Читать книгу Czordan und der Millionenerbe - Manfred Rehor - Страница 7
ОглавлениеKapitel 4
Ich gehöre nicht zu den Menschen, für die der Freitag nur ein schlaffes Abgleiten in Richtung Wochenende ist. Deshalb war ich auch nicht auf dem Sprung nach Hause, als Kommissar Schmidt am folgenden Nachmittag unangemeldet vor der Tür stand. Ich begrüßte ihn und rief den Alten oben in seiner Wohnung an.
Der Grund für Schmidts Besuch war leicht zu erraten. Da es für die Donnerstagsausgaben zu spät gewesen war, hatten die Zeitungen unsere Kleinanzeige wegen des Geländewagens erst an diesem Morgen veröffentlicht. Czordan war um kurz nach zehn erschienen, hatte seinen täglichen Packen Zeitungen durchgeblättert und etwas Zustimmendes gegrunzt, bevor er wieder nach oben entschwand.
Um Schmidt nicht denselben Gag wie beim ersten Besuch zu ermöglichen, nahm ich schnell wieder meinen Schreibtischstuhl in Besitz. Schmidt musste sich mit einem Besucherstuhl begnügen. Dort saß er zehn Minuten mit missmutigem Gesicht. Er war nicht zu Small Talk aufgelegt und ignorierte meine Bemerkungen über das Wetter und das letzte Spiel von Hertha BSC.
Schließlich kam Czordan. „Sie haben Neuigkeiten?“, fragte er und blieb neben seinem Schreibtisch stehen.
„Was soll die Annonce?“, blaffte Schmidt. „Solche Einmischungen lasse ich mir nicht bieten.“
Czordan sah Schmidt von oben herab an, bevor er sich an mich wandte: „Hat sich die Hausverwaltung in Düsseldorf schon gemeldet?“
„Bisher nicht. Übrigens, Gregoria kommt eventuell am Montag wegen der Computeranlage. Irgendein Upgrade, das sie Ihnen empfehlen will. Teuer, aber notwendig, wie immer.“
„Die Maschinen kosten mehr, als sie einbringen.“
„Soll ich ihr das sagen?“
„Nein. Ich werde mit ihr darüber reden. Die Idee, eine Sammlung aller für die Beantwortung von Anfragen wichtigen Daten aus dem Internet auf die Speicher in unserem Computerraum zu ziehen, ist an sich nicht schlecht.“
„Harvesting nennt man das“, erklärte ich. „Die Methode soll im Internetzeitalter das ersetzen, was früher Fachbibliotheken waren.“
„Mag sein. Aber Gregoria hat den Umfang dieser Ernte unterschätzt, die ...“
„Hören Sie auf!“, fuhr Schmidt dazwischen. „Ich habe eine Frage gestellt und fordere eine Antwort.“
„Sie haben nichts zu fordern. Aber Sie sollen trotzdem Ihre Antwort bekommen: Ich erhoffe mir die Reaktion eines Menschen, der mir eine Spur im Fall Ahner liefert.“
„Sie wollen mir weiß machen, dass Sie glauben, die Fahrerin des Wagens werde sich bei Ihnen melden? Oder der Mann, der sie bedroht hat? Hören Sie doch auf! Dazu kennen Sie dieses Geschäft viel zu gut. Sie haben einen Klienten, sonst würden Sie doch Ihren Hintern nicht bewegen. Ich habe ein Recht, zu erfahren, wer dieser Klient ist. Ich ermittle in einem Mordfall - und in Deutschland gelten andere Gesetze als in den USA.“
„Das weiß ich.“
„Dann verhalten Sie sich auch entsprechend!“
Czordan zögerte und sagte dann langsam, als würde er widerwillig ein großes Geheimnis preisgeben: „Ich betrachte Herrn Ahner als unseren Klienten, auch wenn das vermutlich nicht seinem Wunsch entspricht.“
„Sonst niemanden?“, fragte Schmidt.
