wenn Hollister Erfolg hat. Da werden Positionen frei bis hinauf in die Admiralität.“
„Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was Sie meinen“, sagte Lydia. Die Gespräche mit dieser Frau - wenn es sich überhaupt eine Frau handelte - waren immer ein wenig nervenaufreibend. Sollten sie abgehört werden, wäre das Lydias Ticket direkt auf einen Strafplaneten. Aber diese Frau war die einzige Person, die genug wusste, um der Regierung auf die Finger zu sehen. Sie nutzte ihr Wissen, um Teile des Militärs illegal, aber zum Wohle der Perseuskolonie, für geheime Missionen einzusetzen.
„Das ist besser so für Sie, Vendaar. Sie gehören zu den Offizieren, die der Bevölkerung dienen wollen. Bei Ihrer Arbeit für die Raumflotte haben Sie nicht zuallererst die eigene Karriere oder das eigene Bankkonto im Blick. Deshalb habe ich Sie in meinen inneren Zirkel aufgenommen und unterhalte mich persönlich mit Ihnen. Wenn Sie zu denen zählen würden, die über Wolkental Bescheid wissen, hätten Sie nie von mir gehört.“
„Arbeitet die Firma, die Wolkental betreibt, mit den H’Ruun zusammen?“, fragte Lydia.
Wieder lachte die Frau. „Das ist das Schlimmste, was Sie sich vorstellen können, nicht wahr? Nein, das tut die Company nicht. Es würde zwar den überraschenden Rückzug der H’Ruun-Flotte erklären, aber der scheint eine ganz andere Ursache zu haben. Wir müssen Hollister Zeit geben, etwas darüber herauszufinden.“
„Und wie?“
„Sorgen Sie dafür, dass der Planet bis auf weiteres gesperrt wird. Es dürfen weder die evakuierten Menschen zurückkehren, noch können Sie es erlauben, dass Sensationstouristen sich auf den Weg dorthin machen. Behaupten Sie, eine Rückkehr der H’Ruun sei nicht völlig ausgeschlossen. Deshalb wird eine Einflugsperre in das System der Sonne Hendra verhängt. Nur die Handelsschiffe dürfen passieren.“
„Aber der Generalstab hat bereits den Abzug der Schutzflotte befohlen.“
„Na, und? Das muss nicht bedeuten, dass Wolkental vor einem neuen Angriff sicher ist. Hören Sie, es geht uns ja nicht darum, den Planeten jahrelang zu isolieren. Verschaffen Sie Brendan Hollister einige Wochen Zeit. Mehr nicht.“
„Gut, ich tue, was ich kann.“ Lydia sah auf die Uhr. Sie sprach schon zu lange in das kleine Mikrofon. Jede Minute erhöhte die Möglichkeit, abgehört zu werden. Doch einen Punkt musste sie trotzdem noch erwähnen: „Es gibt ein weiteres Problem.“
„Nämlich?“
„Es gibt Hinweise darauf, dass in der Nähe von Wolkental eine große Flotte der Söldner zusammengezogen wird. Normalerweise lässt die Admiralität so etwas nicht zu. Diesmal scheint niemand ein Interesse daran zu haben, diese halblegale Militärmacht in ihre Schranken zu verweisen.“
„Sowohl der Grund für die Flottenbewegung der Söldner als auch das Desinteresse der Behörden haben mit dem Geheimnis von Wolkental zu tun. Ignorieren Sie diese Vorgänge. Es wird zu unserem Vorteil sein, falls alles so verläuft, wie ich es vorhersehe.“
„Aber diese Flotte stellt eine militärische Macht dar, die sogar einem unserer Kampfverbände gefährlich sein könnte“, protestierte Lydia.
„Die Söldner werden zu ihrer eigenen Überraschung feststellen müssen, dass sie nicht die einzigen sind, die eine große Flotte in der Nähe von Wolkental zusammenziehen. Halten Sie sich aus diesen Vorgängen heraus, Vendaar. Das ist ein Befehl!“
Die Verbindung wurde unterbrochen. Lydia ließ sich eine halbe Stunde Zeit, um das Gehörte zu verarbeiten. Dann machte sie sich daran, die Anweisungen der Stimme umzusetzen.