„Was ich sage, gilt.“
Schmidt seufzte. „Dann will ich es Ihnen diesmal glauben.“
„Ihr Misstrauen lässt mich vermuten, dass Sie inzwischen mehr wissen. Es geht um mehr als den Tod der alten Frau.“
„Stimmt! Ein Geländewagen desselben Typs wurde einen Tag vorher schon einmal in der Nähe eines Tatorts gesehen. Was die Farbe des Fahrzeugs angeht, ist sich der Zeuge nicht sicher, aber er erinnert sich noch, dass er sie unpassend fand.“
„Was für ein Tatort?“
„Ein junger Mann wurde ermordet. Das sollten Sie eigentlich wissen, wenn Sie Ihren Beruf ernst nehmen.“
Ich sprang für den Alten ein. „Michael B., 28 Jahre, wurde in Charlottenburg erschossen aufgefunden. Es gibt bisher keine Hinweise auf Täter oder Motiv“, zitierte ich eine Kurzmeldung, die mir zwei Tage vorher aufgefallen war. Ich prägte mir solche Informationen ein, seit Czordan auf dem Detektiv-Trip war.
„Ich lese ebenfalls die Zeitung“, giftete Czordan mich an, bevor er sich an Schmidt wandte: „Gibt es Zeugen? Eine Tatwaffe? Eine Verbindung zwischen den Opfern?“
„Sie fragen, als hätten Sie das Recht dazu.“ Schmidt legte seine Stirn in Falten. Er ähnelte einer Schulbuchabbildung von Cicero, die ich hassen gelernt habe, als ich auf dem Gymnasium Latein lernen sollte. Doch dafür konnte er nichts, also bemühte ich mich, ihm weiterhin ohne Vorurteile zuzuhören.
„Als Beweis für meinen Willen zu guter Zusammenarbeit“, fuhr er fort, „gebe ich Ihnen vertraulich folgende Informationen: Die Waffe war vom selben Typ. Ob es wirklich dieselbe Waffe war, wird noch geprüft. Was den Mord an Frau Ahner betrifft, haben wir jemanden gefunden, der eine Frau in der Aufmachung einer billigen Nutte wenige Minuten vor dem Schuss am Tatort gesehen hat. Wir ermitteln jetzt in dieser Richtung.“
„Wer ist der Mann, der getötet wurde?“
„Michael Beierlein. Verwaltungsangestellter, unauffällig, mit einem Lebensstandard, der eigentlich über seinen Verhältnissen lag. Muss aber nichts heißen, wir prüfen noch, ob Kredite oder ein Erbe dahinter stecken.“
„Oder eine illegale Einnahmequelle!“, sagte Czordan.
„Kann sein. Aber meist ist in solchen Fällen irgendwo legales Geld vorhanden, das nur vor der Steuer oder vor einer geschiedenen Ehefrau gut versteckt wurde. Wie gesagt, wir prüfen das noch.“
„Also zwei Tote und vermutlich derselbe Täter! Wo war Beierlein angestellt?“
„Öffentlicher Dienst. Genaueres kann ich aus ermittlungstechnischen Gründen im Moment nicht freigeben.“
„Aus ermittlungstechnischen Gründen“, echote Czordan. „Sie vermuten also, dass sein Beruf etwas mit dem Fall zu tun hat.“
„Ich weiß, dass Sie, Czordan, nichts mit dem Fall zu tun haben. Sie haben außer diesem alten Mann keinen Klienten, also niemanden, der Sie bezahlt. Deshalb mein Rat: Halten Sie sich heraus!“
„In der Gegend, in der Frau Ahner die Entführung beobachtet hat und wo sie später ermordet wurde, gibt es viele Prostituierte“, sagte Czordan. „Gehört die Zeugin, die Sie vorhin erwähnt haben, zu diesem Milieu?“
„Kann sein.“
„Ihre Leute verhören vermutlich jede der Damen, die dort diesem Gewerbe nachgehen.“
„Ist nicht so einfach, es sind überwiegend Osteuropäerinnen. Wir haben für unsere Befragungen einen Spezialisten für diese Personengruppe und eine Dolmetscherin angefordert. Außerdem sind viele Osteuropäerinnen illegal hier, die werden die Zusammenarbeit mit uns nicht gerade suchen.“
„Davon ist auszugehen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.“ Czordan lächelte Schmidt versöhnlich an.
„Sie machen also weiter?“, fragte Schmidt.
„Wie Sie auch.“
Schmidt stand auf und ging zur Tür. „Über so viel Geld und unnütze Zeit wie Sie möchte ich eines Tages auch einmal verfügen.“
Ich kam nicht dazu, diese Bemerkung zu kommentieren, denn das Telefon klingelte. Auf dem Display sah ich, dass der Anrufer die Nummer aus der Zeitungsanzeige gewählt hatte. Da Schmidt gerade die Tür hinter sich schloss, schaltete ich den Lautsprecher ein, bevor ich mich meldete: „Siegfried Ehrlich, guten Tag!“
„Haben Sie die Anzeige wegen des Wagens in die Zeitung gesetzt?“, fragte eine hohe Männerstimme.
„Ja, das war ich. Mit wem spreche ich denn, bitte?“
„Es tut mir Leid wegen des Schadens, ich werde selbstverständlich dafür geradestehen.“
Das war seltsam. In der Anzeige stand, dass ich einen Schaden an dem Geländewagen verursacht hatte, nicht umgekehrt. Ich sah zu Czordan hinüber. Er nickte.
„Wir können die Angelegenheit sicherlich schnell und problemlos aus der Welt räumen“, sagte ich. „Kommen Sie doch einfach hier vorbei.“
„Wo ist das?“
Ich nannte ihm die Anschrift. „Klingeln Sie bei der ‚Wissenschaftlichen Auskunftei Czordan‘“, fügte ich hinzu. Hoffentlich kniff er nicht, wenn er nachher auf dem Schild den Zusatz ‚Detektei‘ sah.
Er versprach, sich sofort auf den Weg zu machen. Noch einmal fragte ich ihn nach seinem Namen.
„Silvio Drombacher“, antwortete er. „Bis gleich.“ Er legte auf.
„Finde heraus, was es über ihn zu wissen gibt“, forderte Czordan.
Das Internet kannte einen reichen Erben diesen Namens, der aber nicht unbedingt unser Anrufer sein musste. Unsere eigene Datenbank enthielt gar nichts. Kaum hatte ich Czordan darüber informiert, klingelte es an der Bürotür. Draußen stand ein junger Mann.
Er kam herein wie aus einer anderen Welt: Mitte zwanzig, groß, schlank, hellschimmernde braune Haare. Er trug ein elegantes, sportliches Jackett über Designerjeans und weißem Polohemd. Ein Hauch von Parfüm umwehte ihn, der unterstrich, dass seine persönliche Ausrichtung auf das eigene Geschlecht abzielte. Graugrüne Augen blickten unstet zwischen Czordan und mir hin und her.
„Herr Drombacher? Ich bin Samuel Czordan“, beantwortete der Alte seine ungestellte Frage. „Mein Mitarbeiter Siegfried Ehrlich.“
„Dieses Firmenschild!“ Er drehte sich leicht und zeigte hinter sich. „Detektei. Ist mit meinem Wagen etwas vorgefallen?“
„Wie kommen Sie darauf?“, fragte Czordan.
Ich schob einen Besucherstuhl näher an den Schreibtisch und Silvio Drombacher ließ sich mit einer gleitenden Bewegung darauf nieder. Czordan bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick. So, als hätte ich diese Höflichkeit anderen Besuchern gegenüber noch nie erwiesen.
„Ich meine nur“, sagte Drombacher. „Es hätte ja sein können. Wie viel verlangen Sie, um diese leidige Sache mit dem Wagen zu vergessen?“
Als Detektiv hätte ich ihn jetzt direkt nach dem von Frau Ahner beobachteten Vorfall gefragt. Czordan tat das nicht. Also hielt ich mich zurück, hörte zu und hoffte, wieder etwas über die Arbeitsweise eines Detektivs zu erfahren.
„Wir verlangen nichts“, stellte Czordan richtig. „Im Gegenteil: In der Zeitungsanzeige haben wir geschrieben, dass wir eventuell an einem Kratzer an Ihrem Wagen schuld sind.“
„Ich bin ein wenig durcheinander. Habe ich ihre Annonce also falsch verstanden? Ich weiß nicht, ob überhaupt ein Kratzer dran ist“
„Umso besser, dann kann der Schaden nicht groß sein. Sehen wir uns den Wagen doch gleich einmal an.“
„Das geht nicht. Ich bin mit meinem zweiten Wagen gekommen.“
„Dann sagen Sie uns, wo der Geländewagen steht. Wir fahren hin, prüfen den Schaden und klären alles mit unserer Versicherung - ohne große Scherereien für Sie“, behauptete Czordan. Er war die Hilfsbereitschaft in Person.
„Das ist nicht nötig. Falls wirklich Sie es waren ...“ Drombacher zögerte, bevor er fortfuhr: “... dann nehme ich das auf die eigene Kappe. Mehr als eine Kleinigkeit kann es nicht sein, da haben Sie ja völlig Recht. Danke für Ihr Entgegenkommen.“ Er stand auf, zupfte mit einer fahrigen Bewegung sein Jackett zurecht und wollte gehen.
„Moment noch“, sagte Czordan. „Wir brauchen natürlich eine Sicherheit.“
„Wie meinen Sie das?“
„Eine Erklärung, dass Sie nicht später auf uns zurückkommen und Schadensersatz oder sonstige Forderungen stellen. Mein Mitarbeiter wird ein entsprechendes Dokument aufsetzen. Sig!“
Silvio Drombacher nahm wieder Platz.
Ich durchschaute die Idee des Alten und fing an, wild in den PC zu tippen. Auf die rechtlich korrekte Formulierung kam es nicht an, sondern auf die Fragen, die ich nun in diesem Zusammenhang unverfänglich stellen konnte: „Nennen Sie mir bitte das Kennzeichen und die genaue Typenbezeichnung des Wagens.“
Das Kennzeichen wusste er, die Typenbezeichnung nicht, nur den Markennamen.
„Seit wann sind Sie Halter des Kraftfahrzeugs? Und Ihre Anschrift, bitte. Danke. Geburtsdatum und Beruf?“
Das war zu viel verlangt. „Das hat mit dieser Sache ja wohl nichts zu tun.“
„Es ist jedenfalls kein Firmenwagen?“, versuchte ich, die Kurve zu kriegen.
„Der Wagen gehört mir“, sagte er.
„In Ordnung.“ Ich tippte noch ein paar juristisch klingende Klauseln unter den Text, dann druckte ich ihn aus und legte je ein Exemplar ihm und Czordan vor.
Silvio Drombacher las und runzelte die Stirn, was nur zwei feine Rillen in der Haut hervorrief. „Egal, was mit dem Wagen geschehen ist, Sie sind nicht daran schuld. Verstehe ich das richtig?“
„So hatten wir es eben besprochen.“
„Stimmt.“ Er griff nach dem Kugelschreiber, den ich ihm hinhielt, und unterzeichnete schwungvoll, ohne die Linie zu überschreiben. Sehr diszipliniert, wie alles an ihm.
„Sie sagten, Sie sind mit Ihrem anderen Wagen gekommen“, fing Czordan erneut an, als er ihm sein unterschriebenes Exemplar gab. „Auch ein so großes Fahrzeug wie der Geländewagen?“
„Nein. Ein Smart.“
„Das ist nun wirklich ein Gegensatz!“
„Den großen habe ich mehr aus Pietät gekauft. Mein Vater hat einige Monate vor seinem Tod davon geredet, ihn zu bestellen, lange, bevor das Modell auf den Markt kam. Er hat sich sehr darauf gefreut, hat es dann aber nicht mehr erlebt. Zwei Jahre ist das jetzt her. Ich habe schon daran gedacht, den Wagen zu verkaufen, aber ich bringe es nicht übers Herz.“
„Also fahren Sie nur gelegentlich mit dem Geländewagen“, folgerte Czordan.
„So gut wie nie. Man fährt darin, als würde man auf einem Kutschbock sitzen - überheblich, irgendwie.“
„Aber Sie waren in den letzten Tagen damit unterwegs. Sonst hätte es ja nicht zu dem kleinen Unfall kommen können.“
„Ja, nein, also ...“ Er stand energisch auf. „Ich muss jetzt gehen.“
„Einen Hinweis will ich Ihnen noch mit auf den Weg geben“, sagte Czordan und senkte seine Stimme.
Silvio Drombacher trat prompt näher zu ihm, um ihn besser zu verstehen.
Czordan betrachtete ihn aufmerksam, bevor er fortfuhr: „In den letzten Tagen wurden zwei Menschen ermordet. Eines der Opfer, eine ältere Frau, hat hier in der Gegend gewohnt. Dieser Geländewagen - oder ein sehr ähnlicher - wurde in beiden Fällen in der Nähe des Tatortes gesehen. Waren Sie ab und zu abends mit ihm unterwegs?“
Da er nicht antwortete, wiederholte Czordan seine Frage: „Sind Sie am Dienstagabend mit dem Wagen gefahren? Oder an einem anderen Tag dieser Woche?“
„Nein! Was unterstellen Sie mir da?“
„Ich unterstelle Ihnen nichts. Aber die Polizei wird Sie sicherlich bald als Halter des Fahrzeugs ermitteln. Man wird Ihnen genau solche Fragen stellen. Was würden Sie antworten, bezogen auf Dienstag?“
Drombacher hatte sich wieder im Griff und sagte, ohne erst überlegen zu müssen: „Dienstag war nachmittags Planungsrunde in einem gemeinnützigen Verein, den ich unterstütze, Freie Schwalbe e.V. Das zog sich hin bis in den Abend. Von dort aus bin ich mit einem Bekannten direkt zu dessen Wohnung. Er hat eine kleine Party veranstaltet, nur für den engeren Kreis.“
„Wie heißt dieser Bekannte?“, fragte ich.
„Max Kennrich. Er ist Rechtsanwalt und berät diesen Verein.“
Ich notierte mir den Namen.
„Gehört zu diesem engeren Kreis auch Michael Beierlein?“, fragte Czordan.
„Wer?“ Er hatte den Namen wirklich noch nie gehört. So viel Menschenkenntnis traute ich mir zu, das zu beurteilen.
„Wie sind Sie zu der Party gefahren - mit Ihrem eigenen Wagen?“
„Ja, selbstverständlich mit meinem eigenen. Mit dem Smart, meine ich. Der große? Ich weiß nicht, ich muss das nachprüfen.“
„Was wollen Sie nachprüfen?“
„Wo der Geländewagen war.“
„Sie wissen nicht, wo Ihr eigenes Auto war? Wissen Sie denn, wo es sich jetzt im Moment befindet?“
Drombacher drückte sein Kinn energisch ein Stückchen nach vorne und sagte viel entschiedener als bisher: „Mag sein, dass es da ein Problem gibt. Sie sind doch Detektiv. Man kann Sie engagieren, nehme ich an. Das tue ich hiermit.“
„Wir sind teuer“, behauptete Czordan.
„Das spielt keine Rolle.“
„Wie Sie meinen. Und was sollen wir für Sie herausfinden?“
„Das muss ich mir noch genauer überlegen. Ich gebe Ihnen morgen Bescheid. Sie sind doch samstags erreichbar?“
„Selbstverständlich!“
Meine hochgezogenen Augenbrauen übersah Czordan.
„Sehr schön. Wünschen Sie eine Anzahlung?“ Drombacher bewegte die Hand zur Innentasche seines Jacketts, als wäre alles Geld der Welt darin.
„Nicht, bevor Sie uns einen präzisen Auftrag erteilt haben.“
„Auch gut. Morgen um zehn?“
„Gerne.“
Er blieb in der Tür noch einmal stehen. „Die ermordete Frau, die Sie erwähnten: Hat sie als Prostituierte gearbeitet?“
„Nein. Wie kommen Sie darauf?“
„Nur so ein Gedanke.“
Er ging. Ich sah ihm ziemlich verblüfft nach.
Czordan dagegen setzte sein ‚Ich bin allwissend‘-Gesicht auf und sagte: „Aha! Damit kann man doch etwas anfangen. Aber wir brauchen mehr Informationen. Besuche deinen Freund bei der Zeitung und frag ihn aus.“
„Ich möchte meine privaten Kontakte nicht für diese Detektivsache nutzen“, wandte ich ein.
Czordan ruckte hoch. „Ein Detektiv hat kein Privat...“
„Schon gut“, sagte ich und machte mich auf den Weg.
Nikolaus von Everdingen, genannt Every, kannte ich seit meiner Schulzeit. Er gehörte zu den Schnellmerkern, die keine Mühe mit dem Stoff hatten, war allgemein beliebt und die Lehrer glaubten, er werde Karriere machen. Doch dann stellte sich heraus, dass er faul war - was ihm nicht von alleine zuflog, war er nicht bereit, zu lernen - und dass er ein Zyniker war, der so etwas wie Karriere nicht ernst nehmen konnte. Er war auf dem besten Weg, einer dieser brillanten Nichtstuer zu werden, die ihre Tage in den Cafés in Berlin Mitte verbringen und alles besser wissen, aber es nicht anpacken.
Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass Geld doch eine gewisse Rolle im Leben spielt, je mehr desto besser. Also entschloss er sich zu einem Journalistik-Studium. Er hoffte, mit geschliffenem Stil und wenig Mühen einen Abschluss zu erreichen.
Als ich ihn Jahre später wieder traf, war er Hauptstadtkorrespondent einer überregionalen Zeitung, seine Rechnung war also aufgegangen. Dieser Posten langweilte ihn jedoch bald, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. Deshalb suchte er sich ein weiteres Betätigungsfeld und wurde unter einem anderen Namen freier Mitarbeiter einer Berliner Boulevardzeitung. Das Qualitätsblatt aus Frankfurt schätzte seine scharfsinnigen Analysen, das Boulevardblatt die kernigen Sätze, mit denen er komplexe Zusammenhänge in wenige Zeilen quetschen konnte.
Selbstverständlich erfuhren beide Redaktionen von seinem Doppelspiel, aber sie wollten nicht mehr auf ihn verzichten. So verdiente er doppelt und hatte seinen Spaß dabei. Da er mit beiden Enden des journalistischen Spektrums in Verbindung stand, galt er als einer der bestinformierten Journalisten in der Hauptstadt.
Everys Büro wurde von der seriösen Zeitung finanziert, ebenso seine Bürokraft, die er aber mit anderen Korrespondenten teilte. Immerhin versorgte sie ihn und seine Besucher zuverlässig mit Kaffee, mehr verlangte er nicht. Mit dem Rest der Arbeit kam er bequem alleine zurecht.
„Zweihundert Millionen in Form von Vermögen und Firmenbeteiligungen“, sagte Every. „So als Größenordnung.“
Meinen überraschten Pfiff quittierte er mit einem Grinsen.
„Jedenfalls mehr, als ein Mensch verbrauchen kann, sollte man meinen“, fuhr er fort.
Ich schlürfte von dem fürchterlichen Bürokaffee, den er mir wie immer angeboten hatte, schüttelte mich und fragte: „Warum diese Einschränkung? Gibt er sich Mühe, es doch zu tun?“
„Er hat ein schlechtes Gewissen wegen seines ererbten Reichtums und sich deshalb eine Beraterin an Land gezogen. Die sagt ihm, wie er mit den Millionen Gutes tun kann in der Welt. Und das kostet.“
„Womit zuallererst das Honorar der Beraterin gemeint ist, nehme ich an. Der Erbe wird also ausgenommen?“
„Nein. Ist alles ganz seriös.“ Er blätterte in den Unterlagen, die er vor sich hatte, und fand wie immer nichts. „Es gibt eine ganze Heerschar solcher Berater, die sich auf die Generation junger Erben spezialisiert hat. Der Druck, den Millionen und Milliarden Euro auf die zarten Seelchen ihrer Besitzer ausüben, scheint enorm zu sein. Drombacher hat sich eine Frau - da ist es doch! - Frau Wailer zur Massage seines Seelenlebens ausgeguckt. Ursprünglich aus der Schweiz stammend, aber sie hat wohl die Berliner Luft und den Duft des großen Geldes gerochen und ist hierher gekommen.“
„Was hat sie Silvio Drombacher geraten?“
„Das Übliche: Unterstützung sozialer Organisationen und aktive Mitarbeit, um den Boden nicht unter den Füßen zu verlieren und dem eigenen Leben Sinn zu geben.“
„Heißt konkret?“
„Finanzierung eines komplett neuen SOS-Kinderdorfs in Ostafrika, einschließlich der laufenden Kosten. Jugendprojekte in Berlin und Göttingen - da stammt die Familie Drombacher ursprünglich her. Außerdem Frauen- und Schwulenprojekte jeder vorstellbaren Art. Aktiv arbeitet Drombacher unter anderem in zwei Schwulenprojekten mit. Außerdem in einem Verein, der gegen Zwangsprostitution agiert, und in einer Organisation zum Schutz von Frauen vor ihren eigenen Kindern. Langeweile ist eben auch ein Problem der ganz Reichen, da hilft es, wenn man täglich ins Büro geht.“
Every reichte mir ein Foto, das einen älteren Mann vor einem Firmensignet zeigte. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug und strahlte das Selbstbewusstsein aus, das man erwirbt, wenn man alles im Leben aus eigener Kraft erreicht hat.
„Sein Vater“, erklärte Every. „Er war vier Mal verheiratet, das hat seine Gesundheit ruiniert. Ist mit Ende sechzig an einem Herzinfarkt gestorben, kurz nach seiner dreißig Jahre jüngeren vierten Frau. Sie ist bei einem Skiunfall in St. Moritz ums Leben gekommen. Silvio ist sein Sohn aus dritter Ehe. Es gibt noch eine Tochter aus der allerersten Ehe, die muss jetzt Mitte vierzig sein. Sie hat das Testament angefochten, weil sie das Firmenimperium ihres Vaters in dessen Sinn leiten will. Es stört sie, dass ihr Halbbruder seine Anteile verwalten lässt, ohne sich selbst um die Firma zu kümmern.“
„Hat er einen Grund dafür?“
„Moral. Sein Vater hat gute Geschäfte mit den Militärs dieser Welt gemacht. Alles ganz legal, im Rahmen der Ausfuhrbestimmungen unserer Regierung und so weiter.“
„Aber das zarte Seelchen von Silvio Drombacher nimmt daran Anstoß“, ergänzte ich.
Das Foto der Tochter zeigte eine robuste Frau, die mich vertrauenerweckend direkt ansah. „Ich lese die Klatschpresse nicht, Every, also erzähl weiter. Wird in aller Öffentlichkeit die schmutzige Wäsche gewaschen?“
„Nein. Ich nehme an, sie hat Angst, das könnte dem Ruf der Firma schaden. Falls er solche Anwandlungen hatte, wurden sie ihm vermutlich von seiner Beraterin ausgeredet. Aber der Rechtsstreit ist noch nicht beendet.“
„Was ist mit seinem Privatleben? Der Mann an seiner Seite? Irgendwelche Hinweise auf Affären? Bei seinem Vermögen muss es doch vor Verehrern wimmeln.“
„Er lebt alleine und bewegt sich in einem kleinen Kreis. Bis vor einem Jahr hat er irgendetwas Ausgefallenes studiert - Stoffdesign? Offenbar ein Gebiet, in dem überwiegend Frauen anzutreffen sind, und ein paar schwule Männer.“
„Wie steht es mit Drogen oder dunklen Flecken in der Vergangenheit bei den beiden Erben oder ihrem Vater?“
Every räumte die Papiere wieder zusammen. „Nichts, von dem ich wüsste. Aber wenn Silvio Drombacher jetzt in einen Mordfall verwickelt ist, dann werden meine lieben Kollegen alles daran setzen, an anrüchige Details zu kommen. Vielleicht graben sie dabei etwas aus, das für euch interessant ist.“
Ich sah ihn strafend an. Es prallte wie immer von ihm ab. „Wie kommst du darauf, dass er etwas mit dem Mord zu tun hat?“
„Du hast es mir vor einer halben Stunde erzählt. Leugnen ist zwecklos. Ist alles wortwörtlich hier gespeichert.“ Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn.
„Genau das dachte ich auch gerade“, sagte ich und imitierte seine Geste. „Erstens habe ich gar nichts gesagt. Du musst dir da etwas einbilden.“
„Und zweitens?“
„Gebe ich nie wieder eine Information an dich weiter, wenn du das veröffentlichst.“
„Mehr als ein paar Kleinanzeigen habe ich von dir bisher nicht bekommen.“
„Kann sich ändern. Czordan und ich sind jetzt echte Detektive.“ Ich stand auf und ging zur Tür.
Every lachte. „Das wäre eine Nachricht wert: ‚Rentner und ehemaliger Personenschützer gründen Detektei. Die Verbrecher in der Hauptstadt zittern vor Angst.‘ Dazu ein Interview mit dem Polizeipräsidenten, der nun Personal einsparen kann, weil ihr die Arbeit für ihn erledigt, und natürlich mit dem Regierenden Bürgermeister, der das als Erfolg seiner Politik für den Wirtschaftsstandort Berlin darstellt.“
„Du bist und bleibst ein primitiver Schreiberling“, sagte ich und ging.